Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

28.03.2023, Universität Ulm
Mikroplastik verändert Darmflora von Seevögeln Weniger vorteilhafte Bakterien, dafür mehr Krankheitserreger
Je mehr Mikroplastik wilde Seevögel wie Eissturmvogel und Corysturmtaucher mit der Nahrung aufnehmen, desto stärker verändert sich die mikrobielle Vielfalt im Darm. Die Folge: vorteilhafte, „gute“ Bakterien nehmen ab und Krankheitserreger zu. Dies kann nicht nur kurzfristig individuelle Schäden, sondern möglicherweise langfristig artübergreifende Folgen haben, da eine Anreicherung der Schadstoffe über die Nahrungskette zu erwarten ist, so Forschende der Universität Ulm zusammen mit Partnern aus Portugal und Kanada. Die Studie zu Auswirkungen von Mikroplastik auf das Darmmikrobiom von Seevögeln ist in „Nature Ecology & Evolution“ erschienen
Je mehr Mikroplastik im Darm von Seevögeln ist, desto mehr verändert sich die mikrobielle Vielfalt, mit der Folge, dass vorteilhafte, „gute“ Bakterien abnehmen und Krankheitserreger sowie antibiotikaresistente und plastikabbauende Mikroben zunehmen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie am Darmmikrobiom von Wildvögeln. Die Untersuchung von Forschenden der Universität Ulm und von Partnern aus Portugal und Kanada wurde in der Fachpublikation „Nature Ecology & Evolution“ veröffentlicht.
Die Verschmutzung der Umwelt durch Mikroplastik, also Plastikteilchen, die kleiner als fünf Millimeter sind, ist ein hochaktuelles Problem. Dieses Plastik – oft durch den Zerfall größerer Kunststoffteile entstanden – taucht inzwischen überall auf. Sogar in der Tiefsee und abgelegenen Gegenden wie der Antarktis konnte Mikroplastik nachgewiesen werden. Noch gibt es kaum wirkungsvolle Maßnahmen, um die weltweite Verschmutzung mit Mikroplastik systematisch einzudämmen oder zu bekämpfen. „Dies liegt wahrscheinlich daran, dass zurzeit wenige systematische Beweise dafür vorliegen, dass bereits die vorhandenen Mengen an Mikroplastik in der Umwelt sich negativ auf die Gesundheit von betroffenen Arten auswirkt“, erklärt die Erstautorin Gloria Fackelmann, die diese Studie im Rahmen ihrer Doktorarbeit am Institut für Evolutionsökologie und Naturschutzgenomik der Universität Ulm durchgeführt hat. Sie verfolgt damit einen interdisziplinären Ansatz zwischen Mikroplastik- und Mikrobiomforschung.
In ihrer Studie haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das Darmmikrobiom von zwei weit verbreiteten Seevogelarten, dem Eissturmvogel (Fulmarus glacialis) und dem Corysturmtaucher (Calonectris borealis), untersucht. Beide Arten leben vor allem in Hochseegebieten und ernähren sich von marinen Weichtieren, Krebsen und Fischen. Außerdem ziehen beide Arten im Jahresverlauf Tausende von Kilometern weit und lassen so globale Rückschlüsse zu. Calonectris borealis-Individuen wurden auf den Azoren (Portugal) von Dr. Christopher Pham und Yasmina Rodríguez beprobt; die Fulmarus glacialis-Tiere wurden in der kanadischen Baffin Bay von Professor Mark Mallory, Dr. Jennifer Provencher und Julia Baak untersucht.
In der Untersuchung haben die Forschenden das Darmmikrobiom der 85 untersuchten Tiere mittels einer Hochdurchsatz-Sequenzierung charakterisiert. Das Mikroplastik, das aus dem Magen-Darm-Trakt der sezierten Seevögel über ein 1-mm-Sieb gefiltert wurde, ist unter einem Lichtmikroskop untersucht worden und nach einem Standardprotokoll für Seevögel charakterisiert.
Die Aufnahme von Mikroplastik verändert die Mikrobengemeinschaften im gesamten Magen-Darm-Trakt der Seevogelarten. Die Menge an Mikroplastik im Darm korreliert signifikant mit der mikrobiellen Vielfalt und Zusammensetzung der Bakteriengemeinschaft des Darms: Mikroplastik war mit einer Abnahme der kommensalen Bakterien und einer Zunahme von (zoonotischen) Krankheitserregern, antibiotikaresistenten und plastikabbauenden Mikroben verbunden.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler legen einen besonderen Schwerpunkt auf das Darmmikrobiom als Indikator für die Gesundheit und als Schlüsselkomponente für die Immunität und das Wohlbefinden des Wirtstiers. Je mehr Mikroplastik im Darm gefunden wurde, desto weniger kommensale Mikroben, die zur normalen und gesunden Funktion des Darms beitragen, konnten nachgewiesen werden. Kommensale Bakterien üben essenzielle Funktionen im Körper aus, die weit über Verdauung und den Nährstoffstoffwechsel hinausgehen, und zum Beispiel in der Immunmodulation und dem Schutz gegen Krankheitserreger eine zentrale Rolle spielen. Störungen beeinträchtigen somit viele gesundheitsrelevante Prozesse und können zu Erkrankungen des Wirts führen.
Die genauen Mechanismen hinter den Auswirkungen von Mikroplastik auf das Darmmikrobiom von Wildtieren sind nicht bekannt, aber die Forschenden haben bereits verschiedene mögliche Szenarien dargestellt. „Neben Folgen von mechanischen Verletzungen könnten dafür mit dem Mikroplastik verschleppte Pathogene oder chemische Störungen durch die Plastikpolymere infrage kommen“, erläutert Institutsleiterin Professorin Simone Sommer. Das übergeordnete Ziel der Forschenden besteht darin, besser zu verstehen, ob und wie Organismen betroffen sind, deren Nahrung chronisch mit Mikroplastik belastet ist.
Der interdisziplinäre Ansatz zwischen Mikroplastik- und Mikrobiomforschung ist innovativ. Bislang wurden nur wenige Pilotstudien dazu veröffentlicht, deren Laborergebnisse aber auf hohen Konzentrationen von Mikroplastik beruhen. Diese sind oft nicht repräsentativ für die in der Natur beobachteten Konzentrationen. Die neue Studie des Instituts für Evolutionsökologie und Wildtiergenomik der Uni Ulm zeigt jedoch, dass bereits bei Mikroplastik-Konzentrationen, wie sie in der Umwelt vorkommen, Veränderungen des Mikrobioms auftreten, wenn sie von relevanten Arten aufgenommen werden. Dies kann nicht nur kurzfristig individuelle Schäden, sondern möglicherweise langfristig artübergreifende Folgen haben, da eine Anreicherung der Schadstoffe über die Nahrungskette zu erwarten ist. „Unsere Schlussfolgerungen spiegeln die aktuelle Situation in freier Wildbahn wider. Da der Mensch auch aus der Umwelt und durch die Nahrung Mikroplastik aufnimmt, sollten diese Untersuchungen als Warnzeichen auch für uns Menschen gelten“, so die Autorinnen und Autoren der Studie.
Originalpublikation:
Fackelmann G, Pham CK, Rodríguez Y, Mallory ML, Provencher JF, Baak JE, Sommer S (2023) Current levels of microplastic pollution impact wild seabird gut microbiomes. Nature Ecology & Evolution. DOI: 10.1038/s41559-023-02013-z

28.03.2023, Deutsches Primatenzentrum GmbH – Leibniz-Institut für Primatenforschung
Klimawandel bedroht Lemuren auf Madagaskar
Auch vermeintlich anpassungsfähige Säugetierarten haben erhöhtes Aussterberisiko
Sie sind klein, haben eine hohe Fortpflanzungsrate und leben in den Wäldern von Madagaskar. Während der 5-monatigen Regenzeit wird der Nachwuchs geboren und ein Fettpolster angelegt, um die kühle Trockenzeit, in der wenig Futter verfügbar ist, zu überstehen. Doch was passiert, wenn die Regenzeit trockener und die Trockenzeit wärmer wird? Können sich die nur rund 60 Gramm leichten Mausmakis dank ihrer hohen Fortpflanzungsrate an die Veränderungen anpassen? Forscher*innen vom Deutschen Primatenzentrum – Leibniz-Institut für Primatenforschung haben zusammen mit Kolleg*innen von der Universität Zürich Langzeitdaten aus Madagaskar ausgewertet und festgestellt, dass Klimaveränderungen zu einer Destabilisierung der Mausmaki-Populationen führen und das Aussterberisiko erhöhen. Dass der Klimawandel bei einem schnelllebigen, ökologischen Generalisten zu einer stärkeren Fluktuation der Populationsdichte und damit zu einem erhöhten Aussterberisiko führt, ist ein alarmierendes Warnzeichen für potentielle Biodiversitätsverluste in den Tropen (PNAS).
Auswirkungen von Klimaveränderungen wurden meist bei großen, langlebigen Tierarten vermutet und untersucht. Kleine Säugetiere mit einer hohen Fortpflanzungsrate können sich in der Regel gut an veränderte Umweltbedingungen anpassen, daher wurden sie im Zusammenhang mit Klimaveränderungen bislang kaum erforscht. Claudia Fichtel und Peter Kappeler vom Deutschen Primatenzentrum – Leibniz-Institut für Primatenforschung (DPZ) forschen seit vielen Jahren an Lemuren auf Madagaskar und haben so einen einmaligen Datensatz aufgebaut, um diese Wissenslücke zu schließen.
Mit Langzeitdaten Trends erkennen
Über einen Zeitraum von 26 Jahren, von 1994 bis 2020, haben Peter Kappeler und Claudia Fichtel die Altersstruktur einer Mausmaki-Population an der DPZ-Forschungsstation auf Madagaskar untersucht. Klimadaten aus demselben Zeitraum zeigen, dass die Regenzeit dort immer trockener und die Trockenzeit immer wärmer wurde. Diese Daten haben sie nun zusammen mit Kolleg*innen von der Universität Zürich ausgewertet und eine zunehmende Sterblichkeit bei gleichzeitig steigenden Fortpflanzungsraten festgestellt. „Diese gegensätzlichen Trends haben zwar einen Zusammenbruch der Mausmaki-Population verhindert, aber dennoch zu einer Destabilisierung der Population geführt, da der sowieso schon schnelle Lebenszyklus der Tiere weiter beschleunigt wurde“, sagt Claudia Fichtel.
Aussterberisiko steigt
Die aufgrund der Klimaveränderungen schwankenden Populationsgrößen stellen eine große Gefahr für die Tiere dar, sie könnten zum Aussterben der Art führen. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass auch eine Tierart, die sich dank einer hohen Fortpflanzungsrate vermeintlich leicht an veränderte Umweltbedingungen anpassen kann, durch Klimaveränderungen in ihrem Überleben bedroht ist“, sagt Peter Kappeler. Dies sind schlechte Nachrichten, sind doch die nur auf Madagsakar vorkommenden Lemuren die weltweit am stärksten bedrohten Säugetiere. „Bei der Einstufung des Gefährdungsstatus einer Tierart sollten in Zukunft auch Daten zur demografischen Stabilität einer Population einbezogen werden“, sagt Claudia Fichtel.
Originalpublikation:
Ozgul A, Fichtel C, Paniw M, Kappeler PM (2023) Destabilising effect of climate change on the persistence of a short-lived primate. Proceedings of the National Academy of Sciences USA, Vol. 120, DOI: 10.1073/pnas.2214244120, https://doi.org/10.1073/pnas.2214244120

30.03.2023, Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV) e. V.
Neues von Bavaria, Recka und Dagmar
Die drei bisher ausgewilderten Bartgeier senden nach einer Winter bedingten Pause wieder regelmäßige GPS-Daten und sind wohlauf
Die GPS-Sender von Bavaria, Recka und Dagmar, den drei bisher vom bayerischen Naturschutzverband LBV (Landesbund für Vogel- und Naturschutz) und dem Nationalpark Berchtesgaden ausgewilderten jungen Bartgeiern, senden endlich wieder verlässlich neue Daten. In den letzten Monaten war das nur lückenhaft möglich, weil die schwache Wintersonne zu wenig Energie für die Solarzellen der Sender lieferte. Mit steigender Tagesdauer sind nun die Akkus wieder ausreichend aufgeladen, um täglich Positionsmeldungen zu schicken. „Wir hatten nie Grund zur Sorge, dass es den Geierdamen nicht gut geht, auch weil wir immer wieder Fotos und Videos geschickt bekamen. Die jetzt wieder regelmäßig bei uns eingehenden Daten sind für das gesamte Projektteam spannend zu beobachten“, so LBV-Bartgeierexperte Toni Wegscheider. Seit Projektbeginn können Interessierte die Flugrouten der drei bayerischen Bartgeier durch die Alpen dank der auf dem Rücken der Vögel angebrachten GPS-Rucksäcke online auf einer Karte mitverfolgen unter www.lbv.de/bartgeier-auf-reisen.
„Während derzeit in den europäischen Zuchtzentren des Erhaltungsprogramms die jungen Bartgeier für die kommende Auswilderungssaison aus den Eiern schlüpfen, ist es schön zu sehen, dass die drei bayrischen Bartgeier wohlauf sind und sich bestens in ihrem Lebensraum in den deutsch-österreichischen Ostalpen eingelebt haben“, sagt Nationalpark-Projektleiter Ulrich Brendel. Die 2022 ausgewilderte Dagmar hat seit letztem Herbst äußerst flugfreudig große Teile des Alpenraums von Südtirol über die Zentralalpen bis ins Allgäu erkundet. Ihr Sender konnte dabei durch die langen Flugstrecken immer etwas Akkuleistung aufrechterhalten und so viele Daten liefern. Recka und die ein Jahr ältere Bavaria zeigten sich dagegen relativ standorttreu und hielten sich über den Winter in den Berchtesgadener und Salzburger Alpen auf.
Dabei sind die Projektmitarbeitenden von LBV und Nationalpark neben den Senderdaten und gelegentlicher eigener Sichtungen auch auf Meldungen aufmerksamer Beobachter*innen angewiesen, anhand derer sich das Projektteam vom guten Gesundheitsstatus der Geier überzeugen konnte. „In den letzten Monaten haben uns zum Beispiel schöne Videos der kreisenden Dagmar aus einem Skigebiet, von Recka aus einem dicht mit Gämsen besiedelten Revier in Österreich sowie gestochen scharfe Fotos von Bavaria aus dem Nationalpark Berchtesgaden erreicht“, freut sich Toni Wegscheider. Solche Aufnahmen können neben dem genauen Aufenthaltsort wichtige Informationen über den jeweiligen Vogel, mögliche Interaktionen mit anderen Wildtieren oder auffällige Verhaltensweisen liefern. Auch wenn die Sender nun wieder aktiv sind, bittet das Projektteam auch weiterhin Naturinteressierte und Wandernde um ihre Meldungen von möglichen Bartgeierbeobachtungen mit Foto oder Video an bartgeier@lbv.de.
Durch ein vom GPS-Sender unabhängiges VHF-Signal kann das Projektteam die Bartgeier auch regelmäßig per Handantenne bis auf etwa zehn Kilometer orten. „Die Sender sind so konstruiert, dass sie nach einigen Jahren von den Vögeln abfallen. Dennoch ist es wichtig, sie zumindest während ihrer etwa dreijährigen Wanderphase engmaschig zu überwachen“, erläutert der LBV-Bartgeierexperte Toni Wegscheider. Schon mehrfach haben auffällige Senderdaten geholfen, im Alpenraum geschwächte oder mit Bleiresten aus Jagdmunition vergiftete Bartgeier zu orten und zu retten. Zusammen mit den GPS-Informationen liefern auch eine Vielzahl von Vitaldaten wie die Körpertemperatur und Bewegungsmustern dem Bartgeier-Team meist ein klares Bild von der Aktivität der Vögel.
In den Wintermonaten dienen vor allem durch Steinschlag, Lawinen, Krankheit oder Absturz umgekommene Gämsen und Steinböcke als Nahrung für die vollkommen auf Aas angewiesenen Bartgeier. „Auffällig ist, wie deutlich die Geier offenbar Gebiete mit hoher Wilddichte erkennen, wie etwa das Steinerne Meer in der Kernzone des Nationalparks oder Teile des nahen Hagen- und Tennengebirges“, so Nationalpark-Projektleiter Ulrich Brendel. Die Bewegungsmuster der Vögel zeigen deutlich, dass sie immer wieder Suchflüge von einigen Stunden bis wenigen Tagen unternehmen und gefundene Wildtierkadaver teils wochenlang nutzen. So kann zum Beispiel die hohe Kaloriendichte des Knochenmarks eines einzelnen Steinbockgerippes den Bartgeier als spezialisierten Knochenfresser drei bis vier Wochen ernähren.

31.03.2023, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen
Klimawandel: Folgen für Koralle, Mensch & Co
Ein Forschungsteam – unter ihnen Senckenberg-Wissenschaftlerinnen Prof. Dr. Angelika Brandt, Dr. Marianna Simões und Dr. Hanieh Saeedi – hat die Auswirkungen der globalen Erwärmung auf das Ökosystem Korallenriff untersucht. In ihrer im Fachjournal „Progress in Oceanography“ erschienenen Studie zeigen sie unter anderem, dass 90 Prozent der untersuchten Warmwasserarten in ihren aktuellen Verbreitungsgebieten als Folge des Klimawandels nicht überlebensfähig sind. Global wird es laut den Forschenden und unter Annahme verschiedener Klimaszenarien zu einer geographischen Verlagerung zahlreicher Arten sowie zu Massenaussterbeereignissen in den Meeren kommen.
Der geschätzte Vermögenswert für Korallenriffe beläuft sich auf eine Billion US-Dollar. Die marinen Ökosysteme bieten eine direkte Lebensgrundlage für etwa 500 Millionen Menschen, allein in Asien versorgen sie eine Milliarde Menschen mit Nahrungsmitteln. Mehr als 150.000 Kilometer Küstenlinie werden von Riffen geschützt. „Angesichts der Bedeutung von Korallenriffen auch für unser eigenes Wohlergehen ist es enorm wichtig, diese Ökosysteme gesund zu erhalten“, erläutert Prof. Dr. Angelika Brandt vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt und fährt fort: „Schon heute hat sich die globale Temperatur gegenüber der vorindustriellen Zeit um ein Grad Celsius erhöht, sie steigt aktuell um weitere 0,2 Grad Celsius pro Jahrzehnt – mit massiven Auswirkungen auch auf das Ökosystem Korallenriff. 29 Korallenriffe mit Welterbestatus sind jetzt schon durch die Erderwärmung akut bedroht.“
Meeresforscherin Brandt, Erstautorin der Studie Dr. Chhaya Chaudhary vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung und weitere Forschende von Senckenberg und der kanadischen Victoria-Universität haben in ihrer aktuellen Studie die Auswirkungen der zukünftigen globalen Erwärmung auf Korallenriffe und die darin lebenden Arten untersucht. Dabei legten sie zwei Klimaszenarien des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zu Grunde, anhand derer sie die Auswirkungen für 57 Organismengruppen aus Korallen, Mollusken, Fischen, Krebstieren und Polychaeten in warmen, kalten, flachen und tiefen Gewässern für die Gegenwart und die Jahre 2050 und 2100 modellierten.
„Laut unseren Ergebnissen werden wir im Zuge der globalen Erwärmung 90 Prozent der 30 untersuchten Warmwasserarten im Südchinesischen Meer, dem Indo-West Pazifik, dem Karibischen Meer, dem Golf von Mexiko oder vor der Nordküste Australiens, verlieren. Die Verbreitungsgebiete werden sich unter den angenommenen zukünftigen Klimabedingungen deutlich nach Süden verlagern“, erklärt Chaudhary, die während des Forschungsprojekts als Postdoktorandin bei Senckenberg beschäftigt war.
Die 27 untersuchten Kaltwasserarten reagierten unterschiedlich auf die modellierten Temperaturerhöhungen: Die meisten Arten der nördlichen gemäßigten Breiten konnten sich unter den neuen Bedingungen ausbreiten, während die arktischen Arten allesamt zurückgingen. „Unabhängig von ihrer taxonomischen Gruppe gelingt es Arten mit größeren Verbreitungsgebieten sich besser an den Klimawandel anzupassen – eine Zunahme von Generalisten und eine Abnahme von spezialisierten, endemischen Arten könnte die Folge sein“, ergänzt Dr. Hanieh Saeedi vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt.
Neben der geographischen Verschiebung der Korallenriff-Verbreitungsgebiete warnen die Wissenschaftler*innen auch vor einem Artensterben in den Meeren der Tropen, Teilen der nördlichen gemäßigten Regionen und der gesamten Arktis als Folge des Klimawandels. „Vor etwa 125.000 Jahren gab es schon einmal solch ein Aussterbeevent bei tropischen Korallen, das auf veränderte Klimabedingungen zurückzuführen ist. Solche Ereignisse können unter anderem zu einer Destabilisierung der Räuber-Beute-Dynamik in den Korallenriffen und der damit verbundenen Nahrungskette führen – mit negativen Auswirkungen für den menschlichen Lebensunterhalt, die Fischerei, den Tourismus und den Küstenschutz“, so Chaudhary.
Brandt resümiert: „Unsere globalen Projektionen zeigen die Regionen, in denen es durch den Klimawandel zu einem potenziellen Verlust oder Gewinn von Arten kommen kann. Jedes Ungleichgewicht in den Populationen der Korallenriffe wirken sich auch auf die Produktivität dieser Ökosysteme aus. Entscheider*innen sollten unsere Ergebnisse nutzen, um die biologische Vielfalt zu schützen und das menschliche Wohlergehen in den betroffenen Ländern und Regionen zu erhalten!“
Originalpublikation:
Chhaya Chaudhary, Joan M. Alfaro-Lucas, Marianna V.P. Simões, Angelika Brandt, Hanieh Saeedi(2023): Potential geographic shifts in the coral reef ecosystem under climate change, Progress in Oceanography, Volume 213,
2023, https://doi.org/10.1016/j.pocean.2023.103001.

31.03.2023, Deutsche Wildtier Stiftung
Rosige Zeiten für den Osterhasen
Deutsche Wildtier Stiftung: Feldhasen brauchen Brachen, Blühstreifen und Hecken
Ostern steht vor der Tür und zumindest die Kinder hoffen, dass der Osterhase viele Schokoladeneier bringt. Als Eierlieferant tauchte der Feldhase (Lepus europaeus) bereits im 17. Jahrhundert auf. Aber da teilte er sich den Job noch mit dem Kranich und dem Fuchs. Erst später setzte sich der Osterhase im deutschsprachigen Raum vollständig durch. Und auch in Großbritannien ist es der „Easter hare“, der Feldhase, der für Ostern steht. In Australien, damals britische Kolonie, richteten Hasen und Kaninchen auf den Feldern allerdings so große Schäden an, dass man dort auf den Kaninchennasenbeutler als Osterfigur auswich.
Dass der Hase überhaupt als Symbolfigur für Ostern taugt, hat er seiner außergewöhnlichen Fruchtbarkeit zu verdanken. „Eine Häsin hat bis zu vier Würfe im Jahr mit jeweils bis zu fünf Junghasen. Die Kleinen sind nach vier Wochen schon selbstständig“, sagt Dr. Andreas Kinser, Leiter Natur und Artenschutz der Deutschen Wildtier Stiftung. Durch diese Fortpflanzungsfreude gibt es derzeit noch immer über zwei Millionen Feldhasen in Deutschland. „Das klingt viel, aber es sind viel weniger Tiere als noch vor 40 oder 50 Jahren“, sagt Kinser. „Die Feldhasenpopulation ist zwar stabil, aber auf niedrigem Niveau.“ Zudem gibt es ein klares West-Ost-Gefälle. In Nordrhein-Westfalen leben laut den Zählungen der Jägerschaft etwa 18 Tiere pro 100 Hektar offener Landschaft, in Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern nur vier bis fünf. „Das hat viel mit der Art der Landwirtschaft zu tun. Sie ist im Westen kleinteiliger. Auf den riesigen Ackerschlägen des Ostens findet der Hase kaum Verstecke vor seinen vielen Feinden „, erklärt Wildbiologe Kinser. Hasen-Hochburgen gibt es in Niedersachsen und Schleswig-Holstein, im Münsterland und in Nordbayern.
Der Feldhasen-Bestand ist ein guter Indikator dafür, wie es um andere Bewohner von Feldern und Wiesen steht. „Denn wenn es dem Hasen nicht gut geht, stehen andere Arten bereits kurz vor dem Aussterben“, sagt Andreas Kinser. Das gilt zum Beispiel für Rebhuhn, Feldhamster und Kiebitz. Sie teilen sich ihren Lebensraum mit dem Feldhasen und ihre Bestände gehen weiterhin massiv zurück. Die Deutsche Wildtier Stiftung fordert seit langem, dass in der Feldflur wieder mehr naturnahe Lebensräume entstehen und die Landwirte dafür honoriert werden. „Wenn sieben Prozent der offenen Landschaft aus unbewirtschafteten Brachen, Blühflächen oder Hecken bestehen würden, könnte die Artenvielfalt wieder zunehmen – das ist wissenschaftlich belegt“, so Kinser. Einen Hoffnungsschimmer dafür bietet das riesige Agrarbudget der Europäischen Union. Es wird zunehmend für die gesellschaftlichen Leistungen der Landwirte wie etwa den Natur- und Artenschutz eingesetzt. Die Regelungen sehen zum Beispiel vor, dass ab dem kommenden Jahr vier Prozent der Ackerfläche in Deutschland brach fallen müssen, wenn die Landwirte ihren Anspruch auf Agrarzahlungen geltend machen wollen. Das wären rosige Zeiten für den Osterhasen. Und vielleicht liegen Ostern 2024 dann ja noch ein paar bunte Eier mehr in den Osternestern.

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