Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

28.02.2022, Universität Bayreuth
Als die Synapsen-Bausteine knapp wurden: Bayreuther Biologen erklären Proteinaustausch während der Wirbeltier-Evolution
Die elektrischen Synapsen in Wirbeltieren sind aus anderen, aber keineswegs leistungsstärkeren Proteinen aufgebaut als die elektrischen Synapsen in den weitaus älteren wirbellosen Tieren. Tierphysiologen der Universität Bayreuth haben für dieses Rätsel der Evolution jetzt erstmals eine Erklärung gefunden: In der Frühphase der Wirbeltierentwicklung kam es zu einem Verlust der Vielfalt genau derjenigen Proteine, die in älteren wirbellosen Tieren für die Signalübertragung verwendet wurden. In der Zeitschrift eLife haben die Wissenschaftler ihre Entdeckung veröffentlicht.
Elektrische Synapsen stellen Verbindungen zwischen benachbarten Zellen her und sind für die Signalübertragung im Organismus von zentraler Bedeutung. Vor der Evolution der Wirbeltiere wurden sie aus Innexinen, einer Familie von Proteinen mit sehr verschiedenartigen Funktionen, gebildet. So übernehmen aus Innexinen bestehende Synapsen beispielsweise wichtige Funktionen in den Nervenschaltungen im Gehirn von Insekten. In Wirbeltieren jedoch, so wurde lange Zeit vermutet, bestehen elektrische Synapsen nicht aus Innexinen, sondern ausschließlich aus Connexinen. Die neue Studie der Bayreuther Tierphysiologen Dr. Georg Welzel und Prof. Dr. Stefan Schuster liefert für diese Annahme jetzt erstmals eine umfassende wissenschaftliche Bestätigung: Es gibt keine wirbellosen Tiere, deren elektrische Synapsen Connexine enthalten. Und umgekehrt finden sich in Wirbeltieren keine elektrischen Synapsen, die aus den in wirbellosen Tieren zur Signalübertragung verwendeten Innexinen bestehen.
Dieser Befund erscheint rätselhaft, weil die aus Connexinen bestehenden Synapsen den Wirbeltieren keinen evolutionären Vorteil verschaffen. Hinsichtlich ihrer Funktionen bei der Signalübertragung sind sie den auf Innexinen basierenden Synapsen nicht überlegen. Mehr noch: Wirbeltiere produzieren nach wie vor Innexine, setzen sie aber nicht in elektrischen Synapsen ein. Es muss daher einen anderen Grund dafür gegeben haben, dass im Verlauf der Evolution der Wirbeltiere die Bausteine der Synapsen ausgewechselt wurden. Die Erklärung haben die Bayreuther Wissenschaftler jetzt entdeckt: In der Frühphase der Wirbeltierentwicklung ist die Vielfalt der Innexine dramatisch zurückgegangen. Übrig blieb nur noch ein einziges Innexin, das für die Verwendung in Synapsen ungeeignet war und andere Funktionen im Organismus der Wirbeltiere – beispielsweise die Freisetzung von Signalmolekülen– übernehmen musste. Nicht eine überlegene Funktionalität der Connexine, sondern ein Mangel an Innexinen hat im Verlauf der Evolution der Wirbeltiere zu einem kompletten Austausch der Synapsen-Proteine geführt. „Unsere Befunde legen nahe, dass ein sogenannter genetischer Flaschenhals zu Beginn der Wirbeltierevolution zu dem massiven Verlust der Innexin-Vielfalt geführt hat“, sagt Dr. Georg Welzel.
Schon in den älteren wirbellosen Tieren haben, wie die Studie ebenfalls belegt, Innexine wichtige Funktionen außerhalb der elektrischen Synapsen. Bei Wirbeltieren haben sich aus dem verbliebenen Innexin drei hoch-konservierte Formen entwickelt, die aber als glykosylierte Proteine vorkommen. Dies bedeutet, dass sie eine chemische Bindung mit Kohlenhydraten eingegangen sind. Dadurch sind sie als Bausteine für Synapsen endgültig ungeeignet, gleichzeitig aber als Bausteine der Evolution konserviert. „Die Fortexistenz der Innexine im Organismus von Wirbeltieren und die extreme Konservierung während der Evolution deuten darauf hin, dass sie ganz andere sehr wichtige Funktionen haben. Trotz ihrer vermutlich großen Bedeutung sind diese Funktionen noch unbekannt, und es ist in Zukunft wichtig, sie herauszufinden“, sagt Prof. Dr. Stefan Schuster.
Originalpublikation:
Georg Welzel, Stefan Schuster: Connexins evolved after early chordates lost innexin diversity. eLife (2022), DOI: https://doi.org/10.7554/eLife.74422

01.03.2022, NABU
NABU: Artenkrise ist eine der größten Bedrohungen für die Menschheit – NABU erweitert sein Artenschutzprogramm in Zentralasien
Zum Internationalen Tag des Artenschutzes (3.3.) ruft der NABU die Politik und Unternehmen dazu auf, in weltweite Artenschutzprojekte zu investieren. „Das Artensterben und die Klimakrise gehören zu den größten Bedrohungen für unseren Planeten und stellen die Menschheit auch weiterhin vor große Herausforderungen“, sagte Thomas Tennhardt, NABU-Direktor Internationales. Dem Bericht des Weltbiodiversitätsrats IPBES zufolge sind von acht Millionen Tier- und Pflanzenarten auf der Welt etwa eine Million durch menschliches Handeln vom Aussterben bedroht.
„Das Aussterben von Tier- und Pflanzenarten ist irreversibel“, so Tennhardt. „Verschwindet eine Art, können ganze Ökosysteme in Ungleichgewicht geraten und nicht mehr richtig funktionieren.“ Ein Beispiel für eine bereits regional ausgestorbene Art ist die asiatische Kropfgazelle (Gazella subgutturosa), die seit 2007 in Kirgisistan nicht mehr nachgewiesen werden konnte. Der NABU unterstützt seit diesem Jahr ein Wiederansiedelungsprojekt für die Kropfgazelle.
„Die Kropfgazelle ist die am nördlichsten verbreitete Gazellenart der Welt. Trotz ihres großen Verbreitungsgebietes ist ihr Bestand in den letzten 20 Jahren drastisch gesunken“, so Katja Kaupisch, Stabsstelle internationaler Artenschutz des NABU Bundesverbandes. Wie für viele andere gefährdete Arten seien die größten Bedrohungen die Wilderei und die Zerschneidung und Zerstörung von Lebensräumen durch Grenzzäune, Industrie, Landwirtschaft und Viehhaltung. „Heute kommen Kropfgazellen meist nur noch in kleinen, isolierten Herden vor“, so Kaupisch.
Im Rahmen des neuen Projektes zur Wiederansiedelung der Art in Kirgisistan wurden im vergangenen Jahr die ersten 15 Jungtiere aus der Aufzuchtstation „Dzhejran“ in Usbekistan gebracht. Mit Unterstützung des NABU sollen das Auswilderungsgehege erweitert und weitere Jungtiere aus Usbekistan und Kasachstan nach Kirgisistan gebracht werden. Das erhöhe die Chance, eine stabile und genetisch diverse Population zu etablieren. Da Wilderei eine der größten Bedrohungen für Kropfgazellen ist, wird das Wiederansiedelungsprojekt durch intensive Aufklärungsarbeit begleitet.
Der NABU engagiert sich seit den 1990er Jahren mit Schutzprojekten unter anderem für Schneeleoparden, Saiga-Antilopen und Streifenhyänen für den Erhalt von Arten und Lebensräumen in Zentralasien.

02.03.2022, Universität Hamburg
Blaupause für aktuellen Klimawandel? Künstliche Intelligenz entschlüsselt Ursachen für Massenaussterben im Perm
Vulkanausbrüche in Sibirien lösten vor 252 Millionen Jahren massive Klimaveränderungen aus. Weltweit starben dadurch an Land rund 75 Prozent, im Ozean rund 90 Prozent aller Organismen aus. Der Paläontologe Dr. William Foster vom Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit der Universität Hamburg hat nun die Gründe für das Massenaussterben in den Ozeanen entschlüsselt – und nutzte dafür eine neue Form des Maschinellen Lernens. Die Ergebnisse wurden jetzt im Fachjournal Paleobiology veröffentlicht.
Zum größten Massenaussterben der Geschichte führte eine Reihe von Vulkanausbrüchen in Sibirien und der massive Ausstoß von Treibhausgasen. Das Klima erwärmte sich über Jahrtausende um insgesamt zehn Grad. Durch die Analyse der Lebensweise der ausgestorbenen Meeresorganismen konnte das Team um Dr. William Foster die Verluste direkt auf drei Veränderungen zurückführen: eine Sauerstoffabnahme im Meerwasser, eine Erhöhung der Wassertemperatur und wahrscheinlich eine Versauerung der Meere.
Diese Veränderungen ähneln zwar den aktuellen Entwicklungen. „Die Ergebnisse aus dem Perm lassen sich jedoch nicht eins zu eins auf den Klimawandel heute übertragen. Dafür unterscheiden sich die Klimasysteme der Erde damals und heute zu stark“, sagt Paläontologe Foster. „Doch wir können jetzt erstmals zeigen, welche Eigenschaften der Organismen damals für ihr Aussterben entscheidend waren. Das kann uns wichtige Hinweise geben, welche Tiergruppen in Zukunft gefährdet sind.“
Das Forschungsteam untersuchte 1283 Gattungen fossiler Meeresbewohner, deren Versteinerungen sich datieren lassen. Dafür nutzte das Team eine Datenbank, die Auskunft über die Lebensweise der Organismen gibt. Zwölf Aspekte wurden für jede Gattung analysiert. Machte es eine Eigenschaft wahrscheinlich, unter den Bedingungen des End-Perm zu überleben – oder eher nicht?
Mithilfe von maschinellem Lernen – einer Form der künstlichen Intelligenz – ließen sich all diese Faktoren gleichzeitig und verknüpft untersuchen. „Mit bisherigen Anwendungen des maschinellen Lernens hätten wir nicht sagen können, warum der Algorithmus das so entscheidet“, so William Forster. Dies konnte der Wissenschaftler jedoch mit einer neuen Methode nun erstmals aufschlüsseln.
„Manche Tiere lebten im tieferen Wasser. Hier zeigt die Maschine, dass einsetzender Sauerstoffmangel riskant wurde. Tiere, die weiter oben lebten, hatten eher unter erhöhten Temperaturen zu leiden. Wer nur einen begrenzten Lebensraum hat, kann kaum ausweichen, wenn es brenzlig wird.“
Die Ergebnisse zeigen also, welche Eigenschaften der Organismen jeweils als potenziell todbringend gewertet wurden. Auf vier Merkmale kam es besonders an: Auf das Verbreitungsgebiet im Wasser, die Mineralisierung der Schale, der Artenreichtum der Gattung und die Empfindlichkeit für Versauerung. Das bedeutet im Umkehrschluss, Tiergattungen mit großem Verbreitungsgebiet und vielen Arten, welche sinkende pH-Werte des Meerwassers tolerieren, hatten vor 252 Millionen Jahren die besten Überlebenschancen. Und das gilt möglicherweise auch für die Zukunft.
Originalpublikation:
Foster WJ, Ayzel G, Münchmeyer J, Rettelbach T, Kitzmann N, Isson TT, Mutti M, Aberhan M (2022): Machine learning identifies ecological selectivity patterns across the end-Permian mass extinction; Paleobiology; DOI: 10.1017/pab.2022.1

02.03.2022, Eberhard Karls Universität Tübingen
Schildkröten in Osteuropa überlebten das Massensterben der Dinosaurier
Forschungsteam der Universität Tübingen untersucht 70 Millionen Jahre alte Fossilien aus dem heutigen Rumänien
Eine kleine Schildkrötenart überlebte das Massensterben der Dinosaurier vor 66 Millionen Jahren: Ein internationales Team unter der Leitung der Paläobiologie der Universität Tübingen hat eine bisher unbekannte Schildkrötenart erstmals beschrieben. Das 19 Zentimeter lange Reptil, das vor 70 Millionen Jahren auf dem Gebiet des heutigen Rumäniens lebte, hat keine engen lebenden Verwandten. Es gehört zur größeren Gruppe der Halswender-Schildkröten, deren heutige Vertreter meist auf der Südhalbkugel leben. Die engsten Verwandten der neu entdeckten Art sind aus rund 57 Millionen Jahren alten Fossilien bekannt, die ebenfalls in Rumänien gefunden wurden. Das deutet darauf hin, dass die Abstammungslinie dieser Schildkröte nach dem Massenaussterben vor 66 Millionen Jahren fortgesetzt wurde. Bei diesem Ereignis verschwanden mindestens drei Viertel aller damaligen Arten von Lebewesen von der Erde, darunter auch die meisten Dinosaurier. Die Beschreibung der erstmals entdeckten Art wurde in der Fachzeitschrift Journal of Systematic Palaeontology veröffentlicht.
Das Team unter der Leitung des Biogeologen Dr. Márton Rabi von der Universität Tübingen umfasste außerdem Wissenschaftler von der Universität Bukarest, dem ungarischen Museum für Naturgeschichte und der Eötvös-Loránd-Universität Budapest. Die Schildkrötenfossilien wurden bereits 1995 von rumänischen Forscherinnen und Forschern im Hateg-Becken in Transsilvanien entdeckt, aber nun genauer untersucht. Die Art erhielt den Namen Dortoka vremiri nach dem Spezialisten für die Wirbeltierfauna der Kreidezeit Mátyás Vremir, der 2020 verstarb.
Das Hateg-Becken ist eine der wichtigsten Fundstätten für Wirbeltiere der späten Kreidezeit in Europa. Sie ist bekannt für ihre abgeschottete Fauna, zu der unter anderem Zwergdinosaurier gehörten, und wird seit mehr als 120 Jahren untersucht. Der Fund der Schildkröte Dortoka vremiri gibt einen seltenen Einblick in die Selektivität des Massenaussterbens zum Ende der Kreidezeit.
Wie konnte die kleine Schildkröte überleben, während die meisten anderen Arten ausstarben? „Überraschenderweise überlebten andere Mitglieder der gleichen Schildkrötenfamilie in Westeuropa nicht“, sagt der Doktorand und Erstautor der Studie Felix Augustin von der Universität Tübingen. Die abgelegene und möglicherweise geschütztere paläogeografische Lage der transsilvanischen Landmasse könne eine Rolle gespielt haben beim Überleben der osteuropäischen Schildkröten, sagt er.
Ein weiterer Faktor könne die direkte Umgebung von Dortoka vremiri gewesen sein. „Die einzige andere zeitgenössische Schildkrötenart war eine Landschildkröte, die das Massenaussterben nicht überlebte. Die neu entdeckte Art lebte hingegen im Süßwasser“, sagt Zoltan Csiki-Sava von der Universität Bukarest. „Das passt zu einer früheren Beobachtung aus der nordamerikanischen Fauna, bei der die Landwirbeltiere deutlich stärker von der Auslöschung zum Ende der Kreidezeit betroffen waren als die Süßwasserarten.“ Spekuliert wird, ob die Nahrungsketten im Süßwasser, die auf sich zersetzendem organischen Material aufbauen, erhalten bleiben, auch wenn große Umwälzungen die Nahrungsketten auf dem Land, an deren Basis vielfach Pflanzen stehen, zum Erliegen bringen. Dieses Muster sei bei anderen Aussterbeereignissen beobachtet worden und könne verbreitet sein, doch seien die Belege dafür noch rar, sagt Rabi.
Solche Erkenntnisse gewinnen große Bedeutung beim aktuellen massiven Artensterben, das durch menschliche Aktivitäten hervorgerufen wird, meint Augustin: „Wenn man die Selektivität früherer Artenauslöschung besser versteht, lassen sich heute besser Prioritäten im Artenschutz setzen.“
Originalpublikation:
Felix J. Augustin, Zoltán Csiki-Sava, Andreas T. Matzke, Gábor Botfalvai & Márton Rabi: A new latest Cretaceous pleurodiran turtle (Testudinata: Dortokidae) from the Haţeg Basin (Romania) documents end-Cretaceous faunal provinciality and selective survival during the K-Pg extinction. Journal of Systematic Palaeontology, https://doi.org/10.1080/14772019.2021.2009583

04.03.2022, Technische Universität Darmstadt
Ameisen zeigen an, wie sich der Regenwald erholt – Internationales Team forscht an komplexen Ökosystemen
Kann sich zerstörter Regenwald wieder regenerieren? Daran forscht das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Konsortium „Reassembly“ unter Leitung der TU Darmstadt. Am Beispiel von Ameisen lässt sich dabei beurteilen, ob und wie gut sich Regenwald nach einer landwirtschaftlichen Nutzung wiederherstellen lässt. Die Ergebnisse wurden nun in der internationalen Fachzeitschrift „Ecological Applications“ vorgestellt.
Regenwälder haben ein hohes Potenzial sich zu regenerieren – eine Art der natürlichen Selbstheilung nach Störungen wie Stürmen oder Feuer. Diese Reparatur kann sogar nach einer landwirtschaftlichen Nutzung noch funktionieren. Wie steht es aber um die vielen kleineren, doch wichtigen Bestandteile des komplexen Ökosystems Regenwald? Zur Waldregeneration gehört auch, dass sich die Populationen von dutzenden Säugetierarten, hunderten Vogelarten und tausenden Insektenarten, die zum Aufwachsen der Wälder beitragen oder davon anhängig sind, wieder erholen.
Die Arbeitsgruppe „Ökologische Netzwerke“ an der TU Darmstadt konnte nun erstmals die Regeneration von Ameisen-Gemeinschaften in einem Regenwald im Nordwesten Ecuadors vermessen. Philipp Hönle, ein ehemaliger Doktorand am Fachbereich Biologie der TU Darmstadt, sammelte und identifizierte 284 Ameisenarten auf 61 Untersuchungsflächen unterschiedlicher Stadien der Regeneration im Rahmen seiner inzwischen erfolgreich abgeschlossenen Doktorarbeit. Einige der Arten waren noch unbekannt und wurden von Hönle wissenschaftlich neu beschrieben.
„Die Analysen zeigen, dass sich die Ameisenarten auf ehemaligen Weiden nach etwa 29 Jahren, in alten Kakaoplantagen sogar nach 21 Jahren erholen, und die Zusammensetzung der Arten dann nicht mehr von ungenutzten Wäldern der Gegend zu unterscheiden ist“, fasst Hönle seine Arbeit zusammen. Die schnelle Erholung und Resilienz zeigte sich an verschiedenen Parametern, beispielsweise der Verteilung funktioneller Merkmale der Ameisenarten. Die Studie ist nun in der internationalen Fachzeitschrift „Ecological Applications“ erschienen.
Die Untersuchung der Ameisen bildet den Auftakt einer umfangreichen Erforschung der natürlichen Regeneration komplexer Artengemeinschaften und Nahrungsnetze im tropischen Regenwald im Rahmen der DFG-Forschungsgruppe „Reassembly“. Nico Blüthgen, Professor für Ökologische Netzwerke am Fachbereich Biologie der TU Darmstadt, leitet diese Forschungsgruppe, die sich intensiv mit den Wechselwirkungen zwischen Tieren und Pflanzen und der Regeneration von Störungen im Regenwald Ecuadors befasst. Dafür wurde eine neue Forschungsstation etabliert, die auch mit Mitteln der TU Darmstadt unterstützt wird.
Die Ecuadorianische Naturschutzorganisation Jocotoco betreibt die Station und das zugehörige Waldreservat. Seit über 20 Jahren wurden dort nicht nur Urwaldflächen für das Reservat hinzugekauft, sondern auch verlassene Weiden und Kakaoplantagen, die sich seitdem in sehr hohem Tempo regenerieren. Angesichts der hohen Abholzungsrate tropischer Wälder, die oft nur noch in kleinen Resten vorhanden sind, sind solche neu aufwachsenden Sekundärwälder für den Naturschutz sehr wichtig geworden.
Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass die Renaturierung von Wäldern gelingen kann – allerdings nur unter bestimmten Bedingungen. „Eine solche natürliche Regeneration funktioniert nicht, wenn Wälder industriell abgeholzt werden und großflächig ausgeräumten Agrarlandschaften weichen, wie es leider vielerorts der Fall ist“, sagt Blüthgen. Neue Regenwälder brauchen demnach alte Regenwälder in naher Umgebung – als Reservoir für die tausenden Arten, die zur Regeneration beitragen. Wie das im Detail funktioniert, soll in der Forschungsgruppe nun untersucht werden.
Originalpublikation:
Philipp O. Hoenle, David A. Donoso, Adriana Argoti, Michael Staab, Christoph von Beeren, Nico Blüthgen: „Rapid ant community reassembly in a Neotropical forest: Recovery dynamics and land-use legacy“, Ecological Applications
https://doi.org/10.1002/eap.2559

04.03.2022, Universität Bielefeld
Tarnung oder Kommunikation: Wozu Vögel ihren Geruch nutzen
Biolog*innen untersuchten, wozu Veränderungen des Bürzelöls dienen
Welche Sinne nutzen Vögel? Offensichtlich gebrauchen sie Gehör und Augen – schließlich singen sie und tragen oft ein buntes Gefieder. Was aber ist mit dem Geruchssinn? Lange Zeit gab es die Ansicht, Riechen spiele für Vögel keine Rolle. In den vergangenen Jahren ist aber eine Reihe von Arbeiten entstanden, die diese Annahme widerlegen – darunter Forschungen, die sich mit dem Sekret aus der Bürzeldrüse befassen, mit dem Vögel sich mehrmals am Tag ihr Gefieder einschmieren.
Was es mit Veränderungen in dessen Zusammensetzung auf sich haben könnte und welche Rolle der Geruch dabei spielt, haben Wissenschaftler*innen unter anderem der Universität Bielefeld untersucht. Ihre Studie wurde in der Fachzeitschrift Biological Reviews veröffentlicht.
Die meisten Vogelarten besitzen an der Wurzel ihres Schwanzes eine besondere Drüse: die Bürzeldrüse. Sie sondert ein öliges Sekret ab, das die Vögel mehrmals am Tag mit dem Schnabel auf ihrem Gefieder verteilen. Das Sekret der Drüse dient unter anderem dazu, das Gefieder zu pflegen, es zu fetten und wasserabweisend zu machen – und es könnte noch weitere Funktionen haben, über die bisher wenig bekannt ist.
Wie sich dieses Sekret zusammensetzt, unterscheidet sich nicht nur zwischen verschiedenen Vogelarten, sondern oft auch innerhalb einer Art. „Eine Beobachtung war für uns entscheidend: Bei fast allen Vogelarten treten jahreszeitliche Veränderungen auf“, sagt Marc Gilles, Doktorand in der Arbeitsgruppe Verhaltensökologie an der Fakultät für Biologie der Universität Bielefeld.
Veränderungen beim Bürzelöl während der Paarungszeit
Gilles hat gemeinsam mit weiteren Forschenden insgesamt 187 Studien gesichtet und 55 Studien ausgewertet, die sich mit dem Bürzelöl und seiner Zusammensetzung befassen. „Wir wollten herausfinden, warum es zu Veränderungen kommt und welche Bedeutung sie haben.“ Bei 47 Prozent der Arten stellten die Forschenden einen Unterschied zwischen den Geschlechtern fest. „Wenn wir Unterschiede zwischen den Geschlechtern gefunden haben, traten diese vor allem während der Paarungszeit auf“, sagt der Biologe.
Durch Geruch die eigenen Nachkommen tarnen
Warum verändert sich die Zusammensetzung des Sekrets? „Eine Hypothese ist, dass das Bürzelöl eine Schutzfunktion während der Brutzeit hat“, sagt Gilles. Es könnte dazu dienen, ein Nest geruchlich zu tarnen und es so besser vor denjenigen Räubern zu schützen, die sich bei der Jagd am Geruch orientieren. Für diese Annahme spricht es, dass sich Unterschiede insbesondere während der Brutzeit finden lassen – und zwar vor allem bei dem Geschlecht, das brütet. Besonders deutlich traten solche jahreszeitlichen Unterschiede bei Bodenbrütern, etwa wie Küstenvögeln, auf. „Bodenbrüter sind gegenüber Räubern wie Füchsen, die sich am Geruch orientieren, natürlich besonders gefährdet, weil ihr Nest so leicht zugänglich ist“, sagt Gilles. „Eine geruchliche Tarnung würde hier höhere Überlebenschancen für die Jungtiere bedeuten.“
Mit Geruch bei der Fortpflanzung kommunizieren
Eine andere Möglichkeit ist, dass das Bürzelöl und seine veränderte Zusammensetzung eine soziale Funktion hat: Das Sekret könnte einem Vogel etwa signalisieren, welches Geschlecht ein Artgenosse hat – und ob er ein geeigneter Partner wäre, um sich fortzupflanzen. Die Zusammensetzung könnte demnach Aufschluss darüber geben, wie gut zwei Tiere genetisch miteinander harmonieren, um gesunden Nachwuchs zu zeugen. „Denkbar ist auch, dass der Geruch dazu dient, dass Eltern und Jungtiere sich wechselseitig erkennen“, sagt Gilles. Dafür lieferten die gesichteten Studien etliche Belege. So zeigen Studien, dass das Öl insbesondere bei Sperlingsvögeln in der Brutzeit flüchtiger wird und Vögel die Duftstoffe nutzen könnten, um mit gleichgeschlechtlichen Artgenossen zu konkurrieren.
„Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die vorhandenen Studien diese Hypothesen unterstützen“, sagt auch Professorin Dr. Barbara Caspers, die die Studie betreut hat. Sie leitet die Arbeitsgruppe Verhaltensökologie und untersucht seit mehreren Jahren den Geruchssinn bei Singvögeln. In ihren Studien konnte sie zeigen, dass zumindest einige Vögel einen gut ausgeprägten Geruchssinn haben und diesen tatsächlich auch einsetzen, um miteinander zu kommunizieren. Die jetzt veröffentlichte Studie lässt die Vermutung zu, dass es vielleicht ein generelleres Phänomen ist. „Es liegen allerdings aktuell leider nicht genügend Daten vor, um die Hypothesen weiter zu prüfen.“ Die Forschenden geben deshalb Empfehlungen, um die Datenlagen zu verbessern.
Um die Annahme zu überprüfen, ob ein verändertes Sekret dem Schutz während der Brutzeit dient, fehlen etwa Studien über die Fähigkeiten von Raubtieren, verschiedene Zusammensetzungen des Öls zu erkennen. In den meisten Studien ist außerdem bislang nur aufgeschlüsselt worden, dass es Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt – aber nicht, worin diese genau bestehen. „Zusätzliche Informationen über die Art der Unterschiede könnten helfen, die beiden Hypothesen voneinander zu trennen“, sagt Caspers. Darüber hinaus ist bislang nicht klar, inwieweit Eltern das Sekret auch auf den Nachwuchs übertragen. „Auch dazu ist weitere Forschung nötig“, sagt Barbara Caspers. Unklar ist vielfach auch, in welchen Brutphasen Veränderungen auftreten und ob Vögel in der Lage sind, das Geschlecht von Artgenossen am Geruch zu unterscheiden.
In der aktuellen Studie weisen die Wissenschaftler*innen darauf hin, worauf bei künftigen Untersuchungen zum Bürzeldrüsenöl zu achten ist. „In den ausgewerteten Studien wird nur selten angegeben, welches Geschlecht Veränderungen aufweist. Auch wird nur selten im Detail erläutert, welche Chemikalien sich verändert haben“, sagt die Wissenschaftlerin. Wenn Geschlechtsunterschiede von Interesse sind, sollten Forschende Proben während der Brutzeit nehmen und auch die verschiedenen Brutphasen von Paarbildung bis Brutpflege erfassen. Außerdem wäre es wichtig, mehr Vogelordnungen in die Studien mit einzubeziehen: Für die Hypothese zur geruchlichen Tarnung beispielsweise wurden bislang vor allem Küstenvögel untersucht. „Auf diese Weise würden wir tiefere Einblicke in die Rolle der chemischen Maskierung und der chemischen Signalgebung bei Vögeln gewinnen“, sagt Caspers.
Originalpublikation:
Leanne A. Grieves, Marc Gilles, Innes C. Cuthill, Tamás Székely, Elizabeth MacDougall-Shackleton and Barbara A. Caspers (2022), Olfactory camouflage and communication in birds. Biological Reviews, https://doi.org/10.1111/brv.12837, erschienen am 6. Februar 2022.

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