Die Suppenschildkröte in Brehms Tierleben

Suppenschildkröte (Brehms Tierleben)

Die Suppenschildkröte (Chelone viridis, Testudo viridis und mydas, Chelonia viridis, midas, virgata, maculosa, marmorata, formosa und tenuis, Enchelys macropus), ein sehr großes Thier von mehr als 2 Meter Länge und über 500 Kilogramm Gewicht, kennzeichnet sich durch den vorn nicht hakig gekrümmten und vorgezogenen, sondern abgestumpften, übrigens aber scharfen, fein gezähnelten Kiefer, durch die neben, nicht über einander liegenden Platten ihres Rückenschildes und ein einziges Schilderpaar zwischen den Nasenlöchern und dem Stirnschilde. Alle übrigen Merkmale ändern so vielfach ab, daß sie zur Aufstellung von etwa zehn verschiedenen Arten Veranlassung gegeben haben. Die ebensowenig beständige Färbung der Oberseite ist in der Regel ein düsteres Bräunlichgrün, die der Unterseite ein vielfach bläulich und röthlich geädertes Schmutzigweiß.

Mit Ausnahme des Mittelmeeres, in welchem sie durch andere Seeschildkröten vertreten wird, bewohnt die Suppenschildkröte alle Meere des heißen und gemäßigten Gürtels, scheint hier auch überall häufig zu sein. Man hat sie beobachtet von den Azoren an bis zum Vorgebirge der Guten Hoffnung, längs der ganzen afrikanischen Küste und auf allen zu diesem Erdtheile gehörigen Inseln, an der atlantischen Küste Amerikas vom vierunddreißigsten Grade nördlicher Breite an bis zur Mündung des Platastromes, im Stillen Weltmeere aber von Peru an bis Kalifornien und auf den Schildkröteninseln, ebenso endlich im Indischen Weltmeere und den dazu gehörigen Theilen und Straßen, von den Maskarenen und dem Kanal von Mosambik an bis ins Rothe Meer, an allen Gestaden Ostindiens, an den Sundainseln und Philippinen sowie endlich an den Gestaden Australiens. Einzelne verschlagene Stücke sind auch im Nordosten Amerikas und an den europäischen Küsten gefangen worden.

Die Suppenschildkröten sind, wie ihre sämmtlichen Verwandten, vollendete Meerthiere. Sie halten sich vorzugsweise in der Nähe der Küste auf, finden sich nicht allzu selten vor oder in der Mündung größerer Flüsse oder Ströme ein, werden aber doch oft auch sehr weit von dieser, manchmal mitten im Meere gefunden. Hier sieht man sie nahe der Oberfläche umherschwimmen, zuweilen auch wohl, anscheinend schlafend, auf ihr liegen, bei der geringsten Störung aber sofort in der Tiefe verschwinden. »Die Landschildkröten«, meint Lacépède, »galten von jeher als Wahrzeichen der Langsamkeit; die Seeschildkröten dürfen das Sinnbild der Vorsicht genannt werden.« In der That stimmen alle Berichte darin überein, daß diese Thiere, so lange sie wach oder nicht durch überwältigende Triebe in einen Zustand des Selbstvergessens versetzt worden sind, vor dem Menschen ängstlich flüchten; schwerlich aber ist man berechtigt, ihnen deshalb eine höhere Begabung als anderen Ordnungsverwandten zuzuschreiben. Nicht der erkannte Feind, sondern der ungewohnte Gegenstand schreckt sie. Dies bekundet immer noch etwas, aber herzlich wenig Verstand, jedenfalls nicht mehr als andere Schildkröten auch bethätigen. Ihre geistigen Fähigkeiten sind ebenso gering als ihre leiblichen erheblich. Man sagt ihnen nach, daß sie auf dem Lande mit so vielen Männern, als auf ihrem Rückenschilde Fuß fassen können, große mit vierzehn Mann, fortzukriechen vermögen; ihre wahre Beweglichkeit entfalten sie aber doch nur in dem Wasser. Sie erinnern, wenn sie hier sich tummeln, auf das allerlebhafteste an fliegende große Raubvögel, z.B. Adler; denn sie schwimmen wundervoll, mit ebensoviel Kraft als Schnelligkeit, mit ebenso unwandelbarer Ausdauer als Anmuth; sie schwimmen gleich ausgezeichnet in verschiedener Tiefe und nehmen im Wasser alle denkbaren Stellungen an, indem sie bald mehr, bald weniger die wagerechte Lage verändern. Da, wo sie häufig sind, sieht man manchmal förmliche Herden von ihnen, wie sie überhaupt sehr gesellig zu sein scheinen. »Da sie«, sagt Lacépède, »an den Küsten, welche sie besuchen, stets hinlängliche Nahrung finden, so streiten sie mit einander niemals um das Futter, welches sie in Ueberfluß haben; da sie außerdem, wie alle Kriechthiere, Monate, selbst Jahr und Tag fasten können, so herrscht ein ewiger Friede unter ihnen. Sie suchen einander nicht, aber sie finden sich ohne Mühe zusammen und bleiben ohne Zwang bei einander. Sie versammeln sich nicht in kriegerische Haufen, um sich einer schwer zu erlangenden Beute leichter zu bemächtigen, sondern einerlei Trieb führt sie an den nämlichen Ort, und einerlei Lebensart hält ihre Herden in Ordnung. An ihren Gewohnheiten halten sie ebenso fest, als ihr Schild hart ist. Sie leiden mehr, als sie handeln, und ihre Begierden sind nie sehr heftig. Sie sind vorsichtig, nicht aber muthig, vertheidigen sich selten thätig, sondern suchen jederzeit so viel und so rasch als möglich in Sicherheit zu gelangen, strengen auch alle Kräfte an, um dieses Ziel zu erreichen.« Ich glaube, daß man mit dieser Schilderung einverstanden sein kann, mit anderen Worten, daß sie im großen ganzen naturgemäß ist. Geselligkeit und Friedfertigkeit sind hervorragende Eigenschaften vieler Schildkröten, der Seeschildkröten aber ganz besonders.

Abweichend von der verwandten Karette, welche ein zünftiges Raubthier ist, frißt die Suppenschildkröte, wenigstens zeitweilig, hauptsächlich Seepflanzen, insbesondere Tange, und verräth sich, da wo sie häufig ist, durch die von ihr abgebissenen Theile dieser Pflanzen, welche auf der Oberfläche des Meeres umherschwimmen. So gibt, übereinstimmend mit fast allen Berichterstattern, auch Holbrook an und fügt, Audubons Mittheilungen wiederholend, hinzu, daß sie die zartesten Theile einer Seepflanze (Zostera marina), welche geradezu Schildkrötengras genannt werde, allen übrigen Meergewächsen vorziehe. Auch die Gefangenen soll man, wie er bemerkt, ausschließlich mit Pflanzenstoffen, und zwar mit Portulak füttern. Ich bin nicht im Stande, diesen Angaben zu widersprechen, muß jedoch bemerken, daß nicht allein meine gefangenen Karette, sondern auch die in demselben Becken untergebrachten Suppenschildkröten Fischfleisch begierig fraßen.

Zu gewissen Zeiten verlassen die weiblichen Suppenschildkröten das hohe Meer und steuern bestimmten, altgewohnten Plätzen zu, um auf ihnen ihre Eier abzulegen. Sie erwählen hierzu sandige Stellen des Strandes unbewohnter Inseln oder vom menschlichen Getriebe entfernte Küstenstrecken und suchen einen und denselben Legeplatz, wenn nicht Zeit ihres Lebens, so doch während eines gewissen Abschnittes desselben immer wieder auf, auch wenn sie hunderte von Seemeilen durchwandern müßten. Die Männchen folgen, laut Dampier, ihren Weibchen auf dieser Reise, gehen aber, wenn diese legen, nicht mit ihnen ans Land, sondern bleiben, in der Nähe verweilend, im Meere zurück. Vorher hatten sich beide Geschlechter begattet, welches Geschäft nach Catesby mehr als vierzehn Tage in Anspruch nehmen soll. Villemont sagt, daß das Männchen während der Begattung auf dem Rücken des Weibchens sitze und gleichsam reite; Lacépède dagegen, auf handschriftliche Mittheilungen Fougeroux’sich stützend, daß beide die Brustschilder gegen einander kehren und das Männchen sich mit den Nägeln der Vorderfüße an der schlaffen Halshaut des Weibchens festhalte. Beide, insbesondere aber die Männchen, sollen, so lange die Paarung währt, ihre sonstige Scheu vollständig vergessen. »Ich habe«, versichert Dampier, »Männchen während der Begattung gefangen. Sie sind dann gar nicht scheu und leicht zu erlangen. Das Weibchen wollte beim Anblicke des Bootes entfliehen, aber das Männchen hielt es mit den beiden Vorderflossen fest. Will man sich paarende Schildkröten erbeuten, so braucht man nur das Weibchen zu tödten; denn das Männchen hat man dann sicher.« Wie viele Zeit nach der Paarung vergeht, bis die ersten Eier legereif sind, weiß man nicht. In der Nähe des Strandes angekommen, wartet die Schildkröte ihre Zeit ab und begibt sich dann abends mit großer Vorsicht ans Land. Schon am Tage sieht man sie, nach Beobachtung des Prinzen von Wied, unweit der Küste umherschwimmen, wobei sie den dicken, runden Kopf allein über dem Wasser zeigt, den Rückenpanzer aber eben nur an die Oberfläche des Wassers bringt. Hierbei untersucht sie die selten beunruhigten Küsten auf das genaueste. Audubon, welcher sie von einem Versteckplatze aus beobachtete, versichert, daß sie, ehe sie ans Land steigt, noch besondere Vorsichtsmaßregeln ergreift, namentlich einen pfeifenden Laut ausstößt, welcher etwa versteckte Feinde verscheuchen soll. Das geringste Geräusch veranlaßt sie, sich augenblicklich in die Tiefe des Meeres zu versenken und einen anderen Platz aufzusuchen; ja, nach St. Pierre’s Versicherung soll ein Schiff, welches einige Stunden in der Nähe einer Brutinsel ankert, die vorsichtigen Geschöpfe tagelang aus der Nähe des Eilandes vertreiben und ein Kanonenschuß sie so ängstigen, daß sie erst nach Wochen wieder in der Nähe der Küsten erscheinen. Bleibt alles ruhig und still, so nähert sich die Schildkröte endlich langsam dem Strande, kriecht auf das Trockene heraus und mit hoch erhobenem Haupte bis in eine Entfernung von dreißig oder vierzig Schritte jenseit der Flutwelle, schaut sich hier nochmals um und beginnt nunmehr ihre Eier zu legen. Hierbei hat sie der Prinz von Wied beobachtet und uns darüber nachstehendes mitgetheilt. »Unsere Gegenwart störte sie nicht bei ihrem Geschäfte; man konnte sie berühren und sogar aufheben (wozu aber vier Mann nöthig waren); bei all den lauten Zeichen unseres Erstaunens und den Berathschlagungen, was man wohl mit ihr anfangen sollte, gab sie kein anderes Zeichen von Unruhe als ein Blasen, wie etwa die Gänse thun, wenn man sich ihrem Neste nähert. Sie fuhr mit ihren flossenartigen Hinterfüßen langsam in der einmal begonnenen Arbeit fort, indem sie gerade unter ihrem After ein cylinderförmiges, etwa fünfundzwanzig Centimeter breites Loch in dem Sandboden aushöhlte, warf die herausgegrabene Erde äußerst geschickt und regelmäßig, ja gewissermaßen im Takte zu beiden Seiten neben sich hin und begann alsdann sogleich ihre Eier zu legen. Einer unserer beiden Soldaten legte sich nun seiner ganzen Länge nach neben die Versorgerin unserer Küche auf die Erde nieder, griff in die Tiefe des Erdloches hinab und warf die Eier beständig heraus, sowie die Schildkröte sie legte. Auf diese Art sammelten wir in einer Zeit von etwa zehn Minuten an hundert Eier. Man berathschlagte nun, ob es zweckmäßig sei, dieses schöne Thier unseren Sammlungen einzuverleiben; allein das große Gewicht der Schildkröte, für welche man ein besonderes Maulthier einzig und allein hätte bestimmen müssen, und überdies die Schwierigkeit, die ungefüge Last aufzuladen, bestimmten uns, ihr das Leben zu schenken und mit ihrem Zoll an Eiern uns zu begnügen. Als wir nach einigen Stunden an den Strand zurückkehrten, fanden wir sie nicht mehr vor. Sie hatte ihr Loch verdeckt und ihre breite Spur im Sande zeigte, daß sie ihrem Elemente wieder zugekrochen war.«

In seinen »Beiträgen zur Naturgeschichte Brasiliens« fügt der Prinz dem eben mitgetheilten noch einiges hinzu: »Soviel weiß ich aus der Erfahrung, daß diese Thiere in der Zeit des brasilianischen Sommers, der Monate December, Januar und Februar, sich in Menge den Küsten nähern, um daselbst ihre Eier in den von den glühenden Strahlen der Sonne erhitzten Sand zu verscharren. Hierin kommen alle Meerschildkröten mit einander überein, und die Erzählung der Art und Weise dieses Geschäftes, von welchem ich Augenzeuge war, gilt für alle diese durch gleichartigen Bau und Lebensweise verwandten Thiere. Zum Eierlegen ist ihnen in den von mir bereisten Gegenden die unbewohnte Strecke besonders günstig, welche sich in einer Ausdehnung von achtzehn Meilen zwischen der Mündung des Rio Doce und des St. Matthäus befindet, ferner die zwischen dem eben genannten Flusse und dem Mucuri sowie mehrere andere Gegenden des Strandes, welche nicht durch hohe steile Küsten, an denen die Wogen des Meeres sich brechen, unzugänglich gemacht werden. Der Reisende findet in der Legezeit häufig Stellen im Sande der Küste, auf denen zwei gleichlaufende Rinnen den Weg anzeigen, welchen die Schildkröten genommen, als sie das Land bestiegen. Diese Furchen sind die Spuren, welche die vier Flossenfüße hinterlassen; zwischen ihnen bemerkt man alsdann eine breite Schleife, welche der Unterpanzer des schweren Körpers eindrückt. Folgt man dieser Spur etwa dreißig bis vierzig Schritte weit auf die Höhe des Sandufers, so kann man das schwere, große Thier finden, wie es unbeweglich in einem flachen, wenig vertieften, durch ein kreisförmiges Herumdrehen gebildeten Kessel dasitzt, mit der Hälfte des Körpers darin verborgen. Sind die sämmtlichen Eier in der beschriebenen Weise gelegt, so scharrt das Thier von beiden Seiten den Sand zusammen, tritt ihn fest und begibt sich, ebenso langsam als es gekommen, auf derselben Spur wieder in sein Element zurück.«

Tennent erfuhr, im Gegensatze hierzu, daß man an den Küsten von Ceylon eine gewisse List der eierlegenden Schildkröte beobachtet habe. Sie sollen ihr Nest dadurch zu verbergen suchen, daß sie ihren Weg in weiten Bogen ausführen und an einer ganz verschiedenen Stelle wieder zum Meere zurückkehren. Die Singalesen seien deshalb genöthigt, die ganze Spur abzusuchen und den Boden vermittels eines Stockes zu prüfen, weil sie niemals wissen könnten, wo das Nest sich befinde.

Das erste Gelege scheint den Vorrath der befruchteten Eier eines Weibchens nicht zu erschöpfen, dieses vielmehr nach Ablauf geraumer Zeit wieder zu derselben Stelle zu kommen, um eine ähnliche Anzahl inzwischen gereifter Eier der mütterlich waltenden Erde zu übergeben, so daß sich die gesammte Anzahl aller Eier eines erwachsenen Weibchens auf drei-, vielleicht vierhundert belaufen mag. Aeltere und neuere Schriftsteller, welche Gelegenheit hatten, Suppenschildkröten an ihren Legestellen zu beobachten oder hier, an ihrer Wiege, Nachrichten über sie einzuziehen, stimmen in der Angabe überein, daß die Thiere alljährlich mehr als einmal, und zwar in Zwischenräumen von je vierzehn Tagen bis drei Wochen, auf den Brutstätten erscheinen und jedesmal eine mehr oder weniger gleiche Anzahl von Eiern ablegen. Zurückkehren bestimmter Weibchen zu den Legeplätzen konnte mit Sicherheit festgestellt werden. Auf den Tortugasinseln, einem der bevorzugten Brutplätze Mittelamerikas, waren, laut Strobel, verschiedene Suppenschildkröten gefangen und gezeichnet, sodann nach Key West gebracht und hier in einem Gehege eingeschlossen worden. Ein Sturm zerstörte die Umhegung und befreite die Gefangenen. Wenige Tage später wurden sie auf derselben Stelle, also unter gleichen Umständen wie das erste Mal, gefangen.

Je nach der Gegend ist die Legezeit verschieden. In der Straße von Malakka fällt sie in dieselben Monate wie in Brasilien, auf den Tortugasinseln in die Monate April bis September, an der Goldküste, laut Loyer, dagegen in die Zeit zwischen September und Januar; anderweitige Angaben finde ich nicht verzeichnet. Die Brutdauer soll ungefähr drei Wochen betragen, je nach der Wärme des Brutplatzes mehr oder weniger.

Auf den Inseln des Grünen Vorgebirges sollen die jungen Schildkröten am dreizehnten Tage nach dem Legen auskommen. Sie kriechen nun sofort dem Meere zu, können aber nicht sogleich untertauchen, und viele werden den Möven, Reihern, Raubvögeln und Raubfischen zur Beute. Ihr Panzer ist anfänglich mit einer weißen, durchsichtigen Haut überzogen, wird aber bald hart, dunkel und theilt sich dann auch rasch in die einzelnen Platten. Einige Naturforscher meinen, daß das Wachsthum sehr schnell vor sich gehe; diese Behauptung steht jedoch mit Beobachtungen, welche an Sumpfschildkröten gemacht wurden, nicht im Einklange, und jedenfalls dürfte die Angabe Villemonts, daß ein Eingeborener von San Domingo eine gefangen gehalten habe, welche in Monatsfrist fast um einen Fuß gewachsen, keinen Glauben verdienen.

Während des Eierlegens sind auch die außerdem ziemlich gesicherten Suppenschildkröten arg gefährdet. Große Raubthiere und Menschen bemächtigen sich jetzt der wehrlosen Geschöpfe. Von den sie überfallenden Wildhunden habe ich (Bd. I, S. 523) bereits gesprochen; diese Hunde aber dürfen, trotz der Metzeleien, welche sie verüben, nicht als die gefährlichsten Feinde der Seeschildkröten bezeichnet werden. Aerger als jene haust unter diesen der Mensch, und zwar der Weiße nicht minder rücksichtslos als der Farbige. Nur an wenigen Orten jagt man auf die werthvollen Thiere in vernunftgemäßer oder anziehen der Weise. An den Küsten Guayanas stellt man weitmaschige, durch Schwimmer in den oberen Wasserschichten festgehaltene Netze, untersucht dieselben von Zeit zu Zeit und löst die in den Maschen verwickelten Seeschildkröten aus; im Mittelmeere, insbesondere in der Nähe der Kykladen, betreibt man die Jagd noch in ähnlicher Weise wie in alten Zeiten. Ein Boot, welches bei vollkommener Windstille mit leisem Ruderschlage langsam durch das blaue Wasser des Kykladenmeeres zieht, stößt, laut Erhard, mehrere Seemeilen von der nächsten Insel, oft genug auf eine ganz an der Oberfläche schlafend hingleitende Seeschildkröte (in der Regel die dem Mittelmeere angehörige Kaguana), welche in der Ferne einem umgestürzten Kahne ähnelt. Kann man sich ihr nahen, ehe sie erwacht, so wird sie von erfahrenen Fischern an einem Beine gepackt, durch hastiges Umdrehen leicht auf den Rücken gelegt und ist dann hülflos, obwohl jene auch jetzt noch sich hüten, einem Bisse des Thieres sich auszusetzen, denn ein solcher schneidet zwei Centimeter starke Stäbe morsch entzwei. In der Regel freilich ist das Gehör der Schildkröte feiner als ihr Schlaf tief, und wenn sie rechtzeitig erwacht, sinkt sie vor den Augen der getäuschten Feinde langsam, fast ohne Bewegung in die blaue Tiefe hinab, »in welcher sie nach zehn Minuten noch, zuletzt wie ein grünverlöschender Stern dem Auge des Menschen sichtbar ist.« Weniger glaublich als diese durch Erhard verbürgte Mittheilung erscheint mir eine Angabe Ansons, welche ich Lacépède’s Werke entnehme. »Ein geschickter Taucher wirft sich (in der Südsee) in einiger Entfernung von der Stelle, wo während der Tageshitze Schildkröten oben liegen und schlafen, in die See, taucht unter und dicht neben einer Schildkröte wieder auf, packt sie in der Gegend des Schwanzes am Schilde und zieht sie mit dem Hintertheile ins Wasser. Die Schildkröte wacht davon auf, arbeitet vorn mit den Schwimmfüßen und hält so sich und den Taucher über Wasser, bis die Gefährten des letzteren herbeikommen und beide auffischen.« Weder die eingeborenen noch die eingewanderten Amerikaner betreiben die Jagd auf Seeschildkröten in ähnlicher Weise: sie lauern diesen auf, wenn sie, um zu legen, an das Land kommen.

Die menschenleeren, wilden Küsten Brasiliens, welche von den Schildkröten zum Legen benutzt werden, werden nur selten von Reisenden betreten, in der Legezeit aber von allen in der Nachbarschaft wohnenden Indianern besucht. »Diese Indianer«, sagt der Prinz, »sind die grausamsten Feinde der Schildkröten; sie finden täglich mehrere Thiere dieser Art, welche im Begriffe sind, ihre Eier zu legen, und tödten sie sogleich, da die schweren, langsamen Geschöpfe auf dem Lande ebenso unbehülflich als im Wasser ge schickt im Schwimmen sind. Ueberall geben daher die traurigen, öden, nichts als Sand und nach dem Lande hin nichts als finstere Urwälder zeigenden Küsten, welche von den tobenden Wogen des Weltmeeres bespült werden, ein Bild der Zerstörung und der Vergänglichkeit alles Lebens; denn die Knochenschädel, Panzer, ja ganze Gerippe dieser, gerade in der Zeit ihrer Vermehrung aufgeriebenen Thiere liegen überall in Menge umher, nachdem sie von den Rabengeiern des letzten Restes von Fleisch beraubt worden sind. Die Indianer tödten die Meerschildkröten des Oeles wegen, welches in ihrem Fleische enthalten ist, kochen dasselbe und sammeln die zahlreichen Eier, welche in dem Sande oder noch in dem Leibe des Thieres enthalten sind, in großen Körben, um sie zu Hause zu verzehren. In dieser Zeit der Schildkröteneier begegnet man den mit den genannten Schätzen beladenen Familien der Indianer oft an dieser Küste; auch erbauen sie sich wohl Hütten von Palmenblättern, um mehrere Tage und Wochen sich am Strande niederzulassen und täglich das Geschäft des Einsammelns zu betreiben.« In ähnlicher Weise wird den nutzbringenden Thieren allerorten, an allen Küsten, welche sie zum Eierlegen besuchen, nachgestellt. Und dennoch würde die sehr bedeutende Vermehrung der Suppenschildkröten die durch Wegfangen der alten Weibchen verursachten Verluste ausgleichen, wollte man sich mit den Weibchen selbst begnügen und nicht auch die Brutstätten plündern, tausende und hunderttausende von Eiern rauben. Durch den rücksichtslosen Eierraub, erwächst dem Bestande der Art die größte Gefahr; hieran aber denkt der rohe, selbstsüchtige Schildkrötenjäger nicht. Wenn die Zeit des Eierlegens der Thiere naht, rottet sich allerlei Gesindel zusammen, um möglichst reiche und lohnende Beute zu gewinnen. Die Jäger nahen sich in kleinen Booten vorsichtig dem Strande der unbewohnten Inseln oder vom Lande her den Legeplätzen an bewohnten Küsten, verbergen sich in der Nähe, verhalten sich still und warten, bis die ängstlichen Thiere an das Land gekrochen sind und sich hinlänglich weit vom Wasser entfernt haben. Erheben sich die Jäger zu früh, so eilen die Schildkröten sofort dem Meere zu, und da, wo der Strand einigermaßen abschüssig ist, gelingt es ihnen oft, sich zu retten, indem sie sich schnell herumdrehen und dann über den Sand hinabgleiten lassen; kommen jene rechtzeitig zur Stelle, so sichern sie sich ihre Beute dadurch, daß sie dieselbe umwenden, das heißt auf den Rücken wälzen. Keine Seeschildkröte ist im Stande, aus dieser Lage sich zu befreien, obgleich sie, um dies zu ermöglichen, wüthend mit den Flossen um sich und auf ihren Panzer schlägt, mit der Zeit auch derartig sich quält, daß ihre Augen mit Blut unterlaufen und weit aus dem Kopfe heraustreten. Nicht allzu selten geschieht es, daß die Fänger grausam genug sind, mehr Schildkröten umzuwenden, als sie gebrauchen können, einzelne von ihnen in der hülflosen Lage liegen und elendiglich verschmachten lassen. Sehr große und schwere werden vermittels Hebebäume umgewälzt, viele mit Hülfe von Netzen gefangen, andere mit dem Wurfspeere erbeutet. Audubon lernte einen Schildkrötenfänger kennen, welcher im Laufe eines Jahres nicht weniger als achthundert Stück »gesichert« hatte: eine den Fortbestand der Art gefährdende Anzahl, da es sich fast ausschließlich um fortpflanzungsfähige Weibchen handelt. Man jagt immer während der Nacht und schreitet am nächsten Morgen zum Einsammeln der Gefangenen, welche nun zunächst entweder in eigens für sie bereitete Behälter oder auf die Schiffe gebracht und von hier aus versandt werden. In den Zwingern, welche selbstverständlich mit Seewasser angefüllte Becken sind, sieht man sie langsam umherschwimmen und oft ihrer drei oder vier sich über einander lagern. Auf trockenem Boden frei gelassen, kriechen sie lebhaft umher und geben ihre Unbehaglichkeit von Zeit zu Zeit durch Schnauben zu erkennen. An das Fressen gehen die Gefangenen selten, magern deshalb bald ab und verlieren an Werth. Diejenigen, welche man auf europäische Märkte bringt, kommen meist aus Westindien, namentlich aus Jamaika. Man legt sie an einer passenden Stelle des Verdeckes auf den Rücken, befestigt sie mit Stricken, breitet ein Tuch über sie und begießt dasselbe so oft mit Seewasser, daß es beständig naß oder wenigstens feucht bleibt, steckt den armen Schelmen ein Stück mit Seewasser getränktes Weißbrod in das Maul und vertraut im übrigen auf ihre außerordentliche Lebenszähigkeit. In den europäischen Seestädten hält man sie in großen Kübeln, welche alle zwei bis drei Tage einmal mit Wasser angefüllt werden, schlachtet sie dann, indem man ihnen den Kopf abhackt, und hängt sie nun einen oder zwei Tage lang so auf, daß alles Blut ablaufen kann. Erst dann hält man das Fleisch für geeignet zur Bereitung jener köstlichen Suppen.

In Indien und insbesondere auf Ceylon macht man weniger Umstände mit den für die Küche bestimmten Seeschildkröten. Ein äußerst widerwärtiger Anblick bietet sich, laut Tennent, auf den Märkten von Ceylon dem Besucher dar. Man sieht hier die gefangenen Schildkröten in unglaublicher Weise quälen. Wahrscheinlich wünschen die Käufer das Fleisch so frisch als möglich zu erhalten oder wollen sich die Verkäufer besondere Mühe nicht mit dem Schlachten geben; man trennt also einfach den Brustpanzer des lebenden Thieres ab und schneidet dem Kauflustigen das von ihm gewünschte Fleischstück aus dem Leibe heraus. Bei der bekannten Lebenszähigkeit der Schildkröten sieht dann der entsetzte Europäer, wie das geschundene Thier die Augen verdreht, das Maul langsam öffnet und schließt, wie das Herz, welches gewöhnlich zuletzt gefordert wird, pulsirt, wie das Leben sich noch in allen den Thieren regt, welche noch keine Liebhaber fanden.

Zu gewissen Zeiten wird hier das Fleisch der Schildkröte wegen seiner schädlichen Wirkung gemieden. Zu Pantura im Süden von Colombo wurden achtundzwanzig Leute, welche im Oktober des Jahres 1840 Schildkrötenfleisch gegessen hatten, bald nach dem Genusse schwer krank, und achtzehn von ihnen starben in der nächsten Nacht. Die Ueberlebenden versicherten, daß sich das Fleisch anscheinend nur durch größere Fettigkeit von genießbarem unterschieden habe. Worin die Ursache der Schädlichkeit liegt, ist noch nicht ermittelt worden.

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