Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

22.02.2021, Deutsche Wildtier Stiftung
Der Wolf ist gekommen, um zu bleiben
Deutsche Wildtier Stiftung: Nur ein funktionierendes Wolfsmanagement kann Schützer und Geschädigte versöhnt
Canis lupus ist gekommen, um zu bleiben. „Als ich das erste Mal Wolfsspuren im Schnee sah, war ich als Wildtierbiologe fasziniert und von einer Art Ehrfurcht ergriffen“, sagt Prof. Dr. Klaus Hackländer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Wildtier Stiftung und Autor des Buches: „Er ist da – der Wolf kehrt zurück“ (ecowin-Verlag, Salzburg). „Mein erster Gedanke war: Großartig! Er ist wieder da.“ Der zweite Gedanke drehte sich dann sofort um die Konflikte, die die Ankunft dieses großen Beutegreifers mit sich bringt.
Der ursprüngliche Lebensraum des Wolfes in Europa erstreckte sich auf den gesamten Kontinent, bis der Mensch ihn in weiten Teilen nahezu ausgerottet hat. Auch heute sind nicht alle begeistert von der Wiederausbreitung des Wolfes. Vor allem Nutztierhalter fürchten um ihre Schafe, Rinder und Ziegen, denn der Appetit der Wölfe ist groß (Tagesbedarf pro Tier: 3- 5 kg Fleisch) und Weidetiere sind für sie leichte Beute. Jetzt steht die Geburt der Osterlämmer unmittelbar bevor; die Muttertiere sind hoch trächtig und Schafhalter sind in Angst vor Wölfen.
Während der „Märchen-Wolf“ der Gebrüder Grimm sich mit „sieben Geißlein“ zufrieden gab, richten sogenannte „Problemwölfe“ häufig wahre Massaker auf den Weiden an. „Der Tenor in öffentlichen Diskussionen lautet dann lapidar: Ausgleichszahlungen regeln das Problem schon“, kritisiert Prof. Dr. Hackländer. „Wie überheblich über gerissene, verstümmelte und verängstigte Haus- und Weidetiere geurteilt wird, ist zum Teil unerträglich“, so der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Wildtier Stiftung.
Die Fronten zwischen Wolfschützern und Nutztierhaltern sind verhärtet. Der Wolf genießt einen hohen Schutzstatus; doch welches Recht auf Schutz haben Schafe und Rinder? „Auf die Frage nach dem Schutz von Weidetieren vor Wölfen gibt es keine einfachen Antworten“, sagt Hackländer. Selbst hohe Elektrozäune taugen zur Wolfsabwehr nur bedingt. Bewegungsmelder mit optischen oder akustischen Signalen vertreiben Wölfe allenfalls für kurze Zeit. „Es gibt zwar Hunderassen wie den Pyrenäenberghund, die es durchaus mit Wölfen aufnehmen, doch die Ausbildung ist aufwendig und die Haltung kostenintensiv“, erläutert Prof. Dr. Hackländer. Viele Nutztierhalter überlegen vor diesem Hintergrund, ihre Tiere nicht mehr auf die Weiden zu lassen. „Das wäre für den Naturschutz fatal“, so Hackländer. Denn eine extensive Beweidung trägt wesentlich zur Artenvielfalt in Deutschland bei.
Das Thema Jagd und die Abschussfreigabe von Wölfen werden heiß diskutiert und erregen die Gemüter. „Wir freuen uns, dass es wieder Wölfe in Deutschland gibt“, sagt Hackländer. „Aber wir sind auch davon überzeugt, dass es ein funktionierendes Wolfsmanagement braucht, das auch das Töten von einzelnen Wölfen inkludiert.“ Eines steht für den Wildtierbiologen fest: „Wir müssen mit dem Wolf leben lernen.“

26.02.2021, NABU
Vogel des Jahres: Horch mal, wer da singt – Zum meteorologischen Frühlingsanfang erklärt der NABU, welche Kandidaten der Vogelwahl schon zu hören sind
Abstimmung läuft bis 19. März
„Frühling kommt, der Sperling piept“, sang schon Marlene Dietrich. Kaum etwas verbinden wir so sehr mit dem Frühling wie Vogelgezwitscher. Davon zeugen zahlreiche Schlager und Volkslieder. Viele gefiederte Sänger laufen rund um den meteorologischen Frühlingsbeginn am 1. März zu Höchstform auf. Auch unsere Vogel-des-Jahres-Kandidaten trällern im vielstimmigen Chor mit.
Auslöser für die Vogelgesänge ist die zunehmende Tageslänge. „Bereits um den Jahreswechsel herum ,läuten‘ die ersten Kohlmeisen, wie ihr oft zweisilbiger klingelnder Gesang beschrieben wird“, sagt NABU-Vogelschutzexperte Lars Lachmann, „Andere Meisen singen dann auch schon – vor allem die Blaumeise, eine der Stichwahlkandidatinnen.“ Auch die derzeitige Nummer eins der Wahl, das Rotkehlchen, gehört zu den ersten Sängern.
„Manch frühe Gesangsstrophe dient sicher auch dazu, die eingerosteten Kehlen zu ölen und etwas zu üben“, so Lachmann, „Das ist bei den Vögeln nicht anders als bei uns Menschen.“ Die Vogel-des-Jahres-Kandidatin Amsel, bisher noch hinten im Ranking, macht ab Mitte Februar intensiv Eigenwerbung, wenn ihr melodischer und variantenreicher Gesang erklingt. In diesem Jahr startete sie pünktlich zum Ende der Dauerfrostperiode. Sie bevorzugt die große – besser gesagt hohe – Bühne für ihre Darbietung: einen Dachgiebel oder Baumwipfel.
Ein „Early Bird“ ist auch die Feldlerche. Ihre Gesangssaison beginnt, sobald die Vögel im Februar und März aus dem Süden zurückkehren. Dann trällert sie von der Morgendämmerung bis zum Abend. Einst galten die kleinen Vögel wegen ihres frühen Starts in den Tag als natürliche Wecker. Mit den Feldlerchen kehren auch die Kiebitze aus Südwest-Europa zurück. Im März besetzen sie ihre Brutreviere auf frisch ergrünten feuchten Wiesen und Feldern. Dann begleitet ihr namensgebendes „Ki-witt“ als Soundtrack die akrobatischen Balzflüge der Männchen.
Die charakteristisch flötenden Balzstrophen des Goldregenpfeifers sind leider seit einigen Jahren nicht mehr über Deutschlands Mooren zu hören. Doch nahe der Küste hört man im Winter und Frühjahr die melancholischen „düh“-Rufe größerer rastender Trupps, bevor sie weiter nach Norden ziehen.
Die Stadttaube ist ganzjährig in unseren Siedlungen zu beobachten. Ihr bekanntes Gurren ertönt vor allem zur Balzzeit über Straßen und Plätzen und damit deutlich häufiger im Frühjahr. Auch der Eisvogel überwintert bei uns. Bei ihm ist der scharf pfeifende Ruf kaum von seinem Gesang – einer Reihe mehrerer Rufe – zu unterscheiden. Trotzdem steigen die Chancen, ihn zu Beginn der Brutzeit Anfang März an sauberen Flüssen und Seeufern zu hören.
Unter den Jahresvogel-Kandidaten betritt die Rauchschwalbe als letzte die Chor-Bühne. Als einziger Langstreckenzieher im Kandidatenreigen ist sie erst Mitte April aus ihrem Winterquartier in Afrika zurück. Sofort lässt sie dann ihr lautes Zwitschern mit eingebauten munteren „witt witt“-Rufen vernehmen. Der Frühling ist dann bereits fortgeschritten, Schwalben gelten daher als Vorboten des Sommers.
Noch bis zum 19. März kann jeder seine Stimme für einen der Sänger unter www.vogeldesjahres.de abgeben. Bisher haben schon über 227.000 Menschen bei der Aktion vom NABU und seinem bayerischen Partner, dem Landesbund für Vogelschutz (LBV), mitgemacht. Für unentschlossene Wähler gibt es unter www.NABU.de/birdomat einen Bird-O-Mat. Er hilft dabei, den eigenen gefiederten Favoriten herauszufinden.
Abstimmen bei der Wahl des Vogel des Jahres 2021: www.vogeldesjahres.de

26.02.2021, Deutsche Wildtier Stiftung
Jetzt sind Singvögel im Hormonrausch
Zwitschern, pfeifen, tirilieren – manchmal so laut wie ein Presslufthammer
Am Montag ist der meteorologische Frühlingsanfang. Wer den Frühling „hören“ möchte, braucht jetzt nur kurz vor Sonnenaufgang das Fenster öffnen. Dann kann man den Liebesliedern der Singvögel lauschen. die dumpfe Kakophonie der Stadt durchsetzen.
Für die Frühlingsgefühle der Vögel ist die Intensität des Tageslichtes entscheidend. „Mit der immer früher einsetzenden Morgendämmerung startet auch das Singvogel-Konzert früher“, sagt Prof. Dr. Klaus Hackländer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Wildtier Stiftung. Das kann ganz schön laut werden. Einige Singvögel wie die Amsel erreichen mit bis zu 100 Dezibel den Lärmpegel eines Presslufthammers. Außerdem haben Wissenschaftler gemessen, dass die Großstädter unter den Singvögeln am lautesten zwitschern. Scheint logisch, denn sie müssen ja den Straßenlärm übertönen. Die männliche Nachtigall singt in der Stadt bis zu fünf Mal lauter als ihre Verwandten auf dem Land. Das fanden Ornithologen des Max-Planck-Instituts heraus. Kohlmeisen singen nicht nur lauter, sondern auch höher. So können sie sich stimmlich gegen
Das Piep-Konzert dient nur einem einzigen Zweck: Es geht um die Familienplanung. „Während der Mensch verzückt dem Sing-Sang der Vögel lauscht und es für einen Ausdruck von Lebensfreude hält, ist die Balz für die Männchen eine anstrengende Angelegenheit und alles andere als ein Vergnügen“, so Hackländer. „Zunächst muss der Rivale mit kräftiger Stimme aus dem Revier vertrieben werden, dann gilt es, die Weibchen mit dem Gesang zu beeindrucken.“
Eine kräftige Stimme, kombiniert mit einem prächtigen Gefieder, steht für Gesundheit und signalisiert der Vogel-Frau in spe: Ich habe gute Gene für unseren Nachwuchs zu bieten. Bei dem Liebesgeflüster während der Balz sind nicht nur Lautstärke, Dauer und die Häufigkeit des Gesangs von Vorteil; es geht auch um das Repertoire. Die Amsel ist ähnlich wie die Nachtigall ein Meistersänger. Während die Nachtigall mit glasklarem Sopran und bis zu hundert Strophen brilliert, verfügt das Amselmännchen über einen geradezu kitschig anmutenden Schmelz in der Vogelstimme. Das hat der Gartenrotschwanz nicht drauf, aber er hat eine tolle Range. Sein Gesang beginnt kraftvoll, fällt dann ab, um wieder ins Crescendo über zu gehen. Ganz gleich, ob der Ampelmast oder der Apfelbaum als Bühne dienen, eins ist klar: Wer am lautesten singt, der kriegt die Braut!
Übrigens: Der lauteste Vogel der Welt lebt in Brasilien. Der männliche Zapfenglöckner imponiert mit 125 Dezibel! Er hat ein weißes Gefieder und wiegt nur 250 Gramm, aber sein „Ding-Ding“-Ruf klingt wie eine Glocke und durchdringt die Tiefen des Amazonasgebietes.

26.02.2021, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau
Wie Insekten Farben sehen
Insekten und ihre hochentwickelte Fähigkeit Farben zu sehen und zum Beispiel Blüten unterscheiden zu können, sind von zentraler Bedeutung für die Funktion vieler Ökosysteme. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wissen jedoch noch nicht, wie die komplexe Sinnesleistung „Farbensehen“ in dem kleinen Gehirn der Insekten zustande kommt. Ein Team um Dr. Christopher Schnaitmann und Prof. Dr. Dierk Reiff am Institut Biologie I der Fakultät für Biologie der Universität Freiburg stellt jetzt neue Erkenntnisse in der Zeitschrift „Current Biology“ vor.
Grundsätzlich sind so genannte farbopponente Rechenoperationen essentiell für das Farbensehen in Wirbeltieren – wie auch bei Menschen. Sie sorgen dafür, dass spezialisierte Nervenzellen durch Licht bestimmter Wellenlängen erregt und durch Licht anderer Wellenlängen gehemmt werden. Diese Gegenfarbenneurone ermöglichen einen wichtigen Vorteil: das Feststellen von spektralem Kontrast in einer visuellen Szene, in der keine Helligkeitsunterschiede feststellbar sind. Verhaltensexperimente und seltene elektrophysiologische Messungen vor allem im Gehirn von Bienen legten seit längerem nahe, dass in Insektengehirnen ganz ähnliche Mechanismen ablaufen. Tatsächlich zeigten die Freiburger Forscher bereits in einer früheren Studie, dass erste farbopponente Rechenoperationen schon in den synaptischen Endigungen von Fotorezeptorzellen erfolgen.
Dem Freiburger Team, allen voran dem Erstautor der Studie Manuel Pagni, ist es nun gelungen, im Modellorganismus Fruchtfliege (Drosophila melanogaster) mithilfe des optischen Messverfahrens der funktionellen 2-Photonen Laser-Scanning-Mikroskopie sowie mittels genetischer Methoden detaillierte Einblicke in die nachgeschalteten Nervenzellen und in ganze neuronale Schaltkreisen zu erlangen. Die Forschenden fanden heraus, dass bestimmte Nervenzellen, nämlich die des Typus Dm8, durch Licht im blauen und grünen Wellenlängenbereich erregt und durch Licht im ultravioletten Bereich gehemmt werden. Anders als angenommen, erhalten diese Nervenzellen dabei Eingangssignale von allen fünf Klassen von Fotorezeptoren des Auges der Fruchtfliege. Abgesehen von art- und insektenspezifischen Anpassungen zeigen diese Daten, dass die grundlegenden neuronalen Mechanismen des Farbensehens, in Fliegen- und zum Beispiel Säugetiergehirnen, auf ähnliche Art und Weise erfolgen.
Als das Team die beteiligten Nervenzellen und Schaltkreise untersuchte, entdeckte es weitere Überraschungen: Eine Klasse von Fotorezeptoren, die vorwiegend im blauen und grünen Wellenlängenbereich empfindlich ist, überträgt ihre Informationen über einen unbekannten, noch zu erforschenden Signalmechanismus. Die Wissenschaftler fanden zudem heraus, dass neuronale Elemente, die bisher ausschließlich dem Bewegungssehsystem zugerechnet wurden, Signale von Fotorezeptoren mit sehr breiter spektraler Sensitivität auf Dm8-Nervenzellen übertragen. Diese unerwartete Schnittstelle zeige, erklärt Pagni, dass neuronale Schaltkreise des Farb- und Bewegungssehens in weit engerem Austausch miteinander stehen, als bisher angenommen: „Daran anknüpfende Forschung könnte vollkommen neue Einsichten in die Funktion von Insektengehirnen ermöglichen.“
Originalpublikation:
Pagni, M., Haikala, V., Oberhauser, V., Meyer, P., Reiff, D.F., Schnaitmann, C. (2021): Interaction of ‚chromatic‘ and ‚achromatic‘ circuits in Drosophila color opponent processing. In: Current Biology.

26.02.2021, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.
Retroviren schreiben das Koala-Genom um und verursachen Krebs
Koalas sind mit zahlreichen Umwelt- und Gesundheitsproblemen konfrontiert, die ihr Überleben bedrohen. Neben Verkehrsunfällen, Hundeangriffen und dem Verlust ihres Lebensraums – wie letztes Jahr durch Buschbrände – leiden sie auch unter tödlichen Chlamydien-Infektionen und extrem hohen Häufigkeiten von Krebserkrankungen. Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) konnte nun zeigen, dass ein bestimmtes Retrovirus, welches in die Keimbahn der Koalas eindringt, die hohe Häufigkeit an Krebserkrankungen verursacht. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht.
Das Koala-Retrovirus (KoRV) ist ein Virus, das sich wie andere Retroviren, beispielsweise HIV, in das Erbgut einer infizierten Zelle selbst einbaut. Irgendwann in den letzten 50.000 Jahren hat KoRV die Eizellen oder Spermien von Koalas infiziert, wodurch Nachkommen entstanden, die das Retrovirus in jeder Zelle ihres Körpers tragen. Die gesamte Koala-Population von Queensland und New South Wales in Australien trägt nun Kopien von KoRV in ihrem Erbgut. Alle Tiere, Menschen inklusive, haben irgendwann in ihrer Evolutionsgeschichte ähnliche „Keimbahn“-Infektionen durchlaufen und besitzen viele alte Retroviren in ihrem Erbgut. Diese Retroviren sind im Laufe von Millionen von Jahren zu degradierten, inaktiven Formen mutiert, die für den Wirt nicht mehr schädlich sind. Da dieser Prozess bei den meisten Tierarten vor Millionen von Jahren stattgefunden hat, sind die damaligen unmittelbaren gesundheitlichen Auswirkungen auf den Wirt nicht bekannt. Wissenschaftler*innen nehmen jedoch an, dass die Invasion eines Genoms durch ein Retrovirus erhebliche gesundheitliche Schäden verursachen kann. Koalas befinden sich in einem sehr frühen Stadium dieses Prozesses, in dem das Retrovirus noch aktiv ist und die gesundheitlichen Auswirkungen untersucht werden können.
Da Retroviren Krebs verursachen können, wurde vermutet, dass es eine Verbindung zwischen KoRV und den hohen Häufigkeiten an Lymphomen, Leukämie und anderen Krebsarten bei Koalas in Nordaustralien gibt. Um diesen Zusammenhang zu untersuchen, sequenzierte ein Wissenschaftsteam am Leibniz-IZW die DNA wilder Koalas, die an Krebs erkrankt waren. Dadurch konnten sie die Anzahl der KoRV-Kopien im Koala-Erbgut exakt bestimmen und die genauen Stellen identifizieren, an denen das Retrovirus seine DNA eingebaut hatte (Insertionsstellen). Durch den Vergleich dieser Informationen zwischen gesundem Gewebe und Tumorgewebe einzelner Koalas und durch den Vergleich der Insertionsstellen zwischen Koala-Individuen fand das Forschungsteam mehrere Verbindungen zwischen KoRV und den mit Krebs assoziierten Genen.
„Jeder Koala trägt etwa 80 – 100 vererbte Kopien von KoRV in seinem Genom. Die genomischen Orte der meisten dieser Kopien unterscheiden sich zwischen Koalas, was auf eine schnelle Ausbreitung und Anhäufung von KoRV-Kopien in der Population hinweist. Jedes Mal, wenn sich ein Retrovirus kopiert und wieder in das Genom einfügt, verursacht es eine Mutation, die möglicherweise die Genexpression stört und für den Wirt schädlich sein könnte“, erklärt Prof. Alex Greenwood, Leiter der Abteilung Wildtierkrankheiten am Leibniz-IZW. Das bedeutet, dass KoRV durch häufiges Kopieren an neue Stellen im Genom gegenwärtig eine hohe Mutationslast auf die Koala-Population erzeugt. Tumorgewebe enthält viele neue Kopien von KoRV, was darauf hindeutet, dass es in Tumorzellen aktiver ist. Diese Kopien befanden sich im Allgemeinen in der Nachbarschaft von Genen, die dafür bekannt sind, an der Entstehung von Krebs beteiligt zu sein. Neue KoRV-Insertionen in Tumorgeweben beeinflussen die Expression von Genen in ihrer Nachbarschaft. Solche mit Krebs assoziierten Veränderungen in der Genexpression können ein erhöhtes Zellwachstum verursachen und Zellteilungen beschleunigen, wodurch Tumore entstehen. Obwohl auch andere Faktoren zur Krebsentstehung bei Koalas beitragen können, erhöht die Mutationslast durch KoRV wahrscheinlich die Häufigkeit, dass Zellen krebsartig werden und dass die Zeit verkürzt wird, in der Krebs entsteht.
Bei einem Koala fand das Wissenschaftsteam eine Kopie von KoRV, die ein vollständiges Krebs-relevantes Gen aus dem Koala-Genom in seine DNA-Sequenz eingebaut hatte. Das erhöhte die Expression dieses Gens deutlich und verursachte höchstwahrscheinlich den Krebs bei diesem speziellen Koala. Sollte sich dieses mutierte Retrovirus weiterverbreiten, hätte das schwerwiegende negative Auswirkungen auf die Bemühungen zum Naturschutz der Koalas. Der Vergleich der Positionen von KoRVs im Erbgut verschiedener Koalas deutet darauf hin, dass das Retrovirus verwandte Koalas für bestimmte Tumore anfällig machen könnte. Koalas, die die gleichen KoRV-Insertionen in bestimmten Krebs-assoziierten Genen haben, leiden an ähnlichen Krebsarten und können diese an ihre Nachkommen weitergeben. Bei allen untersuchten Koalas gab es „Hot Spots“ im Erbgut, in die sich KoRV häufig einfügte. Diese Hot Spots befanden sich auch in der Nähe von Genen, die an Krebs beteiligt sind. „Zusammenfassend lässt sich sagen, dass KoRV mit mehreren Koala-Krankheiten in Verbindung gebracht werden kann. Auf genomischer Ebene zeigen die Ergebnisse der aktuellen wissenschaftlichen Arbeit, wie eng das Retrovirus mit der hohen Häufigkeit von Krebsentstehung bei Koalas zusammenhängt“, erklärt Gayle McEwen, Wissenschaftlerin am Leibniz-IZW.
Die Erkenntnisse unterstreichen, welche unmittelbaren gesundheitlichen Folgen Keimbahninvasionen durch Retroviren für Wildtiere haben können. Derartige Invasionen sind während der Evolution der Wirbeltiere wiederholt aufgetreten und haben das Erbgut der Wirbeltierarten geprägt, einschließlich der Abstammungslinie, die zum heutigen Menschen führte. Im Laufe der Evolution war der retrovirale Inversionsprozess höchstwahrscheinlich mit schwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen verbunden. Diese negativen Auswirkungen müssen von Wildtierarten in Kauf genommen und überwunden werden.
In einer anderen, kürzlich veröffentlichten Forschungsarbeit zeigte ein Wissenschaftsteam des Leibniz-IZW, dass im Koala-Genom alte Retroviren vorhanden sind, die den schnellen Abbau von KoRV unterstützen. Koalas befinden sich somit in einem Wettlauf. Sie müssen also die negativen Auswirkungen von KoRV lange genug überleben, damit das Virus abgebaut oder inaktiviert werden kann. In Anbetracht der vielen Bedrohungen für Koalas ist es ein Rennen, das sie gewinnen müssen.
Originalpublikation:
McEwen GK, Alquezar-Planas DE, Dayaram A, Gillett A, Tarlinton R, Mongan N, Chappell KJ, Henning J, Tan M, Timms P, Young PR, Roca AL, Greenwood AD (2021): Retroviral integrations contribute to elevated host cancer rates during germline invasion. NAT COMM. doi:10.1038/s41467-021-21612-7.

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