Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

03.01.2023, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ
Weniger Nachtfalter, mehr Fliegen
Im hohen Norden hinterlässt der Klimawandel besonders deutliche Spuren. Eine neue Studie in Finnland zeigt nun, dass es parallel dazu dramatische Veränderungen bei den bestäubenden Insekten gegeben hat. Forscher:innen der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, des UFZ und des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) haben festgestellt, dass sich das Netzwerk von Pflanzen und ihren Bestäubern dort seit dem Ende des 19. Jahrhunderts massiv verändert hat. Möglicherweise könne das dazu führen, dass Pflanzen künftig weniger effektiv bestäubt werden und sich dadurch schlechter vermehren, warnen die Wissenschaftler:innen im Fachjournal Nature Ecology & Evolution.
Ihre Leistung ist nicht zu bezahlen. Das Heer von Insekten und anderen Tieren, das die Pflanzen dieser Erde bestäubt, erfüllt eine extrem wichtige Funktion. Ohne diese Blütenbesucher könnten sich zahlreiche Wildpflanzen nur noch schlecht oder gar nicht mehr vermehren, so dass die Ökosysteme in ihrer heutigen Form nicht mehr funktionsfähig wären. Und auch mehr als drei Viertel der bedeutendsten Nutzpflanzen sind auf tierische Hilfe angewiesen, wenn sie einen hohen Ertrag und eine gute Qualität liefern sollen. Ein Ausfall der Bestäuber würde daher auch wirtschaftlich zu Milliardenschäden führen.
Ob die fliegenden Helfer den gewohnten Service auch in Zukunft noch bieten können, ist allerdings unklar. Denn Pflanzen und ihre Bestäuber sind in einem ausgeklügelten Netzwerk miteinander verwoben. Die Verteilung und Häufigkeit der beteiligten Arten sind darin ebenso aufeinander abgestimmt wie ihr jahreszeitliches Auftreten, ihre Physiologie und ihr Verhalten. Schon kleine Veränderungen könnten das Ganze aus dem Gleichgewicht bringen. Deshalb befürchten Fachleute, dass menschliche Einflüsse wie der Klimawandel und eine veränderte Landnutzung zu weniger effektiven Bestäubungsleistungen führen könnten.
Ob und in welchem Umfang solche Entwicklungen schon im Gange sind, ist allerdings schwer zu sagen. Denn es gibt bisher kaum Untersuchungen, die das Zusammenspiel von Pflanzen und verschiedenen Bestäuber-Gruppen über lange Zeiträume hinweg beobachtet haben. Umso spannender sind die mehr als 120 Jahre alten Daten aus Finnland, auf denen die neue Studie basiert. In den Jahren 1895 bis 1900 hatte der Förster Frans Silén in der Umgebung des Dorfes Kittilä etwa 120 Kilometer nördlich des Polarkreises systematisch erfasst, welche Insekten wie häufig welche Blüten besuchten.
„Ich arbeite leidenschaftlich gern mit solchen historischen Datensätzen“, sagt Prof. Tiffany Knight vom UFZ. „Wenn man die historischen Untersuchungen heute noch einmal wiederholt, ist das oft die einzige Möglichkeit, etwas über langfristige ökologische Prozesse zu erfahren.“ Für sie ist das eine Arbeit, die auch die Fantasie herausfordert. „Ich versuche zu verstehen, was die Datensammler damals motiviert hat und vor welchen Herausforderungen sie standen“, erklärt die Forscherin. „Diese Informationen kann man dann nutzen, um eine vergleichbare moderne Studie zu planen.“
So haben die Wissenschaftlerinnen in der Umgebung von Kittilä erst einmal nach Stellen gesucht, an denen auch ihr Vorgänger schon Beobachtungen gemacht hatte – und an denen die 17 von ihm am besten untersuchten Pflanzenarten heute noch wachsen. Dort hat das Team in den Jahren 2018 und 2019 die Volkszählung der Bestäuber wiederholt. Das Gebiet ist nach wie vor dünn besiedelt, und an der Landnutzung hat sich wenig geändert. Der Klimawandel aber ist auch dort deutlich zu spüren. Und das hatte offenbar Konsequenzen. „Wir haben drastische Veränderungen in den Netzwerken der Bestäuber festgestellt“, sagt Leana Zoller von der MLU. Nur bei sieben Prozent der beobachteten Blütenbesuche waren damals wie heute dieselben Arten von Insekten und Pflanzen beteiligt. „Das ist überraschend wenig“, findet die Forscherin.
Schwebfliegen und Nachtfalter zum Beispiel tauchen auf den Blüten rund um das Dorf heute deutlich seltener auf als früher. Das ist wahrscheinlich keine gute Nachricht. Denn diese beiden Gruppen haben einige besonders effektive Bestäuber in ihren Reihen. Dazu gehört etwa die Hummel-Waldschwebfliege Volucella bombylans – eine große, pelzige Fliege, die tatsächlich an eine Hummel erinnert. Zu Siléns Zeiten war diese Art die häufigste Besucherin auf den Blüten der Arktischen Brombeere Rubus arcticus und des Wald-Storchschnabels Geranium sylvaticum. In ihrem haarigen Gesicht konnte sie die Pollen dieser Arten sehr gut von einer Pflanze zur nächsten tragen.
Auch die Nachtfalter nutzen bei ihrem Bestäubungsjob einen körperlichen Vorteil: Mit ihrem langen Rüssel können sie auch den Nektar erreichen, der am Grund von röhrenförmigen Blüten auf sie wartet. Deshalb waren sie früher die häufigsten Besucher der Prachtnelke Dianthus superbus und des Taubenkropf-Leimkrauts Silene vulgaris, die beide solche Blüten besitzen.
Während diese Insekten seltener geworden sind, bekommen die Blüten um Kittilä inzwischen deutlich mehr Besuch von Hummeln und bestimmten Fliegen. Ob diese Tiere genauso effektiv arbeiten wie die früheren Bestäuber, weiß bisher niemand so genau. Es gibt allerdings einen Trend, der den Forscherinnen Sorgen macht. So sind heute insgesamt deutlich weniger Insekten unterwegs, die sich auf bestimmte Blütenformen spezialisiert haben. Abgelöst wurden diese zum Beispiel von den Fliegen der Gattung Thricops, die viele verschiedene Pflanzen besuchen. Solche Generalisten sind oft robuster gegen Umweltveränderungen. Denn wenn eine ihrer Nahrungspflanzen ausfällt, können sie leicht auf andere ausweichen. Dafür schleppen sie dann aber auch die Pollen aller möglichen fremden Pflanzenarten auf eine Blüte. Sie bieten also möglicherweise einen weniger effektiven Bestäubungsservice als die Spezialisten.
„Bisher scheint das Bestäuber-Netzwerk in unserem Untersuchungsgebiet trotzdem noch gut zu funktionieren“, sagt Leana Zoller. „Es gibt bislang keine Hinweise darauf, dass die Pflanzen heute zu wenig Pollen bekommen und sich deshalb schlechter fortpflanzen können.“ Doch nach Einschätzung der Wissenschaftlerinnen kann sich das im Falle anhaltender Veränderungen in den Insektengemeinschaften künftig jederzeit ändern. Bisher scheinen die dortigen Fliegen zwar mit den steigenden Temperaturen zurechtzukommen. Weiter im Norden in der Hoch-Arktis hat eine Studie aber schon einen massiven Fliegen-Schwund dokumentiert. „Wenn das in unserem Untersuchungsgebiet auch passiert, kann das zum Problem werden“, sagt Leana Zoller. Denn irgendwann werden die Pflanzen die Ausfälle in ihrem Bestäuber-Netzwerk nicht mehr kompensieren können.
Originalpublikation:
Leana Zoller, Joanne Bennett, Tiffany M. Knight: Plant-pollinator network change across a century in the subarctic. Nature Ecology and Evolution. DOI: 10.1038/s41559-022-01928-3
https://www.nature.com/articles/s41559-022-01928-3

05.01.2023, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Wie die Evolution arbeitet
Welche genetischen Veränderungen sind für die Entwicklung phänotypischer Merkmale verantwortlich? Diese Frage ist nicht immer leicht zu beantworten. Eine neu entwickelte Methode macht die Suche jetzt deutlich einfacher.
Mit seinen mächtigen Grabschaufeln kann sich der europäische Maulwurf problemlos durch das Erdreich wühlen. Gleiches gilt für den in Australien lebenden Beutelmull. Obwohl die beiden Tierarten weit voneinander entfernt leben, haben sie doch im Laufe der Evolution ähnliche Organe entwickelt – in ihrem Fall für das Graben im Erdboden ideal angepasste Extremitäten.
Von „konvergenter Evolution“ spricht die Wissenschaft in solchen Fällen, wenn Tier-, aber auch Pflanzenarten unabhängig voneinander Merkmale entwickeln, die die gleiche Gestalt und Funktion haben. Beispiele gibt es dafür viele: So besitzen Fische Flossen, genauso wie Wale, die allerdings zu den Säugetieren zählen. Vögel und Fledermäuse verfügen über Flügel, und wenn es darum geht, sich mit Hilfe giftiger Substanzen gegen Angreifer zu wehren, haben viele Lebewesen, von Quallen über Skorpione bis zu Insekten, alle das gleiche Instrument entwickelt: den Giftstachel.
Identische Merkmale trotz fehlender Verwandtschaft
Klar, dass sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit dafür interessieren, welche Veränderungen im Erbgut der jeweiligen Arten dafür verantwortlich sind, dass sich bei ihnen identische Merkmale entwickeln konnten, obwohl unter ihnen keine verwandtschaftlichen Beziehungen bestehen.
Die Suche danach gestaltet sich schwierig: „Solche Merkmale – wir sprechen von Phänotypen – sind natürlich immer in Genomsequenzen kodiert“, sagt der Pflanzenphysiologe Dr. Kenji Fukushima von der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg. Mutationen – also Veränderungen im Erbgut – können die Auslöser für die Entwicklung neuer Merkmale sein.
Allerdings führen genetische Veränderungen selten zu einer phänotypischen Evolution, da die zugrunde liegenden Mutationen weitgehend zufällig und neutral sind. Somit sammeln sich in der extremen Zeitskala, in der sich evolutionäre Prozesse vollziehen, eine gewaltige Menge an Mutationen an, was die Entdeckung phänotypisch wichtiger Veränderungen äußerst schwierig macht.
Neuartige Metrik der molekularen Evolution
Jetzt ist es Fukushima gemeinsam mit seinem Kollegen David D. Pollock von der University of Colorado (USA) gelungen, eine Methode zu entwickeln, die bei der Suche nach den genetischen Grundlagen phänotypischer Merkmale deutlich bessere Ergebnisse erzielt als die bislang verwendeten Methoden. In der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Nature Ecology & Evolution stellen sie ihren Ansatz vor.
„Wir haben eine neuartige Metrik der molekularen Evolution entwickelt, mit der sich die Rate der konvergenten Evolution in proteinkodierenden DNA-Sequenzen genau darstellen lässt“, beschreibt Fukushima das wesentliche Ergebnis der jetzt veröffentlichten Arbeit. Diese neue Methode könne auf einer evolutionären Zeitskala von Hunderten von Millionen Jahren aufzeigen, welche genetischen Veränderungen mit den Phänotypen von Organismen verbunden sind. Damit biete sie die Möglichkeit, das Verständnis dafür zu erweitern, wie Veränderungen in der DNA zu phänotypischen Innovationen führen, die eine große Artenvielfalt hervorbringen.
Gewaltiger Datenschatz als Grundlage
Eine zentrale Entwicklung in den Lebenswissenschaften bildet die Grundlage von Fukushimas und Pollocks Arbeit: die Tatsache, dass in den vergangenen Jahren immer mehr Genomsequenzen vieler Lebewesen quer durch die Artenvielfalt entschlüsselt und damit einer Analyse zugänglich gemacht wurden. „Damit wurde es möglich, auf einer makroevolutionären Ebene die Zusammenhänge von Geno- und Phänotypen in großem Maßstab zu untersuchen“, sagt Fukushima.
Da jedoch viele molekulare Veränderungen nahezu neutral seien und sich nicht auf irgendwelche Merkmale auswirken, bestehe bei der Interpretation der Daten häufig die Gefahr einer „falsch-positiven Konvergenz“ – soll heißen: Das Ergebnis sagt einen Zusammenhang zwischen einer Mutation und einem bestimmten Merkmal voraus, der in Wirklichkeit jedoch nicht existiert. Darüber hinaus könnten auch methodische Verzerrungen für solche falsch-positiven Konvergenzen verantwortlich sein.
Zusammenhänge über Millionen von Jahren
„Um dieses Problem zu überwinden, haben wir den Rahmen erweitert und eine neue Metrik entwickelt, die die fehlerbereinigte Konvergenzrate der Proteinevolution misst“, erklärt Fukushima. Damit sei es möglich, die natürliche Selektion von genetischem Rauschen und phylogenetischen Fehlern in Simulationen und realen Beispielen zu unterscheiden. Erweitert um einen heuristischen Algorithmus ermögliche dieser Ansatz die bidirektionale Suche nach Genotyp-Phänotyp-Assoziationen, selbst in Linien, die sich über Hunderte von Millionen Jahren auseinanderentwickelt haben.
Wie gut die von ihnen entwickelte Metrik funktioniert, haben die beiden Wissenschaftler anhand von über 20 Millionen Zweigkombinationen bei Wirbeltiergenen untersucht. In einem nächsten Schritt wollen sie diese Methode auf fleischfressende Pflanzen anwenden. Ziel ist es, die genetischen Grundlagen zu entziffern, die dafür mitverantwortlich sind, dass diese Pflanzen Beute anlocken, fangen und verdauen können.
Originalpublikation:
Detecting macroevolutionary genotype– phenotype associations using error- corrected rates of protein convergence. Kenji Fukushima & David D. Pollock. Nature Ecology & Evolution, https://doi.org/10.1038/s41559-022-01932-7

05.01.2023, Humboldt-Universität zu Berlin
Fossilien zeigen Evolutionsgeschichte der Wirbelsäulenentwicklung
Die Wirbelsäule entwickelt sich bei modernen Tieren auf die gleiche Weise wie vor 300 Millionen Jahren
Forschende des Museums für Naturkunde Berlin untersuchten die Entwicklung der Wirbelsäule von vierbeinigen Wirbeltieren anhand eines großen Datensatzes moderner und fossiler Wirbeltiere. Einbezogen wurden neue Daten des 300 Millionen Jahre alten Reptils Mesosaurus tenuidens. Obwohl Wirbeltiere extrem vielfältige Körperformen und Lebensweisen haben, sind die Verknöcherungsmuster der Wirbelsäule viel einheitlicher als erwartet. Die Studie ist ein weiteres großartiges Beispiel dafür, wie Daten von Fossilien und modernen Tieren zusammengeführt werden können, um die Evolution von Körperbauplänen zu verstehen. Die Ergebnisse sind in Scientific Reports veröffentlicht.
Die Wirbelsäule ist das charakteristische und namensgebende Merkmal der Wirbeltiere. Allgemein versteht man die zugrundeliegenden Mechanismen der Entwicklung der Wirbelsäule während der Embryonalentwicklung und das Zusammenspiel mit der Evolution verschiedener Wirbeltier-Baupläne bereits recht gut, doch einige entscheidende Teile dieser Entwicklungsgeschichte blieben bisher rätselhaft. Forschende des Museums für Naturkunde Berlin und der Humboldt-Universität zu Berlin fanden nun neue Puzzlesteine für die Komplettierung dieser Entwicklungsgeschichte.
Dazu schaute sich Antoine Verrière, Paläontologe und Erstautor der Studie (Humboldt-Universität zu Berlin /Museum für Naturkunde), die im Rahmen seiner Doktorarbeit am Museum durchgeführt wurde, zuerst außergewöhnlich gut erhaltene Fossilien des Reptils Mesosaurus tenuidens an. Mesosaurier waren die ersten Reptilien, die sich nach dem Landgang erneut an das Leben im Wasser angepasst haben. Mit ihrer langen Schnauze und kräftigen Schwimmschwänzen lebten Mesosaurier in einem Binnenmeer des Superkontinents Pangäa.
„Bei einigen jungen Exemplaren beobachteten wir, dass die Neuralbögen, das heißt die stachelartigen Fortsätze auf den Wirbeln, sich im Laufe des Wachstums der Tiere vom Kopf zum Schwanz hin schlossen, ähnlich wie bei einem Reißverschluss. Wir wollten verstehen, wie dieses Muster in die Evolutionsgeschichte der Landwirbeltiere passt, stellten aber schnell fest, dass es nur wenig Informationen darüber gab. Also beschlossen wir, dies selbst zu erforschen!“
Das Team untersuchte vier der wichtigsten Entwicklungsschritte in der Verknöcherung der Wirbelsäule: (1) die Verknöcherung des Wirbelzentrums, d.h. des Hauptkörpers eines Wirbels, (2) die Verknöcherung der paarigen Neuralbögen, (3) die Verschmelzung der zunächst paarig angelegten Neuralbogenelemente zu einem einzigen Element und (4) die Verschmelzung der Neuralbögen mit dem Zentrum. Mit Hilfe statistischer Modelle konnten die Forschenden rekonstruieren, wie sich diese verschiedenen Muster im Laufe der rund 300 Millionen Jahre langen Evolutionsgeschichte der Landwirbeltiere veränderten und welches Entwicklungsmuster der gemeinsame Vorfahr aller Landwirbeltiere hatte.
„Am meisten überraschte uns, dass diese Muster in den letzten 300 Millionen Jahren relativ stabil waren“, so Mitautor Prof. Jörg Fröbisch, Professor für Paläontologie und Evolution (Humboldt-Universität zu Berlin / Museum für Naturkunde).
„Lebende und ausgestorbene vierfüßige Wirbeltiere sind enorm vielfältig in Bezug auf ihre Körperformen und Lebensweisen. Die Elemente ihrer Wirbelsäulen sind in komplexen Einheiten organisiert, die sich zwischen den Gruppen innerhalb der vierfüßigen Wirbeltiere stark unterscheiden. Dennoch sind die Verknöcherungsmuster viel einheitlicher, als es die große morphologische Vielfalt erwarten lässt.“
Obwohl die untersuchten Muster während der gesamten Evolution relativ stabil waren, traten einige Abweichungen auf. Vor allem Vögel, Säugetiere und Schuppenkriechtiere (Echsen und Schlangen) entwickelten jeweils ihre eigenen spezifischen Formen der Wirbelverknöcherung. Innerhalb dieser Gruppen waren die Muster wieder erstaunlich stabil.
„Strauße und Möwen zum Beispiel haben eine sehr unterschiedliche Anatomie und Lebensweise, aber ihre Wirbelsäulen verknöchern auf ähnliche Weise. Dies zeigt, dass zwischen den Hauptlinien der Landwirbeltiere einige Veränderungen zu beobachten sind, aber innerhalb jeder der Hauptlinien die Wirbelsäulenentwicklung wiederum ziemlich stabil blieb“, so Mitautorin Prof. Nadia Fröbisch, Professorin für Entwicklung und Evolution (Humboldt-Universität zu Berlin / Museum für Naturkunde).
„Unsere Studie ist ein weiteres großartiges Beispiel dafür, wie Daten von Fossilien und modernen Tieren zusammengeführt werden können, um ein viel tieferes Bild von der Entwicklung und Evolution der wichtigsten Körperstrukturen zu erhalten“, sagt Antoine Verrière.
Originalpublikation:
Verrière A., N.B. Fröbisch und J. Fröbisch (2022) Regionalization, constraints, and the ancestral ossification patterns in the vertebral column of amniotes. Scientific Reports. DOI: 10.1038/s41598-022-24983-z.

06.01.2023, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen
Ungewöhnliche Frosch-Invasion
Der Johnstones Pfeiffrosch ist eine der erfolgreichsten invasiven Amphibienarten weltweit – trotz geringer genetischer Vielfalt
Senckenberg-Wissenschaftler*innen haben mit einem internationalen Team den invasiven Johnstones Pfeiffrosch genetisch mit einem weiteren eingewanderten und einem heimischen Frosch verglichen. In ihrer nun im Fachjournal „NeoBiota“ erschienenen Studie zeigen die Forschenden, dass die Invasion der winzigen Amphibien nicht, wie bislang angenommen, durch ihre genetische Vielfalt begünstigt wurde. Vielmehr erlauben anthropogene und ökologische Faktoren die Ausbreitung der Frösche – mit Auswirkungen auf das Naturschutzmanagement.
Er ist nur etwa 17 bis 35 Millimeter groß und ein sehr erfolgreicher tierischer Einwanderer, der sich über die gesamte Karibik und weite Teile des Festlandes von Mittel- und Südamerika ausgebreitet hat: der Johnstones Pfeiffrosch (Eleutherodactylus johnstonei). „Der ursprünglich auf den Kleinen Antillen beheimatete Frosch blickt auf eine lange Ausbreitungsgeschichte, die mindestens bis 1880 zurückreicht“, erklärt PD Dr. Raffael Ernst von den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen Dresden. „Heute gilt der Johnstones Pfeiffrosch als eine der am weitesten verbreiteten und erfolgreichsten invasiven Amphibienarten – er wird nur noch übertroffen von der Aga-Kröte Rhinella marina und dem amerikanischen Ochsenfrosch Lithobates catesbeianus. Dies hat nicht nur Auswirkungen auf die heimischen Ökosysteme, sondern auch auf den Immobilienmarkt – die nächtlichen, ohrenbetäubenden Konzerte der winzigen Frösche führen in Teilen Südamerikas bereits zu einem Verfall der Grundstückspreise.“
Die Verbreitung des Frosches ist häufig auf menschliche Einflüsse, wie den Pflanzenhandel, zurückzuführen. So fühlen sich die Tiere auch in einigen Botanischen Gärten Deutschlands, der Schweiz oder der Niederlande wohl – außerhalb der Gewächshäuser sind die kleinen Frösche in Europa aber nicht überlebensfähig. Ein internationales Team um Ernst hat nun untersucht, welche Faktoren – außer den menschlichen Eingriffen – zu der erfolgreichen Invasion der Amphibien führen. Hierzu verglichen sie die genetischen Muster des Johnstones Pfeiffroschs mit seinen ebenfalls gebietsfremden Verwandten Eleutherodactylus antillensis und der auf einer Insel endemischen Art Eleutherodactylus portoricensis.
„Es wird allgemein angenommen, dass genetische Vielfalt eine erfolgreiche Invasion begünstigt – dieser Annahme wollten wir mit soliden Daten auf den Grund gehen“, so Doktorandin Franziska Leonhardt. „Unsere Ergebnisse zeigen – entgegen der gängigen These –, dass unsere beiden eingewanderten Frösche im Vergleich zur heimischen Art genetisch verarmt sind. Selbst in deren Ursprungspopulationen weisen die Tiere eine geringe genetische Vielfalt und Differenzierung zwischen den Populationen auf. Erfolgreiche invasive Arten sind demnach genetisch nicht zwingend vielfältiger als ihre nicht-invasiven Artgenossen.“
Die Forschenden schlussfolgern, dass genetische Vielfalt per se nicht zu einem höheren Invasionserfolg führt. Vielmehr seien ökologische und anthropogene Faktoren von hoher Bedeutung für den Einwanderungsprozess des Johnstones Pfeiffroschs. Hierzu gehören wiederkehrende Einfuhrereignisse, die Etablierung von Populationen in spezifischen, den heimischen Lebensräumen ähnelnden Mikrohabitaten, wie den europäischen Gewächshäusern, sowie Menschen, die zur Verbreitung des Fröschchens beitragen.
„Zusammengenommen scheinen diese Aspekte einen größeren Einfluss auf das Ausbreitungspotenzial der Frösche zu haben als deren genetische Vielfalt“, resümiert Ernst und gibt einen Ausblick: „Um erfolgreiche Managementmaßnahmen für die invasiven Frösche ergreifen zu können und die heimische Tierwelt effektiv zu schützen, müssen diese Faktoren zukünftig berücksichtigt werden.“
Originalpublikation:
Leonhardt F, Arranz Aveces C, Müller A, Angin B, Jegu M, Haynes P, Ernst R (2022) Low genetic diversity in a widespread whistling alien: A comparison of Eleutherodactylus johnstonei Barbour, 1914 (Eleutherodactylidae) and congeners in native and introduced ranges. NeoBiota https://doi.org/10.3897/neobiota.79.86778

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