Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

17.08.2021, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.
Isotopenanalyse historischer Federn zeigt: Pirole überwintern da, wo es viel regnet
Die Fähigkeit, mit veränderten Umweltbedingungen klug umzugehen, ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass Arten mit dem Klimawandel zurechtkommen. Durch die Analyse stabiler Isotope in historischen Federn aus den Jahren 1818 bis 1971 wies ein Wissenschaftsteam unter Leitung des Leibniz-IZW nun einen Zusammenhang zwischen der Wahl möglicher Überwinterungsgebiete des Pirols und der dortigen Niederschlagsmengen nach. Dieser Zusammenhang belegt eine Flexibilität der Pirole, aber auch deren Abhängigkeit von den Niederschlägen im Afrika südlich der Sahara – die sich mit dem Klimawandel und den damit verbundenen Prozessen der Wüstenbildung ändern könnten.
Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift „Global Change Biology“ veröffentlicht.
Während ihres Zuges von Europa nach Afrika sind Zugvögel auf eine Abfolge geeigneter Habitate zur Rast, Nahrungsaufnahme und zum Überwintern angewiesen. Dies macht Langstreckenzüge besonders sensibel gegenüber sich ändernden Bedingungen. Deren Erforschung setzt eine genaue Kenntnis der Bedingungen, die diese komplexen Prozesse bestimmen, voraus. Um die Überwinterungsgebiete des Pirols (Oriolus oriolus) im Afrika südlich der Sahara in den letzten 200 Jahren zu lokalisieren, hat ein Team von Wissenschaftler*innen um Dr. Stefania Milano und PD Dr. Christian Voigt von der Leibniz-IZW-Abteilung für Evolutionäre Ökologie stabile Kohlenstoff-, Stickstoff- und Wasserstoff-Isotopenverhältnisse in Federn aus historischen Museumsammlungen und von heute lebenden Vögeln gemessen. Die Isotopengehalte der Federn werden von jenem Ort bestimmt, an dem die Feder produziert wurde – dem Mausergebiet während der Überwinterung. Anschließend bleibt die Zusammensetzung unverändert erhalten und ermöglicht es der Wissenschaft, den Ort der Mauser der Vögel in Afrika auch noch nach Jahrhunderten zu lokalisieren. „Wir haben anhand der Federisotopengehalte zwei Gruppen von Pirolen identifiziert und konnten sie verschiedenen Winterquartieren zuordnen“, sagt Hauptautorin Milano. „Die erste Gruppe überwinterte im südöstlichen Afrika, während sich die zweite Gruppe in Zentralafrika konzentrierte.“
Die historische Perspektive ermöglichte es dem Team zudem, die geografischen Daten mit langzeitlichen Veränderungen der Umweltbedingungen in Beziehung zu setzen. Sie fanden heraus, dass die Nutzung der beiden Überwinterungsgebiete im Laufe der Zeit variierte. So zogen beispielsweise von 1842 bis 1854 alle untersuchten Pirole in das südöstliche Afrika, während von 1920 bis 1948 fast 75 Prozent Zentralafrika zum Überwintern wählten. „Statistische Analysen ergaben, dass diese Änderungen in Bezug zur Niederschlagsmenge in den jeweiligen Regionen standen“, erklärt Voigt. „Je mehr Regen in einem Gebiet fiel, desto höher war der Anteil der dort überwinternden Pirole. Und noch wichtiger: Weniger Regen in Zentralafrika führte dazu, dass viel mehr Vögel bis ins südöstliche Afrika weiterflogen.“
Die Ergebnisse zeigen, dass die Niederschläge in den Überwinterungsgebieten südlich der Sahara für die Pirole in der Vergangenheit enorm wichtig waren. Veränderungen bei den Niederschlägen führten zu erheblichen Veränderungen in ihrem Zugverhalten. Da Klimaprognosen für das tropische und subtropische Afrika darauf hindeuten, dass es in einigen Regionen trockenere Sommer geben wird, während in anderen Regionen intensivere Niederschläge zu erwarten sind, könnte die starke Abhängigkeit von hohen Niederschlägen die Pirole zwingen, ihre räumlichen Zugmuster noch weitaus stärker anzupassen. Ein verändertes Überwinterungsverhalten der Vögel in Afrika könnte sich auch auf die Bestände in ihren Brutgebieten in Mittel- und Südeuropa sowie in Westasien auswirken.
Originalpublikation:
Milano S, Frahnert S, Hallau A, Töpfer T, Woog F, Voigt CC (2021): Isotope record tracks changes in historical wintering ranges of a passerine in sub-Saharan Africa. Global Change Biology. DOI: 10.1111/gcb.15794

18.08.2021 14:57
SPERRFRIST / Das Mysterium des Seedrachen ist gelüftet
Helena Dietz Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Universität Konstanz
Das Genom des „Seedrachen“, eines sehr ungewöhlichen Fischs, wurde bestimmt. Die neuen Einblicke tragen zur Beantwortung der Frage nach Erfindungen in der Evolution bei – Ergebnisse eines internationalen Forschungsteams mit Beteiligung des Konstanzer Evolutionsbiologen Axel Meyer in Science Advances

Seedrachen (Phyllopetryx taeniolatus) leben im Westen und Süden Australiens. Ein internationales Team mit Beteiligung des Evolutionsbiologen Prof. Dr. Axel Meyer von der Universität Konstanz fand nun genetische Grundlagen einiger äußerer Merkmale des Seedrachens wie das Fehlen von Zähnen und die sogenannten „Fetzen“, durch die sich Seedrachen auszeichnen. Ebenso gewann das Team neue Erkenntnisse zur Lokalisation der Geschlechtsbestimmungs-Gene im Genom. Die Studie erscheint am 18. August 2021 in Science Advances.

Meister der Tarnung
Seedrachen gehören zur Familie der Seepferdchen (Syngnathiden), zu denen auch die Seepferdchen selbst und Seenadeln zählen. Ihren Namen haben sie wegen ihres drachenförmigen Körpers, ihrer spektakulären Färbung und der speziellen blattähnlichen Hautanhängsel. Wegen der Mimikry, die sie teilweise wie Makroalgen aussehen lässt, gelten sie als „Meister der Tarnung“. Wie die anderen Syngnathiden sind Seedrachen durch spezielle Anpassungen und Lebensweisen gekennzeichnet: Sie besitzen ein röhrenförmiges, zahnloses Maul, haben die für Fische typischen Bauchflossen und Schwanzflossen sowie ihre Schuppen verloren, verfügen dagegen aber über einen knöchernen Panzer, der den ganzen Körper umhüllt.

Getrocknet werden Seepferdchen in der traditionellen chinesischen Medizin verwendet, was viele Arten stark gefährdet. Sie schwimmen nicht waagerecht durchs Wasser, sondern gleiten langsam, fast vertikal – wie bei einem Pferd – mit dem Kopf nach unten gebeugt durch Korallenriffe und flache Küstengewässer. Mit ihrem Ringelschwanz können sie sich – wie Affen – an Gegenständen festhalten. Wie bei allen anderen Seepferchen-Arten werden auch bei Seedrachen die Männchen und nicht die Weibchen „schwanger“, indem sie die leuchtend rosa Eier an ihrem Körper angeklebt tragen und so bis zum Schlüpfen beschützen.

Bei der Sequenzierung des Genoms und der Untersuchung der genetischen Basis äußerer Besonderheiten von Seedrachen haben sich die fünf Forschungsteams aus China, Singapur, Japan und Deutschland im Wesentlichen auf die Geschlechtsbestimmung, die fehlenden Zähne und die neu-evolvierten Hautfetzen der Seedrachen konzentriert. Das Forschungsteam, das von Professor Qiang Lin von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Guangzhou geleitet wurde, konnte zeigen, dass für diese evolutionäre Neuheit eine Reihe von Genen verantwortlich ist, die normalerweise die Flossenentwicklung steuern. Bei den blätterartigen Hautfetzen der Seedrachen handelt es sich um umgewandelte Flossenstrahlen.

Wie die Seepferdchen haben auch Seedrachen ihre Zähne verloren. Sie saugen mit ihrer langen Schnauze ihre Nahrung, kleine Krebse, ein und verschlucken sie unzerkaut. Die Genomanalyse zeigte, dass auch beim Seepferdchen-Verwandten mehrere Gene, die bei anderen Fischen und auch beim Menschen zur Entwicklung der Zähne beitragen, verlorengegangen sind. Das Forschungsteam prüfte die Hypothese auf das hierzu gehörende scpp5-Gen hin, indem es bei Zebra-Fischen, einem gut erforschten Modellorganismus, der über Rachenzähne verfügt, dieses Gen ausschaltete. In den mutierten Fischen waren, wie erwartet, die Zähne reduziert. Die Funktion eines fehlenden Gens, das verantwortlich für den Verlust der Zähne ist, wurde so durch molekularbiologische CRISPR-Cas-Experimente nachgewiesen.

Die Männchen tragen die befruchteten Eier aus
Typisch für die Seepferdchen-Familie ist ebenfalls, dass ihre männlichen Mitglieder die befruchteten Eier austragen. Während Seepferdchen schon Brutbeutel entwickelt haben, tragen die evolutionsgeschichtlich älteren Seedrachen noch sichtbar die klebrigen Eier unter am Schwanz des Männchens. Sie werden vom Weibchen auf diesen speziellen Brutplatz abgelaicht, wo sie von da an vom Männchen am Körper getragen und so vor Fressfeinden beschützt werden. Bei Fischen generell sind öfter Männchen als Weibchen mit der Brutpflege der Eier beschäftigt, diese spezielle Form der männlichen Schwangerschaft ist allerdings nur bei Seepferchen-Verwandten zu finden.
In diesem Zusammenhang suchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach den Mechanismen der Geschlechtsbestimmung bei Seedrachen, die bislang noch nicht bekannt waren. Allgemein ist der Ort der Geschlechtsbestimmung bei Fischen schwer zu bestimmen, da sie meist keine speziellen Geschlechtschromosomen wie das X- und Y-Chromosom der Säugetiere besitzen. Die molekularen Grundlagen der Geschlechtsbestimmung liegen, so das Ergebnis, beim sogenannten Mullerian-Hormon, das bereits bei den Seepferdchen als entscheidend für die Geschlechtsbestimmung nachgewiesen wurde.
Die Sequenzierung des Seedrachen-Genoms erfolgt als weiteres Projekt der längerfristigen Zusammenarbeit der Teams aus Guangzhou und Konstanz. Die erste Publikation – zum Seepferdchen-Genom – veröffentlichten die beiden Teams bereits 2016 im Wissenschaftsjournal Nature, eine weitere dieses Jahr in Nature Communications. Axel Meyer: „Wir versuchen in unserer Forschung aus dem Genom den Phänotyp, gewissermaßen die ‚Essenz‘ von Tieren, abzuleiten. Wir versuchen somit zu verstehen, wie ein Tier aussieht, basierend auf der Genomsequenz und dem Verständnis der Funktion von Genen. Der Seedrache ist ein Fisch, der gar nicht wie ein typischer Fisch aussieht. Es ist eine besonders faszinierende und wunderschöne Art.“
Originalpublikation: Meng Qu, Yali Liu, Yanhong Zhang, Shiming Wan, Vydianathan Ravi, 7 Geng Qin1, Han Jiang, Xin Wang, Huixian Zhang, Bo Zhang, Zexia Gao, Ann Huysseune, Zhixin Zhang, Hao Zhang, Zelin Chen, Haiyan Yu, Yongli Wu, Lu Tang, Chunyan Li, Jia Zhong, Liming Ma, Fengling Wang, Hongkun Zheng, Jianping Yin, Paul Eckhard Witten, Axel Meyer, Byrappa Venkatesh, Qiang 11 Lin. Seadragon genome analysis provides insights into its phenotype and sex-determination locus, Science Advances, 18. August 2021. DOI: 10.1126/sciadv.abg5196

18.08.2021, Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft
Aufsehenerregender Nachwuchs im Labor – Rote-Liste Prachtkäfer wiederentdeckt
Anfang August schlüpfte in einem Waldschutz-Labor der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) ein sehr seltenes Insekt: Der Berliner Prachtkäfer (DICERCA BEROLINENSIS), auch Goldener Prachtkäfer genannt, hatte sich in Buchenholzproben aus dem Steigerwald entwickelt. Das Holz stammte von abgestorbenen Buchen an der Waldklimastation Ebrach. „Dieser bedeutsame Fund beweist, dass auch in bewirtschafteten Wäldern wertvolle Habitate und seltene Arten erhalten werden“, so der Leiter der forstlichen Forschungsanstalt, Dr. Peter Pröbstle.
Bei dem entdeckten Käfer handelt es sich um einen Zufallsfund: Nach dem Trockenjahr 2020 starben zahlreiche Altbuchen an der Waldklimastation Ebrach im Steigerwald ab, so dass die LWF eine Studie zur Untersuchung der biotischen und abiotischen Schadeinflüsse durchführte. Dazu wurden Zweig- und Stammproben von geschädigten Rotbuchen gewonnen. Zurück in Freising untersuchten Expert*innen der Abteilung Waldschutz der LWF die Proben und legten diese in Netzkäfigen aus, um die Entwicklung eventuell vorhandener Totholzinsekten beobachten zu können. Die Überraschung: Aus einem abgestorbenen Kronenast einer Rotbuche schlüpfte ein Prachtkäfer, der eindeutig als der seltene Berliner Prachtkäfer bestimmt werden konnte. Der letzte Nachweis dieses Prachtkäfers von Forstwissenschaftlern der LWF liegt bereits über 15 Jahre zurück.
Die sehr wärmeliebende Käferart ist auf besonntes Totholz in den Kronen von anbrüchigen Buchen angewiesen. Die Rote-Liste Art ist damit ein Profiteur des Klimawandels, da Rotbuchen an manchen Orten durch Trockenheit und Wärme geschwächt werden. Gerade alte Bäume, die an veränderten Umweltbedingungen nicht angepasst sind, reagieren mit verminderter Gesundheit und Absterbeerscheinungen.
Auch die Altbuchen im etwa 180-jährigen Mischwald der Waldklimastation (WKS) Ebrach waren in Folge der extremen Trockenjahre 2015 bis 2020 in einem bislang unbekannten Ausmaß betroffen. Waldklimastationen wie die im Steigerwald messen kontinuierlich und intensiv die wichtigsten Umwelteinflüsse und werten ihre Wirkungen auf den Wald aus.
Der Fund des Goldenen Prachtkäfers zeigt aber auch, dass durch naturnahe Waldbewirtschaftung und den Erhalt von absterbenden Bäumen und Totholz Waldwirtschaft und Naturschutz kein Widerspruch sein müssen. Seit lang er Zeit werden in Ebrach die Buchenbestände nachhaltig und naturnah bewirtschaftet.
Der wiederentdeckte Käfer stellt aufgrund seiner Seltenheit und der Besiedelung von absterbenden Bäumen keine Gefahr für die Wälder dar. Er wurde mittlerweile wieder in seinem ursprünglichen Lebensraum freigelassen. Prachtkäfer sind mit ca. 15.000 Arten und 450 Gattungen eine der acht größten Käferfamilien im Tierreich. In Mitteleuropa kommen ca. 100 Prachtkäferarten vor. Davon leben allein 17 Arten in, auf und von der Eiche, aber nur drei Arten leben an der Buche; einer dieser drei ist der seltene Berliner Prachtkäfer.“

20.08.2021, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover
Corona-Spürhunde: Diag’nose‘
Schweiß, Urin oder Speichel – Hunde können an unterschiedlichen Körperflüssigkeiten mit hoher Genauigkeit
Ein Forschungsteam unter Leitung der Stiftung Tierärztlichen Hochschule Hannover (TiHo) veröffentlichte in Zusammenarbeit mit der Bundeswehr, der Medizinischen Hochschule Hannover und dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf in der Fachzeitschrift BMC Infectious Diseases eine Studie und einen Übersichtsartikel über Corona-Spürhunde. Die neue Studie zeigt, dass der Nachweis SARS-CoV-2-infizierter Personen unabhängig davon ist, welche Körperflüssigkeit den Hunden präsentiert wird. Sie bestätigt zudem, dass Hunde in der Lage sind, die Infektion schnell und sicher zu diagnostizieren und dass die freigesetzten flüchtigen organischen Verbindungen, die die Hunde riechen, unabhängig von der infizierten Körperzelle sind. Für medizinische Spürhunde scheinen alle getesteten Körperflüssigkeiten in ähnlicher Weise geeignet zu sein, um SARS-CoV-2-Infizierte zuverlässig zu erkennen.
Die Studie
Für die Studie setzte das Forschungsteam zehn spezialisierte Spürhunden der Bundeswehr ein. Nach einem speziellen Training waren sie in der Lage, 92 Prozent der über 5.000 vorgelegten Proben korrekt zu identifizieren. Die Hunde wurden ausschließlich mit Speichelproben trainiert, in der Studie mussten sie aber auch Urin- und Schweißproben auf die flüchtigen organischen Verbindungen, die die Zellen SARS-CoV-2-positiver Menschen produzieren, kontrollieren. Die Proben wurden automatisiert nach dem Zufallsprinzip verteilt – weder die beteiligten Hundeführer noch die Forschenden vor Ort wussten, welche Proben positiv waren und welche zu Kontrollzwecken dienten. Die Hunde waren in der Lage, zwischen Proben infizierter und nicht infizierter Personen mit einer durchschnittlichen diagnostischen Sensitivität und Spezifität von 95 Prozent bzw. 98 Prozent für Urin, 91 Prozent bzw. 94 Prozent für Schweiß und 82 Prozent bzw. 96 Prozent für Speichel zu unterscheiden. Die Sensitivität bezieht sich auf den Nachweis von positiven Proben. Die Spezifität bezieht sich auf den Nachweis negativer Kontrollproben. Die SARS-CoV-2-positiven Proben stammten von infizierten Personen mit und ohne Symptomen.
Der Geruchssinn des Hundes
Seit Beginn der Domestizierung nutzt der Mensch die außergewöhnlichen Geruchsfähigkeiten von Hunden, um Beute zu jagen, aber auch, um sich selbst vor Raubtieren zu schützen. Heutzutage werden Hunde zunehmend auch im Bereich der medizinischen Forschung zur Geruchserkennung eingesetzt. Sie sind in der Lage, infektiöse und nicht-infektiöse Krankheiten wie verschiedene Krebsarten, Malaria, bakterielle und virale Infektionen zu erkennen (Jendrny et al., 2021). Der Geruchssinn des Hundes ist unübertroffen und mit dem Geruchssinn des Menschen nicht zu vergleichen; Hunde haben mehr als 1.000 Gene für die Olfaktion, eine höhere Nasenoberfläche, einen optimierten Luftstrom zum Riechen, 40-mal mehr Riechrezeptorzellen (200 bis 300 Millionen gegenüber 5 bis 8 Millionen beim Menschen) und ein zusätzliches Geruchssystem (vomeronasales Organ) um einige Beispiele zu nennen. Ein Exempel veranschaulicht die Geruchsfähigkeit von Hunden: Ein Hund ist in der Lage den Tropfen einer Flüssigkeit in 50.000.000 Litern Wasser, das entspricht 20 Schwimmbecken olympischer Größe, zu erkennen.
Machbarkeitsstudie „Back to Culture“
Erst kürzlich hatte das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur angekündigt, die Studie „back to culture“ mit 1,5 Millionen Euro zu unterstützen. In Zusammenarbeit mit der Medizinischen Hochschule Hannover, dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hannover Concerts, Proevent, Kynoscience, Awias Aviation Services und der Bundeswehr wollen die TiHo-Forschenden in die Erkenntnisse in die Praxis testen. Sie werden auf das Coronavirus trainierte Spürhunde in diesem Herbst bei mehreren Musikveranstaltungen einsetzen und mit Antigen- und rtRT-PCR-Tests vergleichen. Dies wird weitere Erkenntnisse darüber liefern, wie Corona-Spürhunde am besten bei der Detektion infizierten Menschen eingesetzt werden können.
Die Originalpublikationen
Jendrny, P., Twele, F., Meller, S. et al. Scent dog identification of SARS-CoV-2 infections in different body fluids. BMC Infect Dis 21, 707 (2021). https://doi.org/10.1186/s12879-021-06411-1
Jendrny, P., Twele, F., Meller, S. et al. Canine olfactory detection and its relevance to medical detection BMC Inffect Dis (2021) https://doi.org/10.1186/s12879-021-06523-8
First publication in the field: Jendrny, P., Schulz, C., Twele, F. et al. Scent dog identification of samples from COVID-19 patients – a pilot study. BMC Infect Dis 20, 536 (2020). https://doi.org/10.1186/s12879-020-05281-3

20.08.2021, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen
Der Untergang der Europäischen Flusskrebse: Wenn Wirtschaft über Naturschutz siegt
Der europäische Flusskrebs wird seit rund 150 Jahren von der Krebspest dahin gerafft. Angesichts dieser Entwicklung wurden aus wirtschaftlichen Gründen gezielt nordamerikanische Signalkrebse in Flüsse und Bäche ausgesetzt. Das massenhafte Sterben der einheimischen Krebse hat sich dadurch noch mehr beschleunigt statt verlangsamt. Wissenschaftler*innen des Senckenberg und anderen europäischen Forschungseinrichtungen berichten in „Frontiers in Ecology and Evolution“, wie es dazu kam und welche Lehren sich daraus ziehen lassen. Am europäischen Flusskrebs sei ersichtlich, dass es mehr schade als nütze gebietsfremde Arten einzuführen, um verlorene Bestände einheimischer Arten zu ersetzen
Dies ist die Geschichte einer gewaltigen Fehlentscheidung, die im Jahr 1860 beginnt. In diesem Jahr wird erstmals beobachtet, dass europäische Flusskrebse (Astacus astacus), auch Edelkrebse genannt, in großer Anzahl sterben. Verantwortlich ist ein Scheinpilz, der die – zumindest für europäische Flusskrebse tödliche – Krebspest verursacht. Rund einhundert Jahre später, 1960, hatte die Krankheit die Bestände der Edelkrebse bereits beträchtlich dezimiert. Um den Verlust zu kompensieren, wurde deshalb u.a. in Finnland, Schweden, Österreich und Spanien der nordamerikanische Signalkrebs (Pacifastacus leniusculus), der immun gegenüber der Krebspest zu sein schien, in Flüssen und Seen ausgesetzt. Heutzutage hat der Signalkrebs die Oberhand in Europas Gewässern. Und der Edelkrebs? Der ist nach zahlreichen Krebspestwellen inzwischen vom Aussterben bedroht.
„Der Signalkrebs wurde mittlerweile in 28 europäischen Ländern nachgewiesen. Der Einwanderer ist zwar gegen die meisten Krebspest-Erregerstämme resistent, aber er kann den Erreger übertragen. Als man die Tiere massenhaft ausgesetzt hat, hat man dem Edelkrebs daher gleichsam den Todesstoß verpasst“, sagt Dr. Kathrin Theissinger vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum und der Universität Koblenz-Landau. Der Signalkrebs gilt in Europa inzwischen als invasive Art und damit als einer der fünf maßgeblichen Faktoren, die weltweit zum Verlust biologischer Vielfalt führen. Theissinger dazu: „Brisant ist, dass der Signalkrebs nicht zufällig in europäische Gewässer gelangt ist, sondern bewusst und wiederholt trotz wissenschaftlicher Bedenken eingebracht wurde und wird“.
Gemeinsam mit Kolleg*innen der Universität Ostfinnland, der Schwedischen Universität für Agrarforschung, des obersten spanischen Wissenschafler-Rates CSIC und der Universität Zagreb zeigt Theissinger in einer Studie auf, wie es dazu kommen konnte. Hauptursache ist der kommerzielle Wert von Flusskrebsen, denn die Tiere stehen seit Jahrhunderten auf Europas Speiseplan. Der Fang der ausgesetzten und sich alsbald entwickelnden Wildbestände der Signalkrebse sollte die wirtschaftlichen Verluste durch den Wegfall der einheimischen Krebse ersetzen. Langfristige ökologische Folgen der Aussetzung einer gebietsfremden Art wurden dem untergeordnet. Zudem wurde der Signalkrebs als gewinnträchtige Art beworben und damit die illegale Aussetzung neben der offiziellen Aussetzung in Gewässer noch gefördert.
Ein weiterer Punkt der zum Untergang der Edelkrebse geführt hat, sind falsche und verzerrte Informationen um den ‚guten Namen‘ des Einwanderers zu schützen. „Es wurde nicht kommuniziert, dass Pacifastacus leniusculus den Erreger der Krebspest an einheimische Arten übertragen kann und wiederholt behauptet, dass Signalkrebse – im Gegensatz zu den einheimischen Arten – gegen den Krebspest-Erreger immun wären. Damals war bereits klar, dass dies nicht für alle Untertypen des Erregers zutrifft. Als sich die Bestände der Signalkrebse nicht wie versprochen entwickelten, wurde die Prognose nicht korrigiert. Einzelne Akteure haben zudem absichtlich versucht, Argumente gegen gebietsfremde Arten in Argumente gegen einheimische Flusskrebse zu verdrehen“, fasst Theissinger zusammen.
Welche vielschichtigen Folgen der dramatische Rückgang der einheimischen Krebse hat, ist noch nicht genau abschätzbar, da derartige Änderungen in Ökosystemen oft erst langfristig sichtbar werden. „Flusskrebs ist nicht gleich Flusskrebs. Die ökologischen Unterschiede gebietsfremder Arten sind oftmals mannigfaltig und der Effekt auf das Ökosystem schwer zu prognostizieren.“, erklärt Theissinger. Eine gezielte Ausrottung der Signalkrebse ist nur in begrenzten Wasserflächen wie Teichen möglich. In Gewässern, die eng miteinander verbunden, wie es häufig in Skandinavien der Fall ist, ist dies praktisch aussichtslos. Eine Korrektur des Fehlers wird also schwierig.
Einen Rettungsplan für die Edelkrebse haben die Wissenschaftler*innen trotzdem erarbeitet. Demnach sollten die Aussetzung, der Fang sowie der Verkauf gebietsfremder Krebse als Lebensmittel verboten werden, Populationen der gebietsfremden Krebse beobachtet und – soweit möglich – neue Populationen ausgerottet werden, die Öffentlichkeit für das Problem invasiver Krebse sensibilisiert und der nachhaltige Fang einheimischer Krebse geprüft werden. „Wir, die Gesellschaft, müssen unsere Umwelt stärker als Ganzes wahrnehmen und ein funktionierenden Ökosystems wertschätzen. Der Signalkrebs ist der am weitesten verbreitete gebietsfremde Krebs in Europa, es gibt aber auch andere gebietsfremde Krebsarten. Um das Aussterben des Europäischen Flusskrebses abzuwenden, muss man wohl eher beim Menschen als bei den Krebsen ansetzen“, so Theissinger.
Originalpublikation:
Jussila J, Edsman L, Maguire I, Diéguez-Uribeondo J and Theissinger K (2021) Money Kills Native Ecosystems: European Crayfish as an Example. Frontiers in Ecology & Evolution, doi: 10.3389/fevo.2021.648495

20.08.2021, Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung
Fledermausbabys babbeln wie Kleinkinder
„dadada“, „mamama“, „baba“ – jeder, der Kinder hat, kennt dieses stimmliche Übungsverhalten, das als Babbeln bezeichnet wird und einen Meilenstein in der Sprachentwicklung von Kindern darstellt. Erfolgreicher Spracherwerb erfordert die Fähigkeit, sogenannte kanonische Silben wie /da/ ba/ga/ produzieren zu können, und Kinder üben dies während sie babbeln. Eine neue Studie, die von Wissenschaftlerinnen des Museums für Naturkunde Berlin in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht wurde, zeigt erstmals, dass das Babbelverhalten der Großen Sackflügelfledermaus Saccopteryx bilineata viele Parallelen zum Babbeln von Kleinkindern aufweist.
Mehr als alles andere definiert Sprache uns als Menschen. Der Sprechakt erfordert eine präzise Kontrolle über unseren Stimmapparat, vor allem über Bewegungen der Zunge, der Lippen und des Kiefers. Jedes Kleinkind steht vor der Herausforderung, ebendiese präzise Kontrolle zu erlangen, um Sprachlaute produzieren zu können. Diese Fertigkeit wird während des Babbelns eingeübt. Die typische Sprachentwicklung eines Kleinkindes beinhaltet daher eine Babbelphase, unabhängig von kulturellen Einflüssen und der Muttersprache die erworben wird, und weist somit universelle Schlüsselmerkmale auf.
Vergleichende Forschung zur vokalen Entwicklung von unterschiedlichen Tierarten verrät uns viel über unseren eigenen Spracherwerb. Besonders spannend sind Tierarten, welche wie wir die Fähigkeit zur vokalen Imitation besitzen. Ein ähnliches Übungsverhalten wie das menschliche Babbeln ist jedoch ein äußerst seltenes Phänomen bei Tieren, bisher wurde es fast ausschließlich bei Singvögeln beschrieben. Die Forschung zur Gesangsentwicklung bei Singvögeln hat uns wichtige Erkenntnisse über die Sprachentwicklung beim Menschen geliefert. Allerdings haben Singvögel und Menschen unterschiedliche Lautapparate – Vögel besitzen eine Syrinx, wir einen Larynx – und einen unterschiedlichen Aufbau des Gehirns, sodass sich nur bedingt direkte Schlüsse für den Menschen aus der Singvogelforschung ziehen lassen.
Nun gibt es aber ein Säugetier, welches zwar auf den ersten Blick wenig Ähnlichkeit zum Menschen besitzt und daher für vergleichende Forschung zur Sprachentwicklung zunächst eher ungewöhnlich erscheint: die Große Sackflügelfledermaus Saccopteryx bilineata. Besonders an dieser Fledermausart ist, dass sie zur vokalen Imitation fähig ist und die Jungtiere während ihrer Entwicklung ein auffälliges vokales Übungsverhalten zeigen, welches sehr an das Babbeln von Kleinkindern erinnert.
Ein Team von Wissenschaftlerinnen des Museums für Naturkunde Berlin, Ahana A. Fernandez, Lara S. Burchardt, Martina Nagy und Mirjam Knörnschild, untersuchte das Babbelverhalten von 20 Jungtieren in ihrem natürlichen Lebensraum in Panama und Costa Rica. Für die Datenaufnahme wurden die Fledermäuse an die Anwesenheit der Forscherinnen in unmittelbarer Nähe ihrer Tagesquartiere gewöhnt. So war es möglich, über den gesamten Zeitraum von Geburt bis zur Entwöhnung (der Zeitpunkt, an dem die Mütter aufhören, ihre Jungen zu säugen), täglich akustische Aufnahmen und Videoaufnahmen von den Jungtieren zu machen. „Mit wilden Fledermausjungtieren arbeiten zu können, ist eine einzigartige Gelegenheit, weil sie die Beobachtung und Aufzeichnung eines komplexen Verhaltens in einer völlig natürlichen, ungestörten Umgebung ermöglicht“, erklärt Ahana Fernandez. Während durchschnittlich sieben Wochen ihrer Entwicklung babbeln die Jungtiere täglich. Das Babbeln ist durch lange, vielsilbige Sequenzen gekennzeichnet, die Silbentypen des adulten vokalen Repertoires beinhalten. „Das Babbeln der Jungtiere ist ein sehr auffälliges Übungsverhalten, es ist noch in beträchtlicher Entfernung zum Tagesquartiers zu hören und die einzelnen Babbelsequenzen können bis zu 43 Minuten andauern“, sagt Martina Nagy, „und während des Babbelns lernen die Jungtiere den Gesang der erwachsenen Männchen zu imitieren“. Zurück in Deutschland wurden die akustischen Aufnahmen analysiert, um die Eigenschaften des Babbelns zu untersuchen. Die Forscherinnen fanden heraus, dass das Babbeln der Fledermausjungtiere durch dieselben acht Merkmale gekennzeichnet ist, die auch menschliches Babbeln charakterisieren. „Zum Beispiel ist das Babbeln der Fledermausjungtiere durch die Wiederholung von Silben gekennzeichnet, ähnlich der charakteristischen Silbenwiederholung – /dadada/ – beim menschlichen Babbeln“, sagt Lara Burchardt. Außerdem ist das Babbeln der Fledermausjungtiere rhythmisch und tritt bei allen männlichen und weiblichen Fledermausjungtieren auf – was in starkem Kontrast zu Singvögeln steht, bei denen nur junge Männchen babbeln.
„Es ist faszinierend, so deutliche Parallelen zwischen dem stimmlichen Übungsverhalten zweier vokal lernenden Säugetiere zu finden“, sagt Mirjam Knörnschild. „Unsere Studie leistet einen wichtigen Beitrag zur Biolinguistik, einem interdisziplinären Forschungsgebiet, das sich auf die biologischen Grundlagen der menschlichen Sprache konzentriert, um ihre Evolution zu untersuchen.“ Die Erforschung einer vokal lernenden, babbelnden Fledermausart könnte uns somit ein weiteres Puzzlestück liefern, um den evolutiven Ursprung menschlicher Sprache besser zu verstehen.
Publikation: Fernandez AA, Burchardt LS, Nagy M, Knörnschild M (2021). Babbling in a vocal learning bat resembles human infant babbling. Science.

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