Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

15.05.2023, Deutsche Umwelthilfe e.V.
Mitmach-Aktion für insektenfreundliche Städte: Deutsche Umwelthilfe ruft zur Schmetterlingssuche auf und fordert mehr Grünfläche
DUH ruft mit Schmetterlingsforscher Dr. Robert Trusch, NaturFreunde Deutschlands und dem Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder Bürgerinnen und Bürger dazu auf, bis zum 15. Juli 2023 gesichtete Schmetterlingsarten zu melden: www.duh.de/schmetterlings-aktion-2023
Lebensräume für Insekten schwinden in städtischen Gegenden: 79 Prozent der Schmetterlinge finden nicht genügend Nahrungsquellen und Nistplätze
Mehr Stadtgrün, weniger Flächenversiegelung: DUH fordert von Kommunen wirksame Maßnahmen zum Schutz von Schmetterlingen und anderen Insekten
Der Lebensraum für Insekten und Schmetterlinge schrumpft in deutschen Städten immer stärker. Um auf diese dramatische Situation für Schmetterlinge und aller anderen Insekten in Städten aufmerksam zu machen, ruft die Deutsche Umwelthilfe (DUH) zum zweiten Mal Bürgerinnen und Bürger dazu auf, Ausschau nach Schmetterlingen in ihrer Umgebung zu halten und diese bis zum 15. Juli an die DUH zu melden. Damit will der Umwelt- und Verbraucherschutzverband herausfinden, wo der Bedarf, Grünflächen für Schmetterlinge und Insekten zur Verfügung zu stellen, am größten ist und den Druck auf Städte und Gemeinden erhöhen, für grüne Bereiche zu sorgen. Es müssen mehr artenreiche Grünflächen angelegt und insektenfreundlich gestaltet werden. Zahlreiche Orte in Städten, wie zubetonierte Schulhöfe, Innenhöfe oder Randstreifen an Straßen, können problemlos entsiegelt werden. Auch Fassaden oder Dächer bieten Platz für Begrünung.
Dazu Barbara Metz, Bundesgeschäftsführerin der DUH: „Mit unserer Schmetterlingszählaktion machen wir darauf aufmerksam, wie dringend wir mehr insektenfreundliche Grünflächen in unseren Städten und Gemeinden brauchen. Das ist nicht nur wichtig für Schmetterlinge und Insekten, sondern auch für die Menschen, die in den Städten leben. Denn Grünflächen in der Stadt können in Hitzesommern die Lufttemperatur senken und sorgen bei starken Regenfällen dafür, dass Wasser versickern kann und weniger Überschwemmungen entstehen. Für den Erhalt unserer Artenvielfalt ist mehr Grün auch in dicht besiedelten Gebieten zwingend notwendig! Städte und Gemeinden müssen jetzt gegensteuern und mehr Lebensräume für Insekten schaffen. Das ist auch nicht schwer, denn Möglichkeiten zur naturnahen Bepflanzung gibt es fast überall. Wir unterstützen beispielsweise zahlreiche Schulen dabei, ihre Schulhöfe klima- und insektenfreundlicher zu gestalten. Artenreiche Grünflächen sind außerdem nicht nur bunter als monotone Rasenflächen, sondern benötigen auch weniger Wasser und Pflege. Wenn Städte und Gemeinden jetzt etwas gegen das Grau-in-Grau unternehmen, können auch unsere Schmetterlinge wieder Nahrung finden.“
Jeden Tag werden in Deutschland durchschnittlich 25 Hektar an unbebauter Fläche für Siedlungen und Verkehr neu versiegelt. Die Flächenversiegelung verstärkt nicht nur die Aufheizung der Städte, auch extreme Wetterereignisse können größere Schäden anrichten. Gleichzeitig werden vorhandene Flächen viel zu selten insektenfreundlich gestaltet. Immer weniger Privatgärten und öffentliche Grünflächen wie Parks, Friedhöfe und Spielplätze bieten geeignete Lebensräume für Schmetterling und Co. Auch Schulhöfe, Dächer, Balkone und Fassaden bleiben häufig trist und grau, obwohl es ausreichend Möglichkeiten zur naturnahen Gestaltung gibt. All das führt zu einem erheblichen Verlust der Artenvielfalt: Fünf der heimischen Tagfalterarten sind in Deutschland bereits ausgestorben, zwölf vom Aussterben bedroht. 79 Prozent der Schmetterlinge weltweit finden in Städten und Gemeinden keine Nahrungsquellen und Nistplätze.
Auch weil Ackersäume, Moore, Hecken und andere Rückzugsnischen auf dem Land schwinden, müssen Schmetterlinge zunehmend auf Städte ausweichen. Hier sind sie umso dringender darauf angewiesen, dass sie in Parks und öffentlichen Grünanlagen, aber eben auch in privaten Gärten, auf Balkonen und Baumscheiben vielfältige Pflanzen antreffen und nicht wie vielerorts nur Einheitsgrün.
Unterstützt wird die Aktion der DUH von dem Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder, NaturFreunde Deutschlands und dem renommierten Schmetterlingsforscher Dr. Robert Trusch (Naturkundemuseum Karlsruhe). Die an die DUH übermittelten Schmetterlingsfunde werden der Online-Plattform „Schmetterlinge Deutschlands“ zur Verfügung gestellt. Deren Daten gehen in die Rote Liste der gefährdeten Arten in Deutschland ein. Zusätzlich plant die DUH eine eigene Auswertung mit Blick auf die bundesweite Verteilung der Schmetterlinge.

16.05.2023, Dachverband Deutscher Avifaunisten
Intensive Landwirtschaft bedroht die Vogelartenvielfalt
Klimaveränderungen und die veränderte Landnutzung bedrohen weltweit die Artenvielfalt. Eine aktuelle Studie des European Bird Census Council hat untersucht, welche der Umweltveränderungen in Europa sich besonders auf die Bestände der europäischen Vogelwelt auswirkt. Dafür wurden Geo-Daten über die Bewaldung, das Ausmaß der Intensivierung der Landwirtschaft, die Bebauungsdichte und den Temperaturanstieg im Zusammenhang mit den Beobachtungsdaten von 170 Vogelarten ausgewertet. Die Bestandsdaten der Vogelarten entstammen dem europäischen Brutvogelmonitoring (PECBMS), zu dem Fachverbände aus 28 europäischen Ländern Daten beisteuern. Über einen Zeitraum der letzten 37 Jahre flossen Beobachtungsdaten von bis zu 20,000 Lokalitäten innerhalb Europas in die Datenauswertung ein. Die deutsche Datenbasis beruht auf den Ergebnissen des Monitorings häufiger Brutvögel des Dachverbands Deutscher Avifaunisten (DDA).
Diese beeindruckende Datenmenge wurde mithilfe eines analytischen Ansatzes, der die Zusammenhänge zwischen den Lebensbedingungen der Vögel, dem menschlichen Einfluss und den Bestandszahlen der Vogelarten berücksichtigt, ausgewertet. Dafür wurden die anthropogenen Einflüsse und die Veränderungen der Vogelvorkommen nebeneinander analysiert und auf Zusammenhänge untersucht. Insgesamt ergaben sich eindeutige Trends, die auf eine starke Korrelation der menschlichen Einflüsse auf den Lebensraum und den Bestand der Vögel hinweisen.
Besonders deutliche Ergebnisse gibt es im Hinblick auf den Einfluss der intensiven Landwirtschaft auf die Vogelwelt. Die intensive wirtschaftliche Landnutzung vertreibt nicht nur viele Arten aus ihren angestammten Lebensräumen, indem sie ehemalige Wiesen oder Blühflächen als bearbeitungsintensives Acker- oder Grünland nutzt, sondern bedroht auch mit dem breiten Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln den Bestand vieler Agrarvogelarten. Besonders stark sind Arten betroffen, die am Boden brüten, sich hauptsächlich von Insekten ernähren und/oder die für die Aufzucht ihrer Jungen auf das Vorkommen von Insekten in ihrem Lebensraum angewiesen sind. Sie geraten nicht nur durch die Verkleinerung ihrer Lebensräume und die Mahd während der Brutzeit unter Druck, sondern auch, weil ihre Ernährungsgrundlage schwindet.
Die deutliche Botschaft der Studie: Die Intensivierung der Landwirtschaft, insbesondere der verstärke Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden schadet der Vogelwelt in starkem Ausmaß. Deutlich mehr als die Zersiedelung der Landschaft oder die Temperaturerwärmung im Zuge des Klimawandels. Und das nicht nur lokal oder zeitlich begrenzt, sondern überall in Europa in einem anhaltenden und bedrohlichen Ausmaß.
Speziell für Deutschland zeigt sich, dass es nicht ausreicht, die fortschreitende Industrialisierung der Landwirtschaft zu verlangsamen, wenn der Anteil der intensiv bewirtschafteten Fläche bereits sehr hoch ist. Denn zwar stieg die landwirtschaftliche Intensivierung in Deutschland im Betrachtungszeitraum 2007-2016 im Vergleich mit anderen mitteleuropäischen Ländern vergleichsweise schwach. Gleichzeitig zeigen die Trends bei den Beständen der Vögel im Agrarland, wie zum Beispiel von Kiebitz und Rebhuhn aber weiterhin deutlich nach unten. Grund ist das bereits erreichte sehr hohe Niveau der Intensivierung, das in Europa lediglich die Benelux-Staaten übertreffen und ansonsten nur in Dänemark ähnlich hoch ist.
Wie bereits vor Kurzem in einer Publikation des DDA in Kooperation mit der Georg-August-Universität Göttingen und dem Thünen-Institut für ländliche Räume, Wald und Fischerei gezeigt, spielen Brachflächen und die Komplexität der Landschaft eine wichtige Rolle für das Vorkommen von Agrarvogelarten. Hochintensiv genutzten Landschaften fehlt es aber aufgrund der hohen Mechanisierung und Bearbeitungsintensität oft an der notwendigen Strukturvielfalt. Vogelbestände können sich unter diesen Umständen nicht erholen. Dies spiegelt sich in dem im europäischen Vergleich in Deutschland sehr stark negativen Bestandsentwicklungen der Agrarvögel wider.
„Die vorliegende Studie zeigt ganz klar, dass Deutschland zwar bei der Intensivierung der Landwirtschaft in der europäischen „Königsklasse“ mitspielt, aber bei der Bestandsentwicklung der Agrarvögel im europäischen Vergleich leider einen der hinteren Ränge belegt“, stellt Sven Trautmann vom Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA) klar. „Ein Aufweichen bestehender Instrumente zur Förderung der Artenvielfalt kann sich Deutschland daher nicht erlauben, wenn es die ehrgeizigen selbstgesteckten Ziele zum Erhalt der Artenvielfalt erreichen will. Vielmehr braucht es jetzt tatsächlich effektive Schritte zum Schutz und zur Wiederherstellung artenreicher Natur- und Kulturlandschaften“.
Die Studie „Farmland practices are driving bird population decline across Europe“ finden Sie unter https://doi.org/10.1073/pnas.2216573120.

16.05.2023, Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE)
Bienengesundheit: Hohe Winterverluste im Jahr 2022 – Beratung und Forschung entscheidend für die Zukunft
Seit 2006 ist das Deutsche Bienenmonitoring (DeBiMo) den Winterverlusten von Honigbienen auf der Spur und hat sich zu einer der umfangreichsten Datenerhebungen zur Bienengesundheit in Europa entwickelt. Die forschenden Institute haben ihren neuen Bericht für das Jahr 2022 vorgelegt: Die Winterverluste waren vergangenes Jahr erhöht. Hauptgrund waren der Varroa-Befall und damit einhergehende Viruserkrankungen. Ein Mix aus Forschung und individueller Beratung soll in Zukunft eine noch effektivere Varroa-Bekämpfung ermöglichen. Neben Schulungsangeboten braucht es Daten und Wissenschaft: 65 Bienen-Projekte mit einer Fördersumme von über 16 Millionen Euro betreut die BLE derzeit für das BMEL.
Seit nunmehr 18 Jahren beproben Forschende aus sieben wissenschaftlichen Einrichtungen unter Federführung des Bieneninstituts der Universität Hohenheim in ganz Deutschland dreimal jährlich rund 1.200 Bienenvölker. Die Verluste der Monitoringvölker lagen im Winter 2021/22 im Durchschnitt bei 18,3 Prozent, schwankten aber regional zwischen 8,7 und 32,5 Prozent. Das geht aus dem aktuellen Jahresbericht 2022 des Deutschen Bienenmonitorings hervor, das die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) im Auftrag des Bundeslandwirtschaftsministeriums als Projektträger betreut.
Die von der Wissenschaft ermittelten Ursachen für die zum Teil hohen Winterverluste 2021/22 waren – wie in den Vorjahren – die Folge eines Zusammenspiels mehrerer Faktoren. Eine Schlüsselrolle kommt dem Befall der Völker mit Varroa-Milben im Herbst und den damit einhergehenden Infektionen mit Viren zu. Völker, die im Winter 2021/22 starben, hatten einen höheren Varroa-Befall (9,4 Milben pro 100 Bienen) im Vergleich zu überlebenden Völkern (2,6 Milben pro 100 Bienen). Auch die Infektionsrate mit dem Flügeldeformationsvirus war in den Proben vor der Einwinterung deutlich höher als im vorangegangenen Jahr, was die höheren Verluste erklärt.
Was hilft? Beratung, individuelle Varroa-Bekämpfung und Forschung
Die am Monitoring beteiligten Bieneninstitute der Bundesländer sehen in der Varroa-Bekämpfung und der Eindämmung des Virenbefalls die essenziellen Ansätze, um Winterverluste deutlich zu reduzieren. Dabei kommt den Bieneninstituten eine Schlüsselrolle zu: Für den Wissenstransfer in die Imkerschaft vor Ort und die praxisgerechte Umsetzung über Netzwerke in der Imkerei braucht es Fortbildungsveranstaltungen, Schulungen, Vorträge, Lehrgänge und Rundschreiben.
Außerdem fördert das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) derzeit über die BLE als Projektträger 65 Bienen-Projekte mit einer Fördersumme von 16,6 Millionen Euro. Besonders hervorzuheben sind 16 Verbundprojekte, die innovative Maßnahmen für gesunde und widerstandsfähige Bienen sowie bestäuberfreundlichen Pflanzenschutz und Pflanzenbau in Agrarräumen entwickeln. Die Vernetzung und ein gezielter Wissenstransfer werden durch die verbundübergreifende Maßnahme „Beenovation“ sichergestellt. Ein weiterer wichtiger Aspekt: Datengrundlagen. Dafür arbeitet die BLE im Auftrag des BMEL im Projekt „Monitoring der biologischen Vielfalt in Agrarlandschaften“ (MonViA) mit. Im Teilmodul genetisches Monitoring von Honigbienenvölkern wird erstmalig deutschlandweit die Vielfalt der Honigbiene erfasst. Aus diesen Daten sollen Bedingungen für die Erhaltung gefährdeter Honigbienenlinien abgeleitet werden.
http://www.debimo.de: Imker-Blog und Infos für Laien
Auch das Deutsche Bienenmonitoring selbst trägt zu einem besseren Wissenstransfer in die Imkerpraxis bei: Unter http://www.debimo.de gewähren beteiligte Imkereien Einblicke in ihre Arbeit. Die Seite liefert Forschungsergebnisse aus erster Hand. Wer mehr als fünfzehn Bienenvölker hält und beim Bienenmonitoring mitmachen möchte, findet hier alle wichtigen Informationen zur Datenerhebung und Blog-Einträge von bereits aktiven Imkereien. Das Portal bietet zudem interessierten Bürgerinnen und Bürgern Erklärungen und Hilfestellung, um die Bienengesundheit, zum Beispiel im Kampf gegen den Varroamilbenbefall, zu verbessern.

16.05.2023, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ
Schmetterlinge auf Europas Wiesen und Weiden gehen weiter zurück. Eine neue EU-Verordnung soll diesen Trend stoppen.
Wiesen-Schmetterlinge werden in der Naturschutz-Gesetzgebung der EU künftig eine größere Rolle spielen. Denn anhand ihrer Vorkommen und Bestandsentwicklungen sollen die Mitgliedsstaaten dokumentieren, welche Fortschritte sie bei der Umsetzung der geplanten „Verordnung zur Wiederherstellung der Natur“ gemacht haben. Zum Einsatz kommen soll dabei der sogenannte Tagfalter-Grünland-Indikator. Diese Analyse, in die auch Daten und Expertise vieler Ehrenamtlicher unter Koordination von Fachleuten des UFZ eingeflossen sind, zeigt einen dringenden Handlungsbedarf. Denn seit den ersten Berechnungen im Jahr 1990 hat sich die Situation der Grünland-Falter in Europa deutlich verschlechtert.
Die Diagnose klingt besorgniserregend: Mehr als 80 Prozent der Lebensräume in der EU gelten derzeit als geschädigt – mit entsprechenden Folgen für ihre Funktionsfähigkeit und die Leistungen, die sie für den Menschen erbringen. Um dem etwas entgegenzusetzen, hat die Europäische Kommission ein neues Regelwerk vorgeschlagen. Diese „Verordnung zur Wiederherstellung der Natur“ ist eines der Schlüsselelemente der EU-Biodiversitätsstrategie für 2030, die im Mai veröffentlicht wurde. Sie sieht für die gesamte EU verbindliche Ziele für die Renaturierung verschiedener Ökosysteme und die Umkehr des Rückgangs von Bestäubern vor. Zwei Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung müssen die Mitgliedsstaaten Pläne darüber vorlegen, wie sie diese Ziele erreichen wollen. Zudem müssen sie den Erfolg ihrer Maßnahmen dokumentieren.
Letzteres ist allerdings gar nicht so einfach. Denn es gibt bisher nur wenige Indikatoren, die den Zustand der Biodiversität zuverlässig anzeigen können. Für die meisten Tier- und Pflanzengruppen fehlt es an europaweit vergleichbaren Daten, an denen man die Entwicklung der Bestände ablesen könnte. Zu den wenigen Ausnahmen gehören Vögel, Fledermäuse und die Tagfalter unter den Schmetterlingen.
„Gerade Tagfalter sind ideale Bioindikatoren“, sagt der Agrarökologe Prof. Dr. Josef Settele vom UFZ. Denn diese Tiere kommen in einem breiten Spektrum von Lebensräumen vor und reagieren empfindlich auf Umweltveränderungen. Oft stehen sie mit ihren Ansprüchen zudem stellvertretend für viele andere Insekten. Und nicht zuletzt sind sie auffällig, attraktiv und populär. Entsprechend leicht lassen sich Freiwillige motivieren, bei wissenschaftlichen Schmetterlingszählungen mitzumachen.
Solche Aktionen werden immer beliebter. In Deutschland haben zum Beispiel das UFZ und die Gesellschaft für Schmetterlingsschutz (GfS) 2005 das Citizen-Science-Projekt „Tagfaltermonitoring Deutschland“ ins Leben gerufen. Bundesweit laufen Falter-Fans seither im Sommerhalbjahr regelmäßig festgelegte Strecken ab und zählen die dabei beobachteten Tiere. Ähnliche Monitoring-Programme gibt es inzwischen auch in den meisten anderen Ländern Europas. „Insgesamt machen jetzt rund 5.000 über ganz Europa verteilte Freiwillige mit, die alle nach der gleichen Methode arbeiten“, berichtet Josef Settele.
Die so erhobenen Daten werden in der zentralen Datenbank „European Butterfly Monitoring Scheme“ (eBMS) gesammelt und ausgewertet. Auf dieser Basis lässt sich dann zum Beispiel die Populationsentwicklung einzelner Arten verfolgen. Und es gibt die Möglichkeit, gemeinsame Trends für charakteristische Arten bestimmter Lebensräume zu erkennen.
Genau das ist die Idee hinter dem Tagfalter-Grünland-Indikator, der sich aus den Bestandsentwicklungen von 17 typischen Bewohnern von Wiesen und Weiden zusammensetzt. Wenn sich die positiven und negativen Trends bei diesen Arten etwa die Waage halten, bleibt der Indikator auf dem gleichen Niveau. Gehen mehr Arten zurück, als im gleichen Zeitraum zunehmen, sinkt der Wert – und umgekehrt. Niedrigere Werte deuten also auf größere Probleme bei den Grünlandbewohnern hin.
Die neusten Ergebnisse dieser Berechnungen, in die Daten aus den Jahren 1990 bis 2020 eingeflossen sind, lassen daher nichts Gutes befürchten. Die Analyse, die auch über das vom UFZ koordinierte EU-Projekt SPRING („Strengthening Pollinator Recovery through Indicators and monitoring”) mit-finanziert wurde, zeigt nur einen einzigen Gewinner: In den 27 Mitgliedsstaaten der EU kann lediglich der Aurorafalter (Anthocharis cardamines) eine Zunahme verzeichnen. Drei Arten sind stabil: der Rostfarbige Dickkopffalter Ochlodes sylvanus), der Kleine Feuerfalter (Lycaena phlaeas) und das Große Ochsenauge (Maniola jurtina). Fünf Arten – vom Hauhechel-Bläuling (Polyommatus icarus) bis zum Mauerfuchs (Lasiommata megera) – aber weisen rückläufige Bestände auf. „Der größte Verlierer der letzten Jahre war dabei der Thymian-Ameisenbläuling (Phengaris arion), der in den Niederlanden zum Beispiel ganz verschwunden ist“, sagt Josef Settele. Für die übrigen der 17 untersuchten Grünlandbewohner gibt es entweder keinen klaren Trend oder zu wenig Daten.
Noch etwas ungünstiger wird das Bild, wenn man nicht nur die EU, sondern ganz Europa betrachtet. Dann findet sich gar keine Art im Aufwind, drei sind stabil. Sechs aber zeigen einen moderaten und eine sogar einen starken Rückgang.
Angesichts dieser Entwicklungen wundert es nicht, dass der Grünland-Indikator inzwischen auf deutlich niedrigerem Niveau liegt als früher. Allein in den letzten zehn Jahren ist der berechnete Wert für die EU um 32 Prozent, der für ganz Europa sogar um 36 Prozent zurückgegangen. Die Krise der Grünlandbewohner hat offenbar bereits den gesamten Kontinent erfasst. Das zeigt sich immer deutlicher, je mehr Informationen aus verschiedenen Ländern die freiwilligen Falterzählerinnen und -zähler liefern. „Die Rückgänge beschränken sich nicht auf den Nordwesten Europas“, betont Chris van Swaay von Butterfly Conservation Europe. „Allerdings schneiden einige Arten im Süden und Osten viel besser ab.“
Gründe für die schrumpfenden Faltervorkommen sehen er und seine Kolleginnen und Kollegen vor allem in der Landwirtschaft. So wirkt sich in Nordwesteuropa vor allem eine zu intensive Nutzung von Wiesen und Weiden ungünstig aus. Der starke Einsatz von Düngemitteln belastet dort oft auch angrenzende Schutzgebiete mit zu großen Stickstoff-Mengen. Im Rest des Kontinents ist dagegen die komplette Aufgabe der Bewirtschaftung das Hauptproblem. Denn auch damit kommen Grünland-Schmetterlinge schlecht zurecht.
Damit diese gerettet werden können, ist nach Einschätzung der Fachleute ein ganzes Bündel an Maßnahmen nötig. Es gelte, die nachhaltige Nutzung von Wiesen und Weiden zu fördern, neue wertvolle Lebensräume zu schaffen und die bestehenden besser miteinander zu vernetzen. Um dies zu erreichen ist eine Kooperation mit Landwirten wesentlich. Und auch von einer wirksamen Bekämpfung des Klimawandels würden die meisten Grünland-Schmetterlinge profitieren. „Trotz aller Bemühungen gehen diese Tiere in vielen Teilen Europas immer noch zurück“, sagt Chris van Swaay. „Wir hoffen, dass die kommende Verordnung zur Wiederherstellung der Natur und damit verbundene Maßnahmen diesen Rückgang stoppen können, damit sich auch unsere Kinder an Schmetterlingen auf blumenreichen Wiesen erfreuen können.“
Originalpublikation:
Van Swaay, C.A.M. et al. (2022): European Grassland Butterfly Indicator 1990-2020 Technical report. Butterfly Conservation Europe & SPRING/eBMS (www.butterfly-monitoring.net) & Vlinderstichting report VS2022.039. https://assets.vlinderstichting.nl/docs/290cb16a-e90f-4c5b-a7df-9b954d511cfa.pdf

16.05.2023, Universität Wien
Kieferformen von 90 Hai-Arten zeigen: Evolution je nach Lebensraum
Analyse mithilfe von Röntgen-Computertomographie und 3D-Rekonstruktionen
Was prägt die Evolution von Haien: Ist es das Habitat, die Position im marinen Nahrungsnetz oder die Beute? Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Faviel A. López-Romero von der Universität Wien ging dieser Frage anhand der Kieferform von Haien nach. Das Ergebnis: Bei den am meisten verbreiteten Hai-Arten weisen die Unterkiefer über Millionen Jahre hinweg nur relativ geringe Formschwankungen auf; große Unterschiede fanden sich vor allem bei Tiefseehaien. Die Ergebnisse dieser Studie wurden in der Zeitschrift Communications Biology veröffentlicht.
Die beeindruckenden Zähne und die Form des Unterkiefers, auf denen diese sitzen, zählen wohl zu den auffälligsten Merkmalen von Haien. Mit ihren Kiefern sind Haie in der Lage, eine große Vielfalt an Beutetieren zu erjagen, was sie zu den Spitzenprädatoren der Ozeane macht. Das breite Beutespektrum spiegelt sich auch in den entsprechenden Anpassungen wider, die Haie im Laufe ihrer Evolutionsgeschichte entwickelt haben und die es ihnen ermöglichen, sich in praktisch allen Meereslebensräumen zu verbreiten.
Wie sich die Unterkiefer von Haien im Laufe ihrer Evolution veränderten, hat nun ein internationales, multidisziplinäres Forschungsteam der Universität Wien, des Imperial College London (UK), des Muséum national d’histoire naturelle (Paris, Frankreich), der Christian-Albrechts-Universität (Kiel, Deutschland) und des Naturalis Museums (Leiden, Niederlande) untersucht. Die Ergebnisse zeigen, wie wichtig die Beute, die Position in den Nahrungsnetzen und der Lebensraum für die Vielfalt der Kieferform bei Haien sind. Dies trägt auch dazu bei, die evolutionären Ursachen für die Unterschiede in der Kiefermorphologie im Zusammenhang mit den Lebensräumen aufzudecken.
Evolutionsgeschichte über 180 Millionen Jahre
Die heute lebenden Haie haben eine lange Evolutionsgeschichte, die bis vor 180 Millionen Jahren zurückverfolgt werden kann. Während dieser ganzen Zeit waren sie ein wichtiger Bestandteil mariner Nahrungsnetze und besetzten hauptsächlich höhere trophische Positionen als Meso- und Spitzenprädatoren. Gleichzeitig haben Haie viele Lebensweisen und Formen entwickelt, wie z. B. Bodenbewohner, schnelle Schwimmer im offenen Meer und sogar einige der kleinsten Arten in der Tiefsee.
Um zu untersuchen, wie sich Lebensraum und Lebensstil auf die Entwicklung der Kieferform von Haien im Laufe der Zeit auswirken, wurden quantitative Analysen anhand von Röntgen-Computertomographie-Scans der Kiefer von 90 Hai-Arten durchgeführt und 3D-Rekonstruktionen erstellt.
Tiefseehai-Unterkiefer weisen größte Formenvielfalt auf
Die Ergebnisse zeigen überraschenderweise, dass bei sehr artenreichen Gruppen wie den Requiemhaien die Kiefer nur geringe Formschwankungen aufweisen. Dies ist interessant, da Requiemhaie zu den am weitesten verbreiteten Haien gehören. Ein weiteres interessantes Ergebnis ist, dass die meisten variablen Kiefer bei Arten gefunden wurden, die in der Tiefsee leben. „Obwohl Tiefseehaie in den Daten nicht so zahlreich wie Riffhaie vertreten sind, weisen sie in unserer Analyse die größte Formenvielfalt auf“, erklärt Erstautor Faviel A. López-Romero vom Institut für Paläontologie der Universität Wien.
Haie, die in der Tiefsee leben, sind nicht nur oft biolumineszent, sondern sind auch an verschiedenste Nahrungsstrategien angepasst, die vom reinen Verschlingen großer Stücke von Walen bis hin zum Fressen von Eiern reicht, wobei viele Tiefseehaie sich von Kopffüßern ernähren. Bei den meisten Arten, die in Riffen leben, und den großen Spitzenräubern im offenen Meer scheinen die Möglichkeiten begrenzt zu sein, sodass die meisten hauptsächlich Fische und sogar andere Hai-Arten fressen. „Natürlich ernähren sich viele Haie in diesen Lebensräumen von einer großen Vielfalt an Beutetieren und nur wenige haben sich an eine einzige, spezifische Beute angepasst“, erklärt Jürgen Kriwet von der Universität Wien, der an dieser Studie beteiligt war.
Veränderungen über die Zeit
Durch die Untersuchung der Evolution der Kieferform war es auch möglich, die evolutionären Veränderungen der Kieferform über die Zeit rekonstruieren. „Bemerkenswerte Veränderungen traten bei Teppich-, Schläfer- und Hundshaien auf. Diese Veränderungen gingen wahrscheinlich mit der vorrangigen Verbreitung dieser Haie in Riffen und in der Tiefsee einher, was sie morphologisch deutlich von anderen Arten mit größeren Kiefern abgrenzt, wie sie bei den großen Spitzenräubern im offenen Meer zu finden sind“, schließt Faviel A. López-Romero.
Originalpublikation:
Publikation in Communications Biology:
Shark mandible evolution reveals patterns of trophic and habitat-mediated diversification. López-Romero, F. A., Stumpf, S., Kamminga, P., Böhmer, C., Pradel, A., Brazeau, M. D., & Kriwet, J. in: Communications Biology,
DOI: 10.1038/s42003-023-04882-3
https://www.nature.com/articles/s42003-023-04882-3

16.05.2023, Veterinärmedizinische Universität Wien
Neu sequenziertes Genom verbessert den Schutz des gefährdeten Gepards
Referenzgenome liefern wichtige Informationen, insbesondere für den Schutz bedrohter Arten. Einem unter der Leitung der Veterinärmedizinischen Universität Wien stehenden internationalen Forschungsteam gelang es nun ein noch hochwertigeres Genom für den Geparden zu sequenzieren. Die neu gewonnenen Daten stellen einen Meilenstein dar und werden das Wissen und das Verständnis über den Geparden deutlich verbessern.
Der Gepard ist teilweise vom Aussterben bedroht. Um richtige Entscheidungen für seine Erhaltung zu treffen, werden genomische Analysen immer wichtiger. Vor diesem Hintergrund wurden kürzlich Genomanalysen des Gepards basierend auf sogenannten Short-Read-Sequenzen veröffentlicht. Tiefergehende Genomanalysen – wie Untersuchungen der Mutationslast und der genetischen Gesundheit – erfordern jedoch hochkontinuierliche Referenzgenome. Diese helfen beispielsweise, die evolutionäre Anpassungsfähigkeit und den Inzuchtstatus zu bewerten, und spielen eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung von Managementmaßnahmen im Naturschutz.
Referenzgenom erlaubt Beantwortung wichtiger biologischer Fragen
Da ein solches Referenzgenom für den Gepard derzeit nicht verfügbar ist, haben die Forscher:innen nun ein Genom auf Chromosomenebene sequenziert und zusammengesetzt. „Das neue Referenzgenom VMU_Ajub_asm_v1.0 zeigt eine starke Verbesserung gegenüber den bisher zur Verfügung stehenden Genomen für den Geparden. Es ist das Erste, dass auf Sequenzen von langen DNA Molekülen, so genannten „long reads“ basiert, wodurch es uns möglich war auch schwierige Bereiche des Genoms, besonders repetitive Regionen, zuzuordnen und bisher bestehende Lücken zu füllen. Die verbessere Kontinuität des Genoms wird eine Vielzahl von Genomanalysen ermöglichen, die bisher so nicht möglich waren“, erklärt Studien-Erstautor Sven Winter vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI) der Vetmeduni.
Laut den Forscher:innen bietet die neue Genomressource eine solide Grundlage, um wichtige biologische Fragen wie das Verständnis des Prozesses der natürlichen Selektion und Anpassung zu beantworten. Dazu Studien-Letztautorin Pamela Burger vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie der Vetmeduni: „Hochkontinuierlich annotierte Genomanordnungen im Chromosomenmaßstab sind wertvolle Referenzen für evolutionäre oder konservierende Genomanalysen und ermöglichen eingehende Studien zur strukturellen Variation oder zur Diversität und Funktion bestimmter Gene wie z. B. Immunantwortgene. Genomassemblierungen von Nicht-Modellorganismen dieser Qualität sind derzeit jedoch noch selten.“
Schnellstes Landtier der Welt und vom Aussterben bedroht
Der Gepard (Acinonyx jubatus) ist eine große Raubkatze und gilt mit Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 105 km/h als das schnellste Landtier. Historisch bewohnte er offenes Grasland in ganz Afrika, auf der Arabischen Halbinsel und im Südwesten Asiens. Derzeit bewohnt er nur kleine Bruchteile seines früheren Verbreitungsgebiets, was zu kleinen und fragmentierten Populationen führt. Der Gepard als Art wird derzeit auf der Roten Liste bedrohter Arten der International Union for Conservation of Nature (IUCN) als „gefährdet“ angesehen, wobei zwei Unterarten A. j. venaticus (Iran) und A. j. hecki (Nordwestafrika) als „vom Aussterben bedroht“ eingestuft gelten.
Originalpublikation:
Der Artikel „A chromosome-scale high-contiguity genome assembly of the cheetah (Acinonyx jubatus)“ von Sven Winter, René Meißner, Carola Greve, Alexander Ben Hamadou, Petr Horin, Stefan Prost und Pamela A. Burger wurde im „Journal of Heredity“ veröffentlicht.
Zum wissenschaftlichen Artikel: https://academic.oup.com/jhered/advance-article/doi/10.1093/jhered/esad015/70693…

16.05.2023, NABU
Gebäudebrüter weiter im Sinkflug
Bei der 19. „Stunde der Gartenvögel“ machen sich Mehlschwalbe und Mauersegler rar
Noch bis 22. Mai kann gemeldet werden
Weniger Gebäudebrüter, mehr Ringeltauben: Das Wochenende mit der „Stunde der Gartenvögel“ ist vorüber und die Zwischenergebnisse liegen nun vor. „Wie befürchtet, setzt sich der starke Abwärtstrend bei den Gebäudebrütern fort“, so NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller zu den gemeldeten Zahlen. „Das fröhliche Sri-Sri der Mauersegler ist immer seltener zu hören, sie wurden um 37 Prozent seltener gesichtet als 2022. Damit geht der Schwund dieser Art ungebremst weiter.“ Grund für den Rückgang sind fehlende Brutmöglichkeiten an Gebäuden durch nicht vogelfreundliche Sanierungen sowie das Insektensterben, unter dem besonders die Fluginsektenfresser leiden. Dazu gehört auch die Mehlschwalbe, die ein Minus von 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahr verkraften muss.
Besser geht es Ringeltaube und Türkentaube. Miller: „Es zieht sie verstärkt in die Siedlungen, wo das Nahrungsangebot zum Teil besser ist als auf dem Land. Die Türkentaube profitiert zudem von milderen Wintern und wird in den letzten Jahren zunehmend häufiger gemeldet.“
Auch viele Meisenarten und Finken wurden häufiger gesichtet. Hier macht sich womöglich das vergangene Mastjahr bemerkbar. „Diese Waldvogelarten hatten durch die Fülle an Baumfrüchten viel zu fressen“, sagt Miller. Dadurch sind weniger Vögel einem entbehrungsreichen Winter zum Opfer gefallen als in Jahren mit weniger Baumfrüchten.
Keine Entwarnung beim Feldsperling: Trotz seines sechsten Platzes in der Rangliste gibt es bei ihm weniger Beobachtungen als 2022 (minus zwei Prozent). Die leicht abnehmende Häufigkeit setzt damit den negativen Trend der Vorjahre fort. Miller: „Vermutlich kann er sich auch schlechter gegen den kräftigeren Haussperling durchsetzen.“
Gemeldet werden kann noch bis zum 22. Mai. Im Anschluss nehmen die Vogelschutzexperten des NABU die Auswertung vor. Im Juni findet die nächste Zählkation des NABU statt. Beim Insektensommer vom 2. bis 11. Juni sind alle aufgerufen, Schmetterlinge, Käfer, Ameisen und Bienen zu melden.
Stunde der Gartenvögel

17.05.2023, Universität Wien
Kammquallen sind die Geschwister aller Tiere
Kartierung von Genverknüpfungen bietet neue Perspektive auf die frühe Evolution der Tiere
Kammquallen – und nicht Schwämme – sind die Geschwistergruppe zu allen anderen Tieren. Ein Team von Forscher*innen um Oleg Simakov und Darrin Schultz von der Universität Wien sowie Wissenschafter*innen der Universitäten von Kalifornien Santa Cruz und Berkeley sowie des MBARI kartierte Verknüpfungen zwischen Genen und identifizierte Muster, die bei allen Tieren zu finden sind. Die Ergebnisse sind in Nature erschienen.
Seit mehr als hundert Jahren erforschen Wissenschafter*innen die Beziehungen zwischen den Tieren und die meiste Zeit über gingen sie dabei davon aus, dass der Vorfahre der Schwämme vor mehr als 700 Millionen Jahren vom Vorfahren aller anderen Tiere abzweigte und damit im Lebensbaum eine Geschwistergruppe zu allen anderen Tieren bildete. Vor 15 Jahren gelang es Forscher*innen jedoch, mithilfe neuer DNA-Sequenzierungstechnologien erste Hinweise dafür zu finden, dass Rippenquallen und nicht Schwämme diese Position einnehmen, doch eine endgültige Antwort blieb im Dunkeln.
„Wir haben eine neue Methode entwickelt, um einen der tiefsten Einblicke in die Ursprünge des tierischen Lebens zu erhalten. Die Fingerabdrücke dieses uralten evolutionären Ereignisses sind auch noch Hunderte von Millionen Jahren später in den Genomen der Tiere zu finden“, so Darrin Schultz, Erstautor und PostDoc an der Universität Wien.
In der Vergangenheit verglichen Forscher*innen die Gensequenzen, die für Schlüsselproteine kodieren, um Rückschlüsse auf die Verwandtschaft von Organismengruppen zu ziehen. Da sich im Laufe von hunderten Millionen Jahren die Sequenz der einzelnen Gene aber stark änderte, lässt diese Technik keine zuverlässigen Rückschlüsse auf dieses älteste Abspaltungsereignis mehr zu. In der nun in Nature erschienen Studie zeigen die Entwicklungsbiolog*innen aber, dass eine bemerkenswert große Anzahl von Genen in diesen sehr unterschiedlichen Tiergruppen nach wie vor an dieselben Chromosomen gebunden ist. Nur das Muster bei Kammquallen unterschied sich stark von den Mustern in anderen Tieren.
„Diese Forschung trägt dazu bei, die Grundlage unseres Verständnisses der Genetik des tierischen Lebens zu stärken. Sie gibt uns einen Kontext für das Verständnis dessen, was Tiere zu Tieren macht. Diese Arbeit wird uns helfen, die grundlegenden Funktionen zu verstehen, die alle Tiere gemeinsam haben, z. B. wie sie ihre Umgebung wahrnehmen, wie sie essen und wie sie sich fortbewegen“, so Schultz.
Originalpublikation:
Darrin Schultz, Steven Haddock, Jessen Bredeson, Richard Green, Oleg Simakov, Daniel Rokhsar: Ancient gene linkages support ctenophores as sister to other animals. Nature (2023)
DOI: 10.1038/s41586-023-05936-6
https://doi.org/10.1038/s41586-023-05936-6

18.05.2023, Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung
Biodiversitätsentdeckung: Unbekannte Arten (Dark Taxa) bestimmen die Vielfalt
20 Insektenfamilien weltweit sind für 50 Prozent der Artenvielfalt der Fluginsekten verantwortlich – egal ob auf heimischen Wiesen oder in tropischen Wäldern. Zu diesem überraschenden Ergebnis kommen Wissenschaftler:innen des Museums für Naturkunde Berlin, der Nationalen Universität Singapur, der Schwedischen Universität für Agrarwissenschaften und der Universität von Kalifornien (Riverside). Mit neuen Sequenzierungstechnologien werteten sie dafür Proben aus acht Ländern und zahlreichen Lebensräumen aus, die in allen fünf biogeografischen Regionen gesammelt worden waren.
Der Verlust der biologischen Vielfalt ist, so stellt der Global Risks Report des Weltwirtschaftsforums 2023 fest, eines der drei größten Risiken, mit denen die Menschheit konfrontiert ist. Um dem rasanten Verlust zu begegnen und so die Gesundheit des Planeten zu stärken, müssen die Grundbausteine der biologischen Vielfalt bekannt sein. Nur dann können Veränderungen erfasst, Einflussfaktoren identifiziert und geeignete politische Maßnahmen umgesetzt werden.
Ein Großteil der terrestrischen Tiervielfalt, zu denen die Insekten zählen, ist jedoch unbekannt – eben Dark Taxa. „So liegen im Informationsportal zur weltweiten Biodiversität, dem GBIF, neunmal mehr Informationen zu Vögeln vor als zu Insekten und anderen Gliederfüßlern, dabei machen die Vögel nur 0,2 Prozent der biologischen Vielfalt aus.
Um dieses gravierende Defizit zu beheben und effektives Handeln für Natur zu ermöglichen, quantifiziert die vorliegende Studie unsere Wissensdefizite“, erklärt Prof. Rudolf Meier, Leiter des Zentrums für Integrative Biodiversitätsentdeckung am Museum für Naturkunde Berlin und fügt hinzu: „Es ist zentral, mehr über Insekten zu erfahren, machen alle Insekten zusammen doch ein Vielfaches der Biomasse und Artenvielfalt aller Wirbeltiere aus. Sie sind überlebenswichtig.“
Um die globale taxonomische Zusammensetzung von Fluginsekten zu bestimmen, fingen die Forschenden sie in Malaise-Fallen. Diese standardisierten Fallen werden weithin im globalen Biomonitoring-Programmen eingesetzt. Allerdings stellt die Analyse der Proben eine große Herausforderung dar, wenn die Tiere einzeln ausgewertet werden. Doch dank jüngster Fortschritte bei den Sequenzierungstechnologien kann die Artenvielfalt über die Sequenzierung von „DNA-Barcodes“ ermittelt werden.
In der vorliegenden Studie insgesamt 225.261 Exemplare von circa 25.000 Arten ausgewertet, die zu 458 unterschiedlichen Familien gehören. „Überraschend ist, dass 10 bis 20 Familien die Gemeinschaften der fliegenden Insekten weltweit dominieren“, sagt Dr. Amrita Srivathsan, Erstautorin der Studie.
„Das ist wirklich bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass die Proben über verschiedene Klimazonen und Lebensraumtypen gesammelt wurden, darunter tropische Regenwälder, Bergwälder, Savannen, Mangroven und Sümpfe aber auch Wiesen aus der gemäßigten Zone.“ Nur in Australien und in der Antarktis wurden keine Proben genommen.
Das Bestimmen der beschriebenen und das Beschreiben der unbeschriebenen Arten, bleibt eine der größten Herausforderungen für die moderne Biologie. Mehr als 80 Prozent der Tierarten, so die Autoren, seien immer noch unbeschrieben. „Mit anderen Worten: Ein sehr großer Teil der Artenvielfalt der Landtiere ist der Wissenschaft nicht nur unbekannt, sondern wird dies auch in absehbarer Zukunft bleiben, wenn solche „dunklen Taxa“ nicht zu einem bevorzugten Ziel der Biodiversitätsforschung werden.“
Publikation: Srivathsan, A.; Ang,Y.; Heraty, J.M.; Hwang, W.S.; Jusoh, W. F.A.; Kutty, S.N.; Puniamoorthy, J.; Yeo,D.; Roslin, T.; Meier,R. (2023): Convergence of dominance and neglect in flying insect diversity
DOI: 10.1038/s41559-023-02066-0
https://www.nature.com/articles/s41559-023-02066-0

19.05.2023, Deutsche Wildtier Stiftung
Zum Fischotterabschuss in Bayern: Muttertierschutz ist nicht verhandelbar!
Fischotter, die sich an Fischteichen bedienen, dürfen in Bayern seit dem 1. Mai ganzjährig getötet werden. So regelt es die neue „Wolfs-Verordnung und Fischotter-Regelung“, die vom bayerischen Ministerrat unter Markus Söder (CSU) beschlossen wurde. Damit sollen die Teichwirte vor wirtschaftlichem Schaden bewahrt werden. Auflagen gibt es zwar: Entnommen werden darf nur dann, wenn Alternativen wie beispielsweise eine Teicheinzäunung nicht möglich sind. Auch soll der Erhaltungszustand einer Population sich nicht verschlechtern. So steht es auf dem Papier.
Dennoch: Arten- und Naturschützer sehen die neue Otter-Verordnung mit großer Sorge – war der Otter doch Ende der 60er-Jahre durch Jagd und Lebensraumverlust bereits nahezu ausgerottet und konnte sich seitdem nur mühsam durch Artenschutzmaßnahmen in Deutschland wieder ausbreiten. Nach wie vor gehört der Fischotter zu den streng geschützten Arten gemäß Bundesnaturschutzgesetz, doch Bayern will Ausnahmen vom strengen Schutz erleichtern. Auch wenn die Zahl der Fischotter in Deutschland in den letzten Jahren stetig zugenommen hat, wird der Wassermarder in der Roten Liste immer noch als „gefährdet“ geführt. In drei Bundesländern gilt er sogar noch immer als ausgestorben. Der von der EU geforderte „günstige Erhaltungszustand“ ist damit in Deutschland noch nicht gegeben.
Auch die Deutsche Wildtier Stiftung schützt seit vielen Jahren den Fischotter auf ihren Flächen. 2021 war er Tier des Jahres und eine Reihe von Schutzmaßnahmen wurden eingeleitet, etwa Maßnahmen zur Verhinderung von Straßentod durchgeführt, Lebensräume aufgewertet und ein Monitoring gestartet. „Wir kennen die Probleme und die Konflikte, die mit dem Fischotterschutz einhergehen, sehr gut“, sagt Lea-Carina Mendel, Biologin und Artenschützerin bei der Deutschen Wildtier Stiftung. Hier gilt es, wie bei jedem Mensch-Wildtier-Konflikt, einen Kompromiss zu finden, der beiden Seiten gerecht wird. Der Schutz von zur Aufzucht von Jungtieren notwendigen Muttertieren ist aber bei keinem Kompromiss verhandelbar: „Muttertiere könnten nach der jetzigen Verordnung getötet werden“, sagt Mendel.
Fischotter haben keine festen Paarungszeiten, sie bekommen das ganze Jahr über Nachwuchs. „Es muss also ausgeschlossen werden, dass Weibchen, die trächtig sind oder Nachwuchs führen, entnommen werden. Nur so kann das Verwaisen oder Verenden von jungen Fischottern vermieden werden. Im ersten Lebensjahr bleiben junge Fischotter in der Nähe der Mutter und lernen das Schwimmen und die überlebenswichtigen Jagdtechniken.
Zudem sollte ein transparentes, reproduzierbares und systematisches Monitoring Aufschluss über den Otterbestand vor Ort geben und diese Daten sollten veröffentlicht werden, um die nun verabschiedeten Entnahmemöglichkeiten hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Erhaltung der Art bewerten zu können, fordert die Deutsche Wildtier Stiftung. Naturschutzverbände klagen gegen die neue Verordnung. Am 22. Mai wird erneut vor Gericht verhandelt.

19.05.2023, Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV) e. V.
Vom Tiergarten Nürnberg in die Berchtesgadener Alpen: Ammen-Bartgeier wird ausgewildert
Erfolgreiche Brutsaison im europaweiten Zuchtnetzwerk
Letzte Vorbereitungen für die Auswilderung getroffen
Ende Mai werden zum dritten Mal zwei junge Bartgeier in Berchtesgaden ausgewildert. Der ursprünglich hierfür vorgesehene Jungvogel aus der österreichischen Richard-Faust-Bartgeier-Zuchtstation Haringsee kann jedoch nicht in die Felsnische entlassen werden. Sein Federkleid ist für die Auswilderung noch nicht weit genug entwickelt. Doch es gibt gute Nachrichten aus dem Tiergarten Nürnberg: Ein Adoptivküken aus der gleichen österreichischen Zuchtstation hat seit Mitte März Unterschlupf bei dem Bartgeierpaar im Nürnberger Tiergarten gefunden und wird den freigewordenen Platz einnehmen. Ebenfalls in Berchtesgaden ausgewildert wird ein zweiter Bartgeierjungvögel, der aus dem Alpenzoo Innsbruck stammt. Der Tiergarten ist Partner im gemeinsamen Projekt von dem bayerischen Naturschutzverband LBV (Landesbund für Vogel- und Naturschutz) und dem Nationalpark Berchtesgaden in Zusammenarbeit mit der internationalen Vulture Conservation Foundation (VCF).
Da ein Bartgeierpaar aus der Zuchtstation Haringsee in Österreich sogar zwei Eier erfolgreich ausgebrütet hatte – Bartgeier aber immer nur einen Jungvogel großziehen – wurde das zweite Junge den Nürnberger Bartgeiern, bei denen es in diesem Jahr leider nicht mit der eigenen Brut geklappt hat, Mitte März als Ammenvogel zugewiesen. Im Alter von sechs Tagen übergaben ihn die Pflegerinnen und Pfleger aus Haringsee auf Empfehlung des Europäischen Erhaltungszuchtprogrammes EEP (EAZA ex-situ Programme) in die Obhut des Nürnberger Tiergartens und seines Bartgeierpaares. Die beiden Vögel haben das Küken gut angenommen und es in der 2016 eröffneten Voliere aufgezogen, die der Tiergarten mit Unterstützung des Vereins der Tiergartenfreunde e.V. gebaut hat.
„Als das Küken zu uns kam, wog es gut 240 Gramm und war etwa so groß wie eine Taube“, sagt Tierpfleger und Revierleiter Thorsten Krist. „Beide Altvögel haben sich fürsorglich darum gekümmert: das Männchen hat es gehudert, das heißt gewärmt, und das Weibchen hat es gefüttert.“ Vier Tage später wog es bereits knapp 400 Gramm. „Da wussten wir, dass alles in Ordnung ist“, sagt Krist. Inzwischen wiegt der junge Bartgeier zwischen drei und vier Kilo, vor einer Woche hat er das Nest verlassen und frisst selbstständig.
Wenn eines der Küken – wie im Fall des Adoptivgeiers in Nürnberg – von einem Ammenpaar aufgezogen wird, erhöht sich die Anzahl der Tiere, die für eine Auswilderung in Frage kommen oder innerhalb des europäischen Zuchtprogramms für den Fortbestand dieser Art sorgen können. Außerdem werden die adoptierten Küken von Artgenossen aufgezogen, was sich positiv auf das Verhalten der Tiere auswirkt. „Wir freuen uns sehr, dass trotz naturbedingten Unwägbarkeiten beim Geiernachwuchs in den Zuchtstationen der Auswilderung in Berchtesgaden in diesem Jahr nichts im Wege steht. Das europaweite Bartgeiernetzwerk – besonders mit unserem fränkischen Partner, dem Tiergarten Nürnberg – unterstützt mit seiner professionellen Arbeit die Rückkehr dieser faszinierenden Art“, sagt der LBV-Vorsitzende Dr. Norbert Schäffer.
„Die Nachzucht gefährdeter Tierarten ist ein wichtiges Element des Artenschutzes. Allein in dieser Brutsaison sind bisher über 30 Geierküken in Zoos und Zuchtzentren geschlüpft, das ist ein tolles Ergebnis. Und natürlich freuen wir uns sehr, dass ein junger Geier aus Nürnberg in Kürze im Nationalpark ausgewildert wird“, erklärt Nationalparkleiter Dr. Roland Baier.
Der Tiergarten Nürnberg hält – mit nur kurzen Unterbrechungen – bereits seit 1965 Bartgeier. „Das Bartgeiermännchen im Tiergarten Nürnberg ist eines der ältesten im EEP“, sagt der stellvertretende Direktor und biologische Leiter des Tiergartens Nürnberg, Jörg Beckmann. „Auch wenn es in diesem Jahr mit dem eigenen Nachwuchs nicht geklappt hat, konnte unser Paar dennoch die überaus wichtige Rolle der Adoptiveltern erfüllen.“
Entscheidend für eine Wiederansiedelung in der Natur ist, dass sie nach den Richtlinien der Weltnaturschutzunion IUCN sinnvoll und verantwortbar erscheint. Die Begleitung und Beobachtung der ausgewilderten Tiere übernehmen Naturschützer vor Ort. Auf diese Weise greifen Artenschutzmaßnahmen außerhalb des natürlichen Lebensraumes der Tiere und innerhalb ihres Lebensraumes ineinander – „One Plan Approach“ heißt dieser umfassende Einsatz für den Artenschutz in der Fachsprache.

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