Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

13.02.2023, Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung
Schutz von Fledermäusen an Windenergieanlagen
Forschende und Gutachter:innen unter Beteiligung des Berliner Naturkundemuseums veröffentlichten in der Zeitschrift „Mammal Review“ eine Studie zum Schutz von Fledermäusen an Windenergieanlagen (WEA). Die Autor:innen argumentieren vor dem Hintergrund eines umfangreichen Datensatzes, dass akustische Aufnahmen die Zahl der an WEA zu Tode kommenden Fledermäusen gut vorhersagen können. Daraus lässt sich der Umfang der für den Schutz der Fledermäuse notwendigen Anpassungen des Anlagenbetriebs ableiten. Voraussetzung für eine verlässliche Bestimmung des Kollisionsrisikos ist jedoch eine standardisierte Erfassung, deren Ergebnisse mit anderen Datensätzen verglichen und referenziert werden können.
Alle Fledermausarten sind in Deutschland gesetzlich streng geschützt. Um Fledermäuse vor Kollisionen mit Windenergieanlagen (WEA) zu bewahren, werden bei neueren WEA die Rotoren zu Zeiten hoher Aktivität der Tiere abgeschaltet. „Wir wissen aus langjähriger Forschung, dass Fledermäuse besonders bei niedrigen Windgeschwindigkeiten und somit dann, wenn die Anlagen keinen oder wenig Strom produzieren, im Rotorbereich aktiv sind. Diese Erkenntnis zusammen mit der an einem Standort erfassten Fledermausaktivität wird dafür verwendet, WEA auf einen fledermausangepassten Betrieb zu programmieren“, erläutert Dr. Oliver Behr, der Erstautor, Fledermausexperte und Gutachter bei der OekoFor GbR (https://oekofor.netlify.app/de/), der die in Deutschland weitläufig eingesetzten Betriebsvorgaben zum Schutz von Fledermäusen federführend mitentwickelt hat.
Die Echoortungsrufe von im Rotorraum fliegenden Fledermäusen werden von automatisierten Ultraschalldetektoren aufgezeichnet, die im Maschinengehäuse hinter dem Rotor installiert werden. Auf welche Entfernung eine Fledermaus von den Geräten detektiert werden kann, hängt unter anderem von der Fledermausart und von der Auslöseschwelle des eingesetzten Ultraschallmikrons ab. So können laut und tief rufende Fledermausarten, wie z.B. der Große Abendsegler auf größere Entfernungen erfasst werden als leiser und höher rufende Arten wie die Rauhautfledermaus. Die Reichweite der Ultraschalldetektoren erhöht sich allerdings beträchtlich, wenn Geräte mit einer niedrigeren Auslöseschwelle eingesetzt werden.
Für ökologische Erhebungen müssen Tierpopulationen nicht vollständig erfasst werden, sondern werden in der Regel nur stichprobenartig beprobt. Das akustische Monitoring von Fledermäusen im Rotorbereich stellt im Vergleich zu anderen Umweltverträglichkeitsprüfungen eine besonders umfangreiche Erfassung dar, da normalerweise der gesamte Aktivitätszeitraum abgedeckt wird. Das ist ein großer Vorteil, da das Auftreten von Fledermäusen von kurzen und schwer vorhersehbaren Aktivitätsspitzen gekennzeichnet ist.
„Viel wichtiger als die Empfindlichkeit und Reichweite von Detektoren ist allerdings ein standardisiertes und referenziertes Protokoll für die Datenaufnahme und -analyse.“ erklärt Dr. Martina Nagy vom Museum für Naturkunde Berlin. Wird z.B. ein Protokoll verwendet, das spezifisch für die Verhältnisse in Mitteleuropa entwickelt wurde, so kann die gemessene akustische Aktivität in die zu erwartende Zahl toter Fledermäuse umgerechnet werden. Im nächsten Schritt werden die WEA mit Hilfe spezifischer Betriebsalgorithmen zu Zeiten vorhergesagter hoher Aktivität von Fledermäusen abgeschaltet. Die geschilderte Methode wird in Deutschland weitläufig eingesetzt und ist für die breite und einfache Nutzung durch Betreiber:innen, Gutachter:innen und Behörden in der frei verfügbaren Software ProBat (https://www.probat.org/) integriert.
Die Autor:innen sind überzeugt davon, dass hierdurch ein entscheidender Beitrag für den Ausbau erneuerbarer Energien bei gleichzeitig begrenztem Tötungsrisiko für Fledermäuse möglich ist.
Publikation: Oliver Behr, Kévin Barré, Fabio Bontadina, Robert Brinkmann, Markus Dietz, Thierry Disca, Jérémy S. P. Froidevaux, Simon Ghanem, Senta Huemer, Johanna Hurst, Stefan K. Kaminsky, Volker Kelm, Fränzi Korner-Nievergelt, Mirco Lauper, Paul Lintott, Christian Newman; Trevor Peterson, Jasmin Proksch, Charlotte Roemer, Wigbert Schorcht, Martina Nagy, 2023. Standardised and referenced acoustic monitoring reliably estimates bat fatalities at wind turbines: comments on ‘Limitations of acoustic monitoring at wind turbines to evaluate fatality risk of bats’. Mammal Review, DOI: https://doi.org/10.1111/mam.12310

15.02.2023, Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg
Der Klimawandel gefährdet die Lebensräume von Meeresorganismen
Eine umfangreiche Modellierungsstudie gibt Hinweise darauf, in welchem Maße der Klimawandel Meeresökosysteme und ihre Artenvielfalt bedroht. Demnach könnten sich bis Ende des Jahrhunderts die Lebensräume eines großen Teils mariner Arten nicht nur polwärts verschieben, sondern sich auch deutlich verkleinern. Zudem besteht die Gefahr, dass besonders rund um den Äquator Verbreitungsgebiete fragmentiert werden.
Sollte sich der Klimawandel im derzeitigen Tempo fortsetzen, bedroht dies die Lebensräume vieler Meeresorganismen. Darauf weisen die Ergebnisse einer Modellierungsstudie eines internationalen Forschungsteams hin. Demnach könnte rund die Hälfte der Meeresorganismen bis zum Ende dieses Jahrhunderts große Teile ihrer derzeitigen Verbreitungsgebiete verlieren.
An der interdisziplinären Studie waren neben Forschenden des Helmholtz-Instituts für Funktionelle Marine Biodiversität an der Universität Oldenburg (HIFMB) unter anderem Forschende des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) sowie des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung in Kiel beteiligt. Die Ergebnisse sind in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins Global Change Biology erschienen.
„Die biologische Vielfalt im Meer verändert sich schneller als an Land. Um die Meeresorganismen und damit die Ressourcen, auf die wir Menschen angewiesen sind, schützen zu können, müssen wir verstehen, wie sich die Artengemeinschaften und ihre Lebensräume verändern“, sagt Dr. Irene Roca, Biologin und ehemalige Forscherin am HIFMB, die die Studie gemeinsam mit der HIFMB-Meeresökologin Dr. Dorothee Hodapp geleitet hat.
Fachleute beobachten bereits, dass sich das Verbreitungsgebiet vieler Meeresorganismen als Folge der globalen Erwärmung verschiebt. Zu verstehen und vorherzusagen, wie die biologische Vielfalt im Meer künftig aussehen und wie sich die Größe und Struktur der Lebensräume verändern könnte, sei jedoch eine Herausforderung, betont Hodapp.
„Viele Arten sind nur unzureichend untersucht. Und wir wissen nicht genau, wie die Umweltbedingungen in einigen Jahrzehnten aussehen“, sagt sie. Vorangegangene Studien hätten häufig die Temperatur als einzigen Umweltfaktor berücksichtig, der sich künftig auf die biologische Vielfalt auswirkt.
Um diesen Herausforderungen zumindest teilweise zu begegnen, stützten sich die Forschenden bei ihren Berechnungen auf Daten zum Vorkommen von mehr als 33.500 im Meer lebenden Arten. Zudem flossen sieben Umweltfaktoren, darunter Wassertiefe, Wassertemperatur, Salzgehalt und Sauerstoffkonzentration, in die Modellierung ein. Auf Grundlage dieser Informationen und unter Annahme von drei verschiedenen CO2-Emissionsszenarien schätzte das Team ab, ob und in welchen Meeresregionen die Arten in Zukunft wahrscheinlich vorkommen werden.
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich die sogenannten Hauptverbreitungsgebiete der Arten im Falle unvermindert hoher Kohlendioxidemissionen nicht nur weiter polwärts verlagern werden, sondern sich zusätzlich deutlich verkleinern könnten. Unter Hauptverbreitungsgebieten verstehen die Forschenden die Meeresgebiete, in denen die Wahrscheinlichkeit, dass eine bestimmte Art aufgrund der Umweltbedingungen vorkommt, mehr als 50 Prozent beträgt.
Zudem könnten die Habitate vieler Arten nicht nur kleiner, sondern sogar weiter fragmentiert werden. „Unsere Modellprojektionen zeigen vor allem entlang des Äquators Gebiete, die für viele der derzeit vorkommenden Meeresorganismen nur noch bedingt bewohnbar wären, etwa aufgrund zu hoher Temperaturen“, erklärt Roca. Sollte es solche Regionen in Zukunft geben, könnte dies zum Auseinanderdriften von derzeit zusammenhängenden äquatorialen Verbreitungsgebieten mariner Arten führen.
Durch die Fragmentierung von Lebensräumen und die daraus resultierenden kleineren Populationsgrößen steigt das Risiko einzelner Populationen auszusterben. Langfristig könnten sich aber auch neue Arten entwickeln. Ein anderes Problem sei, dass die Arten nur unterschiedlich gut mit den sich ändernden Umweltbedingungen Schritt halten können, erläutert Hodapp. Dies könne dazu führen, dass sich Nahrungsnetze umstrukturieren und sich die Wechselwirkungen zwischen Lebensraum-bildenden Arten, wie beispielsweise Korallen, und ihren Bewohnern verändern.
„Zwar berücksichtigt unser Modell bei der Berechnung der Wahrscheinlichkeit des Vorkommens einer Art keine Wechselwirkungen zwischen Arten“, sagt Meeresökologin Hodapp. „Dennoch liefern die Ergebnisse wertvolle Hinweise darauf, wie unterschiedlich sich die Meeresumwelt und die Lebensgemeinschaften abhängig von den künftigen CO2-Emissionen verändern können.“
Das Wissen um das hohe Risiko, dass Meeresökosysteme künftig grundlegend anders strukturiert sein und geeignete Lebensräume für viele Arten schwinden könnten, zeigt aus ihrer Sicht, vor welchen Herausforderungen das Naturschutzmanagement steht: „Wir müssen vorausschauend denken und daran arbeiten, die jüngsten internationalen Abkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt wirksam umzusetzen.“
Originalpublikation:
https://doi.org/10.1111/gcb.16612

15.02.2023, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen
Evolution in absoluter Dunkelheit: Neue Fischart in Indien entdeckt
Ein indisch-deutsches Forscher*innen-Team, unter ihnen Senckenberg-Wissenschaftler Dr. Ralf Britz, hat die Wels-Gattung Horaglanis im südindischen Bundesstaat Kerala untersucht. Die winzigen nur etwa drei Zentimeter großen Fische dieser Gattung leben ohne Licht in dortigen Grundwasserleitern. Im Rahmen eines breit angelegten „Citizen Science“-Projektes konnten die Forschenden Informationen zur Verbreitung der Tiere, ihrer Genetik und Abstammungsgeschichte sammeln – und entdeckten anhand genetischer Untersuchungen eine neue Art. Die Studie erschien im Fachjournal „Vertebrate Zoology“.
Das Leben in Aquiferen – sogenannten Grundwasserleitern – ist geprägt durch völlige Finsternis, eine geringe Konzentration von Nährstoffen, Kohlenstoff und gelöstem Sauerstoff, eine hydrographische Isolierung sowie eine eingeschränkte Möglichkeit zur Ausbreitung. „Derzeit sind weltweit 289 Fischarten aus unterirdischen aquatischen Lebensräumen bekannt – weniger als zehn Prozent davon leben in Grundwasserleitern“, erklärt Dr. Ralf Britz von den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen in Dresden und fährt fort: „Um Informationen aus dieser nahezu unbekannten Lebenswelt zu erhalten, haben wir in einer sechsjährigen Untersuchung wasserführende Laterit-Gesteinsschichten und deren faszinierende Fischfauna im südindischen Bundesstaat Kerala untersucht.“
Insbesondere die Wels-Gattung Horaglanis stand im Fokus der Forscher*innen. Diese Fische leben ausschließlich in Aquiferen, sind sehr klein, blind und pigmentlos. „Es gibt nur sehr wenige dokumentierte Funde dieser Arten – in der Regel gelangen diese skurrilen Fischchen nur beim Graben oder Reinigen eines Hausbrunnens an die Oberfläche“, ergänzt Britz. Daher setzten der Dresdner Biologe und seine indischen Kollegen um Dr. Rajeev Raghavan von der Universität in Kochi und Dr. Neelesh Dahanukar von der Shiv Nadar Universität in Delhi auch auf die Mitarbeit von lokalen Bürgerwissenschaftler*innen: Über einen Zeitraum von sechs Jahren führten sie eine Reihe von Workshops, Fokusgruppendiskussionen und informelle Gespräche mit Gemeinden an mehreren Orten durch, darunter auch den Typlokalitäten der drei bisher bekannten Horaglanis-Arten. „Vor Ort lebende Menschen sind oft die einzigen, die solche gut versteckten Arten zu Gesicht bekommen. Sie können daher eine wichtige Rolle bei der Verbesserung unserer wissenschaftlichen Kenntnisse zu dieser ungewöhnlichen Fauna spielen! Wir haben die lokalen Dorfbewohner*innen über die Bedeutung der unterirdisch lebenden Fischarten und ihrer Schutzbedürfnisse informiert und sie gebeten, Informationen, Fotos oder Videos an uns weiterzugeben, wenn sie diese Arten angetroffen und/oder gesammelt haben.“ Dieser „Citizen Science“-Ansatz wurde von den Forschenden durch gezielte Sammelaktionen in Brunnen und oberirdischen Lagertanks, mit Schöpfnetzen in flachen Feuchtgebieten, Wasserkanälen, Hausgärten und Plantagen sowie durch den Einsatz von Köderfallen in ausgehobenen Brunnen in Gehöften, Teichen und Höhlen ergänzt.
„So konnten wir insgesamt Datensätze mit 47 neuen Standortnachweisen und 65 neuen genetischen Sequenzen generieren. Diese zeigen unter anderem, dass Horaglanis endemisch in dem Teil des Bundesstaates Kerala südlich des Palghat Gap leben – der Gebirgspass stellt scheinbar auch für die unterirdische Welt eine biogeografische Barriere dar“, erläutert Britz und fügt hinzu: „Die Gattung zeichnet sich durch eine hohe, über die Jahre entwickelte genetische Vielfalt aus – wobei das Erscheinungsbild der Fische sich aber bemerkenswert wenig gewandelt hat.“
Zudem gelang es dem Team eine neue Art zu identifizieren: Horaglanis populi ist ein nur 32 Millimeter großer Wels ohne Augen und mit einem blutroten Körper und unterscheidet sich genetisch deutlich von den drei bislang bekannten Horaglanis-Arten. „Der Artname populi, der Genitiv des lateinischen Substantivs für Volk, ehrt die unschätzbaren Beiträge der interessierten Öffentlichkeit in Kerala, die zur Dokumentation der Artenvielfalt dieser unterirdisch lebenden Fische – einschließlich der Entdeckung der neuen Art – beigetragen haben“, so Britz und weiter: „Unser Horaglanis-Projekt ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie die Einbeziehung der Öffentlichkeit unser Wissen über selten gesammelte Organismen, die in relativ unzugänglichen Habitaten leben, erheblich vergrößern kann. Die Menschen vor Ort erweitern die ‚Augen und Ohren‘ der Forscher*innen um mehrere Größenordnungen.“
Arten mit kleinen Verbreitungsgebieten – wie Horaglanis populi –gelten als stark vom Aussterben bedroht, insbesondere wenn sie in unterirdischen Habitaten leben. Laut der Studie sind die Fische im Untersuchungsgebiet durch lokale oder regionale Gesetze wenig oder gar nicht geschützt, und ihre Lebensräume sind in dicht besiedelte Landschaften eingebettet. Sowohl die Entnahme von Grundwasser als auch der Abbau der Lateritgesteinsschichten gefährden die Tiere. „Um das Überleben der rätselhaften unterirdischen Welse von Kerala zu gewährleisten, ist ein Planungs- und Umsetzungskonzept erforderlich, an dem eine Vielzahl von Akteur*innen beteiligt ist. Dazu muss auch die lokale Bevölkerung gehören, ohne die wir bei unserer Forschung nicht so weit gekommen wären“, schließt Britz.
Originalpublikation:
Raghavan R, Sundar RL, Arjun CP, Britz R, Dahanukar N (2023) Evolution in the dark: Unexpected genetic diversity and morphological stasis in the blind, aquifer-dwelling catfish Horaglanis. Vertebrate Zoology 73: 57-74. https://doi.org/10.3897/vz.73.e98367

16.02.2023, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.
Computertomographische Aufnahmen enthüllen Dinosaurierknochen in ungeöffneten Transportbehältern
Mit Hilfe computertomographischer Aufnahmen rekonstruierten Berliner Forschende des Museums für Naturkunde (MfN), des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) und der Charité die Inhalte von ungeöffneten Expeditionskisten aus der Dinosaurierfundstelle Tendaguru in Tansania. Die virtuelle „Präparation“ des Materials in den Behältnissen zeigte verschiedene Dinosaurierknochen, hauptsächlich vom kleinen Gazellensaurier Dysalotosaurus lettowvorbecki, verpackt in Hüttenlehmknollen, in alten Konservendosen oder als Ansammlungen loser Knochen. Mit Hilfe dieser Daten erstellte das Team eine Priorisierungsliste für die paläontologische Präparation dieses Materials.
Die Daten stellen zudem ein wertvolles Zeitdokument für koloniale Geländepraktiken und die Leistung der dort beschäftigten tansanischen Grabungsarbeiter und Träger dar. Zwischen 1909 und 1913 organisierte und finanzierte das Museum für Naturkunde Berlin die Deutsche Tendaguru Expedition (DTE) ins südliche Tansania, zu diesem Zeitpunkt die deutsche Kolonie Deutsch-Ostafrika. Unter der Beteilung von mehr als 500 ortsansässigen tansanischen Grabungsarbeitern, einer großen Anzahl von Trägern und zwei Berliner Wissenschaftlern wurden mehr als 230 Tonnen Dinosauriermaterial nach Berlin gebracht. Das aus Tendaguru stammende Dinosauriermaterial erwies sich als so reichhaltig und spektakulär, dass die Fundstelle bis heute als eine der bedeutendsten Dinosaurierlokalitäten weltweit gilt. Von dem Dinosauriermaterial aus Tendaguru befinden sich noch 40 original verpackte und ungeöffnete Bambustrommeln und sechs Holzkisten mit unpräparierten Knochen – ohne genaue Dokumentation ihres Inhalts – in der Wirbeltiersammlung des Museums für Naturkunde (MfN) in Berlin.
Die Präparation des Materials war bislang aus zeitlichen und logistischen Gründen nicht möglich. Außerdem sollte das aus einem einzelnen Steinbruch stammende Material nicht auseinandergerissen werden. „Bislang bestand große Unsicherheit, wie mit diesem Material umzugehen ist, da die physische Präparation wirklich viel Zeit erfordert und wir zudem historische Zeitdokumente nicht zerstören wollen“, erklärt Daniela Schwarz, Leiterin der Untersuchung am MfN. Um die Inhalte der Transportbehälter berührungs- und zerstörungsfrei analysieren zu können, halfen die Kolleginnen und Kollegen von Leibniz-IZW und der Charité mit ihren hochwertigen (veterinär)medizinischen Computertomographen (CT). Diese sind eigentlich für menschliche Patientinnen und Patienten ausgelegt und werden im Leibniz-IZW für die Untersuchung von Wild-, Zoo- und Haustieren genutzt. Neben hochauflösenden Schnittbildern durch die Körper können Serienbilder auch zu anschaulichen 3D-Modellierungen zusammengefügt werden.
Die modernen Geräte können auch Gestein durchleuchten, sodass eine Rekonstruktion des Kisteninhalts der Tendaguru-Expedition möglich wurde. „Wir kannten zwar die zu erwartenden Dinosaurierarten aus diesem Steinbruch. die Verpackungsmethoden der DTE sind auch schon beschrieben worden, aber es war für uns alle doch sehr spannend, endlich zu wissen, was genau in den restlichen Bambustrommeln steckt, ohne diese alle gleich öffnen zu müssen“, sagt Schwarz. Die tomographischen Aufnahmen enthüllten viele einzelne Knochen vom Gazellensaurier Dysalotosaurus lettowvorbecki, sowie einige Stücke des Kentrosaurus und von Sauropoden.
Die Durchleuchtung mithilfe der CT ermöglichte eine genaue Dokumentation der schon bekannten Grabungstechniken: das Einbetten der Knochen in Lehm, das Aufsammeln dieser vielen kleinen Wirbelknochen, das Sammeln kleiner Knöchelchen in Konservendosen im Gelände und die Mitnahme ganzer Gesteinsbrocken in mit Savannengras ausgestopften und speziell angefertigten Bambustrommeln. All diese Arbeiten wurden von den während der DTE beschäftigten ortsansässigen Arbeitern verrichtet und die gefüllten Trommeln anschließend in mehrtägigen Fußmärschen von Trägerkolonnen zur Küste geschleppt.
„Bei der virtuellen Erschließung dieses Materials waren mir zwei Aspekte besonders wichtig“, erklärt Schwarz. „Zum einen wollen wir das Fossilmaterial aus Tendaguru in Zukunft für jeden Interessierten virtuell verfügbar machen, und zum anderen war es wichtig, Prioritäten für die Präparation definieren und gleichzeitig entscheiden zu können, was als wertvolles Zeitzeugnis dieser historischen Expedition unter kolonialen Bedingungen im Originalzustand aufbewahrt werden sollte“. Die Arbeiten zeigen, dass es möglich ist, beides miteinander zu verbinden. So stehen die computertomographischen Daten nun in der Publikation für alle interessierten Personen zum Download zur Verfügung (https://doi.org/10.7479/d1pq-2g96), und gleichzeitig gibt es einen Plan, welche Kisten in die paläontologische Präparation wandern und welche auf jeden Fall Stück für Stück archiviert werden müssen.
Originalpublikation:
Schwarz, Daniela, Fritsch, Guido, Issever, Ahi- Sema, and Hildebrandt, Thomas. 2023. Description of contents of unopened bamboo corsets and crates from Quarry Ig/WJ of the Tendaguru locality (Late Jurassic, Tanzania, East Africa) as revealed by medical CT data and the potential of this data under paleontological and historical aspects. Palaeontologia Electronica, 26(1):a3.
https://palaeo-electronica.org/content/2023/3747-bamboo-corsets-from-tendaguru

17.02.2023, Deutsche Wildtier Stiftung
Erste Kröten wandern
Deutsche Wildtier Stiftung: Vorsicht! In den nächsten Tagen muss bereits mit Amphibien auf den Straßen gerechnet werden
Autofahrer, Biker und Rollerfahrer sollten in den nächsten Tagen vorsichtig fahren: Denn es muss mit dem Einsetzen der Krötenwanderung gerechnet werden. Die Erdkröte (Bufo bufo), unsere größte heimische Krötenart, zählt zu den ersten Amphibien, die ab Ende Februar ihre Winterquartiere verlassen und sich zu ihren Laichgewässern aufmachen. Sobald die Temperaturen in der Nacht regelmäßig nicht mehr unter fünf Grad fallen und die Witterung feucht ist, werden die Männchen aktiv – und zwar alle auf einmal. „So kann es passieren, dass Sie schon im zeitigen Frühjahr urplötzlich Hunderte Kröten sehen, den Rest des Jahres aber keine einzige mehr“, sagt die Biologin Sophia Lansing, Artenschützerin bei der Deutschen Wildtier Stiftung. Die Weibchen folgen den Männchen etwas später. Wildtierfreunde sollten also in den kommenden Tagen noch vorsichtiger unterwegs sein und auf Objekte auf der Straße achten.
Da es etwa dreimal so viele männliche wie weibliche Kröten gibt, muss das Männchen fix sein. Instinktiv springt es alles an, was sich im Laub bewegt und im Entferntesten an eine Krötendame erinnert. Die muskulösen Beine helfen ihm, sich überall festzuhalten. Hat das Männchen ein Weibchen ausgemacht, so hüpft es auf seinen Rücken, umfasst es und lässt sich huckepack zum Laichgewässer tragen. Insbesondere die gut erkennbaren schwarzen Brunftschwielen an den Innenseiten des zweiten und dritten Fingers werden beim Klammergriff eingesetzt. Manchmal schleppt das Weibchen auch mehrere männliche Kröten, denn loslassen will keiner. Hat ein Männchen aus Versehen ein anderes Männchen bestiegen, ertönt von diesem ein Befreiungsruf: „öök-öök-öök“ – frei übersetzt: „Verschwinde!“
Erdkröten gelten laut der Roten Liste in Deutschland zwar als „ungefährdet“, dennoch leben sie gefährlich. Vor allem das massenhafte Auftreten im Frühjahr lässt sie Opfer des Straßenverkehrs werden. „Denn anstatt vor anrollenden Autos davon zu hüpfen, bleiben sie meist sitzen oder nehmen eine Drohstellung ein und blähen sich dabei auf. Dieses Verhalten hilft gegen Fressfeinde wie zum Beispiel Schlangen – nicht aber gegen ein Auto“, sagt Sophia Lansing. Dabei kann es allein die Druckwelle des herannahenden Fahrzeugs sein, die die Organe des Tieres zerstören und sie damit töten. Um Amphibien vor dem Tod auf der Straße zu bewahren, sammeln Krötenschützer sie daher während der Zeit der Krötenwanderung ein und tragen sie über die Straße. Eine andere Schutzmaßnahme sind Krötentunnel, die die Tiere auf sichere Wege leiten.
Helfen kann man den Kröten auch, indem man ihre Wanderwege durch mehr geeignete Laichgewässer verkürzt. Im Garten reicht dafür schon ein kleiner naturbelassener Teich. Kröten sind standorttreu und werden im Freiland bis zu 15 Jahre alt. „Wenn sie sich wohlfühlt, kann eine Kröte also über Jahre hinweg in Ihrem Garten bleiben“, sagt Sophia Lansing. Dort vertilgen die Amphibien Unmengen an Schnecken und anderen Wirbellosen. Krötenfreundliche Quartiere sind Totholzstrukturen und Laubhaufen, aber auch verlassene Mäusetunnel dienen als Verstecke. Wasserpflanzen wie Seerosen und Krebsschere oder Blutweiderich oder Rohrkolben am Ufer bieten ebenfalls Unterschlupf.

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