Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

06.12.2021, Max-Planck-Institut für Ornithologie
Zugvögel haben hellere Federn
Je weiter Vögel fliegen, desto heller ist im Schnitt ihr Gefieder. Dies ist das Ergebnis einer Studie von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Seewiesen und Kollegen. Das Phänomen zieht sich durch die unterschiedlichsten Vogelgruppen, auch wenn es nicht auf jede einzelne Art zutrifft. Die Entwicklung hellerer Gefiederfarben spielt nach Ansicht der Wissenschaftler eine wichtige Rolle für die Wärmeregulierung, um eine Überhitzung während des Zugs zu vermeiden.
„Wir haben bei fast allen Vogelarten festgestellt, dass Zugvögel tendenziell heller gefärbt sind als Standvögel“, sagt Kaspar Delhey vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen. „Wir vermuten, dass die hellere Färbung des Gefieders das Risiko einer Überhitzung bei Sonneneinstrahlung verringern kann. Helle Oberflächen absorbieren weniger Wärme als dunkle, wie jeder, der an einem sonnigen Tag dunkle Kleidung trägt, bestätigen kann. Dies ist besonders wichtig für Langstreckenzieher, die sich bei ihren ausgedehnten Flügen von mehr als 2000 Kilometern nicht im Schatten ausruhen können.“
Delhey und seine Kollegen hatten die Auswirkungen des Klimas auf die Färbung der Vögel untersucht. Ihre früheren Studien zeigten, dass heller gefärbte Vögel im Allgemeinen dort zu finden sind, wo die Temperaturen hoch sind und es wenig Schatten gibt. Vermutlich liegt das teilweise daran, dass das hellere Gefieder der Vögel dazu beiträgt, sie in der heißen Sonne kühler zu halten. Etwa zur gleichen Zeit stießen die Forscher auf Studien, die zeigten, dass während des Zuges einige Vögel tagsüber viel höher fliegen als nachts. „Da das Fliegen in großer Höhe wahrscheinlich kostspielig ist, muss es dafür eine Erklärung geben“, sagt Delhey. Eine Möglichkeit ist, dass das Fliegen in größerer Höhe, wo es kälter ist, die Wärme, die das Gefieder bei Sonnenschein aufnimmt, ausgleicht. Wenn dies der Fall ist, könnte das Risiko einer Überhitzung auch dadurch verringert werden, von vornherein weniger Sonnenstrahlung zu absorbieren.
Um herauszufinden, ob wandernde Arten hellere Federn entwickelt haben, quantifizierten die Wissenschaftler die Gesamthelligkeit des Gefieders (von 0 = schwarz bis 100 = weiß) für alle Vogelarten anhand von Vogelbildern aus dem „Handbook of the Birds of the World“ (https://birdsoftheworld.org). Anschließend verglichen sie die Daten zur Färbung mit dem Zugverhalten der Arten und berücksichtigten dabei auch andere Faktoren, welche die Gefiederfarbe beeinflussen.
Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass Vogelarten immer heller werden, je weiter sie ziehen. So sind ortstreue Vögel tendenziell dunkler als Kurzstreckenzieher. Kurzstreckenzieher wiederum sind dunkler als Vogelarten, die weiter ziehen. „Eine der größten Überraschungen ist, wie einheitlich der Effekt bei den verschiedenen Vogelgruppen ist“, sagt Bart Kempenaers, Leiter der Studie. Die Forscher sahen dasselbe Muster bei großen und kleinen Vögeln. Dasselbe gilt auch für Wasservögel und landlebende Vögel.
Die Ergebnisse sind ein weiterer Hinweis auf die wichtige Rolle von Temperatur- und Klimafaktoren bei der Entwicklung der Tierfärbung im Allgemeinen. Zudem schärfen sie unser Verständnis für die Auswirkungen der globalen Erwärmung und möglicher adaptiver evolutionärer Reaktionen.
Delhey weist darauf hin, dass viele Faktoren die Färbung von Vögeln beeinflussen und helle Farben nur eine von vielen Möglichkeiten sind, mit denen Zugvögel eine Überhitzung vermeiden können. Außer höher zu fliegen, könnten andere Anpassungen sein, nur nachts zu fliegen oder andere Methoden zu entwickeln, um überschüssige Wärme abzugeben, zum Beispiel durch eine geringere Größe. Die Wissenschaftler werden die Zusammenhänge zwischen Migration, Klima und anderen selektiven Faktoren, die die Evolution der Gefiederfarben bei Vögeln beeinflussen, weiter erforschen. Angesichts der neuen Erkenntnisse schlagen sie außerdem vor, in künftigen Studien direkt zu untersuchen, wie Zugvogelarten mit den Herausforderungen der Thermoregulation umgehen.
Originalpublikation:
Kaspar Delhey, James Dale, Mihai Valcu and Bart Kempenaers (2021) “Migratory birds are lighter coloured”. Current Biology, 06.12.2021. https://www.cell.com/current-biology/fulltext/S0960-9822(21)01492-5.
DOI: 10.1016/j.cub.2021.10.048

06.12.2021, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Wenn Spinnengift die Nerven angreift: Forschungsgruppe untersucht Neurotoxin der Schwarzen Witwe
Im wahrsten Sinne des Wortes die Nerven verlieren – bei Spinnen geraten viele Menschen in Angst und Schrecken, doch nur wenige sind gefährlich. Die Schwarze Witwe hat es allerdings in sich: Sie schnappt sich ihre Beute mit Nervengift; genauer gesagt mit Latrotoxinen (LaTXs). Prof. Dr. Christos Gatsogiannis vom Institut für Medizinische Physik und Biophysik der Universität Münster hat sich der Substanz angenommen, auch im Hinblick auf medizinische Anwendungen. Mit Hilfe der sogenannten Kryo-Elektronenmikroskopie ist es dem Team um Gatsogiannis gelungen, die erste Struktur eines LaTX aufzuklären. Die Ergebnisse sind im Fachmagazin Nature Communications erschienen.
Phobien sind häufig irrationaler Natur – insbesondere bei Spinnen, denn die haben mehr Angst vor Menschen als umgekehrt. Allerdings: Einige Exemplare haben es in sich. Beispielsweise die Latrodectus-Spinne, besser bekannt als Schwarze Witwe. Sie schnappt sich ihre Beute mit Gift – genauer gesagt: mit Latrotoxinen (LaTXs), einer Untergruppe der Neurotoxine, also Nervengiften. Ein Biss der Schwarzen Witwe kann auch für Menschen tödlich enden.
Wie das Nervengift genau aufgebaut ist, war bislang unklar. Prof. Dr. Christos Gatsogiannis vom Institut für Medizinische Physik und Biophysik der Westfälischen Wilhelms- Universität (WWU) Münster hat sich der Substanz angenommen – nicht nur wegen deren Einzigartigkeit, sondern auch im Hinblick auf mögliche medizinische Anwendungen. Mittels der sogenannten kryo-Elektronenmikroskopie, kurz: kryo-EM, ist es der Gruppe um Gatsogiannis in Zusammenarbeit mit seinen ehemaligen Kolleginnen und Kollegen am Max-Planck-Institut in Dortmund sowie Forschern der Jacobs Universität Bremen gelungen, die erste Struktur eines Latrotoxins aufzuklären. Die Erkenntnisse der Forschungsgruppe sind jetzt in der Fachzeitschrift Nature Communications erschienen.
Neurotoxine dürften den meisten Menschen bekannt sein – in Form von Botox, das häufig bei Schönheitsbehandlungen zum Einsatz kommt. Das Gift der Schwarzen Witwe wirkt jedoch alles andere als „verschönernd“. LaTX wurde von der Natur hauptsächlich entwickelt, um Insekten bewegungsunfähig zu machen oder zu töten. Dabei docken die Toxine an spezifischen Rezeptoren auf der Oberfläche von Nervenzellen an und bewirken die Freisetzung von Neurotransmittern, zum Beispiel durch einen Calcium-Kanal. Durch den ständigen Einstrom von Calcium-Ionen in die Zelle werden Transmitter abgegeben; die Folge sind Krämpfe.
Dieser Mechanismus unterscheidet die Latrotoxine von allen anderen Varianten der sogenannten porenformenden Toxine. „Trotz umfangreicher Studien in den letzten Jahrzehnten wussten wir nicht, wie diese Toxine aufgebaut sind. Daher waren wir bisher auch nicht in der Lage, den genauen Wirkmechanismus zu verstehen“, sagt Gatsogiannis. Die kryo-EM konnte Abhilfe leisten: Mithilfe dieser dreidimensionalen Methode lassen sich Biomoleküle mittlerweile bis zur atomaren Auflösung „fotografieren“. Dabei werden die Proteinkomplexe in flüssigem Ethan bei minus 196 Grad in Millisekunden in eine dünne Schicht von amorphem Eis, einer Form von festem Wasser, eingefroren. Anschließend werden Hunderttausende von Bildern aufgenommen, welche unterschiedliche Ansichten des Proteins zeigen – und derart die Struktur des Nervengifts erkennen lassen.
Mittels der kryo-EM ist es der Gruppe um Christos Gatsogiannis in Zusammenarbeit mit Forscherinnen und Forschern des Max-Planck-Instituts in Dortmund und der Jacobs Universität Bremen gelungen, die erste Struktur eines Latrotoxins aufzuklären. „Die allgemeine Struktur des LaTX ist einzigartig und unterscheidet sich von allen bereits bekannten Toxinen in jeglicher Hinsicht“, betont Gatsogiannis. Die neuen Erkenntnisse sind grundlegend für das Verständnis des molekularen Mechanismus der LaTX-Familie und bereiten den Boden für mögliche medizinische Anwendungen – und auch für die Entwicklung eines effizienten Gegengifts. Außerdem könnten die Erkenntnisse über die insektenspezifischen Toxine neue Möglichkeiten zur Schädlingsbekämpfung eröffnen.
Für künftige Forschungen ist es jedoch essenziell, zu verstehen, wie das Toxin genau in der Membran inseriert – sprich: wie sich das Gift in die Zelloberfläche einfügt. „Momentan untersuchen wir die Struktur aller Mitglieder der Familie der Latrotoxine, vor allem, wie sie spezifische Rezeptoren an der Zelloberfläche sehr genau erkennen und wie diese Sensoren funktionieren“, erklärt Gatsogiannis.
Seine größte Hürde bei diesen Plänen: Die kryo-EM ist im Großraum Münster noch nicht verfügbar. Das wollen Christos Gatsogiannis und sein Team ändern: „Die praktische Bedeutung für die medizinische Forschung ist immens, da ‚Funktion‘ in biologischen Zusammenhängen unmittelbar mit ‚Struktur‘ verknüpft ist. Die Methode ist aber sehr komplex und benötigt eine hoch moderne Infrastruktur“, betont Dr. Minghao Chen, Erstautor der Studie. Die Arbeitsgruppe will die innovative Methode bald im neuen Forschungsbau der Universität Münster, dem Center for Soft Nanoscience (SoN), einführen.
Originalpublikation:
Chen, M., Blum, D., Engelhard, L. et al. Molecular architecture of black widow spider neurotoxins. Nat Commun 12, 6956 (2021). https://doi.org/10.1038/s41467-021-26562-8

06.12.2021, Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung
Biodiversitätsentdeckung 4.0 für Jeden
Wissenschaftler:innen des Museums für Naturkunde Berlin und der Nationalen Universität Singapur ist es gelungen, die Methode der Artenbestimmungen mit Hilfe eines sogenannten genetischen „Strichcodes“ und eines kleinen Sequenziergerätes drastisch zu vereinfachen. Der neue Ansatz ist mit minimalem Kosten- und Materialaufwand verbunden und in der Handhabung so einfach, dass er von Jedem am Ort der Entdeckung durchgeführt werden kann und die wissenschaftliche Expertise der Forschenden ergänzt.
Seit Jahrzehnten lässt sich überall auf der Welt ein Rückgang der biologischen Vielfalt beobachten. Der Verlust von Arten gefährdet die Tier- und Pflanzengemeinschaften und könnte laut Prognosen von Swiss Re zu einem Zusammenbruch von Ökosystem in zahlreichen Ländern weltweit führen. „Die Entdeckung von Arten und die Überwachung der Biodiversität wird daher in Zukunft einen noch viel größeren Raum einnehmen“, erklärt Prof. Rudolf Meier, Leiter des Zentrums für Integrative Biodiversitätsentdeckung am Museum für Naturkunde Berlin. „Alle Länder werden Echtzeitinformationen über die Verbreitung und Häufigkeit von Arten benötigen, um wirksame Erhaltungsstrategien und -maßnahmen zu entwickeln“.
Ziel der Forschenden war es daher, eine einfache, kostengünstige aber qualitativ hochwertige Methode zu entwickeln, die schnellere Artbestimmung überall auf der Welt ermöglicht. Sie machten dabei von einer neuen Generation von Sequenziermaschinen Gebrauch. Diese sogenannten MinION passen in jede Hosentasche und können innerhalb kürzester Zeit Ergebnisse liefern und die wissenschaftliche Arbeit der Forschenden unterstützen.
Um zu überprüfen, ob sich das Gerät für die breite Bestimmung von Arten eignet, mussten die Wissenschaftler:innen zunächst sicherstellen, dass das kleine Gerät den genetischen Code mit hoher Präzision auslesen kann. „Uns ist es glücklicherweise gelungen, die Arbeitsschritte so weit zu vereinfachen, dass sich die Kosten auf weniger als 10 Cent pro Exemplar reduzierten“, erläutert Dr. Amrita Srivathsan, Erstautorin der Studie. „Dies erst macht den breiten Einsatz dieser Methodik für die Biodiversitätsentdeckung und die Überwachung des Verlusts von Arten möglich“.
Durch die Einfachheit des Ansatzes können nun auch Nichtwissenschaftler:innen innerhalb weniger Tage die Fähigkeiten erlernen, um im Garten, Feld oder Wald Tierarten mithilfe des MinION Systems zu bestimmen und zu dokumentieren. Dies ist nicht zuletzt der Entwicklung eines neuen, frei zugänglichen Bioinformatik-Tools namens ONTbarcoder zu verdanken, das die MinION-Ergebnisse für jedermann interpretierbar macht.
„Wir sind überzeugt, dass die vorgestellte Methode zum Schutz der Artenvielfalt beiträgt und einer Vielzahl von Interessensgruppen, wie Regierungsorganisationen, Universitäten, Museen und privaten Verbänden, bei der Biodiversitätsforschung helfen wird “, verdeutlicht Prof. Rudolf Meier.
Den Nutzen der Artenbestimmung anhand von DNA-Sequenzen konnten die Wissenschaftler:innen bereits in einer weiteren Studie eindrucksvoll unter Beweis stellen. Untersuchungen von Mangroven in Singapur zeigten eine überraschend hohe Insektendiversität in diesem Ökosystem. Bisher ging man aufgrund der geringen Pflanzendiversität davon aus, dass sich nur wenige Insektenarten in diesem Gebiet aufhalten. Dank dem Einsatz der neu entwickelten Methode konnten die Autor:innen nun zeigen, dass Mangroven ein bislang unzureichend beachteter Hotspot für unterschiedlichste Insektenarten sind.
Publikationen:
Srivathsan, A., Lee, L., Katoh, K., Hartop, E., Narayanan Kutty, S., Wong, J., Yeo, D. & Meier, R. ONTbarcoder and MinION barcodes aid biodiversity discovery and identification by everyone, for everyone. BMC Biology (2021) 19:217
https://doi.org/10.1186/s12915-021-01141-x
Yeo, D., Srivathsan, A., Puniamoorthy, J., Maosheng, F., Grootaert, P., Chan, L., Guénard, B., Damken, C., Wahab, R. A., Yuchen, A. & Meier, R. Mangroves are an overlooked hotspot of insect diversity despite low plant diversity. BMC Biology (2021) 19:202
https://doi.org/10.1186/s12915-021-01088-z

08.12.2021, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover
Hauskatzen können sich mit SARS-CoV-2 infizieren
Rund vier Prozent aller Hauskatzen in Europa haben eine Infektion mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 durchgemacht. Erkrankte Katzen können das Virus ausscheiden, aber es gibt keine Hinweise darauf, dass sie Menschen anstecken und zur Ausbreitung des neuen Coronavirus beitragen.
Hauskatzen können sich mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizieren. Rund vier Prozent aller Hauskatzen haben sich während der ersten Infektionswelle im Frühjahr bis in den Sommer 2020 angesteckt, wahrscheinlich bei ihren Besitzerinnen und Besitzern. Diesen Befund veröffentlichten deutsche und niederländische Forschende unter der Leitung von Professor Dr. Albert Osterhaus, Stiftung Tierärztlichen Hochschule Hannover (TiHo), im Dezember im Journal „Emerging Infectious Diseases“ der amerikanischen Centers for Disease Control. In ihrer Studie erprobten sie einen Labortest, der in allen tierärztlichen Labors eingesetzt werden kann.
In deutschen Haushalten leben etwa 15,7 Millionen Katzen. Können auch sie sich mit dem SARS-CoV-2 anstecken? Werden sie krank? Und tragen sie zum Infektionsgeschehen bei? „Bisher gab es einzelne Studien zur Transmission unter Laborbedingungen und anekdotische Beobachtungen infizierter Katzen aus verschiedenen Ländern“, sagt Albert Osterhaus, Research Center for Emerging Infections and Zoonoses an der TiHo. „Unsere Studie bietet einen guten Überblick über Europa.“ Für die Studie analysierten er und sein Team insgesamt 2.160 Blutproben von Katzen aus Deutschland, dem Vereinigten Königreich, Italien und Spanien – genug aus jedem Land, um eine realistische Einschätzung der Verbreitung des Virus zu erlauben, wie die Autoren und Autorinnen feststellen.
Die Blutproben der Tiere stammten aus einem diagnostischen Labor, an das sie aus verschiedenen Gründen unabhängig von Corona geschickt worden waren. Um die Antikörper nachzuweisen, die nach durchgemachter SARS-CoV-2-Infektion im Blut vorkommen, nutzten die Forschenden zwei verschiedene Methoden. Der etablierte Virus-Neutralisationstest kann nur in Laboren der biologischen Sicherheitsstufe 3 durchgeführt werden. Osterhaus’ Labor verglich die Ergebnisse des Neutralisationstests mit einer Nachweismethode, bei der nur der Hauptteil des Spikeproteins des Virus eingesetzt wird. „Jedes veterinärmedizinische Labor kann diese Tests durchführen“, erklärt der Leiter der Studie. Und er erwies sich als ähnlich empfindlich und spezifisch wie der aufwendigere Neutralisationstest.
Insgesamt fanden die TiHo-Forschenden in 4,4 Prozent aller Blutproben SARS-CoV-2 spezifische Antikörper; dabei war der Anteil der positiv getesteten Katzen in Spanien mit 6,4 Prozent am höchsten und in Großbritannien mit 3,3 Prozent am niedrigsten. 4,2 Prozent der Proben aus Deutschland enthielten SARS-CoV-2 spezifische Antikörper. „Das ist erstmal eine Zahl“, sagt Virologe Osterhaus. „Nicht viel, nicht wenig.“ Er geht davon aus, dass die Katzen sich ausschließlich bei Menschen angesteckt haben: „In dieser frühen Phase der Pandemie waren Menschen die einzig denkbare Infektionsquelle.“ Und obwohl erkrankte Katzen das Virus ausscheiden, gebe es bisher keine Hinweise darauf, dass sie Menschen anstecken und zur Ausbreitung des neuen Coronavirus beitragen. „Wir müssen trotzdem wachsam sein“, mahnt er. Bei Nerzen habe man gesehen, wie sich das Coronavirus explosionsartig ausbreitet, wenn die Bedingungen dafür günstig sind. „Unsere Hauskatzen leben natürlich nicht in engen Käfigen wie Zuchtnerze“, sagt Osterhaus. „Aber viele Katzenhalter pflegen einen sehr engen und vertrauten Umgang mit ihren Tieren.“ Das sei vermutlich auch einer der Gründe für die vergleichsweise niedrigere Zahl infizierter Hunde, die andere wissenschaftliche Studien beschreiben.
„Wir hätten unsere Ergebnisse gern mit dem Infektionsstatus der Tierbesitzer korreliert“, sagt Osterhaus, „um abschätzen zu können, wie hoch das Risiko ist, dass im Haushalt lebende Katzen sich bei infizierten Menschen mit SARS-CoV-2 anstecken. Diese Daten standen uns leider nicht zur Verfügung.“ TiHo-Virologin Claudia Schulz, Erstautorin des Artikels, weiter: „Vergleiche mit Ergebnissen aus wissenschaftlichen Feldstudien zu SARS-CoV-2 spezifischen Antikörpern beim Menschen, beispielsweise aus Spanien, deuten jedoch auf einen Zusammenhang mit dem Prozentsatz SARS-CoV-2 Antikörper-positiver Katzen hin.“
Der von ihnen beschriebene Labortest eigne sich für breite Screeninguntersuchungen von Katzen, schreibt das Autorenteam aus Hannover, Delft und Utrecht. Das eröffnet die Möglichkeit, sich jederzeit einen Überblick über die Verbreitung der Infektion unter Katzen zu verschaffen. Und obwohl die Tiere in der Regel keine oder sehr milde Symptome zeigen, rät Osterhaus Tierärztinnen und Tierärzten dazu, Katzen im Zweifelsfalls per PCR-Test auf eine SARS-CoV-2-Infektion zu untersuchen. „Tierhalter, die selbst oder deren Katzen erkrankt sind, sollten zudem im Umgang mit ihnen die gleichen Hygiene- und Abstandsregeln einhalten, wie wir es unter Menschen inzwischen kennen“, sagt er.
Originalpublikation
SARS-CoV-2–Specific Antibodies in Domestic Cats during First COVID-19 Wave, Europe
Claudia Schulz, Byron Martina, Monica Mirolo, Elisabeth Müller, Ruth Klein, Holger Volk, Herman Egberink, Mariana Gonzalez-Hernandez, Franziska Kaiser, Maren von Köckritz-Blickwede, and Albert Osterhaus
Emerging Infectious Diseases, DORÌ: https://doi.org/10.3201/eid2712.211252

08.12.2021, Universität Bremen
Jungkorallen geben Einblick in die Erholung nach Korallenbleiche
Wie sich Riffe von Korallenbleichen erholen, kann die Anzahl an Jungkorallen verraten. Das zeigt eine neue Studie der Universität Bremen, die kürzlich in der Fachzeitschrift PLOS ONE veröffentlicht wurde.
Die durch den Klimawandel verursachte Ozeanerwärmung und die dadurch steigende Frequenz und Schwere von Korallenbleichen stellen weltweit die größte Bedrohung für Korallenriffe dar. Wie schnell sich Korallenriffe von solchen Bleichen erholen können ist daher von großem Interesse – die Anzahl an Jungkorallen gibt dabei einen guten Einblick. Wissenschaftler:innen eines internationalen Forschungsprojekts der Abteilung Marine Ökologie der Universität Bremen in Partnerschaft mit der Seychelles Islands Foundation (SIF) haben dies in einem abgelegenen Atoll im Indischen Ozean erforscht und fanden Vielversprechendes: innerhalb von vier Jahren nach der Korallenbleiche von 2016 stieg die Anzahl an Jungkorallen auf das 2 bis 3-fache, verglichen mit der Situation direkt nach der Bleiche.
„Jungkorallen können genau wie erwachsene Korallen schwer von Bleichen getroffen werden und absterben. Jedoch beeinflusst eine Korallenbleiche auch die Reproduzierfähigkeit von erwachsenen Korallen. Dies bedeutet, dass die Vermehrung und daher die Anzahl an Jungkorallen selbst mehrere Jahre nach einer Bleiche unterdrückt bleiben kann“, erläutert Professor Christian Wild, Leiter der Arbeitsgruppe Marine Ökologie an der Universität Bremen.
Dr. Anna Koester, die vor kurzem an der Universität Bremen promoviert wurde, ist Erstautorin einer Studie, die kürzlich in der Fachzeitschrift PLOS ONE veröffentlicht wurde. Die Meeresökologin sagt: „Der rapide Anstieg an Jungkorallen, den wir in den vier Jahren nach der Korallenbleiche beobachtet haben, ist ein gutes Zeichen für die Erholung der Riffe vom Aldabra Atoll und ergänzt die Ergebnisse unserer vorherigen Arbeit.“
Das Aldabra Atoll ist eine von nur 50 marinen UNESCO-Welterbestätten und liegt weit draußen im Indischen Ozean. Dort spielen menschgemachte lokale Faktoren wie der Eintrag von Nährstoffen und Überfischung so gut wie keine Rolle, erläutert die Wissenschaftlerin. Dennoch hat dort die letzte Korallenbleiche von 2016 bis zu zwei Drittel der Korallen absterben lassen. Der ideale Ort also, um herauszufinden, wie sich der Zustand geschädigter Riffe verändert, wenn sie keinen direkten von Menschen verursachten Stressfaktoren ausgesetzt sind.
Um ein grundlegendes Verständnis über die Vermehrung von Korallen am Aldabra Atoll zu erhalten, haben sich die Wissenschaftler:innen in der Studie auch die Ansiedelung von Korallenlarven genauer angeschaut. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Korallenlaiche am Aldabra Atoll hauptsächlich zwischen Oktober und Dezember stattfindet. Das sind wichtige Informationen für weitere Studien, die untersuchen, welche Riffe in der Region Korallenlarven von Aldabra erhalten und daher auch vom Schutz Aldabras profitieren“, sagt Koester.
„Aufgrund des Klimawandels, erwarten wir eine Zunahme in der Frequenz von Korallenbleichen. Das bedeutet, dass die Zeitspannen für die Erholung der Riffe zwischen Korallenbleichen immer kürzer werden“, betont Wild. Die Auslöser von Korallenbleichen, vor allem die Ozeanerwärmung, zu reduzieren ist daher essentiell, denn selbst abgelegene und streng geschützte Riffe wie das Aldabra Atoll werden sich sonst sehr bald auch nicht mehr schnell genug erholen können.
Originalpublikation:
Koester, A., Ford, A. K., Ferse, S. C. A., Migani, V., Bunbury, N., Sanchez, C., and Wild, C. 2021. First insights into coral recruit and juvenile abundances at remote Aldabra Atoll, Seychelles. PLoS ONE 16(12): e0260516. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0260516

10.12.2021, Naturhistorisches Museum Wien
„Rise from the dead“: Vermeintliches Massenaussterben der Haie vor 19 Millionen Jahren neu interpretiert
Massenaussterbe-Events zählen zu den spannendsten Forschungsgebieten. Ein besonders dramatisches Ereignis, dem anscheinend ein Großteil der Tiefseehaie zum Opfer fiel, wurde kürzlich in Tiefseebohrkernen dokumentiert. Doch nicht jede Katastrophe hält einer kritischen Überprüfung stand, wie neue Studienergebnisse des NHM Wien zeigen.
Haie weisen eine über 400 Millionen Jahre andauernde Erfolgsgeschichte auf und trotzen allen großen Massenaussterbe-Events. Neben den einschneidendsten Umweltkatastrophen an der Perm-Trias-Grenze (vor rund 252 Millionen Jahren) und der Kreide-Paläogen-Grenze (vor rund 66 Millionen Jahren) kam nun vor kurzem ein für Tiefseehaie weitaus dramatischeres Aussterbe-Ereignis hinzu.
Zwei US-Wissenschaftlerinnen berichteten jüngst im Fachjournal „Science“ über einen Rückgang der Haidiversität vor 19 Millionen Jahren mit einem Einschnitt der Häufigkeit von Tiefseehaien von über 90%. Aufgrund der relativen Stabilität der Tiefsee auf kurzzeitige Umweltveränderungen ist dieser enorme Rückgang der Tiefseehaie alarmierend und überraschend zugleich.
Forscherinnen und Forscher des Naturhistorischen Museums Wien und einige internationale Kollegen waren jedoch skeptisch, denn sie sahen kein derartiges Ereignis in ihren Daten. „In mehreren durch den Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) finanzierten Projekten haben wir in Italien, Griechenland, der Türkei, Tansania, Indien, Sri Lanka und dem Oman gleich alte Meeresablagerungen untersucht. Nirgends gab es Hinweise auf ein Aussterbeereignis vor 19 Millionen Jahren“, so Studienmitautor Dr. Mathias Harzhauser, Leiter der Geologisch-Paläontologischen Abteilung am NHM Wien.
Die von den US-Wissenschaftlerinnen herangezogenen Daten beruhten auf Haischuppen aus wenigen Gramm Sediment aus Tiefseebohrkernen. Die US-Forscherinnen übersahen dabei jedoch, dass der Eintrag an Sand und Schlamm im südlichen Pazifik genau zu der Zeit des postulierten Ereignisses sprunghaft anstieg. Daher waren in der gleichen Probenmenge plötzlich viel weniger Fossilien zu finden, was fälschlich als dramatisches Aussterbeereignis interpretiert wurde. „Wir haben die Originaldaten einfach durch die Sedimentationsraten korrigiert und dabei zeigte sich, dass das vermeintliche Aussterbeereignis ein Artefakt ist. Von den globalen Klimaänderungen des Miozäns waren die Haie in der Tiefsee nicht sonderlich beeindruckt“, erklärt Studienleiterin Iris Feichtinger, MSc., vom NHM Wien.
Originalpublikation:
Comment on „An early Miocene extinction in pelagic sharks“. Feichtinger I., Adnet S., Cuny G., Guinot G., Kriwet J., Neubauer T.A., J. Pollerspöck J., Shimada K., Straube N., Underwood C., Vullo R. & Harzhauser M. Science: doi: 10.1126/science.abk0632
https://www.science.org/doi/10.1126/science.abk0632

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