Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

24.11.2021, Universität Wien
Invasive Säugetiere in Europa als Gefahr für Gesundheit und Biodiversität
Klimawandel begünstig die Verbreitung eingeschleppter Arten und potentieller Krankheitsüberträger
Vom Menschen eingeführte invasive Arten verursachen in Europa jährlich enorme Schäden und können sich auch negativ auf die Biodiversität auswirken. Viele dieser Arten breiten sich nach wie vor aus und diese Entwicklung wird durch den Klimawandel beschleunigt. Nun zeigt eine internationale Studie unter Beteiligung von Biolog*innen der Universität Wien um Franz Essl, welche Auswirkungen invasive Säugetiere in Europa haben. Die Studie ist in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Mammal Review“ erschienen.
Waschbär, Marderhund, Grauhörnchen, Nutria – putzige Säugetiere, die eines gemeinsam haben: Sie kamen ursprünglich in Europa nicht vor. Sie wurden vom Menschen als Haus- oder Pelztiere eingeführt und haben sich in den letzten Jahrzehnten in Europa rasch ausgebreitet. Als Überträger von Krankheiten oder durch die Verdrängung heimischer Arten können sie massive Auswirkungen auf die Umwelt und für die menschliche Gesundheit haben. So hat etwa der amerikanische Mink den europäischen Nerz an den Rand des Aussterbens gebracht. Trotz der Umsetzung internationaler Vereinbarungen in der EU breiten sich invasive gebietsfremde Säugetiere weiterhin aus. Die ForscherInnen haben daher für 16 der wichtigsten invasiven Säugetiere Europas eine umfassende Analyse zu ihrer Verbreitung und den Auswirkungen dessen durchgeführt. Dafür haben sie die komplette Literatur zu diesen Arten ausgewertet.
Invasive Säugetiere breiten sich zunehmend aus
„Obwohl in den letzten 50 Jahren die Freisetzung gebietsfremder Säugetiere in Europa abgenommen hat, breiten sich die schon vorhandenen gebietsfremden Säugetiere zunehmend aus“, erklärt Lisa Tedeschi, die Hauptautorin der Studie. Die in Europa am häufigsten vorkommenden invasiven Säugetiere sind der aus Ostsibirien stammende Marderhund, sowie mehrere aus Nordamerika stammenden Arten: Bisamratte, Mink, Waschbär. „Alle diese Arten kommen auch in Österreich mittlerweile vor“, erklärt Franz Essl von der Universität Wien: „Mit Ausnahme der Bisamratte, die schon lange in Österreich ansässig war, haben sich die anderen Arten erst seit der Jahrtausendwende in Österreich festsetzen können“. Der Klimawandel spielt dabei eine bedeutende Rolle, da harte Winter etwa für Waschbär und Nutria ein großes Problem darstellen.
Mit fünf Arten besonders stark in Europa vertreten sind gebietsfremde Eichhörnchen. Das Grauhörnchen hat in Großbritannien das heimische Eichhörnchen mittlerweile fast völlig verdrängt. Auch in Norditalien befindet es sich auf dem Vormarsch, weshalb es in absehbarer Zeit auch Österreich besiedeln wird. „Exotische Eichhörnchen wurden immer wieder illegal in städtischen Parks ausgesetzt“, so Lisa Tedeschi. Aufgrund von Verboten und Aufklärungsmaßnahmen haben solche Freilassungen jedoch in jüngerer Vergangenheit abgenommen.
Invasive Säugetiere als Überträger von Krankheitserregern
Durch COVID 19 haben Säugetiere als Überträger human-medizinisch bedeutsamer Krankheitserreger jüngst besondere Beachtung gefunden. „Von den 16 untersuchten invasiven Säugetieren in Europa sind 13 Arten potenzielle Überträger von Krankheitserregern“, betont Franz Essl. An erster Stelle steht der Waschbär, der als Wirt von mehr als 30 Krankheitserregern bekannt ist, die potenziell auf den Menschen überwechseln können. Im Zuge der COVID 19-Pandemie hatte sich auch gezeigt, dass der Mink in Europa als Wirt für das Virus fungieren kann.
Fazit: Es ist wichtig, die weitere Einschleppung invasiver Arten in Europa zu verhindern und bei den schon vorkommenden Arten die weitere Ausbreitung zu stoppen. Dafür ist eine konsequente Umsetzung der Verordnung zu invasiven Arten der EU nötig, so die Autor*innen der Studie.
Publikation in „Mammal Review“
Tedeschi L, Biancolini D, Capinha C, Rondinini C, Essl F (2021) Introduction, spread, and impacts of invasive alien mammal species in Europe. Mammal Review.
DOI: 10.1111/mam.12277

24.11.2021, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.
Fledermäuse im Himalaya sind in hohen Lagen funktionell weniger vielfältig – bei gleicher evolutionärer Diversität
Millionen Jahre der Evolution haben zu einer immensen Vielfalt an Arten geführt, von denen jede auf einzigartige Weise an ihre Umwelt angepasst ist. Eine einfache Methode zur Messung der biologischen Vielfalt ist über die Anzahl der Arten (taxonomische Vielfalt), doch in jüngerer Zeit gewinnen weitere Maße an Bedeutung: die funktionelle Vielfalt – also die Vielfalt der phänotypischen Merkmale, die es den Organismen ermöglichen, ihre ökologischen Funktionen zu erfüllen ¬– und die phylogenetische Vielfalt, d. h. die Vielfalt der Verästelungen im Baum des Lebens.
In einer in der Fachzeitschrift „Scientific Reports“ veröffentlichten Arbeit vergleicht ein Wissenschaftsteam unter Leitung des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) diese Ansätze: Es fand heraus, dass Artenreichtum und funktionelle Vielfalt von Fledermausgemeinschaften im Himalaya mit zunehmender Höhe abnehmen, die phylogenetische Vielfalt jedoch gleich bleibt. Ihre Ergebnisse geben Aufschluss über die Vielfalt der Fledermäuse im Himalaya und dienen als wichtige Grundlage für die Bewertung dieser Vielfalt im Kontext von Umweltveränderungen.
Erstautor Rohit Chakravarty vom Leibniz-IZW und seine Kolleg:innen untersuchten drei verschiedene Ansätze zur Ermittlung von Biodiversitätsmustern bei Fledermäusen entlang eines Höhengradienten im Himalaya. Gebirgsregionen bieten ideale Voraussetzungen für diese Art von Analysen, da sie eine große Anzahl unterschiedlicher Klima- und Vegetationszonen auf engem Raum umfassen. „Es ist gut bekannt, wie sich Artenreichtum entlang dieser Höhengradienten verändert, aber um die evolutionären Prozesse zu verstehen, die zu dieser Verteilung der Arten führen, muss man die Vielfalt der Merkmale und die Evolutionsgeschichte der Vielfalt analysieren“, erklärt Chakravarty. Das Team fing im westlichen Himalaya Fledermäuse in Höhenlagen zwischen 1.500 und 3.500 Metern und erfasste deren phänotypische Merkmale wie zum Beispiel Flügelform und Echoortungsrufe – beides sind wichtige Merkmale, die typisch für bestimmte Formen der Nahrungssuche sind. Diese Informationen verglichen sie mit dem Stammbaum der Fledermausarten im Himalaya, der die sogenannte phylogenetische Vielfalt widerspiegelt. „Die phylogenetische Vielfalt zeigt die Anzahl der Stufen oder evolutionären Anpassungen an, die die Arten voneinander unterscheiden“, erklärt Chakravarty. „Vom evolutionären Standpunkt aus ist das interessant. Drei Arten, die auf demselben Ast – oder sogar Zweig – des ‚Baum des Lebens‘ sitzen, haben eine gemeinsame Evolutionsgeschichte, das heißt, sie haben sich aus einem gemeinsamen Vorfahren entwickelt und können daher ähnliche Anpassungen an die Umweltbedingungen aufweisen. Sitzen diese drei Arten auf weit entfernten Ästen, verfügt die Gemeinschaft über eine höhere evolutionäre Vielfalt, was als phylogenetische Vielfalt bezeichnet wird.“
Aus evolutionsbiologischer Sicht bedeutet eine hohe phylogenetische Vielfalt nicht automatisch Gruppen von Arten mit unterschiedlichen Merkmalen. Die Wissenschaftler:innen stellten fest, dass Fledermausarten in höheren Lagen des Himalaya ähnliche Merkmale aufweisen, was darauf hindeutet, dass die dortigen Umweltbedingungen spezifische Merkmale “herausfiltern“, die für das Überleben in großen Höhen zwingend erforderlich sind. Allerdings war die phylogenetische Vielfalt in den höchsten Lagen nicht geringer als in den darunter liegenden Tälern, das heißt die Arten höherer Lagen waren ähnlich nah oder entfernt miteinander verwandt wie die Arten niedrigerer Lagen. „Dies zeigt, dass die Verwendung zusätzlicher Indikatoren für die Biodiversität, die über den Artenreichtum in einer Region hinausgehen, einen Mehrwert für die Bewertung der Vielfalt hat“, sagt Dr. Viktoriia Radchuk, Wissenschaftlerin in der Abteilung Ökologische Dynamik des Leibniz-IZW und Senior-Autorin der Studie. „Darüber hinaus wird deutlich, dass in diesem speziellen Fall die phylogenetische Diversität kein guter Ersatz für die Messung der funktionellen Diversität ist.“ In der untersuchten Region lassen sich die Unterschiede in der funktionalen und phylogenetischen Diversität auf eine Fledermausfamilie zurückführen, die Hufeisennasen. Diese Fledermausarten kommen nur in tieferen Lagen vor und weisen trotz ihrer Zugehörigkeit zur gleichen Familie (und der daraus resultierenden phylogenetischen Ähnlichkeit) sehr unterschiedliche Merkmale auf.
Betrachtet man biologische Vielfalt als mehr als nur die Anzahl der Arten in einer Region, bietet sich die Möglichkeit, die Evolution als vielschichtigen Prozess zu verstehen. Aufbauend auf dem in diesem wissenschaftlichen Aufsatz verfolgten Ansatz könnten künftige Arbeiten untersuchen, wie sich Fledermausarten entlang von Klima- und Vegetationsgradienten im Himalaya entwickelten. Dies könnte zu einem besseren Verständnis vergangener Evolutionsprozesse beitragen und auch zuverlässigere Vorhersagen darüber ermöglichen, wie Arten auf künftige, veränderte Umweltbedingungen reagieren könnten. Der Himalaya erwärmt sich dreimal so schnell wie der globale Durchschnitt, was diese Fragen zu dringenden Themen der Umweltforschung macht.
Publikation
Chakravarty R, Mohan R, Voigt CC, Krishnan A, Radchuk V (2021): Functional diversity of Himalayan bat communities declines at high elevation without the loss of phylogenetic diversity. Scientific Reports. DOI: 10.1038/s41598-021-01939-3

25.11.2021, Staatliches Museum für Naturkunde Stuttgart
ForscherInnen beschreiben eine neue Gattung von fleischfressenden Fischsauriern aus der frühen Kreidezeit
Das 130 Millionen Jahre alte Fossil eines thunfischförmigen Meeresreptils aus Kolumbien wirft Licht auf die Vielfalt der alten Meeresfaunen in den Tropen. Es handelt sich um einen der erdgeschichtlich jüngsten Ichthyosaurier.
Ein internationales ForscherInnen-Team aus Kolumbien, Kanada und Deutschland, unter Ihnen die Fischsaurierexpertin des Naturkundemuseums Stuttgart Dr. Erin Maxwell, haben ein neues, ausgestorbenes, fleischfressendes Meeresreptil mit dem Namen Kyhytysuka sachicarum beschrieben. Der etwa ein Meter lange fossile Ichthyosaurier-Schädel aus der frühen Kreidezeit befindet sich in Kolumbien schon seit Jahren in einer Museumssammlung. Bei einer erneuten Untersuchung des Stücks auf der Grundlage aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse, konnten die PaläontologInnen zeigen, dass es sich um eine neue Ichthyosaurier-Gattung handelt. Die Forschungsergebnisse tragen auch zu einem besseren Verständnis der Evolution dieser erdgeschichtlich jüngsten Ichthyosaurier bei und wurden nun in der Fachzeitschrift „Journal of Systematic Palaeontology“ veröffentlicht.
Basierend auf einem Dutzend anatomischer Merkmale des Unterkiefers, der Nasenregion und des Gebisses beschrieben die Forscher die neue Gattung. „Wir haben beschlossen, den Fischsaurier nach einer ausgestorbenen indigenen Sprache aus der Region zu benennen, in der er gefunden wurde, um die Muisca-Kultur zu ehren. Wir nannten ihn Kyhytysuka, was so viel bedeutet wie ‚derjenige, der mit etwas Scharfem schneidet‘, sagt Dirley Cortés, eine der beteiligten WissenschaftlerInnen. Das einzigartige Gebiss war daher wichtig für die Namensgebung.
Kyhytysuka hatte verschiedene Gebisszonen und konnte damit effektiv große Beute fangen, durchbohren, zersägen und schließlich zermalmen. Diese großen fleischfressenden Ichthyosaurier waren bisher nur aus dem frühen Jura bekannt. Viele der klassischen jurassischen Meeresökosysteme mit tiefwasserfressenden Ichthyosauriern, kurzhalsigen Plesiosauriern und meeresangepassten Krokodilen wurden in der Folge durch neue Linien von langhalsigen Plesiosauriern, Meeresschildkröten und großen Meeresechsen, den Mosasauriern, abgelöst.
Für die ForscherInnen ist daher wichtig, dass Kyhytysuka aus einer Übergangszeit während der frühen Kreidezeit stammt. „Die neu beschriebene Gattung zeigt, dass die Tropenregion zu dieser Zeit ein alter ‚Hotspot‘ der Biodiversität war. Mit der genauen Erforschung jedes neuen Tieres können wir mehr über die Ökosysteme der Zeit herausfinden. Das tropische Meer der Kreidezeit ist für uns hochinteressant im Hinblick auf die Evolution und die Biologie der damaligen Lebewesen“, so Dr. Erin Maxwell von Naturkundemuseum Stuttgart.
Zunächst wurde Kyhytysuka sachicarum der Gattung Platypterygius zugeordnet und Studien zur Systematik der Ichthyosaurier hatten diese Art nicht in ihre Analysen einbezogen. Die Vielfalt der Ichthyosaurier aus der frühen Kreidezeit hat in den letzten Jahren jedoch durch die Entdeckung neuer Taxa bei Grabungen und in Museumssammlungen deutlich zugenommen. Dies hat zu neuen Merkmalen und einem besseren Verständnis der Anatomie geführt.
Originalpublikation:
Dirley Cortés, Erin E. Maxwell, Hans C.E. Larson: Reappearance of hypercarnivore ichthyosaurs in the Cretaceous with differentiated dentition: revision of ‚Platypterygius‘ sachicarum (Reptilia: Ichthyosauria, Ophthalmosauridae) of Colombia.
Journal of Systematic Palaeontology, veröffentlicht am 22.11.2021
DOI: https://doi.org/10.1080/14772019.2021.1989507

25.11.2021, Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig
Biologische Vielfalt: Zeit, endlich zu handeln
Um die globalen Ziele zum Erhalt der biologischen Vielfalt zu erreichen, muss die Umsetzung auf nationaler Ebene deutlich verbessert werden. Verbindliche Maßnahmen und verantwortliche Akteure müssen klar definiert und die Umsetzung durch systematisches Monitoring überwacht werden. Diese Empfehlungen stehen im Zentrum eines dreistufigen Rahmenplans, den ein internationales Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unter Leitung des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) in der Fachzeitschrift Conservation Letters veröffentlicht hat. Um ein erneutes Scheitern der internationalen Vereinbarungen zu vermeiden, dürfe vor allem ein Fehler nicht mehr passieren.
Im kommenden Frühjahr treffen sich Regierungsvertreter in Kunming, China, um im Rahmen der Biodiversitätskonvention (CBD) neue globale Biodiversitätsziele auszuhandeln. In der Vergangenheit hat die internationale Gemeinschaft viele ihrer Ziele zum Schutz der Biodiversität verfehlt. So sind zum Beispiel laut Eurostat die Bestände typischer Vogelarten der europäischen Kulturlandschaft seit 2000 um 17 Prozent zurückgegangen. Der fortgesetzte Rückgang biologischer Vielfalt verändert das Funktionieren der Ökosysteme und gefährdet das Wohlergehen der Menschen.
Ein Team von 55 Forschenden hat nun einen Rahmenplan vorgeschlagen, wie die internationalen Biodiversitätsziele auf nationaler und subnationaler Ebene effektiv umgesetzt werden könnten. Der Plan umfasst drei Stufen:
In der ersten Stufe müssen die internationalen in nationale Ziele und Aktionspläne übersetzt werden und die für die Umsetzung zuständigen Sektoren (Landwirtschaft, Infrastruktur, Handel, Finanzen …) klar benannt werden. Laut den Autoren sollten diese Aktionspläne von den verantwortlichen Akteuren aus den verschiedenen Sektoren mit entwickelt werden. So könne die gemeinsame Verantwortung für die Aktionspläne gestärkt und Verantwortungslücken könnten vermieden werden. Beispielsweise sollten Bauernverbände Maßnahmen festlegen, die wichtig sind für die biologische Vielfalt in der Landwirtschaft und für Bestäubungsleistungen, oder der Finanzsektor sollte Investitionsentscheidungen zur Förderung des sozialen und ökologischen Wandels anstoßen.
In Stufe zwei geht es um die sektorübergreifende Umsetzung der Maßnahmen. Dazu müssten laut den Autorinnen und Autoren verschiedene Instrumente zur Förderung von Verhaltensänderungen genutzt werden. Eine große Herausforderung bestehe darin, rechtliche Rahmenbedingungen, Finanzströme und Netzwerkstrukturen so zu erneuern, dass biodiversitätsschädliche Maßnahmen nicht mehr gefördert würden. Dies gelte u. a. für viele Subventionen – z. B. in der Landwirtschaft. Nach Ansicht der Forschenden werden Finanzierungsmechanismen benötigt, um die Renaturierung von Ökosystemen zu fördern. Nach den aktuellen CBD-Plänen sollen 20 % der geschädigten Ökosysteme bis 2030 renaturiert werden. „Wir brauchen ehrgeizige Renaturierungsmaßnahmen, um die Biodiversitätsverluste der Vergangenheit wiedergutzumachen und den negativen Trend umzukehren“, sagt Dr. Andrea Perino, Forscherin bei iDiv und Erstautorin der Veröffentlichung. „Dazu beitragen können substanzielle Investments verschiedener Sektoren und umfassende Renaturierungspläne, durch die wir die Gesundheit von Menschen und Ökosystemen auch in Zukunft schützen können.“
In der dritten Stufe geht es darum, die erzielten Fortschritte zu evaluieren. Um zu überprüfen, dass die Akteure ihre Verpflichtungen auch erfüllen, müssten die Vertragsstaaten nationale Monitoring-Systeme einführen. Mit ihnen könnten Veränderungen der biologischen Vielfalt verfolgt und den verschiedenen Sektoren zugeordnet werden. „Es gibt einen Fehler, den wir nicht wiederholen dürfen. Wir müssen diesmal sehr konkrete Zielergebnisse vereinbaren und auch die verantwortlichen Akteure genau definieren“, sagt Co-Autor Prof. Henrique Pereira, Forschungsgruppenleiter bei iDiv und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. „Ein neuer Rahmenplan, der keine Rechenschaftspflicht vorsieht, ist zum Scheitern verurteilt. Deshalb brauchen wir ein systematisches und effektives Biodiversitäts-Monitoring. Nur so können wir die Akteure effektiv in die Verantwortung nehmen.“
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler betonen, dass die drei Stufen des vorgeschlagenen Rahmenplans eng miteinander verknüpft sind und im Laufe der Umsetzung angepasst werden müssen. Sie sind überzeugt, dass eine Übernahme ihres Vorschlags den Schutz der Biodiversität voranbringen würde. „Wir müssen jetzt mutig handeln, um den Verlust der biologischen Vielfalt zu stoppen und umzukehren“, sagt Co-Autorin Prof. Aletta Bonn, Forschungsgruppenleiterin beim Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ, der Friedrich-Schiller-Universität Jena und iDiv. „Die Regierungen müssen die globalen Biodiversitätsziele systematisch in konkrete nationale Maßnahmen umsetzen und die verantwortlichen Akteure sektorübergreifend in die Pflicht nehmen. Wir brauchen schnelle und substanzielle Investitionen in die Sicherung unserer Lebensgrundlagen – für die Zukunft unserer Kinder.“
Originalpublikation:
Perino, A. et al. (2021): Biodiversity post-2020: Closing the gap between global targets and national-level implementation. Conservation Letters, https://doi.org/10.1111/conl.12848

26.11.2021, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen
Überraschung in der Sammlungsschublade: Neue Schlangengattung entdeckt
Senckenberg-Wissenschaftler haben mit einem internationalen Team aus Indien, Malaysia und Großbritannien eine neue Schlangengattung aus Borneo beschrieben. Die Arten dieser Gattung sind extrem selten in freier Wildbahn anzutreffen – die Neuentdeckung ist anhand zweier Exemplare aus wissenschaftlichen Sammlungen gelungen. Die Forschenden zeigen in zudem ihrer heute im Fachjournal „Vertebrate Zoology“ erschienenen Studie, dass sich die endemische Art zwischen 66,7 und 44,6 Millionen Jahren vor heute eigenständig entwickelte.
Die kleinen, weniger als einen halben Meter langen, ungiftigen Schlangen aus der Familie der Höckernattern (Xenodermidae) findet man ausschließlich in Asien. Ihr westlichstes Verbreitungsgebiet liegt in Nordostindien, ihr östlichstes in Japan; im Südosten sind sie bisher nur von der Insel Borneo bekannt. „Wenn man die Tiere überhaupt findet“, scherzt Dr. V. Deepak, Humboldt-Stipendiat an den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen in Dresden und erklärt: „Die Schlangen sind extrem selten in freier Wildbahn anzutreffen. Vier Arten dieser Familie, wie die erst kürzlich aus Indien beschriebene Stoliczkia vanhnuailianai, sind der Wissenschaft sogar nur anhand eines einzigen Individuums bekannt!“
Deepak und einem internationalen Team aus Indien, Malaysia und Borneo haben nun, mit molekulargenetischen und morphologischen Methoden, die Gattung Paraxenodermus in der Reptilien-Familie neu beschrieben. Der Dresdner Wissenschaftler fügt hinzu: „Gelungen ist uns dies ist aufgrund von zwei in wissenschaftlichen Sammlungen aufbewahrten Exemplaren.“ Herangezogen hatten Deepak und sein Team die Sammlungstücke um die Verwandtschaftsverhältnisse zweier Schlangenarten aus Indien sowie einer Art aus Borneo zu überprüfen. „Die Ergebnisse waren überraschend: Wir konnten nachweisen, dass die auf Borneo endemische Art nicht – wie bislang angenommen – mit den indischen Arten verwandt ist, sondern vielmehr Ähnlichkeiten mit der Gattung Xenodermus aus der Sunda-Region sowie zwei weiteren Gattungen vom indochinesischen Festland hat. Daraufhin haben wir den neuen Gattungsnamen eingeführt und die Art zu Paraxenodermus borneensis umbenannt“, erläutert Deepak. Die genetische Aufspaltung der indischen und bornesischen Arten erfolgte laut der Studie zwischen 66,7 und 44,6 Millionen Jahren vor heute.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass wissenschaftliche Sammlungen für unsere Forschung einen unschätzbar hohen Wert haben! Nicht selten können wir nur anhand von diesen Exponaten die Vielfalt des Lebens nachvollziehen“, resümiert Deepak.
Originalpublikation:
Deepak V, Lalronunga S, Lalhmingliani E, Das A, Narayanan S, Das I, Gower DJ (2021) Phylogenetic relationships of xenodermid snakes (Squamata: Serpentes: Xenodermidae), with the description of a new genus. Vertebrate Zoology 71: 747-763. https://doi.org/10.3897/vz.71.e75967

29.11.2021, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen
Spurensuche Gartenschläfer: Tierische Geheimnisse gelüftet?
Hunderttausende wissenschaftliche Daten hat das Team der „Spurensuche Gartenschläfer“ von Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Justus-Liebig-Universität Gießen und Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung in den letzten drei Jahren rund um diesen kleinen Verwandten des Siebenschläfers gesammelt.
„Einen solchen Wissensschatz über eine heimische Tierart in so kurzer Zeit zusammenzutragen, ist ein Highlight für den Artenschutz in Deutschland“, freut sich Mechthild Klocke, Projektleiterin vom BUND. „Der Gartenschläfer geht jetzt in den Winterschlaf und wir nutzen die Zeit, um die Daten auszuwerten. Die Schlafmaus war bislang weitgehend unerforscht. Umso mehr hoffen wir nun, Antworten zu finden, wie wir dem Gartenschläfer helfen können. Trotz seiner Anpassungsfähigkeit ist er vielerorts vom Aussterben bedroht.“
Für das Projekt „Spurensuche Gartenschläfer“ im Bundesprogramm Biologische Vielfalt haben sich Naturschützer*innen in allen Regionen, in denen Gartenschläfer vermutet wurden oder nachweislich leben, auf die Spur begeben: Rund hundert Wildtierkameras, 500 Nistkästen und 2.000 Spurentunnel überprüften sie seit 2019 regelmäßig. Mehr als 750 Totfunde trugen sie für die Laboranalyse zusammen. Zwölf eigens entwickelte Beobachtungsapparate, die „Dormouse Monitoring Units“, wurden täglich kontrolliert. Tausende Kontrollgänge sind so zusammengekommen. Zusätzlich verzeichnete die Online-Meldestelle des Projekts mehr als 6.000 bestätigte Hinweise auf Gartenschläfer durch die Bevölkerung. „Eine so umfangreiche Untersuchung einer Tierart in so kurzer Zeit haben wir in der Forschung noch nicht erlebt“, so Johannes Lang, Gartenschläfer-Experte der Justus-Liebig-Universität Gießen. „Die Zusammenarbeit von Naturschützer*innen und Wissenschaftler*innen hat hier Unmögliches möglich gemacht“.
Die Wissenschaftler*innen der Justus-Liebig-Universität Gießen und der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung werten die Haar- und Kotproben, Totfunde, Fotos, Videos und Hinweise aus der Bevölkerung intensiv aus. Lang: „Das sind viele Puzzleteile, aus denen wir jetzt ein Bild über den Gartenschäfer zusammensetzen können. Wir erwarten Erkenntnisse, wie seine Lebensräume aussehen, was er frisst, wie er sich verhält und was Todesursachen sind. Damit ermitteln wir auch, was ihm so sehr schadet und was es braucht, damit er langfristig überleben kann.“
Mit ersten Forschungsergebnisse rechnet das Team der „Spurensuche Gartenschläfer“ im kommenden Frühjahr. Ermöglicht wird das Projekt „Spurensuche Gartenschläfer“ durch eine Förderung im Bundesprogramm Biologische Vielfalt des Bundesamts für Naturschutz mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit.

30.11.2021, Justus-Liebig-Universität Gießen
Müllschlucker: Korallen filtern Mikroplastik aus Meerwasser
Riffbildende Korallen bauen kleine Kunststoffpartikel dauerhaft in ihr Kalkskelett ein – Studie in Gießener Meerwasser-Aquarien erbringt ersten Nachweis für Lebewesen, die langfristig Mikroplastik aus der Umwelt entfernen
In den Weltmeeren findet man immer mehr winzige Partikel aus Kunststoff, das sogenannte Mikroplastik. Wo sich diese Abfallteilchen aus Autoreifen, Windeln, zerfallenden Plastiktüten und anderen Produkten langfristig einlagern, ist nicht abschließend erforscht. Bislang standen vor allem unbelebte Speicherorte im Fokus wie das arktische Eis, Sedimente in küstennahen Bereichen und die Tiefsee. Doch auch Lebewesen können Mikroplastik dauerhaft einlagern, wie eine Untersuchung der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) in Meerwasser-Aquarien zeigt. Demnach nehmen Korallen aktiv Mikroplastik auf und bauen die Teilchen in ihr Kalkskelett ein. Die riffbildenden Tiere tragen so zur Reinigung des Meerwassers bei. Die Studie hat das Fachmagazin Global Change Biology veröffentlicht.
„Korallen sind die ersten Organismen, die als lebende Senke für Mikroplastik im Meer entdeckt wurden“, sagt Dr. Jessica Reichert, JLU-Korallenforscherin und Studienleiterin. Die Tiere könnten in Riffen weltweit bis zu 20.000 Tonnen Mikroplastik im Jahr binden, schätzen sie und ihr Team. Das entspricht etwa einem Prozent des Mikroplastiks im Riffwasser – allein für diese eine Tiergruppe. Dr. Reichert: „Unsere Studie lässt Korallenriffe in neuem Licht erscheinen. Sie können nicht nur dabei helfen, das ökologische Gleichgewicht der Ozeane zu erhalten, sondern auch als Langzeitspeicher für Mikroplastik dienen.“
Für die Studie untersuchten Reichert und ihr Team vier Korallenarten, die im Indopazifik beheimatet sind, wo rund 90 Prozent aller Korallenriffe liegen: Geweihkorallen, Pfötchenkorallen, kleinpolypige Steinkorallen und blaue Korallen. In den Gießener Meerwasser-Aquarien simulierten sie über 18 Monate eine starke Mikroplastik-Belastung. Wie die Tiere die etwa 100 Mikrometer kleinen Teilchen in ihre Körper aufnehmen, beobachtete das Team live durchs Mikroskop. Genaue Mengen lieferten Gewebe- und Skelettanalysen von 54 Korallen. Demnach lagern Korallen bis zu 84 Mikroplastikpartikel pro Kubikzentimeter in ihre Körper ein – vor allem im Skelett, aber auch im Gewebe. Ein Beispiel: Eine Koralle im Versuch nahm bis zu 600 Mikroplastikpartikel auf, während sie ihre Körpergröße von fünf auf zehn Zentimeter verdoppelte.
Doch wie genau gelangen die winzigen Kunststoffteilchen in die Koralle? Korallen ernähren sich von Plankton, das sie mit speziellen Zellen aus dem Wasser filtern. Dabei kann es passieren, dass auch andere kleine Teilchen aufgenommen werden. „Solche ungenießbaren Teilchen scheidet die Koralle normalerweise wieder aus“, sagt Dr. Reichert. „Manchmal aber läuft bei der Selbstreinigung etwas schief. Die Koralle verschluckt sich sozusagen und der Partikel bleibt im Körper.“
Auch wenn die permanente Aufnahme von Mikroplastik zunächst einen positiven Effekt auf marine Ökosysteme zu haben scheint, so kann es für die Koralle und ganze Riffsysteme gefährlich werden. Bereits 2019 hat das Gießener Team zusammen mit Forschenden aus Australien gezeigt, dass einige Korallenarten bei Mikroplastik-Belastung schlechter wachsen oder gar krank werden, z.B. Korallenbleiche oder Nekrosen zeigen. Mit der aktuellen Studie kommt ein neues Puzzlestück hinzu.
„Wir wissen nicht, welche langfristigen Folgen die Einlagerung von Mikroplastik für die Korallen haben wird, „, sagt die Gießener Forscherin. „Aber es könnte die Stabilität und Widerstandsfähigkeit der Riffe beeinträchtigen. Mikroplastik wäre dann eine zusätzliche Bedrohung für die ohnehin durch den Klimawandel gefährdeten Korallenriffe auf der ganzen Welt.“
Die Studie wurde im Rahmen des Projektes „Ocean 2100“ des deutsch-kolumbianischen Exzellenzzentrums für Meeresforschung CEMarin (Center of Excellence in Marine Sciences) durchgeführt und vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) gefördert. In der Gießener Meerwasser-Aquarienanlage von „Ocean 2100“ simulieren Forschende die Zukunft der Ozeane, etwa im Hinblick auf Klimawandel oder Mikroplastik-Belastung. Ziel ist es, besser einschätzen zu können, wie sich der globale Wandel in der Zukunft auf riffbildende Korallen auswirkt.
Originalpublikation:
Jessica Reichert, Angelina L. Arnold, Nils Hammer, Ingo B. Miller, Marvin Rades, Patrick Schubert, Maren Ziegler, Thomas Wilke: Reef-building corals act as long-term sink for microplastic. Global Change Biology, Oktober 2021, DOI: https://doi.org/10.1111/gcb.15920

30.11.2021, Georg-August-Universität Göttingen
Forschungsteam unter Leitung der Universität Göttingen spürt Fledermäuse mit neuer Technik auf
Das Leben der Fledermäuse zu beobachten, ist nicht einfach. Die Tiere fliegen meist lautlos und in der Nacht – und entziehen sich so unseren Sinnen. Um Fledermäuse aufzuspüren und zu untersuchen, wurden sie bislang entweder in Netzen gefangen oder ihre Ultraschallrufe wurden aufgezeichnet. Viele Fledermäuse jagen mit Echolot und entgehen dadurch den herkömmlichen Netzen, mit denen sie gefangen werden könnten. Die Fledermäuse, die sich nicht mit Echolot orientieren, können hingegen von Ultraschall-Fledermausdetektoren nicht erfasst werden.
Ein internationales Forschungsteam unter Leitung der Universität Göttingen hat nun eine neue Methode entwickelt, um alle Fledermäuse, die in einem bestimmten Bereich umherfliegen, aufzuspüren. Dafür kombinieren sie Wärme-, Ultraschall- und Nahinfrarottechnik. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift Ecology and Evolution erschienen.
Das neue Vorgehen, sogenannte Fledermaus-Punktzählungen, ermöglicht es, die tatsächliche Anzahl der Tiere genauer zu erfassen. Um die neue mit den alten Methoden zu vergleichen, fingen und maßen die Forscherinnen und Forscher auf Sumatra, Indonesien, 83 Fledermäuse mit Netzen, analysierten Tonaufzeichnungen und Nahinfrarotbilder. Obwohl die neue Technik – im Vergleich zu den früheren Methoden – nur ein Drittel der Zeit in Anspruch nahm, gelang es, ähnlich hohe Artenzahlen zu ermitteln. Allerdings konnte nur eine Art mit allen drei Methoden mit Sicherheit nachgewiesen werden. Erstautor Dr. Kevin Darras von der Universität Göttingen und der Westlake University erklärt: „Es hat sich gezeigt, dass keines der Verfahren für sich allein umfassend ist. Wir mussten drei moderne Sensortechnologien kombinieren, um ein umfassendes Bild der Fledermäuse zu erhalten.“
Das Team fand auf diese Weise heraus, dass fruchtfressende Fledermäuse in Ölpalmenplantagen selten sind: Sie machen nur sieben Prozent bei den Fledermaus-Punktzählungen aus. Dieses Ergebnis steht in krassem Gegensatz zu früheren Studien, bei denen Netze verwendet wurden. Damals kamen die Forscher zu dem Schluss, dass die fruchtfressenden Fledermäuse in den Ölpalmenplantagen dominieren. „Dies deutet darauf hin, dass fruchtfressende Fledermäuse einen kurzen Weg durch die Plantagen haben und leicht mit Netzen gefangen werden können“, sagt Darras. „Insektenfressende Fledermäuse hingegen können die Netze in diesen offenen Plantagen leicht umfliegen. Unsere neue Methode zeigt, dass insektenfressende Fledermäuse in Ölpalmen tatsächlich viel häufiger vorkommen als bisher angenommen. Möglicherweise spielen sie eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung von Insektenschädlingen.“
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können mit der kombinierten Technik das Verhalten und die Entwicklung der Fledermauspopulationen besser verstehen, wodurch auch die Forschung zum Schutz der Tiere fundierter wird.
Originalpublikation:
Darras et al, „Bat point counts: a novel sampling method shines light on flying bat communities“, Ecology and Evolution 2021. DoI: 10.1002/ece3.8356 https://www.authorea.com/users/432306/articles/535789-bat-point-counts-a-novel-b…
Darras et al, “Sampling flying bats with thermal and near-infrared imaging and ultrasound recording: hardware and workflow for bat point counts”, F1000Research 2021. DoI: 10.12688/f1000research.51195.1

30.11.2021, Universität Ulm
Wie wird ein Fledermaus-Virus zum Pandemie-Auslöser? Nach Aminosäure-Austausch bindet RaTG13 an menschliche Zellen
Das Fledermaus-Virus RaTG13 ist ein naher Verwandter von SARS-CoV-2, doch anders als der Verursacher der COVID-19-Pandemie kann RaTG13 nur schlecht an menschliche Zellen andocken. Allerdings reicht der Austausch einer einzigen Aminosäure im Spike-Protein dieses Fledermaus-Coronavirus aus, damit es ähnlich wie SARS-CoV-2 über den ACE2-Rezeptor an menschliche Zellen binden kann. Dies hat eine Studie aus dem Institut für Molekulare Virologie des Universitätsklinikums Ulm gezeigt, die jüngst im Fachjournal Nature Communications publiziert wurde. Ein weiteres Ergebnis der Arbeit: Eine Impfung gegen SARS-CoV-2 kann möglicherweise helfen, das Überspringen von solchen Krankheitserregern v
Der Verursacher der COVID-19-Pandemie, SARS-CoV-2, wurde höchstwahrscheinlich direkt oder über einen Zwischenwirt von Fledermäusen auf den Menschen übertragen. Das Virus konnte sich so rasch in der menschlichen Bevölkerung ausbreiten, weil es menschliche Lungenzellen effektiv infiziert. Welche Eigenschaften es Fledermausviren ermöglichen, auf den Menschen überzuspringen, ist derzeit noch wenig verstanden. Bekannt ist, dass SARS-CoV-2 mit seinem Spike-Protein am ACE2-Rezeptor menschlicher Zellen andocken und dadurch in die Zellen eindringen kann. Ein Forschungsteam um den Ulmer Virologen Professor Frank Kirchhoff hat nun gezeigt, dass der Austausch einer einzigen Aminosäure im Spike-Protein des Fledermaus-Virus RaTG13 ausreicht, damit dieses Protein über den ACE2-Rezeptor an menschliche Zellen andocken und zu deren Infektion führen kann. Veröffentlicht wurden die Ergebnisse im renommierten Fachjournal Nature Communications.
„Die gezielte Mutation einer Aminosäure im Spike-Protein des RaTG13, genauer gesagt an Position 403, erlaubt es diesem Fledermaus-Coronavirus, am selben Rezeptor anzudocken wie SARS-CoV-2: dem humanen ACE2-Rezeptor“, erklärt Professor Frank Kirchhoff, Leiter des Instituts für Molekulare Virologie am Universitätsklinikum Ulm. Das Forschungsteam konnte außerdem den grundlegenden Mechanismus aufzeigen, der erklärt, wieso der ACE2-Rezeptor auf das modifizierte Spike-Protein plötzlich eine so anziehende Wirkung entfaltet: „Die ausgetauschte Aminosäure im Spike-Protein des Virus ist positiv geladen und interagiert mit einer negativ geladenen Aminosäure im humanen ACE2-Rezeptor-Molekül“, so Fabian Zech, Erstautor der Studie und Doktorand am Institut für Molekulare Virologie.
Die wissenschaftliche Arbeit ist ein perfektes Beispiel für das interdisziplinäre Zusammenspiel von experimenteller Laborarbeit und theoretischer Computer-Modellierung. Auf der einen Seite haben die Ulmer Virusforscher und -forscherinnen durch die gezielte Erzeugung von Mutationen (Mutagenese) das Spike-Protein des Virus in seiner Aminosäuren-Zusammensetzung verändert. Auf der anderen Seite halfen computergestützte Modellierungen dabei, Proteinstrukturen und Protein-Protein-Interaktionen aufzuklären. Diese wurden von Dr. Christoph Jung aus dem Institut für Elektrochemie der Universität Ulm von Professor Timo Jacob durchgeführt. Dabei kamen sogenannte reaktive Kraftfeldmethoden zum Einsatz, mit deren Hilfe Einblicke in die physikochemischen Eigenschaften und Wechselwirkungsenergien gewonnen werden können.
Die umgekehrte Mutation macht SARS-CoV-2 weniger infektiös
Die Ulmer Virologen und Virologinnen habe es in dieser wissenschaftlichen Arbeit nicht nur geschafft, das Spike-Protein des Fledermaus-Coronavirus RaTG13 mit gentechnischen Eingriffen in die Lage zu versetzen, menschliche Zellen zu infizieren. Sie konnten auch nachweisen, dass eine umgekehrte Mutation bei SARS-CoV-2 (R403T) den Pandemie-Erreger schwächt und eine Virusinfektion der menschlichen Zellen reduziert. Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass die positiv geladene Aminosäure wichtig für die hohe Übertragbarkeit von SARS-CoV-2 ist.
Das Forschungsprojekt hat aufgezeigt, welche Eigenschaften von Coronaviren entscheidend dafür sind, dass diese als Zoonosen auf den Menschen überspringen können. Die Ergebnisse tragen somit dazu bei, das Risiko zukünftiger viraler Pandemien besser abschätzen zu können. Und noch ein weiterer Aspekt macht die Studie interessant: So haben die Forschenden außerdem untersucht, ob aktuelle Impfungen gegen SARS-CoV-2 vor nahe verwandten Fledermaus-Viren und damit vor zukünftigen Zoonosen schützen können. Das Ergebnis: „Die Seren von Personen, die gegen COVID-19 geimpft wurden, konnten das Fledermaus-Virus effektiv unschädlich machen. Die SARS-CoV-2-Impfung könnte also helfen, ein zukünftiges Überspringen solcher viralen Erreger auf den Menschen zu verhindern“, so die Forschenden.
Beteiligt an diesem Forschungsprojekt des Ulmer Instituts für Molekulare Virologie waren Virusforscher und Infektionsbiologen aus Erlangen-Nürnberg, München und Göttingen sowie weitere Ulmer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Elektrochemie, der Inneren Medizin und Medizinischen Mikrobiologie. Unterstützt wurde die Studie – die als Preprint bereits veröffentlicht wurde und auf großes Interesse stieß – von der DFG (u.a. aus dem Heisenberg-Programm), vom BMBF, vom Freistaat Bayern und der Internationalen Graduiertenschule für Molekulare Medizin (IGradU) der Universität Ulm. Realisiert wurde diese wissenschaftliche Arbeit im Rahmen des Ulmer Sonderforschungsbereichs 1279 „Nutzung des menschlichen Peptidoms zur Entwicklung neuer antimikrobieller und anti-Krebs Therapeutika“.
Originalpublikation:
Spike residue 403 affects binding of coronavirus spikes to human ACE2
Fabian Zech, Daniel Schniertshauer, Christoph Jung, Alexandra Herrmann, Arne Cordsmeier, Qinya Xie, Rayhane Nchioua, Caterina Prelli Bozzo, Meta Volcic, Lennart Koepke, Janis A. Müller, Jana Krüger, Sandra Heller, Steffen Stenger, Markus Hoffmann, Stefan Pöhlmann,
Alexander Kleger, Timo Jacob, Karl-Klaus Conzelmann, Armin Ensser, Konstantin M. J. Sparrer & Frank Kirchhoff ✉, in: Nature Communications, volume 12, Article number: 6855 (2021), https://doi.org/10.1038/s41467-021-27180-0

01.12.2021, Staatliche Naturwissenschaftliche Sammlungen Bayerns
Typisch Adler? Der Haastadler bevorzugte Riesenbeute wie ein Aasgeier
Der ausgestorbene Haastadler (Hieraaetus moorei) ist der größte bisher bekannte Adler. Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass er vermutlich riesige Landvögel jagte, die größer waren als er selbst, und sich dann wie ein Aasgeier von den inneren Organen der Kadaver ernährte. Ein internationales Wissenschaftler-Team um SNSB-Zoologin Anneke van Heteren verglich anhand von 3D Computermodellen Hirnschädel und Krallen von lebenden Raubvögeln und Aasfressern mit denen des Haastadlers. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forscher:innen nun in der Fachzeitschrift Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences.
Mit einer Flügelspannweite von drei Metern ist der bis zu 15 Kilo schwere Haastadler (Hieraaetus moorei) der größte bekannte Adler. Heute lebende Adler sind etwa halb so groß. Die bisher ältesten Fossilfunde des Riesenadlers stammen aus Neuseeland und sind rund 35.000 Jahre alt. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts ist der Vogel ausgestorben. Trotz seiner Größe ist der Haastadler verwandt mit einem der kleinesten Adler der Welt, dem Australienzwergadler Hieraaetus morphnoides. Die Frage, ob der Haastadler geierähnliche Merkmale aufweist und welche Funktion sie haben könnten, ist nach wie vor umstritten.
Ein Internationales Forscher-Team um Anneke van Heteren, Leiterin der Sektion für Säugetiere an der Zoologischen Staatssammlung München (SNSB-ZSM) fand nun heraus: Der Riesenadler war vermutlich ein aktiver Jäger und jagte riesige Landvögel, die deutlich größer waren als er selbst. Danach verschlang er vorrangig die inneren Organe der Kadaver, ähnlich wie ein aasfressender Geier.
Die charakteristische Form des Hirnschädels, Schnabels und der Krallen bei Greifvögeln sind Anpassungen an ihre Ernährungsweise. Die Forscher:innen verglichen nun die äußere Form und die biomechanischen Eigenschaften des Hirnschädels und der Krallen des Haastadlers mit denen von fünf heute lebenden Raubvögeln und Aasfressern: Für ihre Vergleichsstudie, nutzten sie zunächst eine spezielle 3D-Formanalyse, die sogenannte geometrische Morphometrie. Dafür markierten sie bedeutsame Messpunkte auf Krallen und Schädeln der Greifvögel mit sogenannten digitalen „Landmarks“. Diese Analysen kombinierten die Wissenschaftler:innen mit computergestützten Simulationen, die die biomechanischen Eigenschaften des Schädels und der Krallen beim Töten und Fressen sichtbar machten.
Der Hirnschädel des Haastadlers ist geierähnlich geformt, Schnabel und Krallen dagegen gleichen eher denen eines Adlers. Die biomechanischen Simulationen der Kopfbewegungen der untersuchten Greifvögel zeigten, dass die Verformung des Schädelknochens beim Töten beim Haastadler am geringsten war. Sein Biss war somit offenbar kräftiger als der eines modernen Adlers. Gefressen hat der Riesenadler seine Beute aber eher wie ein Geier: Das zeigen typische Verformungen des Schädels beim Zurückziehen und seitlichen Schütteln des Kopfes. Diese sind beim Haastadler ähnlich wie beim Andenkondor, der hauptsächlich die Eingeweide von Kadavern verschlingt. Die Krallen von Hieraaetus moorei waren adlerähnlich: groß, gebogen und spitz zulaufend. Die simulierte Formveränderung der Haastadlerkrallen beim Zupacken war deutlich geringer als bei den anderen Greifvögeln. Sie konnten so extrem hohen Belastungen standhalten.
„Speziell die biometrischen Analysen der Krallen und des Schädels zeigen uns, dass die Beutetiere des Haastadlers vermutlich deutlich größer waren als er selbst. Von so großen Beutetieren ernähren sich in der Regel nur Aasgeier. Adler töten und fressen eher kleine Beutetiere. Wir vermuten, dass der Haastadler seinen Kopf wie ein Geier tief in die Eingeweide seiner Beute steckte, um diese zu fressen. Wir wissen, dass auf Inseln Evolutionsprozesse oft recht schnell ablaufen. Der Haastadler unterscheidet sich sehr deutlich von seinem nächsten lebenden Verwandten dem Australienzwergadler. Die Entwicklung der Mischung aus adler- und geierähnlichen Merkmalen bei Hieraaetus moorei könnte eine Reaktion auf einen besonders hohen Selektionsdruck gewesen sein“, interpretiert Anneke van Heteren die Ergebnisse ihrer Studie.
Die Ergebnisse der Computersimulationen werden zusätzlich durch Fossilfunde aus Neuseeland untermauert: Zu den Beutetieren des Haastadlers gehörten auch Moas – ebenfalls ausgestorbene große neuseeländische Laufvögel. Der größte Moa wog rund 200 kg. Eventuell sah der Haastadler sogar einem glatzköpfigen Aasgeier recht ähnlich, wie eine auf der Südinsel Neuseelands entdeckte Maori-Felsenzeichnung zeigt.
Originalpublikation:
van Heteren A.H., Wroe S., Tsang L. R., Mitchell D. R., Ross P., Ledogar J. A., Attard M. R. G., Sustaita D., Clausen P., Scofield R. P. and Sansalone G. 2021 New Zealand’s extinct giant raptor (Hieraaetus moorei) killed like an eagle, ate like a condor
Proc. R. Soc. B.2882021191320211913
http://doi.org/10.1098/rspb.2021.1913

02.12.2021, Deutsche Wildtier Stiftung
Kommunikation ist alles – auch beim Großen Mausohr
Der Forschungspreisträger 2021 der Deutschen Wildtier Stiftung ist ein Fledermausforscher
Wer hängt mit wem kopfüber ab, wer lernt was von wem und wie kommunizieren Fledermäuse neues Wissen an ihre Artgenossen? Antworten auf diese Fragen könnten bald direkt aus den Wochenstuben des Großen Mausohrs kommen, denn der Fledermausspezialist und Diplom-Biologe Dr. Simon Ripperger (39) vom Naturkundemuseum Berlin erhält heute Abend den Forschungspreis 2021 der Deutschen Wildtier Stiftung. Die Verleihung des mit 50.000 Euro dotierten Preises findet im Zoologischen Museum in Hamburg statt.
Mit seinem Vorhaben: „Die Wochenstuben des Großen Mausohrs (Myotis myotis) – wichtige Zentren des sozialen Lernens?“ hat Ripperger die unabhängige Forschungspreisjury aus renommierten Fachwissenschaftlern überzeugt. „Sein komplexes, aber gut nachvollziehbar aufgebautes Projekt beleuchtet das weitgehend unverstandene Thema des sozialen Lernens mittels innovativer methodischer Ansätze“, sagt Professor Dr. Dr. Sven Herzog, Vorsitzender der Forschungspreisjury. Bei dem Forschungsansatz geht es zudem um ganz praktische Aspekte des Artenschutzes: „Wenn wir durch die Arbeit von Dr. Simon Ripperger besser verstehen, wie Fledermäuse untereinander Informationen weitergeben, können Schutzmaßnahmen zukünftig effektiver umgesetzt werden“, sagt Professor Dr. Klaus Hackländer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Wildtier Stiftung.
Zwei Jahre lang kann sich der Forschungspreisträger, der in Berlin und seiner Heimatstadt Augsburg lebt, nun seiner Lieblingsspezies und deren Geheimnissen widmen. „Fledermäuse faszinieren mich seit meinem Biologiestudium“, schwärmt Ripperger. Wie alle heimischen Fledermäuse ist auch das Große Mausohr ein nachtaktives Tier, das im Jahresverlauf verschiedenste Quartiere nutzt. Aber wie bleiben die hochsozialen Tiere dabei mit ihren Artgenossen in Kontakt? Um Aufschluss über soziales Lernen in den Wochenstuben zu erhalten, in denen Mütter ihre Jungtiere aufziehen, braucht es eine besondere Technik, die Ripperger mit seinem Team eigens entwickelt hat. „Die Fledermäuse tragen einen Mini-Sensor auf ihrem Rücken, der die Beziehungen der Tiere untereinander dokumentiert“, erklärt Ripperger, „wie bei Facebook – nur zu einem wissenschaftlich interessanten Zweck – können wir so die sozialen Netzwerke in den Wochenstuben und das Verhalten jedes einzelnen Tieres genau beobachten.“ Durch die gesammelten Daten zu den Sozialkontakten im Quartier und auf den nächtlichen Flugwegen von 80 Großen Mausohren kann der Forschungspreisträger 2021 der Deutschen Wildtier Stiftung so schließlich Rückschlüsse auf die Kommunikation und das Lernverhalten der Fledermäuse ziehen. Die ersten Erkenntnisse dazu sollen 2024 vorliegen.

Kaisermantel (Jakob Hübner)

02.12.2021, BUND
Der Kaisermantel ist der Schmetterling des Jahres 2022 – gesunde Mischwälder braucht das Land
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und die Naturschutzstiftung des nordrhein-westfälischen BUND-Landesverbandes küren den Kaisermantel zum Schmetterling des Jahres 2022. Der größte mitteleuropäische Perlmuttfalter ist zwar noch ungefährdet, doch seine Lebensräume werden immer kleiner.
Jochen Behrmann von der Naturschutzstiftung des BUND NRW: „Der Kaisermantel führt uns vor Augen, wie wichtig gesunde und naturnahe Wälder sind. Vielerorts beobachten wir einen Rückgang der Falterpopulationen. Triste Fichtenmonokulturen sind nicht nur für den Schmetterling des Jahres ungeeignete Lebensräume. Hier stehen die Bäume häufig so eng, dass nur wenig Licht auf den Waldboden fällt und kaum Pflanzen wachsen. Der Kaisermantel ist jedoch auf Bodenbewuchs angewiesen. Für den auffälligen Falter ist naturnaher lichter Mischwald der ideale Lebensraum. Zudem ist er wesentlich artenreicher und auch beständiger gegen Klimaphänomene. Auf den Flächen mit abgestorbenen Fichten sollte daher künftig besser Mischwald wachsen.“
Im Sommer bewohnt der Kaisermantel Waldränder und Lichtungen, wo er häufig an Disteln, Flockenblumen oder Skabiosen saugt. Anders als die etwas blasser gefärbten Weibchen zeigen die satt orangefarbenen Männchen breite Striche auf den Vorderflügeln, die „Duftschuppen“. Damit locken sie die Weibchen an. Diese legen nach der Paarung ihre Eier in geringer Höhe an Baumrinde ab, aber nur an Bäumen, die in der Nähe von Veilchen wachsen. Im Spätsommer schlüpfen die Raupen, fressen aber zunächst nur ihre Eihülle. Dann verbergen sie sich in Ritzen der Baumrinde, um zu überwintern. Erst im Frühjahr krabbeln die Raupen herunter auf den Waldboden und ernähren sich von den Blättern verschiedener Veilchenarten.
Zum Schmetterling des Jahres 2022: www.bund.net/schmetterling-des-jahres

02.12.2021, Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg
Massenaussterben durch Vulkanausbrüche
Langfristige globale Abkühlung könnte Ereignis vor etwa 450 Millionen Jahren ausgelöst haben – Element Phosphor spielte wahrscheinlich eine Schlüsselrolle
Am Ende des Erdzeitalters Ordovizium, vor rund 450 Millionen Jahren, kühlte sich die Erde drastisch ab. Rund 85 Prozent aller Tierarten starben aus. Verantwortlich für die Eiszeit und damit für das zweitschlimmste Massenaussterben der Erdgeschichte könnten womöglich zwei Perioden mit intensivem Vulkanismus gewesen sein, berichtet ein Team um den Oldenburger Geochemiker Dr. Jack Longman nun in der Zeitschrift Nature Geoscience. Die Forschenden der britischen Universitäten Southampton, Leeds und Plymouth untersuchten die Auswirkungen gewaltiger Vulkanausbrüche auf die Ozeanchemie.
Das Ende des Ordoviziums war von klimatischen Kapriolen geprägt: Nach einer ausgeprägten Warmzeit kühlte sich der Planet stark ab, einige Kontinente vereisten, und die Schelfmeere fielen trocken. Das Leben war damals noch fast ausschließlich auf die Ozeane beschränkt, und zahlreiche Gattungen und Familien von damals häufigen Lebewesen – etwa Moostierchen, den muschelähnlichen Armfüßern oder den an Kellerasseln erinnernden Trilobiten – starben aus.
„Einer Theorie zufolge hat eine Zunahme von Phosphor in den Ozeanen die globale Abkühlung ausgelöst“, sagt Hauptautor Longman, Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Marine Isotopengeochemie am Institut für Chemie und Biologie des Meeres der Universität Oldenburg und zuvor Postdoktorand an der Universität Southampton. „Phosphor ist eines der Schlüsselelemente des Lebens“, so der Forscher weiter, es fördere das Wachstum kleiner Meereslebewesen wie Algen. Wenn diese Organismen absterben, setzen sie sich am Meeresboden ab. So wird Kohlenstoff, den die Algen während ihres Lebens aufnehmen, nach und nach im Sediment begraben. Algenblüten können daher dazu beitragen, den Gehalt des Treibhausgases Kohlendioxid in der Atmosphäre zu reduzieren, was wiederum die Temperaturen auf der Erde sinken lässt.
„Es ist jedoch ein ungelöstes Rätsel, warum Eiszeit und Massenaussterben im Ordovizium in zwei Phasen verliefen, die ungefähr zehn Millionen Jahre auseinander lagen“, sagt Dr. Tom Gernon von der Universität Southampton, einer der Co-Autoren. Das sei nur schwer mit der Phosphortheorie in Einklang zu bringen, denn dann müsste die Zufuhr von Phosphor in mehreren Schüben verlaufen sein.
Das Team fand jedoch heraus, dass zwei außergewöhnlich heftige Phasen vulkanischer Aktivität ziemlich genau zur gleichen Zeit stattfanden wie die jeweiligen Höhepunkte der Vereisung und des Massenaussterbens. Schauplatz der Vulkanausbrüche waren Gebiete, die heute in Nordamerika, Skandinavien und im Süden Chinas liegen. „Normalerweise setzen heftige Vulkanausbrüche große Mengen Kohlendioxid frei und führen zu einer Erwärmung der Erde“, erläutert Gernon. „Daher muss ein anderer Mechanismus für die Abkühlungen verantwortlich gewesen sein.“
Das Team vermutete, dass ein Folgeprozess – etwa die natürliche Verwitterung des Vulkangesteins – die große Phosphormenge erzeugte, die nötig ist, um die Vereisungen zu erklären. „Wenn Vulkangestein im Meer abgelagert wird, ist es raschen chemischen Veränderungen ausgesetzt, bei denen auch Phosphor freigesetzt wird“, erläutert Prof. Dr. Martin Palmer aus Southampton, ebenfalls Co-Autor. Um die Hypothese zu überprüfen, untersuchte das Team wesentlich jüngere Ascheschichten in Meeressedimenten: Die Forschenden verglichen den Phosphorgehalt von Gestein, bevor und nachdem es durch den Kontakt mit Meerwasser verändert wurde.
Anhand dieser Informationen entwickelte das Team um Longman ein Modell, in dem sie die wichtigsten chemischen, biologischen und geologischen Prozesse simulierten. Anschließend ermittelten die Forschenden, wie die gewaltigen Ascheschichten, die sich am Ende des Ordoviziums auf der Erde ablagerten, die Chemie der Ozeane, das Algenwachstum und die CO2-Aufnahme beeinflussten. Den Ergebnissen zufolge sonderte das abgelagerte Vulkangestein genug Phosphor ab, um eine Kette von Ereignissen auszulösen – angefangen mit der Düngung der Ozeane, dem verstärkten Algenwachstum, einer globalen Abkühlung und anschließenden Vereisung, einem niedrigen Sauerstoffgehalt in weiten Teilen der Ozeane und schließlich dem Massenaussterben.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler folgern, dass große Vulkanausbrüche das Klima durch ihre CO2-Emissionen zwar auf kurzen Zeitskalen erwärmen können, dass sie über längere Zeiträume von mehreren Millionen Jahren aber genauso eine globale Abkühlung auslösen können. Für Longman ist damit klar, dass bestehende Theorien zur Ursache anderer Massenaussterben auf den Prüfstand gehören. „Unsere Studie könnte dazu führen, dass diese Ereignisse neu untersucht werden“, sagt der Forscher. Gewaltige Vulkanausbrüche traten zeitgleich mit drei weiteren der fünf größten Aussterbeereignisse der Erdgeschichte auf, unter anderem am Ende der Kreidezeit, als die Dinosaurier von der Erde verschwanden.
Originalpublikation:
Jack Longman et al.: „Late Ordovician climate change and extinctions driven by elevated volcanic nutrient supply“, Nature Geoscience, 2. Dezember 2021, DOI: 10.1038/s41561-021-00855-5

03.12.2021, Technische Universität Dresden
Stärkerer Selektionsdruck auf Männchen im Tierreich
Im Tierreich lastet ein stärkerer Selektionsdruck auf Männchen als auf Weibchen. Das belegt eine aktuelle Studie von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der TU Dresden, des CNRS in Montpellier, Frankreich, und der Karlstad Universität, Schweden. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass evolutionäre Anpassungsprozesse durch sexuelle Selektion beschleunigt werden, ein vielversprechender Ansatz, zum Beispiel im Hinblick auf die durch die Klimakrise bedrohten Tierarten. Die Ergebnisse wurden kürzlich in der Open-Access-Fachzeitschrift ‚eLife‘ vorgestellt.
Bereits seit langem bestand in der Evolutionsbiologie die Annahme, dass sexuelle Selektion nicht nur erstaunliche phänotypische Unterschiede zwischen den Geschlechtern in vielen Tierarten hervorgerufen hat, sondern auch die demographische Struktur einer Population sowie deren Anpassung an Umweltveränderungen beeinflusst. Lennart Winkler von der TU Dresden konnte nun gemeinsam mit seinen Kolleg:innen aus Schweden und Frankreich diese Annahme durch eine Auswertung von Daten aus 55 Studien über unterschiedliche Tierarten empirisch belegen.
Sexuelle Selektion ist eine Auslese, die durch den Wettbewerb um Paarungspartner und/oder deren Fortpflanzungszellen (ihre Eier oder Spermien) entsteht. Seit fast einem Jahrhundert gehen Forscher davon aus, dass die sexuelle Selektion die ultimative selektive Kraft ist, die Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Tieren, wie zum Beispiel bunte Färbung und Größenunterschiede zwischen den Geschlechtern, bis hin zu Verhaltensunterschieden. Es ist jedoch nur wenig darüber bekannt, wie die sexuelle Selektion in Verbindung mit anderen Umwelteinflüssen die Populationsdemografie und die Anpassungsfähigkeit beeinflusst.
Die DNA aller Lebewesen entwickelt im Laufe der Zeit zufällige Mutationen – einige davon helfen dem Träger beim Überleben, andere wiederum bringen keinen Nutzen und können sogar einen Nachteil verursachen (so genannte schädliche Mutationen).
Evolutionsbiologen gehen davon aus, dass die sexuelle Selektion die evolutionäre Anpassung fördern könnte, wenn sie zu einer stärkeren Gesamtselektion gegen schädliche Mutationen führt. So könnten beispielsweise Männchen, die eine schädliche Mutation tragen, Nachteile bei der Partnersuche haben und so würde diese Mutation nicht in die nächste Generation weitergegeben.
Die Ergebnisse der aktuellen Studie zeigen, dass die Gesamtselektion typischerweise stärker auf Männchen als auf Weibchen wirkt. „Das könnte evolutionäre Anpassungen beschleunigen, weil für gewöhnlich die Produktivität einer Population vor allem von der Fertilität der Weibchen und nicht der der Männchen abhängig ist. Daher würde eine stärkere Selektion auf Männchen schädliche Allele aus dem Genpool entfernen, ohne negative demographische Effekte zu haben. Unsere Ergebnisse unterstützen daher die Idee, dass die sexuelle Selektion eine zentrale Rolle bei der ‚evolutionären Rettung‘ spielen könnte, was zum Beispiel entscheidend für die Anpassung bedrohter Tierarten an die aktuelle Klimakrise wäre“, erläutert Erstautor Lennart Winkler von der TU Dresden.
Originalpublikation:
Lennart Winkler, Maria Moiron, Edward H Morrow, Tim Janicke. Stronger net selection on males across animals. eLife 2021;10:e68316. DOI: 10.7554/eLife.68316

04.12.2021, Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels
Die Ur-Honigbiene stammt aus Asien – Entwicklung des Sozialverhaltens „pushte“ die weiträumige Ausbreitung auf der Erde
In welchem Teil der Welt die westliche Honigbiene Apis mellifera ihren evolutiven Ursprung hatte, ist unter Forschenden sehr umstritten. Bislang galt Afrika als wahrscheinlichstes Herkunftsgebiet. Jedoch gab es bisher zu wenige Daten um die Frage des Ursprungs zu klären. Ein internationales Wissenschaftsteam unter Beteiligung von Dr. Eckart Stolle vom Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB) konnte nun durch umfassende genetische Untersuchungen zeigen: Der Ursprung der Honigbiene A. mellifera liegt wahrscheinlich in Asien, von wo aus die Art sich nach Afrika und Europa ausbreitete. Die Ergebnisse erschienen jetzt in der renommierten Zeitschrift Science Advances.
Die Schließung der Wissenslücke zur Entwicklung der Honigbiene ist wichtig, um die Evolution und Genetik dieses global sehr wichtigen Bestäubers zu verstehen. Die Analyse von 251 Genomen von 18 Apis mellifera-Unterarten sowie weitere methodische Ansätze brachten jetzt neue Erkenntnisse. Die westliche Honigbiene entstand vor etwa 8 Millionen Jahren in Asien und spaltete sich vor 2 bis 5 Millionen Jahren in mehrere Linien auf. Während sie Afrika in einem Ausbreitungsprozess besiedelte, erfolgte die Besiedelung von Europa in zwei weiteren voneinander unabhängigen Ausbreitungsprozessen vor 1 bis 2 Millionen Jahren, gefolgt von der Bildung der heutigen Unterarten vor 140 000 – 280 000 Jahren.
„Bemerkenswert ist, dass die Mehrzahl der genetischen Änderungen, die die Honigbienen-Unterarten unterscheiden, sich an einigen wenigen genomischen „Hotspots“ konzentrieren“ erläutert Stolle. 145 Gene in diesen „Hotspots“ weisen spezifische genetische Unterschiede über alle Honigbienen-Unterarten hinweg auf, ein Hinweis darauf, dass sie unter natürlicher Selektion stehen. „Und genau diese Gene waren in hohem Maße mit Arbeiterinnenmerkmalen verbunden“ streicht Stolle heraus. „Dies zeigt: Die Entwicklung des sozialen Lebens der Bienen in einem Staat und zusätzlich neue Arbeiterinnen- und Koloniemerkmale scheinen also die Ausbreitung der Honigbienen in ihrem jetzt riesigen Verbreitungsgebiet ermöglicht zu haben.“
Somit wird die These gestützt, dass die westliche Honigbiene ihren Ursprung in Asien hatte, bevor sie sich nach Europa und Afrika ausbreitete. Heute gibt es etwa zehn Arten von Honigbienen, die zum Großteil in Asien beheimatet sind. In Europa und weiten Teilen Afrikas existiert jedoch nur eine einzige Art der Gattung Apis, unsere Honigbiene, A. mellifera.
Die in der hier zitierten Studie vorgestellten Ergebnisse basieren einerseits auf phylogenetischen, biogeographischen und demographischen Untersuchungen. Hinzu kommen andererseits zusätzlich vor allem die modernen genetischen Auswertungen der Muster der genetischen Diversität, Mutationen und natürlichen Selektion im gesamten Genom.
Originalveröffentlichung:
Thrice out of Asia and the adaptive radiation of the western honey bee.
Kathleen A. Dogantzis1, Tanushree Tiwari, Ida M. Conflitti, Alivia Dey, Harland M. Patch, Elliud M. Muli, Lionel Garnery, Charles W. Whitfield, Eckart Stolle, Abdulaziz S. Alqarni, Michael H. Allsopp, Amro Zayed
Science Advances, 3 Dec 2021, Vol 7, Issue 49, DOI: https://doi.org/10.1126/sciadv.abj2151

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