Jeannine Meighörner: Die silberne Riesin (Rezension)

Clara (* 1738 in Bengalen; † 14. April 1758 in London) war ein zahmes weibliches Panzernashorn, das Mitte des 18. Jahrhunderts durch eine siebzehnjährige Ausstellungstour berühmt wurde. Es betrat 1741 in Rotterdam europäischen Boden und war das erste Rhinozeros, das seine Ankunft in Europa nachweislich um viele Jahre überlebte.
Clara wurde 1738 im Alter von ungefähr einem Monat von Jan Albert Sichterman aufgenommen, nachdem ihre Mutter von indischen Jägern getötet worden war. Sichterman war Direktor der Niederländischen Ostindien-Kompanie in Bengalen. Clara wurde zahm und durfte sich frei in und um Sichtermans Residenz bewegen. 1740, als das Tier zu groß für den Aufenthalt in einem Haushalt zu werden begann, verkaufte Sichterman das Nashorn an Douwe Jansz Mout, Kapitän der Knappenhof, der mit ihm in die Niederlande zurückkehrte.
Den Versuch, ein solches Tier auf dem Seeweg nach Europa zu transportieren, hatten nur wenige Exemplare in den Jahrhunderten zuvor überlebt. Clara überstand, wie berichtet wird, die Reise an Bord des Segelschiffes gut. Das Nashorn war noch nicht ausgewachsen und von klein auf gewöhnt an die Umgebung mit Menschen im Hause Sichtermans. Die Besatzung versorgte es, wie berichtet wird, an Bord mit Heu und mit Orangen. Am 22. Juli 1741 erreichte Clara auf der Knabenhoe Rotterdam.
Die Seltenheit des Tieres in Europa könnte Douwe Mout bewogen haben, Clara zur Schau zu stellen. Beschreibungen sprachen zuweilen davon, das Nashorn könne hundert Jahre alt werden, so dass sich ihm eine sichere Verdienstmöglichkeit zu eröffnen schien. Belegt in den Archiven der Stadt Leiden in Holland ist sein Rücktritt aus der niederländischen Ostindien-Kompanie im Jahr 1741.
In Leiden entstanden zwei Stiche von Clara, angefertigt von Jan Wandelaar, die erst 1747 im Anatomie-Atlas Tabulae sceleti et musculorum corporis humani des Bernhard Siegfried Albinus erschienen. Sie zeigen das noch junge Nashorn mit dem sich erst bildenden Horn zusammen mit einem menschlichen Skelett, einmal von vorn und einmal von hinten. In den Jahren vor der Drucklegung des Atlanten wurden die beiden Blätter jedoch bereits als Einzelstücke in Leiden und auch darüber hinaus verkauft und machten Van der Meers Nashorn einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Für die Reisen Claras wurden zudem Flugblätter herausgegeben, die die Schaustellungen in den verschiedenen Orten ankündigten. Sie sind in gut zwanzig Exemplaren in Museen, Bibliotheken und in Privatbesitz erhalten. Diese Zettel waren immer gleich aufgebaut: Sie zeigten in der oberen Hälfte ein (zuweilen variiertes) Bild des Nashorns und darunter nach Ort und Zeit der Veranstaltung den stets nahezu gleichen Ankündigungstext.
Für Claras Transport entwarf Douwe Mout zudem ein spezielles Fuhrwerk. Anders als die Herrscher der früheren Jahrhunderte, die ihre großkalibrigen Tiergeschenke, wie zum Beispiel Soliman, den ersten Elefanten in Wien, durch halb Europa marschieren ließen, gebot das Geschäftsinteresse Douwe Mouts, sich die Schaustellung bezahlen zu lassen und das Tier auf seiner Reise von Ort zu Ort deshalb nicht den Blicken Neugieriger auszusetzen. Auf einem Gemälde eines unbekannten Malers aus dem Kreis von Pietro Longhi aus dem Jahr 1751, das Clara in Venedig zeigt, sieht man im Hintergrund ihren Reisewagen: einen massiven Holzkasten mit auffallend großen Rädern und einem kleinen Fenster, das Licht und Luft einließ, so dass das Tier vor Irritationen geschützt und zugleich den Blicken entzogen war; ein hölzerner Querriegel deutet auf eine seitliche Rampe zum Ein- und Ausstieg hin. Das Fuhrwerk mit dem in den nächsten Reisejahren auf mehr als drei Meter Kopfrumpflänge und gut zwei Tonnen Gewicht heranwachsenden Nashorn wurde von acht Pferden gezogen.

Clara, war so berühmt und einzigartig, dass ihr ein sehr detaillierter Wikipedia-Artikel gewidmet wurde. Manche Schauspieler dürfen mit weniger zufrieden sein.
Jeannine Meighörner hat Clara in ihrem aktuellen historischen Roman DIE SILBERNE RIESIN neues Leben eingehaucht. Anhand des Untertitels und des Covers bin ich davon ausgegangen dass Maria Theresia eine größere Rolle spielt, zumal Jeannine Meighörner in ihren früheren Büchern über starke Frauengestalten schrieb (zumindest wenn ich nach den Klappentexten gehe, gelesen habe ich von der Autorin noch nichts) , andererseits … auch Clara ist eine starke Frau, nur anders als erwartet.
Meighörner fällt es leicht den Leser in Claras Zeit zu versetzen und ihm das Gefühl zu geben, hautnah dabei zu sein. Das 18. Jahrhundert wird lebendig und der Leser trifft auf interessante Schauplätze und Persönlichkeiten (von denen Maria Theresia nur den Anfang macht).
Ist DIE SILBERNE RIESIN nun ein Frauenroman? Die Hauptperson ist ein Nashorn, und jeder der ein Interesse an Nashörnern hat sollte dieses Buch lesen. Wikipedia hin oder her, hier wird (mit den üblichen künstlerischen Freiheiten, welche den Stoff erst lebendig machen und nicht so trocken wie einen Lexikoneintrag lesen lassen) der Leser direkt an Claras Reise beteiligt. Und das auf sehr kurzweilige Weise.

(Rezensionsexemplar)

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