Die Rostgans in Brehms Tierleben

Rostgans (Brehms Tierleben)

Eine indische Sage berichtet, daß zwei Liebende in Gänse verwandelt und verdammt worden wären, die Nacht fern von einander auf den entgegengesetzten Flußufern zu verbringen, und nun einander beständig zurufen: »Tschackwa, soll ich kommen?« »Nein, tschackwi.« »Tschackwi, soll ich nicht kommen?« »Nein, tschackwa.«

Der betreffende Vogel ist die Rostgans, Zimmet-oder Citrongans, die »Braminengans« der Inder, »Kasarka« oder »Turpan« der Russen (Casarca rutila, Anas casarca, rutila und aurantia, Tadorna casarca und rutila, Vulpanser rutila), Vertreter der Sippe der Zimmetgänse (Casarca), als deren Merkmale die geringe Größe und schlanke Gestalt, der schmale und flache Schnabel, der mittellange Flügel und die eigenthümliche, bei beiden Geschlechtern fast gleichartige Färbung des Gefieders angesehen werden. Letzteres ist vorherrschend hoch rostroth, die Wangengegend gelbweiß, der Hals rostgelb, ein schmales, jedoch nur im Hochzeitskleide bemerkliches Band am Unterhalse grünschwarz; die oberen und unteren Flügeldeckfedern sind weiß, die Spiegelfedern stahlgrün, die Bürzelgegend, die oberen Schwanzdeckfedern, die Schwingen und Steuerfedern glänzendschwarz. Das Weibchen unterscheidet sich durch geringere Größe, minder lebhafte Färbung und weißeres Gesicht von dem Männchen; auch fehlt ihm gewöhnlich das schwarze Halsband. Das Auge ist hellbraun, der Schnabel schwarz, der Fuß bleigrau. Die Länge beträgt zweiundsechzig, die Breite einhundertundsechzehn, die Fittiglänge sechsunddreißig, die Schwanzlänge vierzehn Centimeter.

Mittelasien ist der Brennpunkt des Verbreitungskreises der Rostgans. Nach Osten hin dehnt sich ihre Heimat bis zum oberen Amur, nach Westen hin bis Marokko. Besonders häufig tritt sie in Turkestan, Südrußland, in der Dobrudscha und Bulgarien, Transkaukasien und Kleinasien auf. Gelegentlich ihres Zuges besucht sie sehr regelmäßig Griechenland, Süditalien und einzeln Spanien, verbringt hier auch wohl den Winter, wandert aber gewöhnlich weiter. In ganz Indien ist sie wohl bekannt, da sie als Wintergast in allen Theilen der Halbinsel vorkommt; in Egypten gehört sie auf den Seen wenigstens nicht zu den Seltenheiten; in Tunis, Algier und Marokko soll sie in manchen Jahren ebenso häufig auftreten wie in Indien. Nach Norden und Nordwesten hin verfliegt sie sich zuweilen, und so gelangt sie denn auch nach Mitteldeutschland; doch gehört ihr Erscheinen hier immer zu den selteneren Ausnahmen. Sie wandert spät weg und erscheint schon zeitig im Frühjahre wieder in ihrer Heimat, der Steppe. Hier findet sie sich, gelegenen Ortes, überall, in der Ebene wie im Hochgebirge, bis zu dreitausend Meter unbedingter Höhe oder der Schneegrenze, an Seen, Flüssen, Strömen wie am kleinsten Bächlein. Wer die Charaktervögel der Steppe aufzählt, darf sie nicht vergessen. Zur Belebung der Höhen wie der grünen Thäler der letzteren trägt sie mehr als jeder andere Vogel bei.

Wer die Rostgans einzig und allein nach ihrer geringen Größe beurtheilt, sieht in ihr eine Ente; wer sie kennt, eine Gans. Abgesehen davon, daß schon die Färbung ihres Gefieders auf ihre und anderer Gänse Zusammengehörigkeit deutet, stimmen Lebensweise, Gebaren, Gang, Flug, Schwimmfertigkeit, Stimme, selbst das Brutgeschäft mit den Eigenschaften, Sitten und Gewohnheiten der Gänse, nicht aber mit denen der Enten überein. Paarweise, die dem Geschlechte der Gänse eigene eheliche Treue gegenseitig wahrend, lebt sie weniger auf als an dem Wasser, Sümpfe und Moräste entschieden meidend und dafür Matten, mit saftigem Grase bestandene Wiesen, mit sprossendem Getreide bedeckte Felder aufsuchend, um hier nach Art der Gänse zu weiden. Thierische Nahrung verschmäht sie allerdings nicht, zieht ihr aber pflanzliche entschieden vor und verkümmert, wenn man ihr in der Gefangenschaft ausschließlich solche reicht. Sie trägt sich aufgerichtet, hält den Kopf hoch, wie andere Gänse thun, geht gut, mit langsamen, gemessenen Schritten, welche zu sehr förderndem Laufe beschleunigt werden können, niemals aber watschelnd wie die Enten, schwimmt mit vorn tiefer als hinten eingetauchtem Körper und fliegt mit langsamen, nicht mit schwirrenden Flügelschlägen, vor dem Niedersetzen schwebend und anmuthige Wendungen beschreibend. Prachtvoll sieht es aus, wenn ein Paar dieser ebenso schönen wie stattlichen Vögel aus hoher Luft in die Tiefe eines Thales sich hinabstürzt: es geschieht dies immer schwebend, beziehentlich ohne Flügelschlag, aber unter wahrhaft großartigen Schwenkungen, welche nicht allein das Weiß der Fittige und damit die volle Schönheit zur Geltung bringen, sondern auch die Gans selbst als einen Flugkünstler bewähren, wie solchen die Unterfamilien der Enten nicht aufzuweisen haben. Auch ihre sehr starke, weittönende Stimme, welche der russische Name »Turpan« klangbildlich zu bezeichnen sucht, kann nur mit der anderer Gänse verglichen werden. Ein vielfach abwechselndes, immer aber klangvolles »Ang« oder »Ung« ist der Lockton, welchem jedoch gewöhnlich noch mehrere andere, ungefähr wie »Turr, turr, turra, goang, goang, goak, gak, gik« klingende Laute angehängt werden. Die Stimme des Männchens bewegt sich in höheren Lagen als die des Weibchens.

Hinsichtlich der Würdigung ihrer geistigen Fähigkeiten kann es nur eine Stimme geben. Nirgends und niemals legt sie während ihres Freilebens ihre Vorsicht ab. Sie ist in der Nähe ihres Brutplatzes ebenso scheu wie in der Winterherberge und traut dem Eingeborenen ebensowenig wie dem Fremden. Selbst inmitten der einsamsten Thäler der Steppe erregt sie alles ungewohnte. Schon von weitem begrüßt sie den zu Wagen, zu Pferde oder zu Fuße ankommenden Reisenden, und niemals gibt sie sich verderblicher Vertrauensseligkeit hin. Mit anderen Vogelarten scheint sie nicht gern Gemeinschaft zu halten. Alle diejenigen, welche ich beobachten konnte, hielten sich paarweise oder in kleinen Familien zusammen, ohne sich um die übrigen Schwimmvögel zu bekümmern. Jerdon sagt, daß man sie in Indien gewöhnlich paarweise, später in stärkeren Flügen und gegen das Ende der Brutzeit hin in ungeheuren Scharen finde, welche bis zu Massenversammlungen von tausenden anwachsen können. Solche Scharen machen sich nicht bloß durch ihre auffallende Färbung, sondern auch durch das Geschrei, welches dann an das Getön von Trompeten erinnert, von weitem bemerklich.

Bis gegen die Brutzeit hin lebt die Rostgans mit anderen ihrer Art oder mit anderen Schwimmvögeln überhaupt wenigstens in Frieden; der Fortpflanzungstrieb aber erregt die Männchen in hohem Grade und weckt insbesondere ihre Rauf- und Kampflust. Eiligen Schrittes stürzen sie sich auf andere Männchen ihrer Art, ebenso auf verschiedenartige Entenmännchen, ja sogar auf Entenweibchen, welche sich nahen, beugen den Kopf tief zur Erde herab, lüften die Flügel und versuchen, den Störenfried am Halse zu packen und wegzudrängen. Dann kehren sie unter lautem Geschreie zum Weibchen zurück, umgehen dasselbe mit vielfachem Kopfnicken und werden von ihm lebhaft begrüßt und beglückwünscht. Die Ehe wird bereits in den ersten Tagen des Frühlings, während des Freile bens also gewiß in der Winterherberge, geschlossen und ist so treu wie die irgend einer anderen Gänseart. Beide Gatten leben nur sich, überhäufen sich gegenseitig mit Liebkosungen, verlassen einander nie, opfern ihrer Gattentreue selbst das Leben. In Turkestan hatte einer von uns das Weibchen eines Paares flügellahm geschossen und angesichts des entsetzten Männchens gefangen. Schreiend flog dieses auf, nicht aber auch davon, wie jeder Enterich gethan haben würde, umkreiste vielmehr klagend die Unglücksstelle, ließ sich durch sechs ihm geltende Schüsse nicht vertreiben und bezahlte seine erhabene Treue schließlich mit dem Leben. Im Anfange oder um die Mitte des Mai beginnt das Paar nach einem geeigneten Nistplatze zu suchen. Die Rostgans brütet nur in Höhlen und muß deshalb oft lange suchen, bevor sie einen passenden Nistplatz findet, sich auch bequemen, mit sehr fremdartigen Vögeln Gemeinschaft zu halten. Salvin fand in Nordwestafrika ein Nest in der Kluft einer senkrechten Felsenwand, welche außerdem von Milanen, Geiern und Raben zum Brutplatze benutzt wurde. In Sibirien bevorzugt sie ebenfalls Felsenklüfte, soll aber auch in Baumhöhlen, Raubvogelhorsten oder verlassenen Bauen des Steppenmurmelthieres brüten. Einer passenden Höhlung halber muß sie unter Umständen von und nach ihrem Weidegebiete viele Kilometer weit fliegen und selbst in die Wüste oder pflanzenlose Einöde sich begeben. Das ebenso eifersüchtige als zärtliche Männchen begleitet die Gattin bei jedem dieser Ausflüge, ebenso wie es sich, während letztere brütet, in deren Nähe aufhält, um zu sichern. Hierbei sitzt es entweder auf einem Felsenvorsprunge oder einem dicken Aste, hält scharfe Wacht, warnt bei Gefahr mit eigenen Lauten und fliegt entweder mit dem Weibchen davon, oder stürzt sich angreifend oder ablockend Hunden und anderen Raubthieren entgegen. Das Nest selbst wird mit dürren Grasblättern hergerichtet und oben mit einem Kranze von Dunen ausgelegt; das Gelege zählt zwölf bis funfzehn feinschalige, glänzende, rein- oder gelblichweiße Eier von etwa zweiundsechzig Millimeter Längs- und sechsundvierzig Millimeter Querdurchmesser. Nachdem die Jungen ausgeschlüpft und trocken geworden sind, verlassen sie das Nest, indem sie einfach in die Tiefe hinabspringen, und werden nunmehr, manchmal meilenweit, dem Wasser zugeführt. Hier verleben sie ihre Jugendzeit, geleitet und geführt von beiden sie zärtlich liebenden Eltern. Anfänglich tragen sie ein von dem der Entenküchlein sehr abweichendes, dem junger Brandgänse aber ähnliches Dunenkleid, welches auf Oberkopf, Hinterhals und Schultern, der Rückenmitte und an den Flügelstummeln schwarzbraun, übrigens schmutzigweiß aussieht und erst nach und nach in die dem Kleide der Mutter ähnliche erste Jugendtracht übergeht.

Gefangene Rostgänse halten sich ebenso gut wie andere Arten ihrer Unterfamilie, werden sehr zahm und schreiten, entsprechend gehalten und gepflegt, regelmäßig zur Fortpflanzung.

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