Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

12.11.2020, BUND
Brauner Bär ist Schmetterling des Jahres 2021 – Lichtverschmutzung gefährdet die Art
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und die Naturschutzstiftung des nordrhein-westfälischen BUND-Landesverbandes haben den Braunen Bär (Arctia caja) zum Schmetterling des Jahres 2021 gekürt. Sie weisen mit der Wahl des Nachtfalters auf die negativen Folgen der künstlichen Beleuchtung hin. Der Braune Bär ist bundesweit rückläufig und steht auf der Vorwarnliste der bedrohten Tiere. Neben der Lichtverschmutzung sind auch die Intensivierung der Landwirtschaft, der Wegfall von Hecken und Feldgehölzen in der Landschaft und der Flächenverbrauch Ursachen für den Rückgang der Art.
Jochen Behrmann von der Naturschutzstiftung des BUND NRW: „Die Braunen Bären werden von nächtlichen Lichtquellen angelockt und flattern dann orientierungslos bis zur Erschöpfung um sie herum. Neben den direkten Verlusten geht den Insekten so wertvolle Energie und Zeit für Partnersuche und Fortpflanzung verloren, und Fressfeinde wie Fledermäuse haben ein leichtes Spiel.“
Wie die meisten nachtaktiven Insekten kann sich der Braune Bär bei schwachem Mond- oder Sternenlicht gut orientieren. Dagegen blendet speziell das grelle blaue Licht von den Hochdruck-Quecksilberdampflampen der Straßen- und Industriebeleuchtung die Tiere stark. Diese Lampen sollten daher zeitweise ausgeschaltet oder durch Natriumdampflampen und moderne sparsame LED ersetzt werden, die wenig oder gar kein blaues Licht abstrahlen.
Der Braue Bär ist mit bis zu 65 Millimetern Spannweite einer der größeren Nachtfalter in Deutschland und kommt in den gemäßigten Zonen Europas, Asiens und Nordamerikas vor. Zu seinen Besiedlungsgebieten zählen lichte Wälder, Gebüsche, Wiesen und Heiden, aber auch naturnahe Gärten. Die Vorderflügel sind dunkelbraun gefärbt mit einem großmaschigen weißen Muster. Mit zusammengelegten Vorderflügeln sind die Falter im Gewirr von Ästen mit Licht und Schatten hervorragend getarnt, während sie tagsüber rasten. Die Hinterflügel sind dagegen leuchtend rot mit runden blauschwarz gefärbten Punkten. Durch blitzschnelles Öffnen der Vorderflügel zeigt der Falter bei Gefahr diese roten Hinterflügel und kann Vögel erschrecken und selbst entkommen. Die auffälligen Hinterflügel warnen zugleich vor der Ungenießbarkeit des Schmetterlings, denn die Körperflüssigkeit der Falter enthält giftige Stoffe.
Die Schmetterlinge fliegen im Hochsommer und nehmen keine Nahrung auf. Sie leben daher nur für kurze Zeit. Die Raupen sind in der Lage, sich von vielen unterschiedlichen Pflanzen zu ernähren und überwintern am Boden. Die Art hat ihren Namen von der dichten bräunlichen „bärenartigen“ Behaarung der älteren Raupen.
Die BUND NRW Naturschutzstiftung und der BUND küren seit 2003 den Schmetterling des Jahres, um auf die Bedeutung und Bedrohung der Arten aufmerksam zu machen.
Mehr Informationen: Weitere Informationen und druckfähige Fotos finden Sie unter https://www.bund.net/service/presse/pressebilder/aktionen/#c4733 bzw. www.bund-nrw-naturschutzstiftung.de/schmetterling2021
Mehr zum Schmetterling des Jahres: http://www.bund.net/schmetterling-des-jahres

17.11.2020, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Süße Einblicke in den Geschmackssinn der Bienen
Wissenschaftlerinnen der Universität Würzburg haben mit der Genschere CRISPR/Cas9 ein Zuckerrezeptor-Gen der Honigbiene ausgeschaltet. Ihre Studie liefert neue Erkenntnisse über die Geschmackswahrnehmung dieser Insekten.
Dass Honigbienen Süßes schmecken, erscheint uns ganz selbstverständlich, schließlich sammeln diese sozialen Insekten Blütennektar und produzieren daraus Honig. Erstaunlich dabei ist aber, dass Bienen die vielen verschiedenen Zucker, die ihnen bei der Futtersuche begegnen – wie etwa Fruktose, Saccharose, Glucose, Maltose, Melizitose oder Trehalose – lediglich mit drei Rezeptoren wahrnehmen können. Bei der Untersuchung an Zellsystemen konnte die Arbeitsgruppe um Dietmar Geiger, Professor für Pflanzenphysiologie am Lehrstuhl für Botanik I, bestätigen, dass einer dieser Rezeptoren (AmGr3) allein auf Fruktose reagiert, während die anderen beiden (AmGr1 und AmGr2) alle weiteren Zucker detektieren.
Diese Zuckerrezeptoren stehen auch im Mittelpunkt eines Forschungsprojekts von Ricarda Scheiner. Die Biologin ist Professorin und Arbeitsgruppenleiterin am Lehrstuhl für Verhaltensphysiologie und Soziobiologie am Biozentrum der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg. Seit vielen Jahren erforscht sie die molekularen Grundlagen der Verhaltenssteuerung bei Honigbienen.
Publikation in „Chemical Senses“
Gemeinsam mit ihrem Team ist es Scheiner nun gelungen, das Gen des spezifischen Fruktoserezeptors AmGr3 mit Hilfe der Genschere CRISPR/Cas9 in Bieneneiern auszuschalten. Anschließend haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die so mutierten Tiere künstlich aufgezogen und auf ihre Geschmackswahrnehmung hin untersucht. Die Ergebnisse haben Sie vor Kurzem in der Fachzeitschrift Chemical Senses veröffentlicht.
„Honigbienen ohne den AmGr3-Rezeptor schmeckten weniger Fruktose als die Kontrolltiere, ihr Geschmack für Saccharose blieb unbeeinflusst“, beschreibt Laura Degirmenci, die Erstautorin der Studie, das zentrale Ergebnis dieser Experimente. Die Wissenschaftlerin konnte damit die früheren Ergebnisse aus Versuchen an Zellsystemen am Tiermodell bestätigen, wonach AmGr3 ein Fruktose-Rezeptor ist.
Darüber hinaus zeige die Arbeit, „dass die CRISPR/Cas9-Methode eine effektive Methode für Rezeptor- und Verhaltensuntersuchungen in diesem Organismus darstellt“, so Degirmenci. Die Arbeitsgruppe von Ricarda Scheiner hat die Arbeit mit der Genschere in der Forschung an Honigbienen in jüngster Zeit an der Universität Würzburg etabliert. Im Frühjahr 2020 hat sie dafür den mit einer halben Million Euro dotierten Momentum-Forschungspreis der Volkswagenstiftung erhalten.
Originalpublikation:
Değirmenci, L., Geiger, D., Ferreira, F. R., Keller, A., Krischke, B., Beye, M., Steffan-Dewenter, I. & Scheiner, R. “ CRISPR/Cas 9 mediated mutations as a new tool for studying taste in honeybees“ CHEMICAL SENSES. Vol. 45, Issue 8, October 2020, Pages 655–666 https://doi.org/10.1093/chemse/bjaa063

17.11.2020, Forschungsverbund Berlin e.V.
Vogelvielfalt in Städten hängt maßgeblich von der Verfügbarkeit natürlicher Nahrung ab
Urbanisierung verändert die natürlichen Lebensräume vieler Wildtierarten und stellt diese vor vielfältige Herausforderungen, was sich etwa auf das Vorkommen und die Bestandsgrößen vieler Vogelarten auswirkt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) und der Technischen Universität Berlin (TUB) werteten nun gemeinsam Daten des Senats von Berlin zur Häufigkeit von Brutvögeln aus, die von Bürgerwissenschaftler*innen gesammelt wurden. Hauptergebnis ist, dass die Häufigkeit von Beutetieren, wie Insekten oder Spinnen, ein Schlüsselfaktor für die Vogelvielfalt in der Stadt ist.
Je mehr Beutetiere verfügbar sind, desto vielfältiger ist die städtische Vogelgemeinschaft. Interaktionen zwischen Arten, wie Beutegreifer-Beute-Beziehungen, seien damit ein wichtiger Faktor, um urbane Biodiversität zu erklären – ebenso wie Auswirkungen direkter Störungen durch den Menschen und die Habitatstruktur. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift „Diversity and Distributions“ veröffentlicht.
Wechselwirkungen zwischen Arten prägen die Zusammensetzung von Wildtiergemeinschaften grundlegend und bestimmen, welche Arten und wie viele Individuen in bestimmten Lebensräumen zu finden sind. Sind beispielsweise starke Konkurrenten vorhanden, kann dies dazu führen, dass andere Arten weniger häufig oder gar nicht anzufinden sind. In ähnlicher Weise beeinflussen die Häufigkeit und Verteilung von Beutetieren die Anzahl der Beutegreifer in einer Gemeinschaft. „Obwohl die Bedeutung der Wechselwirkungen zwischen Arten für die Ausprägung der biologischen Vielfalt (Biodiversität) weithin anerkannt ist, konzentrieren sich Studien zur städtischen Biodiversität in der Regel auf die Auswirkungen anthropogener Störungen und der vorhandenen Habitatstruktur und vernachlässigen dabei die Interaktionen zwischen den Arten“, sagt Stephanie Kramer-Schadt, Leiterin der Abteilung für Ökologische Dynamik am Leibniz-IZW und Professorin an der TUB. Um abzuschätzen, wie sich Arteninteraktionen auf die Vogelvielfalt in Städten auswirken können, analysierte das Team um die leitende Autorin Aimara Planillo aus Kramer-Schadts Abteilung am Leibniz-IZW die vom Berliner Senat von Freiwilligen (Bürgerwissenschaftler*innen) gesammelten Daten zum Brutgeschehen von 66 heimischen Vogelarten. Sie setzte diese in Beziehung zu Daten zum Vorkommen von Wirbellosen wie Insekten oder Spinnen, die im Rahmen eines vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Verbundprojekts der Berliner Forschungseinrichtungen (BBIB-BIBS) erhoben wurden. Damit konnten sie die Auswirkungen sowohl von nahrungsbezogenen (Beuteverfügbarkeit) als auch nicht-nahrungsbezogenen (z.B. Konkurrenz) Wechselwirkungen zwischen Arten bestimmen und diese in Bezug zum Urbanisierungsgrad der Lebensräume (von Randgebieten zum verdichteten Zentrum) setzen.
„Durch die Anwendung ausgeklügelter mathematischer Modelle auf die Biodiversitätsdaten konnten wir zeigen, dass der Reichtum an wirbellosen Beutetieren einer der wichtigsten Faktoren ist, der die städtische Vogelvielfalt beeinflusst“, sagt Planillo. Senior-Autorin Viktoriia Radchuk fügt hinzu: „Wichtig ist, dass die Auswirkungen der Beutetierhäufigkeit vom Grad der Urbanisierung abhängen. Beutereichtum hatte einen positiven Einfluss auf die Vogelvielfalt bei niedrigem bis mittlerem Urbanisierungsgrad. In den stark verstädterten Gebieten wirkt sich der Beutereichtum nicht mehr auf die Vogelwelt aus, da diese Gebiete von Vogelarten bewohnt werden, die mit einem Leben in stark verstädterten Gebieten sehr gut zurechtkommen und sich oft von Nahrung menschlichen Ursprungs ernähren.“
Anhand dieser Analysen waren die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Lage, die in Berlin vorkommenden Vogelarten in drei Gruppen zu unterteilen. Diese unterscheiden sich darin, wie sie auf Umweltvariablen und die Häufigkeit von wirbelloser Beute reagieren. „Wir haben in der Berliner Vogelwelt Stadt-, Wald- und Offenlandarten gefunden“, erklärt Radchuk. „Städtische Arten ähneln den städtischen Nutznießern, da sie auch bei einem hohen Grad menschlicher Störung in großer Zahl fortbestehen. Waldarten ähneln den Arten, die gut mit städtischen Verhältnissen zurechtkommen, sie reagieren stark auf den Grad der Urbanisierung und werden durch eine hohe Baumbedeckung und einen hohen Anteil an Wirbellosen begünstigt. Offenlandarten schließlich werden durch die Urbanisierung stark negativ und durch Baumbewuchs und offene Grünflächen positiv beeinflusst. Sie waren auch die seltensten der drei Gruppen.“
Diese Kategorisierung der Vogelarten ermöglicht es, maßgeschneiderte Schutzstrategien für die jeweiligen Arten zu entwickeln. „Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Bewirtschaftung städtischer Gebiete sehr wichtig für die Vogelvielfalt in Städten ist, weil sie die Artenvielfalt der Wirbellosen entweder massiv beeinträchtigen oder sogar erhöhen kann“, so Planillo abschließend. „Um das Überleben von Spinnen oder Insekten zu gewährleisten, regen wir eine extensive Nutzung oder reduzierte Mahd in urbanen Grünflächen an. Totholz und Steine sollten auch in innerstädtischen Gebieten an Ort und Stelle belassen und stillgelegte Flächen erhalten werden. Nicht zuletzt würde sich auch ein verringerter Einsatz – oder vorzugsweise die völlige Vermeidung – von Pestiziden positiv auf die Insekten- und Spinnenwelt und damit auf die Vogelvielfalt auswirken.“
Originalpublikation:
Planillo, A, Kramer‐Schadt, S, Buchholz, S, Gras, P, von der Lippe, M, Radchuk, V (2020): Arthropod abundance modulates bird community responses to urbanization. Divers Distrib 2020; 00: 1–16. https://doi.org/10.1111/ddi.13169

18.11.2020, Universität Basel
Explosive Artbildung bei Buntbarschen im Tanganjikasee
Der afrikanische Tanganjikasee ist ein Schauplatz, an dem die Evolution beeindruckendes geleistet hat: Buntbarsche kommen dort in aussergewöhnlicher Artenvielfalt vor. Ein Forschungsteam der Universität Basel ist diesem Phänomen auf den Grund gegangen und liefert im Fachmagazin «Nature» neue Erkenntnisse zur Entstehung biologischer Vielfalt.
Die Erdgeschichte ist geprägt von Phasen des Massensterbens, aber auch von Episoden mit schlagartiger Entstehung einer Vielzahl neuer Arten. Diese in Fachkreisen als «adaptive Radiation» bezeichnete schnelle Artbildung ist für einen massgeblichen Teil der Vielfalt des Lebens auf unserem Planeten verantwortlich. Im Verlauf der kambrischen Radiation vor etwa 540 Millionen Jahren (auch kambrische Explosion genannt) entstanden beispielsweise die meisten der heute existierenden Tierstämme.
Ein eindrückliches Beispiel für das Ergebnis von «adaptiven Radiationen» sind die Buntbarsche der grossen afrikanischen Seen Viktoria, Malawi und Tanganjika. Diese auch «Cichliden» genannten tropischen Süsswasserfische sind wegen ihrer Farbmuster bei Aquarianern sehr beliebt und gehören zu den artenreichsten Wirbeltiergruppen überhaupt. Was diese massiven adaptiven Radiationen auslöste, und wie der Prozess der explosiven Artbildung im Detail verläuft, war bisher weitgehend unbekannt.
Die Phasen einer adaptiven Radiation
Am Beispiel der Buntbarsche hat ein Forschungsteam unter der Leitung von Prof. Dr. Walter Salzburger von der Universität Basel den Verlauf der adaptiven Radiation im afrikanischen Tanganjikasee untersucht. Auf ausgedehnten Forschungsreisen nach Burundi, Tansania und Sambia sammelte das Team Belegexemplare von allen etwa 240 im Tanganjikasee vorkommenden Buntbarsch-Arten. Zurück in Basel wurden diese Proben dann eingehend untersucht.
Die Forschenden vermassen beispielsweise den Körperbau und die Kieferform eines jeden Fisches mittels hochauflösender computer-tomographischer Verfahren. Insbesondere interessierten sich die Forschenden für die dreidimensionale Struktur des sogenannten Pharyngealkiefers. Dieser zusätzliche Kieferapparat im Rachen der Buntbarsche dient dem Zermahlen der Nahrung und erlaubt ihnen, sich auf eine ganz bestimmte Ernährungsweise zu spezialisieren.
Um die Ökologie der verschiedenen Arten zu bestimmen, analysierten die Zoologinnen und Zoologen – in Zusammenarbeit mit dem Fachbereich Botanik der Universität Basel – die Zusammensetzung von stabilen Kohlenstoff- und Stickstoff-Isotopen im Muskelgewebe der Fische. Die Isotopenanalyse gibt Aufschluss über den Lebensraum der Arten sowie ihre Ernährungsweise. Ausserdem sequenzierte das Forschungsteam für jede Art das komplette Erbgut zweier Individuen. So liess sich unter anderem der komplette Stammbaum der Buntbarsche im Tanganjikasee rekonstruieren.
Auf Basis ihrer umfangreichen Analysen konnten die Forschenden zeigen, dass die Evolution der Buntbarsche im Tanganjikasee seit der Entstehung des Sees vor etwa 10 Millionen Jahre nicht kontinuierlich verlief, sondern dass es drei zeitlich scharf abgegrenzte Intervalle schneller morphologischer Veränderung gab.
«In jeder dieser aufeinanderfolgenden Phasen der adaptiven Radiation stand die Spezialisierung auf einen anderen Aspekt des Lebensraumes im Vordergrund», beschreibt Erstautorin Fabrizia Ronco die Ergebnisse der Studie. Vor allem der Pharyngealkiefer spielte hier eine zentrale Rolle, ging dessen schnelle Veränderung doch mit der Entstehung von einer Vielzahl von neuen Arten einher.
Neue Einblicke in die Entstehung biologischer Vielfalt
Durch die Untersuchung der rund 600 neu sequenzierten Buntbarsch-Genome konnten die Basler Forschenden zeigen, dass besonders arten- und formenreiche Abstammungslinien von Buntbarschen auch genetisch vielfältiger sind. «Ob eine erhöhte genetische Vielfalt ein generelles Merkmal von artenreichen Gruppen ist, oder ob das nur für Buntbarsche zutrifft, ist noch unklar», so Salzburger.
Für Evolutionsbiologen bieten artenreiche Radiationen wie die der Buntbarsche im Tanganjikasee die spannende Möglichkeit, diejenigen Faktoren zu identifizieren, die zu einer erhöhten biologischen Vielfalt führen. Die Erkenntnisse der Basler Zoologinnen und Zoologen bieten hierfür neue Anhaltspunkte.
Originalpublikation:
Fabrizia Ronco, Michael Matschiner, Astrid Böhne, Anna Boila, Heinz H. Büscher, Athimed El Taher, Adrian Indermaur, Milan Malinsky, Virginie Ricci, Ansgar Kahmen, Sissel Jentoft and Walter Salzburger
Drivers and dynamics of a massive adaptive radiation in cichlid fishes
Nature (2020), doi: 10.1038/s41586-020-2930-4
https://doi.org/10.1038/s41586-020-2930-4

18.11.2020, Universität Zürich
Urzeit-Hai hielt seine grössten Zähne gut verborgen
Manche, wenn nicht sogar alle Haie, die vor 300 bis 400 Millionen Jahren lebten, klappten ihre Kiefer nicht nur nach unten, sondern drehten sie zugleich gegen aussen. Dadurch konnten sie ihre grössten, schärfsten und nach innen gerichteten Zähne bei Fangen der Beute optimal zum Einsatz bringen. Dies zeigen Paläontologinnen und Paläontologen der Universitäten Zürich und Chicago mithilfe von Computertomografie und 3D-Druck.
Spitz, weiss und gefürchtet – die scharfen Zähne der Haie wachsen in mehreren Reihen kontinuierlich nach und sind bereits bei leicht geöffnetem Maul gut erkennbar. Das war nicht immer so. Bei den Vorfahren heutiger Knorpelfische, zu denen neben Haien auch Rochen und Chimären gehören, verlief der Zahnwechsel deutlich langsamer. Im geschlossenem Maul standen die älteren, kleineren und bereits abgenutzten Zähne senkrecht auf dem Kiefer, während die neueren, grösseren Zähne in Richtung Zunge wiesen und so meist gut versteckt waren.
Computertomografie ermöglicht Kiefer-Rekonstruktion
Die Beschaffenheit und Funktionsweise dieser eigentümlichen Kieferkonstruktion haben Paläontologinnen und Paläontologen der Universität Zürich zusammen mit Forschenden der Universität Chicago und dem Naturalis Biodiversity Center in Leiden anhand eines 370 Millionen Jahre alten Knorpelfischs aus Marokko untersucht. Mittels Computertomografie konnten sie den Kiefer nicht nur rekonstruieren, sondern auch dreidimensional ausdrucken. Dies ermöglichte ihnen, seine Funktionsweise nachzustellen und zu testen.
Dabei stellte sich heraus, dass die beiden Unterkiefer-Seiten anders als beim Menschen nicht in der Mitte verschmolzen sind. Dies ermöglichte es den Tieren, die Kieferhälften nicht nur nach unten zu klappen, sondern sie zugleich automatisch auch nach aussen zu drehen. «Durch diese Drehung stellen sich die jüngeren, grösseren und spitzeren Zähne auf, die normalerweise ins Innere des Maules zeigten. So konnte die Beute besser aufgespiesst werden», erläutert Erstautorin Linda Frey. «Mit der Innendrehung beim Schliessen der Kiefer ziehen die Zähne den Fang dann gleich ein Stück weit ins Maul hinein.»
Verbreitetes Kiefergelenk im Erdaltertum
Dies hatte nicht nur den Vorteil, dass die grösseren, nach innen gerichteten Zähne gebraucht werden konnten. Es ermöglichte auch das sogenannte Saugschnappen, wie Frey erläutert: «In Kombination mit der Auswärtsbewegung bewirkte das Öffnen der Kiefer einen Wasserstrom nach innen, das Schliessen einen mechanischen Zug, um die Beute gleichzeitig sicher festzuhalten und ruhigzustellen.»
Weil knorpelige Skelette kaum mineralisiert und als Fossilien meist nicht so gut räumlich erhalten sind, blieb diese Kieferkonstruktion über lange Zeit unerkannt. «Das von uns beschriebene, hervorragend erhaltene Fossil ist eine Ausnahmeerscheinung», betont UZH-Paläontologe und Letztautor Christian Klug. Er und sein Forschungsteam gehen davon aus, dass der von ihnen untersuchte Kiefergelenkstyp im Erdaltertum eine wichtige Rolle gespielt hatte. Mit einem schnelleren Zahnwechsel ging er im Laufe der Evolution jedoch verloren und wurde durch die oft eigenartig konstruierten und komplexeren Kiefer moderner Haie und Rochen ersetzt.
Originalpublikation:
L. Frey, M. I. Coates, K. Tietjen, M. Rücklin and C. Klug. A symmoriiform from the Late Devonian of Marocco demonstrates a derived jaw function in ancient chondrichthyans. Communications Biology. 17 October 2020. DOI: https://doi.org/10.1038/s42003-020-01394-2

18.11.2020, Staatliche Naturwissenschaftliche Sammlungen Bayerns
Manche mögen‘s heiß: Globale Erwärmung als Motor für Evolution der Langhalssaurier
Ein internationales Paläontologen-Team, zu dem auch SNSB-Forscher Oliver Rauhut gehört, findet Belege für einen raschen Klimawandel vor 180 Millionen Jahren als Ursache für die Ausbreitung der weithin bekannten Langhalssaurier (Sauropoden). Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forscher in der angesehenen wissenschaftlichen Zeitschrift „Proceedings of the Royal Society of London“.
Das Wort „Dinosaurier“ verbinden die meisten Menschen mit der Vorstellung von riesigen Tieren mit massigen Körpern, langen Hälsen und Schwänzen und winzigen Köpfen. Diese Langhalssaurier (Sauropoden) sind somit für viele der „Urtyp“ eines Dinosauriers. Zu den Sauropoden gehören die größten bekannten landlebenden Tiere überhaupt, mit einer Körperlänge von bis zu 40m und einem Gewicht von 70 Tonnen oder mehr.
Diese Riesen tauchten jedoch nicht direkt zu Beginn der Ära der Dinosaurier vor ca. 230 Millionen Jahren auf. In den ersten fünfzig Millionen Jahren ihrer Evolutionsgeschichte waren die Sauropodomorpha – die Dinosauriergruppe, zu der die Sauropoden gehören – durch mehrere Entwicklungslinien vertreten. Obwohl einige von ihnen bereits Körpergrößen von etwa zehn Metern Länge und einigen Tonnen Gewicht erreichten, umfassten diese Gruppen auch kleinere und leicht gebaute Tiere, einige nicht größer als eine Ziege. Darüber hinaus hatten alle frühen Sauropodomorpha ziemlich schmale, wenig robuste Zähne: Ein Hinweis darauf, dass sich diese pflanzenfressenden Tiere von einer eher weichen und üppigen Vegetation ernährten. Gegen Ende des frühen Jura, vor etwa 180 Millionen Jahren, verschwanden jedoch plötzlich alle diese Gruppen, und nur eine Linie überlebte und gedieh – die Sauropoden. Was diese Veränderung der Fauna während des frühen Jura verursachte, war den Paläontologen bis heute ein Rätsel.
Ein internationales Forscherteam veröffentlichte nun in der angesehenen wissenschaftlichen Zeitschrift „Proceedings of the Royal Society of London“ neue Erkenntnisse, was diese Veränderungen verursacht haben könnte. An der Studie ist auch der Münchner Dinosaurierexperte Oliver Rauhut von der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie (SNSB-BSPG) sowie der Ludwig-Maximilians-Universität München beteiligt. In der Provinz Chubut im argentinischen Patagonien entdeckten die Forscher nicht nur die fossilen Überreste einer der ältesten bekannten großen Sauropoden, Bagualia alba, sondern sie konnten ihren Fund auch sehr genau in seinen zeitlichen und ökologischen Kontext einordnen. Die Gesteinsschichten, aus denen der neue Sauropode stammt, konnten genau auf 179 Millionen Jahre datiert werden. In den umgebenden Gesteinen fanden sich Pflanzenfossilien aus der Zeit, in der und bevor Bagualia alba lebte – diese Funde geben wertvolle Hinweise auf das damalige Klima und Ökosystem.
Die Art und Verteilung der Pflanzenfossilien deuten darauf hin, dass es vor etwa 180 Millionen Jahren einen raschen Klimawandel gab: von einem gemäßigten warmen und feuchten Klima, in dem eine vielfältige, üppige Vegetation verbreitet war, zu einem stark jahreszeitlich geprägten, sehr heißen und trockenen Klima, das durch eine weniger vielfältige Flora gekennzeichnet ist. In den jüngeren Gesteinsschichten dominierten somit Pflanzen, die speziell an heiße Klimazonen angepasst sind, wie z.B. bestimmte Nadelbäume. Als Grund für diese Umweltveränderungen vermuten die Forscher einen globalen Treibhauseffekt. Vor 180 Millionen Jahren gab es zunehmend große Vulkanausbrüche, die große Mengen der Treibhausgase CO2 und Methan freigesetzt haben. Beweise für diese Vulkanausbrüche finden sich auf vielen südlichen Kontinenten, wie z.B. den Drakensbergen im südlichen Afrika.
Mit ihren schmalen, länglichen Zähnen waren die meisten Gruppen der Sauropodomorphen an die eher weiche Vegetation angepasst, die vor dem globalen Erwärmungsereignis die Erde bedeckte. Als diese Flora durch die viel zähere, an Trockenheit angepasste Vegetation ersetzt wurde, starben diese Tiere aus. Die Sauropoden waren die einzige Gruppe unter den Sauropodomorphen, die ein viel robusteres Gebiss hatten. Sie waren damit viel besser an die zähe Pflanzennahrung angepasst und wurden zur dominierenden Gruppe der pflanzenfressenden Dinosaurier zu dieser Zeit. Die Forscher vermuten, dass die Spezialisierung auf die zähe Nahrung auch einer der Gründe war, warum diese Tiere ihre gigantischen Ausmaße erreichten: Um mit dieser Nahrung fertig zu werden, wurden große Verdauungskammern benötigt.
Originalpublikation:
Pol D, Ramezani J, Gomez K, Carballido JL, Carabajal AP, Rauhut OWM, Escapa IH, Cúneo NR. 2020 Extinction of herbivorous dinosaurs linked to Early Jurassic global warming event. Proc. R. Soc. B 20202310. http://dx.doi.org/10.1098/rspb.2020.2310

19.11.2020, Universität Potsdam
Keine Erdbebenvorhersagen aus Tierverhalten – Forscher von Uni Potsdam und GFZ widerlegen Behauptungen aktueller Studie
Mittels mathematischer Statistik zeigen Forscher der Universität Potsdam und des Helmholtz-Zentrums Potsdam, dass basierend auf den vorliegenden Daten zu Tierverhalten erfolgreiche Erdbebenvorhersagen nicht möglich sind. In einem aktuellen Kommentar wird damit die Kernaussage einer vielbeachteten Studie der Universität Konstanz und des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie widerlegt.
Die angebliche Vorhersage starker Erdbeben aufgrund anomalen Tierverhaltens hat lange Tradition: Bereits 373 v.Chr. gab es im alten Griechenland Geschichten von Ratten und Tausendfüßlern, die sich vor großen Erdbeben in Sicherheit brachten. Vor etwa 40 Jahren wurde in China Aufhebens um warnendes Verhalten von Tieren gemacht. Im Jahr 2013 berichtete eine Gruppe der Universität Duisburg-Essen während der Fachtagung der European Geosciences Union von Verhaltensänderungen roter Waldameisen vor Erdbeben. Plausible Theorien oder stichhaltige Statistiken konnten aber nie vorgelegt werden.
Im Jahr 2020 erschien eine aufsehenerregende Arbeit von Wikelski et al. (Ethology. 2020; 126: 931–941), die sich aufgrund der exzellenten Datenbasis von den vorgenannten Studien deutlich unterscheidet: In einem italienischen Erdbebengebiet wurden über längere Zeiträume Tiere mit Bewegungssensoren bestückt, sodass ein Zusammenhang zwischen Tierbewegungen und – durch Erdbeben hervorgerufene – Bodenbewegungen statistisch fundiert untersucht werden konnte. Die Studie kam zu dem Resultat, dass eine kontinuierliche Überwachung von Tierkollektiven an verschiedenen Orten empfehlenswert ist, um statistisch zuverlässige Muster der Bodenbewegungen für die kurzfristige Erdbebenvorhersage zu erhalten.
Gert Zöller, Professor am Institut für Mathematik der Universität Potsdam, hat nun in einem kürzlich veröffentlichten Kommentar gemeinsam mit Kollegen des Deutschen GeoForschungsZentrums das zentrale Ergebnis der beschriebenen Studie widerlegt. „In unserem Kommentar zu diesem Artikel überprüfen wir die Resultate mittels moderner Methoden der mathematischen Statistik und demonstrieren, dass die Vorhersagefähigkeit von Tierverhalten nicht besser ist als im Fall zufällig generierter Vorhersagen, also durch beliebiges Raten“, erläutert er. „Die Anwendung mathematischer Statistik zeigt eindeutig, dass die Evidenz für erfolgreiche Erdbebenvorhersagen aufgrund auffälligen Tierverhaltens gleich Null ist.“
Publikation: Zöller, G, Hainzl, S, Tilmann, F, Woith, H, Dahm, T. Comment on “Potential short‐term earthquake forecasting by farm animal monitoring” by Wikelski, Mueller, Scocco, Catorci, Desinov, Belyaev, Keim, Pohlmeier, Fechteler, and Mai. Ethology. 2020; 00: 1-5. https://doi.org/10.1111/eth.13105

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