Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

07.03.2023, Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT)
Erwärmung und Überfischung könnten die Rolle von Fischen im marinen Kohlenstoffkreislauf verändern
Fische bilden Karbonate aus Meersalzen und scheiden sie in großen Mengen aus. Diese können absinken und zu Sedimenten werden oder sich auflösen und dazu beitragen, Säuren im Meerwasser zu neutralisieren. Eine neue Studie in Nature Communications gibt Aufschluss darüber, wodurch die Karbonatausscheidung von Fischen gesteuert wird.
Knochenfische werden eher als Nahrungsquelle denn als Regulatoren im Kohlenstoffkreislauf angesehen. Dabei erbringen sie eine Reihe von Leistungen, die für die Eindämmung des Klimawandels wichtig sind. So lagern sie beispielsweise während ihres Wachstums Kohlenstoff in ihren Körpern ein und tragen zu seiner langfristigen Speicherung bei, wenn ihre Ausscheidungen und schließlich ihr Kadaver in die Tiefsee absinken. Sie stellen aber auch in ihrem Darm Karbonate aus Meersalzen her und scheiden diese in großen Mengen aus. Daher sind Fische besonders wichtig für den anorganischen Kohlenstoffkreislauf der Ozeane.
Die Fischkarbonate können absinken und zu Sedimenten werden, sie können sich aber auch in der Wassersäule auflösen und tragen dann dazu bei, Säuren im Meerwasser zu neutralisieren. Eine neue Studie in Nature Communications gibt Aufschluss darüber, wodurch die Karbonatausscheidung von Fischen gesteuert wird. Die Ergebnisse leisten einen wichtigen Beitrag, um die biogechemischen und physikalischen Prozesse im Ozean in Zeiten des Klimawandels besser zu verstehen.
Unter der Leitung des Leibniz-Zentrums für Marine Tropenforschung (ZMT) untersuchte ein Team von Wissenschaftler:innen eine Vielzahl von Fischarten, um festzustellen, wie bestimmte Fischmerkmale und Umweltveränderungen die Menge und Zusammensetzung der ausgeschiedenen Karbonate steuern. Das Team entnahm Karbonate von Korallenriff-Fischen aus Palau, Australien und den Bahamas, während sie in Aquarien unter den natürlichen Bedingungen ihres Heimatriffs gehalten wurden. Die Forschenden erstellten anschließend eine umfangreiche Datenbank mit den Karbonatausscheidungsraten von mehr als 380 Fischen aus 85 Arten, darunter Riffbarsche, Doktorfische, Papageienfische, Lippfische, Schnapper und Zackenbarsche.
Warum scheiden Knochenfische Karbonate aus?
Meeresfische leben in einer salzhaltigen Umgebung, die einen höheren osmotischen Druck aufweist als ihr Blut. Dadurch wird ihrem Körper Wasser entzogen. „Um dieses zu ersetzen, trinken die Fische Meerwasser, müssen aber die großen Mengen an Kalzium und Magnesium, die darin enthalten sind, wieder loswerden“, erklärt Mattia Ghilardi, Meeresbiologe am ZMT und Erstautor der Studie. „Diese werden im Darm in Form von Karbonatkristallen ausgefällt und mit dem Kot ins Meer abgegeben.“ Experten schätzen, dass der Fischkot weltweit für bis zu 15 % der Karbonatproduktion in den Oberflächengewässern verantwortlich ist.
Im Gegensatz zu Korallen und anderen Karbonatproduzenten erzeugen Fische ein breites Spektrum an Karbonatformen, die sich je nach ihrer Zusammensetzung auflösen oder absinken und Sedimente bilden. Die globale Erwärmung und die Überfischung können die Menge der von Fischen produzierten Karbonate verändern und bestimmen letztlich, welche Karbonatform am meisten ausgeschieden wird. Dadurch ändert sich die Rolle der Fische im anorganischen Kohlenstoffkreislauf des Ozeans erheblich.
Das Wissenschaftlerteam konnte den Zusammenhang zwischen dem Stoffwechsel der Fische und ihren Karbonatausscheidungen darstellen. Hohe Temperaturen zum Beispiel steigern den Stoffwechsel und die Karbonatausscheidung. Fische mit gegabelten oder lanzenförmigen Schwänzen sind aktiver und scheiden daher mehr Karbonate aus als Fische mit runden Schwänzen. Interessanterweise spielt auch die Länge des Darms eine Rolle: Wie die Temperatur beeinflusst sie die Menge und die mineralogische Zusammensetzung der ausgeschiedenen Kristalle.
Veränderungen in der Meereschemie möglich
Einflüsse wie die Klimaerwärmung und die Überfischung bestimmter Fischarten können den Beitrag der Fischkarbonate zum anorganischen Kohlenstoffkreislauf des Meeres erheblich verändern. So könnte beispielsweise der Fischereidruck auf Fische, die in der Nahrungskette weit oben stehen, zu einem starken Rückgang der Karbonatausscheidungen führen. Klimabedingte Veränderungen der Fischgröße können diesen Effekt noch verstärken. Wärmere Temperaturen begünstigen die Produktion von leicht löslichen Fischkarbonaten, die weniger Sediment bilden. All diese Faktoren beeinflussen die Meereschemie und möglicherweise auch die Fähigkeit des Ozeans, das Treibhausgas CO2 aus der Atmosphäre aufzunehmen.
Die neuen Erkenntnisse ermöglichen es der Forschung, die Menge und Zusammensetzung der Karbonate, die von den Fischgemeinschaften in verschiedenen Meeresregionen und weltweit produziert werden, zuverlässiger zu berechnen. „Mit unserer Studie ebnen wir den Weg für genauere Vorhersagen über die Rolle der Fische im marinen Kohlenstoffkreislauf unter veränderten Bedingungen wie Klimaerwärmung und Überfischung“, sagt Sonia Bejarano, Koautorin und Riffökologin am ZMT. „Solche Vorhersagen sind sehr wichtig für Management- und Entscheidungsprozesse, die darauf ausgerichtet sind, die Ökosystemfunktionen zu erhalten.“
Originalpublikation:
Ghilardi M, Salter MA, Parravicini V, Ferse SCA, Rixen T, Wild C, Birkicht M, Perry CT, Berry A, Wilson RW, Mouillot D, Bejarano S (2023) Temperature, species identity and morphological traits predict carbonate excretion and mineralogy in tropical reef fishes. Nat Commun 14, 985 (2023). https://doi.org/10.1038/s41467-023-36617-7

07.03.2023, Veterinärmedizinische Universität Wien
Buntbarsche: Sesshaftigkeit zahlt sich aus
Neolamprologus pulcher (N. pulcher) ist eine Buntbarschart, die in Ostafrika an Felsküsten vorkommt. Sie zählen zu den hochsozialen Fischen, von denen es weltweit nur eine Handvoll gibt. Statt sich zu verbreiten, bleiben sie häufig lieber zuhause. Die Gründe für dieses ungewöhnliche Sozialverhalten erhob nun ein Forschungsteam des Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung der Veterinärmedizinischen Universität Wien – und ergänzt damit ein gängiges wissenschaftliches Erklärungsmodell. Die Langzeitstudie wurde soeben im Top-Journal „Science Advances“ veröffentlicht.
Extremer Druck durch Prädatoren wurde von der Wissenschaft bisher als Hauptgrund für das außergewöhnliche Sozialverhalten von N. pulcher gesehen: Denn ein Fisch, der wegwill, wird wahrscheinlich gefressen werden. Es lohnt sich also zuhause zu bleiben.
Nur besonders starke, gute und fitte Individuen können diese ökologischen Beschränkungen (ecological constraints) überwinden. Schwächere Tiere sind jedoch gezwungen, das Heim zu hüten und haben unter der Knute ihrer Eltern nur sehr wenig Raum zur Selbstverwirklichung – die Chance auf eigenen Nachwuchs ist dadurch äußerst gering.
Erste derartige Langzeitstudie zur Buntbarschart N. pulcher
Zur Bestätigung dieser gängigen Hypothese fehlten aber bisher Messungen des tatsächlichen Reproduktionserfolgs. In der weltweit ersten derartigen Langzeitstudie untersuchte deshalb ein Forschungsteam der Vetmeduni N. pulcher unter natürlichen Bedingungen. Dazu Studien-Erstautor Arne Jungwirth vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung der Vetmeduni: „Wir haben Lebensspanne, Reproduktionserfolg und sozialen Status von knapp 500 markierten Fischen über einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren gemessen.“
Beide Geschlechter profitieren von Sesshaftigkeit
Dabei stellte sich heraus, dass beide Geschlechter davon profitieren, zuhause zu bleiben, da sich die Überlebenswahrscheinlichkeit und der Reproduktionserfolg erhöhen. Das stimmt nicht mit den Vorhersagen der „ecological constraints“ überein, sondern vielmehr mit einer anderen klassischen Theorie – den Vorteilen von Sesshaftigkeit (benefits of philopatry).
„Dass beide Geschlechter gleichermaßen von Sesshaftigkeit profitieren, ist insofern überraschend, als sie sich sowohl in ihrem Dispersionsverhalten – Männchen ziehen mehr herum –, als auch in anderen Aspekten ihrer Lebenslaufstrategien unterscheiden. Weibchen wachsen beispielsweise langsamer und zu geringerer Maximalgröße heran, leben dann aber sehr viel länger“, so Arne Jungwirth.
Vielweiberei mit Folgen: Männchen streiten mehr und müssen deshalb umziehen
Für den Umstand, dass Männchen häufiger umziehen müssen, fanden die Wissenschafter:innen laut Arne Jungwirth die folgende Erklärung: „Die Konkurrenz zwischen Männchen verhindert ihre Sesshaftigkeit häufiger als bei Weibchen – männliche Buntbarsche zanken mehr, weil es für sie weniger Territorien gibt: Auf zwei brütende Weibchen kommt nur etwa ein brütendes Männchen, denn die Spezies praktiziert Vielweiberei (Polygynie).“
Der Artikel „Philopatry yields higher fitness than dispersal in a cooperative breeder with sex-specific life history trajectories“ von Arne Jungwirth, Markus Zöttl, Danielle Bonfils, Dario Josi, Joachim G. Frommen und Michael Taborsky wurde in „Science Advances“ veröffentlicht.
https://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.add2146

07.03.2023, BUND
Wildkatzenwälder von morgen – Bundesumweltministerin Steffi Lemke überreicht Förderbescheid für Artenschutzprojekt im Bundesprogramm Biologische Vielfalt
Die Europäische Wildkatze gilt trotz erheblicher Schutzbemühungen als „gefährdet“ und ist in Deutschland immer noch selten. Denn der kleine Tiger Deutschlands reagiert sehr sensibel auf die Zerschneidung und Beeinträchtigung seines Lebensraumes in strukturreichen Laub- und Laubmischwäldern. In einem neuen Projekt schafft der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND) jetzt in zehn Bundesländern „Wildkatzenwälder von morgen“ und erhält dazu heute den Förderbescheid von Bundesumweltministerin Steffi Lemke. Das Bundesumweltministerium (BMUV) fördert das Projekt im Bundesprogramm Biologische Vielfalt mit rund 6,9 Millionen Euro, das Bundesamt für Naturschutz (BfN) begleitet das Projekt fachlich.
Bundesumweltministerin Steffi Lemke: „Gesunde Wälder sind artenreiche Lebensräume und natürliche Klimaschützer – sie zu erhalten und zu entwickeln ist angesichts der akuten Doppelkrise von Artenaussterben und Klimakrise wichtiger denn je. Ich freue mich, dass im Projekt „Wildkatzenwälder von morgen“ ganz unterschiedliche Akteur*innen bundesweit zusammenarbeiten, um klimarobustere Wälder von morgen entstehen zu lassen.“
BfN-Präsidentin Sabine Riewenherm: „Mit dem Projekt wird die Wildkatze geschützt und Wälder werden aufgewertet. Das ist ein großer Gewinn für die biologische Vielfalt. Es hat eine ganz besondere Wirkung, wenn in zehn Bundesländern zugleich Naturschutzmaßnahmen umgesetzt werden, an denen sich viele engagierte Freiwillige beteiligen. Das Projekt schafft Bewusstsein für den Wert naturnaher Wälder und zeigt Handlungsoptionen für eine klimaresiliente Waldbewirtschaftung auf.“
Verena Graichen, stellvertretende BUND-Vorsitzende: „Die vielfältigen Lebensräume der Europäischen Wildkatze sind Refugien der Artenvielfalt. Wo es der Katze gefällt, fühlen sich auch andere bedrohte Tiere wie Bechsteinfledermaus, Feuersalamander und Mittelspecht wohl. Zusammen mit Partner*innen vor Ort werten wir daher Wälder, Waldränder, Lichtungen und Wiesen am Wald auf.“
Projekt-Steckbrief: https://www.bfn.de/projektsteckbriefe/wildkatzenwaelder-von-morgen
Weitere Informationen zum Bundesprogramm Biologische Vielfalt: https://www.bfn.de/thema/bundesprogramm-biologische-vielfalt

09.03.2023, Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie
Leben im Rauch der Unterwasservulkane
Die arktische Tiefsee liegt fernab der lebensspendenden Energie der Sonne, und nur winzige Mengen an organischem Material, welches Leben speist, kommen dort an. Einige Bakterien nutzen stattdessen die Energie, die von unterseeischen Vulkanen freigesetzt wird. Auf Expeditionen mit dem Forschungsschiff Polarstern haben Forschende aus Deutschland nun Bakterien entdeckt, die auf einzigartige Weise an diese Geoenergie angepasst sind. Sie beschreiben die Rolle dieser Bakterien für die biogeochemischen Kreisläufe im Meer.
Tief im Ozean, an den Grenzen tektonischer Platten, bilden Unterwasservulkane sogenannte hydrothermale Quellen. An diesen Quellen tritt heiße, sauerstofffreie Flüssigkeit aus, die große Mengen an Metallen wie Eisen, Mangan oder Kupfer enthält. Wenn sich das heiße Wasser mit dem umgebenden kalten und sauerstoffhaltigen Seewasser mischt, entstehen hydrothermale Schwaden mit rauchähnlichen Partikeln aus Metallsulfid. Diese Schwaden steigen Hunderte von Metern über dem Meeresboden auf und verteilen sich Tausende von Kilometern. Hydrothermale Schwaden scheinen ein riskanter Ort zu sein, um dort heimisch zu werden. Das hindert bestimmte Bakterien aber nicht daran, genau dort zu wachsen und zu gedeihen, wie eine jetzt in Nature Microbiology veröffentlichte Studie zeigt.
Mehr als nur vorübergehende Besucher?
„Wir haben die Bakterien der Gattung Sulfurimonas genau unter die Lupe genommen,” sagt Erstautor Massimiliano Molari vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen. Von diesen Bakterien war bisher nur bekannt, dass sie in sauerstoffarmen Lebensräumen wachsen. Gensequenzen von ihnen wurden vereinzelt aber auch in hydrothermalen Schwaden nachgewiesen. „Man ging davon aus, dass sie aus den Lebensräumen rund um die heißen Quellen am Meeresboden dorthin gespült wurden. Wir fragten uns aber, ob nicht die Schwaden selbst ein geeigneter Wohnort für manche Mitglieder der Sulfurimonas-Gruppe sein könnten.“
Harte Bedingungen für die Probenahme
Gemeinsam mit Kollegen des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven und des MARUM Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen machte sich Molari daher auf eine schwierige Forschungsreise zu hydrothermalen Quellen in der zentralen Arktis und im Südatlantik, um ihre Hypothese zu überprüfen. „Wir sammelten unsere Proben in extrem abgelegenen Regionen von besonders langsamen Spreizungsrücken, die noch nie untersucht worden waren. Es ist sehr kompliziert, Proben aus hydrothermalen Ablagerungen zu gewinnen, da sie schwer zu lokalisieren sind. Noch schwieriger wird es, wenn sich die Schwaden in Tiefen von mehr als 2500 Metern und unter dem arktischen Meereis oder in den stürmischen Zonen des Südpolarmeeres befinden,“ erklärt Antje Boetius, Gruppenleiterin am Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie und Direktorin des AWI, die die Arktis-Missionen leitete. An Bord des Forschungsschiffs Polarstern gelang es den Forschenden dennoch, Proben zu sammeln und anhand dieser die Zusammensetzung und den Stoffwechsel der Bakterien zu untersuchen.
Gut ausgerüstet und weit verbreitet
Molari and seine Kolleginnen und Kollegen identifizierten eine neue Sulfurimonas-Art namens USulfurimonas pluma (das hochgestellte „U“ steht für unkultiviert, also nicht im Labor kultiviert), die in den kalten, sauerstoffgesättigten Hydrothermalfahnen lebt. Dieses Bakterium nutzt Wasserstoff aus der Schwade als Energiequelle. Die Forschenden untersuchten auch das Genom der Mikroorganismen und stellten fest, dass es stark reduziert ist. Es fehlen Gene, die für andere Arten typisch sind. Mit anderen Genen sind sie aber gut ausgestattet, um in dieser dynamischen Umgebung wachsen zu können.
„Wir vermuten, dass die Hydrothermalschwade nicht nur Mikroorganismen aus hydrothermalen Schloten verbreitet, sondern auch eine ökologische Verbindung zwischen dem offenen Ozean und den Lebensräumen auf dem Meeresboden herstellen kann. Unsere phylogenetische Analyse deutet darauf hin, dass USulfurimonas pluma von einem Vorfahren abstammen könnte, der mit hydrothermalen Schloten assoziiert war, aber eine höhere Sauerstofftoleranz entwickelte und sich dann über die Ozeane verbreitete. Dies muss jedoch noch weiter untersucht werden,“ so Molari.
Ein Blick auf die Genomdaten aus anderen Schwaden zeigte, dass USulfurimonas pluma in solchen Lebensräumen überall auf der Welt wächst. „Offensichtlich haben sie eine ökologische Nische in kalten, sauerstoffgesättigten und wasserstoffreichen Hydrothermalschwaden gefunden“, sagt Molari. „Wir müssen wohl unsere Vorstellungen über die ökologische Rolle von Sulfurimonas in der Tiefsee überdenken. Sie könnte viel wichtiger sein, als wir bisher dachten.“
Originalpublikation:
Massimiliano Molari, Christiane Hassenrueck, Rafael Laso-Pérez, Gunter Wegener, Pierre Offre, Stefano Scilipoti, and Antje Boetius (2023): A hydrogenotrophic Sulfurimonas is globally abundant in deep-sea oxygen-saturated hydrothermal plumes. Nature Microbiology, March 2023.
DOI: https://doi.org/10.1038/s41564-023-01342-w

09.03.2023, Universität Innsbruck
Sterblich unter Unsterblichen: Forscher*innen entschlüsseln das Genom von Hydra oligactis
Eine Hydra aus dem Piburger See in Tirol könnte neue Erkenntnisse über diese außergewöhnlichen Tiere liefern. Die Erbinformation des Süßwasserpolypen der Art Hydra oligactis wurde am Institut für Zoologie der Universität Innsbruck zum ersten Mal vollständig entschlüsselt. Diese Leistung der Arbeitsgruppen von Bert Hobmayer und Peter Ladurner ist deswegen so interessant, weil Hydra oligactis sich in einer Eigenschaft grundlegend von anderen Hydrenarten unterscheidet: Sie kann sterben.
Die Hydra ist auf den ersten Blick ein unscheinbares Tier. Am Ende eines länglichen, nur wenige Millimeter langen Körpers sitzen mehrere Tentakel. Was sie für die Forschung so interessant macht, ist, dass sie als praktisch unsterblich und frei von Tumorbildung gilt. Hydren erneuern permanent ihr Gewebe, können Körperteile nachwachsen lassen oder aus einzelnen Zellen einen ganzen Organismus neu ausbilden.
Stressbedingte Alterung liefert Antworten
Die Arbeitsgruppe von Bert Hobmayer forscht am Institut für Zoologie der Universität Innsbruck schon lange an diesen Lebewesen, unter anderem wurden zuletzt die Entstehung ihrer Körperachse und der Differenzierungsweg ihrer Stammzellen beschrieben. Nun konnte das Innsbrucker Team die gesamte Erbinformation von Hydra oligactis mithilfe der neuesten DNA-Sequenzierungstechnologie, dem Oxford Nanopore Sequencing, bestimmen und analysieren. Dies war die letzte Hydrenart, deren Genom bisher noch nicht vollständig bekannt war. Die Ergebnisse sind deswegen so interessant, weil Hydra oligactis, im Gegensatz zu allen anderen Hydrenarten, Tumore ausbilden und sterben kann.
„Die Hydra, die wir untersucht haben, stammt aus dem Piburger See in Tirol“, erzählt Bert Hobmayer. „Für unsere Analyse haben wir ein Exemplar ausgewählt, das besonders starke Anzeichen von stressbedingter Alterung gezeigt hat. Dieses Tier wurde im Labor klonal vervielfältigt. Nun, da wir das Genom von Hydra oligactis genau kennen, können wir viel präziser untersuchen, welchen Beitrag einzelne Gene zum stress-induzierten zellulären Altern in diesen Tieren leisten. Diese molekularen Prozesse können wir dann vergleichend in anderen Arten untersuchen, deren Zellen nicht altern und die nicht sterben.“
Genetische Mechanismen entschlüsselt
Die Arbeit der Innsbrucker Forscher*innen war Teil eines internationalen Projektes unter der Leitung von Celina Juliano an der University of California in Davis, dessen Ergebnisse letzte Woche als Cover-Story im Fachjournal Genome Research veröffentlicht wurden. Ein internationales Team hat darin zum ersten Mal in umfassender Weise die Prinzipien der Genregulation in Hydren untersucht.
Die Stammzellen des Süßwasserpolypen sind bereits eingehend erforscht worden und liefern wertvolle Informationen dazu, wie Gewebezellen sich aus Stammzellen differenzieren. Allerdings war bisher nur wenig über die genetischen Mechanismen bekannt, durch die diese Stammzellen sich erhalten und sich ausdifferenzieren.
Das Forschungsteam hat nun das Wissen um den genetischen Aufbau verschiedener Hydrenarten grundlegend erweitert. Neben Hydra oligactis wurde auch das Genom einer weiteren Hydrenart sequenziert, die Genaktivierung einzelner Zellen untersucht und katalogisiert, sowie das gesamte Epigenom von Hydra analysiert. Mit dem Epigenom sind chemische Markierungen und Modifikationen an der DNA gemeint, die auch umweltbedingt auftreten können. Diese beeinflussen, welche Gene häufiger ausgelesen werden und welche seltener. Damit hat das Epigenom eine große Auswirkung auf die Entwicklung von Zellen und von Krankheiten wie z.B. Krebs. Die gewonnenen Daten bilden eine wichtige Grundlage, um die Stammzellen, die Regeneration und das Altern der Hydren weiter zu erforschen
Originalpublikation:
Cazet JF, Siebert S, Little HM, Bertemes P, Primack AS, Ladurner P, Achrainer M, Fredriksen MT, Moreland RT, Singh S, Zhang S, Wolfsberg TG, Schnitzler CE, Baxevanis AD, Simakov O, Hobmayer B, Juliano CE. A chromosome-scale epigenetic map of the Hydra genome reveals conserved regulators of cell state.Genome Res. 2023 Feb;33(2):283-298. doi: 10.1101/gr.277040.122.

09.03.2023, Veterinärmedizinische Universität Wien
Artenschutz: Neue Erkenntnisse zur Trächtigkeit von Nashörnern
Nashorn ist nicht gleich Nashorn – das belegt eine soeben erschienene Studie der Veterinärmedizinischen Universität Wien sehr anschaulich: Einzelne Nashornarten unterscheiden sich beträchtlich hinsichtlich Tragezeit und Hormonverlauf während der Trächtigkeit. Die neuen Erkenntnisse sind für das Überleben der vom Aussterben bedrohten Nashornarten von großer Bedeutung.
Eine umfassende, über den sehr langen Zeitraum von drei Jahrzehnten reichende Studie der Veterinärmedizinischen Universität Wien (in Kooperation mit dem Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin/Deutschland) untersuchte die Reproduktion und Trächtigkeit bei drei in europäischen Zoos gehaltenen Nashornarten (Spitzmaulnashörner – Diceros bicornis, Breitmaulnashörner – Ceratotherium simum und Panzernashörner – Rhinoceros unicornis).
Im Rahmen der Trächtigkeitssdiagnostik erhob das Forschungsteam über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg Hormonprofile von in mehr als 35 europäischen zoologischen Gärten gehaltenen Nashörnern. Die Ergebnisse wurden nun ausgewertet, zusammenfassend dargestellt und soeben im angesehenen wissenschaftlichen Journal „General and Comparative Endocrinology“ publiziert.
Wichtige Einblicke in Trächtigkeit und Trächtigkeitsdauer
In einer zusammenfassenden Auswertung war es möglich, wesentliche neue Erkenntnisse über den Hormonverlauf während der Trächtigkeit und über die Trächtigkeitsdauer bei den drei untersuchten Nashornarten zu gewinnen. Dazu Studien-Erstautor Franz Schwarzenberger vom Institut für Physiologie und Pathophysiologie der Vetmeduni: „Beim Zeitpunkt des Beginns der Gestagenproduktion durch die Plazenta fanden sich ebenso ausgeprägte individuelle Unterschiede wie in der mittleren Trächtigkeitsdauer. Die Mittelwerte der Trächtigkeitsdauer betragen beim Spitzmaul-, Panzer- und Breitmaulnashorn 460, 480 und 504 Tage; die Variationsbreite innerhalb der Nashornarten beträgt ca. sieben Wochen.“
Die Jahreszeiten haben großen Einfluss auf die Trächtigkeitsdauer. Diese wird durch die Tageslichtlänge zum Zeitpunkt der Geburt signifikant beeinflusst, wie Schwarzenberger anhand der Daten ermittelte: „Die Trächtigkeit ist etwa eine Woche kürzer, wenn die Geburt im Sommer und nicht im Winter stattfindet.“
Forschung und Zuchtprogramme wesentlich für das Überleben des Nashorns
Die Familie des Rhinoceros (Rhinocerotidae) umfasst heute noch fünf Arten. Diese sind in Afrika und Südostasien (Indonesien) beheimatet. Alle Nashornarten werden von Wilderern bejagt und sind laut der Roten Liste der IUCN (International Union for Conservation of Nature) entweder vom Aussterben bedroht, gefährdet oder nahezu bedroht. Der Schutz von wildlebenden Populationen und die Zucht in Gefangenschaft sind wesentliche Maßnahmen, um die Erhaltung der Nashornarten zu sichern.
Darüber hinaus sind Populationen in Gefangenschaft entscheidend für die Untersuchung ihrer Fortpflanzungsphysiologie und Endokrinologie, also ihres Hormonsystems. Die Umsetzung neuer physiologischer Erkenntnisse in international abgestimmten Zuchtprogrammen hat bereits maßgeblich dazu beigetragen, dass die Anzahl sich fortpflanzender Nashörner in Zoos während der letzten Jahrzehnte deutlich gestiegen ist.
Originalpublikation:
Der Artikel „Comparative analysis of gestation in three rhinoceros species (Diceros bicornis; Ceratotherium simum; Rhinoceros unicornis)“ von Franz Schwarzenberger und Robert Hermes wurde in General and Comparative Endocrinology veröffentlicht.
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0016648023000199?via%3Dihub

09.03.2023, Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig
Zwerge und Riesen auf Inseln sterben besonders leicht aus
Inseln sind Lebensraum für viele Tierarten mit einzigartigen Eigenschaften, darunter sogenannte Zwerge, die im Vergleich zu ihren Verwandten auf dem Festland eine sehr geringe Größe erreichen, sowie Riesen, die wiederum vergleichsweise groß werden. Forschende fanden nun heraus, dass Arten, deren Körpergröße sich besonders stark von der ihrer Festlandsverwandten unterscheidet, mit größerer Wahrscheinlichkeit aussterben. Ihre Studie, die im Fachmagazin Science veröffentlicht wurde, zeigt außerdem, dass die Aussterberate von Säugetieren auf Inseln weltweit durch die Ankunft des Menschen deutlich angestiegen ist.
Inseln sind Hotspots der Biodiversität. Sie machen zwar weniger als 7 Prozent der Landmasse auf der Erde aus, beherbergen jedoch bis zu 20 Prozent der an Land lebendenden Arten. Doch sie sind auch Hotspots des Artensterbens. Die Hälfte der heute auf der Roten Liste eingetragenen bedrohten Arten sind auf Inseln heimisch.
Als Reaktion auf die einzigartigen Lebensbedingungen auf Inseln durchlaufen viele Lebewesen bemerkenswerte evolutionäre Veränderungen, wobei eine der auffälligsten und extremsten die Körpergröße betrifft. Dieses Phänomen wird als Zwergwuchs oder Gigantismus bezeichnet. Im Allgemeinen fallen Arten, die auf dem Festland große Körpergrößen entwickelt haben, auf Inseln eher kleiner aus und anders herum. Dazu gehören bereits ausgestorbene Arten wie das Zwergmammut oder Flusspferde, die gerade einmal ein Zehntel der Größe ihrer Festlandsvorfahren erreichten. Ebenso gab es Nagetiere, die über Hundertmal größer wurden.
Unter den heute noch lebenden Vertretern finden sich viele vom Aussterben bedrohte Arten wie der Tamarau (Bubalus mindorensis), ein auf der Insel Mindoro heimischer Zwergbüffel mit einer Schulterhöhe von gerade einmal einem Meter, sowie die riesige Jamaika-Ferkelratte (Geocapromys brownie), die die Größe eines Kaninchens erreicht.
Ein Forschungsteam unter Leitung des Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) konnte nun bestätigen, dass die Entwicklung hin zum Zwergwuchs oder Gigantismus oftmals einhergeht mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für das Aussterben. „Die sogenannten Riesen versprechen zum einen als Beutetiere von Jägern potentiell einen größeren Ertrag“, erklärt Erstautor Dr. Roberto Rozzi, ehemals Wissenschaftler bei iDiv’s Synthesezentrum sDiv und am Museum für Naturkunde in Berlin, heute als Kustode für die Geowissenschaftliche Sammlung am Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlungen der MLU tätig. „Zwergarten sind auf der anderen Seite weniger abschreckend und daher attraktiv auch für neu eingeführte Räuber.“
Höheres Aussterberisiko für extreme Zwerge und Riesen
Um zu belegen, wie sich Zwergwuchs oder Gigantismus auf das Risiko auszusterben auswirken (sowohl vor als auch nach der Ankunft des Menschen), griffen die Forschenden auf Daten von 1,200 noch lebenden und 350 bereits ausgestorbenen Säugetierarten von insgesamt 182 Inseln und ehemaligen Inseln (die einst abgeschnitten waren, heute aber zum Festland gehören) auf der ganzen Welt zu.
So kamen sie zu einem ganz neuen Ergebnis: Arten, deren Körpergröße sich besonders extrem von der ihrer Festlandsverwandten unterscheidet, sind auf Inseln mit höherer Wahrscheinlichkeit vom Aussterben bedroht oder bereits ausgestorben. Ein Vergleich zwischen den beiden Extremen – Zwerg oder Riese – zeigte ein etwas höheres Aussterberisiko für Riesenarten auf Inseln. Wurden bereits ausgestorbene Arten jedoch nicht berücksichtigt, war kein Unterschied zu den Zwergarten mehr erkennbar.
Seit der europäischen Expansion auf der ganzen Welt im 15. und 16. Jahrhundert sind Zwerg- und Riesensäugetiere gleichermaßen vom Aussterben betroffen. „Darin zeigen sich vermutlich die Auswirkungen zunehmender vielseitiger menschlicher Einflüsse, wie etwa Übernutzung und der Verlust von Lebensraum, aber auch die Verbreitung neuartiger Krankheiten und invasiver Raubtiere“, sagt Rozzi.
Die Ausbreitung des Menschen deckt sich mit höheren Aussterberaten von Säugetieren
Die Forschenden untersuchten auch fossile Belege zu Säugetieren auf Inseln der letzten 23 Millionen Jahre (Erdneuzeit) und fanden dabei eine klare Korrelation zwischen dem Aussterben von Säugetierarten auf Inseln und der Ausbreitung des modernen Menschen (Homo sapiens). „Wir konnten eine starke Veränderung der Aussterberaten von der Zeit vor dem Menschen bis zu durch den Menschen dominierten Ökosystemen verzeichnen. Bei Säugetieren, die zur gleichen Zeit wie H. sapiens auf Inseln lebten, waren die Aussterberaten mehr als zehnfach erhöht. Diese Ergebnisse auf globaler Ebene schließen aber nicht den Einfluss anderer Umweltfaktoren wie etwa des Klimawandels auf das Aussterben auf Inseln lebender Säugetiere aus“, sagt Letztautor Prof. Jonathan Chase von iDiv und der MLU. „Daher ist es wichtig, noch mehr paläontologische Daten zu sammeln und mehr über das Aussterben vergangener Arten zu erfahren. Gleichzeitig muss aber auch ein besonderes Augenmerk auf dem Schutz der extremsten Zwerge und Riesen liegen, von denen viele bereits vom Aussterben bedroht sind.“
Diese Forschung wurde unter anderem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG; FZT-118) gefördert.
Originalpublikation:
Roberto Rozzi, Mark V. Lomolino, Alexandra A. E. van der Geer, Daniele Silvestro, S. Kathleen Lyons, Pere Bover, Josep A. Alcover, Ana Benítez-López, Cheng-Hsiu Tsai, Masaki Fujita, Mugino O. Kubo, Janine Ochoa, Matthew E. Scarborough, Samuel T. Turvey, Alexander Zizka, Jonathan M. Chase (2023). Dwarfism and gigantism drive human-mediated extinctions on islands. Science. Doi: 10.1126/science.add8606

10.03.2023, Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie
Steinwerkzeuge von Affen und frühen Menschen überraschend ähnlich
Forschende des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie (MPI-EVA) haben in Thailand von Altweltaffen geschaffene Artefakte entdeckt, die Steinwerkzeugen früher Vertreter der Gattung Homo ähneln. Bisher ging die Fachwelt davon aus, dass unsere frühen Vorfahren diese scharfkantigen Steinwerkzeuge absichtlich gefertigt haben und diese den Beginn der Steinwerkzeugproduktion – einem Alleinstellungsmerkmal während der Evolution der Homininen – einläuten. Eine neue Studie stellt nun bisherige Erkenntnisse über die Ursprünge der bewussten Werkzeugherstellung in unserer eigenen Abstammungslinie in Frage.
Die Studie basiert auf neuen Analysen von Steinwerkzeugen, die von Javaneraffen im Phang-Nga-Nationalpark in Thailand verwendet werden. Diese Affen benutzen Steinwerkzeuge, um hartschalige Nüsse zu knacken. Dabei zerbrechen sie häufig ihre Hammersteine und Ambosse. Die daraus resultierende Ansammlung an zerbrochenen Steinen ist beträchtlich und im weiten Umkreis zu finden. Darüber hinaus weisen viele dieser Artefakte Merkmale auf, die üblicherweise zur Identifizierung absichtlich hergestellter Steinwerkzeuge aus einigen der frühesten archäologischen Ausgrabungsstätten in Ostafrika herangezogen werden.
„Die Fähigkeit, absichtlich scharfkantige Steinsplitter herzustellen, wird als ein Schlüsselmoment in der Evolution der Menschen angesehen. Antworten auf die Fragen, wie und wann dies geschah, werden üblicherweise durch die Untersuchung von Artefakten und Fossilien aus der Vergangenheit gesucht. Unsere Studie zeigt nun, dass nicht nur Menschen und unsere Vorfahren Steinwerkzeuge hergestellt haben“, sagt Erstautor Tomos Proffitt vom MPI-EVA. „Dass Makaken Steinwerkzeuge verwenden, um Nüsse zu bearbeiten, überrascht nicht, da sie auch Werkzeuge verwenden, um sich Zugang zu verschiedenen Schalentieren zu verschaffen. Interessant ist aber, dass sie dabei quasi versehentlich umfangreiche eigene archäologische Befunde hinterlassen, die sich teils nicht von menschlichen Artefakten unterscheiden lassen.”
Neue Erkenntnisse zur Evolution der Steinwerkzeugtechnologie
Durch den Vergleich der von den Makaken ohne Intention hergestellten Steinfragmente mit denen aus einigen der frühesten archäologischen Stätten der Gattung Homo konnten die Forschenden zeigen, dass viele der von Affen hergestellten Artefakte in einen Referenzbereich fallen, der mit von frühen Homininen hergestellten Steinwerkzeugen in Verbindung gebracht wird. Co-Autor Jonathan Reeves betont: „Dass diese Artefakte durch das Knacken von Nüssen hergestellt werden, könnte möglicherweise das Spektrum der Verhaltensweisen erweitern, mit denen scharfkantige Steinsplitter aus archäologischen Aufzeichnungen zukünftig assoziiert werden.”
Die neu entdeckten Makaken-Steinwerkzeuge geben neue Einblicke, wie der Gebrauch dieser Technologie bei unseren frühresten Vorfahren begonnen haben könnte. Möglicherweise lag ihrer Entstehung ein ähnliches Verhalten, wie das Knacken von Nüssen, zugrunde. Dieses Verhalten könnte wesentlich älter sein als die derzeitig frühesten archäologischen Aufzeichnungen vermuten lassen. „Das Knacken von Nüssen mit Steinhämmern und Ambossen, ähnlich wie einige Primaten es heute noch praktizieren, wird von einigen Fachleuten als ein möglicher Vorläufer der intentionellen Herstellung von Steinwerkzeugen in Betracht gezogen. Diese und frühere Veröffentlichungen unserer Forschungsgruppe öffnen die Tür, um eine solche archäologische Signatur zukünftig identifizieren zu können“, sagt Hauptautorin Lydia Luncz, Leiterin der Forschungsgruppe Technologische Primaten am MPI-EVA. „Diese Entdeckung zeigt, wie lebende Primaten Forschenden helfen können, den Ursprung und die Entwicklung der Werkzeugnutzung in unserer eigenen Abstammungslinie zu untersuchen.”
Originalpublikation:
Tomos Proffitt, Jonathan S. Reeves, David R. Braun, Suchinda Malaivijitnond, Lydia V. Luncz
Wild macaques challenge the origin of intentional tool production
Science Advances, 10 March 2023, https://doi.org/10.1126/sciadv.ade8159

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