Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

17.05.2021, Deutsche Wildtier Stiftung
Auf den Spuren der Fischotter
Deutsche Wildtier Stiftung: So wird man ein Otter-Spotter
Niemand weiß genau, wie viele Fischotter es in Deutschland gibt. Fest steht: Der Bestand ist bundesweit gefährdet. Otternachweise sind sehr selten. Wer einen Fischotter in freier Wildbahn zu Gesicht bekommt, kann sich glücklich schätzen. Doch wie erkennt man eine Otterspur? Das ist keine leichte Aufgabe, denn je nach Gangart hinterlässt ein Otter unterschiedliche Trittbilder. Bis zu 20 verschiedene Abdrücke sind bekannt. Wie man dem scheuen Wassermarder auf die Spur kommt, erklärt Michael Tetzlaff, Wildtier-Experte der Deutschen Wildtier Stiftung in Klepelshagen.
„Wer Fischotterspuren entdecken möchte, muss dort suchen, wo der Otter sich wohlfühlt“, sagt Tetzlaff. Otter brauchen Gewässer mit hoher Wasserqualität und Uferränder, die mit Gras, Schilf und Gehölzen bewachsen sind. Seichte Stellen an Flussufern, Bachläufen, Teichen und Wassergräben sind für Otter perfekt. An Nord- oder Ostsee dagegen sind die Säugetiere kaum noch zu entdecken.
Der Fischotter gräbt am Uferrand unter Wasser seinen Bau. Er liebt Schlupfmöglichkeiten im Wurzelwerk, in Totholz und Schilfröhricht, die er als Ruheplatz nutzt. Wissenschaftler weisen Otter vor allem durch dessen Hinterlassenschaften entlang der Gewässerufer nach. „Man kann ein Ottervorkommen vor allem unter Brücken bestätigen, aber nur wenn dort Uferstreifen zwischen den Brückenpfeilern vorhanden sind“, erläutert Tetzlaff. „Hier markieren Fischotter mit einem Analdrüsensekret ihr Revier.“ Der Duft dieser Ausscheidung gilt als unverwechselbar. Er wird als blumig-süßlich mit einer tranigen Note beschrieben. Manchmal findet man aber auch Losung, die durch den ebenfalls typischen Geruch und die Reste von Fischen und anderen Wirbeltieren dem Otter zuzuordnen sind.
„Das ideale Wetter für Otter-Spotter ist nassfeucht. Dann lassen sich die Otterspuren in der Erde gut erkennen“, sagt Michael Tetzlaff. Der Fußabdruck eines Otters – das sogenannte Trittsiegel – ist je nach Größe des Tieres etwa sieben Zentimeter lang und an der breitesten Stelle in der Mitte rund 5,5 cm breit. Die „Brante“ – so nennen Experten die Pfote – hat neben einem Ballen an der „Ferse“ einen größeren Mittelballen. Otterspuren sind breit und nahezu quadratisch. Manchmal erkennt man sogar die Abdrücke der Schwimmhäute, die zwischen den Zehen liegen. Auch das Nachschleifen der Rute ist häufig auf dem Boden erkennbar und ist charakteristisch für Fischotter.
Wer als Otter-Spotter unterwegs ist, sollte Lupe, Zollstock und ein Smartphone für den Fotonachweis bereithalten. Tetzlaffs Tipp: „Im Internet lassen sich die gefundenen Abdrücke vergleichen und besser identifizieren“. Die Tageszeit ist für einen Otter-Ausflug nicht entscheidend. Bei Sturm verkriechen sich Otter allerdings meist in ihren Unterschlupf. „Man sollte allein auf die Suche gehen, denn Otter sind scheu und verstecken sich sofort, wenn sie Menschen wittern“, rät der Wildtier-Experte der Deutschen Wildtier Stiftung.
Otternachweise sind für den Natur- und Artenschutz wertvoll, um die Verbreitungsentwicklung des Tier des Jahres 2021 zu dokumentieren. „Wir sind auf Sichtungen von Artenschützern und Wildtierfreunden angewiesen“, betont Tetzlaff. Auch für die Beurteilung des Zustands eines Gewässers sind die Beobachtungen sinnvoll: „Wo die Tiere auftauchen, ist die Wasserqualität noch in Ordnung.“
Otter-Sichtungen können auf der Internetseite der „Aktion Fischotterschutz e. V.“ unter www.otterspotter.de eingegeben und erfasst werden.

17.05.2021, Hessisches Landesmuseum Darmstadt
Forscher entdecken neue Nasenkröte am Straßenrand
Auf einer Expedition nach Peru im November 2019, also kurz vor Ausbruch der Coronapandemie, entdeckten Forscher um Dr. Jörn Köhler, Zoologe am Hessischen Landesmuseum Darmstadt, eine neue Froschart aus der Gruppe der ‚Nasenkröten‘.
Die neue Art aus der Cordillera Azul zeichnet sich, wie der deutsche Name vermuten lässt, durch eine besonders lange ‚Nase‘ aus. Anders als die meisten Krötenarten sind die Tiere nicht braun, sondern vornehmlich grün gefärbt, aber entscheidend für ihre Identifizierung waren genetische Untersuchungen, wie Köhler berichtet.
Das Team aus peruanischen und deutschen Wissenschaftlern nannte die neue Art nun Rhinella chullachaki. Chullachaki ist der Name eines mythischen Wesens aus Amazonien, welches als Wächter des Waldes beschrieben wird. Der Sage nach kann es verschiedene Gestalten annehmen und Menschen, die nicht respektvoll mit der Natur umgehen, Leid zufügen. »Wir weisen damit auf die anhaltende Lebensraumzerstörung in Amazonien hin«, sagt der Koautor Ernesto Castillo vom Naturhistorischen Museum in Lima.
Die Entdeckung der neuen Art war eine Überraschung, denn die Tiere wurden am Rand einer viel befahrenen Straße gefunden, eine der wenigen Hauptverkehrsadern über die Anden, welche die Hauptstadt Lima mit dem Amazonas-Tiefland verbinden. In diesem Fall war es also kein unberührter Regenwald, welcher erst durch tagelange Bootsfahren und Fußmärsche erreicht werden kann, sondern ein kleiner Bachlauf neben dem geparkten Auto der Forscher.
Originalpublikation:
CASTILLO-URBINA, E., F. GLAW, C. AGUILAR-PUNTRIANO, M. VENCES & J. KÖHLER (2021): Genetic and morphological evidence reveal another new toad of the Rhinella festae species group (Anura: Bufonidae) from the Cordillera Azul in central Peru. – Salamandra 57 (2): 181-195.
[open access: https://www.salamandra-journal.com]

17.05.2021, Stiftung Zoologisches Forschungsmuseum Alexander Koenig, Leibniz-Institut für Biodiversität der Tiere
Diversität der Farben: Wissenschaftler beschreiben drei neue farbenfrohe Echsen aus Südostasien
Südostasien ist ein Hotspot der globalen Artenvielfalt. Immer wieder werden auch hier neue Arten entdeckt, was zeigt, dass die Biodiversität bei weitem noch nicht ausreichend erforscht ist. Ein internationales Team hat hier nun einen Artkomplex untersucht und dabei drei neue farbenfrohe Echsen-Arten erstmalig für die Wissenschaft beschrieben.
Ein internationales Team von Wissenschaftlern aus dem Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig – Leibniz-Institut für Biodiversität der Tiere (Forschungsmuseum Koenig) in Bonn, der Senckenberg Naturhistorischen Sammlung Dresden, des Naturhistorischen Museum der Stadt Genf und dem Allwetterzoo in Münster hat die asiatische Blaukopf-Schönechse untersucht. Dabei zeigte sich, dass es sich um einen Komplex aus insgesamt fünf unterschiedliche Arten handelt. Drei von ihnen waren noch vollständig unbekannt und wurden nun erstmalig im Bonn zoological Bulletin beschrieben. Eine Art wird nach Dr. Stephan Goetz benannt, der sich durch die Unterstützung des wichtigen Artenschutzzentrums Angkor Centre for Conservation of Biodiversity um den Schutz vom Aussterben bedrohter Tierarten verdient gemacht hat. Die beiden anderen Arten werden nach Dr. Peter Geißler vom Museum Natur und Mensch in Freiburg und Jens Vindum von der California Academy of Sciences in San Francisco, USA, benannt. Alle Personen haben haben im Netzwerk der Wissenschaftsgemeinschaft mit vielen Studien dazu beigetragen, unser Wissen über die Echsen und Schlangen wesentlich zu erweitern
Ursprünglich hatte Calotes mystaceus, wie die Blaukopf-Schönechse wissenschaftlich genannt wird, ihr weitverbreitetes Hauptverbreitungsgebiet im südlichen Asien, mit einem Schwerpunkt in Südostasien (Laos, Myanmar, Thailand und Kambodscha). Hier findet man diese oft farbenfrohen Echsen nicht nur in Wäldern, sondern auch in städtischen Parkanlagen mitten Bangkok, kleineren Siedlungen aber auch in den Gärten von Hotelanlagen oder dem Gelände des Artenschutzzentrums Angkor Centre for Conservation of Biodiversity (ACCB), welches der Allwetterzoo Münster in Kambodscha betreibt.
„Die Männchen dieser Echse mit ihren strahlend blauen Köpfen gehören schon zu den auffälligsten Tieren auf dem Gelände des ACCB und man kann sie auch überall im angrenzenden Nationalpark beobachten.“ erklärt Dr. Philipp Wagner, Kurator für Forschung und Artenschutz am Allwetterzoo. „Da verwundert es schon ein wenig, dass man sich die Art seit ihrer Beschreibung im Jahr 1837 nicht noch einmal genauer angeschaut hat.“ Er hat seinem Kollegen Timo Hartmann vom Forschungsmuseum Koenig die Idee zu verdanken, sich den gesamten Artkomplex näher anzuschauen. Denn Hartmann hatte bereits eine nah verwandte Art aus Vietnam beschrieben hat und ahnte, dass möglicherweise noch mehr spannenden Entdeckungen zu erwarten seien.
„Gerade die Färbung der Männchen ist dann das beste Unterscheidungsmerkmal der Arten,“ erklärt Dr. Andreas Schmitz vom Naturkundemuseum in Genf. „Dadurch, dass die Männchen ihre Reviere bilden, dient die Färbung der Erkennung und zwar nicht nur zwischen Männchen und Männchen, sondern auch die Weibchen erkennen so die richtigen Männchen.“ Dabei können die Tiere ihre Farbe ähnlich wie die Chamäleons ändern. Nähert sich ein Weibchen, übertreffen sich die Konkurrenten in der Brillanz der Blaufärbung. Bei Revierkämpfen verblasst das unterlegene Männchen aber innerhalb weniger Minuten. Auch nachts sind die Tiere braun oder schwarz und fallen so in ihrem Lebensraum kaum auf.
„Agamen wie die Schönechsen sind schon lange ein Forschungsschwerpunkt am Forschungsmuseum Koenig in Bonn.“ führt Prof. Dr. Wolfgang Böhme, emeritierter Leiter der Sektion Herpetologie, aus. „Da ist es schön, ein weiteres wichtiges Puzzleteil zur Kenntnis dieser Echsengruppe beitragen zu können.“ Die neuen Arten wurden jetzt im Bonn zoological Bulletin veröffentlicht, der renommierten wissenschaftlichen Zeitschrift, die das Bonner Museum herausgibt und wo die wissenschaftlichen Studien frei zugänglich sind.
„Eine der drei Arten ist für mich etwas ganz besonderes,“ sagt Philipp Wagner vom Allwetterzoo, „denn wir beschreiben sie aus dem Phnom Kulen National Park, in dem auch unser ACCB liegt, sie ist aber über weite Teile Kambodschas, Thailands und Myanmars verbreitet. Benannt haben wir die Art daher auch nach Dr. Stephan Goetz, dem langjährigen Förderer des ACCB.“
Stephan Goetz war maßgeblich am Aufbau des ACCB beteiligt und ohne seine Hilfe würde es dieses für Kambodscha so wichtige Artenschutzzentrum nicht geben. „Und auch mir persönlich steht er mit Rat, Tat und einem unglaublichen Engagement zur Seite,“ erläutert Philipp Wagner „und so ist es mir eine besondere Freude die neue Art Calotes goetzi nach ihm benennen zu können“. Und auch die beiden anderen Arten tragen männliche Namen.
Mit Calotes geissleri wird Dr. Peter Geißler vom Museum Natur und Mensch in Freiburg geehrt. „Peter hat nicht nur viel über die Artenvielfalt in Südostasien gearbeitet, sondern die nächste verwandte Spezies unserer neuen Art ist nach seiner Freundin benannt. Soso bilden die beiden nun auch als Echsen ein Paar.“ erklärt Wagner. Dritter im Bunde ist Jens Vindum von der California Academy of Sciences in San Francisco, USA, der ebenfalls mit vielen Studien dazu beigetragen hat, unser Wissen über die Echsen und Schlangen grundlegend zu erweitern. „Auch hier war ein besonderer Name sehr naheliegend,“ führt Wagner aus, denn „mystaceus, der ursprüngliche „Sammel-Artname“ für die erst jetzt entdeckten Arten, ist griechisch und bedeutet bärtig. Und wie es der Zufall so will, trägt Jens tatsächlich einen sehr beachtlichen Bart. So leitet sich der Name seiner Art, nun aus dem lateinischen Wort barbatus – bärtig – ab und wird zu vindumbarbatus .“
Originalpublikation:
Quelle: WAGNER, P., IHLOW, F., HARTMANN, T., FLECKS, M., SCHMITZ, A. & W. BÖHME (2021): Integrative approach to resolve the Calotes mystaceus Duméril & Bibron, 1837 species complex (Squamata: Agamidae). – Bonn zoological Bulletin 70: 141–171.
DOI 10.20363/BZB-2021.70.1.141
https://doi.org/10.20363/BZB-2021.70.1.141

18.05.2021, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Korallen auf der Roten Liste
Daten ausgestorbener Arten helfen, die Gefährdung besser abzuschätzen
Die Eigenschaften der in den letzten Jahrmillionen ausgestorbenen Korallenarten stimmen schlecht mit denen der heute für gefährdet gehaltenen Arten überein. Eine Forschungsgruppe der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) schlägt daher in einem Fachartikel in „Global Ecology and Biogeography“ der Weltnaturschutzunion IUCN eine Überarbeitung ihrer Roten Listen für Korallen vor.
Dort ist rund ein Drittel aller 845 genannten Korallenarten, die Riffe bilden, als gefährdet verzeichnet. Diese Roten Listen der International Union for Conservation of Nature (IUCN) gelten als sehr zuverlässig, weil die besten Spezialistinnen und Spezialisten auf ihrem Gebiet regelmäßig untersuchen, wie sich der Bestand einer Art in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten entwickelt hat. Zusammen mit weiteren Faktoren wie Naturschutzmaßnahmen oder absehbaren Einflüssen wie dem Klimawandel zeigen diese Zahlen dann recht zuverlässig die Gefährdung der jeweiligen Art in der Zukunft. „Nur lässt sich ein solcher Trend für Korallenpopulationen kaum ermitteln“, nennt Prof. Dr. Wolfgang Kießling ein zentrales Problem der Roten Listen für Korallen.
Seine Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Paläoumwelt Nussaïbah Raja Schoob nahm die Gefährdung der Riffkorallen daher gemeinsam mit Forschungsteams von der University of Queensland im australischen St. Lucia und der University of Iowa im US-amerikanischen Iowa City mit einer völlig anderen Methode unter die Lupe. Zunächst untersuchte die Geowissenschaftlerin, welche Eigenschaften die Korallenarten auf den Roten Listen gemeinsam haben. Bei der Gefährdung dieser Gruppe spielt der Klimawandel eine wichtige Rolle. Ähnliches geschah in den vergangenen fünf Millionen Jahren, als sich zwischen Nord- und Südamerika eine Landbrücke bildete, die eine vorher starke Meeresströmung vom Pazifik in die Karibik dauerhaft unterbrach. Dadurch veränderten sich dort sehr wichtige Eigenschaften des Wassers wie Temperatur und Salzgehalt erheblich. Gleich 18 Gattungen von Korallen verschwanden damals aus der Karibik, sechs davon starben sogar weltweit aus. „Wir wollten nun wissen, welche Eigenschaften Korallenarten besonders empfindlich für einen solchen starken Wandel machten und welche Eigenschaften andererseits die Widerstandskraft gegen solche Einflüsse verbesserten“, erklärt Nussaïbah Raja Schoob.
Die FAU-Forscherin untersuchte daher eine Reihe von Parametern wie die größte Wassertiefe, in der die Korallen vorkommen, die Temperaturen, die ihre Larven vertragen, wie schnell die Korallen wachsen oder mit welchen Algen sie in Symbiose zusammenleben. Mit Hilfe von maschinellem Lernen identifizierten Computerprogramme Gemeinsamkeiten sowohl der damals aus der Karibik verschwundenen wie auch der überlebenden Arten. Danach ermittelte die künstliche Intelligenz die gemeinsamen Eigenschaften der von der IUCN als gefährdet geführten Korallenarten. Gerade einmal 18 Prozent dieser Rote-Listen-Arten aber stimmten mit den auf Paläodaten beruhenden Resultaten des maschinellen Lernens überein.
„Dieses Ergebnis widersprach allen Erwartungen und hat uns daher sehr verblüfft“, erinnert sich Wolfgang Kießling. Irgendwo musste ein Fehler stecken. Nur wo? Wohl kaum in den Daten aus der Korallengeschichte der vergangenen Jahrmillionen in der Karibik: „Diese beruhen auf Fakten, die wir direkt beobachten und messen können“, erklärt Wolfgang Kießling. Sollte das Problem also in den Roten Listen stecken?
Dort wurde Nussaïbah Raja Schoob tatsächlich fündig: Das alte und sehr bewährte System der IUCN, aus der Populationsdynamik einer Art auf deren Gefährdung in der Zukunft zu schließen, stieß bei den riffbildenden Korallen nämlich rasch an seine Grenzen. „Es gibt einfach kaum Daten zur Populationsdynamik“, erklärt Nussaïbah Raja Schoob. Die IUCN musste daher ihre Methoden anpassen und beurteilte das Gefährdungsrisiko nach den Veränderungen der Fläche, die Korallenriffe bedecken. „Diese Daten sind für den Schutz von Korallenriffen, die eine sehr wichtige Rolle für das Leben in den Meeren spielen, zwar extrem wichtig“, sagt Wolfgang Kießling. Nur sagen sie aus einem einfachen Grund wenig über die Gefährdung einzelner Arten: „Korallen können ja auch außerhalb eines Riffes direkt am Meeresboden wachsen und tun das auch sehr häufig“, erklärt der Paläontologe. Daher gibt es auch von den als selten eingestuften Arten meist noch immer einige Milliarden Individuen, von denen viele verstreut am Meeresboden wachsen können – und die dort nicht so einfach alle gleichzeitig aussterben dürften.
„Unser Ergebnis zeigt, wie wichtig Daten von bereits vor langer Zeit ausgestorbenen Arten sein können, um das Risiko für heute lebende Organismen einzuschätzen“, erklärt Nussaïbah Raja Schoob. Die Erkenntnisse der Paläontologie können daher die bewährten Methoden der IUCN sehr gut ergänzen. Auch wenn sich dadurch der Gefährdungsstatus einiger Korallenarten verringern könnte, liefert die Studie alles andere als eine Entwarnung: „Die Korallenriffe verschwinden ja trotzdem“, sagt Wolfgang Kießling. „Und mit ihnen ein fantastischer Lebensraum, der für die Ozeane sehr wichtig ist.“
Originalpublikation:
DOI: 10.1111/geb.13321

18.05.2021, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Sozialparasitäre Lebensweise bei Ameisen führt zu Genverlust / Veröffentlichung in Nature Communications
Ein internationales Forscherteam um den Biologen Lukas Schrader von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster konnte zeigen, dass eine sozialparasitäre Lebensweise von Ameisen nicht nur zu einer Veränderung äußerlicher Merkmale, sondern auch zu einem Genverlust bei den Arten führt. Diese sogenannte Genom-Erosion wirkt sich besonders auf für nichtparasitische Ameisen wichtige Gene wie etwa die Geruchsrezeptoren aus, die bei Ameisen im Normalfall die Kommunikationsgrundlage bilden. Die Veränderungen deuten darauf hin, dass bei der Entstehung von Sozialparasitismus die gleichen evolutionsbiologischen Mechanismen wie bei der Entwicklung von nicht sozialem Parasitismus wirken.
Bestimmte Ameisenarten machen es sich leicht: Sie leben als permanente Sozialparasiten in den Kolonien anderer Ameisenarten und nutzen deren Ressourcen zum eigenen Vorteil. Diese Art des Sozialparasitismus ist im Laufe der Evolution mehrfach entstanden, unter anderem bei einigen Blattschneiderameisen der Gattung Acromyrmex. Ein internationales Forscherteam um den Biologen Dr. Lukas Schrader von der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster hat jetzt gezeigt, dass Teile des Erbguts dieser Sozialparasiten verloren gegangen sind. Diese sogenannte Genom-Erosion wirkt sich besonders auf für nichtparasitische Ameisen wichtige Gene wie etwa die Geruchsrezeptoren aus, die bei Ameisen im Normalfall die Kommunikationsgrundlage bilden. Die Veränderungen deuten darauf hin, dass bei der Entstehung von Sozialparasitismus die gleichen evolutionsbiologischen Mechanismen wie bei der Entwicklung von nicht sozialem („klassischem“) Parasitismus wirken. Die Studie ist im Fachmagazin „Nature Communications“ veröffentlicht.
Um die Veränderungen im Erbgut der sozialparasitären Ameisenarten ausfindig zu machen, verglichen die Wissenschaftler die Genome von drei sozialparasitären Ameisenarten mit denen zweier Wirtarten. „Bereits vor über 100 Jahren wurde die Evolution von Sozialparasitismus als degenerativer Prozess beschrieben, da bestimmte äußere Merkmale der Arten verschwanden oder verkümmerten. Wir zeigen jetzt zum ersten Mal, dass auch die Genome der Arten Spuren von Degeneration aufweisen“, erklärt Erstautor Lukas Schrader, der am Institut für Evolution und Biodiversität der WWU forscht. Zudem trügen die Ergebnisse dazu bei, zu verstehen, wie sich Veränderungen im Genom auf Organismen auswirken und gäben neue Einblicke in die molekulare Evolution von Sozialparasitismus.An der Studie waren auch Forscher aus Dänemark, den Vereinigten Staaten (Arizona State University), China und Uruguay beteiligt.
Methode und Ergebnisse im Detail
Schon der Naturforscher Charles Darwin fand sozialparasitische Ameisen „in vielerlei Hinsicht verblüffend“, wie er 1874 in einem Brief an den Psychiater, Neurologen und Ameisenforscher Auguste Forel schrieb. Grund für diese Verblüffung war die außergewöhnliche Lebensweise der Insekten. Als Sozialparasiten haben sich einige Ameisenarten darauf spezialisiert, die Kolonien anderer Arten zu infiltrieren und auszunutzen. Mit den neuen Lebensbedingungen als Parasit geht bei den Ameisenarten in der Regel eine Veränderung äußerlicher Merkmale einher. Fast alle Arten haben zum Beispiel verkümmerte Kauwerkzeuge oder nur noch einen dünnen, unpigmentierten Chitinpanzer. Viele Arten haben außerdem vollständig aufgehört Arbeiterinnen zu produzieren.
Bislang ist allerdings kaum erforscht, inwieweit auch das Genom solcher Arten verändert ist. Um diesen möglichen Veränderungen auf die Spur zu kommen, sequenzierte und verglich das internationale Forscherteam das Erbgut von drei sozialparasitären Blattschneiderameisen der Gattung Acromyrmex (A. charruanus, A. insinuator, Pseudoatta argentina) mit denen ihrer zwei Wirte (A. heyeri, A. echinatior). Zudem untersuchten sie die Ameisen mittels Mikro-Computertomographie, um zu zeigen, dass auch die Gehirne der Sozialparasiten reduziert sind. Mit diesem computergestützten Röntgenverfahren erzeugten die Wissenschaftler sogar dreidimensionale Aufnahmen der Ameisenköpfe.
„Wir konnten feststellen, dass die sozialparasitären Ameisen im Vergleich zu ihren Wirtsarten von einer Genom-Erosion betroffen waren“, erklärt Lukas Schrader. „Dies resultiert vermutlich daraus, dass bestimmte soziale Merkmale bei den sozialparasitären Ameisenarten überflüssig geworden sind.“ So wirkte sich die genetische Erosion vor allem auf die Geruchsrezeptoren der sozialparasitären Arten aus, die bei normalen Ameisen für die komplexe chemische Kommunikation nötig sind. Am stärksten war die genetische Erosion bei P. argentina, bei der auch der Sozialparasitismus am stärksten ausgeprägt ist. Die gefundenen Veränderungen in den Genomen der Sozialparasiten zeigen zudem Parallelen zu Veränderungen, die bereits von anderen Parasiten bekannt sind. Dazu zählen Bettwanzen oder bakterielle Endosymbionten – Bakterien, die sich an das Leben in einer Wirtszelle angepasst haben. Für Lukas Schrader und das Forscherteam liefern die Ergebnisse Hinweise darauf, dass bei der Entstehung von Sozialparasitismus die gleichen evolutionsbiologischen Mechanismen wie bei der Entstehung von „regulärem“ Parasitismus wirken.
Originalpublikation:
Lukas Schrader et al.: Relaxed selection underlies genome erosion in socially parasitic ant species. Nature Communications 2021; DOI: 10.1038/s41467-021-23178-w

18.05.2021, Eberhard Karls Universität Tübingen
Wüstenbildung trieb Säugetiere aus Eurasien nach Afrika
Forscherteam des Senckenberg Centre an der Universität Tübingen rekonstruiert zehn Millionen Jahre Klimageschichte der Arabischen Halbinsel
Die Entstehung von Wüsten auf der Arabischen Halbinsel hatte in den vergangenen Jahrmillionen entscheidende Auswirkungen auf die Wanderungsbewegungen und Evolution großer Säugetiere und unserer menschlichen Vorfahren. Zu diesem Ergebnis kommt ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Professorin Madelaine Böhme vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen in einer neuen Studie. Die Wissenschaftler rekonstruierten die Klimageschichte der nördlichen Arabischen Halbinsel zwischen 12,5 und 2,5 Millionen Jahren vor heute anhand von Daten, die sie aus Gesteinen Mesopotamiens gewannen. Daraus ergaben sich neue Hinweise auf die Ursachen der Tierwanderungen. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Nature Communication Earth & Environment veröffentlicht.
Die Evolution der heutigen afrikanischen Savannenfauna vollzog sich in den vergangenen fünf Millionen Jahren in relativer Abgeschiedenheit. Das war seit längerem bekannt – wie auch die Tatsache, dass die Vorfahren vieler Savannentiere wie Nashörner, Giraffen, Hyänen und Großkatzen aus Eurasien stammten. Was jedoch die Tiere zu diesem großräumigen Ortswechsel zwischen den Kontinenten bewog, war bisher unklar.
Gestein speichert Klimadaten
Die nördliche Arabische Halbinsel ist das Tor zu Afrika. Sie umfasst heute sowohl Wüsten-gebiete wie die Syrische Wüste, die israelische Wüste Negev und die saudische Wüste Nefud als auch feuchtere Steppen und Halbwüsten im Zweistromland Mesopotamiens, dessen größter Teil auf dem Gebiet des heutigen Irak liegt. Das Forscherteam untersuchte die 2,6 Kilometer mächtigen Gesteinsschichten am Fuße des Zagros-Gebirges im heutigen Iran, am Rand Mesopotamiens, mit chemischen, physikalischen und geologischen Methoden.
Es fand Belege für vier kurze, nur jeweils wenige Zehntausende Jahre währende Phasen der Wüstenbildung in Mesopotamien. Diese Phasen vor 8,75 Millionen, 7,78 Millionen, 7,5 Millionen und 6,25 Millionen Jahren wurden jeweils durch Abschnitte mit feuchterem Klima unterbrochen. „Vor 5,6 Millionen Jahren, zeitgleich mit der vorübergehenden Austrocknung des Mittelmeers, kam es in Mesopotamien zu einer 2,3 Millionen Jahre lang andauernden extremen Dürre“, sagt Madelaine Böhme. Diese außergewöhnlich langanhaltende Periode mit Wüstenklima – von Böhmes Team als NADX (Neogen Arabian Desert climaX) bezeichnet – sei erst durch eine globale Erwärmung vor 3,3 Millionen Jahren beendet worden.
Phasen der Wanderung und Isolation
„Anders als wir erwartet hatten, stimmten diese Wüstenphasen auf der Arabischen Halbinsel nicht mit denen in der afrikanischen Sahara überein“, berichtet Böhme. Die Wüstenbildung in der Sahara sei ursächlich an polare Eisbildungen geknüpft, die auf der Arabischen Halbinsel und in Mesopotamien, so die Ergebnisse, hingegen an einen niedrigen Wasserspiegel im Kaspischen Meer. „Das wechselseitige Entstehen und Vergehen von Wüsten in der Sahara im Norden Afrikas einerseits und auf der Arabischen Halbinsel im Westen Asiens andererseits gleicht einer Art Schaukel, einer Wüstenschaukel“, sagt die Forscherin.
Das Forscherteam vermutet, dass diese wechselnden und zunächst kurzzeitigen Wüstenbil-dungen in Mesopotamien als Push-Faktoren die treibende Kraft für die Ausbreitung der Säugetiere aus Eurasien nach Afrika waren. In der folgenden extrem langandauernden Wüstenphase NADX sei hingegen der afrikanische Kontinent für 2,3 Millionen Jahre von Einwanderungen und vom Austausch mit Eurasien abgeschnitten gewesen. „In dieser Zeit entstand aus den eurasischen Einwanderern die heutige afrikanische Savannenfauna, und die Australopitheciden entwickelten sich, unsere menschlichen Vorfahren“, erklärt Böhme. Mit der globalen Warmperiode vor 3,3 Millionen Jahren wichen die Wüsten in beiden Kontinenten und beendeten die Isolation Afrikas, zwischen den Faunen Afrikas und Eurasien ent-stand ein wechselseitiger Austausch. In Afrika erschienen erste Hunde, Schweine und Schafe, nach Eurasien wanderten die Vorläufer des Mammuts und des Asiatischen Elefanten ein.
Erklärung für zwei Phänomene
„Aus unserer Studie ergeben sich erstmals klimatologische Erklärungen für zwei zentrale Phänomene“, fasst Böhme zusammen. Zum einen untermauerten diese die von ihr formulierte ‚Out-Of-Europe‘-Hypothese, nach der sich die Vorfahren von afrikanischen Menschenaffen und Menschen in Europa entwickelten, vor sechs bis sieben Millionen Jahren jedoch Richtung Süden wanderten, sodass sich ihre weitere Evolution in Afrika abspielte. Zum anderen ließe sich so erklären, warum die Evolution der afrikanischen Savannenfauna, einschließlich der menschlichen Vorfahren, in einer langen Phase der Abgeschiedenheit stattfand.
Originalpublikation:
Madelaine Böhme, Nikolai Spassov, Mahmoud Reza Majidifard, Andreas Gärtner, Uwe Kirscher, Michael Marks, Christian Dietzel, Gregor Uhlig, Haytham El Atfy, David R. Begun, Michael Winklhofer: Neogene hyperaridity in Arabia drove the directions of mammalian dispersal between Africa and Eurasia. Nature Communications Earth & Environment, https://doi.org/10.1038/s43247-021-00158-y

18.05.2021, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.
Verbreitungsgebiet des Annamitischen Streifenkaninchens in Vietnam größer als vermutet, zeigt Wildtierkamerauntersuchung
Das Annamitische Streifenkaninchen ist ein nur in Vietnam und Laos einheimisches Nagetier feuchter, immergrüner Wälder. Die nachtaktiven Einzelgänger wurden erst in den 1990er Jahren wissenschaftlich beschrieben, die Wissenslücken über Ökologie und Verbreitung sind erheblich. Wissenschaftler*innen des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) in Deutschland und des Southern Institute of Ecology (SIE) in Vietnam melden nun erste Nachweise der Art im Bidoup-Nui-Ba-Nationalpark im südlichen Troung-Son-Gebirge in Vietnam. Dies ist eine enorme Erweiterung des bisher bekannten Verbreitungsgebietes, das sich bisher auf das nördliche und zentrale Truong-Son-Gebirge beschränkte.
Da das Annamitische Streifenkaninchen auf der Roten Liste der bedrohten Arten der IUCN als gefährdet eingestuft ist, sind die neuen Populationen von großem Wert für den Artenschutz. Die neuen Nachweise sind in der Fachzeitschrift „Mammalia“ beschrieben.
Von September 2019 bis Oktober 2020 führten Wissenschaftler*innen des Leibniz-IZW und des SIE systematische Wildkamerabeobachtungen im Bidoup-Nui-Ba-Nationalpark in Zusammenarbeit mit Expert*innen des Nationalparks und der Nichtregierungsorganisation Global Wildlife Conservation (GWC) durch. Sie stellten 103 Kameras in einem systematischen Raster etwa 30 bis 40 Zentimeter oberhalb des Bodens in verschiedenen Habitaten des Parks auf. Die Kameras waren in 13.632 Nächten aktiv und lichteten Annamitische Streifenkaninchen insgesamt 20-mal an drei verschiedenen Lokalitäten ab. Alle 20 Aufnahmen entstanden nachts, in Höhenlagen zwischen etwa 1.500 und 1.900 Metern und in einem feuchten, immergrünen Laubwald mit mehrstufigem, geschlossenen Kronendach und dichter, feuchter Unterholzvegetation. „Die Fotos sind der erste Nachweis der Art im südlichen Truong-Son-Gebirge – etwa 300 km südlich des südlichsten Punktes der Verbreitungskarte der IUCN für die Art und fast 400 km südlich der jüngsten Kamerafallen-Nachweise aus der Provinz Quang Nam“, sagen An Ngyuen und Dr. Andrew Tilker vom Leibniz-IZW. „Zudem wurden Annamitische Streifenkaninchen bislang noch nie in dieser Höhe gesichtet.“
Die neuen Daten über die Art zeigen auch, wie groß die Wissenslücken über die neu entdeckte Population, den Lebensraum der Art in Truong-Son-Gebirge und ihre Biologie und Verbreitung sind. „Interessant ist, dass die Kameras nur an wenigen Stellen und nur gelegentlich die rostfarbenen Nagetiere mit den charakteristischen Streifen in dem großen und relativ gut geschützten Nationalpark erfassten“, sagt Duy Le von SIE. „Wir gehen davon aus, dass Wilderei mit Schlingfallen – die Hauptbedrohung für die Art – geringer als im zentralen oder nördlichen Truong-Son-Gebirge ist. Die offensichtlich geringe Dichte der Art muss daher durch zusätzliche Erhebungen und Analysen in Bidoup Nui Ba sowie angrenzenden oder nahe gelegenen Regionen bestätigt, erklärt oder widerlegt werden.“
Eine weitere Priorität für die Forschung wird sein, die bekannten Populationen des Annamitischen Streifenkaninchens im südlichen, zentralen und nördlichen Truong-Son-Gebirge auf ihre genetische Vielfalt zu untersuchen. Das Gebiet des Dalat-Plateaus im südlichen Teil der Gebirgskette, in dem sich der Bidoup-Nui-Ba-Nationalpark befindet, ist von den feuchten, immergrünen Wäldern Zentralvietnams durch eine Region mit Trockenwaldlebensraum getrennt. Wenn das Annamitische Streifenkaninchen ein echter Lebensraumspezialist feuchter immergrüner Wälder ist – worauf alle Informationen derzeit hindeuten – sind isolierte Populationen im südlichen, zentralen und nördlichen Teil des Gebirgszuges wahrscheinlich und auch genetisch unterscheidbar.
„Die Entdeckung der neuen Population ist für den Erhalt dieser stark bedrohten Art von großer Bedeutung“, sagt Dr. Le Van Huong, der Direktor des Bidoup-Nui-Ba-Nationalparks. „Als nächsten Schritt werden wir mit unseren Partnern umfangreiche Erhebungen durchführen, um die Bestände des Annamitischen Streifenkaninchens in diesem Verbreitungsgebiet genauer zu untersuchen und dabei zu analysieren, welche Umweltfaktoren das Vorkommen dieser Art beeinflussen. Wir sind besorgt, dass ein Rückgang der Bestände zum lokalen Aussterben der einzigen bekannten Population des Annamitischen Streifenkaninchens im südlichen Truong-Son-Gebirge führen könnte. Wir freuen uns darauf, Maßnahmen zum Schutz dieser endemischen Art zu ergreifen – als Teil unserer Bemühungen, jene Artenvielfalt zu schützen, die den Bidoup-Nui-Ba-Nationalpark so besonders macht.“
Originalpublikation:
Nguyen A, Tilker A, Le D, Le HV, Le SV, Luu TH, Tran VB, Wilting A (2021): New records and southern range extension of the Annamite striped rabbit Nesolagus timminsi in Vietnam. Mammalia.
https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/mammalia-2020-0189/html

19.05.2021, NABUNABU: Blaumeise erholt, Haussperling und Amsel ganz oben
Trotz Regen und Kühle wurde bei der „Stunde der Gartenvögel“ am Vatertagswochenende deutschlandweit fleißig gezählt
In vielen Regionen Deutschlands ist der Vatertag ins Wasser gefallen. Doch Naturfreundinnen und -freunde haben sich von Regen und Fröstel-Temperaturen am langen Wochenende kaum abschrecken lassen. Mindestens 112.000 Menschen haben an der „Stunde der Gartenvögel“ vom 13. bis 16. Mai teilgenommen. Aus über 77.000 Gärten und Parks wurden dem NABU und dem Landesbund für Vogelschutz (LBV) über 2,5 Millionen Vögel gemeldet. Die Zahlen werden noch steigen, denn Beobachtungen kann man noch bis zum 24. Mai dem NABU melden.
„Das derzeitige sehr wechselhafte und kühle Wetter macht unseren Vögeln wenig aus“, so NABU Bundesgeschäftsführer Leif Miller. „Einige Arten profitieren sogar. Etwa die Amsel, sie kommt bei feuchtem Wetter viel besser an ihre Leibspeise – Regenwürmer.“ Der schwarze Vogel belegt nach dem Haussperling wie bisher in jedem Jahr seit dem Beginn der Aktion 2005 Platz zwei der am häufigsten gemeldeten Gartenvögel. Dabei ist er auch der zuverlässigste Gartenbesucher und konnte in über 92 Prozent aller Zählungen entdeckt werden.
Mit Spannung erwartet wurden die Zählergebnisse der Blaumeise. Bei der kleinen Meise mit dem blauen Köpfchen hatte im Frühjahr 2020 ein bakterieller Erreger namens Suttonella ornithocola erstmals zu einem Massensterben in vielen Teilen Deutschlands geführt. Dort, wo es grassierte, hatten die Sichtungen bei der Vorjahreszählung deutlich abgenommen, wie eine Analyse nach Postleitzahlen zeigen konnte. Eine Welle verstorbener Blaumeisen war zwar auch in diesem Frühjahr wieder festzustellen, sie war jedoch deutlich kleiner. „Die Blaumeise hat sich vom Einbruch im vergangenen Jahr gut erholt“, so Miller. „Auch wenn sie ihren normalen Durchschnittswert wohl nicht ganz erreichen wird. Offenbar konnten erfolgreiche Bruten die Verluste weitgehend ausgleichen.“
Insgesamt konnten pro Garten mit 32,5 Individuen wieder deutlich mehr Vögel als im Vorjahr entdeckt werden. Während die Gesamtzahl der Vögel im Siedlungsraum im Gegensatz zu den Beständen in der Agrarlandschaft damit weiterhin weitgehend konstant bleibt, gibt es doch für viele Vogelarten besorgniserregende Entwicklungen: So verharren die Sorgenkinder Mauersegler, Mehlschwalbe, Grünfink und Zaunkönig auf Höhe der schlechten Ergebnisse aus den Vorjahren. Miller: „Eine Trendwende ist bei ihnen weiter nicht in Sicht.“
Interessant sind auch die Ergebnisse bei den beiden Rotschwanzarten. Der eigentlich viel häufigere Hausrotschwanz nimmt seit vielen Jahren kontinuierlich ab. Inzwischen wird im Vergleich zum Beginn der Aktion vor 16 Jahren nur noch die Hälfte an Vögeln seiner Art gemeldet. Der seltenere Gartenrotschwanz hält sich dagegen stabil. Miller: „Diese Entwicklung beim Hausrotschwanz ist besorgniserregend. Vermutlich leidet er als Gebäudebrüter am Verlust von möglichen Brutnischen und als Insektenfresser an fehlender Nahrung.“
Positiv entwickeln sich weiterhin die Gartenbestände von eigentlichen Waldvögeln wie Ringeltaube und Buntspecht. Ein besonderer Gewinner der aktuellen Zählung ist offensichtlich der Stieglitz. Die gemeldeten Zahlen dieses farbenfrohen Finkenvogels machten einen Sprung: In diesem Jahr konnte er in 16 Prozent aller Gärten mit 0,43 Vögeln pro Garten entdeckt werden. Beide Werte sind doppelt so hoch wie noch zu Beginn der Zählungen. Die Besonderheit dieser Art ist, dass er als einer von ganz wenigen Singvögeln seine Jungen nicht mit Insekten, sondern vegetarisch ernährt.
Aktuelle Zwischenstände und erste Ergebnisse sind unter www.stundedergartenvoegel.de abrufbar und können mit vergangenen Jahren verglichen werden. Mit einem Endergebnis wird Ende Mai gerechnet.

19.05.2021, Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)
Ausbreitung von Pandemien und invasiven Arten folgt ähnlichen Mustern
Pandemien wie COVID-19 und biologische Invasionen werden durch ähnliche menschliche Eingriffe ausgelöst und ihre Ausbreitung folgt ähnlichen Mustern. Ein Forschungsteam unter Beteiligung des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) hat die engen Beziehungen zwischen Infektionskrankheiten, die Epidemien verursachen, und biologischen Invasionen untersucht. Der „One Health“-Ansatz basiert auf der Erkenntnis, dass natürliche und naturnahe Ökosysteme auch für die menschliche Gesundheit unersetzbar sind. Er berücksichtigt die Gesundheit von Menschen und Tieren, Pflanzen und der Umwelt, um Pandemien und die Ausbreitung invasiver gebietsfremder Arten zu verhindern.
Immer mehr Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen wie Bakterien und Viren werden von Menschen bewusst und unbewusst rund um den Globus transportiert. Dieses als biologische Invasion bekannte Phänomen verursacht große ökologische und wirtschaftliche Schäden. Eine jüngst in Nature erschienene Studie zeigt, dass biologische Invasionen durch gebietsfremde Arten weltweit jährliche Kosten von mindestens 162 Milliarden Dollar verursachen.
Epidemien und biologische Invasionen haben viel gemeinsam:
Die Forscher*innen analysierten grundlegende Konzepte der Invasionsbiologie und Epidemiologie – und fanden viele Parallelen. Häufige Verschleppung, bestimmte Arteigenschaften und menschliche Störungen von Ökosystemen fördern sowohl das Auftreten neuartiger Infektionskrankheiten als auch biologische Invasionen. „Beispielsweise bringt die intensive menschliche Nutzung von Lebensräumen die dort lebenden Arten in engen Kontakt mit Menschen. Dies bietet Krankheitserregern viele Möglichkeiten, um von Tieren auf Menschen überzuspringen, während es gleichzeitig gebietsfremden Arten erlaubt, veränderte Lebensräume neu zu besiedeln“, sagt Jonathan Jeschke, Professor für „Ecological Novelty“ (Ökologische Neuartigkeit) am IGB und der Freien Universität Berlin. Der Wissenschaftler untersucht mit seinem Team neuartige, vom Menschen verursachte Veränderungen auf verschiedenen ökologischen Ebenen – von Organismen und Populationen über Lebensgemeinschaften zu Ökosystemen und Landschaften.
In einer globalisierten Welt können die Entstehung und Ausbreitung vieler Infektionskrankheiten des Menschen als biologische Invasionsereignisse verstanden werden. „Einige gebietsfremde Arten tragen ursächlich zur Verbreitung von Infektionskrankheiten bei. Zum Beispiel sind invasive Insekten wie die Asiatische Tigermücke wichtige Überträger für Dengue-, Chikungunya-, West-Nil- oder Zika-Viren“, erläutert Jonathan Jeschke.
Der globale „One Health“-Ansatz:
Die Forschenden der Studie empfehlen, künftig integrierte Ansätze zu verwenden, die die Gesundheit von Menschen und Tieren, Pflanzen und der Umwelt berücksichtigen, um Pandemien und die Ausbreitung gebietsfremder Arten zu verringern. Diese „One Health“-Perspektive basiert auf der Erkenntnis, dass natürliche und naturnahe Ökosysteme auch für die menschliche Gesundheit unersetzbar sind.
Die Wissenschaftler*innen kommen zu dem Schluss, dass viele Prognosemodelle und Erfahrungen zur Bekämpfung von Epidemien auf biologische Invasionen angewendet werden können und umgekehrt. Daher befürworten sie eine verstärkte Kooperation beider Disziplinen, um die Vorhersage und Eindämmung biologischer Invasionen und von Infektionskrankheiten, einschließlich Pandemien, zu verbessern.
Originalpublikation:
Vilà M, Dunn AM, Essl F, Gómez-Díaz E, Hulme PE, Jeschke JM, Núñez MA, Ostfeld RS, Pauchard A, Ricciardi A, Gallardo B (2021) Viewing emerging human infectious epidemics through the lens of invasion biology. BioScience, DOI: 10.1093/biosci/biab047, published online 19.05.2021.

20.05.2021, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Parasiten als Jungbrunnen: Infizierte Ameisen leben länger
Lebenserwartung von Ameisen mit einer Bandwurminfektion ist wesentlich höher als von nicht parasitierten Nestgenossinnen
Ameisen, die mit einem Bandwurm infiziert sind, leben wesentlich länger als ihre nicht infizierten Nestgenossinnen. Normalerweise wirkt sich ein Befall mit Parasiten in der Tierwelt schädlich aus – aber es gibt Ausnahmen. Wie eine mehrjährige wissenschaftliche Studie ergab, zeigen Arbeiterinnen der Ameisenart Temnothorax nylanderi bei einer Bandwurminfektion außergewöhnlich hohe Überlebensraten. „Die Lebenserwartung der infizierten Ameisen ist deutlich verlängert. Die Arbeiterinnen haben nach unseren Beobachtungen eine Überlebensrate, die denen von Königinnen gleicht“, erklärt die Studienleiterin Prof. Dr. Susanne Foitzik von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Königinnen können bei dieser Art bis zu 20 Jahre alt werden, während Arbeiterinnen selten das zweite Lebensjahr vollenden. Ein Grund für die höhere Lebenserwartung liegt in einer durch den Parasiten veränderten Physiologie und einer besseren Versorgung der infizierten Tiere.
Versorgung der Tiere im Nest spielt eine Rolle für längere Lebensdauer
Das Geheimnis der Langlebigkeit stellt sich gerade bei Ameisen in besonders drastischer Weise dar: Viele Ameisenköniginnen erreichen eine Lebensspanne von mehreren Jahrzehnten. Sie verbringen fast ihr gesamtes Leben im sicheren Nest, wo sie von den Arbeiterinnen, ihren Töchtern, umsorgt werden. Im Gegensatz dazu leben Ameisenarbeiterinnen nur einige Wochen bis Monate oder selten wenige Jahre. Die unfruchtbaren Arbeiterinnen übernehmen alle Aufgaben im Nest, zunächst in der Brutpflege und dann mit höherem Alter bei der riskanteren Futtersuche außerhalb der Kolonie. Die hohe Lebenserwartung der Königinnen ist mit einer geringen Sterblichkeit durch ihre gute Versorgung, ihrer sicheren Umgebung und der Aktivierung physiologischer Reparaturmechanismen zu erklären.
Diese Gründe könnten auch für die ausgesprochen hohen Überlebensraten von Temnothorax-nylanderi-Arbeiterinnen, die mit einem Bandwurm befallen sind, eine Rolle spielen. Die Ameise kommt in Mitteleuropa häufig vor und bildet hier kleine Kolonien auf dem Waldboden, in Eicheln oder dem Totholz von Bäumen. Die Tiere sind mit einer Körperlänge von zwei bis drei Millimetern relativ klein. Dem Bandwurm Anomotaenia brevis dienen sie als Zwischenwirt, wobei eine einzelne Ameise von bis zu 70 parasitären Larven befallen werden kann. Die Parasiten überdauern in der Hämolymphe, der Körperflüssigkeit von Insekten. Sie vollenden ihren komplexen Lebenszyklus, sobald sie von einem Specht aufgenommen werden, der sich von den Ameisen ernährt.
Das Forschungsteam um Susanne Foitzik hat sich mit den langfristigen Folgen der Parasitierung befasst und dazu Ameisenkolonien aus den Wäldern um Mainz gesammelt und im Labor beobachtet. „Wir haben die Überlebensrate von Arbeiterinnen und Königinnen sowohl in infizierten als auch in nicht infizierten Ameisenkolonien über drei Jahre verfolgt, bis mehr als 95 Prozent der nicht infizierten Arbeiterinnen gestorben waren“, erklärt Susanne Foitzik. Zu diesem Zeitpunkt lebten von den parasitierten Arbeiterinnen noch deutlich mehr als die Hälfte – die Überlebensrate weist damit praktisch keinen Unterschied zu den langlebigen Königinnen auf. „Es ist außerordentlich spannend, dass ein Parasit eine so positive Veränderung in seinem Wirt auslösen kann. Die Verlängerung der Lebenspanne ist sehr ungewöhnlich“, sagt die Evolutionsbiologin von der JGU.
Infizierte Arbeiterinnen unterscheiden sich im Aussehen, im Verhalten und physiologischen Merkmalen
Zunächst fallen die infizierten Ameisen durch eine hellere Farbe auf, weil ihre Kutikula weniger pigmentiert ist als bei den braungefärbten Nestgenossinnen. Sie sind außerdem weniger aktiv und lassen sich im Nest von anderen Arbeiterinnen versorgen. „Die infizierten Tiere erhalten mehr Aufmerksamkeit, werden besser gefüttert, geputzt und umsorgt. Sie erhalten sogar etwas mehr Fürsorge als die Königin des Nests“, bemerkt Susanne Foitzik. Die Untersuchungen ergaben weiter, dass parasitierte Ameisen ähnliche Stoffwechselraten und Fettanteile aufweisen wie junge Tiere. Es scheint so, als würden die Ameisen infolge der Infektion dauerhaft in einem Jugendstadium verharren. Dazu beitragen dürfte, dass die Bandwurmlarven Proteine mit Antioxidantien in die Hämolymphe der Ameisen abgeben und die Aktivität von Ameisengenen, die das Altern beeinflussen, verändern.
Auch wenn das Rätsel ihres langen Lebens noch nicht vollständig geklärt wurde, so scheint das Verhalten der infizierten Ameisen selbst nicht den Ausschlag zu geben: Das Forschungsteam, an dem auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Biologie des Alterns und der Universität Tel Aviv beteiligt sind, hat keine Hinweise gefunden, dass die Tiere aktiv betteln würden, um besser versorgt zu werden. Allerdings förderten chemische Signalstoffe auf der Kutikula parasitierter Ameisen die Zuwendung ihrer Nestgenossen. „Die infizierten Tiere leben im Schlaraffenland, aber die gute Versorgung alleine kann die hohe Lebenserwartung nicht erklären“, so Foitzik. Welche Faktoren insbesondere auf molekularer und epigenetischer Ebene eine Rolle für das Methusalem-Alter der parasitierten Arbeiterinnen spielen, soll in weiteren Forschungsarbeiten untersucht werden.
Originalpublikation:
Sara Beros et al.
Extreme lifespan extension in tapeworm-infected ant workers
Royal Society Open Science, 19. Mai 2021
DOI: 10.1098/rsos.202118
https://royalsocietypublishing.org/doi/10.1098/rsos.202118

21.05.2021, Justus-Liebig-Universität Gießen
Alarmierende Zerstörung der biologischen Vielfalt
Das sechste Massensterben: Wenige hundert Jahre menschengemachten Rückgangs der Biodiversität fordern Millionen Jahre der Erholung – Internationale Studie unter Federführung der Universität Gießen
Das derzeitige Artensterben übertrifft jenes am Ende der Kreidezeit, als die Dinosaurier ausgelöscht werden. Dies ist das alarmierende Ergebnis einer internationalen Studie unter Federführung der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU). Die biologische Vielfalt in Süßwasser-Ökosystemen geht dramatisch zurück; zahlreiche Arten sind vom Aussterben bedroht, meist als direkte oder indirekte Folge menschlicher Einflüsse. Lebensraumzerstörung, Klimawandel, Übernutzung, Umweltverschmutzung und invasive Arten sind die Hauptursachen für den raschen Rückgang der Biodiversität auf der Erde. „Es kann Millionen von Jahren dauern, die Schäden rückgängig zu machen, die jetzt in Jahrzehnten bis Jahrhunderten angerichtet werden“, sagt der Hauptautor der Studie, Dr. Thomas A. Neubauer vom Institut für Tierökologie und Spezielle Zoologie der JLU. „Die derzeitige Biodiversitätskrise, die oft als sechstes Massensterben bezeichnet wird, ist eine der kritischen Herausforderungen, denen wir uns im 21. Jahrhundert gegenübersehen.“
Um das Tempo des Aussterbens zu untersuchen und die Erholungsphase vorherzusagen, verglich ein internationales Forscherteam aus den Fachgebieten Evolutionsbiologie, Paläontologie und Geologie unter Leitung der Universität Gießen die heutige Krise mit dem vorherigen fünften Massensterben. Dieses Ereignis war das Ergebnis eines Asteroideneinschlags vor 66 Millionen Jahren, bei dem etwa 76 Prozent aller Arten auf dem Planeten ausgelöscht wurden, einschließlich ganzer Tiergruppen wie der Dinosaurier. Das Forscherteam konzentrierte sich in seiner Studie auf Süßwasser-Biota, die zu den am stärksten bedrohten der Welt gehören, und sammelte einen großen Datensatz mit rund 3.400 fossilen und lebenden Schneckenarten Europas aus den letzten 200 Millionen Jahren. Auf dieser Grundlage schätzten die Wissenschaftler die Artenentstehungs- und Aussterberaten. Mit diesen Daten können sie abwägen, wie lange die Phasen der Erholung nach Aussterbe-Ereignissen dauern.
Die Ergebnisse der Studie, die nun in der Zeitschrift „Communications Earth & Environment“ veröffentlicht wurden, zeigen: Während bereits die Extinktionsrate während des fünften Massensterbens erheblich höher war, als bisher für Süßwasser-Biota angenommen, wird sie von der vorhergesagten zukünftigen Extinktionsrate des aktuellen sechsten Massensterbens deutlich übertroffen. Im Durchschnitt war die vorhergesagte Aussterberate etwa tausend Mal so hoch wie während des Aussterbens der Dinosaurier. „Bereits im Jahr 2120 ist möglicherweise ein Drittel der lebenden Süßwasserarten verschwunden“, so Neubauer. „Das Tempo, mit dem wir heute Arten verlieren, ist beispiellos und wurde in der Vergangenheit noch nicht einmal bei großen Aussterbungskrisen erreicht.“
Der Verlust von Arten bringt Veränderungen in den Artengemeinschaften mit sich und wirkt sich langfristig auf ganze Ökosysteme aus. Die Menschheit ist jedoch auf funktionierende Süßwassersysteme angewiesen, um die ihre Gesundheit, ihre Ernährung und ihre Wasserversorgung aufrechtzuerhalten.
Die Erkenntnisse, die die Wissenschaftler in ihrer Studie für das fünfte Massensterben gewonnen haben, zeigen auch eine besorgniserregende Perspektive für die Zukunft auf: Obwohl die damalige Ursache für das zunehmende Aussterben – ein Asteroideneinschlag auf die Halbinsel Yucatán in Mexiko – ein kurzes Ereignis in geologischen Maßstäben war, blieb die Aussterberate ungefähr fünf Millionen Jahre lang hoch. Danach folgte eine noch längere Erholungsphase. Insgesamt dauerte es fast zwölf Millionen Jahre, bis das Gleichgewicht zwischen dem Entstehen und Verschwinden von Arten wiederhergestellt war.
„Selbst wenn die menschlichen Auswirkungen auf die Tier- und Pflanzenwelt heute aufhören, wird die Aussterberate wahrscheinlich über einen längeren Zeitraum hoch bleiben“, sagt Neubauer. „Angesichts der Tatsache, dass die aktuelle Biodiversitätskrise viel schneller voranschreitet als das Massensterben vor 66 Millionen Jahren, kann die Erholungsphase sogar noch länger sein.“
Originalpublikation:
Thomas A. Neubauer, Torsten Hauffe, Daniele Silvestro, Jens Schauer, Dietrich Kadolsky, Frank P. Wesselingh, Mathias Harzhauser, Thomas Wilke: Current extinction rate in European freshwater gastropods greatly exceeds that of the late Cretaceous mass extinction. Communications Earth & Environment, DOI: 10.1038/s43247-021-00167-x
https://doi.org/10.1038/s43247-021-00167-x

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