Die Kreuzotter in Brehms Tierleben

Kreuzotter (Brehms Tierleben)

Als Urbild der Otternsippe und der gesammten Familie überhaupt betrachten wir die Kreuzotter oder Otter und Adder schlechthin, die Feuer-, Kupfer-, Höllennatter, Feuer-, Kupfer-, Höllenschlange, und wie sie sonst noch heißt (Vipera berus, Coluber berus, prester, chersea, vipera, melanis, scytha, thuringicus und coeruleus, Vipera ceilonica, squamosa, orientalis, prester, melanis, scytha, trigonocephala, chersea, communis, limnaea, torva und pelias, Echis americanus, Pelias berus, prester, chersea, dorsalis und Renardi, Echidnoides trilamina). Sie vertritt die Untersippe der Spießottern (Pelias), so genannt nach dem Spieße des Achilles, dessen Schaft vom Gebirge Pelion stammte, und kennzeichnet sich durch die am Vorderkopfe zu Schildern umgewandelten Schuppen und eine einzige Schuppenreihe zwischen dem Auge und den unter ihm gelegenen Oberlippenschildern. Ihre Färbung ist überaus verschieden, ein dunkler, längs des ganzen Rückens verlaufender Zickzackstreifen aber stets vorhanden und deshalb als Merkmal beachtenswerth.

Als echte Viper unterscheidet sich die Kreuzotter schon durch ihre Gestalt von den übrigen Schlangen Deutschlands und den meisten Europas, ihre nächsten Verwandten, die Viper und Sandotter, selbstverständlich ausgenommen. Der Kopf ist hinten merklich breiter als der Hals, ziemlich flach, vorn sanft zugerundet, der Hals deutlich abgesetzt, seitlich ein wenig zusammengedrückt, sein Querschnitt also längsrund, der Leib gegen den Hals bedeutend verdickt, auf dem Rücken abgeflacht, breiter als hoch, auf dem Bauche platt, der Schwanz verhältnismäßig kurz, im letzten Drittheile seiner Länge auffallend verdünnt und in eine kurze, harte Spitze endigend. Vom Halse an verdickt sich der Leib allmählich bis zur Körpermitte und verschmächtigt sich von hier an wiederum bis zum Schwanze, in welchen er ohne merklichen Absatz übergeht. Männchen und Weibchen unterscheiden sich in der Gestalt dadurch, daß bei ersterem der Leib kürzer und schmächtiger, der Schwanz hingegen verhältnismäßig länger und dicker ist als bei letzterem. Die Länge des erwachsenen Männchens beträgt etwa dreiundsechzig Centimeter, selten zwei bis drei Centimeter mehr, meist um mindestens ebensoviel weniger; die Länge des Weibchens kann bis auf fünfundsiebzig Centimeter ansteigen. Als Regel läßt sich aufstellen, daß der Kopf der Kreuzotter etwa den zwanzigsten Theil, der Schwanz des Männchens den sechsten, der des Weibchens den achten Theil der Leibeslänge beträgt: ein Verhältnis, welches bei keiner deutschen Schlange weiter gefunden wird. Der Lippenschild ist dreieckig abgerundet, unten zum Durchgange der Zunge bogenförmig ausgeschnitten; jederseits von ihm stehen zwei unregelmäßige, fünfeckige Schilder, neben ihm die großen Nasenlöcher. Der Vorderscheitel trägt drei kleine, unregelmäßig dreieckige Schilder, deren vorderster mit seiner Spitze zwischen die beiden hinteren sich eindrängt. Vorn in der Nasengegend bilden sechs rundliche einen Halbkreis, und zwischen diesen und den großen Augenbrauenschildern liegen acht andere, ebenfalls rundlich gestaltete Schildchen. Hinter den Scheitelschildern beginnen bereits die Schuppen, deren Gestalt sich im wesentlichen gleich bleibt. Die Eiform herrscht vor, verlängert und verschmälert sich jedoch auf dem Rücken und verbreitert sich an den Seiten und auf dem Schwanze. Alle Schuppen tragen einen mehr oder minder deutlichen Längskiel, welcher auf der an die Bauchschilder stoßenden Reihe jedoch nur noch angedeutet ist; die Unterseite wird bekleidet von breiten Querschildern, welche am Schwanze sich paarig stellen. Anzahl und Gestalt der Kopfschilder sind vielfachem Wechsel unterworfen; die Anzahl der Bauchschilder schwankt in so weiten Grenzen, daß ihre Zählung als unnöthige Mühe erachtet werden muß.

Wenige Schlangen dürfte es geben, welche in ihrer Färbung so abweichen wie die Kreuzotter; jedoch läßt sich immerhin als Regel aufstellen, daß die Grundfärbung des Männchens in lichten, die des Weibchens in dunklen Farbentönen schattirt, bei ersterem also weiße, silbergraue, lichtaschgraue, meergrüne, lichtgelbe, lichtbraune, bei letzterem braungraue, rothbraune oder ölgrüne, schwarzbraune und ähnliche Farben vorherrschen. So verschieden aber auch die Grundfärbung sein mag: das dunkle Längszackenband hebt sich merklich ab und wird nur bei sehr tief gefärbten Weibchen wenig oder nicht bemerkt. Dieses Band, das »Kainszeichen« unserer europäischen Giftschlangen, wie Linck es genannt hat, verläuft im Zickzack vom Nacken an bis zur Schwanzspitze über den ganzen Rücken und wird jederseits von einer Längsreihe dunklerer Flecke bekleidet. Aber nicht allein seine Breite, sondern auch die Gestalt der einzelnen Flecke, welche es zusammensetzen, ist sehr verschieden. In der Regel reihen sich schiefgestellte, verschoben viereckige oder winkelrechte, querliegende Rauten aneinander, oder aber das Band löst sich in einzelne, in die Quere gezogene, auch wohl rundliche Flecke auf, und ebenso können die seitlichen Flecke, welche gewöhnlich mit den größeren abwechseln, in kleinere Tüpfel zerfallen. Die Färbung des Bandes richtet sich, laut Strauch, nach der Grundfärbung des Thieres, derart, daß bei den hell gelblichbraunen oder fast sandfarbenen Kreuzottern die Binden und Flecken hell kastanienbraun, bei den dunkler gefärbten braun in verschiedenen Abstufungen und bei den ganz dunklen oder kastanienbraunen endlich vollkommen schwarz erscheinen. Neben diesem Zickzackbande hat man noch die Kopfzeichnung, welcher die Kreuzotter den Namen dankt, zu beachten. Zwei Längsstreifen, von regellosen Flecken und Strichen umgeben, zieren die Mitte des Scheitels und nähern sich hier zuweilen bis zur Berührung, beginnen auf dem Augenschilde, laufen von hier aus auf die Mitte des Scheitels zu, werden manchmal durch einen gleichfarbigen Fleck verbunden und entfernen sich wieder von einander, nach hinten hin ein deutliches Dreieck bildend, dessen Winkel nach vorn sich richtet, und gleichsam zwischen sich das erstere verschobene Viereck der Rückenzeichnung aufnehmend. Die Unterseite der Kreuzotter ist meist dunkelgrau oder selbst schwarz; jeder Schild zeigt aber gewöhnlich mehrere gelbliche, außerordentlich verschieden gestaltete, einzeln stehende oder zusammenfließende Flecke. Die oben sehr hell gefärbten Kreuzottern sehen auch auf der Unterseite lichter, bis bräunlichgelb, aus, und die einzelnen Schilder tragen vereinzelte kleine Flecke von schwärzlicher oder doch dunklerer Färbung.

Wie verschiedenartig die Grundfärbung der Kreuzottern ist, lehrt folgende ohne Wahl gebildete Zusammenstellung von zehn Stücken, welche Linck ein mal vor sich hatte. Beim ersten Männchen war die Grundfarbe silberblau, die Zeichnung kohlschwarz, beim zweiten jene grünweiß, diese rußschwarz, beim dritten die erstere weißgolden, die letztere glänzend blauschwarz, beim vierten braunweiß, bezüglich rothschwarz; das erste Weibchen zeigte auf graubraunem Grunde ein schwarzgraues Zackenband, das zweite auf hellbraunem mit Grün gemischtem ein schmutziggraues, das dritte auf graubraunem mit Oelgrau gemischtem ein schwarzgraues, das vierte auf schmutzigbraunem ein dunkelbraunes, das fünfte auf dunkel schmutziggrünem ein mattschwarzes Zickzackband; beim sechsten waren Grund und Zeichnung fast ungeschieden dunkelschwarz.

Das große, runde, feurige Auge erhält durch den vorspringenden Brauenschild, unter welchem es liegt, etwas tückisches oder trotziges, und trägt wirklich dazu bei, die Kreuzotter zu kennzeichnen, zumal, wenn man nicht vergißt, daß bei keiner mitteldeutschen Schlange weiter der Stern eine schiefe, von vorn und oben nach unten und hinten gerichtete Längsspalte ist. Bei hellem Sonnenlichte zieht sich diese Spalte zu einem kaum merklichen Ritz zusammen, während sie sich im Dunkel außerordentlich erweitert. Die Färbung der Regenbogenhaut ist gewöhnlich ein lebhaftes Feuerroth, bei dunklen Weibchen ein lichtes Röthlichbraun.

Unter den Spielarten hat die dunkle, welche das Volk vorzugsweise »Höllennatter« zu nennen pflegt, eine gewisse Bedeutung erlangt, weil sie lange Zeit als besondere Art (Vipera prester) angesehen wurde. Sorgfältigeren Beobachtern mußte jedoch bald auffallen, daß alle Höllennattern Weibchen waren, und als man nun endlich trächtige Höllennattern erhielt und fand, daß die Jungen in keiner Hinsicht von anderen Kreuzottern sich unterschieden, konnte es keinem Zweifel mehr unterliegen, daß man es nur mit einer Spielart zu thun hatte.

Das Verbreitungsgebiet der Kreuzotter ist nicht nur größer als das jeder anderen in Europa vorkommenden Ordnungsverwandten, sondern ausgedehnter als das jeder anderen Landschlange überhaupt; denn es erstreckt sich, laut Strauch, von Portugal nach Osten hin bis zur Insel Sachalin, überschreitet in Skandinavien den Polarkreis und reicht nach Süden hin einerseits bis ins südliche Spanien, andererseits bis zur Nordgrenze von Persien. In Deutschland dürfte sie in keinem Lande fehlen, obgleich sie in Nassau und in den Rheinlanden überhaupt selten zu sein scheint und in der Bayerischen Pfalz bis jetzt noch nicht einmal beobachtet wurde. Sie ist häufig in Baden, insbesondere auf dem Schwarzwalde, nicht minder auch in Würtemberg, wo sie zumal auf der Schwäbischen und Rauhen Alp in größerer Anzahl auftritt; sie findet sich in allen Kreisen Bayerns mit Ausnahme der Pfalz, ebenso in ganz Norddeutschland, in einzelnen Heidegegenden stellenweise ungemein häufig, bewohnt nicht minder die Mitte und den Osten unseres Vaterlandes, Thüringen, Sachsen, Schlesien, Pommern, Posen, Ost- und Westpreußen, lebt ebenso in fast allen Staaten Oesterreichs, namentlich in beiden Erzherzogthümern ob und unter der Enns, in ganz Böhmen, Mähren, Oesterreichisch-Schlesien, Kärnten, Krain, Tirol, Ungarn, Gallizien, der Bukowina, Siebenbürgen und der Militärgrenze, scheint also erst in Kroatien, Istrien und Dalmatien durch ihre beiden Verwandten mehr oder weniger verdrängt zu werden; sie verbreitet sich andererseits über Holland, Belgien, ganz Frankreich mit alleiniger Ausnahme der an unsere Reichslande grenzenden und der nördlichen Departements, in denen man sie bisher wenigstens noch nicht beobachtet hat, kommt stellenweise in der Schweiz und in Italien, nach Süden hin bis zu den Abruzzen, vor, übersteigt die Pyrenäen und hat sich auf der vorliegenden Halbinsel mindestens in den Gebirgen seßhaft gemacht. Ebenso wie das Festland bevölkert sie auch die europäischen Inseln, selbstverständlich mit Ausnahme der kleinen nordischen und ebenso Irlands, insbesondere England, Schottland und die dänischen Inseln, und dringt in Skandinavien weiter als irgend eine andere bekannte Schlange nach Norden vor, indem hier erst der siebenundsechzigste Grad der Breite ihre Grenze bildet. Sie bewohnt ferner ganz Rußland, von Polen an bis zum Ural und vom Weißen bis zum Schwarzen Meere, überschreitet einestheils den Kaukasus, anderntheils den Ural, tritt wiederum in den Steppen Süd- und Mittelsibiriens und Nordturkestans auf, ist nach eigenen Beobachtungen in der Mongolei vielleicht ebenso häufig wie die hier dieselbe Oertlichkeit mit ihr theilende Halysschlange, zeigt sich endlich wiederum am Amur und wird also schwerlich in irgend einem Theile der zwischen diesem Strome und dem Obliegenden Gebieten Sibiriens fehlen. Aus dieser Zusammenstellung ergibt sich, daß das Verbreitungsgebiet der Kreuzotter sich vom neunten bis einhundertundsechzigsten Grade östlicher Länge von Ferro und vom achtunddreißigsten bis zum siebenundsechzigsten Grade nördlicher Breite erstreckt.

Innerhalb dieses ungeheueren Ländergebietes fehlt sie zwar hier und da, immer aber nur auf sehr eng begrenzten Stellen. Im übrigen bewohnt sie jede Oertlichkeit, möge sie so verschieden sein als sie wolle: Wald und Heide ebenso gut wie Weinberge, Wiesen, Felder, Moore und selbst Steppen. In den Alpen steigt sie, nach den Angaben von Schinz und Tschudi, bis zu einen zweitausend Meter über dem Meere gelegenen Gürtel empor, tritt also noch sehr oft ober halb der Laubholzgrenze auf und gefällt sich demnach in einem Gelände, in welchem sie höchstens drei Monate im Jahre ihrer Freiheit sich erfreuen kann, drei Viertheile ihres Lebens aber winterschlafend verträumen muß. Unter ähnlichen Umständen verbringt sie auch im Norden Europas, unter nicht viel besseren in den Steppen Mittelsibiriens ihr Dasein. Bedingung zu ihrem Wohlbefinden ist, daß sie gute Schlupfwinkel, genügende Nahrung und Sonnenschein hat; im übrigen scheint sie besondere Ansprüche an die Oertlichkeit, welche ihr Wohnung gewähren soll, nicht zu erheben. Steinige, mit Gebüsch überwucherte Halden, bebuschte Felswände, Heide, Laub- und Nadelholzdickichte, in denen jedoch der Sonne zugängliche, freie Plätze nicht fehlen dürfen, insbesondere aber Moorgegenden oder Steppen, bieten ihr alles, was sie zum Leben bedarf. An solchen Orten begegnet man ihr hier und da in erschreckender Anzahl: im Brennerstädter Forste im Lüneburgischen wurden beim Heumachen innerhalb dreier Tage auf einer Fläche von nur wenigen Hektaren einige dreißig Stück getödtet. Gewisse Heidegegenden in Norddeutschland sind geradezu verrufen wegen der Menge dieser Giftschlangen; in der Nähe Berlins gibt es brüchige Waldstellen, welche von den grasenden Frauen der Kreuzotter halber nur mit hohen Stiefeln begangen werden. Alle, auch die berüchtigtsten Oertlichkeiten unseres Vaterlandes stehen jedoch noch weit zurück hinter den Steppen Südsibiriens und Turkestans, wo sie im Vereine mit der einzigen europäischen Lochotter (Trigonocephalus halys) in überaus großer Anzahl vorkommt. Im reinen Hochwalde findet man sie nicht; ist jedoch der Boden hier mit Heide bedeckt, so meidet sie selbst den Hochbestand nicht, wandert ebenso auf Oertlichkeiten, wo sie zeitweilig nicht vorkam, allgemach ein, wenn sich der Boden derart verändert, daß sie Sicherung und Beute findet, aber auch aus, wenn entgegengesetzte Umstände eintreten. »Auf dem Thüringer Walde«, sagt Lenz, »war früherhin ihre Vermehrung dadurch sehr gefördert worden, daß man den Boden da, wo die Bäume gefällt waren und eine neue Aussaat stattfinden sollte, in großen Schollen umlegte, unter welchen sich dann alsbald Eidechsen und Mäuse, zuletzt auch Kreuzottern ansiedelten. Ein solches Verfahren ist jetzt bei unserer Waldwirtschaft gänzlich aufgegeben; man pflanzt in die entblößten Stellen junge, aus Baumschulen entnommene Stämmchen ein, die Höhlungen fallen weg, und so hat sich die Menge des Otterngezüchtes ganz auffallend vermindert.«

Die eigentliche Wohnung unserer Schlange ist eine vorgefundene Höhlung im Boden unter dem Gewurzel der Bäume oder im Gestein, ein Maus- oder Maulwurfsloch, ein verlassener Fuchs- oder Kaninchenbau, eine Kluft und ein ähnlicher Schlupfwinkel, in dessen Nähe womöglich ein kleines, freies Plätzchen sich findet, auf welchem sie ihren wärmebedürftigen Leib den Strahlen der Sonne aussetzen kann. Wenn sie nicht die Paarungslust erregt und außer ihrer Zeit zum Umherwandern treibt, findet man sie übertages stets in der Nähe des gedachten Schlupfwinkels, nach welchem sie bei Gefahr zurückkehrt, so eilig Schlaftrunkenheit und Trägheit ihr dies gestatten. Bei herannahendem Gewitter soll sie, nach den Beobachtungen unseres Lenz, ebenfalls zuweilen kleine Streifzüge antreten; die Regel aber ist, daß sie sich bei Tage niemals weit von der Höhle entfernt.

Lenz war der Ansicht, daß die Kreuzotter ein echtes Tagthier sei, »da wenige Thiere sich so anhaltend wie sie dem Sonnenscheine aussetzen,« fügt vorstehenden Worten jedoch hinzu, daß sich schwerer angeben läßt, wie sie sich des Nachts verhalte. »Daß die Ottern in lauen oder schwülen Nächten über der Erde bleiben oder sich doch nur unter Moos oder Erde verkriechen, bezweifle ich nicht. Ich habe meine Gefangenen bei Mondschein leise beschlichen und gefunden, daß sie sich oft ganz ruhig verhalten, jedoch auch mitunter sehr lustig umherkriechen; auch habe ich zweimal bei Mondschein einsam und so leise als möglich im Freien Orte besucht, wo ich Kreuzottern wußte, habe aber keine gefunden, woraus jedoch noch kein Schluß gezogen werden kann, weil man selbst am hellen Tage beim schönsten Wetter keine auffindet. So viel ist gewiß, daß, wenn man die Schlangenjagd betreibt, man selten nach Sonnenuntergang unsere einheimischen Schlangen auf freien Flecken findet; sie verkriechen sich dann unter Moos, Heide usw.« Hätte der Zufall unseren Forscher belehrt wie mich, hätte er einmal an denselben Orten, welche er bei Mondschein nach Kreuzottern absuchte, in dunkler Nacht ein Feuer angezündet, er würde anderer Ansicht geworden sein. Die »Vorliebe« der Kreuzotter für den Sonnenschein beweist nur das eine: daß sie wie ihre Verwandten überhaupt Wärme über alles liebt und sich so viel wie möglich diesen Hochgenuß zu verschaffen sucht, keineswegs aber, daß sie ein Tagthier ist. Schon die jedermann auffallende Trägheit, welche sie bekundet, wenn sie sich sonnt, die Gleichgültigkeit um alles, was sie nicht unmittelbar berührt, deutet darauf hin, daß sie sich übertages nicht in wachem Zustande, sondern eher in einer Art von Halbschlummer befindet. Alle Nachtthiere ohne Ausnahme lieben die Sonne, obgleich sie das Licht scheuen und vermeiden; die Katze oder die Eule, welche sich ebenfalls besonnen lassen, sind dafür sprechende Belege: gefangene Eulen gehen zu Grunde, wenn man ihnen längere Zeit die Sonne gänzlich entzieht. Für die Kreuzotter nun, für ein Kriechthier, dessen Wärme mit der umgebenden steigt und fällt, ist es unabweisliches Bedürfnis, stundenlang in den Strahlen der Sonne sich zu recken, eine Wohlthat, dem Leibe die Wärme zu verschaffen, welche ihr das träg umlaufende Blut nicht gewähren kann. Aber ein Tagthier ist sie nicht, diese Schlange, ebensowenig wie irgend eine andere ihrer Familie. Umsonst wurde ihr das einer ungewöhnlichen Ausdehnung und Zusammenziehung fähige Auge nicht gegeben, umsonst dasselbe nicht noch besonders geschützt durch die vorspringende Braue oder das anderer verwandten Arten durch Hautgebilde, welche nur mit Fühlhaaren der nächtlichen Raubsäugethiere verglichen werden können; denn jede Anlage, jede Fähigkeit, welche ein Thier besitzt, wird von ihm auch in Anwendung gebracht. Erst mit Beginn der Dämmerung beginnt die Kreuzotter ihre Thätigkeit, ihre Geschäfte, ihre Jagd. Von dieser Wahrheit kann sich jeder überzeugen, welcher Ottern gefangen hält und den Käfig so einrichtet, daß er, ohne von den Thieren bemerkt zu werden, sehen kann, was vorgeht, oder da, wo Kreuzottern häufig sind, nachts ein Feuer anzündet. Der ungewohnte Lichtstrahl fällt den jetzt munteren Thieren auf, und sie eilen herbei, um sich über die fremdartige Erscheinung Kunde zu verschaffen, kriechen dicht bis an das Feuer heran, starren verwundert in die Glut und entschließen sich scheinbar nur schwer, umzukehren. Wem es also daran gelegen ist, die Kreuzotter zu fangen, erreicht seinen Zweck des Nachts mit Hülfe des Feuers viel leichter als bei Tage, erreicht ihn selbst da, wo er in den Mittagsstunden vergeblich suchte, vorausgesetzt natürlich, daß die Oertlichkeit wirklich von Ottern und bezüglich anderen Nachtschlangen bewohnt wird.

Erkenntnis des Irrthums rücksichtlich der Zeit, in welcher die Kreuzotter thätig ist, berichtigt theilweise auch die allgemein gültigen, früher von mir selbst getheilten Ansichten über ihre Begabungen und Eigenschaften. Wer sie nur bei Tage beobachtet hat, sagt die Wahrheit, wenn er sie selbst anderen Schlangen gegenüber ein überaus träges, bewegungsunlustiges, sinnenstumpfes und geistloses Thier nennt; wer sie bei Nacht beobachtet, gewinnt bald eine andere Meinung. Allerdings kann sie auch dann an Gewandtheit und Schnelligkeit mit der schlank gebauten Natter, mit der Jachschlange, nicht wetteifern: von der Trägheit aber, von der Langsamkeit und Bedachtsamkeit, mit welcher sie bei Tage sich bewegt, bemerkt man nachts nur wenig. Sie ist dann sehr rege und munter, durchkriecht ihren Käfig, also im Freien gewiß auch ihr Jagdgebiet, nach allen Richtungen hin und achtet, ganz im Gegensatze zu ihrem Betragen am Tage, auf alles, was um sie her vorgeht. Beobachtungen und angestellte Versuche haben erwiesen, daß sie auf ebenem Boden ziemlich rasch dahinschlängelt, zwar nicht klettert, sich aber doch an schiefen Stämmen emporhaspeln kann und auch im Wasser recht gut zu behelfen weiß. Letzteres meidet sie überhaupt keineswegs in dem Grade, wie man gewöhnlich gesagt hat. Sie ist keine Wasserschlange wie unsere Ringelnatter und ihre Verwandten, aber sie scheut die Nähe des Wassers durchaus nicht und weiß sich im Moore und Sumpfe, wo sie nur schwimmend von einer Bülte zur anderen gelangen kann, trefflich einzurichten. Ueber ihre Sinnesfähigkeiten wird wohl dasselbe gelten, was ich oben im allgemeinen gesagt habe; daß wir jedoch über die Schärfe des Gesichts ein richtiges Urtheil haben, bezweifle ich sehr, und keinesfalls möchte ich denjenigen Forschern beipflichten, welche, getäuscht durch am Tage angestellte Beobachtungen, ihr ein schwaches Gesicht zusprechen. Auch unser Urtheil über ihre geistigen Fähigkeiten wird noch der Berichtigung bedürfen. »Von eigentlichem Verstande dieser Schlange«, so habe ich mich früher ausgesprochen, »ist kaum zu reden. Vorurtheilsfreie Beobachtung stellt sie als ein überaus dummes Thier, als Ausbund geistiger Armut dar. Eine sinnlose Wuth ist der hervorstechendste Zug ihres Wesens. Jedes ungewohnte reizt ihren Zorn; sie unterscheidet aber nicht, läßt sich auf das gröblichste täuschen und wird niemals durch Erfahrung gewitzigt. Fast mit derselben Wuth, wie nach einem lebenden Wesen, beißt sie nach dem ihr vorgehaltenen Stocke oder nach dem hinter einem Glase gezeigten Finger. Sie stößt sich die Schnauze blutig, ohne zu erkennen, daß ihr Zorn zwecklos ist; sie beißt, wenn sie erregt wurde, noch wüthend in die Luft, auch wenn es nichts mehr zu beißen gibt. Ihr Geist ist unfähig, das gefährliche von dem ungefährlichen zu unterscheiden; deshalb kennt sie auch kaum die Furcht, deshalb schickt sie sich nicht einmal der entschiedensten Uebermacht gegenüber immer zur Flucht an. Kein Thier ist leichter zu fangen oder todtzuschlagen als die Kreuzotter. Sie harrt anscheinend trotzig des kommenden und vergißt zuweilen die Außenwelt vollständig. Man würde sich täuschen, wenn man ihr Gebaren als Muth deuten wollte; denn solchen besitzt sie nicht, höchstens von Trotz könnte man sprechen. Auch zur List erhebt sich ihr Geist nicht; wirkliche Schlauheit ist ihr fremd. Bevor sie sich anschickt, nach ihrer Beute zu beißen, zischt sie gewöhnlich ebenso laut und heftig, als wenn es der Abwehr gilt. Erregung jeglicher Art ist bei ihr mit Zorn fast gleichbedeutend. Daß ein solches Geschöpf mit anderen Thieren niemals Freundschaft schließt, daß es unzähmbar ist, braucht kaum noch erwähnt zu werden; ein so beschränkter Geist ist unbildsam.«

Diese Schilderung ist gewiß richtig, soweit es sich um das Tagleben der Kreuzotter handelt; ich bezweifle jetzt aber, daß sie auch für die Darstellung des nächtlichen Treibens derselben Gültigkeit hat. Wer einen Galago, eine Fledermaus, eine Eule bei Tage beobachtet, erhält sicherlich keine richtige Anschauung von ihrem Wesen und Gebaren. Sollte es bei den nächtlich lebenden Kriechthieren anders sein? Ich glaube nicht. Schon die in jeder Hinsicht dürftigen und gänzlich unzureichenden Beobachtungen, welche wir an Gefangenen im Käfige anstellen können, sprechen dagegen. Welche Aufschlüsse aber würde uns Beobachtung des Freilebens geben können! Nach meinen gegenwärtigen Anschauungen glaube ich die Ansicht aussprechen zu dürfen, daß alle Nachtschlangen, und somit auch unsere Kreuzottern, wenn ihre Zeit gekommen, sich in annähernd derselben Weise benehmen wie die Tagschlangen, deren Treiben wir beobachten können, daß sie beispielsweise also auch wirklich auf Beute jagen und nicht bloß, wie unsere bisherigen Beobachtungen glaubhaft erscheinen lassen, auf dem Anstande liegen, in der Erwartung, daß irgend eine Beute in ihre Nähe komme, um von ihr ergriffen werden zu können. Für diese Ansicht vermag ich schon jetzt eine bestimmte Beobachtung geltend zu machen. In einer prachtvollen Sommernacht bei vollem Mondscheine ging Struck mit einem Freunde auf breitem Wege durch gemischte Waldungen. Die Freunde lagerten sich gegen elf Uhr neben dem Wege, hörten nach einiger Zeit in der Entfernung von etwa siebzehn Schritten etwas rascheln und sahen hier eine Maus vom Gebüsche her auf den Weg, rasch hinter ihr drein aber eine Schlange laufen. Die Jagd ging auf dem Wege an funfzehn Schritte weit hin; dann holte die Schlange die Maus ein, zischte und packte die Beute. Strucks Begleiter, ein Forstmann, nahm sein Gewehr, gab Feuer und fand eine todte Maus und eine sterbende Kreuzotter. Derselbe Beobachter hat auch bemerkt, wie kleinen Feuern, durch welche das Wild nachts vom Getreide verscheucht werden soll, Kreuzottern sich nahen, vorausgesetzt, daß die Leute sich ruhig verhalten, wogegen sie Reißaus zu nehmen pflegen, wenn jemand mit einem Knüttel auf sie losgeht.

Das Wesen der Kreuzotter, so weit wir es kennen, ist nichts weniger als ansprechend, die blinde, grenzenlose Wuth, welche sie, gereizt, bekundet, geradezu abstoßend. »Ich habe einmal«, sagt Lenz, »eine Otter eine ganze Stunde lang gereizt, wo sie dann unaufhörlich fauchte und nach mir biß, so daß ich es am Ende der Stunde satt hatte, sie aber lange noch nicht. In solcher Wuth beißt sie häufig, auch wenn sich der Gegenstand, welcher sie gereizt hatte, entfernte, in die Luft, in Häufchen Moos und dergleichen, vorzüglich aber, wenn es im Sonnenscheine geschieht, nach ihrem eigenen oder nach anderer Schatten. Sie hat dann den Körper zusammengeringelt und den Hals in der Mitte des gebildeten Tellers eingezogen, um ihn bei jedem Bisse, welcher etwa funfzehn, höchstens dreißig Centimeter weit reicht, vorschnellen zu können. Das Einziehen des Halses ist immer ein Zeichen der Absicht, zu beißen; sie beißt auch fast nie, ohne sich erst auf diese Weise vorbereitet zu haben, und zieht nach geschehenem Bisse ebenso schnell den Hals wieder ein, wenn sie sich nicht zu tief verbissen hat, daß ihr dies unmöglich wird. Selbst wenn man ihr einen Gegenstand von der Größe einer Maus vorhält, beißt sie oft fehl, zielt also schlecht. Wenn sie wüthend wird und beißen will, zieht sie nicht nur erst den Hals ein, sondern stößt auch, falls sie Bedenkzeit hat und ihr der Gegenstand nicht plötzlich nahe kommt, die Zunge oft und schnell, etwa so weit als ihr Kopf lang ist, vor, und dabei glühen ihre Augen; aber während sie beißt, ist ihre Zunge eingezogen; auch berührt sie mit dieser vor dem Bisse den Feind nur selten. Wird sie plötzlich vom Feinde überrascht, und beißt sie dann augenblicklich zu, so zischt sie selten vorher; je mehr Bedenkzeit sie aber hat, je höher ihr Ingrimm sich steigert, je mehr und je heftiger dagegen. Das Zischen oder Fauchen geschieht in der Regel bei geschlossenem Munde und wird hervorgebracht, indem sie heftiger als gewöhnlich aus- und einathmet; es besteht aus zwei verschiedenen, jedoch sich ähnelnden Lauten, die ungefähr in demselben Zeitraume abwechseln, in welchem ein Mensch aus- und einathmet. Beim Ausstoßen der Luft ist der Laut stark und tief, beim Einziehen derselben schwächer und höher. Ich hielt einer anhaltend und heftig zischenden Otter eine am Rande eines Stäbchens befestigte Flaumfeder vor die Nase, an der ich das Aus- und Einziehen der Luft deutlich wahrnahm, fand jedoch, daß die Bewegung der Luft dabei nur äußerst gering ist. Ueberhaupt bläst sich die Kreuzotter, sobald sie böse ist, stark auf, so daß dann selbst abgemagerte voll und fett aussehen. In noch höherem Grade geschieht dies, wenn man sie in das Wasser wirft; dann aber aus dem Grunde, um sich durch die eingezogene Luft zu erleichtern. Sie ist immer auf ihrer Hut und zur Vertheidigung und zum Angriffe gleich bereit. Daher findet man sie fast nie, selbst wenn sie noch so ungestört ist, ohne daß sie das Köpfchen schief emporreckt. Obgleich (bei Tage) mit ziemlicher Blindheit geschlagen, weiß sie doch sehr wohl einen Unterschied zwischen den sich ihr nahenden Gegenständen zu machen, und man beobachtet sehr leicht, daß sie am liebsten nach warmblütigen Thieren und unter diesen wieder am liebsten nach Mäusen beißt. Auch sieht man, wenn man sie in ein recht helles Glas setzt, daß sie weit lieber nach der bloßen Hand fährt, wenn man diese von außen daran bringt, als wenn man z.B. das Glas mit dem Aermel, einem Stäbchen usw. berührt.

In der Gefangenschaft verträgt sie sich in einer geräumigen Kiste mit allen kleinen Thieren, außer mit Mäusen, sehr gut; ja, ich habe öfters gesehen, daß sich Eidechsen, Frösche und Vögelchen, wenn sie einmal eingewohnt waren, ruhig auf ihr sitzend sonnten, auch in der Freiheit Ottern angetroffen, auf denen Eidechsen sich gemächlich gelagert haben. Einmal habe ich einen recht artigen Auftritt erlebt. Es schien nämlich in der Schlangenkiste die Sonne nur auf ein ganz kleines Fleckchen, und dieses war von den Ottern sogleich in Beschlag genommen worden. Da kam eine Eidechse herbei, suchte vergeblich nach einem Plätzchen und biß nun, weil sie keines fand, eine Otter ganz behutsam in die Seite, um sie zum Weichen zu bringen, woran sich jene aber gar nicht kehrte. Die Eidechse lagerte sich endlich neben den Ottern und außerhalb der Sonne. Andere Schlangen und Blindschleichen lagern sich ebenfalls gern neben, auf und unter die Otter, als wenn sie ihresgleichen wäre. Wenn ihr Käfer über den Leib laufen, achtet sie es nicht; marschiren sie aber auf ihrem Kopfe, so schüttelt sie nur, jedoch ohne zu zürnen.

Es ist ein allgemeiner Glaube, daß die Otter springt und in der Wuth sogar auf weite Strecken verfolgt. Weder ich, noch mein Schlangenfänger haben je dergleichen gesehen; auch hat mir nie ein Mensch, der die Ottern genau kennt, etwas ähnliches erzählt. Ich habe mir sehr oft nicht nur in der Stube, sondern auch im Freien viele Mühe gegeben, sie zum Springen zu reizen, aber immer vergeblich. Indessen gewährt es doch viel Vergnügen, wenn man eine in aller Ruhe auf dem Boden, den sie zu beherrschen wähnt, ruhende Otter überrascht und sie nun mit einem Rüthchen neckt. Zuweilen zieht sie sich so zusammen, daß sie ein kleines Thürmchen bildet, auf dessen Spitze das drohende Köpfchen steht; aber sie bleibt auch im breiten Teller liegen. Alle ihre Muskeln sind in unaufhörlicher Bewegung, so daß man ihre Farbe nicht recht erkennen kann, und unaufhörlich zucken ihre Bisse, wie aus einer düstern Wetterwolke die Blitze, nach dem Ruhestörer hin. Nie aber habe ich gesehen, daß sie auch nur dreißig Centimeter weit absichtlich vorgesprungen wäre; zuweilen nur, wenn man sie plötzlich in einer gestreckten Lage überrascht, wo sie sich nicht die Zeit nimmt, den ganzen Leib tellerförmig aufzurollen, sondern bloß den Hals einzieht und dann mit schneller Bewegung ihn wieder auszieht und zubeißt, geschieht es, daß diese Bewegung auch ihren übrigen Körper etwas vorschnellt.

Oft verräth sich die Kreuzotter in ihrer blinden Bosheit selbst, wenn sie, im Grase oder Gesträuche verborgen, von Vorübergehenden nicht bemerkt, anstatt sich ruhig zu verhalten, ein wildes Gezisch erhebt und nach ihm beißt, so daß man sie oft nicht eher wahrnimmt, als bis man selbst oder doch der Stiefel und die Kleider den Biß schon weghaben. Zuweilen flieht sie gleich nach dem ersten oder zweiten Bisse; öfters schleicht sie sich auch schon, wenn sie Menschen in ihrer Nähe bemerkt, ohne weiteres davon.« Letzteres geschieht des Nachts, wenn sie wirklich vollständig munter ist, gewiß regelmäßig, und daher mag es kommen, daß um diese Zeit weit weniger Menschen von ihr gebissen werden, als man annehmen möchte, auch wenn man in Betracht zieht, daß nach Sonnenuntergang ihre Lieblingsorte wenig besucht werden.

Die Nahrung der Kreuzotter besteht vorzugsweise, jedoch nicht ausschließlich, in warmblütigen Thieren, insbesondere in Mäusen, welche sie jedem anderen Fraße vorzieht, Spitzmäusen und jungen Maulwürfen. Am meisten müssen, nach Lenz, die Erd- oder Ackermäuse von ihr leiden, »weil sie unter unseren Mäusearten die langsamsten und gutmüthigsten sind, weit weniger die schnellen, schlauen Feldmäuse. Spitzmäuse werden auch nicht verschont. Maulwürfe habe ich zwar noch nie im Magen der Ottern gefunden, zweifle jedoch nicht im geringsten daran, daß sie sich weidlich an dem fetten Schmause laben werden, wenn sie zufällig ein Nestchen voller Jungen finden«. Daß sie die Mäuse nicht bloß über, sondern auch unter der Erde fängt, geht aus den Untersuchungen unseres Lenz hervor; denn er fand in dem Magen der von ihm zergliederten, wie er sagt, öfters junge, ganz nackte Mäuse oder Spitzmäuse, welche sie doch nur aus dem unterirdischen Neste geholt haben konnten. Junge Vögel, zumal die der Erdbrüter, mögen ihr oft zum Opfer fallen, und es ist keineswegs unwahrscheinlich, daß sie viele Nester ausraubt. Darauf hindeutet auch das Betragen der alten Vögel, welche, wenn sie eine Otter erblicken, großen Lärm erheben, überhaupt lebhafte Unruhe an den Tag legen. Frösche verzehrt sie wohl bloß im Nothfalle, Eidechsen nur, so lange sie selbst noch jung ist. »Es ist merkwürdig«, schildert Lenz, »zu beobachten, welche unüberwindliche Begierde nach Mäusemord ihr angeboren ist. Selbst in der Gefangenschaft, wo sie sich freiwillig dem Hungertode weiht und nicht leicht ein anderes Thier, ohne gereizt zu sein, mit ihren Bissen verfolgt, selbst da, sage ich, beginnen ihre Blicke, sobald sie eine Maus erschauen, von wilder Mordgier zu funkeln, ihre Bisse zucken nach dem harmlosen Thierchen; es wird in wilder Leidenschaft gemordet, aber nimmermehr verzehrt. Sobald es entseelt vor ihnen liegt, kehrt die süße Ruhe in ihre Seele zurück, welche der heimtückische Bösewicht fühlt, welcher seinen lang verhaltenen Rachedurst endlich im Blute des verhaßten Feindes gekühlt hat. Oft habe ich einem solchen Schauspiele zugesehen. In Kisten, worin sich zehn bis zwanzig Ottern nebst verschiedenen anderen Schlangen, Blindschleichen, Eidechsen, Fröschen usw. befanden, in denen der tiefste Friede und gegenseitiges Vertrauen herrschte, ließ ich plötzlich eine Maus springen. Furchtlos läuft sie herum; sie glaubt in guter Gesellschaft zu sein und scheut sich nicht, den Ottern auf Leib und Kopf zu hüpfen. Aber siehe, da ziehen die Argen Hals und Kopf zusammen, ihre Augen glühen, ihre Zunge tritt mit schnellen Schwingungen hervor; in allen Ecken hört man zischen, und bald trifft Biß auf Biß, nach ihr allein gerichtet, die Luft. Noch weiß sie nicht, wems gilt. Sie weicht den Bissen aus, springt hin und her; denn nirgends kann sie ruhen. Da trifft sie endlich die giftige Waffe; sie zuckt, schwillt auf, schwankt, fällt auf die Seite und stirbt. Noch sind die aufgeregten Gemüther nicht beruhigt; man hört hier und da noch einzelne zischen und sieht sie in die Luft beißen; aber bald kehrt mit dem Tode des Feindes Ruhe und Frieden zurück.«

Es bringt der Kreuzotter wie anderen Schlangen keinen Schaden, wenn sie längere Zeit hungern muß; dafür nimmt sie aber auch, wenn ihr das Jagdglück hold ist, eine reichliche Mahlzeit zu sich. Lenz fand bei seinen Untersuchungen drei erwachsene Mäuse, eine hinter der anderen, in Speiseröhre und Magen.

Das Sommerleben unserer Schlange beginnt erst im April, obgleich man sie in günstigen Frühjahren schon um die Mitte des März außerhalb ihrer Winterherberge sieht, ja eine oder die andere bei besonders günstiger Witterung, ausnahmsweise schon früher und selbst mitten im Winter im Freien bemerken kann. »Am neunzehnten Januar 1875«, so schreibt mir Oberstabsarzt Grimm, »nachmittags gegen drei Uhr, stand ich am südwestlichen Rande eines sehr alten, an ausgefaulten Wurzelstöcken reichen Eichenbuschholzes, welches bejagt werden sollte. Die Sonne schien leidlich warm, und wenn auch auf der ganzen Flur noch Schnee lag, so war doch die eine Seite des Gehölzes, welches einen sanften Hang bedeckte, schon abgethaut und der Boden hier vollständig trocken. In der Nähe eines der äußersten Stöcke lag, sich sonnend, eine Kreuzotter, nicht eng zusammengeringelt und scheinbar leblos. Als ich sie jedoch mit meinem Stocke berührte, versuchte sie, ziemlich eilig, dem ersten Buschstocke zuzukriechen. Während ich mich bemühete, sie festzuhalten, um sie lebendig zu fangen, sprang ein übereifriger Treiber hinzu und schlug, ehe ich es hindern konnte, unter wohlmeinenden Warnungen das ›giftige Thier‹ todt.« In der Winterherberge gesellt sich die Kreuzotter regelmäßig in ziemlicher Anzahl. »Im Jahre 1816«, schreibt Pfarrer Treiße an Lenz, »arbeiteten mehrere Holzhauer bei gelindem Wetter an einem Wege, zu dessen Ausbesserung bedeutende Sandsteinwände abgearbeitet wurden. In diesen gab es viele Ritzen und Klüfte, und hier war es, wo man, ein bis zwei Meter unter der Erdoberfläche, zehn Kreuzottern in ihrer Winterruhe fand. Anfangs glaubten die Holzhauer Stricke liegen zu sehen; nachdem sie aber den ersten mit der Hacke hervorgezogen und als Kreuzottern erkannt hatten, holte sie auch die übrigen in verschiedenen Klüften zerstreuten hervor und schlugen sie todt. Die Thiere hatten sich zwischen dem Gesteine zusammengeringelt, waren matt und in einem Zustande der Betäubung. An den Seiten der Steinwände waren keine Ritzen bemerkbar; daher mußten sie von oben, wo sich mehrere Spalten zeigten, eingekrochen sein.« Ein Bericht Wagners lautet ganz ähnlich. »Im Winter 1829 zu 1830 wurden im Schweidnitzer Kreise, eine Stunde westlich der Stadt Schlieben, neun Ottern in einer sumpfigen Gegend, über dem Wasserspiegel, in einem alten Stamme angetroffen. Sie hatten sich dicht zusammengedrängt, gaben kaum ein Zeichen des Lebens von sich und wurden sämmtlich erschlagen. Bei dieser Otterngesellschaft entdeckte man auch einen Iltis, der da wohl hatte Nahrung aufsuchen wollen und nun ebenfalls seinen Tod fand.« Alexander von Homeyer theilt mir einen weiteren Beleg für diese Thatsache mit. »Die ›Adder‹, wie das Thier im Plattdeutschen heißt, hält den Winterschlaf gesellig ab. Man findet, nach meines Bruders Beobachtungen, funfzehn bis fünfundzwanzig Stück dicht zusammen unter dem Gewurzel von Wacholder und alten, halb vermoderten Erlen- und Birkenstumpfen, wohin sie sich mit Beginn des Frostes bis zur Wiederkehr des Frühlings zusammenziehen. Gewöhnlich entdecken die Holzarbeiter beim Ausroden alter Wurzelstämme derartige Winterlager und verfehlen dann nicht, der gesammten Schlafgesellschaft den Garaus zu machen. Mit wahrer Genugthuung haben wir erfahren, daß der Iltis über diese Thatsache weit genauer unterrichtet ist, als wir es bisher waren. Er sucht im Winter derartige Lager auf und holt sich davon nach Bedarf. Beim Ausmachen eines Iltis fand mein Bruder, mitten im Winter natürlich, einige Frösche und drei ›Addern‹, welche das Thier nach seinem Baue geschleppt hatte, nachdem es die Vorsicht gebraucht, ihnen die Wirbelsäule dicht hinter dem Kopfe zu durchbeißen. Schließlich noch die Bemerkung, daß der Winterschlaf der Otter nicht sehr fest ist: bei einiger Störung richtet sie den Kopf auf, kriecht langsam umher und züngelt; das Auge jedoch erscheint müde und matt.«

Die Paarung beginnt erst, wenn das Frühlingswetter beständig geworden ist, gewöhnlich anfangs April und von dieser Zeit an bis zu Ende des Monats und selbst bis zu Anfang des Mai. Ausnahmsweise geschieht es, daß sich die Kreuzottern auch zu einer ungewöhnlichen Zeit paaren. So fand Effeldt im Jahre 1848 am funfzehnten März ein verschlungenes Pärchen in der Begattung; so erwähnt Lenz eines Falles, wo man am achtzehnten December vormittags bei schönem, warmem Wetter zwei dieser Thiere in der Paarung begriffen sah. Letztgenannter hält es deshalb für möglich, daß zuweilen auch im Frühjahre schon Eier gelegt werden können. In der Regel hecken die Ottern erst im August und September. Höchst wahrscheinlich vereinigen sich die Thiere des Nachts, bleiben aber mehrere Stunden in innigster Umschlingung, so daß man sie noch am folgenden Tage auf der Stelle, welche sie zum Brautbett erwählten, liegen sehen kann. Wie schon bemerkt, geschieht es, daß sich mehrere Kreuzotterpärchen während der Begattung verknäueln und dann einen Haufen bilden, welcher möglicherweise zu der alten Sage vom Haupte der Gorgonen Veranlassung gegeben hat. »Im April des Jahres 1837«, so erzählte mir Effeldt, »ging ich, wie ich es um diese Zeit stets zu thun pflegte, nach dem zehn Kilometer von Berlin entfernten Dorfe Johannisthal, um dort Kreuzottern einzufangen. Ich wußte damals noch nicht, daß alle Vipern Nachtthiere sind, sondern glaubte, da ich des Nachmittags ziemlich spät auf meinem Jagdgrunde angekommen war, meine Forschungen bis zum nächsten Morgen verschieben zu müssen, ging jedoch vor Sonnenuntergang noch in den Wald hinaus, mehr um das schöne Wetter zu genießen, als nach Thieren auszusehen. Zu dieser Zeit reichte ein vorzugsweise aus Erlen bestehendes, mit Brombeersträuchen reich durchwachsenes Gehölz bis an die letzten Häuser des Dorfes, und dieses Gehölz war derartig von Ottern erfüllt, daß alljährlich einer oder der andere der Dorfbewohner gebissen und die Leute von den Ottern sogar besucht wurden, wie man ähnliches von südlichen Ländern liest. Im Walde traf ich mit dem mir bekannten Förster zusammen und wurde schon von weitem mit dem Zurufe begrüßt: ›Nun, wenn Sie heute wieder ›Addern‹ fangen wollen, kommen Sie recht; ich habe soeben einen ganzen Haufen von ihnen liegen sehen‹. Auf meine Bitte, mir die Stelle zu zeigen, kehrte der Mann um, führte mich jedoch nur bis in die Nähe des angegebenen Platzes; ›denn‹, versicherte er mir, ›nicht um alles Geld der Welt würde ich an einen Otterklumpen herangehen, nicht einmal wagen, auf sie zu schießen, da diese bösartigen Thiere dann sofort auf den Menschen zueilen und ihn längere Zeit verfolgen.‹ Nach längerem Suchen entdeckte ich zu meiner größten Ueberraschung, daß mir mein Bekannter wirklich die Wahrheit berichtet hatte. Neben einem von jungen Schößlingen umgrünten Erlenstrunke, in unmittelbarer Nähe des Fußweges, lagen sechs bis acht Ottern in der wunderbarsten Weise zusammengerollt und in einander verschlungen, Männchen und Weibchen durch einander, einzelne Pärchen in der Begattung, andere Ottern mit den derart vereinigten verknäuelt. Als ich herzutrat, erhoben alle die Köpfe, züngelten und zischten, blieben aber hartnäckig auf derselben Stelle liegen, ohne auch nur einen Versuch zum Entfliehen zu machen; ja, sie ließen sich selbst dann nicht stören, als ich sie mit einem Rüthchen berührte und neckte. Die vorgerückte Tageszeit verhinderte mich, etwas in der Sache zu thun; deshalb begab ich mich am Morgen des folgenden Tages wieder zur Stelle, weniger in Erwartung, den Knäuel noch zu finden, als in der Hoffnung, mehrere von den gestern gesehenen Ottern wieder anzutreffen. Wie erstaunte ich, als ich beim Betreten des Versammlungsplatzes nicht nur die gestern beobachteten Ottern noch auf derselben Stelle liegen sah, sondern fand, daß sich die Anzahl während der Nacht noch um einige vermehrt hatte. Das Benehmen der Thiere hatte sich wesentlich verändert; sie waren jetzt bei vollem Sonnenscheine ungleich ruhiger und gleichgültiger als am vorhergegangenen Abende, und deshalb gelang es mir, sie mittels eines langstieligen Schöpfers sämmtlich einzufangen und zu versichern. Nunmehr begab ich mich auf den Rückweg nach Berlin, neugierig, zu sehen, was folgen werde. Der stundenlange Weg und das wiederholte Zusammenschütteln während desselben mochte sie jedoch gestört haben: bei meiner Ankunft zu Hause hatte sich der Knäuel vollständig gelöst. Zehn Jahre später erfuhr ich von einem Nachfolger jenes Försters, daß er genau dasselbe von Ottern beobachtet habe.«

Nach den Untersuchungen von Lenz paaren sich die Kreuzottern erst, wenn sie beinahe das volle Maß ihrer Größe erreicht haben; gedachter Forscher fand keine unter funfzig Centimeter Länge, welche zur vollkommenen Ausbildung geeignete Eier im Leibe gehabt hätte. Die Anzahl der Jungen, welche ein Weibchen zur Welt bringt, richtet sich nach Alter und Größe der Mutter: jüngere werfen deren fünf bis sechs, ältere zwölf bis vierzehn Stück. Der Geburtshergang selbst ist von Lenz ebenfalls beobachtet und sehr ausführlich beschrieben worden. »Wenn die Otter heckt«, sagt er, »so liegt sie ausgestreckt da und drückt ein Ei nach dem anderen aus der Mündung des Darmschlauches, in welchen die Eiergänge münden, hervor, ohne Zweifel abwechselnd, so daß, wenn aus dem einen Eiergange ein Ei gelegt ist, eines aus dem anderen folgt. Beim Legen hebt sie den Schwanz schief und oft in einem Bogen empor, während der Leib auf dem Boden ruht. Anfangs ist letzterer bis zum Schwanze dick; sobald aber das erste Ei gelegt ist, sieht der Zuschauer sehr deutlich das folgende nachrücken und bemerkt, wie sich jedesmal hinter dem zu legenden Eie der Körper einzieht, um es weiter und endlich herauszupressen. Zwischen dem Erscheinen der Eier vergehen jedesmal mehrere Minuten, zuweilen auch Viertel- oder ganze Stunden. Währenddem ist nach meinen vielfältigen Beobachtungen die Kreuzotter ungemein gutmüthig. Kaum ist das Ei gelegt, so dehnt sich auch das darin befindliche Junge, zerreißt die feine Eischale und kriecht hervor. Jetzt hängt ihm noch der Dottersack am Leibe; er aber bleibt liegen, indem das Thierchen beim Herumkriechen die Nabelgefäße zerreißt und nun, in jeder Hinsicht vollkommen, ohne an Mutter und Vater zu denken, auf eigene Gefahr den argen Lebenslauf beginnt.

Bemerken muß ich, daß die Kreuzotter boshaft geboren wird und unwiderruflich bis an ihr Lebensende im Bösen verharrt. Ich habe solche Thierchen, noch während sie von dem eben verlassenen Eie ganz naß waren, wenn ich sie berührte, zischen hören und grimmig um sich beißen sehen; aber ich muß zugleich auch gestehen, daß nicht alle mit gleicher Bosheit zur Welt kommen, da immer, auch unter Geschwistern, sich gutmüthige finden. Vorzüglichen Spaß hat es mir gemacht, daß die kleinen, kaum dem Eie entschlüpften Otterchen, indem sie anfangen herumzukriechen und sich mit der Welt bekannt zu machen, gewöhnlich auch nicht vergessen, den Rachen von Zeit zu Zeit zu öffnen, ihre Todeswaffen, die Giftzähne, dabei emporrichten, den Hinterkopf in die Breite dehnen und so sich auf ihr berüchtigtes Handwerk vorbereiten.

Bei der Geburt sind sie meist dreiundzwanzig Centimeter oder etwas darüber lang und in der Mitte des Körpers etwa einen Centimeter dick. Kopf, Schilder, Schuppen, Zähne, Zahnscheide usw. sind wie bei den Alten gestaltet, sie aber mit einer sehr feinen, durchsichtigen, lose anliegenden Oberhaut bekleidet, unter welcher die Farbe weit heller erscheint. Wenige Minuten oder Stunden nach der Geburt streifen sie diese Oberhaut ganz wie die Alten ab, und so ist denn die Häutung das erste wichtige Geschäft ihres Lebens.

Unter den bei mir geborenen Otterchen habe ich immer nur etwa den fünften Theil Männchen gefunden, auch draußen weit mehr Weibchen als Männchen, dagegen ebensoviel alte Männchen als alte Weibchen. Was mag die Ursache dieser Erscheinung sein?

Noch will ich darauf aufmerksam machen, daß sich bei der Kreuzotter keine Spur von Eltern-, Kinder-und Geschwisterliebe zeigt. Sobald das Otterchen das Tageslicht erblickt hat, geht es, ohne die geringsten Ansprüche an die Liebe seiner Mutter zu machen, welche sich doch nicht um ihre Kinder bekümmert, und ohne mit seinen Geschwistern einen freundlichen Blick zu wechseln, seinen Weg. Man findet diese kleinen Thierchen, denen das Bewußtsein eigener Kraft Muth und Selbstvertrauen verleiht, vereinzelt hier und dort. Aber besitzen sie auch wirklich schon, wenn auch nur in geringem Maße, ihren Antheil des tödtlichen Giftes, auf dessen Kraft sie sich zu verlassen scheinen? Es war wohl der Mühe werth, hierüber einige Versuche anzustellen. Ich nahm daher ein Junges, welches etwa in fünf Tagen hätte geboren werden müssen, aus einer Alten, welche ich zu diesem Zwecke soeben getödtet hatte, durchstach ihm den Kopf an der Stelle, wo die Giftdrüsen sitzen, mehrmals mit einer Nadel und verwundete damit einen Kreuzschnabel, welcher aber davon gar nicht litt. Mit einer anderen jungen Otter und einem anderen Kreuzschnabel verfuhr ich dann ebenso, aber wieder mit demselben Erfolge. Bald darauf ließ ich eine junge, halbwüchsige Maus in einen Kasten, worin sich sechzehn, im Durchschnitte sechs Tage alte, bei mir geheckte Kreuzotterchen befanden. Die Maus zeigte anfangs gar keine Furcht; aber während sie da herumschnupperte, erhob sich allerwärts ein feines, jedoch grimmiges Gezisch: alle blickten wüthend nach ihr, und, wohin sie kam, zuckten Bisse. Sie suchte der drohenden Gefahr durch Windungen auszuweichen, bekam aber doch zehn Bisse, wovon einige der heftigsten in die Schnauze und den linken Hinterfuß drangen; ja, zweimal hatte sich ein Otterchen so stark in sie verbissen, daß es eine Strecke weit von ihr mit fortgeschleppt wurde. Ich nahm nun die Maus heraus, sie hinkte, putzte sich öfters Hinterfuß und Schnauze, wurde matt, lebte aber doch noch etwas über eine Stunde, dann starb sie. In eine andere Kiste, worin sich vierundzwanzig ebensolche Otterchen befanden, ließ ich nun den Bruder jener Maus, und der Erfolg war fast ganz derselbe.« Andere Beobachtungen stimmen mit vorstehendem überein. Aus einer derselben, welche Kirsch anstellte, geht hervor, daß auch die erst vor wenig Minuten dem Eie entkrochenen Ottern tödtlich zu vergiften vermögen.

Einen beachtenswerthen Beitrag zur Fortpflanzungsgeschichte der Kreuzottern verdanken wir Petry. Dieser Beobachter erhielt eine ausgewachsene Kreuzotter, welche ein Freund von ihm durch einen Hieb mit dem Stocke getödtet zu haben glaubte und auch so bedeutend beschädigt hatte, daß das Thier noch nach Stunden sich nicht regte. An den frischen Augen erkannte Petry, daß sie noch lebe, brachte sie in seinen Schlangenkäfig und stellte Wiederbelebungsversuche an, indem er sie mit frischem Brunnenwasser bespritzte und besonders die wunde Stelle am Rücken stark benetzte. Am Mittage des anderen Tages fand er die Schlange in natürlicher Lage etwas zusammengerollt, nach acht Tagen bereits wieder munter und bissig wie irgend eine andere. Fast einen Monat später brachte die Schlange im Verlaufe des Tages zehn Junge zur Welt, von denen vier bereits todt waren und die übrigen bald darauf starben. In der folgenden Nacht hatte die Schlange wiederum ein Junges geboren, welches sich wie andere seines Gelichters durch besondere Bissigkeit auszeichnete und fortan mit der Alten den Schlangenkäfig theilte, bis sie am sechsten December an Entkräftung zu Grunde ging. Zu nicht geringem Erstaunen des Beobachters fanden sich aber am zwölften December wiederum drei, zwar todte, aber vollständig ausgebildete Junge vor, welche die Alte nur während der letzten kalten Tage geboren haben konnte, da eines der Jungen noch in einem weichen, blutigen Schlamme lag. Die Kreuzotter hatte somit funfzehn Wochen nach der ersten Geburt noch einmal drei vollständig ausgetragene Junge gebracht. Petry erklärt, wahrscheinlich mit vollstem Rechte, diese auffallende Thatsache durch die Verwundung der Mutter und die muthmaßliche Lage der drei Eier, deren Entwickelung bis zur vollständigen Heilung der Wunde unterbrochen gewesen sein mag.

Wenn Lenz sagt, daß die Kreuzotter boshaft bleibt bis an ihr Ende, so gilt dies auch für ihr Betragen in der Gefangenschaft. Ihre unmäßige und sinnlose Wuth stumpft sich allerdings mit der Zeit etwas ab: sie beißt weniger und seltener als anfangs; niemals aber läßt sie sich wirklich zähmen, niemals dahin bringen, nicht mehr nach ihrem Pfleger zu beißen, und deshalb bleibt der Umgang mit ihr stets gefährlich. Merkwürdig ist, daß sie auch bei der sorgfältigsten Pflege nur ausnahmsweise im Käfige Nahrung zu sich nimmt. »Es ist«, meint Lenz, »als ob sie von dem Augenblicke, welcher sie in die verhaßte Gefangenschaft bringt, den Entschluß faßt, zu verhungern; denn fast ohne Ausnahme speit sie entweder sogleich oder doch nach Stunden oder Tagen die genossene Nahrung wieder aus, selbst wenn man sie so behutsam fing, daß sie dabei, außer am Schwanzende, nicht gedrückt wurde. Zuweilen speit sie schon, indem man sie am Schwanze aufhebt, öfters während man sie in der Pflanzenbüchse oder im Säckchen nach Hause trägt, oft auch, wenn sie schon zu Hause einige zeitlang ungestört in der ihr angewiesenen Wohnung gelegen hat. In der Gefangenschaft habe ich ihr außer Mäusen, kleinen Vögeln, Fröschen, Eidechsen usw. eine Menge anderer Dinge vorgelegt, als Kerbthiere aller Art, Mehlwürmer, Ameiseneier, Regenwürmer, Laubfrösche, Vogel- und Eidechseneier, junge Schlangen anderer Art, Brod, Semmel usw.; sie hat aber nach all den Leckerbissen gar keine Begierde gezeigt. Nur Ameisenpuppen hat sie oft verzehrt, ohne sie jedoch gehörig zu verdauen. Ich habe auch den Versuch gemacht, ausgehungerten Ottern junge, kleine Mäuschen einzustopfen, indem ich mit der linken Hand sie hinten am Kopfe packte, mit der rechten vermittels einer Zange die Maus faßte, sie dann in den Rachen schob und mit einem Hölzchen die Speiseröhre hinabstopfte. Das ganze Unternehmen half leider nichts; denn die Otter spie doch hernach den Pfropfen wieder aus.« Dieses hartnäckige Verschmähen aller Nahrung ist die Regel, jedoch auch sie nicht ohne Ausnahme. Wenn man der Kreuzotter einen Käfig herrichtet, welcher gleichsam den Moorboden nachahmt, entschließt sie sich zuweilen doch, freiwillig Nahrung zu sich zu nehmen. Letzteres erfuhren Erber, Effeldt und ebenso auch ich. »Von mehreren bewährten Schlangenkundigen«, sagt der erstgenannte, »wurde mir die bestimmte Versicherung gegeben, daß unsere einheimische Viper in der Gefangenschaft nie Nahrung zu sich nimmt; darum unterließ ich es, dieselbe mit Futter zu versehen. Doch wie war ich überrascht, als ich um die Mitte Oktober die Kreuzotter eines Abends, nachdem ich ihr kurz zuvor zwei sehr junge Mäuschen in den Käfig gegeben, beim Schmause eines dieser jungen, bereits getödteten Grasverderber begriffen fand!« Effeldt versicherte mich, daß unter den unzähligen, welche er gefangen hielt, ebenfalls einige waren, welche sich zum Fressen bequemten, eine sogar, welche regelmäßig Futter annahm. Doch, wie bemerkt, sie bilden nur Ausnahmen; die Regel ist, daß sie sich, gefangen, dem Hungertode weihen, und man sie auch deshalb selten länger als neun Monate am Leben erhält.

Unter allen deutschen Schlangen bringt die Kreuzotter, was Vertilgung schädlicher Thiere anlangt, den größten Nutzen: und dennoch dankt ihr niemand die Verdienste, welche sie sich erwirbt, sucht jedermann sie zu vernichten, wo und wie er es vermag! Und in der That, bei keinem deutschen Thiere weiter ist die rücksichtsloseste, unnachsichtlichste Verfolgung in demselben Grade gerechtfertigt wie bei ihr. In unserem Vaterlande kommt es gegenwärtig schwerlich noch vor, daß ein Mensch durch ein Raubthier sein Leben verliert: funfzig Fälle aber sind in den letzten Jahren verzeichnet worden, daß Menschen an den Folgen des Bisses einer Kreuzotter starben, und ebenso viele mögen durch Schlangen ihren Tod gefunden haben, ohne daß es zur allgemeinen Kunde gelangte. Linck hat wahrscheinlich Recht, wenn er annimmt, daß in Deutschland alljährlich zwei Menschen an den Folgen des Bisses der Kreuzotter sterben und zwanzigmal mehr durch sie vergiftet, aber noch gerettet werden.

Ueber die Wirkung des Giftes besitzen wir einen eingehenden Bericht, der um so wichtiger ist, als er von einem Arzte herrührt, welcher diese Wirkung an sich selbst erfuhr. Eine ausgewachsene Kreuzotter biß Heinzel, wie er selbst erzählt, am achtundzwanzigsten Juni nach ein Uhr mittags, als er sie aus einem Gefäße in ein anderes bringen wollte, in die rechte, seitliche Nagelfurche des rechten Daumens. Der Tag war heiß, das Thier groß, gereizt, hatte gewiß seit drei Tagen nicht gebissen, die Stelle eine günstige, weil die Schlange sie mit dem Kiefer ganz zu umfassen vermochte, die Zähne also ihrer ganzen Länge nach eindringen konnten. Auch waren die Wunden so tief gelegen, daß nur die wenigen Tropfen Blut, welche allmählich die Nagelfurche anfüllten, ihre Stelle andeuteten, die Schmerzen beim Bisse aber trotzdem bedeutend. Unser Berichterstatter zuckte, obwohl er sich als nicht wehleidig bezeichnet, am ganzen Körper, als ob ihn ein elektrischer Schlag getroffen hätte, fühlte auch im Augenblicke des Einstiches ganz deutlich eine blitzähnliche Fortpflanzung des Schmerzes längs des Daumens, der Außenseite der Handwurzelfläche, dann quer übersetzend zur Elnbogenseite des Armes und an derselben fortlaufend bis zur Achselhöhle, wo die Empfindung sich festsetzte. »Ich unterband«, sagt er, »den Daumen leicht und sog die Wunde aus; ich schnitt sie aber nicht aus, brannte und ätzte auch nicht, weil ich im allgemeinen die Sache unterschätzte und dann, weil ich mir über die Wirkung des Giftes eine irrthümliche Ansicht gebildet hatte, welche mir alle diese Mittel als unzweckmäßig erscheinen ließ. Vom Augenblicke des Gebissenwerdens an aber war ich wie betäubt, und fünf bis zehn Minuten nachher befiel mich ein schwacher Schwindel, auch eine kurze Ohnmacht, welche ich sitzend überstand. Der Schwindel verließ mich von nun an nicht mehr bis zum dreißigsten Juni mittags. Um zwei Uhr erst wurde ich zum zweiten Male ohnmächtig. Die Einstichstelle hatte sich mittlerweile blaugrau gefärbt und war wie der ganze Daumen geschwollen und schmerzhaft. Die Ohnmachten wurden nun immer zahlreicher; ich konnte jedoch ihren Eintritt durch Willenseinfluß um einige Minuten hinausschieben; nur dauerten sie dann länger. Von zwei bis drei Uhr schwoll die ganze Hand und auch der Arm bis zur Achsel so an, daß ich ihn kaum mehr heben konnte; um zwei ein halb Uhr wurde meine Stimme so tonlos, daß ich nur schwer verstanden wurde; bei größerer Anstrengung vermochte ich sie aber wieder tönen zu machen. Zur selben Zeit begann auch unter heftigen Schmerzen der Magen anzuschwellen; nach drei Uhr trat zum erstenmale Erbrechen, bald darauf Abführung ein. Dann kamen unschmerzhafte Krämpfe in kleinen Theilen der Bauchmuskeln, an verschiedenen Körperstellen und fortdauernder Krampf der Blase. Ich wurde im äußersten Grade kraftlos, lag meistens am Boden, sah und hörte schlecht, empfand brennenden Durst und fühlte fortwährend eine erstarrende Kälte am ganzen Körper sowohl als auch in dem geschwollenen Arme, an welchem genau in der Richtung, die mir durch den ersten Schmerz bezeichnet worden war, Blutunterlaufungen eintraten. Schmerzen verursachte mir damals nur der geschwollene Magen, weil er ausgiebige Einathmung unmöglich machte. Im übrigen war die Athmung nicht gehindert, auch kein Herzklopfen oder Kopfschmerz vorhanden. Meine Umgebung sagte, die Entstellung und der Verfall meines Gesichtes sei so stark gewesen, daß ich ganz unkenntlich geworden wäre. Auch soll ich öfters irre gesprochen haben: ich war aber, außer wenn ich in Ohnmacht lag, ganz gut bei Bewußtsein. Nur fing ich manchmal zu sprechen an und konnte oder wollte aus Schwäche den Satz nicht vollenden. Um sieben Uhr, also sechs Stunden nach dem Bisse, hörten die Ohnmachten, die allgemeinen Krämpfe, das Erbrechen und Abführen und bald darauf auch der Magenschmerz ganz auf; ich trank einige Schluck Opiumtinktur und verbrachte die Nacht zwar schlaflos, aber ruhig im Bette und wurde nur durch die Schmerzen des anschwellenden Körpers gestört. Diese Schwellungen nahmen folgenden Verlauf. Als ich um sieben Uhr meinen Arm untersuchte, war er, wie die Finger und die Hand, beinahe um das doppelte geschwollen, die Bißstelle blutschwarz und von ihr ausgehend ein unregelmäßiges Band von röthlich und roth gefärbten Stellen sichtbar, welche sich, über die Innenfläche der Handwurzel zur Elnbogen seite des Armes fortsetzend, bis zur Achsel erstreckten. Die Achselhöhle war ebenfalls sehr stark und gleichmäßig geschwollen; nirgends ließen sich Gefäßstränge oder Drüsenhaufen durchfühlen.« Im Verlaufe der ersten Nacht schwoll der Arm noch mehr an, und die Blutunterlaufungen mehrten sich so, daß er über und über roth und blau wurde. Geschwulst und Blutunterlaufungen hatten sich übrigens auch von der Achsel über die Brust bis zum Rippenrande, und am folgenden Tage bis zum Hüftbeine fortgepflanzt, die Schmerzen der geschwollenen Theile, deren Wärme unmerklich höher war als die des übrigen Körpers, sich gesteigert und nur, wenn der Kranke schwitzte, konnte er etwas Besserung verspüren. Empfindlichkeit gegen Druck und Spannung minderten sich nach Anwendung einer von einem Arzte verschriebenen Salbe, jeder Versuch aber, sich aufzurichten, hatte Schwindel oder eine längere Ohnmacht zufolge. Der Kranke fühlte Bedürfnis zum Schwitzen, und wenn Schweiß eingetreten war, stets eine bedeutende Abnahme der Schmerzen, ebenso auch eine Minderung des Schwindels. Die Harnbeschwerden bestanden fort, der Puls war klein und schwach, der Appetit gut, der Schlaf höchst unruhig. Am dreißigsten Juni setzten sich Geschwulst und Blutunterlaufungen seitlich über die Bauchwand und ebenso über die Hüfte herab bis zum halben Oberschenkel fort: damit aber hatte sie ihre größte Ausdehnung erreicht, und es begann nun an den Fingern bereits die Abschwellung sich bemerklich zu machen. Nach längerem Schwitzen verschwand mittags der Schwindel, und der Kranke konnte nachmittags wieder einige Stunden auf sein. Der Arm schmerzte zwar noch heftig, der Puls war noch klein und schwach und das unangenehme Kältegefühl noch vorhanden, die Harnbeschwerde jedoch gemindert, der Appetit gut und der Durst mäßig. Am ersten Juli ging die Geschwulst an Hand, Hüfte und Bauchwand zurück, und gleichzeitig verschwanden auch die Harnbeschwerden; doch war die Schwäche noch bedeutend und alles übrige beim alten geblieben. Am achten Juli war die Geschwulst am ganzen Brustkorbe zurückgegangen, und zeigten sich zum letzten Male die in den verflossenen drei Tagen fortwährend sich bildenden neuen Blutunterlaufungen. Der Schlaf wurde ruhiger, obwohl der Arm noch immer heftig schmerzte, und der Verfall und die Verfärbung des Gesichtes noch sehr bemerklich waren. In den nächsten acht Tagen schwanden Geschwulst und Blutunterlaufungen gänzlich; nur machten sich noch drei Wochen lang beim Stuhlgange leichte Schmerzen bemerklich. »Heute, am zehnten August, sechs Wochen nach dem Bisse«, schließt der Berichterstatter, »tritt gegen Abend eine leichte Schwellung der rechten Hand ein. Die Haut ist an allen angegriffenen Stellen schmutzig gefärbt und sehr empfindlich gegen Druck und Witterungswechsel. Ich kann nicht auf der rechten Seite liegen; der rechte Arm ist unkräftig und schmerzt manchmal stundenlang stark. Ich bin viel magerer als vorher, habe das Kältegefühl noch nicht gänzlich verloren, fühle mich oft tagelang ohne Grund kraftlos, und meine Gesichtsfarbe ist verändert geblieben. Ich habe die Ueberzeugung, daß ein Biß, welcher unmittelbar eine große Hohlader trifft, fast immer den Tod nach sich ziehen, und daß dann jeder Heilungsversuch ein fruchtloser sein wird.

Nach Bollingers Erfahrungen erfolgt bei Vergiftungsfällen durch den Biß der Kreuzotter, welche mit dem Tode enden, das Ableben zwischem dem Zeitraume von einer Stunde und zwei bis drei Wochen. Von sechshundertundzehn Gebissenen, über welche Bollinger Kunde erhielt, starben neunundfunfzig: die Sterblichkeit betrug demnach ungefähr zehn vom Hundert.

Welche dauernde Wirkung ein Kreuzotternbiß hervorrufen kann, wie das Tröpfchen Flüssigkeit aus ihrem Zahne ein ganzes, langes Leben vergiften kann, beweist ein von Lenz mitgetheilter Fall, welchen ich deshalb noch wiedergeben will. Martha Elisabeth Jäger aus Waltershausen, zur Zeit, in welcher Lenz seine »Schlangenkunde« schrieb, sechzig Jahre alt, war als neunzehnjähriges Mädchen barfuß in die Heide gegangen und hatte einen Otternbiß in den Fuß erhalten. Anfangs achtete sie ihn wenig; bald aber begann der Fuß zu schwellen, und Geschwulst und Schmerz drangen schnell bis zum Oberleibe empor, so daß sie umsank und die Kräfte zum Gehen verlor. Zum Glück war ihre Mutter bei ihr und schaffte sie nach Hause. Hier wurde der Wundarzt gerufen und wandte mehrere Mittel an. Der Zustand der Gebissenen besserte sich nach und nach; aber bis zu ihrem vierzigsten Lebensjahre blieb das Bein immer krank, indem es bald gelbe, bald blaue, bald rothe Flecke zeigte und schmerzte. Bis zu dieser Zeit wurden auf den Rath verschiedener Vettern und Muhmen immerfort mancherlei Mittel angewendet. Jetzt aber verschwand die Krankheit plötzlich aus dem Beine und warf sich auf die Augen, welche, nachdem sie eine Zeit lang sehr gelitten, gänzlich erblindeten und zwei Jahre lang blind blieben. Nach diesen zwei Jahren begannen sie allmählich wieder gesund zu werden und zu sehen; doch verbreitete sich jetzt das Uebel durch den ganzen Körper und erzeugte, an verschiedenen Stellen wechselnd, Schmerzen im Leibe und in den Gliedern. In diesem Zustande ist sie dann verblieben und zuletzt fast noch vollkommen taub geworden. In ihrer Familie ist sozusagen das hohe Alter einheimisch; daher ist sie noch von Verwandten umgeben, welche sich des ganzen Verlaufes ihres Unglückes wohl erinnern. Es ist merkwürdig, daß ein Mensch bei solchen Leiden so alt werden kann, aber grauenvoll, daß er ein so langes Leben vertrauern muß! Und wer möchte da nicht, wenn er diese Unglücksgeschichte hört, meinem Wunsche beistimmen, daß ernstliche Maßregeln zur Verhütung ähnlichen Unglückes getroffen werden sollten!

Gewiß, wer aus übertriebener Thierfreundlichkeit den Schlangen das Wort redet, frevelt an den Menschen. Besser ist es, ich wiederhole es, daß sie alle, die schuldigen wie die unschuldigen, vernichtet werden, als daß ein einziger Mensch sein Leben durch eine giftige unter ihnen verliere, oder daß das Leben eines einzigen Menschen durch das höllische Gift in eine ununterbrochene Qual verkehrt werde. Daher Schutz den natürlichen Feinden der Ottern, vor allen dem Iltis, dem Igel und dem Schlangenbussard, über deren ersprießliche Wirksamkeit ich weiter oben gesprochen habe, und unnachsichtliche Verfolgung ihrer selbst und ihres ganzen Gezüchtes! Jeder Lehrer sollte seine Schüler über die Kreuzotter belehren, jeder sie unterrichten, wie sie, ohne sich zu gefährden, ein derartiges Thier vernichten, wenn sie es finden, jeder Vater seinen Kindern mittheilen, daß ein einziger kräftiger Ruthenhieb auf das Rückgrat der Kreuzotter sie umbringt, so zählebig sie auch ist! Nur daß man sich nie und nimmer verleiten lasse, das gefällte Thier ohne die genügende Vorsicht aufzunehmen; denn die Beweglichkeit währt noch lange fort, nachdem die Otter den tödtlichen Streich empfangen, und die Gefährlichkeit ihrer Giftzähne wird selbst dann nicht gemindert, wenn ein scharfer Hieb den Kopf vom Leibe trennte! Der abgehauene Schlangenkopf beißt noch fast ebenso wüthend um sich wie vordem, als die Schlange noch lebte, Minuten und Viertelstunden nach der Enthauptung der Seite sich zurichtend, von welcher er sich befehdet glaubt, beweisend, daß das geringe und so wenig entwickelte Hirn seine Thätigkeit erst sehr spät verliert. »Es ist ein grausenhafter Anblick«, sagt Linck, »um solch ein blutendes Haupt, wie es, Wuth und Verzweiflung in den nachtdüsteren Zügen, in den glühenden Augen, wiederholt den Rachen öffnet, die Giftzähne aufrichtet, ja mit denselben nach den haltenden Fingern, wie sonst, rachedürstend über die Mundränder hinausgreift.« Und das Gift verliert, ich wiederhole es, seine Wirksamkeit keineswegs so bald nach dem Tode; denn selbst getrocknet und wieder aufgeweicht, ist es, wie die in dieser Hinsicht angestellten vielfachen Versuche beweisen, noch fähig, das Blut eines höheren Säugethieres zu zerstören. Vorsicht also muß jedem eingeschärft werden, welcher Lust und Willen zeigt, zur Verminderung der Giftschlangen beizutragen. Denjenigen meiner Leser, welche in Gegenden leben, die von dem Ottergezüchte verpestet sind, möchte ich nächtliche Jagden anrathen. Nach den oben mitgetheilten Erfahrungen glaube ich, daß man eine Gegend am sichersten von Kreuzottern reinigen kann, wenn man sie nachts durch angezündete Feuer herbeilockt und dabei todtschlägt. Stiefeln, welche bis unter das Knie reichen, schützen vollkommen gegen ihren Biß; der Jäger läuft also, wenn er sich mit solchen kleidet, durchaus keine Gefahr und die Jagd selbst wird sicherlich jedermann Freude machen. Jedenfalls sollte man auch dieses Mittel nicht unversucht lassen.

Was nun die Behandlung desjenigen anlangt, welcher das Unglück hat, gebissen zu werden, so will ich nochmals gesagt haben, daß, nach unseren bisherigen Erfahrungen, Weingeist, d.h. Arak, Cognac, Rum, Branntwein, in sehr starken Gaben genossen, das wirksamste aller der unzähligen Gegenmittel ist, welche man versucht hat, daß also jedermann im Stande ist, einen durch die Kreuzotter Verwundeten zu behandeln, da er sich auch in dem kleinsten Dorfe Branntwein verschaffen kann. Unter den Gebirgsbewohnern Oberbayerns ist dieses vortreffliche Mittel übrigens, wie ich neuerlich aus sicherer Quelle erfahren, allgemein bekannt und wird fast regelmäßig mit Erfolg angewendet. Zur Beruhigung derer, welche von der Anwendung in solchen Fällen schlimmere Folgen als einen Rausch befürchten, will ich ausdrücklich bemerken, daß die durch einen Otternbiß erkrankten Menschen auch nach unmäßigem Branntweingenusse von dem Rausche nichts verspüren. Daß man außerdem, wenn man kann, die Bißstelle aussaugt, ausschneidet und ausbrennt, oder doch bis zur Erlangung ärztlicher Hülfe einen harten Gegenstand, beispielsweise ein Steinchen, so fest, als man es leiden kann, auf sie bindet: dies alles bedarf, wie ich meine, besonderer Erwähnung nicht.

Im südwestlichen Europa wird die Kreuzotter theilweise ersetzt und vertreten durch eine Verwandte, welcher der Name Viper mehr als jeder anderen gebührt, weil sie es ist, welche den alten Römern am besten bekannt war und von ihnen »Vivipara«, die lebendig Gebärende, genannt wurde. Man sieht sie gewöhnlich als Urbild der Sippe (Vipera) an; die Unterschiede zwischen ihr und der Kreuzotter sind jedoch so geringfügiger Art, daß man denjenigen Schlangenkundigen, welche hierauf kein Gewicht legen, wohl beistimmen und beide, Kreuzotter und Viper in einer und derselben Gruppe vereinigen kann. Während bei der Kreuzotter, wie wir sahen, der Vorderkopf mit kleinen Schildern bekleidet wird, ist er hier mit flachen oder leicht dachförmig erhobenen Schuppen bedeckt, unter denen oft eine einzelne, rundlich vieleckige, welche als Scheitelschild angesehen werden muß, die anderen an Größe übertrifft, und während jene kleine Nasenlöcher hat, besitzt diese große und etwas anders gestaltete; auch ist die Schnauzenspitze der Viper leicht aufgeworfen und scharfkantig. Hierauf beschränken sich die unterscheidenden Merkmale, welche zur Aufstellung einer Sippe hervorgesucht werden können; denn im übrigen ähneln sich beide Schlangen wie Geschwister, und erst genauere Untersuchung und Vergleichung läßt Merkmale erkennen, welche befähigen, die eine von der anderen zu unterscheiden.

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