02.02.2021, Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie
Vom Quastenflosser zum Menschen − Was die Evolution über die Funktion von Bitterrezeptoren verrät
Um die chemische Zusammensetzung von Nahrungsmitteln aus physiologischer Sicht bewerten zu können, ist es wichtig, die Funktion der Rezeptoren zu kennen, mit denen Lebensmittelinhaltsstoffe interagieren. Zu diesen gehören auch Bitterrezeptoren, die sich während der Evolution zuerst bei Knochenfischen wie dem Quastenflosser entwickelt haben. Was 400 Mio. Jahre Entwicklungsgeschichte über die Funktion der Fisch-, aber auch der menschlichen Bitterrezeptoren verraten, publizierte ein Forscherteam unter Leitung des Leibniz-Instituts für Lebensmittel-Systembiologie an der Technischen Universität München und der Universität Köln kürzlich in der Fachzeitschrift Genome Biology and Evolution.
Entwicklungsgeschichtlich betrachtet sind Bitterrezeptoren im Vergleich zu anderen Chemorezeptoren, wie z. B. Geruchsrezeptoren, eine relativ neue Erfindung der Natur. Ihre Funktion, Wirbeltiere vor dem Verzehr potentiell giftiger Substanzen zu schützen, ist seit langem wissenschaftlich anerkannt. Neuer sind Beobachtungen, wonach Bitterrezeptoren noch weitere, über die Geschmackswahrnehmung hinausgehende Funktionen besitzen. Hierzu zählen Aufgaben in der Abwehr von krankheitserregenden Bakterien, bei der Stoffwechselregulation sowie möglicherweise auch Funktionen als endogene Sensoren für körpereigene Stoffwechselprodukte und Hormone.
Quastenflosser und Zebrafisch im Vergleich
Das Wissenschaftlerteam um die beiden Biologen Sigrun Korsching von der Universität Köln und Maik Behrens vom Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie liefert nun weitere Anhaltspunkte, die diese Hypothese stützen. In seiner aktuellen Studie hat das Team zwei ursprüngliche Bitterrezeptortypen vom Quastenflosser (Latimeria chalumnae) mit vier weiteren vom Zebrafisch (Danio rerio) phylogenetisch, funktionell und strukturell verglichen. Hierzu führte das Forscherteam u. a. umfangreiche Funktionsstudien mit Hilfe eines etablierten, zellulären Testsystems sowie computergestützte Modelling-Analysen durch. Das Ziel war, einen tiefen Einblick in die Entwicklungsgeschichte der Bitterrezeptoren zu erhalten, um auf diese Weise auch mehr über deren Funktionen zu erfahren.
Wie die Studienergebnisse zeigen, verfügen die zwei Fischarten u. a. über je ein homologes Bitterrezeptorgen. Beide Gene sind mutmaßlich aus einem Ur-Gen hervorgegangen. Die Bitterstoff-Erkennungsspektren der zugehörigen Fischrezeptoren waren dabei nach den Resultaten der Funktionsstudien trotz 400 Millionen Jahren getrennter Evolution zum Großteil identisch. „Besonders spannend an unseren Ergebnissen ist, dass die ursprünglichen Fischrezeptoren im zellulären Testsystem Substanzen erkannten, auf die auch menschliche Bitterrezeptoren reagieren. Hierzu zählen u. a. Gallensäuren“, sagt Co-Autorin Antonella Di Pizio vom Leibniz-Institut.
Über 400 Millionen Jahre Selektionsdruck
„Es muss also ein Selektionsdruck bestehen oder zumindest bis zur Entwicklung des Menschen bestanden haben, der dazu führt, dass menschliche Bitterrezeptoren immer noch dieselben Bitterstoffe erkennen können, wie ein Knochenfisch vor über 400 Millionen Jahren,“ folgert Geschmacksforscher Maik Behrens. Sigrun Korsching ergänzt: „Dies spricht für eine oder mehrere wichtige Funktionen der Bitterrezeptoren, auch während der menschlichen Evolution.“
„Quastenflosser sind Fleischfresser. Daher könnte man spekulieren, dass die Existenz einer Bitterrezeptorvariante, die hauptsächlich Steroidhormone und Gallensäuren erkennt, vor dem Verzehr giftiger Fische schützt, die in ihrer Leber und Gallenblase nicht nur Gallensäuren, sondern auch hochwirksame Nervengifte enthalten können. So lebt der giftige Kugelfisch Arothron hispidus in den gleichen Gewässern wie der Quastenflosser“, sagt Maik Behrens. Beim Menschen und auch beim Zebrafisch sei es aber fraglich, ob eine solche Rezeptorvariante aus Evolutionssicht erhalten geblieben wäre, wenn sie nicht noch andere Funktionen im Inneren des Körpers besitzen würde. Für solche extraoralen Funktionen spräche zudem, dass sich Bitterrezeptoren auch auf menschlichen Organen wie Herz, Gehirn oder Schilddrüse finden, so Behrens weiter. Ein Ziel seiner Forschung ist es, dazu beizutragen, die systembiologischen Wirkungen von Bitterstoffen zu verstehen, unabhängig davon, ob sie über die Nahrung in den Körper gelangt sind oder sie zu den körpereigenen Stoffen gehören.
Originalpublikation:
Behrens M, Di Pizio A, Redel U, Meyerhof W, Korsching SI (2020) Genome Biol Evol, evaa264, DOI: 10.1093/gbe/evaa264. At the root of T2R gene evolution: Recognition profiles of coelacanth and zebrafish bitter receptors
https://academic.oup.com/gbe/advance-article/doi/10.1093/gbe/evaa264/6045956
03.02.2021, NABU
Wenig Meisen, aber viele Spatzen gezählt
„Stunde der Wintervögel“ übertrifft Teilnahmerekord von 2020 um 65 Prozent
Über 236.000 Menschen haben am Wochenende vom 8. bis 10. Januar an der 11. „Stunde der Wintervögel“ teilgenommen – ein sattes Plus von 65 Prozent zum Vorjahr. Der NABU und sein bayerischer Partner, der Landesbund für Vogelschutz (LBV) freuen sich mit der heutigen Verkündung des Endergebnisses über eine Rekord-Teilnahme.
„Deutschlands größte wissenschaftliche Mitmachaktion wird dadurch noch aussagekräftiger“, so NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller. „Sicherlich hat auch der Corona-Lockdown dazu beigetragen, dass mehr Menschen ihr Interesse für die Natur vor der eigenen Haustür entdecken.“
Nicht zugenommen haben dagegen die Vogelzahlen, die dem NABU aus 164.000 Gärten gemeldet wurden – im Gegenteil. „Die Gesamtzahl von 34,5 Vögeln pro Garten stellt den zweitniedrigsten Wert seit Beginn der Aktion im Jahr 2011 dar, zwölf Prozent weniger als im langjährigen Durchschnitt“, so NABU-Vogelschutzexperte Lars Lachmann. „Nur im Januar 2017 waren die Zahlen noch etwas niedriger. Auch damals fehlten besonders die typischen Futterplatzbesucher, nämlich sämtliche Meisenarten, Kleiber, Gimpel und Kernbeißer – alles Arten deren Winterbestände auf den Zuzug von Artgenossen aus dem Norden angewiesen sind. Dieser ist im bis kurz vor der Zählung europaweit sehr milden Winter wohl teilweise ausgeblieben.“
Rekordwerte erreichten dagegen Standvogelarten wie Haussperling und Stadttaube sowie Arten, die grundsätzlich mildere Winter bevorzugen, wie Rotkehlchen und Ringeltaube.
„Seit 2011 nehmen die Winterbestände von Vogelarten, die auf Zuzug aus dem Norden und Osten angewiesen sind, ab. Im Winter standorttreue Arten und solche, die teilweise von uns nach Süden ziehen, zeigen dagegen stabile oder gar wachsende Winterbestände“, so Lachmann. Dies sei Ausdruck einer Entwicklung, die mit einigen harten Wintern begann und zuletzt eine lange Reihe milder Winter aufwies. Je milder der Winter, desto geringer die Neigung der Vögel in wärmere Regionen im Süden und Westen auszuweichen.
Ein besorgniserregend schwaches Ergebnis, das nicht mit dem Wetter erklärt werden kann, liefert der Grünfink. Sein Abwärtstrend setzt sich leider unverändert fort. Diesmal wurden nur noch 0,9 Grünfinken pro Garten gemeldet. Damit gibt es heute nur noch ein Viertel der Grünlinge, die 2011 noch die Gärten bevölkerten. Als Ursache gelten vor allem Infektionen mit Trichomonaden an sommerlichen Futterstellen.
Die fünf am häufigsten gemeldeten Arten waren Haussperling (mit 6,87 Vögeln pro Garten), Kohlmeise, Feldsperling, Blaumeise und Amsel. Im Vergleich zum Vorjahr haben nur Feldsperling und Blaumeise die Plätze getauscht.
Die Amsel erholt sich weiter langsam von ihren Tiefstwerten nach der schweren Usutu-Epidemie des Sommers 2018. Besonders niedrig waren dagegen die gemeldeten Zahlen der Blaumeise, wobei unklar bleibt, ob fehlender Zuzug aus dem Norden oder die Folgen einer Bakterien-Epidemie im vergangenen Frühjahr die Hauptursache dafür ist.
Die nächste Vogelzählung findet mit der „Stunde der Gartenvögel“ vom 13. bis 16. Mai statt. Noch bis zum 19. März läuft die Wahl des Vogels des Jahres. Aus zehn Kandidaten, die vorab in einer öffentlichen Online-Wahl bestimmt worden waren, kann jeder seinen Favoriten wählen.
03.02.2021, Universität Zürich
Weissbüschelaffen interpretieren die Unterhaltungen zwischen ihren Artgenossen
Weissbüschelaffen nehmen die Laut-Interaktionen zwischen ihren Artgenossen nicht nur als Aneinanderreihung von Rufen wahr, sondern als zusammenhängende Unterhaltungen. Zudem bewerten sie deren Inhalte. Dies zeigen Forschende der Universität Zürich, indem sie in ihrer Studie Thermografie mit Verhaltenspräferenzen der Affen kombinieren.
Menschen beobachten und bewerten die Interaktionen zwischen Drittparteien, um gute zukünftige Kooperationspartner auszuwählen. Welche Informationen Tiere gewinnen, wenn sie lautliche Interaktionen zwischen Artgenossen belauschen, ist schwierig zu messen. Denn offensichtliche Verhaltensweisen, die ein Verständnis solcher «Unterhaltungen» verraten, fehlen üblicherweise. Um diese Hürde zu überwinden, kombinierten Anthropologinnen der Universität Zürich in einer Studie Rufsimulationen, Thermografie und Verhaltenspräferenzen von Weissbüschelaffen.
Mithilfe von Wärmebildern konnten die Forschenden Temperaturveränderungen im Gesicht von Weissbüschelaffen nicht-invasiv messen und so subtile emotionale Reaktionen quantifizieren. «Mit dieser Technik konnten wir zeigen, dass die Weissbüschelaffen lautliche Interaktionen zwischen Artgenossen nicht bloss als Aneinanderreihung einzelner Rufelementen wahrnehmen, sondern als Gespräche», sagt Erstautorin Rahel Brügger, Doktorandin am Institut für Anthropologie der UZH.
Dialoge von Monologen unterscheiden
Emotionale Reaktionen verändern die Durchblutung der Haut und damit die Oberflächentemperatur im Gesicht – insbesondere bei den am meisten exponierten Stellen wie der Nase. Die Messung der abgegebenen Infrarotstrahlung mittels Thermografie ermöglicht es, diese Veränderungen aufzuzeichnen. In Ihrer Studie simulierte das Forschungsteam nun einerseits Ruf-Interaktionen zwischen Weissbüschelaffen und andererseits die Rufe einzelner Tiere, ohne dass diese in eine Interaktion involviert waren. Die entsprechenden Playbacks spielten sie von einem versteckten Lautsprecher ab und massen mittels Thermografie die Reaktionen auf die verschiedenen Simulationen. «Dabei zeigte sich, dass die Reaktion auf die Ruf-Interaktionen deutlich anders ausfiel als die Reaktion auf die Summe entsprechender Einzelrufe», so Brügger. «Weissbüschelaffen können einen Dialog unter Artgenossen also von einem reinen Monolog unterscheiden.»
Kooperative Artgenossen bevorzugt
Bei den simulierten Ruf-Interaktionen unterschieden die Forschenden zusätzlich zwischen kooperativen und kompetitiven Varianten. Nachdem die Affen die unterschiedlichen Interaktionen gehört hatten, erhielten sie die Möglichkeit, sich den Geräuschquellen zu nähern. Dabei beobachteten die Forschenden, dass sich Weissbüschelaffen bevorzugt jenen simulierten Artgenossen näherten, die zuvor in eine kooperative Interaktion involviert waren.
Diese Präferenz passt zum Sozialsystem und dem natürlichen Verhalten der kleinen brasilianischen Neuweltaffen, die ihren Nachwuchs gemeinschaftlich aufziehen und daher entscheidend von der Kooperationsbereitschaft ihrer Gruppemitglieder abhängen. «Insgesamt trägt die Studie zur zunehmenden Evidenz bei, dass viele Tiere nicht nur passive Beobachter von Interaktionen zwischen ihren Artgenossen sind, sondern diese auch für sich selbst interpretieren», sagt Letztautorin und UZH-Anthropologieprofessorin Judith Burkart. «Zudem zeigen wir in unserer Studie, was die Thermografie als Methode beitragen kann, um aufzudecken, wie der soziale Austausch von nonverbalen Subjekten wahrgenommen wird.»
Originalpublikation:
Rahel K. Brügger, Erik P. Willems, Judith M. Burkart. Do marmosets understand others’ conversations? A thermography approach. Science Advances, 3 February 2021. DOI: 10.1126/ sciadv.abc8790
03.02.2021, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.
Warum europäische Fledermäuse das White-Nose-Syndrom überleben
Millionen nordamerikaPilzkrankheiten stellen eine große Bedrohung für Tiere dar, da sie nachgewiesenermaßen bereits zu signifikanten Bestandsrückgängen oder zum Aussterben von Arten führten. Das „White-Nose-Syndrom“, ausgelöst vom kälteliebenden Pilz Pseudogymnoascus destructans, ist in Nordamerika eine wesentliche Todesursache bei winterschlafenden Fledermäusen. Europäische Fledermäuse hingegen überleben eine Infektion mit diesem Pilz. Um die Ursachen für diese Unterschiede zu finden, hat ein Wissenschaftlerteam unter der Leitung des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) die Immunabwehr von europäischen Mausohrfledermäusen auf den Pilz analysiert.
Im Gegensatz zu nordamerikanischen Verwandten weisen diese eine ausreichende Basisimmunität auf und tolerieren die Pilzinfektionen während des Winterschlafs bis zu einem gewissen Maße. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift „Developmental & Comparative Immunology“ publiziert.nischer Fledermäuse sterben am White-Nose-Syndrom.
Während einer Infektion mit Pseudogymnoascus destructans (Pd) erwachen nordamerikanische Fledermäuse häufig aus dem Winterschlaf und können dadurch eine aufwändigere Immunreaktion auslösen. Europäische Fledermäuse verharren aufgrund ihrer ausreichenden Basisimmunität in dem energiesparenden Ruhezustand. Da ihre Basisimmunität nicht in der Lage ist, den Pilz zu bekämpfen, sind die Fettreserven nordamerikanischer Fledermäuse vor Ende des Winters aufgebraucht, wodurch sie schließlich verhungern. Europäische Fledermäuse wachen zwar auch ab und zu auf, wenn sie infiziert sind, aber ihre starke Basisimmunität lässt sie besser mit den knappen Energiereserven durch den Winter kommen.
Für die Untersuchung beprobten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler 61 in unterschiedlichem Ausmaß vom Pilz Pseudogymnoascus destructans (Pd) befallene Große Mausohren (Myotis myotis) in Winterquartieren in Deutschland. Die Tiere wurden je nach Schwere des Pilzbefalls in drei Gruppen eingeteilt (asymptomatisch, milde Symptome, schwerwiegende Symptome). Nach dem Messen von Gewicht und der Flügellänge wurde ihnen während der Winterruhe Blut für immunologische Analysen entnommen. Zudem überwachte das Team, wie häufig die Fledermäuse aus ihrer Winterruhe erwachen, um die Infektion aktiv einzudämmen. „Wir konnten zeigen, dass es bei den Mausohrfledermäusen keinen nachweisbaren Zusammenhang zwischen dem Infektionsgrad und der Häufigkeit des Aufwachens gibt“, sagen Marcus Fritze und Christian Voigt, Fledermausexperten der Abteilung Evolutionäre Ökologie des Leibniz-IZW. „Dies passt zu der Idee, dass der Pilz bei den europäischen überwinternden Fledermäusen keine Immunreaktion auslöst, sondern von der Basisimmunität der Fledermäuse unter Kontrolle gehalten wird.“
Im Gegensatz dazu wachen nordamerikanische Fledermäuse wie Myotis lucifugus bei einer Infektion mit dem Pilz häufig auf, um eine Immunreaktion zu starten. Das häufige Aufwachen und die Immunreaktion benötigen Energie und erzwingen den vorzeitigen Abbau ihrer Fettspeicher, bevor der Winter zu Ende ist. Eine zentrale Rolle bei der Immunreaktion der Mausohrfledermäuse während der Winterruhe spielt das Protein Haptoglobin. Dabei handelt es sich um ein sogenanntes Akute-Phase-Protein (APP), welches ohne großen Energieaufwand auch während des Winterschlafs gebildet werden kann. „Unsere Ergebnisse belegen die zentrale Rolle von Haptoglobin bei der Immunabwehr gegen den Pilz. Interessanterweise reicht die Basiskonzentration dieses Proteins aus, um europäische Fledermäuse vor dem Pilz zu schützen. Demnach besteht keine Notwendigkeit für die Fledermäuse, das Protein während der Winterruhe aktiv zu synthetisieren“, fügt Gábor Á. Czirják, Wildtierimmunologe in der Abteilung für Wildtierkrankheiten des Leibniz-IZW, hinzu.
Eine zweite wesentliche Erkenntnis der Untersuchungen ist, dass schwerere Mausohrfledermäuse häufiger aus dem Winterschlaf aufwachen als ihre schlankeren Artgenossen. Dies erscheint kontraintuitiv, da jedes Erwachen die Fettreserven weiter reduziert. Dennoch scheinen gut ernährte Fledermäuse ihr Immunsystem zu unterstützen, indem sie aktiv Pilzgewebe von ihrem Körper entfernen, während sie für kurze Zeit wach sind. So sind schwere Fledermäuse gegen Ende des Winterschlafs in einem gesünderen Zustand als magere Tiere. Tiere mit wenigen Fettreserven können es sich nicht leisten, so oft aufzuwachen und sind daher auf die Wirksamkeit der Basisimmunität angewiesen, um den Pilz in Schach zu halten. Dieses Sicherheitsnetz einer wirksamen Basisimmunität hält europäische (und asiatische) Fledermäuse bei Infektionen mit P. destructans am Leben, erweist sich aber für nordamerikanische Fledermäuse als unzureichend.
Die Resultate der Untersuchung erhärten die Belege für signifikante Unterschiede in den Abwehrstrategien gegenüber dem Verursacher des White-Nose-Syndroms bei europäischen und nordamerikanischen Fledermausarten. Toleranzstrategien zielen darauf ab, die Auswirkungen der Pilzinfektion auf die Gesundheit der Tiere zu begrenzen. Resistenzstrategien hingegen versuchen, eine hohe Belastung an Erregern aktiv zu reduzieren. „Toleranzstrategien können eine effiziente Abwehr gegenüber Pilzkrankheiten darstellen, wie unsere Ergebnisse mit der Mausohrfledermaus zeigen“, fasst Voigt zusammen. „Bei nordamerikanischen Fledermäusen ist diese Fähigkeit aber nicht in ausreichendem Maße vorhanden, womöglich weil der Pd-Pilz ursprünglich aus Europa stammt und die europäischen Arten dadurch einen Vorsprung bei der Entwicklung effizienter Abwehrmechanismen haben.“
Originalpublikation:
Fritze M, Puechmaille SJ, Costantini D, Fickel J, Voigt CC, Czirják GÁ (2021): Determinants of defence strategies of a hibernating European bat species towards the fungal pathogen Pseudogymnoascus destructans. DEVEL COMP IMMUNOL 119, https://doi.org/10.1016/j.dci.2021.104017
04.02.2021, Stiftung Zoologisches Forschungsmuseum Alexander Koenig, Leibniz-Institut für Biodiversität der Tiere
Minimaikäfer aus China: 68% der Arten neu für die Wissenschaft…!
Wissenschaftler aus Deutschland (Bonn) beschreiben in Zusammenarbeit mit chinesischen Forschern 152 neue Arten „Mini-Maikäfer“ der Gattung Maladera (Coleoptera: Scarabaeidae: Sericini) aus China. Viele dieser Arten wurden vor allem auch durch Hobbywissenschaftler gesammelt und befanden sich danach in verschiedenen Museen der Welt.
Die jüngst in der Zeitschrift „Zootaxa“ erschienene Forschungsarbeit von Silvia Fabrizi und Dirk Ahrens, Wissenschaftler am Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig – Leibniz-Institut für Biodiversität der Tiere (ZFMK) in Bonn, und Kollegen von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften Peking, unterstreicht, wie wenig wir über unseren Planeten wissen.
In der Veröffentlichung werden von den 224 in China nachgewiesenen Arten gleich 152 als neu entdeckt und beschrieben, d.h. fast 68% aller dieser Arten waren bisher wissenschaftlich unbekannt! „Dies ist eine unglaublich hohe Zahl und die Wissenschaft muss unbedingt weiter Kenntnislücken schließen können“ meint Ahrens. Wie problematisch ein zu geringer Überblick sein kann, hat ja auch die COVID-19 Situation gezeigt.
Die Arbeiten zu diesem Werk haben wieder länger als 10 Jahre gedauert. Ein Grund ist, dass, auch Ahrens die Arbeit oft „nebenbei“ machen muss. Weil Taxonomie vor allem eine deskriptive Wissenschaft ist, bekommen er und seine Studentinnen und Studenten in Deutschland für diese Arbeit oft nur wenig Förderung. Ahrens bildet daher vor allem auch Studenten aus Übersee aus zum Beispiel China, Sri Lanka, Indien oder Brasilien. In diesen Ländern ist die Taxonomie im Vergleich zu Deutschlandwesentlich angesehener.
Originalpublikation:
Fabrizi, S., Liu, W.-G., Bai, M., Yang, X.-K. Ahrens, D. (2020) A monograph of the genus Maladera Mulsant & Rey, 1871 of China (Coleoptera: Scarabaeidae: Melolonthinae: Sericini). Zootaxa 4922 (1): 001–400
https://doi.org/10.11646/zootaxa.4922.1
04.02.2021, Veterinärmedizinische Universität Wien
Forschungsprojekt: Gedächtnis und Wahrnehmung bei Siebenschläfern
NSeit Oktober liegt er im Tiefschlaf und ihn kann scheinbar nichts wecken. Seine innere Uhr jedoch tickt und gibt unaufhaltsam das nahende Ende des Winterschlafs vor. Der Siebenschläfer nutzt den Winterschlaf als Anpassungsmechanismus an die kalte, nahrungsarme Jahreszeit. Doch wie wirkt sich das monatelange Herunterfahren fast aller Stoffwechselprozesse auf die Erinnerung, räumliche Orientierung und Wahrnehmung der kleinen Nager aus? Ein ForscherInnenteam um Claudia Bieber, Institut für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI) der Vetmeduni Vienna, widmet sich dieser Frage und erforscht das Gedächtnis und das Erinnerungsvermögen der Siebenschläfer.
Wissenswert: Der Naturschutzbund Österreich hat den Siebenschläfer zum Tier des Jahres 2021 ernannt. Dadurch soll u. a. auf die Gefährdung des kleinen Nagers sowie ihre Lebensweise aufmerksam gemacht werden.
Bereits im Oktober tauchen Siebenschläfer buchstäblich ab, um sich in frostfreie Erdhöhlen für die Winterruhe zurückzuziehen. Der Winterschlaf ist eine extreme Anpassungsstrategie verschiedener Säugetiere, um die kargen und kalten Monate oder andere ungünstige Umweltbedingungen unbeschadet zu überstehen. Während des Winterschlafs begeben sich die kleinen Tiere in sogenannte Torporphasen. Der Stoffwechsel wird dabei gezielt gedrosselt und die Körpertemperatur der Siebenschläfer fällt auf Umgebungstemperatur ab und kann sogar den Nullpunkt erreichen. Herzfrequenz und Atmung sind im Torpor extrem reduziert. Auch das Gehirn zeigt in diesen Phasen praktisch keine Aktivität und ist nur gering durchblutet.
Um überleben zu können, müssen die Nager jedoch regelmäßig diese mehrwöchigen Torporphasen für einige Stunden unterbrechen und den Stoffwechsel wieder ankurbeln. Während dieser Arousal-Phasen arbeitet der Stoffwechsel auf Hochtouren. Die Körpertemperatur der Siebenschläfer erreicht dabei annähernd normale Werte und die Atmungs- und Herzfrequenz steigt an. Nach ca. acht Stunden kehren die Tiere wieder in eine Torporphase zurück.
Aufwachphasen für die Erinnerung?
Ein neues, durch den FWF gefördertes Forschungsprojekt des Forschungsinstituts für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI) der Vetmeduni Vienna untersucht, welche Auswirkungen der Zustand des Winterschlafs auf das Erinnerungsvermögen und die Wahrnehmung der Siebenschläfer hat. Müssen die Tiere nach dem Aufwachen im Frühjahr jedes Jahr ihre Umgebung neu erkunden und erlernen? Erkennen sie ihre Verwandten und Gruppenmitglieder wieder? „Vorangegangene Studien zeigen kein klares Bild, geben aber Hinweise auf negative Effekte des Winterschlafs“, so Wildtierökologin Claudia Bieber. Bis dato ist noch nicht geklärt, warum Winterschläfer die Phasen des Torpors immer wieder durch Arousals unterbrechen. Können diese kurzen Aufwachphasen möglicherweise dazu beitragen, um u. a. die räumliche Orientierung und die Wahrnehmung aufrecht zu erhalten?
„In mehreren Experimenten wollen wir genau untersuchen, welchen Einfluss verschiedene Faktoren des Winterschlafs, wie die Häufigkeit der sogenannten Arousals, eine minimale Körpertemperatur sowie die Dauer des gesamten Winterschlafs, auf das Erinnerungsvermögen und die Wahrnehmung von Winterschläfern haben“, erklärt Claudia Bieber weiter.
Für die Studie wählten die ForscherInnen den Siebenschläfer (lat. Glis glis) als Untersuchungsart. Hinsichtlich des Zusammenhanges zwischen Winterschlaf(dauer) und Erinnerungsvermögen, sind diese Tiere besonders spannend. Denn Siebenschläfer sind Weltrekordhalter, wenn es um die natürlich vorkommende Winterschlafdauer geht. Die Nager halten acht Monate – im Extremfall auch elf Monate – Winterschlaf. Wenn sich also der Winterschlaf negativ auf die Erinnerung und Orientierung auswirken sollte, würden Siebenschläfer folglich besonders darunter leiden. Zusätzlich leben Siebenschläfer während ihrer Aktivitätszeit in den Baumkronen und ein sogenannter arborealer Lebensstil bedarf einer gute Koordination.
Testaufgaben nach dem Winterschlaf
Für Untersuchungszwecke kommt modernste, innovative Technik zum Einsatz, wie Claudia Bieber erklärt: „Den Tieren werden kleine Datenlogger implantiert, die über einen Zeitraum von zwei Jahren die saisonale Aktivität und Köpertemperatur aufzeichnen können. So sind wir in der Lage, genau zu verfolgen, wann die Siebenschläfer welche Körpertemperatur aufweisen und wie aktiv sie sind.“ Bevor die Tiere in den Winterschlaf gehen, trainieren sie, in einem Irrgarten zurecht zu kommen und den Weg ins Freie zu finden. Weiters lernen die Siebenschläfer verschiedene Symbole zu erkennen und durch den Sprung auf das richtige Symbol den Ausgang zu finden. Ob sich die Nager an den richtigen Weg aus dem Labyrinth und an die erlernten Symbole auch nach dem Winterschlaf erinnern können, untersuchen die WissenschafterInnen im Frühjahr darauf, sobald die Siebenschläfer wieder erwachen. „Wir möchten einige unserer Tiere auch in Gruppen in großen Volieren unterbringen. Hier haben sie die Möglichkeit, mit Artgenossen ihre Schlafplätze in Nistkästen zu teilen. Durch soziale Netzwerkanalysen wollen wir herausfinden, ob diese Gruppenbildung durch den Winterschlaf beeinflusst wird“, so Claudia Bieber abschließend.
Das Forschungsprojekt wird durch den Wissenschaftsfonds FWF (Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung) unterstützt. Geplanter Projektbeginn: Februar 2021
05.02.2021, Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV) e. V.
Nürnberger Bartgeier bebrüten Eier
Nächster Schritt im Auswilderungsprojekt genommen: Zuchtpaar aus dem Tiergarten hat mit der Brut begonnen – Videos von Balz und Nestbau
Im kommenden Mai wird der bayerische Naturschutzverband LBV in Zusammenarbeit mit dem Nationalpark Berchtesgaden zum ersten Mal drei junge Bartgeier auswildern. Die Wahrscheinlichkeit, dass dabei auch ein Jungvogel aus dem Tiergarten der Stadt Nürnberg stammen könnte, ist nun weiter gestiegen. Das dortige Bartgeier-Paar hat vor kurzem mit der Brut begonnen, nachdem das Weibchen zwei Eier gelegt hatte. „Wir freuen uns sehr darüber, dass das Nürnberger Paar mit dem Brüten begonnen hat. Ein weiterer Schritt hin zu einem jungen fränkischen Bartgeier in den bayerischen Alpen ist somit getan“, so der LBV-Vorsitzende Dr. Norbert Schäffer. Der Nürnberger Tiergarten ist Teil des europäischen Bartgeier-Zuchtnetzwerks (EEP/Erhaltungszuchtprogramm des Europäischen Zooverbands) und freut sich ebenfalls: „Bis Mitte Januar hat unser Weibchen zwei Eier gelegt, die die Geier jetzt im Partnerwechsel bebrüten werden. Ist die Brut erfolgreich, sollten die Jungvögel Anfang März schlüpfen“, so Jörg Beckmann, stellvertretender Direktor und Biologischer Leiter des Tiergartens Nürnberg. Die Geschehnisse rund um das Nürnberger Bartgeier-Paar und seinen Nachwuchs kann dank zweier Kameras im Gehege auch jede*r auf der Webseite des LBV mitverfolgen unter www.lbv.de/bartgeier-auswilderung
Für die meisten Vogelarten ist eigentlich der Frühling die ideale Zeit, um Eier zu legen und mit dem Brutgeschäft zu beginnen. Nicht so bei den Bartgeiern, Europas seltenster Geierart. Diese beginnen bereits im Hochwinter mit der Brut. In ihrem alpinen Lebensraum halten aktuell auch tiefe Minustemperaturen, tagelange Schneefälle und Lawinenabgänge die Brutpaare nicht davon ab, ihre beiden Eier zu legen und sie die nächsten 52 Tage über ausdauernd zu bebrüten. „Diese besondere Brutzeit hängt mit der Ernährung der Küken zusammen, die im Gegensatz zu den Altvögeln keine Knochen verdauen können. Daher hat sich die Art so entwickelt, dass die Küken gegen Ende des Winters schlüpfen, wenn es in den alpinen Lagen durch verunglückte Wildtiere ein reichhaltiges Angebot an Aas gibt“, weiß Toni Wegscheider, LBV-Bartgeierexperte. Dabei handelt es sich vor allem um Gämsen und Steinböcke, die in Lawinen verendet sind und dann im tauenden Schnee zum Vorschein kommen. „Dank einer Synchronisierung des Schlupfzeitraums mit der Schneeschmelze ist sichergestellt, dass genügend Tierkadaver vorhanden sind, mit denen die Eltern ihre Küken füttern können.“
Und obwohl die Bartgeier im Tiergarten Nürnberg weniger harten Wetterbedingungen ausgesetzt sind als ihre Artgenossen in den Alpen, läuft auch bei diesen Vögeln das in Jahrtausenden entwickelte Verhalten ab. Anfang Januar legte das Nürnberger Weibchen das Erste der mehr als faustgroßen Eier, keine zwei Wochen später folgte das Zweite. „Unser erfahrenes Brutpaar wechselt sich derzeit routiniert bei der Bebrütung der Eier ab“, sagt Jörg Beckmann, Vizedirektor des Tiergartens. Somit stehen die Chancen gut, dass Anfang März mindestens ein kleiner Bartgeier in Nürnberg schlüpfen wird. „Sollten zwei Jungvögel schlüpfen, müssen diese nach dem Schlupf sofort getrennt werden, da sie von Natur aus eine starke Aggression gegeneinander aufweisen und immer nur das stärkere Küken überlebt. Das ist nachvollziehbar, da bei insgesamt fast vier Monaten Nestlingszeit in der Natur und Unmengen von Futter, die solch ein heranwachsender Geier fressen muss, die Eltern niemals zwei Junge aufziehen könnten“, erklärt Toni Wegscheider.
Im Nürnberger Tiergarten wiederum wäre es durch ein eingespieltes Expertenteam möglich, das schwächere Küken einem anderen, „kinderlosen“ Bartgeier-Ammenpaar aus dem Zuchtprogramm zukommen und es von diesem ohne menschlichen Kontakt großziehen zu lassen. „Damit würde sich die Wahrscheinlichkeit verdoppeln, dass letztlich eines der beiden Jungtiere im Mai für eine Auswilderung im Nationalpark Berchtesgaden geeignet ist. Sollte ein zweiter Geier schlüpfen, könnte dieser im Rahmen eines anderen Auswilderungsprojekts abgegeben werden oder innerhalb des europäischen Zuchtprogramms für den Fortbestand dieser Art sorgen“, so Beckmann. Die derzeit in den Eiern wachsenden kleinen Bartgeier werden wohl sehr verschiedene Lebenswege einschlagen, aber jeder auf seine Weise könnte einen wichtigen Beitrag zur Zukunft dieser beeindruckenden Spezies leisten.
Erste Videos aus dem Bartgeier-Gehege
Erste beeindruckende Bewegtbilder des Nürnberger Bartgeierpaares liefern Videos des LBV und des Tiergartens Nürnberg, welche die Vögel bei Nestbau, Balz, Kopulation und beim Brüten zeigen. Im Gehege sind zwei Kameras angebracht, welche das Verhalten der beeindruckenden Vögel sowohl im Außenbereich als auch im Horst aufzeichnen. „Balzen, kopulieren und Nistmaterial eintragen. Sowohl die Bartgeier in der Natur als auch die Vögel im Nürnberger Tiergarten waren die letzten Wochen sehr fleißig mit den Vorbereitungen für die jährliche Brutsaison. Dank der tollen Videos kann dies nun jeder miterleben“, sagt Wegscheider.
Über 100 Jahre nach seiner Ausrottung soll dem größten Greifvogel Mitteleuropas die Rückkehr nach Deutschland ermöglicht werden. Der bayerische Naturschutzverband LBV möchte die Erfolgsgeschichte der Wiederansiedelung des majestätischen Vogels in Westeuropa in den kommenden Jahren auch im östlichen Alpenraum fortschreiben.