15.08.2022, Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig
Nationalparke – Inseln in einer Wüste?
Wie wirksam ist der Biodiversitätsschutz europäischer und afrikanischer Nationalparke? Dies scheint stark mit den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen zusammenzuhängen, in die sie eingebettet sind. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie unter Leitung des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie (MPI-EVA) und der Universität Bonn. Die Studie, die in der Fachzeitschrift Nature Sustainability veröffentlicht wurde, unterstreicht die dringende Notwendigkeit besserer Nationalpark-Netzwerke.
Trotz beachtlicher Schutzbemühungen und Investitionen von Regierungen, Nichtregierungsorganisationen und internationalen sowie nationalen Naturschutzbehörden geht die biologische Vielfalt weltweit weiter zurück. Eine der wichtigsten Strategien, um den Rückgang der biologischen Vielfalt aufzuhalten, ist die Einrichtung von Schutzgebieten wie Nationalparks, die günstige Bedingungen für eine stabile biologische Vielfalt schaffen sollen.
Artenrückgang steht in engem Zusammenhang mit dem Index der menschlichen Entwicklung
Ein internationales Forscherteam unter der Leitung von iDiv, MPI-EVA und der Universität Bonn in Zusammenarbeit mit dem UFZ, der Universität Leipzig, der Friedrich-Schiller-Universität Jena und vielen anderen Institutionen, hat nun anhand von Häufigkeitsentwicklungen von 464 Säugetier- und Vogelarten in 114 Nationalparks in 25 Ländern Afrikas und Europas deren Wirksamkeit zur Erhaltung der biologischen Vielfalt untersucht. Für den Untersuchungszeitraum 2007 bis 2017 stellten sie fest, dass die Wirksamkeit der 66 afrikanischen und 48 europäischen Parks stark von den jeweiligen lokalen und nationalen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen abhängt, die sich im sogenannten Human Development Index (HDI) widerspiegeln. Eine wahrscheinliche Erklärung ist, dass die Nachfrage nach Ressourcen aus Nationalparken höher und weniger reguliert ist, wenn der HDI niedrig ist. Die Parke in den Ländern mit den höchsten HDI-Werten wiesen einen durchschnittlichen Rückgang der Häufigkeit von Arten von etwa 10 % auf, gegenüber mehr als 25 % in den Parks in den Ländern mit dem niedrigsten HDI.
Nationalparke bieten unter keinen Bedingungen einen 100% Schutz
„Wir konnten aber auch feststellen, dass scheinbar wirksame Nationalparke, die in einen günstigen sozioökonomischen Kontext eingebettet sind (z. B. hoher HDI), nicht unbedingt eine universelle Lösung für ein ideales Nationalparkmanagement darstellen“, sagt der Hauptautor Dr. Tsegaye Gatiso, Forscher an der Universität Bonn und bei iDiv. „Schließlich können keine sozioökonomischen Bedingungen und keine der derzeit umgesetzten Schutzmaßnahmen die vollständige Beseitigung von Bedrohungen der biologischen Vielfalt garantieren. Arten können in ein und demselben Nationalpark auch unter ungünstigeren äußeren Bedingungen zurückgehen, da Schutzgebiete ein untrennbarer Teil eines dynamischen, komplexen sozial-ökologischen Systems sind.“
Verbesserte Nationalpark-Netzwerke nötig
Die Forscher kommen daher zu dem Schluss, dass noch eine Lücke zu vollständig wirksamen Nationalparks bleibt. Ein entscheidender Bedarf besteht in einer verbesserten Gestaltung des Netzwerks von Nationalparks und des damit verbundenen Managements, um Bedrohungen zu vermindern und es ökologisch funktionsfähig zu machen. Konzertierte Aktionen wie die Ausweitung des Netzwerks an Nationalparken, die Einrichtung von Korridoren zwischen Schutzgebieten, um die Ausbreitung von Arten zwischen ihnen zu erleichtern, und, besonders wichtig, die Verbesserung der Bedingungen für die biologische Vielfalt außerhalb der Nationalparke, sind die wichtigsten Elemente, um den Verlust der biologischen Vielfalt aufzuhalten.
„Viele Nationalparke sind zu ‘Inseln in einer Wüste industrieller Land-, Forstwirtschaft sowie Infrastruktur‘ geworden. Die schlechten ökologischen Bedingungen außerhalb der Nationalparke reduzieren die Häufigkeit der Arten. Schließlich orientieren sich diese in ihren Verbreitungsgebieten nicht an von Menschen gesetzten Nationalparkgrenzen. Sind sie dann vielfältigen negativen Lebensbedingungen außerhalb der Parks ausgesetzt, hat dies auch negative Rückwirkungen auf ihre Häufigkeitsentwicklung innerhalb der Parke“, ergänzt der Seniorautor der Studie, Dr. Hjalmar Kühl, Wissenschaftler bei iDiv und MPI-EVA. „Wichtig ist daher, dass die ökologischen Bedingungen außerhalb der Parke deutlich verbessert werden. Schutzgebiete, und insbesondere Nationalparke, sind Sensoren für den Zustand der biologischen Vielfalt unseres Planeten. Die mangelnde Wirksamkeit der beobachteten Parke muss sehr ernst genommen werden, und wir müssen große Anstrengungen unternehmen, um das Netzwerk an Schutzgebieten im Hinblick auf seine ökologische Funktionalität deutlich zu verbessern.“
Die Studie wurde vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) (DFG FZT 118, 202548816; T.T.G. und H.S.K.) und der Robert Bosch Stiftung (Förderkennzeichen 32.5.8043.0016.0; H.S.K.) gefördert.
Originalpublikation:
Gatiso, T. T., Kulik, L., Bachmann, M., Bonn, A., Bösch, L., Eirdosh, D., Freytag, A., Hanisch, S., Heurich, M., Sop, T., Wesche, K., Winter, M., Kühl, H. S. (2022). Effectiveness of protected areas influenced by socio-economic context. Nature Sustainability. DOI: 10.1038/s41893-022-00932-6
16.08.2022, Friedrich-Schiller-Universität Jena
Fächerflügler kennen keinen Schmerz
Forschungsteam der Universitäten Jena, Kiel, Freiburg und des Karlsruher Instituts für Technologie untersucht, wie weibliche Fächerflügler das Trauma der Paarung überstehen: Um die Eizellen seiner Partnerin zu befruchten, verletzt das Fächerflügler-Männchen den „Hals“ des Weibchens mit seinem hakenförmigen Penis und injiziert ihr die Samen direkt ins Körperinnere.
Die Fortpflanzung der Insektenordnung der Fächerflügler ist nichts für schwache Nerven: Um die Eizellen seiner Partnerin zu befruchten, verletzt das Fächerflügler-Männchen den „Hals“ des Weibchens mit seinem hakenförmigen Penis und injiziert ihr die Samen direkt ins Körperinnere. Diese sogenannte traumatische Begattung ist für die Weibchen riskant. So kann die Verletzung zum Verlust von Körperflüssigkeit führen und eindringende Keime können Infektionen auslösen. Doch die Weibchen der Fächerflügler-Arten Stylops ovinae und Xenos vesparum haben sich im Laufe der Evolution an das rabiate Vorgehen ihrer Partner morphologisch gut angepasst. Zu diesem Ergebnis kommt ein Forschungsteam, das an den Universitäten Jena, Kiel, Freiburg sowie am Karlsruher Institut für Technologie tätig ist und das darüber aktuell im Open-Access-Fachmagazin „PeerJ“ berichtet.
Ein ganzes Leben versteckt im Hinterleib anderer Insekten
Fächerflügler sind weltweit verbreitet. Dass sie trotzdem fast niemand kennt, liegt wahrscheinlich nicht daran, dass sie, wie viele andere Insekten, mit nur wenigen Millimetern eher klein und unscheinbar sind. Entscheidend neben der extremen Kurzlebigkeit der Männchen von nur wenigen Stunden ist wohl, dass „die Weibchen der allermeisten Fächerflügler-Arten ihr ganzes Leben als Parasiten gut versteckt im Hinterleib anderer Insekten verbringen“, erläutert PD Dr. Hans Pohl von der Universität Jena. So lebt Stylops ovinae in der Weidensandbiene (Andrena vaga) und Xenos vesparum in Feldwespen (Arten der Gattung Polistes). Nur der etwa stecknadelkopfgroße Vorderleib schaut aus dem Wirt heraus. „Um sich überhaupt fortpflanzen zu können, müssen sich die Parasiten also etwas einfallen lassen“, so der Insekten-Experte und Leiter des Autorenteams der vorliegenden Publikation. Da die übliche Begattungsregion am weiblichen Hinterleib für das Männchen nicht zugänglich ist, bleibt nur der vordere Körperteil des Weibchens, um das Sperma zu injizieren.
Wie das Team nun herausgefunden hat, sind die Weibchen der beiden untersuchten Arten ihren männlichen Artgenossen jedoch nicht schutzlos bei der traumatischen Begattung ausgeliefert. „Wir konnten zeigen, dass die Außenhülle der Weibchen von Stylops ovinae und Xenos vesparum an einer bestimmten Körperstelle zwischen Kopf und Rumpf deutlich verdickt ist. In dieser Region sticht das Männchen mit seinem Penis in das Weibchen“, erläutert Doktorand Kenny Jandausch, der Erstautor der Studie. Die gesamte Hülle enthält viel Resilin, ein Eiweißmolekül, das die Außenhaut besonders elastisch macht. Da die Haut an der Einstichstelle jedoch dicker ist als an anderen Stellen, ist die Verletzung dort für das Fächerflügler-Weibchen weniger gefährlich, da dadurch ein sehr effizienter Wundverschluss erfolgen kann. „Im Gegensatz zu Xenos vesparum bildet diese Stelle bei Stylops ovinae eine Art Tasche, in die das Männchen mit seinem Penis eindringt“, so Jandausch.
Breites Methodenspektrum enthüllt Begattungsmechanismus
Doch wie locken die Weibchen die Männchen nun genau an? Zum einen erst einmal ganz klassisch: „Unbegattete Weibchen senden Duftstoffe aus, die Männchen aus der Umgebung anziehen“, sagt Hans Pohl. Das konnten die Insektenforscher direkt in der Jenaer Natur beobachten. Mit einem kleinen Käfig paarungsbereiter Fächerflügler-Damen lockten die Forscher Fächerflügler-Männchen an und nahmen sie mit ins heimische Labor. Dort brachten sie Männchen und Weibchen in Petrischalen und unter Mikroskop-Beobachtung zusammen. „Hier stellte sich zum einen heraus, dass die Weibchen von Stylops ovinae nicht nur Männchen ihrer eigenen Art anlockten, sondern auch Männchen von zwei weiteren Stylops-Arten. Zum anderen wurde beobachtet, dass die Männchen der beiden anderen Arten trotz heftiger Bemühungen ihren Penis nicht in die Begattungstasche des Weibchens einführen können“, berichtet Kenny Jandausch. Dank computertomographischer Aufnahmen konnten die Forscher die morphologische Passfähigkeit von Penis und Begattungstasche abbilden und in ein dreidimensionales Computermodell überführen. „Dabei fanden wir heraus, dass tatsächlich nur artgleiche Männchen überhaupt in der Lage sind, sich mit den Weibchen zu paaren“, bilanziert Dr. Pohl. „Unsere Hypothese ist, dass die Begattungstasche eine präzygotische Barriere darstellt, die Paarungen zwischen unterschiedlichen Arten noch vor der Befruchtung verhindert.“ Bislang gingen die Forschenden davon aus, dass die ausgesendeten Duftstoffe der weiblichen Fächerflügler nur Männchen derselben Art anlocken.
Eine schlechte Nachricht gibt es für die Fächerflügler-Weibchen am Ende aber doch: Nachdem das Sperma die tausenden Eizellen in ihrem Körper befruchtet hat, entwickeln sich ebenso viele winzige Larven, die wenige Wochen später lebend zur Welt kommen – ein Ereignis, das die Mutter selbst nicht überlebt.
Originalpublikation:
Jandausch K. et al.: Have female twisted-wing parasites (Insecta: Strepsiptera) evolved tolerance traits as response to traumatic penetration? PeerJ 10:e13655, DOI: 10.7717/peerj.13655
16.08.2022, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.
Prägende Kindheit bei Tüpfelhyänen: Soziale Faktoren und Umweltbedingungen beeinflussen die evolutionäre Fitness
Wissenschaftliche Analysen deuten darauf hin, dass bei Menschen eine Reihe von Lebensumständen in der Kindheit langfristige Auswirkungen auf die Gesundheit und die Lebenserwartung haben.
Ein Forschungsteam vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) zeigte nun für Tüpfelhyänen, dass mütterliche, soziale und ökologische Faktoren im Welpenalter einen großen Einfluss auf das gesamte Leben weiblicher Hyänen hat: So wirkte sich beispielsweise der soziale Status der Mutter während des Welpenalters positiv auf die Reproduktion der Töchter-Generation aus. Andererseits verkürzten erhöhter Niederschlag im Welpenalter und ein erhöhtes Alter der Mutter die Überlebenschancen und die Lebensdauer der Töchter. In dem Aufsatz, der in der wissenschaftlichen Zeitschrift „Journal of Animal Ecology“ erschienen ist, argumentieren die Autor:innen zudem, dass die Kombination spezifischer widriger (oder vorteilhafter) Umstände in frühen Lebensphasen einen größeren Einfluss auf die Lebenschancen haben als die simple Akkumulation widriger (oder vorteilhafter) Faktoren.
In einer Langzeitstudie analysierten die Wissenschaftler:innen vom Leibniz-IZW die von ihnen zwischen 1987 und 2020 erhobenen Daten über die Lebensläufe von 666 weiblichen Tüpfelhyänen (Crocuta crocuta) im Serengeti-Nationalpark in Tansania. Sie untersuchten, wie sich mütterliche, soziale, demographische und ökologische Faktoren auf die evolutionäre Fitness der Töchter auswirken. Dabei ermittelten sie nicht nur den Einfluss einzelner Faktoren, sondern untersuchten auch, wie sich die Kombination spezifischer Umstände auf die Lebensläufe auswirkten und ob die Ansammlung mehrerer widriger Umstände in der Kindheit einen kumulativen Effekt auf die Lebenschancen hatte. Für die Bemessung der evolutionären Fitness – wie viele der eigenen Nachkommen ein fortpflanzungsfähiges Alter erreichen und somit die eigenen Gene an die nächste Generation weitergeben können – analysierten die Wissenschafter:innen das Wachstum während der ersten sechs Monate, das Überleben bis zum Erwachsenenalter, das Alter bei der ersten Fortpflanzung, die Lebensdauer und den Lebenszeit-Reproduktionserfolg.
„Durch sorgfältige Analysen der Langzeitdaten konnten wir zum Beispiel zeigen, dass weibliche Nachkommen älterer Mütter eine deutlich kürzere Lebensdauer haben und weniger Jungtiere durchbringen als die Töchter von Müttern im besten Alter“, sagt Morgane Gicquel vom Leibniz-IZW, die Erstautorin des Aufsatzes, der ein Teil ihrer Doktorarbeit ist. Wenn Mütter einen hohen sozialen Status während des Welpenalters der Töchter hatten, half das den Töchtern, weil sie sich schneller entwickelten und deshalb ihren ersten eigenen Wurf in einem jüngeren Alter gebären konnten. „Einzelkinder“ und dominante Jungtiere in Zwillingswürfen hatten eine höhere Wachstumsrate als subdominante Geschwister.
Nachkommen ohne Geschwister wiesen zudem eine höhere Überlebenschance bis zum Erwachsenenalter auf als subdominante Jungtiere. „Wir waren überrascht, dass sich der soziale Status der Mutter, die Wurfgröße und die Dominanzposition im Wurf nur in den ersten Jahren auf das Überleben und das Alter beim ersten Wurf auswirkten, nicht aber auf Lebensdauer oder Lebenszeit-Fortpflanzungserfolg“, fügt Gicquel hinzu. „Sowohl kurz- wie langfristige Auswirkungen konnten wir hingegen für die Anzahl säugender Weibchen feststellen“, ergänzt Dr. Sarah Benhaiem vom Leibniz-IZW, Seniorautorin des Aufsatzes. „Mit zunehmender Zahl säugender weiblicher Clanmitglieder sanken Wachstumsrate, Überlebensrate bis zum Erwachsenenalter und lebenslanger Reproduktionserfolg in der Töchtergeneration. Dies könnte mit häufigeren Konflikten und stärkerer Konkurrenz bei weiblichen Tüpfelhyänen im fortpflanzungsfähigen Alter zusammenhängen.“
Doch nicht nur mütterliche, soziale und demographische Faktoren, sondern auch ökologische Einflüsse und Ereignisse spielen eine Rolle. „Starke Regenfälle in den ersten sechs Lebensmonaten verringerten beispielsweise die Chancen der jungen Tüpfelhyänen, das Erwachsenenalter zu erreichen, womöglich aufgrund von erhöhtem Parasitenbefall, verstärkter Weitergabe von Krankheitserregern oder überschwemmten Zentralbauen, in denen Jungtiere ertrinken“, erklärt Dr. Marion East vom Leibniz-IZW, Mitbegründerin des Serengeti-Hyänenprojekts und Ko-Autorin des Papers. Ko-Autor, Mitbegründer und Leibniz-IZW-Direktor Prof. Heribert Hofer ergänzt: „Der Klimawandel sorgt dafür, dass es lokal in der Serengeti mehr regnet – im starken Kontrast zu vielen anderen Regionen in Afrika. Unsere neuen Ergebnisse lassen vermuten, dass dies langfristige negative Auswirkungen auf die Population haben.“
Kumulieren sich Widrigkeiten während der Jugendzeit, wirkt sich dies negativ auf die kurzfristige Leistung und den lebenslangen Reproduktionserfolg aus, so das Fazit der Analyse. Die Untersuchungen der Wissenschaftler:innen zeigt jedoch, dass die sorgfältige Betrachtung spezifischer Kombinationen widriger Lebensumstände, denen Hyänen in der Serengeti während ihres frühen Lebens ausgesetzt waren, die Lebensläufe und den Erfolg in Gestalt von Fortpflanzung und Überleben viel besser erklärten als die einfache Summe ungünstiger Bedingungen. Dass deutet darauf hin, dass es nicht ausreicht, Widrigkeiten einfach zu summieren, zumindest für Wildtierarten – wichtiger ist die sorgfältige Analyse spezifischer Kombinationen von Faktoren.
Originalpublikation:
Gicquel M, East ML, Hofer H, Benhaiem S (2022): Early-life adversity predicts performance and fitness in a wild social carnivore. Journal of Animal Ecology. https://doi.org/10.1111/1365-2656.13785
17.08.2022, Deutsche Umwelthilfe e.V.
Deutsche Umwelthilfe startet Endspurt in der Schmetterlings-Mitmachaktion: Tagfalter in Garten und Parks noch vor dem 9. September melden!
Bisher haben knapp 5.000 Menschen ihre Tagfalter-Beobachtungen gemeldet: Noch drei Wochen können am Schutz der Schmetterlinge interessierte Menschen ihre Beobachtungen melden: https://www.duh.de/schmetterlings-aktion-2022/
Unter den zehn auch für Laien leicht erkennbaren Schmetterlingsarten ist „Kleiner Feuerfalter“ bisher am seltensten von Bürgerinnen und Bürgern rückgemeldet
Erschreckende, mehrmalige Rückmeldung, dass keine der zehn gesuchten Schmetterlingsarten gefunden wurden
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) startet den Endspurt in der diesjährigen Schmetterlings-Bestandsaufnahme. Der Umwelt- und Verbraucherschutzverband ruft gemeinsam mit den NaturFreunden Deutschlands und fachlicher Unterstützung des Schmetterlingsforschers Dr. Robert Trusch dazu auf, zehn auch für Laien leicht bestimmbare Schmetterlingsarten bis 9. September zu melden
Die DUH zieht aus den bisher knapp 5.000 eingegangenen Rückmeldungen eine beunruhigende Zwischenbilanz zur im Juli gestarteten Schmetterlings-Aktion. Bürgerinnen und Bürger aus dem gesamten Bundesgebiet berichten, dass vertraute Schmetterlingsarten immer weiter verschwinden und in manchen Regionen sogar fast gar keine Falter mehr in ihrer Umgebung auffindbar seien. Besonders selten wurde der Kleine Feuerfalter gemeldet. Am häufigsten wurde der DUH der Kohlweißling gemeldet, dessen Raupen allerdings auch als „Kulturfolger“ in Kohlgewächsen leben. Auf Grundlage der übermittelten Fundorte wird die DUH eine digitale Karte der Beobachtungen veröffentlichen. In den Folgejahren soll die sommerliche Schmetterlings-Bestandsaufnahme fortgesetzt und damit die Bestandsentwicklung dokumentiert werden.
Dazu Barbara Metz, Bundesgeschäftsführerin der DUH: „Ich rufe alle Mitbürgerinnen und Mitbürger auf, sich zehn Minuten Zeit zu nehmen und uns mitzuteilen, welche Schmetterlingsarten noch in ihren Gärten oder aber in Parks und Grünanlagen vorkommen. Daran lässt sich auch erkennen, in welchem ökologischen Zustand unsere Grünflächen sind. Es erschreckt uns, dass wir aktuell viele Rückmeldungen erhalten, dass nur noch einzelne oder überhaupt keine Schmetterlinge mehr gesehen wurden. Die Zwischenbilanz unserer Mitmach-Aktion macht den anhaltenden Rückgang unserer Schmetterlinge greifbar. Wir möchten mit der Aktion auf das Verschwinden der Falter aufmerksam machen und Bürger wie Verwaltungen dazu bewegen, mehr Naturkräuter, Naturrasen und auch einmal die für viele Arten wichtige Brennessel zuzulassen und auf Pestizide konsequent zu verzichten. Dafür kommt es jetzt auf jeden gemeldeten Fund an! Wir rufen deshalb weiter Bürgerinnen und Bürger auf, Schmetterlinge zu melden.“
17.08.2022, Ludwig-Maximilians-Universität München
Leben auf engstem Raum
Larven mit extrem vergrößertem Rumpf aus fossilem Bernstein geben LMU-Zoologen Einblick in die Evolution der frühen Netzflügler und ihrer Lebensweise.
In Baumharz erstarrt und dabei wie in einer Zeitkapsel konserviert: In Bernstein eingeschlossene Fossilien geben detaillierte Einblicke in die Anatomie längst ausgestorbener Arten. Die LMU-Zoologen Prof. Joachim T. Haug und Dr. Carolin Haug haben in etwa 100 Millionen Jahre altem Bernstein aus Myanmar fossile Netzflüglerlarven (Verwandte von Florfliegen) aus der Kreidezeit mit auffällig stark vergrößerten Hinterleibern entdeckt. „Es handelt sich dabei um den bislang ältesten Fund sogenannter hypogastrischer Insekten, die ihren Hinterleib extrem vergrößern können“, so Haug.
Dieses auch als Physogastrie bezeichnete Phänomen kommt auch bei vielen rezenten Arten von Insekten und anderen Gliederfüßern vor. Grundlage ist eine starke Faltung der äußeren Körperhülle, die bei Bedarf eine starke Vergrößerung des Körpervolumens erlaubt.
Auf diese Weise können etwa Zecken beim Blutsaugen enorm an Umfang zugewinnen oder Honigtopfameisen ihren Hinterleib als voluminösen Nektarspeicher für die Kolonie verwenden. Ein weiteres Beispiel: Raupen, die im Laufe ihrer Entwicklung in den Larvenstadien bis zur Verpuppung sehr viel fressen und dabei schnell an Körpervolumen zunehmen.
Bei manchen hypogastrischen Arten erlauben zusätzlich regelmäßige Häutungen eine noch stärkere Vergrößerung des Rumpfes. Hinweise auf solche Häutungen fanden die Forschenden auch bei den fossilen Larven aus dem Bernstein, deren Körperbau und -proportionen sie mit rezenten Arten verglichen.
Anhand morphologischer Merkmale, vor allem des Kopfes und der Mundwerkzeuge, konnten die Zoologen die fossilen Larven innerhalb der Netzflügler (Neuroptera) der Gruppe Berothidae zuordnen. Da die Larven einiger rezenter Arten Phasen ihres Larvenstadiums in Termitennestern verbringen, vermuten die Forschenden, dass auch die fossilen Larven so gelebt haben könnten.
„Larven der Berothiden leben oft räuberisch – man könnte es auch parasitisch nennen – in engen Gängen von Termitenbauten, was diese Annahme unterstützen würde“, so Haug. Häufig trete Physogastrie im Zusammenhang mit einem Leben in engen Räumen auf und sei mit einer speziellen Jagdstrategie verknüpft: „Die Larven füllen mit ihrem Körper die Gänge fast komplett aus, sodass die Beute nicht mehr entkommen kann.“
Trotz dieser Annahmen über die Lebensweise der neu gefundenen fossilen Larven ist die Rekonstruktion ihres kreidezeitlichen Lebensraums noch nicht abgeschlossen: „Es gibt aus anderen Studien auch viele Hinweise auf fossile Netzflüglerlarven, die in Totholz lebten und sogar einige wenige auf eine grabende Lebensweise in oberen Bodenschichten.“
Fest steht: Da Physogastrie innerhalb der Gliederfüßer (Euarthropoda) sehr unregelmäßig verteilt ist, hat sich das Merkmal im Lauf der Evolution wohl mehrmals unabhängig voneinander entwickelt. Durch den Fund der fossilen Netzflüglerlarven ist nun außerdem klar, dass es Physogastrie in der Evolutionsgeschichte der Gliederfüßer bereits vor mindestens 100 Millionen Jahren gegeben haben muss. Der Fund stellt den bislang ältesten Nachweis bei Insekten dar.
„Insgesamt gab es in der Kreide offensichtlich mehr Formenvielfalt bei den Larven der Netzflügler als es heute der Fall ist“, so Haug. Vieles ist seitdem wieder verschwunden, die Larven der meisten rezenten Netzflüglerarten sind schnelle und schlanke Jäger. Doch daneben hat auch die Strategie der Berothiden überdauert: Noch immer entwickeln die Larven dieser Gruppe eine beachtliche Körperfülle: „Das scheint seit 100 Millionen Jahren zu funktionieren, denn das Merkmal der Physogastrie hat sich erhalten.“
Originalpublikation:
Joachim T. Haug, Carolin Haug: 100 Million-year-old straight-jawed lacewing larvae with enormously inflated trunks represent the oldest cases of extreme physogastry in insects. Scientific Reports, 2022
https://www.nature.com/articles/s41598-022-16698-y
17.08.2022, Deutsches Primatenzentrum GmbH – Leibniz-Institut für Primatenforschung
Koevolution von sozialen und kommunikativen Fähigkeiten
Je komplexer die Sozialgruppe bei Lemuren ist, desto mehr Signale nutzen die Tiere zur Verständigung
Das Zusammenleben in Gruppen erfordert ständige Interaktionen zwischen den Individuen. Einzelne müssen das Verhalten der Anderen einschätzen und flexibel darauf reagieren können. Primaten und andere Tierarten regulieren und koordinieren ihre Interaktionen überwiegend mittels akustischer, visueller, taktiler und geruchlicher Signale. Unklar ist, welche sozialen oder ökologischen Faktoren die Anzahl und Entwicklung der verschiedenen Signalmodalitäten beeinflusst haben. Eine Annahme ist, dass bei paar- oder gruppenlebenden Arten komplexere Signale evolviert sind, um deren vielfältigeren sozialen Interaktionen zu regulieren. Um diese Zusammenhänge zu untersuchen, haben Claudia Fichtel und Peter Kappeler, Forschende der Abteilung Verhaltensökologie und Soziobiologie am Deutschen Primatenzentrum – Leibniz-Institut für Primatenforschung untersucht, welche Faktoren den Umfang des vokalen, visuellen und geruchlichen (olkfaktorischen) Signalrepertoires verschiedener Lemurenarten erklären können. Fichtel und Kappeler konnten zeigen, dass Lemuren, die in größeren Gruppen mit entsprechend komplexeren Sozialsystemen leben, auch komplexere Kommunikationssysteme in allen drei Signalmodalitäten aufweisen. Der Umfang des Signalrepertoires ließ sich weder auf bestimmte Umweltfaktoren zurückführen, noch ging er mit Körpergröße oder Gehirngröße einher (Philosophical Transactions B).
Um Interaktionen zu regulieren und zu koordinieren müssen Tiere untereinander kommunizieren. Die Lemurenarten auf Madagaskar verfügen über ein umfangreiches Kommunikationsrepertoire und zeigen die wichtigsten Formen sozialer Organisation: Sie leben entweder einzeln, paarweise oder in Gruppen. Zudem variieren die Aktivitätsmuster der mehr als 120 bekannten Arten. Es gibt tagaktive, und nachtaktive Arten, aber auch Arten, die tag- und nachtaktiv sind. „Da sich Lemuren mehr als 50 Millionen Jahre lang isoliert von anderen Primaten entwickelt haben, bieten sie eine hervorragende Möglichkeit, grundlegende Prinzipien in der Koevolution sozialer und kommunikativer Merkmale zu identifizieren“, erklärt Peter Kappeler.
Das vokale Repertoire der Lemuren ist ähnlich umfangreich wie das anderer Affenarten. Auch Lemuren verwenden Laute, um ihren Dominanzstatus zu signalisieren, Konflikte zu lösen, ihren emotionalen Zustand zu äußern, den Gruppenzusammenhalt aufrecht zu erhalten oder Territorien zu verteidigen. Zudem ist bei Lemuren die olfaktorische Kommunikation stark ausgeprägt. Lemuren haben spezialisierte Drüsen an ihren Genitalien, auf der Brust, an den Händen oder am Kopf. Die dort produzierten Sekrete werden auf Bäume, aber auch auf Artgenossen verteilt. Auch mit Gesten oder mimischen Ausdrücken werden soziale Beziehungen reguliert. Da zum Beispiel soziale Unterwerfung bei Rangauseinandersetzungen bei einigen Arten durch visuelle, bei anderen Arten aber durch vokale Signale angezeigt wird, ist es wichtig, den Umfang des Signalrepertoires in allen Modalitäten zu untersuchen. Nur so lässt sich herausfinden, ob zunehmende soziale Komplexität die Evolution von kommunikativer Komplexität begünstigt hat. Die Untersuchung zeigt, dass Lemurenarten, die in größeren Gruppen leben, auch mehr vokale, visuelle und olfaktorische Signale entwickelt haben. Daraus schließen die Forschenden, dass sich parallel zur zunehmenden sozialen Komplexität auch kommunikative Fähigkeiten diversifiziert haben. Zudem konnten Fichtel und Kappeler zeigen, dass sich vermutlich im Laufe der Evolution zunächst soziale Komplexität und erst danach kommunikative Komplexität entwickelt hat. Variation in anderen Faktoren, wie die Eigenschaften es Lebensraums, Aktivitätsmuster oder die Zahl gleichzeitig im selben Lebensraum vorkommender Lemurenarten erklären die Entwicklung umfangreicherer Repertoires dagegen nicht. Ebenso gab es weder einen Zusammenhang zwischen der vokalen und visuellen Repertoiregröße und der Größe des Gehirns, noch zwischen der Anzahl von Duftdrüsen oder Duftsignalen und der Körpergröße der Lemurenart.
„Unsere Studie zeigt, dass die Komplexität der Kommunikation im vokalen, olkfaktorischen und visuellen Bereich bei Lemuren mit der Komplexität des Sozialsystems koevolviert ist, nicht aber mit sozio-ökologischen Faktoren wie der Art des Lebensraums oder der Anzahl anderer Arten im selben Verbreitungsgebiet“, schließt Claudia Fichtel.
Originalpublikation:
Fichtel C, Kappeler PM. 2022. Coevolution of social and communicative complexity in lemurs. Phil. Trans. R. Soc. B 377: 20210297. https://doi.org/10.1098/rstb.2021.0297
18.08.2022, Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz (in Gründung)
Süßer Baumsaft, herzhafte Ameisen
Viele Säugetiere mögen Süßes. Vögel haben jedoch ihren Süß-Rezeptor im Laufe der Evolution verloren. Kolibris und Singvögel funktionierten darauf unabhängig voneinander ihren Umami-Geschmacksrezeptor zum Zucker-schmecken um. Wie aber nehmen andere Vögel Süßes wahr? Nun zeigen Forscher des Max-Planck-Instituts für biologische Intelligenz (in Gründung) mit internationalem Team, dass auch Spechte Süßes schmecken können. Spannenderweise verloren die auf Ameisen spezialisierten Wendehälse diese Fähigkeit durch eine einfache Veränderung ihres Rezeptors wieder. Der neuartige Mechanismus zur Umkehrung sensorischer Fähigkeiten zeigt, wie Sinnessysteme sich an die Ernährung von Arten anpassen können.
Vögeln, den Nachfahren fleischfressender Dinosaurier, fehlt ein Teil des Süß-Rezeptors, der bei Säugetieren zu finden ist. Dadurch sollten sie Zucker nicht schmecken können. Jüngste Studien haben jedoch gezeigt, dass sowohl Kolibris als auch Singvögel die Fähigkeit, Zucker wahrzunehmen, wiedererlangt haben: Durch Umfunktionieren des Geschmacksrezeptors für Umami können sie nun Kohlenhydrate in Früchten und Nektar erkennen. Wie andere Vogelarten Zucker wahrnehmen und inwieweit die Geschmacksrezeptoren die immense Nahrungsdiversität der Vögel widerspiegeln, ist unklar. Um dieser Frage nachzugehen, konzentrierten sich Julia Cramer und Maude Baldwin von der Forschungsgruppe Evolution Sensorischer Systeme und Kolleg*innen von weiteren Universitäten* auf Spechte. Obwohl diese Vögel in erster Linie Insektenfresser sind, gibt es unter ihnen auch mehrere Arten, die sich von zuckerreichen Baumsäften, Nektar und Früchten ernähren.
Mit Hilfe von Verhaltenstests mit Wildvögeln zeigte Baldwins Gruppe, dass Spechte Zucker und Aminosäuren gegenüber Wasser eindeutig bevorzugen. Überraschenderweise zeigten Wendehälse – Mitglieder der Spechtgruppe, deren Nahrung fast ausschließlich aus Ameisen besteht – eine Vorliebe für Aminosäuren, aber nicht für Zucker. „Wir haben uns daher gefragt, ob sich die beobachtete Vorliebe für Zucker auch auf Ebene der Rezeptoren der Vögel widerspiegelt“, berichtet Maude Baldwin.
Funktionsanalysen der Geschmacksrezeptoren bestätigten, dass die Rezeptoren von Spechten auf Zucker reagieren, die von Wendehälsen hingegen nicht. Interessanterweise deutete die Rekonstruktion von Rezeptoren ihrer Vorfahren darauf hin, dass der gemeinsame Urahn von Wendehals und Specht bereits einen modifizierten Umami-Rezeptor besaß, der Zucker erkennen konnte. „Dies belegt einen dritten Fall der unabhängigen Evolution des Zucker-Schmeckens durch Modifikation des Umami-Rezeptors bei Vögeln“, erklärt Julia Cramer, Erstautorin der Studie. „Noch spannender war jedoch die Tatsache, dass Wendehälse diese neue Funktion des Rezeptors dann wieder verloren haben.“
Cramers akribische Analyse der Unterschiede zwischen den Rezeptoren von Wendehals und Specht ergab Überraschendes: Die Veränderungen an nur einer einzigen Aminosäureposition im Wendehals-Rezeptor konnte die Zuckerwahrnehmung selektiv ausschalten. Die Vögel behielten dabei jedoch ihre Fähigkeit, Aminosäuren zu schmecken. Dies ist für Vögel, die sich auf proteinreiche Insekten als Nahrung spezialisiert haben, vermutlich wichtig.
Die Ergebnisse zeichnen eine spannende Evolutionsgeschichte nach: Spechte, oder vielleicht bereits einer ihrer Vorfahren der älter ist als die Spechte selbst, entwickelten schon früh die Fähigkeit, Zucker wahrzunehmen. Diese Veränderung wurde daraufhin zum Teil wieder umgekehrt, als der Wendehals-Rezeptor die Reaktion auf Süßes wieder verlor. „Wir waren sehr überrascht, dass diese Umkehrung durch die Veränderung nur einer einzelnen Aminosäure verursacht wird, die als selektiver molekularer Schalter für die Wahrnehmung von Zuckern bei Wendehälsen dient“, erzählt Cramer. „Offensichtlich führt diese kleine Veränderung dazu, dass Wendehälse Zucker in ihrer Nahrung nun nicht mehr erkennen können. Die Fähigkeit des Rezeptors, Informationen über den jeweiligen Aminosäuregehalt zu sammeln, blieb jedoch erhalten. Das macht auch Sinn, wenn der größte Teil der Nahrung aus Ameisen besteht.“
Weitere Untersuchungen können zeigen, wie bestimmte Veränderungen in den Geschmacksrezeptoren und in anderen physiologischen und sensorischen Systemen mit der großen Nahrungsvielfalt bei Vögeln zusammenhängen.
* Diese Studie ist eine Zusammenarbeit von Forschenden des Max-Planck-Instituts für biologische Intelligenz (in Gründung), dem Cornell Lab of Ornithology, der Universität Wien und der Veterinärmedizinischen Universität Wien, der Meiji University, und der Swedish University of Agricultural Science.
Originalpublikation:
Julia F. Cramer, Eliot T. Miller, Meng-Ching Ko, Qiaoyi Liang, Glenn Cockburn, Tomoya Nakagita, Massimiliano Cardinale, Leonida Fusani, Yasuka Toda, Maude W. Baldwin
A single residue confers selective loss of sugar sensing in wrynecks
Current Biology, online 18. August 2022
18.08.2022, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Genetische „Zeitreise“ über 50 Millionen Jahre: Forschungsteam klärt die Verwandtschaftsbeziehung der Possums
Wiedervereinigung im Tierreich: Die über Jahrzehnte von der Forschung getrennt betracheten australasiatischen Possums können wieder einer gemeinsamen Zukunft entgegensehen. Eine Studie am Institut für Experimentelle Pathologie der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster zeigt anhand von springenden Gene, dass alle Possums auf einen gemeinsamen Vorfahren zurückzuführen sind. Die „Präsenz (1)“ beziehungsweise „Absenz (0)“ von 61 springenden Genen belegt eindeutig die gemeinsamen „Wurzeln“ aller australasiatischer Possums (Phalangeroidea und Petauroidea) – und eine nur entfernte Verwandtschaft dieser Beuteltiere zum Känguru.
„Sind wir verwandt?“, fragt der Kletterbeutler den Gleitbeutler. „Nein“, antwortet die Wissenschaft. Denn bisher wurde angenommen, dass die in Australien und Südostasien lebenden Possums, die Phalangeroidea (Kletterbeutler) und Petauroidea (Gleitbeutler), zu zwei Tiergruppen ohne direkten gemeinsamen Vorfahren gehören. Das Forschungsteam um Dr. Jürgen Schmitz und Dr. Liliya Doronina am Institut für Experimentelle Pathologie der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster konnte jetzt durch eine Untersuchung sogenannter springender Gene das Gegenteil beweisen. „Nach unseren Analysen ist unzweifelhaft, dass alle Possums einen gemeinsamen Ursprung haben“, kommentiert Schmitz die im Septemberheft von „Systematic Biology“ als Titelgeschiche publizierte Studie. Jetzt feiert das Team die „Wiedervereinigung“ der zu Unrecht lange getrennten Tiergruppen.
„Früher hat man auf der Basis morphologischer Daten bereits angenommen, dass Phalangeroidea und Petauroidea zu einer Verwandtschaftslinie gehören. Aber DNA-Analysen schienen das zu widerlegen“, erklärt Jürgen Schmitz. Bis jetzt ging die Wissenschaft von zwei quasi nicht verwandten Superfamilien, den Kletterbeutlern und den Gleitbeutlern, aus. Aber die früheren genetischen Untersuchungen waren widersprüchlich, deshalb entschieden sich Schmitz und sein Team, den Konflikt mit einer anderen Methode zu klären. „Im Gegensatz zu vorherigen Studien haben wir ein anderes, innovatives Markersystem verwendet und vorwiegend springende Gene anstelle von herkömmlichen DNA-Sequenzen untersucht“, sagt Jürgen Schmitz. Das sind mobile Genelemente, die durch Vererbung im Laufe der Artentwicklung an verschiedenen Stellen des Genoms eingebaut werden. Sie werden „short interspersed elements“ oder kurz SINEs genannt und sind eine zuverlässige Quelle, um Verwandtschaften in der Vielfalt der Biodiversität der Arten zu entdecken.
„Wenn wir zwei Tiergruppen finden, die ein springendes Gen an genau der gleichen Stelle im Genom haben, können wir sehr sicher sein, dass die miteinander verwandt sind. Durch Zufall passiert so etwas nicht“, erklärt Jürgen Schmitz. Seinem Team lag für die Untersuchungen das vollständig sequenzierte Genom der verschiedenen Beuteltierarten vor. Dadurch konnten tausende Stellen untersucht werden – zunächst durch eine computergesteuerte Vorauswahl, die dann per Hand und Auge verfeinert wurde. Den münsterschen Forschern gelang es, 61 Insertionen im Genom zu identifizieren, die bei allen Possumarten an der gleichen Stelle liegen. „Damit zeigen wir eindeutig, dass die Possums eine monophyletische Gruppe sind, das heißt, einen gemeinsamen Abstammungszweig bilden“, sagt Liliya Doronina.
Das Team reist damit 50 Millionen Jahre in der Zeit zurück und klärt einen wichtigen Teil der Entwicklungsgeschichte der Beuteltiere auf. Die Evolutionsbiologen sehen in ihrer Studie auch eine tiefere Botschaft: „Wir müssen die Menschen immer wieder wachrütteln, sich für die Biodiversität zu interessieren und einzusetzen“. In den letzten fünf Jahren sei die Zahl bedrohter Arten in Australien um acht Prozent gestiegen. Bedrohte Tiergruppen könnten durch eine zuverlässige Einschätzung der Verwandtschaft gezielt mit Hilfsprogrammen geschützt werden.
Originalpublikation:
https://doi.org/10.1093/sysbio/syac025
18.08.2022, Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung
Lärm beeinflusst das Leben am Meeresboden
Geräusche mit niedrigen Frequenzen stressen manche Arten von Krebsen, Würmern und Muscheln – mit möglicherweise weitreichenden Folgen für marine Ökosysteme
Ozeane haben ihre ganz eigene Klangkulisse: Viele marine Lebewesen nutzen beispielsweise Schallwellen zur Echoortung, Navigation oder zur Kommunikation mit Artgenossen. In den letzten Jahrzehnten durchdringen jedoch immer mehr Geräusche verursacht durch menschliche Aktivitäten die Meere. Eine Studie des Alfred-Wegener-Instituts liefert nun den Nachweis, dass diese Geräusche manche wirbellose Tiere, die im und am Meeresboden leben, beeinflussen, so dass wichtige Funktionen für das Ökosystem Meer betroffen sein können.
Wirbellose Tiere wie Muscheln und Würmer sind regelrechte Ökosystem-Ingenieure. Sie verändern ständig das Sediment in dem sie leben. Durch Graben, Fressen, Lüften und Düngen mit Ausscheidungen sind diese Wühl- und Umwälzaktivitäten entscheidend für die Nährstoffkreisläufe in den Ozeanen: So kann mehr Kohlenstoff aus abgestorbenem, organischen Material im Meeresboden gebunden werden und Nährstoffe zurückgeführt werden.
Steigende Temperaturen, die Versauerung der Ozeane und Schadstoffe setzen Lebewesen mariner Ökosysteme zunehmend unter Stress. In den letzten Jahrzehnten trägt hierzu auch zunehmend Lärm durch menschliche Aktivitäten bei, der das Verhalten, die Nahrungssuche oder die Kommunikation von Tieren im Meer beeinflussen kann. Sprengungen, Ressourcenabbau aber auch das Brummen von Frachtschiffen und Sportbooten dröhnen durch die Ozeane. Dass sich dieser Lärm nicht nur auf Meeressäuger, sondern auch Wirbellose auswirkt, konnte nun ein Forschungsteam des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven in einer Studie im Fachmagazin Environmental Pollution zeigen. „Wir haben untersucht, wie Krebse, Muscheln und Würmer am Meeresboden auf niederfrequente Geräusche reagieren und wie häufig und intensiv sie unter Lärmstress das Sediment um- und abbauen können“, sagt Sheng V. Wang vom Fachbereich Biowissenschaften am AWI. Niederfrequente Geräusche sind Schallwellen mit einer Frequenz zwischen 10 und 500 Hertz. Im Wasser können sie über mehrere Kilometer übertragen werden.
Obwohl die Lärmverschmutzung durch niederfrequente Geräusche, die aus menschlichen Aktivitäten stammen, immer weiter zunimmt, war bisher wenig darüber bekannt, wie sich Lärm auf wirbellose Tiere am Meeresboden auswirkt. Um diese Forschungslücke zu schließen, haben die AWI-Wissenschaftler im Labor mit sogenannten „Lärm-Eiern“ untersucht, wie Flohkrebse, Borstenwürmer und Plattmuscheln von Schallwellen mit einer Frequenz zwischen 100 und 200 Hertz beeinflusst werden. „Nach sechs Tagen konnten wir deutlich sehen, dass alle drei Arten auf den Lärm reagierten obwohl sie zu sehr unterschiedlichen Tiergruppen zählen, denen eigentliche Organe zum Hören fehlen“, sagt AWI-Ökologe Dr. Jan Beermann. So gruben die Flohkrebse deutlich weniger und nicht mehr so tief im Sediment. Bei den Borstenwürmer war keine eindeutige Reaktion zu beobachten, sie schienen sich jedoch uneinheitlicher zu verhalten. Für die Plattmuscheln wurden potentielle Stressreaktionen festgestellt, die weiter untersucht werden müssen. Die Forscher weisen auf den dringenden Bedarf an Forschung im Feld hin, da der experimentelle Aufbau unter Laborbedingungen nicht die volle Komplexität umfasst.
Dass zusätzliche Geräusche, die keinen natürlichen Ursprung haben, am Meeresboden lebende Wirbellose hemmen könnten, Sedimente an- und umzubauen, kann sich auf wichtige Funktionen mariner Ökosysteme auswirken – von der Versorgung mit Nährstoffen bis hin zur Verfügbarkeit von Nahrung für Lebewesen auf höheren Ebenen im Nahrungsnetz, wie etwa Fische. „Durch menschliche Aktivitäten könnte es künftig noch ‚lauter‘ am Meeresboden werden. Wir sind grade noch am Anfang zu verstehen, wie genau Lärmprozesse hier wirken“, sagt Beermann. „Diese Zusammenhänge zu verstehen, ist aber ein wichtiger Faktor für eine nachhaltige Nutzung unserer Meere.“ Deshalb will das Team in Zukunft weitere Untersuchungen hierzu durchführen. Unter anderem sollen in einem Projekt zusammen mit europäischen Partnerforschungseinrichtungen Experimente an weiteren AWI-Standorten wie Helgoland und Sylt nähere Erkenntnisse liefern. Die internationale Plattform JPI Oceans fördert das Projekt.
Originalpublikation:
Sheng V. Wang, Alexa Wrede, Nelly Tremblay, Jan Beermann: Low-frequency noise pollution impairs burrowing activities of marine benthic invertebrates. Environmental Pollution (2022). DOI: https://doi.org/10.1016/j.envpol.2022.119899.
18.08.2022, Veterinärmedizinische Universität Wien
Keine einfachen Urteile: Wie Hunde und Wölfe uns Menschen einschätzen
Wer mag mich und wer nicht? Um diese Frage zu beantworten, nützen Menschen häufig „Eavesdropping“, also das Belauschen oder Beobachten anderer zum eigenen Vorteil. Bei Hunden ist dies weniger klar. Bereits im Jahr 2020 zog eine Forschungsarbeit1 der Vetmeduni die Eavesdropping-Hypothese für Hunde in Zweifel. Eine nun veröffentlichte Studie des Konrad-Lorenz-Instituts für Vergleichende Verhaltensforschung der Vetmeduni untersuchte Hunde und Wölfe und bestätigt dieses Ergebnis. Der Schluss der Wissenschafter:innen: Der Prozess der Reputationsbildung könnte für Tiere komplexer sein, als bisher gedacht.
Reputation ist ein Schlüsselfaktor in sozialen Interaktionen von Tieren, die in Gruppen leben. Sie spielt eine wichtige Rolle beim Etablieren von Kooperationen. Tiere bilden sich ein Urteil von anderen Individuen, indem sie direkt mit ihnen interagieren oder sie bei der Interaktion mit Dritten beobachten – eine Fähigkeit, die in der Verhaltensforschung als „Eavesdropping“ bekannt und für Menschen selbstverständlich ist. Bei Hunden (Canis lupus familiaris) ist die Forschungslage allerdings nicht eindeutig. Und selbst, wenn sie zu Eavesdropping in der Lage sind, ist nicht bekannt, ob sich diese Fähigkeit während des Domestizierungsprozesses entwickelt hat oder ob sie von ihrem Vorfahren, dem Wolf (Canis lupus), geerbt wurde.
Studie an Hunden und Wölfen lässt an Eavesdropping-Hypothese zweifeln
Die nun präsentierte Studie untersuchte deshalb, ob sich Hunde oder Wölfe durch indirektes bzw. direktes Erleben ein Urteil über eine Person bilden können. Am Experiment nahmen neun Wölfe und sechs Hunde teil, die im Wolf Science Center (WSC) der Vetmeduni leben. In der Beobachtungsphase sahen die Tiere, wie zwei Menschen mit einem Hund interagierten – einer handelte großzügig und fütterte den Hund, der andere war egoistisch und weigerte sich, den Hund zu füttern. Die Tiere konnten nun zwischen den beiden Personen wählen. In der folgenden Erlebnisphase interagierten die Tiere direkt mit den beiden Menschen. Danach konnten sie wieder zwischen den beiden Personen wählen.
„Insgesamt entschieden weder Hunde noch Wölfe nach indirekter oder direkter Erfahrung zwischen einem großzügigen oder egoistischen Menschen. Jedoch zeigten Wölfe während der Beobachtungsphase mehr Aufmerksamkeit gegenüber der großzügigen Person und einige Hunde und Wölfe bevorzugten den großzügigen Menschen, nachdem sie indirekte und direkte Erfahrungen gemacht hatten“, so Erstautorin Hoi-Lam Jim vom Wolf Science Center des Konrad-Lorenz-Instituts für Vergleichende Verhaltensforschung der Vetmeduni. Laut Jim deutet die Studie darauf hin, dass die Reputationsbildung für Tiere schwieriger sein könnte als bisher angenommen, wie bereits eine 2021 veröffentlichte wissenschaftliche Arbeit2 über Asiatische Elefanten (Elephas maximus) von Jim und Kolleg:innen zeigte. Zudem unterstreicht die Studie, wie wichtig das Studien-Design ist, um den Prozess der Reputationsbildung bei Tieren genauer zu untersuchen und neue Erkenntnisse zu gewinnen.
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Der Artikel „Wolves and dogs fail to form reputations of humans after indirect and direct experience in a food-giving situation“ von Hoi-Lam Jim, Marina Plohovich, Sarah Marshall-Pescini und Friederike Range wurde in „PLOS ONE“ veröffentlicht.
https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0271590
Weitere Informationen:
1 Presseinformation: Für Hunde ist wichtig, wo jemand steht, nicht was jemand tut https://www.vetmeduni.ac.at/universitaet/infoservice/presseinformationen/pressei…
2 Presseinformation: Elefanten bilden sich kein Urteil über Menschen https://www.vetmeduni.ac.at/universitaet/infoservice/presseinformationen/pressei…
17.08.2022, Universität Zürich
Frösche entkommen ihren Feinden mit Köpfchen oder guter Tarnung
Wie können sich Frösche vor Räubern schützen? Einige Arten setzen auf ein flexibles Fluchtverhalten: Sie entwickelten ein grosses Hirn und starke Hinterbeine. Sind jedoch vie-le Fressfeinde vorhanden, braucht diese Strategie zu viel Energie, weshalb sich andere Arten auf starke Tarnfärbung und geringe Mobilität spezialisierten. Erstmals zeigen Evoluti-onsbiologen der Universität Zürich, wie sich die Überlebensstrategien der Frösche evoluti-onär verändert haben.
Beutetiere haben im Zuge ihrer Evolution zahlreiche Methoden entwickelt, um ihren Fressfeinden zu entkommen oder gar nicht erst entdeckt zu werden. Diese oft mit viel Aufwand betriebenen Strategien haben aber nicht nur Vorteile: Das Ausschauhalten und Erkennen von Fressfeinden sowie die Flucht brauchen viel Hirnkapazität und Energie. Andererseits kann eine gute Tarnung die Paarungssuche erschweren und zudem den Bewegungsfreiraum auf dem passenden Untergrund einschränken. Wie sich Frösche an diesen wechselseitigen Selektionsdruck angepasst haben, hat UZH-Evolutionsbiologe Stefan Lüpold zusammen mit Forschenden aus China und den Niederlanden untersucht.
Grosses Gehirn und Flucht oder kleines Gehirn und Tarnung
Das Team hat die evolutionäre Entwicklung der Anpassungen an die verschiedenen Fressfeinde von über 100 Froscharten erforscht. Die Studienergebnisse zeigen, dass Frösche, die nur wenige Fressfeinde haben, auf die Flucht als Überlebensstrategie setzen. Dies wird an ihrem relativ grossen Gehirn deutlich, das erhöhte Flexibilität in ihrem Fluchtverhalten erlaubt, sowie an ihren mus-kulösen Hinterbeinen zum Wegspringen. Diese Froscharten sind auch auffälliger gefärbt, was unter anderem die visuelle Kommunikation unterstützen kann.
Haben die Frösche jedoch viele Feinde, so dass der Raubdruck steigt, ist die Flucht-Strategie weniger effizient. Es fehlt ganz einfach die Zeit – etwa fürs Fressen oder für die Fortpflanzung. «Unter diesen erschwerten Bedingungen überwiegen also die Nachteile der notwendigen kognitiven Leistung für die Flucht», sagt Letztautor Stefan Lüpold. «Evolutionär hat dies zu einem Umschwenken auf weniger Mobilität und bessere Tarnung geführt – und dafür zu einem kleineren Gehirn.»
Verstecken als sekundäre Anpassung
Die Studie stellt erstmals einen direkten Zusammenhang her zwischen der Hirnevolution und unterschiedlichen Strategien zur Vermeidung von Fressfeinden. Sie zeigt, dass Tarnfärbung nicht unbedingt eine ideale primäre Strategie ist, wie oft angenommen, sondern eher eine sekundäre Anpassung, ausgelöst durch den hohen Aufwand für ein flexibles, kognitives Fluchtverhalten. Ob ein solcher Zusammenhang allerdings auch mit anderen Strategien bei Fröschen (wie etwa Gift-drüsen) oder in anderen Tiergruppen besteht, muss weiter erforscht werden.
«Unsere Studie zeigt, dass bei der Erforschung der Hirnevolution nicht nur kognitive Vorteile, sondern unbedingt auch Aufwand und Ertrag der Hirnleistung erwogen werden sollten», erklärt Lüpold. Wenn ein starker Raubdruck zu einer Verhaltensänderung und Verkleinerung des Gehirns führt, kann dies weitreichende Konsequenzen für andere Lebensfunktionen haben. Zudem deutet die Studie darauf hin, dass sich eine Veränderung des Lebensraums auch auf die energetischen Investitionen der Beutetiere auswirken kann.
Originalpublikation:
Liao, W. B., Y. Jiang, D. Y. Li, L. Jin, M. J. Zhong, Y. Qi, S. Lüpold, and A. Kotrschal. Cognition contra camouflage: how the brain mediates predator-driven crypsis evolution. Science Advances, 17 August 2022. DOI: 10.1126/sciadv.abq1878.
17.08.2022, Universität Zürich
Neues 3D-Modell zeigt: Megalodon konnte Beute in der Grösse ganzer Killerwale fressen
Der Megalodon ist berüchtigt für seine riesigen Zähne. Es gibt jedoch kaum fossile Belege für den gesamten Körperbau des grössten Hais, der je gelebt hat. Ein internationales For-schungsteam mit UZH-Beteiligung hat nun anhand eines aussergewöhnlich gut erhaltenen Exemplars ein 3D-Computermodell erstellt. Die Ergebnisse legen nahe, dass der Riesenhai Beutetiere so gross wie heutige Killerwale vollständig hätte verschlingen und danach zwei Monate ohne weitere Nahrung durch die Meere ziehen können.
Er war 16 Meter lang, wog über 61,5 Tonnen und konnte weite Strecken mit einer geschätzten Geschwindigkeit von rund 1,4 Metern pro Sekunde schwimmen: Der Megalodon (Otodus megalo-don), der für diese Studie rekonstruiert wurde. Sein Magenvolumen dürfte wohl fast 10.000 Liter umfasst und der tägliche Energiebedarf über 98.000 Kilokalorien betragen haben. Zudem legen die Resultate nahe, dass der Megalodon bis zu 8 Meter lange Beutetiere vollständig verschlingen konnte – was etwa der Grösse eines Killerwales, dem jetzigen Spitzenräuber der Meere, ent-spricht. Die Fähigkeit, selbst grosse Raubtiere zu verspeisen, stellte den Megalodon somit vor Millionen von Jahren auf eine höhere Stufe der Nahrungskette als heutige Spitzenprädatoren.
Gut erhaltene Wirbelsäule ermöglicht Rekonstruktion
Diese Erkenntnisse gehen aus einer internationalen Studie in Zusammenarbeit mit der Universität Zürich hervor. Sie basieren auf der 3D-Modellierung eines einzelnen Exemplars, das vor etwa 18 Millionen Jahren in den Ozeanen des Miozäns im heutigen Belgien gestorben war und in den 1860er-Jahren entdeckt wurde. Von diesem 46-jährigen Tier ist ein grosser Teil der Wirbelsäule erhalten.
«Haifischzähne sind häufige Fossilien, da sie aufgrund ihrer harten Beschaffenheit gut konser-viert werden können», sagt Erstautor Jack Cooper, Doktorand an der Universität Swansea. «Die Skelette dagegen bestehen aus Knorpel und versteinern nur selten. Die Wirbelsäule des Mega-lodons aus dem Königlichen Belgischen Institut für Naturwissenschaften ist daher einzigartig.»
Vom einzelnen Wirbel zur ganzen Körpermass
Das Team mit Wissenschaftlern aus der Schweiz, dem Vereinigten Königreich, den USA, Australi-en und Südafrika vermass und scannte jeden einzelnen Wirbel, rekonstruierte die gesamte Wir-belsäule und ergänzte sie mit einem 3D-Scan eines Megalodon-Gebisses aus den Vereinigten Staaten. Anhand von 3D-Scans von heutigen Weissen Haien aus Südafrika ergänzten die For-schenden danach das «Fleisch» um das Skelett.
«Eines der wichtigsten Merkmale eines Tieres ist sein Gewicht», erklärt Mitautor John Hutchinson, Professor am Royal Veterinary College in Grossbritannien. Bei ausgestorbenen Tieren können wir die Körpermasse mit modernen digitalen 3D-Modellierungsmethoden schätzen und dann einen Bezug zwischen Masse und biologischen Eigenschaften herstellen.»
Ein transozeanischer Super-Apex-Räuber
Seinen riesigen Energiebedarf hat das Tieres wahrscheinlich mit kalorienreichem Walspeck ge-deckt, wie auch Bissspuren von Megalodon in anderen Fossilien belegen. Eine Berechnung der optimalen Nahrungsausbeute ergab zudem, dass der Riesenhai dank des Verzehrs eines einzi-gen 8-Meter-Wals zwei Monate lang tausende von Kilometern durch die Ozeane zu schwimmen konnte, ohne erneut zu fressen. «Dies bedeutet, dass der Megalodon ein transozeanischer Su-per-Apex-Räuber war», sagt Catalina Pimiento, Professorin an der Universität Zürich und Letztau-torin der Studie. «Das Aussterben des Riesenhais hatte somit Auswirkungen auf die globale Nah-rungskette und reduzierte für grosse Wale in verschiedenen Gewässern den Verdrängungswett-bewerb.»
Das 3D-Modell des belgischen Megalodons dient nun als Grundlage für künftige Rekonstruktio-nen und weitere Forschungen. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse tragen nicht nur zum bes-seren Verständnis dieser einzigartigen Superräuber bei, sondern auch zu deren Funktion im ma-rinen Ökosystemen und den weitreichenden Folgen ihres Aussterbens.
Originalpublikation:
Literatur:
Jack A. Cooper et al. The extinct shark Otodus megalodon was a transoceanic 1 super-predator: Inferences from 3D modelling. Science Advances, 17. August 2022, Doi: 10.1126/sciadv.abm9424
18.08.2022, Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV) e. V.
Bartgeier-Doppelpack: Recka und Dagmar fliegen über dem Nationalpark
Konflikte mit Steinadlern meistern die Bartgeier gekonnt – Offizielle Bartgeier-Führungen buchbar
Die beiden Anfang Juni im Klausbachtal ausgewilderten Bartgeier „Recka“ und „Dagmar“ ziehen mittlerweile ihre Kreise durch den Nationalpark Berchtesgaden. Der bayerische Naturschutzverband LBV und der Nationalpark Berchtesgaden sind sehr zufrieden mit der Entwicklung der beiden Bartgeier-Damen. „Ihre Flugübungen werden stetig länger und souveräner. Die sporadischen Auseinandersetzungen mit Steinadlern sorgen allerdings bei unseren Teammitgliedern immer wieder für kurze Schreckmomente“, so der LBV-Projektleiter Toni Wegscheider. Die beiden Bartgeier entwickeln sich bestens und können jetzt noch im Klausbachtal beobachtet werden. Bald verlassen sie das Auswilderungsgebiet zu größeren Erkundungsflügen. LBV und Nationalpark Berchtesgaden bieten derzeit kostenlose Führungen für alle Bartgeier-Begeisterten an.
„Dass das lokale Adlerpaar trotz seiner Erfahrungen mit Wally und Bavaria im vergangenen Jahr im selben Gebiet immer noch relativ aggressiv gegenüber jungen Bartgeiern ist, hat uns doch ein wenig überrascht“, gesteht Toni Wegscheider. Als Recka und Dagmar in den Wochen nach ihren Erstflügen noch nicht allzu sicher am Himmel über der Auswilderungsnische im Nationalpark Berchtesgaden unterwegs waren, musste das Beobachtungsteam immer wieder Attacken der beiden alten Steinadler auf die ungeübten Junggeier mitverfolgen. „Die Eleganz mit der vor allem Dagmar, mit nur wenigen Tagen Flugerfahrung, solche Angriffe durch wendige Manöver pariert hat, verblüffte uns alle“, sagt der LBV-Bartgeierexperte. Grundsätzlich gehören Auseinandersetzungen mit Adlern – und wie man sich erfolgreich dagegen zur Wehr setzt – jedoch zu den wichtigen Dingen, die es für junge Bartgeier zu erlernen gilt.
Die Flugleistungen der Geier steigern sich von Tag zu Tag. Ihre Flüge werden immer länger, gehen bereits in die Gipfelregionen der umliegenden Berge hinauf und dominieren immer stärker die täglichen Aktivitäten. „In der Zeit nach dem Erstflug sind Recka und Dagmar oft mühsam zu Fuß die Hänge entlang marschiert, um etwa zu einem Futterplatz zu kommen. Mittlerweile fliegen sie längst gekonnt ab, ziehen ein paar Kreise und landen zielgenau am gewünschten Ort“, freut sich Nationalpark-Projektleiter Ulrich Brendel.
Die beiden Geierdamen sind, wie schon ihre Vorgängerinnen im vergangenen Jahr, ungewöhnlich oft im „Doppelpack“ unterwegs. „Sie suchen merklich die Nähe zueinander, sitzen häufig gemeinsam an Ruhe- und Futterplätzen und führen gemeinsame Parallelflüge durch“, sagt Ulrich Brendel. Aggressives Verhalten gegeneinander, das direkt nach der Auswilderung noch auf der Tagesordnung stand, lässt sich schon lange nicht mehr beobachten.
Recka hat am 16. August zum ersten Mal den Nationalpark verlassen und eine große Runde um das Seehorn westlich vom Wimbachtal gedreht. Es wird spannend, ob wieder die gleichen Hauptflugrouten der Bartgeier aus dem Vorjahr genutzt werden oder ob die diesjährigen Vögel neue Wege einschlagen. So wird auch die erste Nahrungsnutzung abseits der eingerichteten Futterplätze immer wahrscheinlicher. „Für die Geier wird noch bis in den Herbst hinein Knochenfutter ausgelegt, doch die beiden dürften bald selbständig auch außerhalb des unmittelbaren Auswilderungsbereichs Nahrung finden. Ein Teil des ausgelegten Futters ‚verschwindet‘ übrigens öfter durch Füchse, Kolkraben und andere Tiere. Dies ist völlig normal und zeigt, wie wichtig Aas in der Natur ist“, erklärt Ulrich Brendel.
Bavaria erkundet Österreich
Die 2021 ausgewilderte Bavaria hält sich erstmals im österreichischen Nationalpark Hohe Tauern auf und wurde kürzlich von einer ehrenamtlichen LBV-Aktiven beim gemeinsamen Kreisen mit den dortigen Bartgeiern beobachtet. Wann und ob Bavaria nach Bayern zurückkehrt, ist völlig offen. Das Beobachtungsteam fiebert jedoch täglich auf eine Sichtung von Recka, Dagmar und ihrer Artgenossin im Nationalpark Berchtesgaden.
Bartgeier-Führungen buchbar
Am offiziellen Bartgeier-Infostand im Nationalpark, direkt am Wanderweg Nr. 472 zur Halsalm, können sich in den kommenden Wochen alle Besucher*innen täglich bei den Projektmitarbeitenden erkundigen, wo sich Recka und Dagmar gerade aufhalten und wo man sie am besten beobachten kann, ohne sie zu stören. Jeden Dienstag um 9 Uhr findet eine kostenlose LBV-Bartgeier-Führung statt. Weitere Führungen sind auf Anfrage möglich. Jeden Donnerstag um 10 Uhr begleitet das Nationalparkteam interessierte Adler- und Bartgeierfreunde ins Klausbachtal. Die Führungen sind kostenlos, eine Anmeldung ist erforderlich und Informationen gibt es unter www.nationalpark-berchtesgaden.bayern.de im Bereich Veranstaltungen sowie unter bartgeier@lbv.de.
19.08.2022, Max-Planck-Institut für Biologie Tübingen
Mikroben schützen Blattkäfer – aber nicht gratis
Insekten sind während ihrer Entwicklungsstadien wie der Heranreifung im Ei oder während der Puppenphase unbeweglich. Ohne die Wechselbeziehung mit anderen Organismen hätten Fressfeinde oft ein leichtes Spiel. Jetzt entdeckten Forschende aus Deutschland und Panama ein Verteidigungsbündnis zwischen einem Pilz und einem Blattkäfer: Die Mikrobe bildet eine wachsartige Schutzschicht um die Puppe des Käfers und verhindert so, dass der Kokon zur leichten Beute wird. Im Ausgleich dafür verbreitet der Käfer den Pilz auf dessen Wirtspflanze und fördert so dessen Verbreitung. Das Forschungsteam stellte die Ergebnisse der Studie nun in der Fachzeitschrift Current Biology vor.
Wechselbeziehungen wie diese sind in der Natur weit verbreitet. Bei Insekten, wie auch bei anderen Lebewesen, können Symbiosen mit nützlichen Mikroben Anpassungsprozesse an die Umwelt ermöglichen.
Wehrhaftes Duo
In ihrer Studie entdeckten Biologinnen und Biologen des Max-Planck-Instituts für Biologie in Tübingen, der Universität Tübingen und des Smithsonian Tropical Research Institute in Panama diese Partnerschaft zwischen dem Schlauchpilz Fusarium oxysporum und Chelymorpha alternans, einem Blattkäfer: Der Pilz schützt die Puppen des Blattkäfers vor Fressfeinden. Der Käfer verbreitet zugleich den Pilz auf dessen Wirtspflanzen und trägt so zu dessen Übertragung und Verbreitung bei.
„Das Stoffwechselprofil des Pilzes beweist sein Doppelleben“, erklärt Hassan Salem, Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Biologie und Letztautor der Studie. „Unsere Ergebnisse zeigen einen Mutualismus, der dem Schutz der Puppen des Blattkäfers einerseits und der Verbreitung und Vermehrung des Symbionten, in diesem Fall dem Pilz, andererseits dient“, fügt Salem hinzu.
Mikrobieller Mechanismus
Frühere Forschungen haben Partnerschaften zwischen Mikroben und Insekten anhand der Untersuchung von Eiern und an anderen Entwicklungsphasen beschrieben. Für das Puppenstadium blieb die Bedeutung eines mikrobiellen Schutzmechanismus jedoch soweit unerforscht. Neben Vögeln und einigen Nagetieren sind es vor allem der Laufkäfer sowie Ameisen und Wespen, die zu ihren bedrohlichsten Fressfeinden gehören.
„Es war bekannt, dass strukturbezogene und chemische Anpassungen der Puppen einen Schutz vor Fressfeinden und anderen Bedrohungen bieten. Es sind aber die Mikroben, auf die der Käfer im Puppenstadium als Verteidigungspartner zählen kann“, kommentiert Aileen Berasategui, eine Nachwuchsforscherin des Exzellenzclusters „Controlling Microbes to Fight Infections“ (CMFI) an der Universität Tübingen und Erstautorin dieser Studie.
Wachsartiger Schutzmantel
Das Team machte die Beobachtung, dass sich zu Beginn der Verpuppung des Blattkäfers ein dichtes mikrobielles Geflecht zu bilden scheint. Weitere Untersuchungen ergaben, dass es sich hierbei um die Schimmelpilzart Fusarium oxysporum handelt. Um ihre Hypothese einer wechselseitigen Partnerschaft zu verstehen und zu beweisen, führten die Forschenden Feldstudien in Panama durch und untersuchten die Überlebensraten von Puppen mit und ohne den Schutzpilz.
Anhand weiterer Untersuchungen mit Süßkartoffelpflanzen stellte das Forschungsteam außerdem fest, dass der Blattkäfer den Pilz noch bis ins Erwachsenenstadium an den Beinen heftend mit sich führt, und ihn so auf andere Pflanzen überträgt und verbreitet.
Häufige Symbiose
Der Blattkäfer Chelymorpha alternans gehört zur artenreichen Unterfamilie der Blattkäfer namens Cassidinae. Viele Mitglieder dieser Gruppe scheinen Merkmale aufzuweisen, die eine Symbiose mit dem Pilz Fusarium oxysporum ermöglichen dürften. Das auffälligste Merkmal ist der mikrobielle Mantel, der die Puppen umschließt. Wann sich jedoch diese Symbiose entwickelt hat und wie sie sich erhält, sind zentrale Fragen, die die Mitglieder dieser internationalen Forschergemeinschaft im nächsten Schritt zu klären erhoffen.
Originalpublikation:
Berasategui A, Breitenbach N, García-Lozano M, Pons I, Sailer B, Lanz C, Rodriguez V, Hipp K, Ziemert N, Windsor D, Salem H. (2022) The leaf beetle Chelymorpha alternans propagates a plant pathogen in exchange for pupal protection.
Current Biology, https://doi.org/10.1016/j.cub.2022.07.065
19.08.2022, NABU
NABU: Fledermausquartiere schützen
Die Batnight lädt am 27. und 28. August deutschlandweit zu Veranstaltungen ein
Wenn die Dämmerung kommt, segeln sie lautlos am Himmel: Fledermäuse. Zur Internationalen Batnight am 27. und 28. August kann man die wendigen Flugkünstler auf zahlreichen Veranstaltungen in ganz Deutschland erleben. NABU-Gruppen informieren über die Lebensweise der faszinierenden Tiere, machen auf Nachtwanderungen ihre hochfrequenten Rufe mit sogenannten Bat-Detektoren hörbar, bieten Bastelaktionen für die ganze Familie an und zeigen, wie jeder die fliegenden Säugetiere aktiv schützen kann. Von den 25 in Deutschland lebenden Fledermausarten sind drei akut vom Aussterben bedroht. Vier Arten gelten als stark gefährdet und weitere drei als gefährdet. Mit dem Insektensterben fehlt es an Nahrung. Durch unbedachte Gebäudesanierungen und das Abholzen alter Bäume geraten sie zunehmend in Wohnungsnot.
Daher stehen im Zentrum der diesjährigen Hauptveranstaltung die für den Schutz der Fledermäuse bedeutsamen Winterquartiere. Am 27. August 2022 kann jeder im Mayener Grubenfeld in Rheinland-Pfalz Fledermäuse aus nächster Nähe beim Schwärmen beobachten. Die Gruben des ehemaligen Bergbaugebiets gehören zu den größten Winterquartieren Europas und sind ein NABU-Naturschutzgroßprojekt. Über 50.000 Fledermäuse überwintern in Mayen. 17 verschiedene Fledermausarten wurden dort bereits nachgewiesen.
„Im Spätsommer suchen die meisten europäischen Fledermausarten nach geeigneten Quartieren, die ihnen für die kalten Monate ausreichend Schutz bieten. Darum kann man die Tiere an bestimmten Stellen nun besonders gut beobachten“, sagt Sebastian Kolberg, NABU-Fledermausexperte. Neben dem Mayener Grubenfeld sind auch der Kalkberg in Bad Segeberg mit mehr als 20.000 überwinternden Fledermäusen oder die Levensauer Brücke bei Kiel mit bis zu 6.000 Tieren für den Erhalt heimischer Arten unersetzlich. Fledermäuse sind in unseren Breiten echte Winterschläfer. Zwischen November und März brauchen sie einen sicheren und ruhigen Rückzugsort, um die nahrungsarme und unwirtliche Jahreszeit zu überstehen. Neben den für die erfolgreiche Jungenaufzucht wichtigen Wochenstuben sind funktionierende Winterquartiere die wichtigsten Pfeiler für den Erhalt von Fledermauspopulationen.
Auch in Städten und Dörfern suchen viele Tiere nach einer sicheren Unterkunft. Auf Dachböden, in Kellern, hinter Rollläden oder Fassaden bleiben die friedlichen Untermieter oft unbemerkt. Häufig vertreiben Baumaßnahmen die Tiere. Dabei gibt es gute Wege, ihre Lebensstätten auch nach einer Sanierung zu erhalten. Wer Fledermäusen ein neues Zuhause geben will, kann Fledermausbretter oder Flachkästen sowie Höhlenkästen anbringen. Diese Quartiere sind im Fachhandel erhältlich oder können einfach nachgebaut werden.
Veranstaltet wird die bereits zum 26. Mal stattfindende „International Batnight“ von EUROBATS, dem Europäischen Büro für Fledermausschutz findet in mittlerweile 38 Ländern weltweit statt. In Deutschland wird sie vom NABU organisiert, dabei finden bis zu 200 Batnight-Veranstaltungen statt.
Weitere Informationen zur Hauptveranstaltung unter https://rlp.nabu.de/tiere-und-pflanzen/saeugetiere/fledermaeuse/batnight/index.html
Weitere Informationen zur Batnight unter www.NABU.de/batnight
20.08.2022, Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin
Ausbreitung exotischer Stechmücken und Krankheitserreger – BNITM: Weniger Treibhausgase, mehr Stechmücken-Bekämpfung!
Wärmere Sommer und veränderte Niederschläge bringen mehr Stechmücken und mehr exotische Infektionskrankheiten mit sich. Das ist stark vereinfacht das Szenario, mit dem infolge des Klimawandels zu rechnen ist. Forschende des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin (BNITM) fordern deshalb anlässlich des heutigen Welt-Moskito-Tags, den CO2-Ausstoß zu reduzieren und die Stechmückenbekämpfung zu intensivieren.
Der Klimawandel fördert Ausbrüche von durch Stechmücken übertragenen Erregern auf zweierlei Weise. Zum einen breiten sich exotische Stechmückenarten immer weiter Richtung Norden aus. Die Asiatische Tigermücke Aedes albopictus etwa ist in Südeuropa bereits seit den 1990er Jahren heimisch. Dort ist sie insbesondere für Ausbrüche des Chikungunya-Virus und des Dengue-Virus verantwortlich. In Deutschland haben sich Aedes albopictus-Populationen ebenfalls etabliert.
Zum anderen gibt es die Korrelation: Je höher die hochsommerlichen Termperaturen sind, desto schneller vermehren sich viele Arboviren in den Stechmücken. Und desto höher ist das Risiko, dass Stechmücken diese Viren auf Menschen und Tiere übertragen können.
Es wird immer klarer, dass auch heimische Stechmückenarten eine Vielzahl von Viren übertragen können. Im Hitzesommer 2018 kam es erstmals zu einem Ausbruch des West-Nil-Virus in Ostdeutschland. Seitdem gibt es jährlich Krankheitsfälle in Vögeln, Pferden und Menschen. „Die Übertragungswahrscheinlichkeit dieses Virus ist direkt temperaturabhängig: Steigen die Temperaturen, steigt auch das Infektionsrisiko“, sagt Dr. Renke Lühken, der Leiter der Forschungsgruppe Arbovirus Ökologie am BNITM.
Komplexes Wechselspiel
Das Wechselspiel etwa zwischen steigenden Temperaturen, steigendem Meeresspiegel, veränderten Niederschlagsregimen und dem Übertragungsrisiko von Krankheitserregern ist sehr komplex. Das hat erst kürzlich eine Studie der Universität Hawaii in Nature Climate Change beschrieben. „Diese Vielschichtigkeit macht eine gesellschaftliche Anpassung sehr schwierig. Deshalb muss die Reduzierung der Treibhausgasemissionen als wichtigste langfristige Maßnahme weiter im Fokus stehen“, so Lühken. Zudem sei es jetzt wichtig, effiziente und effektive Überwachungs- und Bekämpfungssysteme zu etablieren.
Intelligentes Frühwarnsystem
Vor diesem Hintergrund intensiviert das BNITM seinen Beitrag zur Stechmückenforschung, -überwachung und -kontrolle. Besonders hervorzuheben ist zum einen das durch die Europäische Kommission ausgezeichnete Projekt „EarlY WArning System for Mosquito borne diseases“ (EYWA), zum anderen die BMBF-Nachwuchsgruppe „Fast-Echtzeit Entscheidungshilfe für die Bekämpfungsmethode von durch Stechmücken übertragene Viren“.
Beide Projekte sammeln in Europa bzw. Deutschland Wetterdaten, Ergebnisse von Stechmückenzählungen, Informationen zu Virennachweisen und vieles mehr und werten sie mit Hilfe von mathematischen Modellen aus. Auf diese Weise lassen sich kurzfristig lokal begrenzte Ausbrüche stechmückenübertragener Krankheiten vorhersagen. Das ist wichtig, weil man Stechmücken in klar begrenzten Gebieten gut bekämpfen und Ausbrüche schnell unter Kontrolle bringen kann. Dieses Frühwarnsystem wird nun durch das BNITM in Ländern des globalen Südens wie Thailand und der Elfenbeinküste etabliert.
„Die Kartierung, Modellierung und Bekämpfung von Stechmücken ist gerade in tropischen Ländern von großer Bedeutung, weil dort Moskitos viele schwere Infektionskrankheiten übertragen“, so der Leiter des BNITM, Prof. Jürgen May. „Hier haben die meisten dieser Infektionen ihren Ursprung, die sich jetzt bis zu uns ausbreiten.“
Stechmücken gezielt bekämpfen
Um Stechmücken in Schach zu halten, brauche es allerdings geschultes Personal, sagt der Leiter der Abteilung Arbovirologie und Entomologie des BNITM, Prof. Jonas Schmidt-Chanasit: „Die Stechmückenbekämpfung muss in Deutschland dringend flächendeckend professionalisiert werden. Es muss eine gezielte und nachhaltige Bekämpfung der Stechmücken geben, ohne andere Insekten dabei zu schädigen.“
Vorbilder gebe es, so Schmidt-Chanasit. In Griechenland etwa, wo auch die Leitung des EYWA-Konsortiums angesiedelt ist. Dort liefere EYWA so exakte Ergebnisse von Ausbruchsgebieten, dass jetzt Risikozonen identifiziert und Stechmücken gezielt bekämpft werden können. Oder die Kommunale Aktionsgemeinschaft zur Bekämpfung der Schnakenplage e.V. (KABS), ein Zusammenschluss von Gemeinden am Oberrhein. Sie haben sich schon vor Jahrzehnten zusammengetan und arbeiten unter anderem mit stechmückenspezifischen Insektiziden, die in Brutgewässern ausgebracht werden. Auch die KABS ist Teil des internationalen Frühwarnsystems.
Der Welt-Moskito-Tag
Am 20. August 1897 wies der britische Tropenmediziner Sir Ronald Ross nach, dass der Malariaparasit von weiblichen Stechmücken der Gattung Anopheles übertragen wird. Damit revolutionierte er nicht nur die Malariaforschung und -bekämpfung. Seine Erkenntnisse sind noch heute grundlegend, um Epidemien zu verstehen, die von Insekten ausgehen. 1902 erhielt Ross den Nobelpreis für Medizin oder Physiologie.
Wie kann ich mich vor Stechmücken schützen?
Entfernen Sie mögliche Brutstätten für Stechmücken auf dem Balkon und im Garten: Eimer, ungenutzte Blumentöpfe, offene Gießkannen, alte Reifen oder Ähnliches. Decken Sie Regentonnen ab. Bringen Sie Stechmückennetze an Ihren Fenstern oder über den Betten an. Benutzen Sie Stechmückensprays, deren Wirkung wissenschaftlich getestet wurde, z.B. durch das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (blaues Gütesiegel). Diese sogenannten Gewährleistungsmarken erhalten Repellents, wenn sie in Labortestungen in hohem Maße unterschiedliche Stechmückengattungen wie Culex, Aedes und Anopheles fernhalten.