3.08.2018, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich)
Wie Vögel lernen
Singvögel können sowohl durch Beobachten als auch mittels Experimentieren neue Fähigkeiten erlernen. Durch Experimentieren erworbene Fähigkeiten können sie allerdings besser an neue Situationen anpassen, wie Wissenschaftler der ETH und der Universität Zürich zeigen konnten. Die Forscher sehen auch Parallelen zum Lernen bei Kindern.
Kinder lernen ständig Neues. Das Gelernte zu verallgemeinern und es auch in unbekannten Situationen anzuwenden, fällt ihnen aber je nach Lernweise unterschiedlich leicht. Ganz ähnlich geht es Singvögeln. Auch sie müssen in den ersten Monaten ihres Lebens vieles lernen, beispielsweise den charakteristischen Gesang ihrer Artgenossen. Und auch Vögel bedienen sich wie der Mensch verschiedener Lernweisen. Wie sich diese auf die Fähigkeit zu verallgemeinern auswirken, haben Wissenschaftler unter der Leitung von Richard Hahnloser, Professor an der ETH Zürich und der Universität Zürich, nun bei Zebrafinken untersucht.
In Experimenten konnten die Forschenden zeigen, dass Zebrafinken durch das Beobachten eines Artgenossen lernen können. Die Vögel mussten durch Ausprobieren und Feedback lernen, Vogelgesangsvarianten nach ihrer Länge in zwei Klassen zu unterscheiden. Ohne spezielle Vorbereitung beherrschten die Vögel die Aufgabe im Mittel nach 4700 Wiederholungen. Konnten die Finken ihre Artgenossen zuvor beim Lernen dieser Aufgabe beobachten, brauchten sie nur 900 Wiederholungen. Weil in dieser Versuchsanordnung aus statistischen Gründen 800 Wiederholungen benötigt werden, um das Können der Tiere zu evaluieren, heisst das: Die beobachtenden Vögel beherrschten die Aufgabe praktisch von Anfang an.
Besser verallgemeinern
Anschliessend testeten die Forscher, wie gut die Vögel eine zweite, ähnliche Aufgabe lösen konnten. Die Zebrafinken mussten einen anderen Satz an Gesangsvarianten ebenfalls nach ihrer Länge unterscheiden. Dabei zeigte sich: Die Vögel, welche die erste Aufgabe von Anfang an mittels Ausprobieren und Feedback lernten, konnten die zweite Aufgabe praktisch von Beginn an, nach im Mittel 800 Durchgängen. Die Artgenossen, welche die erste Aufgabe vor allem durch Beobachten lernten, brauchten für die zweite Aufgabe hingegen im Mittel 3600 Durchgänge.
«Bei den Zebrafinken ist demnach das Lernen durch Ausprobieren die robustere Lernmethode», fasst Hahnloser zusammen. «Vögel, die eine Fähigkeit durch Ausprobieren gelernt haben, können diese besser verallgemeinern und an neue Situationen anpassen als solche, welche die Fähigkeit durch Beobachten lernten.»
Beide Lernmethoden haben ihre Vorteile
Gagan Narula, Postdoc in Hahnlosers Gruppe und Erstautor der Studie, weist auf die Parallelen zum Lernen von Kindern und Jugendlichen hin: «Der handlungsorientierte Unterricht, bei dem das Ausprobieren und Experimentieren im Zentrum steht, setzt sich auch in den Schulen immer stärker durch. Zunehmend wird sogar Mathematik in der Sekundarschule mit Hilfe von Experimenten unterrichtet.»
«Beide Lernmethoden haben jedoch ihre Vorteile», sagt Hahnloser. «Lernen durch Beobachten ist schneller.» Er weist darauf hin, dass in unserem Bildungssystem bewusst beide Lernmethoden zur Anwendung kommen: Einerseits der Frontalunterreicht und das Beobachten, andererseits Experimente, Übungen und Hausaufgaben.
Gehirn unterschiedlich involviert
Neuronale Computermodelle halfen den Wissenschaftlern, ihre Ergebnisse zu interpretieren. Aufgrund der Modellrechnungen gehen die Forschenden davon aus, dass im Gehirn der Vögel beim Beobachten viele Nervenzellsynapsen beteiligt sind, diese allerdings verhältnismässig schwach. Beim Ausprobieren hingegen sind nur wenige Synapsen beteiligt, diese jedoch besonders stark, was sich in einer höheren Fähigkeit zur Verallgemeinerung auswirkt. Hahnloser drückt es so aus: «Beim Beobachten merken sich die Vögel ganz viele Gesangsdetails, von denen viele für die Lösung des Lernproblems irrelevant sind. Beim Ausprobieren hingegen merken sich die Vögel weniger. Sie konzentrieren sich auf die prägnantesten Gesangsmerkmale wie die Länge.»
Ob sich unterschiedliche Lernmethoden im Gehirn von Kindern und Jugendlichen ebenfalls auf diese Weise auswirken, bliebe zu untersuchen. «In der Vergangenheit hat die Forschung bei Zebrafinken immer wieder wichtige Hinweise und Hypothesen für die Erforschung neurobiologischer Vorgänge geliefert, auch dazu, wie Menschen ihre Sprache lernen», sagt Hahnloser. «Unsere neusten Erkenntnisse bei Finken führen ebenfalls zu Hypothesen, die man auf geeignete Weise bei Menschen untersuchen könnte, um Lernprozesse besser zu verstehen.»
Das Experiment
Für ihre Experimente benutzen die Wissenschaftler zwei benachbarte Vogelkäfige, die mit einem Sichtschutz voneinander abgetrennt sind. In beiden Käfigen befindet sich je ein Zebrafink. Der eine hat die Aufgabe, durch Ausprobieren und Feedback zu lernen, zwei Klassen von Vogelgesängen zu unterscheiden. Der andere Vogel beobachtet ihn dabei.
Jeder der beiden Vögel kann seinen Artgenossen nur sehen, wenn er in seinem Käfig auf einer bestimmten Sitzstange sitzt. Denn an dieser Stelle befindet sich im Sichtschutz ein Fenster. Weil die Zebrafinken soziallebende Tiere sind, haben sie einen inneren Antrieb, sich auf diese Stange zu setzen.
Fliegt der nach dem Prinzip des Ausprobierens lernende Vogel auf die bestimmte Stange, wird ihm automatisch eine von zehn Varianten eines Zebrafinkengesangs vorgespielt. Die Gesänge variieren in der Länge minim. Nach dieser Länge teilten die Wissenschaftler die Gesänge in zwei Klassen ein: Klasse A umfasst die kürzeren fünf Gesangsvarianten (0,9 bis 1,0 Sekunden), Klasse B die fünf längeren (1,03 bis 1,13 Sekunden). Als Lernanreiz dient ein Luftstoss, der eine Sekunde nach Abspielen eines Gesangs der Klasse B den Vogel anbläst.
Kann der Vogel die beiden Gesangsklassen unterschieden, schafft er es, vor dem leicht unangenehmen Luftstoss zu fliehen. Somit können auch die Wissenschaftler überprüfen, ob ein Vogel die Aufgabe gelernt hat.
Originalpublikation:
Narula G, Herbst J, Hahnloser RHR: Learning to perform auditory discriminations from observation is efficient but less robust than learning from experience. Nature Communications, 13. August 2018, doi: 10.1038/s41467-018-05422-y [http://dx.doi.org/10.1038/s41467-018-05422-y]
13.08.2018, Australisch-Neuseeländischer Hochschulverbund / Institut Ranke-Heinemann
Was wir von Ameisen und Amöben über Koordination und Zusammenarbeit lernen können
Ameisen agieren ohne ein definiertes Oberhaupt, welches die Arbeitszuteilung vornimmt. Wie selbstverständlich übernehmen die einzelnen Ameisen die notwendigen Aufgaben ohne konkreten Arbeitsauftrag. Sie sind sogar in der Lage, komplex landwirtschaftlich tätig zu sein. Wissenschaftler in Melbourne sind der Ansicht, dass wir Menschen uns an der Arbeitsorganisation der Ameisen ein Beispiel nehmen können, um das Verkehrswesen zu entlasten und Fabrikabläufe zu optimieren. Auch auf die philosophische Frage nach der Organisation von Gesellschaften finden wir bei den Ameisen eine Antwort.
Stellen Sie sich eine viel befahrene Straße mit stockendem Verkehr vor. Und nun stellen Sie sich einen Bürgersteig ganz in der Nähe vor, wo hunderte Ameisen sich ganz still in einer Reihe fortbewegen. Während die Autofahrer vor Wut schäumen und ansonsten nichts tun, tragen die Ameisen ihr Essen ins Nest, arbeiten lebhaft zusammen und machen so ihre Arbeit.
Professor Bernd Meyer von der IT-Fakultät der Monash University in Melbourne widmet sein Arbeitsleben den Ameisen und ihren gemeinschaftlichen Entscheidungsfähigkeiten. „Die Ameisen treffen ziemlich komplizierte Entscheidungen,“ erklärt er. „Zum Beispiel finden die Ameisen die besten Nahrungsquellen und den schnellsten Weg hin und zurück ohne Logistikexperten.“
Einzeln seien die Insekten nicht besonders clever, doch zusammen können sie ihre Aktivitäten gut koordinieren. Es gibt einiges, was wir hieraus lernen können. „Die Art und Weise wie Ameisen sich organisieren, kann uns einen Einblick geben, wie die Prozesse im Verkehrswesen reibungsloser ablaufen können und Optimierungsansätze für Fabrikabläufe liefern.
Komplexe Aufgaben angehen
Ameisenkolonien werden manchmal mit Städten verglichen, da eine Myriade von Individuen gleichzeitig verschiedene komplexe Arbeitsschritte koordiniert. Das Team zur Nahrungssuche bildet die Brotkrümelkolonne auf dem Bürgersteig, ein anderes Team kümmert sich um den Nachwuchs, während wieder andere zum Beispiel das Ameisennest bauen oder Selbiges verteidigen. Obwohl die Aufgaben höchst effizient koordiniert werden, „sitzt da niemand, der die Aufgaben verteilt und sagt ‚ihr zwei geht in die Richtung und ihr drei kümmert euch um die Verteidigung‘,“ so Professor Meyer.
„Die Ameisen treffen alle individuelle, kleinere Entscheidungen, die sich nur auf die direkte Umgebung beziehen. Es gibt niemanden, der das große Ganze im Blick behält und doch hat die Kolonie den Überblick als eine Art Super-Organismus. Sie schaffen es, die Arbeitskräfte als Kolonie so zuzuteilen, dass alle Bedürfnisse und Anforderungen gedeckt werden können.“ Bis jetzt weiß niemand ganz genau, wie das bei den Ameisen tatsächlich funktioniert.
Professor Meyer studiert außerdem Schleimformen, „die zwar keine sozialen Insekten sind, aber trotzdem gemeinschaftlich arbeiten“. „Der faszinierende Aspekt dieser Amöben ist, dass sie als Kolonien von separaten Zellen für einen gewissen Lebenszeitraum leben, und dann plötzlich verschmelzen. Diese neue große Zelle besitzt mehrere Zellkerne und agiert dann als einzelner Organismus.
Professor Meyer arbeitet unter anderem mit Associate Professor Martin Burd von der School of Biological Sciences der Monash University zusammen. Biologen und Informatiker betrachten die Ameisen aus verschiedenen Blickwinkeln, aber ihre Forschung „verschmilzt im Endeffekt komplett miteinander“, so Professor Meyer. „Es funktioniert nicht, dass die Biologen zunächst ihre Experimente machen und dann ihre Daten weiterreichen, sodass wir sie dann analysieren können. Alles wird gemeinschaftlich gemacht – und das ist der spannende Teil. Es dauert eine Weile, bis man eine gemeinsame Sprache gefunden hat, aber dann kommt man an dem Punkt an, an dem sich das Denken vermischt und ein neuer konzeptioneller Rahmen geschaffen wird. Hierdurch werden neue Entdeckungen überhaupt erst möglich gemacht.“
Als Informatiker ist er daran interessiert „die zugrunde liegenden mathematischen Prinzipien herauszufinden“, die das Verhalten der Ameisen steuern. „Wir erstellen einen algorithmischen Blick auf die Art und Weise, wie die Ameisen interagieren. Nur so können wir das komplexe Verhalten der Ameisen enträtseln,“ so Professor Meyer.
Verhaltensmodell
Wissenschaftler spüren einzelnen Ameisen nach und erstellen dann ein Verhaltensmodell für mehrere zehntausende Individuen über einen längeren Zeitraum. Sie versuchen nachzubilden, was sie in einem Experiment sehen, überprüfen, ob ihr Model mit den erhobenen Daten übereinstimmt und nutzen das Modell dann, um noch unbeobachtetes Verhalten vorherzusagen und zu erklären.
Bei der Untersuchung der Pheidole megacephala-Ameise fand Meyer beispielsweise heraus, dass sie, wenn sie eine Nahrungsquelle finden, dort nicht nur zusammenlaufen wie viele andere Spezies auch, sondern ihre Entscheidung überdenken, wenn neue Informationen vorliegen. „Was passiert, wenn wir ihnen eine bessere Nahrungsquelle liefern? Viele Spezies würden das komplett ignorieren, da sie nicht dazu in der Lage sind, sich diesen Veränderungen anzupassen. Die Pheidole megacephala würde jedoch tatsächlich umlenken.“
Die Kolonien konnten sich nur für die bessere Alternative entscheiden, weil einzelne Ameisen eine schlechte Entscheidung getroffen hatten. Individuelle Fehler waren also wichtig für die Gruppe als Ganzes, um die Entscheidungen zu verbessern. „Unsere Modelle hatten das vorhergesagt, noch bevor wir eine Spezies gefunden hatten, die das tatsächlich tut,“ erklärt Professor Meyer.
„Wenn das Individuum keine Fehler macht oder unangepasst agieren kann, übernimmt das Gruppendenken, und plötzlich machen alle das Gleiche. Sie können das mathematisch ausformulieren und es sieht so aus, als könnte man die mathematische Formel auf andere Systeme übertragen – komplett unterschiedliche Systeme, inklusive menschliche Gruppen.“
Mehr als 12.500 Ameisenspezies wurden bisher identifiziert, aber man geht davon aus, dass etwa 22.000 existieren. „Ameisen sind ökologisch unglaublich erfolgreich,“ sagt Professor Meyer. „Sie sind quasi überall. Genau das ist einer der interessanten Aspekte – warum sind sie so anpassungsfähig?“
Professor Meyer untersucht auch die Blattschneiderameise und die asiatische Weberameise. Blattschneiderameisen essen die Blätter, die sich zurück in ihr Nest bringen nicht – sie benutzen sie zur Landwirtschaft. „Sie verfüttern sie an einen Pilz, den sie anbauen, und benutzen dies als Nahrungsquelle. Nochmal, das ist ein sehr komplizierter Ablauf, den es zu organisieren gilt.“ Asiatische Weberameisen sind wichtig für die Mangoproduktion in Queensland, wo sie zur natürlichen Schädlingsbekämpfung eingesetzt werden. Laut Professor Meyer sind die Ökosystemdienstleistungen der Ameisen häufig unterschätzt.
Wichtige Rollen
Professor Meyer studiert außerdem Bienen, die für ihre wichtige Rolle bei der Pflanzenbestäubung bekannt sind, aber „Ameisen sind ebenso ein Schlüsselelement des Ökosystems“. Ameisen bereiten beispielsweise den Erdboden auf. Sie verstreuen Samen und können die landwirtschaftliche Produktivität steigern. Es ist noch nicht bekannt, wie sehr Ameisen (wie auch Bienen) von Umweltgiften und Klimaveränderungen betroffen sind.
„Das gehört zu den Dingen, die wir versuchen zu verstehen. Wenn sich der Druck durch die Umwelt erhöht, was passiert dann beispielsweise mit den Ameisen in Queensland, die zur Mangoproduktion verwendet werden? Werden wir dann die gleichen Auswirkungen sehen, wie bei den Bienen?“ Die Ameisen einer Kolonie haben für gewöhnlich alle die selbe Mutter. Aus der Evolutionsperspektive macht es für die individuelle Ameise Sinn sich für das Wohl der Kolonie zu opfern; Ameisen sind absolute Teamplayer.
Menschen haben ein viel größere Bedürfnis nach eigener Handlungsfähigkeit und Unabhängigkeit. Ameisenähnliche Organisationen können im menschlichen Umfeld jedoch manchmal helfen. Professor Meyer sagt, dass viele Industrien ihren Betrieb verbessern, indem sie Algorithmen verwenden, die von dem Verhalten der Ameisen abgeleitet werden. Dazu gehört beispielsweise auch die australische Weinindustrie.
Die Ameisen faszinieren den Menschen. Er denkt, dass der Grund hierfür in dem belebten, aufgabenorientierten Leben der Ameisen liegt, welches eine „größere philosophische Frage aufwerfe. Wie organisieren sich Gesellschaften? Wie können wir eine Gesellschaft erreichen, in der Individuen sich zusammen für das Gemeinwohl einsetzen, ohne hierfür Regeln von oben herab zu diktieren?“
14.08.2018, Universität Hohenheim
Tropische Zeckenarten: Mehrere Funde in Deutschland beunruhigen Fachleute
Ein Team der Uni Hohenheim und des Instituts für Mikrobiologie der Bundeswehr bestätigt 7 Funde der Gattung Hyalomma / eine Zecke trug Zecken-Fleckfieber-Erreger in sich
Der heiße, trockene Sommer macht ihnen gar nichts aus, ganz im Gegenteil: Die tropischen Zeckenarten der Gattung Hyalomma fühlen sich bei dieser Witterung pudelwohl – und könnten sich künftig möglicherweise auch in Deutschland ausbreiten. Sieben Exemplare haben Zeckenforscher an der Universität Hohenheim in Stuttgart und ihre Kollegen am Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr in München in diesem Jahr nachgewiesen. Die Zahl klingt überschaubar, doch bei den Forschern lässt sie die Alarmglocken schrillen. Sie befürchten, dass sich die Blutsauger hier etablieren könnten. Und ein weiterer Punkt beunruhigt sie: Ein Exemplar trug ein gefährliches Bakterium in sich, Rickettsia aeschlimannii, einen bekannten Erreger des Zecken-Fleckfiebers.
Drei an einem einzigen Pferd, eine an einem Schaf und drei weitere auch an drei einzelnen Pferden: Insgesamt sieben Zecken sind es, die derzeit die Zeckenexpertinnen und -experten an der Universität Hohenheim und am Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr (IMB) in München beschäftigen. Das Brisante an den Funden: Es handelt sich um tropische Zeckenarten der Gattung Hyalomma.
„Fünf der sieben Zecken haben wir zweifelsfrei bestimmen können, vier sind der Art Hyalomma marginatum und eine der Art Hyalomma rufipes zuzurechnen. Die beiden restlichen hatte der Pferdebesitzer beim Einsammeln verloren“, erklärt Dr. Lidia Chitimia-Dobler, Zeckenexpertin am IMB. „Hyalomma-Zecken haben wir hier in Deutschland zu diesem Zeitpunkt noch nicht erwartet. Bisher gab es lediglich zwei Einzelfunde in den Jahren 2015 bis 2017.“
Die vergleichsweise großen Tiere mit den auffällig gestreiften Beinen waren in diesem Jahr im Raum Hannover, in Osnabrück und in der Wetterau aufgetaucht, vermutlich über Vögel eingeschleppt. „Diese Zeckenarten könnten in Deutschland Einzug halten“, befürchtet Prof. Dr. Ute Mackenstedt, Parasitologin an der Universität Hohenheim. „Wir werden sie in diesem Jahr verstärkt im Auge behalten und bereiten uns darauf vor, ihr in den nächsten Monaten womöglich noch öfters zu begegnen.“
Klimaerwärmung könnte Etablierung tropischer Zecken-Arten zur Folge haben
Überraschend ist diese Entwicklung für die Expertin allerdings nicht. „Wegen der Klimaerwärmung ist bei uns grundsätzlich mit immer mehr wärmeliebenden Zecken zu rechnen. Ixodes inopinatus aus dem Mittelmeerraum beispielsweise hat sich inzwischen bis Dänemark ausgebreitet.“
Die große Frage sei nun bei den beiden Hyalomma-Arten, ob es sich noch um einzelne eingeschleppte Exemplare handelt oder ob sich die Arten hier etabliert haben. „Bei einer anderen Art, der ursprünglich in Afrika beheimateten Braunen Hundezecke Rhipicephalus sanguineus, sind Exemplare an Hunden gefunden worden, die ihren Hof nie verlassen hatten“, berichtet Prof. Dr. Mackenstedt. „Damit konnten sie kein unbeabsichtigtes Urlaubsmitbringsel sein – ein Hinweis darauf, dass sich die Art hier möglicherweise bereits entwickeln kann.“
Trockenheit begünstigt 2018 die Hyalomma-Arten
Für die Hyalomma-Arten müsse dies künftig beobachtet werden. Dr. Chitimia-Dobler erläutert: „Wir wissen, wie lang der Zeitraum ist, den die Tiere für ihre Entwicklung benötigen. Damit können wir abschätzen, ob sie sich bei einer weiteren Klimaerwärmung mit zunehmend trockenen und heißen Perioden in Deutschland etablieren können.“
Sie führt das Auftreten von Hyalomma-Zecken in Deutschland 2018 auf den heißen, trockenen Sommer zurück. „Diese Zecken bevorzugen eine geringere Luftfeuchtigkeit als die bei uns vorkommenden Zeckenarten. In diesem Jahr kommt die hiesige Witterung den Lebensbedingungen dieser Zecken daher sehr entgegen.“
Gefährlicher Krankheitserreger in einer aufgefundenen Hyalomma-Zecke
In Deutschland sind Zecken vielen Menschen bekannt als Überträger gefährlicher Krankheiten wie der Lyme-Borreliose oder der FSME (Frühsommer-Meningoenzephalitis). Diese Krankheitserreger sind bislang nicht in Hyalomma marginatum und Hyalomma rufipes nachgewiesen worden. Doch auch diese Blutsauger bergen Risiken. Beide Arten gelten insbesondere als wichtige Überträger des Krim-Kongo Hämorrhagischen Fiebers, des Arabisch Hämorrhagischen Fiebers und einer Form des Zecken-Fleckfiebers. Daneben sind sie wichtige Überträger tropischer Erkrankungen der Nutztiere.
PD Dr. Gerhard Dobler, Mediziner und Mikrobiologe am IMB, hat hierzu keine guten Nachrichten: „In einem der gefundenen Exemplare konnten wir den Erreger einer tropischen Form des Zecken-Fleckfiebers nachweisen. Doch zumindest gefährliche Viren als Erreger von hämorrhagischen Fieber-Formen wurden bisher nicht entdeckt.“