Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

29.07.2022, Universität Zürich
Kommunikation erleichtert den Schimpansen die Jagd
Ähnlich wie Menschen nutzen Schimpansen Kommunikation, um ihr kooperatives Verhalten zu koordinieren – etwa bei der Jagd. Durch das Erzeugen eines für die Jagd spezifischen Rufes, dem sogenannten «Jagdbellen», rekrutieren Schimpansen mehr Gruppenmitglieder für die Jagd und ergreifen ihre Beute erfolgreicher, wie Forschende der Universität Zürich und der Tufts University zeigen.
Schimpansen ernähren sich nicht nur von Früchten, sondern auch von proteinreichem Fleisch, wenn sich die Gelegenheit dazu ergibt. Um die flinken Affen als Beutetiere in den Baumkronen zu fangen, sind Schimpansen im Vorteil, wenn sie gemeinsam in der Gruppe jagen. Wie ein internationales Forschungsteam nun erstmals zeigt, spielt Kommunikation bei der Rekrutierung von Gruppenmitgliedern für die Jagd eine Schlüsselrolle.
«Jagdbellen» macht die Verfolgung effektiver
Wissenschaftler der Universität Zürich (UZH) und der Tufts University in Boston untersuchten über 300 Jagdereignisse, die in den letzten 25 Jahren in der Schimpansengemeinschaft von Kanywara in Uganda aufgezeichnet wurden. Dabei kamen sie zur Erkenntnis, dass die wild lebenden Menschenaffen durch das Erzeugen des «Jagdbellens» die Gruppenjagd katalysieren und diese Form von kooperativem Verhalten dadurch effektiver wird. «Schimpansen, die Jagdgebell von sich geben, teilen ihrer Umgebung mit, dass sie motiviert sind zu jagen. Diese Information kann zögernde Individuen überzeugen, sich der Jagd anzuschliessen, was die Erfolgschance auf Beute für alle Beteiligten erhöht», sagt Joseph Mine, Doktorand am Institut für Vergleichende Sprachwissenschaft der UZH, der die Studie leitete.
Im dichten tropischen Regenwald, wo die Sicht beschränkt ist, ist die Jagd in der Gruppe eine Herausforderung. Verbale Kommunikation ermöglicht hier eine effiziente Gruppenarbeit: «Auffallend ist, dass sich nach dem Jagdbellen mehr Jäger anschliessen, die Jagd schneller beginnt und der erste Fang weniger Zeit benötigt», sagt Studienmitautorin Zarin Machanda von der Tufts University, die das Schimpansenprojekt in Kanyawara leitet.
Um herauszufinden, weshalb das Bellen eine solche Wirkung zeigt, braucht es weitere Forschung. «Derzeit ist unklar, ob die Rufe absichtlich abgegeben werden, um die genauen Handlungen in der Gruppe zu koordinieren, oder ob einzelne Tiere damit ihre Entscheidung zu jagen ankündigen. Dies erhöht wiederum die Wahrscheinlichkeit, dass andere sich anschliessen, denn mit mehr Jägern sind die Tiere effektiver», fügt UZH-Professor Simon Townsend an, der die Studie mitgeleitet hat.
Koevolution von Kommunikation und Kooperation
Die Evolutionsbiologinnen und -biologen berücksichtigten eine ganze Reihe anderer Faktoren, die den Ausgang einer Jagd beeinflussen können, unter anderem die Anwesenheit geschickter, erfahrener Jäger oder potenzielle Ablenkungen. Das Ertönen von Jagdbellen nahm jedoch stets eine Schlüsselrolle ein.
«Wenn Menschen komplexe kooperative Handlungen koordinieren, ist Kommunikation essenziell. Unsere Erkenntnisse sind nun der erste Hinweis darauf, dass vokale Kommunikation auch die Gruppenkooperation bei unseren nächsten lebenden Verwandten erleichtert», so Townsend.
Es ist allgemein anerkannt, dass Kommunikation und Kooperation bei Menschen eng miteinander verbunden sind und sich gemeinsam entwickelt haben. Wurde das eine im Laufe der Zeit komplexer, entwickelte sich auch das andere weiter, so dass ein Rückkopplungskreislauf entstand. Dieser führte schliesslich zur menschlichen Sprache sowie zu den einzigartig komplexen Formen der Zusammenarbeit beim modernen Menschen.
Evolutionäre Wurzeln mindestens sieben Millionen Jahre alt
Nicht bekannt ist jedoch, wie weit sich die Beziehung zwischen Kooperation in der Gruppe und verbaler Kommunikation in der evolutionären Vergangenheit des Menschen zurückverfolgen lässt. «Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass diese Beziehung sehr alt ist. Die Verbindung scheint seit mindestens sieben Millionen Jahren zu bestehen, also seit unserem letzten gemeinsamen Vorfahren mit den Schimpansen», fasst Joseph Mine zusammen.
Originalpublikation:
Joseph G Mine, Katie E Slocombe, Erik P Willems, Ian C Gilby, Miranda Yu, Melissa Emery Thompson, Martin N Muller, Richard W Wrangham, Simon W Townsend, Zarin P Machanda. Vocal signals facilitate cooperative hunting by wild chimpanzees. Science Advances. July 29, 2022. DOI: 10.1126/sciadv.abo5553

01.08.2022, Deutsche Umwelthilfe e.V.
Jeder gesichtete Schmetterling zählt: Deutsche Umwelthilfe startet Mitmach-Aktion und fordert insektenfreundlichere Städte
DUH ruft mit Schmetterlingsforscher Dr. Robert Trusch und den NaturFreunden Deutschlands dazu auf, gesichtete Schmetterlingsarten zu melden: https://www.duh.de/schmetterlings-aktion-2022
Wegen intensiver Landwirtschaft, Pestiziden und Überdüngung: Jede zehnte Schmetterlingsart vom Aussterben bedroht – Städte bieten keine Ausweichmöglichkeit
„Einfach mal nichts tun und der Natur freien Lauf lassen“: DUH-Bundesgeschäftsführerin Barbara Metz fordert mehr insektenfreundliche Oasen
Um auf die dramatische Situation der Schmetterlinge aufmerksam zu machen, startet die Deutsche Umwelthilfe (DUH) eine neue Mitmach-Aktion. Vom 28. Juli bis zum 9. September 2022 sind Bürgerinnen und Bürger dazu aufgerufen, Ausschau nach zehn Schmetterlingsarten in ihrer Umgebung zu halten und diese zu melden. Mit der Bestandsaufnahme zur Verbreitung der Schmetterlinge will die DUH den Handlungsdruck zum Schutz dieser wertvollen Insekten erhöhen.
Dazu Barbara Metz, Bundesgeschäftsführerin der DUH: „Es steht nicht gut um die bunten Flatterer. Davor dürfen wir nicht die Augen verschließen und genau darum geht es in unserer Aktion: Wir machen die Notsituation der Schmetterlinge sichtbar. Die gute Nachricht ist: Wir können ganz einfach gegensteuern und zwar indem wir einfach mal nichts tun und der Natur freien Lauf lassen. Weniger Rasenmähen, mehr verwilderte Flächen und heimische nektarreiche Blühpflanzen sind der Schlüssel für Schmetterlings-Oasen. Unsere Bestandsaufnahme liefert wichtige Erkenntnisse für den insektenfreundlichen Umbau unserer städtischen Grünflächen. Deswegen kommt es jetzt auf jeden gemeldeten Fund an!“
Jede zehnte Schmetterlingsart ist vom Aussterben bedroht. Intensive Landwirtschaft, Überdüngung und der massive Einsatz von Pestiziden zerstören ihren Lebensraum, nehmen ihnen die Nahrungsgrundlage und schaden ihrer Gesundheit. In den Städten sieht es nicht viel besser aus: Viele Privatgärten bieten zu wenig Nahrungsquellen für die Falter und ihre Raupen. Dasselbe gilt für öffentliche Grünflächen wie Parks, Friedhöfe, Spielplätze und sogar Schulgelände. Um gegenzusteuern braucht es mehr heimische und nektarreiche Blühpflanzen sowie verwilderte Flächen.
Unterstützt wird die Aktion der DUH von den NaturFreunden Deutschlands sowie dem renommierten Schmetterlingsforscher Dr. Robert Trusch, aktuell tätig am Naturkundemuseum Karlsruhe. „Die Artenvielfalt geht seit Jahrzehnten zurück. Bei einem Spaziergang findet man immer weniger unterschiedliche Schmetterlingsarten. Auch gibt es immer weniger Individuen in Feld und Flur. Deswegen wollen wir mit der Aktion feststellen, ob bestimmte Arten von der Bevölkerung noch gesichtet werden. Jede Beobachtung zählt!“, so Trusch.
Auf Grundlage der übermittelten Fundorte plant die DUH eine digitale Verbreitungskarte. 2023 sollen die Aktion fortgesetzt und die Ergebnisse aktualisiert werden.

02.08.2022, Eberhard Karls Universität Tübingen
Vögel bereicherten den Speiseplan der Neandertaler
Pressemitteilung der Universität Tübingen und des Urgeschichtlichen Museums Blaubeuren: Schlachtspuren auf Knochenfragmenten aus dem Hohle Fels geben Auskunft über das Leben vor 65.000 Jahren – Archäologen der Universität Tübingen präsentieren Funde im Urgeschichtlichen Museum Blaubeuren
Dass die Neandertaler in der Mittleren Altsteinzeit, vor mehr als 65.000 Jahren, auf der Schwäbischen Alb Großwild wie Rentiere, Wildpferde oder Wollnashörner jagten, gilt als wissenschaftlich gesichert. Die Jagd auf flinke, wendige Kleintiere wie Schneehühner oder -hasen hingegen wurde den Neandertalern lange nicht zugetraut. Jetzt haben Ausgrabungen in der Welterbe-Höhle Hohle Fels auf der Schwäbischen Alb nahe Schelklingen für das mittlere Europa die bislang besten Belege für solche Verhaltensweisen erbracht: Auf Vogelknochen fanden sich Schlachtspuren, die von Neandertalern stammen müssen. Das Team von Professor Nicholas Conard aus der Abteilung Ältere Urgeschichte und Quartärökologie der Universität Tübingen hat eine größere Menge rund 65.000 Jahre alter Vogelknochen geborgen, untersucht und bei einer Pressekonferenz am Dienstag als „Fund des Jahres“ vorgestellt. Die Ausgrabungsergebnisse werden in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg veröffentlicht.
Allein im zehnten archäologischen Horizont (AH X) – einer tieferen Sedimentschicht unterhalb der Fundschichten des modernen Menschen, die anhand von Elektronen-Spin-Resonanz-Datierungen auf ein Alter von rund 65.000 Jahren bestimmt wurde – waren 1.187 Vogelknochen gefunden worden. Die meist bruchstückhaft kleinen Knochen stammen von Raufußhühnern, zu denen Schneehühner, Auerhühner und Birkhühner zählen, sowie von Entenvögeln, denen auch Gänse und Schwäne zuzurechnen sind. Insbesondere sechs der Knochen sind etwas Besonderes, da sie eindeutige Werkzeugspuren des Neandertalers zeigen. „Die meisten Spuren sprechen dafür, dass Gelenke auseinandergebrochen und Fleisch vom Knochen gelöst wurde“, sagt Prof. Conard. Während der Großteil der ausgegrabenen Knochen von Raubtieren in die Höhle gebracht worden waren, verraten die sechs Knochen mit den eindeutig menschlichen Schlachtspuren viel über die lang unterschätzte ökologische Anpassungsfähigkeit und die kognitiven Fähigkeiten der Neandertaler, so Prof. Conard weiter: „Wahrscheinlich konnten schon die Neandertaler Vögel jagen, um sich neben dem Fleisch von Pferd, Rentier und anderem Großwild weitere Kalorien- und Nährstoffquellen zu erschließen.“
Die Erkenntnisse aus dem Hohle Fels fügen sich in eine Reihe von archäologischen Funden der vergangenen Jahre ein: Für Südeuropa gelang vor einigen Jahren erstmals der Nachweis, dass die Neandertaler ein größeres Nahrungsspektrum nutzten als bisher bekannt und daher auch gezieltere Jagdstrategien entwickelt haben mussten. Typische Schnitt- und Schabspuren anderenorts legen auch nahe, dass sich Neandertaler mit Vogelfedern und Krallen schmückten. Damit müsse die Annahme, dass die Neandertaler aufgrund ihrer mangelnden geistigen Fähigkeiten und ihres eingeschränkten Ernährungsplans ausgestorben seien, revidiert werden, meint Dr. Stefanie Kölbl, geschäftsführende Direktorin des Urgeschichtlichen Museums Blaubeuren (urmu): „Wir müssen uns vom verbreiteten Bild des muskelbepackten Neandertalers mit einseitiger Vorliebe für Mammutsteaks lösen: Hochintelligente Jagdstrategien, das Bedürfnis nach Schmuck und, wie wir wissen, das Bestatten von Toten – all das weist die Neandertaler als flexible und symbolisch begabte Menschen aus, die weit mehr im Sinn hatten als das blanke Überleben.“
Der „Fund des Jahres“ wird bis 12. September im urmu ausgestellt.
Das urmu liegt inmitten der Steinzeithöhlen, die von der UNESCO 2017 zum Welterbe „Höhlen und Eiszeitkunst der Schwäbischen Alb“ ernannt wurden. Das Museum für altsteinzeitliche Kunst und Musik in Baden-Württemberg und Forschungsmuseum der Universität Tübingen erklärt das eiszeitliche Leben der Jäger und Sammler am Rand der Schwäbischen Alb vor 40.000 Jahren. Prominentestes Exponat ist das Original der „Venus vom Hohle Fels“.
Originalpublikation:
Nicholas J. Conard, Alexander Janas: Fundreiche mittelpaläolithische Schichten und neue Einblicke in Technologie und Subsistenz der Neandertaler im Hohle Fels.
In: Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 2021, Juli 2022, S. 67-72.
Siah Beattie: Middle Palaeolithic Avian Fauna from Hohle Fels and Neanderthal Lifeways. Masterarbeit, Tübingen 2022.

03.08.2022, Goethe-Universität Frankfurt am Main
Wie das Gehirn von Fledermäusen bei der Echoortung auf eingehende Signale lauscht
Wenn Fledermäuse Laute für die Echoortung ausstoßen, moduliert eine Rückkopplungsschleife die Empfänglichkeit der Hörrinde für eingehende akustische Signale. Dies haben Neurowissenschaftler der Goethe-Universität Frankfurt herausgefunden. In einer in der Zeitschrift „Nature Communications“ veröffentlichten Studie zeigen sie, dass sich der Informationsfluss im beteiligten neuronalen Schaltkreis im Zuge der Lauterzeugung umkehrte. Diese Rückkopplung bereitet die Hörrinde wohl auf die zu erwartenden „Echos“ der ausgesandten Laute vor. Die Forscher sehen ihre Ergebnisse als Zeichen dafür, dass die Bedeutung von Rückkopplungsschleifen im Gehirn derzeit noch unterschätzt wird.
Fledermäuse sind berühmt für ihre Ultraschall-Navigation: Sie orientieren sich über ihr äußerst empfindliches Gehör, indem sie Ultraschalllaute ausstoßen und anhand des zurückgeworfenen Schalls ein Bild ihrer Umwelt erhalten. So findet beispielsweise die Brillenblattnasenfledermaus (Carollia perspicillata) die von ihr als Nahrung bevorzugten Früchte über dieses Echoortungssystem. Gleichzeitig nutzen die Fledermäuse ihre Stimme auch zur Kommunikation mit den Artgenossen, wofür sie einen etwas tieferen Frequenzbereich wählen.
Der Neurowissenschaftler Julio C. Hechavarria vom Institut für Zellbiologie und Neurowissenschaft der Goethe-Universität untersucht zusammen mit seinem Team, welche Gehirnaktivitäten bei der Brillenblattnase mit den Lautäußerungen einhergehen. In ihrer neusten Studie haben die Frankfurter untersucht, wie der Stirnlappen – eine Region im Vorderhirn, die beim Menschen unter anderem mit der Planung von Handlungen in Verbindungen gebracht wird – und die Hörrinde, in der akustische Signale verarbeitet werden, bei der Echoortung zusammenarbeiten. Dafür setzten die Forscher den Fledermäusen winzige Elektroden ein, die die Aktivität der Nervenzellen im Stirnlappen und in der Hörrinde aufzeichnete.
Bei Fledermäusen, die Ortungslaute ausstießen, konnten die Forscher eine Rückkopplungsschleife im Netzwerk aus Frontallappen und Hörrinde identifizieren, die bislang völlig unbekannt war. Normalerweise fließt die Information vom Stirnlappen, in dem die Lauterzeugung geplant wird, zur Hörrinde, um diese darauf vorzubereiten, dass demnächst ein akustisches Signal zu erwarten ist. Nach dem Ausstoß eines Ortungslautes reduzierte sich allerdings der Informationsfluss vom Stirnlappen zur Hörrinde, bis er sich ganz umkehrte: Die Information floss nun von der Hörrinde zurück zum Stirnlappen. Vermutlich, so Hechavarria, bereitet diese Rückkopplungsschleife die Hörrinde noch besser auf den Empfang der auf die Ortungslaute folgenden Schallreflexionen vor.
Durch eine elektrische Stimulation des Frontallappens simulierten die Neurobiologen von der Hörrinde stammende Signale. Die dadurch erzeugte Aktivität im Stirnlappen führte tatsächlich dazu, dass die Hörrinde stärker auf Schallreflexionen reagierte. „Das zeigt, dass die von uns gefundene Rückkopplungsschleife funktional ist“, fasst Hechavarria zusammen. Um die Bedeutung der Ergebnisse zu veranschaulichen, greift der Neurobiologe auf das Bild einer Autobahn zurück: „Bislang hat man geglaubt, dass der Informationsfluss auf dieser Datenautobahn in erster Linie in einer Richtung verläuft und Rückkopplungsschleifen die Ausnahme sind. Unsere Daten zeigen, dass diese Sicht vermutlich nicht korrekt ist und Rückkopplungsschleifen im Gehirn eine viel größere Bedeutung haben als bislang angenommen.“
Überraschend war, dass bei Kommunikationslauten keine ausgeprägte Umkehr des Informationsflusses beobachtet werden konnte. „Möglicherweise liegt das daran, dass die Fledermäuse alleine in einer Isolationskammer gehalten wurden und deshalb keine Antwort auf ihre Rufe erwarteten“, vermutet Hechavarria und fährt fort: „Was unsere Studie unter anderem so interessant macht, ist, dass sie neue Wege öffnet, um die sozialen Interaktionen von Fledermäusen zu untersuchen. An dieser Stelle wollen wir zukünftig weiterarbeiten.“
Originalpublikation:
Francisco García-Rosales, Luciana López-Jury, Eugenia Gonzalez-Palomares, Johannes Wetekam, Yuranny Cabral-Calderín, Ava Kiai, Manfred Kössl, Julio C. Hechavarría: Echolocation-related reversal of information flow in a cortical vocalization network. Nature Communications 13, 3642 (2022). https://doi.org/10.1038/s41467-022-31230-6

03.08.2022, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen
Auswirkungen des Klimawandels auf die regionale Zusammensetzung von Vogelarten untersucht
Senckenberg-Wissenschaftler*innen haben mit Kollegen der Technischen Universität München und der Universität Durham (UK) untersucht, wie sich die biologische Artengemeinschaften von Vögeln auf der ganzen Erde in Zukunft zusammensetzen könnten. Sie zeigen in ihrer im Fachjournal „Proceedings of the Royal Society B“ veröffentlichten Studie, dass sich die Vogelgemeinschaften – unter verschiedenen Klimawandel-Szenarien und der daraus resultierenden Verschiebung von Verbreitungsgebieten – bis 2080 weltweit über große Regionen stark verändern werden. Dies hat auch Auswirkungen auf Ökosystemleistungen, wie Samenausbreitung oder Bestäubung von Pflanzen.
Amsel, Kohl- und Blaumeise, Elster und Haussperling – diese häufigen Vögel sind in fast allen Grünflächen des Rhein-Main-Gebiets zu beobachten, aber es gibt auch seltenere Arten wie Storch, Blaukehlchen oder Steinkauz. Doch wie sieht das im Jahr 2080 aus? Wie wirkt sich der Klimawandel auf diese Artengemeinschaften aus? Welche Vogelarten werden wir in Zukunft in Hessen und dem Rest der Welt vorfinden? „In unserer Studie haben wir die Auswirkungen der globalen Erwärmung an Land auf die regionale Verteilung von Vögeln der ganzen Erde untersucht. Dabei standen sowohl die Auswirkungen auf den Artenreichtum als auch auf verschiedene Aspekte der phylogenetischen Vielfalt im Fokus, insbesondere wie nah die Arten miteinander verwandt sind“, berichtet Erstautorin Dr. Alke Voskamp vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum Frankfurt (SBiK-F).
Weltweite Daten von insgesamt 8768 Arten haben die Forschenden ausgewertet, um auf regionaler Ebene zu untersuchen wie viele unterschiedliche Abstammungslinien in Artengemeinschaften verloren gehen oder hinzukommen, wenn Arten dem Klimawandel folgen und sich dadurch ihre Verbreitungsgebiete verschieben, vergrößern oder verkleinern. „Es geht uns in der Studie nicht nur darum, wie viele Arten am Ende vorhanden sind, sondern auch wie divers die Vogelgemeinschaft ist. Zwei Sperlingsarten bilden beispielsweise eine gänzlich andere Gemeinschaft als ein Sperling und ein Steinkauz – die zweite Gemeinschaft ist phylogenetisch und ökologisch sehr viel diverser als die erste“, erklärt Prof. Dr. Susanne Fritz, ebenfalls SBiK-F sowie Goethe-Universität Frankfurt und ergänzt: „Die Vielfalt der Abstammungslinien, also die phylogenetische Struktur der Artengemeinschaft, steht sehr häufig in Beziehung zur Diversität der Eigenschaften von Arten und damit auch zu ihren Rollen und Funktionen in Ökosystemen. Eine Veränderung heißt demnach, dass sich die Ökosystemfunktionen, die Vögel erfüllen, in Zukunft ebenfalls ändern könnten – mit Konsequenzen für Nahrungsnetze ebenso wie für die Samenausbreitung und die Bestäubung von Pflanzen.“
Für die Projektionen der Verschiebungen von Artverbreitungsgebieten und damit der Vogelgemeinschaften auf das Jahr 2080 nutzte das Wissenschaftler*innen-Team zwei mögliche Klimaszenarien – mittlere und niedrige Emissionen von Treibhausgasen – und setzte diese mit den heutigen Klimabedingungen im Verbreitungsgebiet jeder untersuchten Art in Beziehung. Voskamp fasst zusammen: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass der Klimawandel in beiden Szenarien nicht nur die Artenanzahl beeinflusst, sondern auch tiefgreifende Auswirkungen auf die phylogenetische Vielfalt und die Zusammensetzung der Artengemeinschaften haben wird. Auch wenn in unseren Projektionen die Artenverluste in tropischen und subtropischen Gebieten am häufigsten sind, werden phylogenetische Umstrukturierungen von Artengemeinschaften voraussichtlich überall auf der Welt auftreten. So zeigen unsere Modelle beispielsweise für große Teile Europas starke Umstrukturierungen der phylogenetischen Zusammensetzung bis 2080. Diese sind bedingt durch einige regionale Verluste von besonderen Abstammungslinien und weitreichende regionale Einwanderung von Arten, die mit den einheimischen Arten sehr nah verwandt sind und wahrscheinlich mit diesen um lokale Ressourcen wie Nahrung und Nistplätze konkurrieren. Die Erhaltung von lokaler phylogenetischer Vielfalt kann im Umkehrschluss daher ein Schlüssel für die Widerstandsfähigkeit der biologischen Vielfalt gegenüber Umweltveränderungen sein – unsere Daten unterstreichen, dass dies unbedingt bei zukünftigen Naturschutzmaßnahmen berücksichtigt werden sollte!“
Originalpublikation:
Voskamp Alke, Hof Christian, Biber Matthias F., Böhning-Gaese Katrin, Hickler Thomas, Niamir Aidin, Willis Stephen G. and Fritz Susanne A. (2022): Projected climate change impacts on the phylogenetic diversity of the world’s terrestrial birds: more than species numbersProc. R. Soc. B.2892021218420212184
http://doi.org/10.1098/rspb.2021.2184

04.08.2022, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen
Neue Spinnengattung nach David Bowie benannt
Senckenberg-Arachnologe Dr. Peter Jäger hat eine neue Gattung aus der Familie der Kammspinnen nach dem verstorbenen Popmusiker David Bowie benannt – Anlass ist der 75. Geburtstag der Musiklegende. Innerhalb der aus Asien stammenden Gattung Bowie gen. nov. hat er 54 Spinnenarten neu beschrieben und nach Bowies musikalischem Werk benannt. Der Frankfurter Spinnenforscher möchte mit der Benennung auf die noch größtenteils unerforschte Vielfalt und den Schutz der Achtbeiner aufmerksam machen. Die Studie erscheint heute im Fachjournal „Zootaxa“.
Zu der Familie der Kammspinnen (Ctenidae) zählen sowohl kleinere Vertreter von nur zwei Millimetern Körperlänge als auch vergleichsweise große Spinnen mit bis zu fünf Zentimetern Länge, die alle vorzugsweise in den Tropen verbreitet sind. Kammspinnen sind nachtaktiv, leben nomadisch und jagen freilaufend ohne Netz. Prominentester Vertreter dieser Familie ist wohl die „Brasilianische Wanderspinne“, welche zu den wenigen Spinnen zählt, deren Biss auch für den Menschen lebensbedrohlich sein kann.
„Bei der Untersuchung von Arten einer vorwiegend aus Asien stammenden Linie aus dieser Familie wurde schnell klar, dass sie sich keiner bisherigen Gattung zuordnen lassen“, erklärt Arachnologe Peter Jäger vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt und fährt fort: „Ich habe daher diese neue Gattung David Bowie gewidmet und sie schlicht Bowie genannt“.
Es ist nicht das erste Mal, dass Jäger seinen achtbeinigen Neuentdeckungen prominente Namen gibt: Unter anderem ehrte er bereits Greta Thunberg, Nina Hagen, Loriot und Udo Lindenberg als Namenspaten. Mit der Riesenkrabbenspinnenart Heteropoda davidbowie bekannte sich der Frankfurter Spinnenforscher schon 2008 als Fan des 2016 verstorbenen Musikers. Warum nun also noch eine ganze Spinnengattung David Bowie widmen? „Ich wollte anlässlich des 75. Geburtstags Bowies an diesen unvergleichbaren und viel zu früh verstorbenen Künstler erinnern, aber vor allem zählt für mich hier der Naturschutzgedanke: Wir schützen nur, was wir kennen – und ein attraktiver Name bleibt eher in der Erinnerung!“, erläutert Jäger.
Mit den 54 neu beschriebenen Arten ist Bowie gen. nov. jetzt die zweitgrößte Gattung innerhalb der Familie der Kammspinnen. Die Arten finden sich von Nepal und Südindien, über große Teile Süd- und Südostasiens bis nach Papua-Neuguinea. Eine unbeschriebene Art ist zudem aus dem nördlichen Australien bekannt. Die Vertreter der neuen Gattung leben in der Laubstreu von Wäldern, wobei die meisten Arten ein kleines Verbreitungsgebiet haben, das in der Regel innerhalb eines Radius von 100 Kilometern liegt. „Gerade diese endemischen, nur in einem bestimmten Gebiet vorkommenden, Arten gelten als potenziell gefährdet – schon kleine Veränderungen in ihrem begrenzten Lebensraum können zum Aussterben führen“, ergänzt Jäger.
Die neubeschriebenen Arten tragen in Anlehnung an die Hits oder Charaktere des Musikers Namen wie Bowie ziggystardust, Bowie majortom oder Bowie heroes. Dabei sind es im Nordwesten des Verbreitungsgebietes die älteren Bowie-Songs, die den Spinnenforscher zur Benennung inspiriert haben, in der Mitte finden sich Namen wie Bowie teenagewildlife oder Bowie chinagirl, während im Südosten in Neuguinea des späten Oeuvres mit Bowie lazarus und Bowie blackstar gedacht wird. „Wir gehen davon aus, dass es noch einige unbekannte Arten dieser Gattung gibt. Wer sich – wie Bowie – unsterblich machen und mit ‚dessen‘ Spinnen in einer Reihe genannt werden möchte, kann dies im Rahmen des Patenschaftsprogramms BIOPAT gegen eine Spende verwirklichen. Das mit dem Programm eingenommene Geld nutzen wir, um in enger Zusammenarbeit mit lokalen Wissenschaftler*innen die Tier- und Pflanzenarten in ihren natürlichen Lebensräumen zu erforschen. Zudem werden lokale Fachleute dabei unterstützt, die bedrohten Habitate der Arten zu schützen und so die Vielfalt unseres Planeten zu bewahren“, schließt Jäger.
Originalpublikation:
Jäger, P. (2022) Bowie gen. nov., a diverse lineage of ground-dwelling spiders occurring from the Himalayas to Papua New Guinea and northern Australia (Araneae: Ctenidae: Cteninae). Zootaxa, 5170 (1), 1–200. https://doi.org/10.11646/zootaxa.5170.1.1

09.08.2022, Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels
Spurensuche nach alten Abstammungslinien von Pseudoskorpionen in den tropischen Wäldern Westindiens
Die tropischen Wälder der Westghats, einer riesigen Gebirgskette in Westindien, sind die Heimat vieler diverser, insbesondere endemischer Arten. Forschende des LIB haben zum ersten Mal die Verbreitung von Pseudoskorpionen in dieser Region vor dem Hintergrund geoklimatischer Schwankungen und des Kontinentaldrifts analysiert. In „Molecular Phylogenetics and Evolution“ wurde diese Studie jüngst veröffentlicht. Dabei fanden sie Hinweise auf alte Artenlinien dieser Spinnentiergruppe.
Die Studie liefert die erste historisch-biogeografische Analyse von Pseudoskorpionen in den Westghats von Indien und trägt grundlegende Informationen über die Diversifizierung von Bodenarthropoden in diesem Hotspot der Biodiversität zusammen. Dabei bestätigt die Studie, dass diese tropischen Wälder während Klimaschwankungen und über verschiedene Aussterbeperioden hinweg, vielen Arten als wichtige Rückzugsorte dienten. Die Analysen unterstreichen auch die Bedeutung der Wälder der Westghats als evolutionäre „Museen“, die alte Linien beherbergen, und als „Artenpumpe“, die offenbar die Entstehung neuer Arten fördert.
Obwohl Forschende in der Vergangenheit viele phylogenetischen Studien in diesen Hotspot der Biodiversität durchgeführt haben, konzentrierten sich die meisten auf „Flaggschiff“-Arten wie Wirbeltiere. Die Prozesse hingegen, die die Diversitätsmuster der wirbellosen Tiere beeinflussen, wurden kaum untersucht. Diese Studie über Pseudoskorpione ist deshalb besonders interessant, weil sich diese Gliederfüßer wegen ihrer geringen Anpassungsfähigkeit an Feuchtigkeits- und Temperaturschwankungen kaum geografisch ausbreiten. Neue Arten entwickeln sich in der Regel in verschiedenen Mikrohabitaten.
Die meisten Pseudoskorpionarten aus Indien wurden erst vor mehr als einem halben Jahrhundert beschrieben. Seitdem wurden keine größeren Studien mehr durchgeführt. „Über die Biologie und Ökologie der hier vorkommenden Arten ist nichts bekannt“, erklärt Jithin Johnson, Doktorand am LIB und Erstautor der Studie. „So konnte ihre ökologische Rolle in Böden und Habitaten mit Laubstreu nicht bewertet werden.“
Bislang sind weniger als 20 Arten aus den Westghats von Indien bekannt. Allein die aktuelle Studie identifiziert mehr als 20 mögliche neue Arten der Region. Johnson: „Das zeigt, wie unterschätzt die Vielfalt in der Region ist.“ Darüber hinaus habe die Studie bei der Identifizierung von Gebieten mit hoher Vielfalt und genetischem als auch artenspezifischem Endemismus sowie Refugien mit klimatischer und geologischer Stabilität geholfen. „Das ist bei der Festlegung von Prioritäten für Schutzmaßnahmen der Pseudoskorpione und der wirbellose Fauna im Allgemeinen hilfreich“, betont Johnson.
In der Studie konzentrieren sich die Forschenden exemplarisch auf die Evolutionsgeschichte einer alten und weit verbreiteten Gruppe von Pseudoskorpionen (Tribus Tyrannochthoniini) in den Westghats und präsentieren die erste datierte Phylogenie der Gruppe. Dabei stützen sie sich auf eine Reihe von biogeografischen Untersuchungen und Diversifizierungsanalysen, die auf Pseudoskorpionen aus den tropischen Wäldern Indiens sowie aus Afrika, Ost- und Südostasien, Australasien und der Neotropis basieren. Sie zeigen, wie alte Artenlinien trotz drastischer Klimaveränderungen in der späten Kreidezeit überdauerten und wie die Kontinentalverschiebung zu einer Trennung der Linien führte. Der Studie zufolge, zeigen einige Pseudoskorpionfamilien, die in den Westghats gefunden wurden, deutliche Muster, die an die Kontinentalverschiebung erinnern.
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Pseudoskorpione des Tribus Tyrannochthoniini ihren Ursprung auf Gondwana haben, einem Paläokontinent, der in der Frühzeit der Erdgeschichte die südliche Hemisphäre beherrschte. Später wurden die Artenlinien mit der Abtrennung Indiens von Afrika während der Jurazeit getrennt, und die Arten der Westghats begannen sich auf der driftenden indischen Platte zu diversifizieren. Darüber hinaus legt die Studie nahe, dass der große geografische Bruch in den Westghats – die „Palghat-Lücke“ – bei der Gestaltung der Diversitätsmuster von Tieren wie Bodenarthropoden eine Rolle spielt.
Originalpublikation:
https://doi.org/10.1016/j.ympev.2022.107495

09.08.2022, Universität Konstanz
Können Springspinnen träumen?
Die Konstanzer Biologin Dr. Daniela Rößler und ihr Team haben bei Springspinnen einen REM-Schlaf ähnlichen Zustand entdeckt und tragen damit zum besseren Verständnis der Evolution des Schlafs bei Tieren bei
Können Spinnen träumen? Aktuelle Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass Springspinnen in der Lage sind, ähnlich wie wir Menschen zu träumen. Die Konstanzer Biologin Dr. Daniela Rößler und ihr Team können einen aktiven schlafähnlichen Zustand bei Springspinnen (Evarcha arcuata) nachweisen, der dem aktiven REM-Schlaf des träumenden Menschen ähnelt. Die Dokumentation eines dem REM-Schlaf ähnlichen Verhaltens bei einem wirbellosen Landtier trägt zu einem besseren Verständnis der Evolution des Schlafs bei Tieren bei und wirft die Frage auf, ob Springspinnen visuelle Träume erleben. Die Ergebnisse wurden am 8. August 2022 im Wissenschaftsjournal PNAS veröffentlicht.
Der REM-Schlaf (Rapid Eye Movement) wurde bei Säugetieren und Vögeln eingehend untersucht und bei Reptilien und Kopffüßern dokumentiert. Da viele Tiere, darunter auch Gliederfüßer, keine beweglichen Augen haben, ist ein umfassender Vergleich aktiver, schlafähnlicher Zustände zwischen den Tierstämmen schwierig. Während Springspinnen nicht in der Lage sind, die Linsen ihrer Augen zu bewegen, können sie jedoch ihre sogenannten Netzhautröhren bewegen, um ihren Blick anzupassen.
Phasen deutlicher Netzhautbewegungen
Die Autor*innen nahmen nächtliche Infrarot-Aufnahmen von 34 jungen Springspinnen auf und analysierten sie. Da die Haut der frisch geschlüpften Spinnen noch keine Pigmentierung aufweist, konnten die Autor*innen die Netzhäute der Spinnen direkt beobachten. Die Spinnen zeigten Phasen deutlicher Netzhautbewegungen, die in sehr regelmäßigen Abständen auftraten. Die Länge dieser Phasen nahm im Laufe der Nacht zu.
Die beobachteten Netzhautbewegungen gingen stets mit unkontrollierten Körperbewegungen einher, etwa mit dem Einrollen der Beine oder dem Zucken einzelner Gliedmaßen sowie der sogenannten Spinnwarzen. Hier finden sich erstaunliche Ähnlichkeiten zum REM-Schlaf bei anderen Tieren. Die Autoren beobachteten ähnliche Beinbewegungen in regelmäßigen Abständen auch bei erwachsenen Springspinnen.
Originalpublikation:
Rößler, D.C., Kim, K., De Agrò, M., Jordan, A., Galizia, C.G., Shamble, P.S.: Regularly occurring bouts of retinal movements suggest an REM sleep-like state in jumping spiders. PNAS Vol. 119, Nr. 33. DOI: https://doi.org/10.1073/pnas.2204754119

09.08.2022, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen
Ökologische Kontinuität zwischen Orang-Utans und ausgestorbenen Vorfahren zeigt Abhängigkeit von intakten Regenwäldern
Ein internationales Forschungsteam mit Prof. Hervé Bocherens vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen und der von ihm betreuten Doktorandin Sophie G. Habinger hat im Rahmen des Kooperationsprojektes EVEPRIMASIA der Universitäten Tübingen und Poitiers (Frankreich) den Lebensraum von Orang-Utan-Vorfahren im heutigen Myanmar rekonstruiert. Die Ergebnisse der jetzt in der Fachzeitschrift „Scientific Reports“ veröffentlichten Studie verdeutlichen die Abhängigkeit der Orang-Utans von intakten Waldflächen und die Notwendigkeit, ihre letzten Rückzugs- und Lebensräume zu schützen.
Im Unterschied zu anderen Menschenaffen wie Gorillas oder Schimpansen sind von Orang-Utans (Pongo) gleich mehrere fossile Vorfahren bekannt. Heute sind Orang-Utans nur noch auf den südostasiatischen Inseln Borneo und Sumatra heimisch und dort stark bedroht. „Das Verbreitungsgebiet ihrer Vorfahren im späten Miozän dagegen erstreckte sich über ein riesiges Gebiet von der Türkei, über das östlichste Pakistan, Indien, Nepal und Myanmar bis nach Thailand“, berichtet Paläobiologin Sophie Habinger. Im Zentrum der Studie steht der Orang-Utan-Vorfahr Khoratpithecus ayeyarwadyensis, dessen Fossilien in der Irrawaddy-Formation im heutigen Myanmar gefunden wurden, sowie weitere fossile Vertreter der Subfamilie Ponginae wie Indopithecus, Sivapithecus und Gigantopithecus. Die Rekonstruktion ihres Lebensraums und dessen Nutzung ermöglicht wichtige Rückschlüsse für die Bedürfnisse und den Schutz heutiger Orang-Utans: „Um effiziente Strategien zum Schutz bedrohter Arten auszuarbeiten, brauchen wir ein gutes Verständnis ihrer ökologischen Flexibilität. Ein Weg, an diese Information zu gelangen, ist die Erforschung der Ökologie ihrer Vorfahren“, erläutert Letztautor Hervé Bocherens.
Die Forschenden nutzten ein Verfahren zur Messung stabiler Kohlenstoff- und Sauerstoff-Isotope in fossilem Zahnschmelz, um den Lebensraum des Orang-Utan-Vorfahren K. ayeyarwadyensis und der ihn umgebenden Säugetierfauna zu rekonstruieren: Im späten Miozän war das Gebiet der Irrawaddy-Formation – heute eine eher karge Region – ein Mosaik von dichten und offeneren Waldflächen, unterbrochen von Flussläufen. Seine Nahrung aus Früchten und Blättern suchte K. ayeyarwadyensis wohl in den oberen Bereichen des Baumkronendachs. „Damit war der Lebensraum von K. ayeyarwadyensis dem heutiger Orang-Utans sehr ähnlich. Insgesamt zeigt der Vergleich auch mit anderen Vorfahren wie Sivapithecus, dass sich die ökologischen Nischen der Arten ähneln: Alle sind Baumbewohner, die sich hauptsächlich von Früchten ernähren. Gleichzeitig konnten wir auch sichtbare Unterschiede bei der Nutzung des Lebensraums rekonstruieren – beispielsweise bei der Nahrungszusammensetzung – und damit eine Anpassung an eine ganz bestimmte Nische“, berichtet Bocherens.
Im Laufe des Pleistozäns verschob sich der Lebensraum der Ponginae nach Süden, vermutlich bedingt durch ein stetig kühler und trockener werdendes Klima, das die Vegetation veränderte und die Waldflächen ausdünnte. Die Vorfahren der Orang-Utans verschwanden. „Die Ergebnisse unserer Studie deuten auf eine ökologische Kontinuität zwischen allen fossilen und heute lebenden Ponginae hin. Dabei legt die Verschiebung des Verbreitungsgebietes innerhalb der letzten 10 Millionen Jahre eine geringe Toleranz dieser Gruppe für weniger bewaldete und trockenere Ökosysteme nahe“, erklärt Olivier Chavasseau von der Université de Poitiers. Habinger führt aus, was diese Erkenntnisse für die heute lebenden Orang-Utans bedeuten: „Die Orang-Utans auf Sumatra und Borneo sind beständigem Druck durch den Menschen und den Verlust von Lebensraum ausgesetzt. Wenn auch dort der Wald durch Rodungen immer weiter fragmentiert wird, droht den Orang-Utans dasselbe Schicksal wie ihren Vorfahren: Sie werden aussterben. Hier müssen effiziente Maßnahmen zum Schutz ihres Lebensraums entgegenwirken.“
Originalpublikation:
Habinger, S.G., Chavasseau, O., Jaeger, JJ. et al. Evolutionary ecology of Miocene hominoid primates in Southeast Asia. Sci Rep 12, 11841 (2022).
https://doi.org/10.1038/s41598-022-15574-z

09.08.2022, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.
Networking unter Fledermäusen – Gemeinsame Nahrungssuche führt schneller zum Erfolg
Soziale Jagdstrategien sind bereits bei vielen Tierarten, deren Beute sich unvorhersehbar in der Landschaft verteilt, gut dokumentiert. In einer neuen Forschungsarbeit weisen Manuel Roeleke und sein Team von der Universität Potsdam und dem Leibniz-IZW nun erstmalig nach, dass sich Tiere – in diesem Fall die Fledermausart Großer Abendsegler –zu einem mobilen sensorischen Netzwerk zusammenschließen, um gemeinsam ihre Chancen auf Beutefang zu erhöhen. Die heute in der Fachzeitschrift „PNAS“ veröffentlichten Untersuchungen belegen, dass Beutegreifer durch flexible Jagdstrategien in der Lage sind, sich über eine Vernetzung mit Artgenossen unterschiedlichen Umweltbedingungen anzupassen.
Viele Beutegreifer müssen täglich ihre Nahrung finden. Ist die Beute unregelmäßig in der Landschaft verteilt und nur für kurze Zeit verfügbar, erscheint diese Aufgabe wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Tiere, die von solch unvorhersehbaren Beutevorkommen abhängen, haben daher oft soziale Strategien zur Nahrungssuche entwickelt: Während der Suche stehen die Tiere miteinander in Kontakt und tauschen Informationen über ihre Umwelt aus. Ein internationales Forschungsteam unter Leitung der Universität Potsdam und des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) beobachtete nun erstmals, dass sich Fledermäuse der Art Großer Abendsegler (Nyctalus noctula) während der Nahrungssuche zeitweise zu mobilen, sensorischen Netzwerken zusammenschließen. „Der Große Abendsegler eignet sich besonders gut für derartige Untersuchungen, denn seine Beute – Insektenschwärme – verteilt sich völlig unvorhersehbar im offenen Luftraum“, erklärt der leitende Autor des Aufsatzes, Manuel Roeleke. „Zudem ist die Distanz, über welche die Fledermäuse die Insekten per Ultraschall orten können, mit etwa 10 -15 Metern relativ klein. Das erschwert ihnen das Aufspüren ihrer Beute. Dahingegen nehmen die Tiere ihre eigenen Artgenossen über sehr viel größere Entfernungen, im Idealfall bis zu 160 Meter, wahr. Die Suche in der Gruppe sollte demnach einfacher sein.“
Insgesamt untersuchten die Forschenden die Flugmuster von 81 Fledermäusen. Möglich wurde das durch kleine Radiosender, die Signale an einen Verbund von Antennen senden. Florian Jeltsch von der Universität Potsdam erklärt: „Mit dem hochmodernen ‚ATLAS‘-System können wir die Bewegung dutzender Tiere zeitgleich aufnehmen. Dank der großartigen Unterstützung lokaler Landwirte und Privatpersonen können wir die Tracking-Technologie seit 2018 in der Uckermark betreiben – eine einzigartige Chance, um Tierbewegungen und Artenvielfalt in der europäischen Kulturlandschaft zu erforschen.“ Sein Kollege Christian Voigt vom Leibniz-IZW ergänzt: „Mit dem ‚ATLAS‘-System ist es nun möglich, die Interaktionen von Fledermäusen im Flug aufzunehmen. Unsere Daten konnten die Theorie der mobilen sensorischen Netzwerke bestätigen: Während der Insektensuche fächern sich die Fledermäuse auf, bleiben aber akustisch in Kontakt und passen falls nötig ihre Flugbahnen einander an, um ein möglichst großes Gebiet absuchen zu können.“ Findet ein Tier im Netzwerk also einen Schwarm Beuteinsekten, bekommen das die Nachbarn über Veränderungen in den Flugbewegungen und anhand speziell zur Insektenjagd genutzter Ultraschallrufe mit, wodurch nach und nach alle Tiere im sensorischen Netzwerk auf das lohnende Jagdgebiet aufmerksam werden.
Das Forschungsteam verglich die Effizienz der Nahrungssuche von „vernetzten“ Fledermäusen mit der von Einzeljägern in Abhängigkeit von Gruppengröße und Nahrungsverteilung. Dafür nutzten sie ein von Mitautorin Cara Gallagher entwickeltes Computermodell, welches auf den empirisch ermittelten Bewegungsmustern basiert. „Sich zu vernetzen und auszutauschen, erwies sich für die Fledermäuse besonders sinnvoll, wenn die Nahrungsquellen räumlich weit verteilt waren“, erklärt Roeleke. „So zeigt unser Modell, dass ‚vernetzte‘ Tiere 40% weniger Zeit brauchten um Beute aufzuspüren als Fledermäuse, die ihre Artgenossen während der Jagd ignorierten.“ Durch die Jagd in der Gruppe können die Fledermäuse auch in großräumigen Kulturlandschaften Beute finden und tragen dabei effektiv zur Kontrolle landwirtschaftlicher „Schad“insekten bei. Dazu ist aber ein konsequenter Schutz dieser Tiere und ihrer Quartierverbünde notwendig. Wird die lokale Population zu klein, ist es den Tieren nicht mehr möglich, effiziente Netzwerke zu bilden. Als Einzelgängern fällt es den Tieren dann schwer, schnell und zuverlässig Nahrung zu finden.
Originalpublikation:
Roeleke M, Schlägel UE, Gallagher C, Pufelski J, Blohm T, Nathan R, Toledo S, Jeltsch F, Voigt CC (2022): Insectivorous bats form mobile sensory networks to optimize prey localization: the case of the common noctule bat. PNAS 119 (33) e2203663119. DOI: 10.1073/pnas.2203663119

09.08.2022, NABU
Vogelgrippe trifft auf Patient Meer
Miller: Nur konsequenter Schutz kann betroffene Vogelarten retten
Die Vogelgrippe grassiert unter Basstölpeln, Brandseeschwalben, Flussseeschwalben, Kormoranen und anderen Meeresvögeln. Bereits im Mai waren in Deutschland die ersten Verdachtsfälle des Hochpathogenen Aviären Influenza-Virus (HPAIV) vom Typ H5N1 außerhalb der sonst üblichen Jahreszeit gemeldet worden. 35 tote Brandseeschwalben wurden auf der Insel Trischen gefunden. Zuvor gab es besorgniserregende Fundzahlen aus den Niederlanden und Großbritannien. Der NABU fordert angesichts der Ausbreitung der Seuche Maßnahmen zum Schutz der Wildvögel.
„Hauptamtliche und ehrenamtliche Vogelschützer können dem Sterben der Tiere nur machtlos zusehen. Der einzelne Vogel lässt sich nicht behandeln und retten. Doch dass diese Tragödie ganze Vogelpopulationen an die Schwelle des Verschwindens bringt, kann nur geschehen, weil die Nord- und Ostsee mit ihren Lebensgemeinschaften durch Eingriffe des Menschen an ihren Belastungsgrenzen sind“, so NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller. Überfischung, die Vermüllung der Meere, mariner Rohstoffabbau, Störungen durch Schiffsverkehr und der Ausbau der Offshore-Windenergie sind wesentliche Treiber für den Verlust von Brut-, Nahrungs- und Rastgebieten für Meeres- und Küstenvögel.
In diesem Jahr ist besonders auffällig, dass die Erkrankung mitten in der Brutzeit zuschlägt und vor allem da sehr hohe Verluste verursacht, wo Vögel in Kolonien dicht beieinander brüten. Wenn Altvögel erkranken und sterben, sind auch die Jungen im Nest oft direkt oder indirekt durch Nahrungsmangel dem Tod geweiht. In der einzigen deutschen Basstölpelkolonie auf Helgoland wurden beispielsweise bis Ende Juli bereits über 170 tote Jungvögel gefunden. Der Virustyp könnte möglicherweise endemisch werden, also zukünftig nicht nur saisonal, sondern ganzjährig auftreten. Übertragungen auf räuberische Säugetiere sind in Einzelfällen nachgewiesen.
Das fatale Sterben ganzer Brutkolonien zeigt, wie fragil das System Meer ist. Jetzt muss es darum gehen, einen entscheidenden Beitrag zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit von Seevogelpopulationen, aber auch anderen Artengruppen, dem Meer und seiner Systemfunktionen zu leisten. Für Basstölpel, Brandseeschwalbe & Co heißt das, die Fischerei – besonders mit Grundschleppnetzen und auf wichtige Beutefische wie Sandaale – muss wirksam reguliert werden. Außerdem muss der Verlust von Rast- und Nahrungsgebieten verhindert und der Ausbau der Windenergie darf nur außerhalb von Schutzgebieten und wichtigen Wanderkorridoren vorangetrieben werden. Nur wenn das gelingt, können so massive Ausfälle wie aktuell beobachtet von den Populationen kompensiert werden.
Auch akute Maßnahmen zur Eindämmung der Vogelgrippe müssen getroffen werden. Ein nationaler Reaktionsplan für HPAIV-Varianten wie H5N1 bei Wildvögeln sollte für alle Bundesländer ausgearbeitet werden, einhergehend mit einem Informationsaustausch zwischen den Ländern, aber auch mit anderen europäischen Staaten. „Wir brauchen ein wirksames Monitoring-, Überwachungs-, Forschungs- und Meldesysteme, um ein Echtzeitwissen über das Virus und seine Entwicklung bei Wildvögeln aufzubauen. Nicht zuletzt müssen potenziell hochriskante Faktoren zur Übertragung aus der Geflügelhaltung eliminiert werden“, fordert NABU-Vogelschutzexperte Martin Rümmler.

09.08.2022, Deutsche Wildtier Stiftung
Im Spätsommer werden Moore zur Kinderstube bedrohter Arten
Die jungen Moorfrösche und Libellen sind geschlüpft, Kreuzotter und Mooreidechse bekommen Nachwuchs, Spinnen haben Paarungszeit
Wer als Moorkieker – („kieken“ = norddeutsch für gucken) – im August unterwegs ist, kommt aus dem Staunen nicht mehr raus. So still einem diese besondere Landschaftsform – das Moor – von außen vorkommen mag, so herrscht bei genauem Hinsehen doch an jeder Ecke reges Leben. Kommen Sie mit auf einen Naturspaziergang durchs Aschhorner Moor bei Stade in Niedersachsen. Es steht stellvertretend für viele andere Moore in Deutschland.
Hier hüpfen im Hochsommer die jungen Moorfrösche (Rana arvalis) herum. Die Jungtiere haben wie fast alle Amphibienarten ihre Metamorphose nun abgeschlossen und ihre Fortpflanzungsgewässer verlassen. An Land teilen sie sich mit allen anderen ausgewachsenen Fröschen den Sommerlebensraum und schnappen nach fetter Beute: Regenwürmer, Käferlarven, Spinnen oder Blattläuse, Wanzen und Hundertfüßer stehen auf dem Froschspeiseplan. Auch die schlanke Hochmoor-Mosaikjungfer (Aeshna subarctica), die zu den in Deutschland vom Aussterben bedrohten Libellenarten zählt, bevorzugt Hoch- und Übergangsmoore als Lebensraum. Sie verbleibt bis zu vier Jahre lang bis zur Geschlechtsreife als Larve in ihrem Fortpflanzungsgewässer. Ist sie geschlüpft, beginnt die Paarungszeit. Die Mooreidechse (Zootoca vivipara), die andernorts auch Waldeidechse genannt wird, liebt ihre Sonnenbäder auf den Ästen alter Bäume oder Totholzinseln. Als einzige der heimischen Eidechsenarten ist sie lebendgebärend. Aus bis zu zehn dünnen Eihüllen, die bei der Geburt aufplatzen, schlüpfen fertige kleine Reptilien, die sofort selbstständig sind und sich auf die Jagd nach Insekten und Spinnen begeben. Die Kreuzotter (Vipera berus) tut es der Echse gleich: Sie bringt jetzt im August ihren etwa 15 Zentimeter langen Nachwuchs zur Welt. Wespen- und Kreuzspinnen weben ihre Netze unermüdlich zwischen festen Gräsern und Ästen und bereiten sich auf den Altweibersommer vor. Beide Arten zählen zu den Radnetzspinnen, deren Paarungszeit im August beginnt. Das Paarungsritual der Kreuzspinne sucht seinesgleichen: Das Männchen spinnt an das Netz des Weibchens einen Bewerbungsfaden. Zupft es in einer ganz speziellen Weise daran, erkennt die Angebetete das Liebeswerben und seilt sich paarungsbereit zum Bräutigam herab.
„Entwässerung, Nährstoffeinträge, intensive Landnutzung wie auch der Klimawandel bedrohen unsere heimischen, seltenen Moore und damit auch viele Tierarten“, sagt Professor Dr. Klaus Hackländer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Wildtier Stiftung. Die Stiftung schützt Moore: Ende 2021 konnte sie mit Mitteln des Bundes das 471 Hektar große Wildnisgebiet Aschhorner Moor erwerben. So leistet sie einen Beitrag zur Umsetzung des Zwei-Prozent-Wildnisziels im Rahmen der Nationalen Biodiversitätsstrategie der Bundesregierung. Im nächsten Jahr wird es im Auftrag der Stiftung eine Erfassung aller Libellen und Froscharten auf der Fläche geben. Beide Artengruppen sind gute Zeiger für das Ökosystem Moor. Sie wollen das Naturwunder Aschhorner Moor selbst live erleben? Die Moorkieker bieten Rundfahrten an: https://verein-naturerlebnisse.de/moorkieker/

10.08.2022, Universität Konstanz
Der soziale Faktor der Tierwanderungen
Soziale Einflüsse spielen bei Tierwanderungen eine entscheidende Rolle – dies zeigen Konstanzer Wissenschaftlerinnen durch die Zusammenführung von 100 Forschungspublikationen
Eine breite Spanne an Tierarten begibt sich auf große Wanderschaft – von kleinsten Insekten bis hin zu den größten Meeressäugetieren unseres Planeten. Auf ihrer Reise müssen die Tiere an Land, im Wasser oder in der Luft komplexe Landschaften durchqueren. Dies erfordert viele Entscheidungen – wohin, wann und warum sie die Wanderschaft antreten. Die Vielfalt an Tierwanderungen ist groß. Nichtsdestotrotz konzentrieren sich die meisten Forscher*innen, die Tiermigration untersuchen, auf ganz bestimmte Arten oder Gruppen von wandernden Tieren.
Um besser zu verstehen, inwiefern soziale Interaktionen die Tierwanderungen beeinflussen, führte ein Team von Konstanzer Wissenschaftlerinnen daher Forschungsergebnisse aus 100 Publikationen zusammen, die ein weites Feld an Arten und Ökosystemen behandeln. Ihr Übersichtsartikel legt nahe, dass soziale Interaktionen und soziales Lernen während der Wanderschaft weiter verbreitet sind, als bisher angenommen wurde.
Die Forschung fand am Exzellenzcluster „Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour“ der Universität Konstanz und am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie statt. Der Übersichtsartikel wurde am 2. August 2022 in der Wissenschaftszeitschrift „Trends in Ecology and Evolution“ veröffentlicht: https://www.cell.com/trends/ecology-evolution/fulltext/S0169-5347(22)00141-0
Zentrale Befunde:
– Die Wanderschaft stellt Tiere vor eine einzigartige Herausforderung, in der soziale Interaktion besonders vorteilhaft ist. So sind Tierwanderungen beispielsweise häufig an die Jahreszeiten gekoppelt, so dass die verfügbare Zeit, um auf eigene Faust zu erkunden und zu lernen, begrenzt ist.
– Tierwanderungen sorgen für Interaktionen zwischen Individuen, die ansonsten nicht miteinander umgehen würden. Dies bietet ihnen Gelegenheiten, um Informationen auszutauschen und voneinander zu lernen. So fliegen zum Beispiel manche Singvögel, von denen man glaubte, dass sie alleine reisen, während nächtlicher Wanderzüge in Massen durch die Luft. In ähnlicher Weise ändern Tiere, die während anderer Jahreszeiten eigentlich territorial sind, ihr Verhalten während der Wanderschaft. Die miteinander getakteten Wanderbewegungen bringt Individuen aus unterschiedlichen Gruppen, Familien, Populationen und Arten zusammen.
-Tiere gewinnen während der Wanderschaft auf ganz unterschiedliche Art und Weise Informationen von anderen Individuen, um ihre eigene Leistung zu verbessern. Selbst Tiere, die alleine reisen, können von sozialen Interaktionen profitieren: zum Beispiel im Fall des Blauwals, der auf den Gesang ferner Tiere hört, oder im Fall von Raubtieren, die der Duftspur anderer einzelgängerischer Raubtiere folgen. Wandertiere können sowohl von Artgenossen als auch von Tieren anderer Arten lernen.
Die Konstanzer Forscherinnen sehen ein großes Potenzial in „next-generation tracking“-Methoden (fortgeschrittene Besenderungstechniken), um die sozialen Interaktionen zwischen Tieren zu ergründen. „Next-generation tracking“ umfasst unter anderem Ansätze wie die Beobachtung der kompletten Lebensspanne von Tieren sowie auch die GPS-Besenderung von ganzen Tiergruppen in freier Wildbahn. Diese Methoden vereinen die Vorteile von technologischem Fortschritt in der Tierbesenderung mit neuartigen experimentellen Ansätzen bei wissenschaftlichen Studien.
Der Übersichtsartikel macht ferner darauf aufmerksam, dass die Wiederansiedlung und Umsiedlung von Tierarten wichtige Gelegenheiten sind, um die sozialen Aspekte von Tiermigration zu erforschen. Die Autorinnen ermutigen künftige Forschungsprojekte dazu, solche Gelegenheiten zu nutzen, um neue Erkenntnisse über Tierwanderungen zu gewinnen und dadurch einen Beitrag zu leisten, Tierwanderschaften auf unserem Planeten zu schützen und zu erhalten.
Originalpublikation:
Ellen O. Aikens , Iris D. Bontekoe, Lara Blumenstiel, Anna Schlicksupp, and Andrea Flack: Viewing animal migration through a social lens, in: Trends in Ecology & Evolution, 2 August 2022
Link: https://www.cell.com/trends/ecology-evolution/fulltext/S0169-5347(22)00141-0
DOI: 10.1016/j.tree.2022.06.008,

11.08.2022, Universität Bern
Wie die Biodiversität in Weinbergen am besten gefördert wird
Forschende der Universität Bern haben untersucht, wie sich eine biologische, biodynamische und konventionelle Bewirtschaftung in Weinbergen auf die Insektenfauna auswirkt. Sie konnten zeigen, dass biologische – und in einem geringeren Masse auch biodynamische – Bewirtschaftung bessere Lebensraumbedingungen für die Insekten bietet als konventionell bewirtschaftete Weinberge.
Weinberge werden zumeist entweder konventionell, biologisch oder biodynamisch bewirtschaftet. Konventionell bedeutet, dass synthetischer Dünger und Pestizide erlaubt sind. Zudem werden häufig Herbizide, also Unkrautmittel, eingesetzt, um eine allfällige Konkurrenz um Nährstoffe und Wasser zwischen den Reben und der Bodenvegetation zu verhindern. Im Gegensatz dazu werden in der biologischen und biodynamischen Bewirtschaftung mechanische Methoden eingesetzt, um die Bodenvegetation zu minimieren – teilweise werden auch Schafe zur Mahd eingesetzt. Hier dürfen nur natürliche Düngemittel und Fungizide verwendet werden. Darüber hinaus werden in der biodynamischen Bewirtschaftung in der Regel fermentierter Mist und Pflanzenpräparate auf den Boden und die Pflanzen aufgebracht, um den Nährstoffkreislauf im Boden zu stimulieren. Die biodynamische Bewirtschaftung ist zwar selten, wird weltweit aber am häufigsten in Rebbergen eingesetzt. Während die Vorteile des biologischen gegenüber dem konventionellen Landbau auf die Biodiversität bereits mehrfach in der Forschung nachgewiesen wurden, waren die Effekte der biodynamischen Bewirtschaftung bislang unklar.
Bessere Lebensraumbedingungen für Insekten
Forschende der Universität Bern haben nun die Effekte der drei Bewirtschaftungsformen «biologisch», «biodynamisch» und «konventionell» im Zusammenhang mit der Bodenbegrünung auf die Insektenfauna in Walliser Weinbergen untersucht. Als Bodenbegrünung wird eine spontane Begrünung oder das bewusste Einsäen oder Zulassen geeigneter Pflanzen im Weinberg zwischen den Rebzeilen bezeichnet. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass biologische und biodynamische Bewirtschaftung bessere Lebensraumbedingungen für die Bodeninsekten bieten als konventionell bewirtschaftete Weinberge, wobei die biologische Bewirtschaftung einen stärkeren Effekt zeigt. Dieser Zusammenhang ist aber weiter mit der Bodenbegrünung verknüpft, so dass in biologischen Weinbergen die Insektendichte mit zunehmender Bodenbegrünung stetig zunimmt. In biodynamischen und konventionellen Parzellen ist der Zusammenhang mit der Bodenbegrünung etwas komplexer und weniger eindeutig.
Vielfältige Bodenbegrünung als Erfolgskonzept
«Wir interpretieren diese Resultate so, dass biologische Parzellen bessere Bedingungen für die Insekten bieten, indem die Bodenbegrünung strukturell komplexer und vielfältiger ist und weniger oft bewirtschaftet und somit gestört wird», sagt Professor Raphaël Arlettaz vom Institut für Ökologie und Evolution (IEE) der Universität Bern, Leiter des Projekts. Dies entspricht der sogenannten Mittlere-Störung-Hypothese, die besagt, dass ein Ökosystem, das leicht gestört (in diesem Falle bewirtschaftet) wird, im Vergleich mit einem statischen (keine Störung) oder einem stark gestörten Ökosystem (etwa Vernichtung der Bodenvegetation mit Herbizid), mehr Nischen für die Artenvielfalt bietet.
In biodynamischen Parzellen wird häufig jede zweite Reihe oberflächlich gepflügt, was zu einer höheren Störung des Bodens und dadurch der Bodeninsekten führt. In konventionell bewirtschafteten Weinbergen wird die Bodenbegrünung häufig mit Herbiziden oder seltener maschinell zerstört, und dadurch die Nahrungs- und Lebensraumgrundlage vieler Insekten entzogen. «Diese neuen Forschungsresultate zeigen, dass alternative Bewirtschaftungsformen in Weinbergen biodiversitätsfördernd sind, insbesondere für Insekten in biologischen Weinparzellen», erklärt die Erstautorin der Studie, Dr. Laura Bosco von der Abteilung Conservation Biology im IEE.
Gemäss den Forschenden bieten die Ergebnisse grundlegende Anhaltspunkte für einen ökologisch nachhaltigeren Weinbau in der Zukunft. Ob sich diese Schlussfolgerungen auf andere Agrarökosysteme, andere Organismen und andere Grössenverhältnisse verallgemeinern lassen, bedürfe jedoch weiterer Untersuchungen. Die Studie wurde im Fachjournal Frontiers in Conservation Science publiziert.
Originalpublikation:
Bosco L, Siegenthaler D, Ruzzante L, Jacot A and Arlettaz R (2022) Varying Responses of Invertebrates to Biodynamic, Organic and Conventional Viticulture. Front. Conserv. Sci. 3:837551.
doi: 10.3389/fcosc.2022.837551

11.08.2022, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.
Worin unterscheidet sich eine Stadtfledermaus von einer Landfledermaus?
Manche Fledermausarten kommen eher in Städten als auf dem Land vor. Ein Wissenschaftsteam der Freien Universität Berlin, der Universität Greifswald, dem Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) und dem Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) untersuchte nun, welche Merkmale typisch für Fledermäuse des städtischen und ländlichen Raums sind. Das Team fand heraus, dass sich stadtaffine Fledermausarten durch niedrige Ruffrequenzen und relativ lange Rufdauern ihrer Echoortung, eine geringe Körpergröße und eine Flexibilität bei der Wahl des Tagesquartieres auszeichnen.
Die zunehmende Urbanisierung des ländlichen Raums könnte diese Arten begünstigen, während relativ große Arten mit hoher Ruffrequenz und kurzen Rufdauern sowie spezifischer Quartierwahl ins Hintertreffen geraten könnten, argumentiert das Autorenteam in einem Aufsatz in der Fachzeitschrift „Global Change Biology“.
Städte sind für viele Wildtiere Extremstandorte mit höheren Umgebungstemperaturen als im direkten Umland und einer Vielzahl von durch den Menschen verursachten Störungen. Gleichzeitig bieten Städte auch viel Potenzial für Wildtiere, etwa bei der Suche eines Quartieres oder durch ein erweitertes Nahrungsangebot. So nutzen einige Fledermausarten bevorzugt Quartiere an oder in Gebäuden, beispielsweise auf nicht genutzten Dachböden, in Kellern oder in leerstehenden Häusern. Einige Fledermausarten erreichen in Städten besonders hohe Populationsdichten, während sie in ländlichen Räumen eher selten sind. Was macht aber eine Stadtfledermaus zu einer Stadtfledermaus, und eine Landfledermaus zu einer Landfledermaus? In welchen Merkmalen unterscheiden sich die stadtbewohnenden von den landbewohnenden Arten?
„Anhand mehrerer Indizes untersuchten wir eine globale Datenbank von Fledermausarten hinsichtlich ihrer räumlichen Nähe zu städtischen Gebieten und leiteten daraus einen Wert für die Stadtaffinität jeder Art ab“, erklärt Erstautor Janis Wolf, aus dessen Masterarbeit in der Arbeitsgruppe von Prof. Jonathan Jeschke an der Freien Universität Berlin und dem IGB diese Publikation entstanden ist und der nun an der Universität Greifswald promoviert. „Wir nutzten verschiedene Indikatoren, um stadtaffine von weniger stadtaffinen Arten zu differenzieren. Anschließend analysierten wir, welche Merkmale der Arten – zum Beispiel die durchschnittliche Körpergröße, die Flügelform, die Frequenz ihrer Echoortungsrufe oder die Flexibilität bei der Wahl des Schlafplatzes – mit der jeweiligen Raumpräferenz und Lebensweise korrelieren.“
Basierend auf den Merkmalen und Raumdaten von 356 weltweit verbreiteten Fledermausarten (ein Viertel der 1.400 Fledermausarten auf unserem Planeten) ermittelte das Team, ob die jeweilige Art eher im städtischen oder eher im ländlichen Raum ihren Verbreitungsschwerpunkt hat. „Natürlich lagen die meisten Fledermausarten entlang eines Kontinuums, das reine stadtbewohnende Fledermausarten von jenen unterschied, die eher im ländlichen Gebieten wohnten“, erläutert PD Dr. Christian Voigt, Leiter der Abteilung für Evolutionäre Ökologie am Leibniz-IZW. „Wir stellen fest, dass besonders kleine Fledermausarten, und solche deren Echoortungsrufe relativ niedrigfrequent und lang waren, besonders häufig in Städten vorkommen“, so Voigt. Eine flexible Quartierwahl scheint ebenso vorteilhaft zu sein, da dies stadtbewohnenden Fledermäusen erlaubt, bei Störungen durch den Menschen kurzfristig zwischen verschiedenen Quartierstypen zu wechseln.
Im Rahmen ihrer Studie verwendete das Team verschiedene Indikatoren zur Beschreibung der Affinität von Fledermäusen für städtische Umgebungen. „Nachdem wir mehrere methodische Ansätze zur Quantifizierung der Stadtaffinität von Arten getestet hatten, stellten wir fest, dass die einfacheren Indizes ebenso gut waren wie die komplexeren. In der Praxis sollten die einfacheren Indizes daher die bevorzugte Wahl für künftige Studien sein“, schließt Dr. Yuval Itescu vom IGB und der Freien Universität Berlin. Damit ist es nun möglich, die entsprechenden Indizes für die urbane Affinität auch auf andere Tiergruppen anzuwenden. Die Autoren argumentieren, dass die Identifizierung von Merkmalen, die erfolgreiche und weniger erfolgreiche Stadtbewohner kennzeichnen, nützlich sein kann, um diejenigen Arten zu identifizieren, die durch den weltweit rasch fortschreitenden Urbanisierungsprozess besonders bedroht sind. Solche Arten können anschließend für Schutzmaßnahmen priorisiert werden.
Originalpublikation:
Wolf JM, Jeschke JM, Voigt CC, Itescu, Y (2022): Urban affinity and its associated traits: a global analysis of bats. Global Change Biology. https://doi.org/10.1111/gcb.16320

11.08.2022, Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung
Gleich und gleich gesellt sich gern
Wissenschaftlern des Museums für Naturkunde Berlin ist es gemeinsam mit Kollegen aus den USA und Australien gelungen, anhand der Erforschung der genomischen Variabilität zweier vermeintlicher Schwalbenarten in Australien, die Komplexität der Artentwicklung und Evolutionsprozesse aufzuzeigen. Entgegen der bisherigen Erwartungen, konnte das Wissenschaftlerteam nachweisen, dass die genetische Information der beiden Vogelarten trotz deutlich abweichender Färbung und Musterung des Gefieders kaum Unterschiede aufweist.
Bei der Bestimmung und Zuordnung von Vogelarten machte man sich in der Vergangenheit häufig die unterschiedliche Gefiederfärbung von Vögeln zunutze. Da der Federschmuck eine wichtige Rolle bei der Partnerwahl und damit der Fortpflanzung von Vögeln spielt, wurden Unterschiede im Gefieder als wichtiges Indiz für die Artbeschreibung herangezogen. In vielen Fällen spiegeln sich diese offensichtlichen morphologischen Unterschiede im Genom der Vögel wider. Je divergenter das Gefiedermuster ist, desto wahrscheinlicher ist es, Unterschiede auf DNA-Ebene zu detektieren. Dies ist allerdings nicht der Fall für die in dieser Studie untersuchten Vögel – dem Maskenschwalbenstar und dem Weißbrauenschwalbenstar.
Der Maskenschwalbenstar, der sich durch ein blau-graues Gefieder und eine schwarze Kopffärbung auszeichnet, und der braun-grau gefärbte Weißbrauenschwalbenstar leben beide in den gleichen Habitaten im Osten Australiens und teilen sich mitunter den gleichen Baum. „Lange Zeit glaubte man, dass es sich bei den beiden Schwalbenarten um unterschiedliche Arten handeln muss, da es trotz des gleichen Lebensraums kaum zu Verpaarungen zwischen den Vögeln kommt“, erklärt Dr. Joshua Penalba, Wissenschaftler am Museum für Naturkunde Berlin und Erstautor der Studie. „Allerdings kamen vor einigen Jahren Zweifel am Status der Art auf, da keine Unterschiede in der mitochondrialen DNA detektiert werden konnten. Diese Ergebnisse waren sehr überraschend, da man davon ausgeht, dass sich die Unterschiede der Gefiederfärbung auch auf DNA-Ebene widerspiegeln sollten, oder dass es bei Arten, die keine genomischen Abweichungen zeigen, zu Verpaarungen kommt – was bei diesen beiden Arten nicht der Fall ist“, ergänzt er.
Um dieses ungewöhnliche Phänomen näher zu ergründen, haben die Wissenschaftler im Rahmen der Arbeit eine umfassende Analyse der DNA aus dem sich langsamer verändernden Kerngenom der beiden vermeintlichen Schwalbenarten durchgeführt und machten dabei eine interessante Entdeckung. „Durch Anwendung unterschiedlichster Methoden zur Analyse der genomischen DNA und Populationsstruktur konnten wir nachweisen, dass sich die DNA des Maskenschwalbenstars und des Weißbrauenschwalbenstars kaum unterscheiden“, berichtet Dr. Joshua Penalba. Die Ergebnisse der Forschenden stehen im Einklang mit früheren Untersuchungen der mitochondrialen DNA und machen deutlich, dass ein Rückschluss auf Artverwandtschaft anhand des Gefieders nicht immer problemlos möglich ist. Trotz der großen Ähnlichkeiten der genetischen Information der Vögel, fanden die Forschenden interessante Unterschiede in der Nähe von zwei Genabschnitten, die bei der Federentwicklung eine Rolle spielen. Ob diese beiden Gene ursächlich für das unterschiedliche Gefieder der Schwalben sind, soll zukünftig in weiteren Studien untersucht werden.
Die genauen Hintergründe der Differenzierung konnten nicht vollständig aufgeklärt werden, allerdings deutet die Rekonstruktion der demografischen Geschichte darauf hin, dass eine Trennung der Vögel erst in jüngster Vergangenheit erfolgte und die Schwalben nach kürzester Zeit wieder in Kontakt kamen. Untermauert wurden diese Ergebnisse durch Simulationen schnell auftretender Gefiederdifferenzierungen.
Insgesamt belegen die Ergebnisse der Studie, wie komplex die evolutionären Prozesse sind, die zur Entstehung neuer Arten führen, und dass die Unterscheidungsmerkmale, die wir oft zur Unterscheidung von Arten verwenden, nicht immer ausreichen, um ein klares Bild zu vermitteln. Damit legt die Studie eine wichtige Grundlage für spannende künftige Forschungsprojekte, die sich mit Gefiedervariation, Artbildung und dem Ursprung der biologischen Vielfalt befassen.
Penalba, J. V., Peters, J. L., Joseph, L. Sustained plumage divergence despite weak genomic differentiation and broad sympatry in sister species of Australian woodswallows. Molecular Ecology
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/mec.16637

10.08.2022, Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung
Dinos trugen ihr Gewicht mit Hilfe von Weichteilpolstern
Forschende haben das Rätsel geknackt, wie Sauropoden-Dinosaurier ihre gigantischen Körper an Land tragen konnten. Dr. Andréas Jannel, der jetzt Postdoktorand am Museum für Naturkunde Berlin ist, führte die Forschungen im Rahmen seines Doktorandenstudiums am Dinosaurierlabor der University of Queensland durch. Das von der University of Queensland und der Monash University geleitete Forscherteam fand heraus, dass die Hinterfüße der Sauropoden ein weiches Gewebepolster unter der „Ferse“ hatten, das den Fuß abfederte, um ihr immenses Gewicht abzufangen.
Das Team verwendete 3D-Modellierungen und Ingenieurmethoden, um die Funktion der Fußknochen verschiedener Sauropoden digital zu rekonstruieren und zu testen.
„Wir liefern zum ersten Mal biomechanische Beweise für die lang vermutete Idee, dass ein Weichteilpolster – insbesondere an den Hinterfüßen – eine entscheidende Rolle bei der Verringerung des Bewegungsdrucks und der Belastung der Knochen spielt“, so Dr. Jannel. „Die Vorstellung, dass diese riesigen Kreaturen in der Lage waren, ihr eigenes Gewicht an Land zu tragen, ist atemberaubend.“
Sauropoden waren die größten Landtiere, die mehr als 100 Millionen Jahre lang die Erde bevölkerten. Zunächst nahm man an, dass sie halb-aquatisch waren und ihr massives Gewicht durch den Auftrieb des Wassers gestützt wurde – eine Theorie, die durch die Entdeckung von Sauropodenspuren in terrestrischen Ablagerungen Mitte des 20. Jahrhunderts widerlegt wurde.
„In der Popkultur – man denke nur an Jurassic Park oder Walking with Dinosaurs – werden diese Ungetüme oft mit fast zylindrischen, dicken, elefantenähnlichen Füßen dargestellt“, so Dr. Panagiotopoulou von der Monash University. „Aber was die Skelettstruktur betrifft, so stehen Elefanten auf allen vier Füßen auf den Zehenspitzen, während Sauropoden unterschiedliche Fußkonfigurationen an den Vorder- und Hinterfüßen haben. Die Vorderfüße der Sauropoden sind eher säulenförmig, während sie hinten mehr keilförmige Absätze aufweisen, die von einem großen Weichteilpolster gestützt werden.“
Prof. Steve Salisbury von der University of Queensland erklärt, dass dies darauf zurückzuführen sei, dass Sauropoden und Elefanten unterschiedliche evolutionäre Ursprünge haben. „Elefanten gehören zu einer uralten Ordnung von Säugetieren, den Rüsseltieren, die vor etwa 60 Millionen Jahren als kleine, unscheinbare Pflanzenfresser in Afrika auftauchten.“ Im Gegensatz dazu sind die Sauropoden, deren Vorfahren vor 230 Millionen Jahren erstmals auftauchten, enger mit den Vögeln verwandt. Sie waren wendige, zweibeinige Pflanzenfresser. Erst später in ihrer Entwicklung gingen sie auf allen Vieren. „Entscheidend ist, dass der Übergang zu den größten Landtieren, die die Erde bevölkern, offenbar mit der Anpassung eines Fersenpolsters einherging“, so Salisbury.
Die Forschenden planen nun, die 3D-Modellierung und Ingenieursmethoden einzusetzen, um möglicherweise weitere Entdeckungen zu machen. „Ich möchte eine ähnliche Methode auf ganze Gliedmaßen von Sauropoden anwenden und zusätzliche Weichteile wie Muskeln einbeziehen, die in Fossilien nur selten erhalten sind“, sagt Dr. Jannel. „Ich habe auch vor, die Gliedmaßen und Füße anderer prähistorischer Tiere zu untersuchen, zum Beispiel von frühen Reptilien aus dem Bromacker in Deutschland. „Dies sollte es uns ermöglichen, verschiedene Fragen zur Biomechanik ausgestorbener Tiere zu beantworten und ihre Umweltanpassungen, Bewegungen und Lebensweise besser zu verstehen.“
Publikation: Jannel et.al. Softening the steps to gigantism in sauropod dinosaurs through the evolution of a pedal pad, Science Advances, DOI: 10.1126/sciadv.abm8280

10.08.2022, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover
Seehunden über die Schulter schauen
Forschende der TiHo untersuchen das Jagdverhalten von Seehunden mit Kameras.
Wo finden Seehunde ihre Nahrung? Wie jagen Sie? Wo halten sie sich auf? Um mehr über das natürliche Verhalten von Seehunden (Phoca vitulina) zu lernen, testeten Forschende des Instituts für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung (ITAW) der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo) in einem Pilotversuch speziell angefertigte Kameras, die sie auf zwei Seehunden befestigten. Für den Schutz der Tiere ist es wichtig, zu wissen, wo die Seehunde ihre Nahrung finden und wo sie sich aufhalten, wenn sie nicht am Strand liegen. Auf ihren Liegeplätzen sind die Tiere recht gut zu beobachten, auf ihren Streifzügen durch die offene Nordsee ist das für die Forschenden aber nahezu unmöglich. Darum nutzen sie nun die neue Technik, um das Verhalten der Tiere besser untersuchen zu können. Die Nationalparkstiftung Schleswig-Holstein förderte das Pilotprojekt mit 22.500 Euro.
„Die Geräte haben das Potential, unser Verständnis dieser für das Ökosystem so wichtigen Tiere, zu fördern. Die Kameras liefern uns neben der Position und sehr hoch aufgelösten Bewegungsdaten zusätzlich Videos. Durch die ersten beiden mit Kameras ausgestatteten Tiere konnten wir zusammen bereits fast 22 Stunden Videomaterial gewinnen. So können wir unsere theoretischen Ansätze überprüfen und wenn nötig verbessern“, erklärt Biologie Abbo van Neer aus dem ITAW. „Die Daten sind für uns äußerst wertvoll, um besser beurteilen zu können, welche Gebiete draußen in der Nordsee für die Tiere zum Jagen wichtig sind – dieses Wissen ist gerade in Anbetracht der zunehmenden Nutzung der Nordsee durch den Menschen sehr wertvoll“, ergänzt Dr. Tobias Schaffeld aus dem ITAW, der die Pilotstudie zusammen mit van Neer betreute.
Schon lange nutzen die Forschenden für solche Untersuchungen sogenannte Satellitensender. Sie befestigen diese Sender ebenfalls an den Tieren, um Informationen über ihre Position oder ihr Tauchverhalten zu sammeln. An den Daten lässt sich aber nicht ablesen, wo genau, die Tiere erfolgreich jagen und fressen. Um darüber mehr zu erfahren, wurden bis jetzt lediglich theoretische Ansätze genutzt, die die Forschenden an Tieren in Zoos und ähnlichen Einrichtungen testen. „Diese bisher genutzten Methoden sind auch sehr nützlich,“ erklärt van Neer, „zum Beispiel können wir von den Tauch- und Aktivitätsmustern der Tiere schon viel ableiten. Dennoch konnten wir uns nie wirklich sicher sein, dass wir aus den Werten die richtigen Schlüsse auf das Verhalten des Tieres gezogen haben. Es fehlte uns einfach immer der letzte Beweis.“
ITAW-Leiterin Professorin Dr. Ursula Siebert erklärt dazu: „Wir konnten in diesem ersten Pilotprojekt zeigen, dass die Technik grundsätzlich funktioniert. Dabei ist es selbst für uns Forschende unglaublich faszinierend, einem Seehund das erste Mal über die Schulter zu schauen, während er in die Tiefe taucht und sein natürliches Jagdverhalten zeigt. Nun gilt es, in weiterführenden Studien wissenschaftlich belastbare Daten zu sammeln, um das Management dieser geschützten Art weiter zu verbessern.“
Mit den Videos und den Bewegungsmustern der Tiere wollen die Forschenden Blaupausen für bestimmte Verhaltensweisen, wie beispielsweise das Erbeuten eines Fisches erstellen, um sie in Zukunft wie Schablonen für die Analyse von Datensätze ohne Videos anzuwenden.
„Der erste wichtige Schritt ist gemacht, die weitere Entwicklung wird dennoch nicht einfach werden“, sind sich die Forschenden einig, „das Verhalten von Seehunden ist sehr komplex und die Bedingungen in der Nordsee nicht immer optimal. Daher werden wir einige Daten brauchen, um ein abschließendes Ergebnis zu erreichen. Aber wir sind optimistisch, dass wir am Ende unser Ziel erreichen werden und damit den Schutz der Seehunde fördern können.

12.08.2022, Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung
Wie das Landleben atmen lernte
Forschende vom Museum für Naturkunde Berlin und Kooperationspartner aus Südafrika und den USA decken ein neues Kapitel in der Evolutionsgeschichte des Brustbeinknochens von Säugetieren auf. Ihre Untersuchungen an einem 260 Millionen Jahre alten Fossil decken auf, dass das Brustbein in eine Reihe von Segmenten unterteilt war wie das von modernen Säugern. Diese Entdeckung zeigt, dass die Voraussetzungen für die mammalische Art sich fortzubewegen und zu atmen schon bei manchen permischen Vorfahren zu finden waren.
In einer aktuellen Studie unter der Leitung von Doktorandin Eva-Maria Bendel vom Museum für Naturkunde Berlin sowie der Humboldt-Universität zu Berlin wurde die Evolutionsgeschichte des Brustbeins verfolgt. Gemeinsam mit Experten vom North Carolina Museum of Natural Sciences, der University of Chicago und dem Iziko South African Museum verbindet das Team die Anatomie einer Gruppe von Vorfahren der Säugetiere (Gorgonopsier) mit der Lebensweise der heutigen Säugetiere.
Basierend auf einem besonders vollständigen Exemplar eines Brustbeins im Iziko Museum in Kapstadt (Südafrika) hat Bendel das älteste aus mehreren Elementen bestehende Brustbein identifiziert, wie es auch heutige Säugetiere haben. „Ich habe sofort gemerkt, dass es sich bei dieser Skelettstruktur um etwas Besonderes handelt“, bemerkt Bendel.
In der Open Access Fachzeitschrift Scientific Reports beschreibt das Team nun Brustkorb und Schultergürtel dieses Räubers aus der Permzeit vor 260 Millionen Jahren, Gorgonops torvus. Die Ergebnisse deuten auf eine von zwei Möglichkeiten hin: (1) dass diese „säugetierähnliche“ Ausprägung des Brustbeins zuerst bei den Gorgonopsia auftrat, dann aber auf dem Stammbaum der Säugetiere zeitweise wieder verloren ging oder (2) dass sich dieses Merkmal in beiden Gruppen unabhängig voneinander entwickelte.
Ein segmentales Brustbein verhilft Säugetieren zu einer aufrechteren Haltung sowie einem aufgerichteten Gang, was ihre Beweglichkeit enorm verbessert. Die Forschenden nehmen an, dass sich die für Säugetiere charakteristische Art zu atmen mittels eines Zwerchfells bereits bei den frühen Vorfahren entwickelt hat. Dies könnte dazu beigetragen haben, dass Gorgonopsier im späten Perm zu den dominierenden Tieren an der Spitze der Nahrungskette aufstiegen.
Publiziert in: Bendel et al. The earliest segmental sternum in a Permian synapsid and its implications for the evolution of mammalian locomotion and ventilation, Scientific Reports, https://www.nature.com/articles/s41598-022-17492-6

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