Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

20.08.2018, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Bienen brauchen es bunt
Das Bienensterben aufhalten, ist ein Ziel von Wissenschaftlern. Forscher unter Leitung der Universität Würzburg haben herausgefunden, dass eine vielfältige Pflanzenlandschaft Bienen hilft, stabile Populationen aufrecht zu erhalten.
Bisher vermuteten Wissenschaftler, dass landwirtschaftlich intensiv genutzte Habitate generell schlecht für Bienen sind, da sie dort Pestiziden ausgesetzt sind und nur eine sehr geringe Auswahl an Nahrungsressourcen und Nistmöglichkeiten finden. Auch darauf führte man das weltweite Bienensterben zurück. Bienen können jedoch durchaus in landwirtschaftlich genutzten Flächen gut leben. Voraussetzung ist, dass die Bienen Zugang zu sogenannten Habitatinseln mit hoher Pflanzendiversität haben.
Das zeigten Wissenschaftler der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU), zusammen mit anderen deutschen und australischen Forschern nun erstmals in einer Studie. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie in „Scientific Reports“.
Soziale Bienen untersucht
„Tetragonula carbonaria“ heißt die australische, stachellose Bienenart, die die Wissenschaftler über mehr als zwei Jahre untersuchten. „Beispielhaft beobachteten wir an ihr, ob die Fitness und der Fortpflanzungserfolg sozialer Bienen von der sie umgebenden Diversität der Pflanzen und der damit verbundenen Qualität der Nahrungsressourcen abhängt“, sagt Dr. Sara Leonhardt, die Leiterin der Studie an der JMU. Zu sozialen Bienen gehören unter anderen Honigbienen und stachellose Bienen. Sie sind für einen Großteil der weltweiten Bestäubungsleistung verantwortlich.
Für die Studie installierten die Wissenschaftler Bienenkolonien in drei verschiedenen Habitaten. „Wir wählten naturbelassene Wälder, urbane Gärten und landwirtschaftlich intensiv genutzte Macadamia-Plantagen und beobachteten das Wachstum und die Produktion von Arbeiterinnen, Königinnen und neuen Kolonien“, sagt Dr. Benjamin Kaluza, der Erstautor der Studie. Außerdem analysierten sie die Nahrungsqualität des gesammelten Pollens und Honigs und kartierten die Pflanzendiversität in diesen Habitaten.
Rückgang der Biodiversität als Ursache für das Bienensterben
Das Ergebnis: Die Lebensqualität der Bienen war in Gärten und artenreichen Wäldern am höchsten und in Plantagen am geringsten. Nehme die Pflanzenvielfalt in der Umgebung ab, produzieren die Bienen weniger Nachkommen, folglich schrumpfen die Kolonien. „Bienen brauchen Diversität“, sagt Kaluza. „Nur in Landschaften mit hohem Pflanzenarten-Reichtum finden sie kontinuierlich ausreichend ausgewogene und qualitativ hochwertige Nahrung und andere Ressourcen.“
Laut Leonhardt ist dieser Effekt bereits sichtbar, wenn die Bienen auch nur kleine Habitatinseln mit hoher Blütendiversität in Flugdistanz haben. „Denn dann können sie sowohl den negativen Einfluss von Pestiziden als auch von Monokulturen kompensieren“, sagt sie und ergänzt: „Dieses Ergebnis bedeutet, der weltweite massive Rückgang der Biodiversität könnte eine Hauptursache für das Bienensterben sein.“
Die Folgen ihrer Erkenntnisse: „Wir erhoffen uns jetzt natürlich verstärkten Schutz und Re-etablierung biodiverser Habitate, vor allem in landwirtschaftlich stark genutzten Regionen, wie zum Beispiel Plantagen“, sagt Kaluza.
Zusammenarbeit mit anderen Forschern
Die Forschung wurde finanziell von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützt. Beteiligt waren Professorin Helen Wallace von der University of the Sunshine Coast (Australien), Dr. Tim Heard, Bienenberater aus Brisbane (Australien), Dr. Vanessa Minden von der Universität Oldenburg und Professorin Alexandra-Maria Klein von der Universität Freiburg. In weiteren Forschungen wollen Sara Leonhardt und ihr Team nun untersuchen, wie genau die Bienen ihre Ressourcen finden und wie sie von den unterschiedlichen Ressourcen profitieren.
Originalpublikation:
Social bees are fitter in more biodiverse environments, Benjamin F. Kaluza, Helen M. Wallace, Tim A. Heard, Vanessa Minden, Alexandra Klein, Sara D. Leonhardt, DOI: 10.1038/s41598-018-30126-0, https://rdcu.be/4FDx

21.08.2018, NABU
NABU: Usutu-Virus tötet mehr Amseln als je zuvor
Raum Nürnberg, Bremen und Hamburg erstmals vom Virus betroffen
Das Vogelsterben durch das tropische Usutu-Virus setzt sich auch in diesem Jahr fort und erfasst weitere Regionen in Deutschland. Besonders Amseln sind betroffen. NABU und Tropenmediziner bitten die Bevölkerung, kranke oder verendete Tiere unter www.nabu.de/usutu-melden zu melden und möglichst zur Untersuchung einzusenden. „Wir haben in diesem Jahr bereits 1.500 Meldungen von Usutu-Verdachtsfälle erhalten, knapp zwei Drittel davon alleine im August“, so NABU-Vogelschutz-Experte Lars Lachmann.
Seit dem erstmaligen Auftreten dieses Vogelsterbens im Jahr 2011 breitet sich das besonders im Spätsommer von Stechmücken auf Vögel übertragene Usutu-Virus zunehmend über Deutschland aus. Waren in den ersten Jahren lediglich wärmebegünstigte Regionen entlang des Rheintals und am Untermain betroffen, konnte seit 2016 eine Ausbreitung über Nordrhein-Westfalen nach Norden und in Richtung Bayern sowie ein separater Ausbruch im Raum Leipzig und Berlin festgestellt werden. In diesem Jahr sind offensichtlich vor allem die Regionen um Nürnberg sowie zwischen Bremen und Hamburg erstmals betroffen.
„Die 2018 bisher gemeldeten Fälle übertreffen die Zahlen aus den Vorjahren deutlich, was für ein besonders starkes Auftreten und für einen Verbreitungssprung des Virus spricht“, so Lachmann. Ornithologen und Tropenmediziner konnten seit 2011 feststellen, dass immer dann besonders viele Vögel verenden, wenn das Virus erstmals in einer Region auftritt, wie derzeit um Nürnberg, Bremen und Hamburg. In den Folgejahren sinken die Todeszahlen dann auf ein niedrigeres Niveau. Lachmann: „Der warme Sommer dieses Jahres dürfte die Ausbreitung des ursprünglich tropischen Virus begünstigt haben.“
Um die tatsächliche Ausbreitung des Virus dokumentieren zu können, ist es wichtig, möglichst viele Verdachtsfälle im Labor bestätigen zu können. Entsprechende Untersuchungen nehmen das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg (BNI) sowie manche veterinärmedizinischen Untersuchungsämter vor. Beim BNI sind in diesem Jahr bereits 174 möglicherweise am Usutu-Virus verendete Vögel eingesandt worden. Sie werden derzeit untersucht. Erste Labornachweise des Virus sind erfolgt.
Durch das Virus verursachte Todesfälle von Vögeln treten jeweils während der Stechmückensaison von Mai bis September auf. Infizierte Vögel wirken offensichtlich krank, apathisch, flüchten nicht mehr und sterben meist innerhalb weniger Tage. Fast immer sind es Amseln, bei denen diese Krankheit festgestellt wird, weshalb die Usutu-Epidemie auch als „Amselsterben“ bekannt wurde. Allerdings werden auch andere Vogelarten von diesem Virus befallen und können daran sterben. Lachmann: „Leider kann man Usutu-Infektionen weder verhindern noch behandeln. Es bleibt lediglich die einmalige Chance zu nutzen, die Auswirkungen einer für Deutschland neuen Vogelkrankheit auf wildlebende Vogelarten zu dokumentieren und deren Folgen abzuschätzen. Ziel ist es, neuartige Gefährdungsursachen für Vogelarten mit anderen Bedrohungen wie Klimawandel und Lebensraumverlust vergleichen und beurteilen zu können.“ Tote Vögel sollen nur mit Schutzhandschuhen oder einer umgestülpten Plastiktüte gegriffen werden. Für Menschen besteht nach derzeitigem Kenntnisstand keine gesundheitliche Gefahr durch bei Stechmücken-Stichen übertragene Usutu-Viren.
Tote oder kranke Vögel melden: www.nabu.de/usutu-melden

3.08.2018, Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
Papageien denken ökonomisch
Wenn sie für die Zukunft eine größere Belohnung erwarten, verzichten die Vögel auf den unmittelbaren Vorteil
Manchmal lohnt es sich zu warten – zum Beispiel, bei einer Wahl zwischen einer sofortigen kleinen und einer großen Belohnung später. Papageien haben dies offenbar verstanden: Frei nach dem Sprichwort „Lieber die Taube auf dem Dach, als den Spatz in der Hand“ können sie lernen, wann sie einen sofortigen Vorteil ausschlagen sollten. Forscherinnen des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Seewiesen haben herausgefunden, dass die Vögel minderwertiges Futter ausschlagen, wenn sie später mit besserem Futter rechnen können – eine Fähigkeit, die ihnen womöglich das Überleben in der Natur sichert.
Manchmal müssen Menschen wie auch Tiere auf einen unmittelbaren Vorteil zugunsten eines höheren Gewinns in der Zukunft verzichten. Um zu entscheiden, ob sich das Warten auch lohnt, müssen sie ihre unmittelbaren Impulse kontrollieren und das erwartete Endergebnis einschätzen können. Um herauszufinden, ob auch Papageien dazu in der Lage sind, haben die Wissenschaftlerinnen an der Max-Planck-Forschungsstation für Vergleichende Kognition auf Teneriffa 36 Papageien aus der Loro Parque Stiftung untersucht, darunter Soldaten-, Blaukehl- und Blaukopf-Aras sowie Graupapageien. Sie brachten den Vögeln zunächst bei, Spielmarken gegen Futter auszutauschen: Unterschiedliche Marken repräsentierten dabei Getreide- und Sonnenblumenkörner sowie Walnüsse – für die Vögel Futter von niedrigem, mittlerem und hohem Wert.
Die Papageien sollten nun zwischen einer sofortigen Futterbelohnung und einer Spielmarke wählen, die sie später gegen hochwertigeres Futter eintauschen konnten. In Kontrolltests erhielten die Vögel für eine Spielmarke dagegen lediglich eine gleichwertige oder sogar eine minderwertigere Belohnung. Damit überprüften die Forscherinnen, ob die Vögel tatsächlich ökonomisch entschieden, oder ob sie die Marken aus einem anderen Grund bevorzugten.
Die Ergebnisse zeigen, dass die Papageien meist nur dann auf sofortige Belohnung verzichten und sich für eine Spielmarke entscheiden, wenn deren Wert einem höher wertigeren Futter entspricht als die sofortige Belohnung. „Papageien können folglich überlegt entscheiden und ihren Gewinn maximieren“, erklärt Anastasia Krasheninnikova, die Erstautorin der Studie. Die Vögel schnitten dabei vergleichbar gut ab, wie Schimpansen in ähnlichen Versuchen.
Die Studie liefert auch Hinweise darauf, dass auch andere Faktoren die Entscheidungsfindung der Vögel beeinflussten können. So entschieden sich die Graupapageien in einigen der Kontrollversuche auch dann für eine Spielmarke anstelle des Futters, wenn sie dafür später genau dasselbe Futter erhielten. „Offenbar haben die Marken für die Vögel einen besonderen Wert bekommen, für den sie sogar bereit sind, auf schnelles Futter zu verzichten – angesichts des ausgeprägten Spieltriebs dieser Vögel, kann man sich das gut vorstellen“, erklärt Krasheninnikova.
Offenbar benötigen Papageien diese Fähigkeit, um in ihrer natürlichen Umgebung überleben zu können. „Da Papageien in der freien Natur so schwer zu verfolgen sind, wissen wir bisher aber zu wenig über die Herausforderungen, vor denen die Vögel stehen, zum Beispiel zu entscheiden, wo sie Futter suchen und wie lange sie bei einer Futterquelle bleiben sollten“, sagt die Leiterin des Forscherteams Auguste von Bayern.
Originalpublikation:
Economic Decision-Making in Parrots
Anastasia Krasheninnikova, Friederike Höner, Laurie O’Neill, Elisabetta Penna & Auguste M. P. von Bayern
Scientific Reports; 22. August 2018

22.08.2018, Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie
Mutter Neandertalerin, Vater Denisovaner!
Bis vor etwa 40.000 Jahren lebten wenigstens zwei Homininen-Gruppen in Eurasien – Neandertaler im Westen und Denisovaner im Osten. Forschende am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (MPI-EVA) in Leipzig sequenzierten nun das Genom eines Individuums aus Sibirien und entdeckten, dass die Mutter dieser vorgeschichtlichen Frau eine Neandertalerin und ihr Vater ein Denisovaner gewesen ist.
Zusammen mit den Neandertalern sind die Denisova-Menschen die nächsten ausgestorbenen Verwandten heute lebender Menschen. „Aus früheren Studien wussten wir bereits, dass Neandertaler und Denisovaner gelegentlich Nachwuchs miteinander gezeugt haben”, sagt Viviane Slon, Forscherin am MPI-EVA und eine von drei Erstautoren der Studie. „Doch ich hätte nie gedacht, dass wir so viel Glück haben könnten, auf einen direkten Nachkommen der beiden Gruppen zu stoßen.”
Von diesem Individuum liegt den Forschenden nur ein einziges kleines Knochenfragment vor. „Das Fragment ist Teil eines langen Knochens. Wir schätzen, dass die Frau, der der Knochen gehörte, zum Todeszeitpunkt wenigstens 13 Jahre alt gewesen ist”, sagt Bence Viola von der University of Toronto in Kanada. Das Knochenfragment wurde 2012 in der Denisova-Höhle in Russland von russischen Archäologen entdeckt. Es wurde für genetische Analysen nach Leipzig gebracht, nachdem es aufgrund seiner Proteinzusammensetzung als Homininenknochen identifiziert worden war.
„Dank der in diesem Genom enthaltenen DNA-Sequenzen können wir nun Details über zwei verschiedene Populationen erfahren – die Neandertaler mütterlicherseits und die Denisovaner väterlicherseits”, erklärt Fabrizio Mafessoni vom MPI-EVA, der die Studie mitverfasst hat. Die Forschenden stellten fest, dass die Mutter genetisch näher mit Neandertalern verwandt war, die in Westeuropa lebten, als mit einem Neandertaler, der zu einem früheren Zeitpunkt in der Denisova-Höhle gelebt hatte. Dies zeigt, dass die Neandertaler Zehntausende von Jahren vor ihrem Verschwinden zwischen West- und Ost-Eurasien migrierten.
Analysen des Genoms ergaben auch, dass der Vater der Frau wenigstens einen Neandertaler-Vorfahren in seinem Stammbaum hatte. „Anhand dieses einzigen Genoms können wir gleich mehrere Interaktionen zwischen Neandertalern und Denisovanern dokumentieren”, sagt Benjamin Vernot vom MPI-EVA, der dritte Ko-Autor der Studie.
„Es ist schon beeindruckend, dass sich unter den wenigen Genomen früher Menschen, die wir bis jetzt sequenziert haben, dieses Neandertaler-Denisovaner-Kind befindet”, ergänzt Svante Pääbo, Direktor der Abteilung für Evolutionäre Genetik am MPI-EVA und Hauptautor der Studie. „Neandertaler und Denisovaner hatten vielleicht nicht viele Gelegenheiten einander zu treffen. Aber wenn sie aufeinandergetroffen sind, müssen sie relativ häufig Kinder miteinander gezeugt haben – viel öfter als wir bisher dachten.”
Originalpublikation:
Viviane Slon, Fabrizio Mafessoni, Benjamin Vernot, Cesare de Filippo, Steffi Grote, Bence Viola, Mateja Hajdinjak, Stéphane Peyrégne, Sarah Nagel, Samantha Brown, Katerina Douka, Tom Higham, Maxim B. Kozlikin, Michael V. Shunkov, Anatoly P. Derevianko, Janet Kelso, Matthias Meyer, Kay Prüfer, Svante Pääbo
The genome of the offspring of a Neandertal mother and a Denisovan father
Nature, 22. August 2018, https://www.doi.org/10.1038/s41586-018-0455-x

24.08.2018, GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel
Neue Quallenart im Nord-Ostsee-Kanal
Eine neue Quallenart hat sich im Nord-Ostsee-Kanal etabliert. Die Brackwasser-liebende Blackfordia virginica ist seit Sommer 2016 ein neuer Spieler im dortigen Ökosystem. Das ergab die Auswertung von regelmäßigen biologischen Monitoring-Fahrten der vergangenen zehn Jahre, die Forschende des GEOMAR-Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel, der Technischen Universität Dänemark und der Universität Kiel jetzt veröffentlich haben. Eine weitere Ausbreitung von Blackfordia virginica in die Ostsee ist demnach wahrscheinlich.
Globale Studien zeigen, dass die Zahl der Arten, die in fremde Ökosysteme einwandern, ständig zunimmt. Zwar können sich bei weitem nicht alle Spezies in den neuen Umgebungen etablieren. Doch die erfolgreichen Bio-Invasoren haben das Potenzial, betroffene Ökosysteme stark zu verändern. Auch in der Ostsee konnten in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche bislang fremde Arten nachgewiesen werden. Ein prominentes Beispiel ist die amerikanische Rippenqualle Mnemiopsis leidyi, auch Meerwalnuss genannt.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel, der Technischen Universität Dänemark (DTU Aqua) und der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) haben jetzt bei der Auswertung von regelmäßigen Monitoringfahrten im Nord-Ostsee-Kanal und in der Ostsee eine weitere, für diese Region neue Quallenart entdeckt. Ihr fachlicher Name lautet Blackfordia virginica.
„Unsere Langzeit-Daten zeigen, dass diese Quallen-Art seit dem Sommer 2016 im Nord-Ostsee-Kanal etabliert ist und sich aktiv vermehrt, also einen neuen Bestandteil des Ökosystems bildet“, sagt Dr. Cornelia Jaspers, die als Biologische Ozeanographin am GEOMAR und am Nationalen Institut für Aquatische Ressourcen der DTU in Lyngby arbeitet.
Die Art Blackfordia virginica wurde 1904 erstmals in den Gewässern vor dem US-Bundesstaat Virginia wissenschaftlich beschrieben. Spätere Studien lassen aber vermuten, dass sie ursprünglich aus dem Schwarzen Meer stammt. „Mittlerweile findet sie sich aber auch in Indien, Südamerika und Südafrika. Seit den 1970er Jahren kommt sie in Brackwassergebieten Nord-Frankreichs und seit den 1980er Jahren auch in Portugal vor“, erklärt Dr. Jaspers. „Wir haben es also mit einer Art zu tun, die auf eine lange Erfolgsgeschichte als Eroberer fremder Ökosysteme zurückblicken und dort sehr große Populationsdichten erreichen kann“.
Wie die Quallen in den Nord-Ostsee-Kanal gelangt sind, ist nicht genau nachweisbar. Da der Kanal die am stärksten befahrene künstliche Wasserstraße der Welt ist, haben höchstwahrscheinlich Schiffe die Quallen eingeschleppt. Ballastwasser darf im Kanal allerdings nicht abgepumpt werden. „Deshalb sind die Quallen wohl über Quallenpolypen an Schiffsrümpfen, die Jungquallen, sogenannte Ephyren, ins Wasser abgegeben haben, hier angekommen“, sagt Dr. Jaspers.
Auch außerhalb des Kanals, in der Kieler Förde, konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bereits Exemplare nachweisen. Dort gibt es bislang aber keine Belege, dass sich die Art aktiv vermehrt. „Im Rahmen unserer Studie haben wir jedoch gezeigt, dass die Ostsee als Brackwassergebiet einen geradezu idealen Lebensraum für Blackfordia virginica darstellt. Wir erwarten deshalb eine weitere Ausbreitung“, sagt Dr. Jaspers.
Welche Folgen das für die Ostsee haben könnte, ist noch unklar. Aus anderen Regionen ist bekannt, dass Blackfordia virginica eine erhebliche Konkurrenz zu anderen Planktonfressern darstellt. Außerdem kann sie den Nachwuchs von Fischarten beeinträchtigen, weil sie deren Larven frisst. Das könnte letztendlich auch wirtschaftliche Folgen haben.
Unterstützt wurde die Untersuchung von Studierenden des Kieler Master-Studiengangs „Biological Oceanography“, die während ihrer Ausbildungs-Seereise mit dem Forschungsschiff ALKOR im August 2017 mehrere tausend Kubikmeter Wasser von Flensburg bis nach Finnland durchfischt und inspiziert haben.
„Insgesamt zeigt die Entdeckung, wie wichtig regelmäßiges Monitoring der Artenzusammensetzung in küstennahen Gewässern ist, da diese Gebiete besonders starken anthropogenen Einflüssen ausgesetzten sind. Besonders das gelatinöse Plankton, also Quallen, müssen wir dabei noch stärker als bisher berücksichtigen“, betont Dr. Jaspers.
Originalpublikation:
Jaspers, C., B. Huwer, N. Weiland-Bräuer, C. Clemmesen (2018): First record of the non-indigenous jellyfish Blackfordia virginica (Mayer, 1910) in the Baltic Sea. Helgoland Marine Research, https://doi.org/10.1186/s10152-018-0513-7

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