Die Spottdrossel in Brehms Tierleben

Spottdrossel (Brehms Tierleben)

Das berühmteste Mitglied und Urbild der Unterfamilie ist die Spottdrossel (Mimus polyglottus, Turdus und Orpheus polyglottus). Das Gefieder der Oberseite ist graubraun, in der Zügel-und Ohrgegend etwas dunkler, das der Unterseite fahlbräunlich, auf Kinn und Bauch lichter, fast weiß; Schwingen, Flügeldeck- und Steuerfedern sind dunkelbraun, erstere außen schmal graufahl gesäumt, die fünfte bis achte innen in der Wurzelhälfte, die Decken der Hand- und die Enden der Armschwingen wie auch der großen Deckfedern weiß; von den letzteren ist die äußerste jederseits ganz, die zweite auf der Innenfahne, die dritte am Ende weiß, während die übrigen nur verwaschene hellere Spitzenränder zeigen. Bei dem kaum kleineren Weibchen ist das Weiß an der Innenfahne der Schwingen minder ausgedehnt. Das Auge ist blaßgelb, der Schnabel bräunlichschwarz, der Fuß dunkelbraun. Die Länge beträgt fünfundzwanzig, die Breite fünfunddreißig, die Fittiglänge elf, die Schwanzlänge dreizehn Centimeter.

Die Vereinigten Staaten, vom vierzigsten Grade an südlich bis Mejiko, sind das Vaterland der Spottdrossel; sie ist aber im Süden häufiger als im Norden. Von hier auswandert sie im Herbste regelmäßig in niedere Breiten; schon in Louisiana aber verweilt sie jahraus, jahrein, wenn auch nicht an demselben Orte, so doch in derselben Gegend. Sie bewohnt Buschwerk aller Art, den lichten Wald wie die Pflanzungen und Gärten, brütet ungescheut in der Nähe des Menschen, dessen Schutz sie genießt, und hält sich namentlich während des Winters in unmittelbarer Nähe der Wohnungen auf. Ihre Lieblingsplätze sind sandige Ebenen an Flußufern oder an der Küste des Meeres, welche mit niederen Bäumen oder Büschen einzeln bestanden sind. Im tieferen Walde kommt sie selten, das heißt höchstens während ihrer Wanderung vor.

Ihre Bewegungen ähneln denen der Drosseln, erinnern oft aber auch an die der Sänger. Sie hüpft auf dem Boden nach Drosselart umher, breitet aber dabei sehr häufig ihren Schwanz aus und legt ihn dann rasch wieder zusammen. Ihr Flug geschieht in kurzen Bogen, wenn sie von einem Busche zum anderen fliegt, und auch dabei wird der Schwanz bald gebreitet, bald zusammengelegt. Auf ihren Wanderungen durchzieht sie weitere Räume, streicht jedoch niemals nach Art unserer Drosseln dahin, sondern fliegt immer nur von einem Baume zum nächsten. Audubon versichert, daß der sonst so menschenfreundliche Vogel in der Fremde anfänglich sehr vorsichtig und scheu wäre und erst, wenn er wieder für längere Zeit Stand genommen habe, zutraulicher werde.

Nicht der ursprüngliche Gesang, sondern die Nachahmungsgabe der Spottdrossel ist es, welche ihr Berühmtheit verschafft und die amerikanischen Forscher zu begeisterten Beschreibungen veranlaßt hat. Wilson und Audubon stimmen in der Meinung überein, daß die Spottdrossel der König aller Singvögel genannt werden dürfe, und behaupten, daß ihr kein anderer Sänger hinsichtlich der Ausdehnung und Mannigfaltigkeit der Stimme gleichkomme. »Es ist nicht der sanfte Ton der Flöte oder irgend eines anderen Tonwerkzeuges, welches man vernimmt«, sagt Audubon, »es sind die schöneren Laute der Natur selbst. Die Tonfülle des Sanges, die verschiedene Betonung und Abstufung, die Ausdehnung der Stimme, das glänzende des Vortrages sind unerreichbar. Wahrscheinlich gibt es keinen Vogel in der Welt, welcher so viel tonkünstlerische Befähigung besitzt wie dieser von der Natur selbst geschulte König des Gesanges. Mehrere Europäer haben behauptet, daß das Lied der Nachtigall dem des Spottvogels gleichkomme; ich meinestheils habe beide oft gehört, in der Freiheit ebensowohl wie in der Gefangenschaft, und stehe nicht an, zu erklären, daß die einzelnen Töne der Nachtigall ebenso schön sind wie die, welche die Spottdrossel hervorbringt: der Nachtigall Stückwerk aber zu vergleichen mit der vollendeten Begabung des Spottvogels, ist meiner Ansicht nach abgeschmackt.« Wilson geht nicht so weit, und europäische Kenner des Vogelgesanges vollends sind ganz anderer Ansicht.

»Ihre große Berühmtheit«, sagt Gerhardt, »hat die Spottdrossel jedensfalls erlangt infolge ihrer Fertigkeit, fremde Gesänge nachzuahmen. Da man in der Neuen Welt äußerst wenig guten Vogelgesang hört, so fällt ein leidlicher schon auf, und dies ist ein Grund mehr, jene so sehr in den Himmel zu heben. Die Sache ist jedenfalls stark übertrieben: ein Kenner der europäischen Vogelgesänge würde ihr weniger dunstigen Weihrauch gestreut haben.« Die Angaben der amerikanischen Forscher über die wunderbare Gabe der Nachahmung bestätigt Gerhardt übrigens in vollem Umfange. »Am neunundzwanzigsten Juni«, erzählt er, »beobachtete ich ein singendes Männchen in unserer Nachbarschaft. Wie gewöhnlich bildete der Lockton und Gesang des amerikanischen Zaunkönigs fast den vierten Theil seines Liedes. Es begann mit dem Gesange des erwähnten Vogels, ging in den Lockruf der Purpurschwalbe über, schrie plötzlich wie ein Sperlingsfalk, flog dann von dem dürren Aste, auf welchem es bisher gesessen hatte, und ahmte während des Fluges den Lockruf der zweifarbigen Meise und der Wanderdrossel nach. Auf einer Umzäunung lief es mit hängenden Flügeln und emporgehobenem Schwanze umher und sang dabei wie ein Fliegenfänger, ein Gilbvogel und eine Tangara, lockte wie die schwarzköpfige Spechtmeise, flog hierauf in ein Brombeergebüsch, zupfte da ein paar Beeren ab und rief sodann wie der Goldspecht und wie die virginische Wachtel, gewahrte eine Katze, welche am Fuße eines Baumstummels herumschlich, stieß sofort mit großem Geschreie nach ihr, schwang sich, nachdem dieselbe die Flucht ergriffen hatte, unter Gesang auf jenen abgebrochenen Ast des Baumes und begann ihr Lied von neuem.« Nach Wilson ist die Stimme des Spottvogels voll und stark und fast jeder Abänderung fähig. »Sie durchläuft von den hellen und weichen Tönen der Walddrossel an alle denkbaren Laute bis zu dem wilden Kreischen des Geiers. Der Spottvogel folgt im Zeitmaße und in der Betonung treu dem Sänger, dessen Lied er stahl, während er letzteres hinsichtlich der Lieblichkeit und Kraft des Ausdruckes gewöhnlich noch überbietet. In den Wäldern seiner Heimat kann kein anderer Vogel mit ihm wetteifern. Seine Lieder sind fast grenzenlos mannigfaltig. Sie bestehen aus kurzen Takten von zwei bis sechs Tönen, welche mit großer Kraft und Geschwindigkeit hervorquellen und zuweilen mit unvermindertem Feuer eine Stunde nach einander ertönen. Oft glaubt der Zuhörer, daß er eine Menge Vögel höre, welche sich zum gemeinschaftlichen Gesange vereinigt hätten. Der eine Sänger täuscht den Jäger und sogar andere Vögel.« Die Lieder wechseln je nach der Oertlichkeit. Im freien Walde ahmt die Spottdrossel die Waldvögel nach, in der Nähe des Menschen webt sie dem Gesange alle diejenigen Klänge ein, welche man nahe dem Gehöfte vernimmt. Dann werden nicht bloß das Krähen des Hahnes, das Gackern der Hennen, das Schnattern der Gänse, das Quaken der Enten, das Miauen der Katze und das Bellen des Hundes, das Grunzen des Schweines nachgeahmt, sondern auch das Kreischen einer Thüre, das Quieken einer Wetterfahne, das Schnarren einer Säge, das Klappern einer Mühle und hundert andere Geräusche mit möglichster Treue wiedergegeben. Zuweilen bringt sie die Hausthiere in förmlichen Aufruhr. Sie pfeift dem schlafenden Hunde so täuschend nach Art des Herrn, daß jener eiligst aufspringt, um den Gebieter zu suchen, bringt Gluckhennen zur Verzweiflung, indem sie das Gekreisch eines geängstigten Küchleins bis zur Vollendung nachahmt, entsetzt das furchtsame Geflügel durch den wiedergegebenen Schrei des Raubvogels und täuscht den verliebten Kater, indem sie die zärtliche Einladung weiblicher Katzen getreulich wiederholt. Gefangene Spottdrosseln verlieren nichts von ihren Begabungen, eignen sich im Gegentheile noch allerlei andere Töne, Klänge und Geräusche an und mischen sie oft in der drolligsten Weise unter ihre wohltönenden Weisen.

Ich habe viele Spottdrosseln gepflegt und gehört, jedoch keine einzige kennen gelernt, deren Lieder, nach meinem Empfinden, den Schlag des Sprossers oder der Nachtigall erreicht hätten. Nach Versicherung ausgezeichneter Kenner gibt es aber in der That einzelne Männchen, welche unerreichbares und unvergleichliches leisten.

Je nach der Oertlichkeit brütet der Spottvogel früher oder später im Jahre. Im Süden der Vereinigten Staaten beginnt er schon im April mit dem Bau seines Nestes, in dem nördlichen Theile seines Heimatskreises selten vor Ausgang des Mai. Hier zeitigt er gewöhnlich nicht mehr als zwei, dort, nach Audubon, in der Regel drei Bruten im Laufe eines Sommers. Das Männchen wirbt nicht bloß durch Lieder, sondern auch durch allerlei anmuthige Bewegungen um die Gunst seines Weibchens, spreizt den Schwanz, läßt die Flügel hängen und schreitet in dieser Weise stolz auf dem Boden oder auf einem Aste dahin, umfliegt, schmetterlingsartig flatternd, die Gattin, tanzt förmlich durch die Luft, sucht überhaupt seinen Gefühlen in jeder Weise Ausdruck zu geben. Das Nest wird in dichten Baumkronen oder Büschen angelegt, oft sehr nahe an den Wohnungen, oft in alleinstehenden Dornhecken des Feldes, fernab von den Ortschaften. Trockene Zweige bilden den Unterbau, dürre Ranken, Grashalme, Werch- und Wollflocken die Wandungen und ziemlich dicke Lagen von feinen, gebogenen Wurzeln die innere Ausfütterung. Das Gelege der ersten Brut enthält vier bis sechs, das der zweiten höchstens fünf, das der dritten selten mehr als drei Eier. Sie sind etwa sechsundzwanzig Millimeter lang und zwanzig Millimeter dick, rundlich und auf lichtgrünem Grunde mit dunkelbraunen Flecken und Punkten gezeichnet. Das Weibchen, welches allein zu brüten scheint, zeitigt sie in vierzehn Tagen. Die Jungen der beiden ersten Bruten wachsen rasch heran, die des dritten Geheckes aber erreichen oft erst spät im Jahre ihre volle Größe. Während das Weibchen brütet, zeigen sich beide Geschlechter ungemein besorgt um die Eier, und wenn das Weibchen findet, daß dieselben berührt oder in eine andere Lage gebracht worden sind, stößt es klagende Laute aus und ruft ängstlich nach dem Männchen. Die Amerikaner behaupten, daß das Paar seine Brut unter solchen Umständen verließe; Audubon versichert aber, daß es im Gegentheile seine Liebe und Sorgfalt verdoppele und nach trüben Erfahrungen das Nest kaum auf einen Augenblick verlasse.

Die Nahrung ist verschiedener Art. Während des Sommers bilden Kerbthiere das hauptsächlichste Futter; im Herbste erlabt sich alt und jung an mancherlei Beeren. Ganz gegen die Art der Drosseln verfolgen die Alten fliegende Schmetterlinge, Käfer, Schnaken und Fliegen bis hoch in die Luft, und ebenso lesen sie derartiges Gethier von den Blättern der Bäume ab. Im Käfige gewöhnen sie sich an Drosselfutter, sind aber anspruchsvoller als unsere Drosseln und verlangen vor allem anderen ziemlich viel Mehlwürmer und Ameiseneier. Bei guter Behandlung werden sie überaus zahm und zutraulich. Einzelne sind nach der Versicherung der amerikanischen Forscher zum Aus- und Einfliegen gebracht worden; andere, auch von mir gepflegte, haben sich in der Gefangenschaft fortgepflanzt.

Das gesammte Raubzeug Amerikas stellt den alten Spottdrosseln, Schlangengezücht besonders der Brut im Neste, nach. Der Amerikaner hat den Vogel so lieb gewonnen, daß er ihn niemals seines Fleisches halber verfolgt, vielmehr nach Kräften in Schutz nimmt und gegen Unberufene sichert. Dagegen werden viele von den so beliebten Vögeln für den Gebauer gefangen und namentlich Junge dem Neste entnommen und groß gefüttert.

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