Die Hornviper in Brehms Tierleben

Hornviper (Brehms Tierleben)

Die Hornviper oder Cerastes (Vipera cerastes, Coluber cerastes und cornutus, Echidna cerastes, Cerastes aegyptiacus und Hasselquistii) erreicht eine Länge von fünfundsechzig, höchstens siebzig Centimeter und kennzeichnet sich auf den ersten Blick als ein Kind der Wüste; denn die Färbung des Sandes ist auf ihrem Schuppenkleide gleichsam wiedergespiegelt. Ein mehr oder minder lebhaftes, bläulich überflogenes Gelb ist die Grundfärbung; die Zeichnung besteht aus dunkleren, braunen oder rothbraunen, fast viereckigen oder rundlichen, bald deutlicher, bald undeutlicher hervortretenden, zuweilen fast verwischten Querflecken, welche sich in sechs Längsreihen ordnen und von der Mitte nach den Seiten zu an Größe abnehmen; unter dem Auge verläuft eine dunkelbraune Binde, auf der Kopfmitte ein licht braungelber Streifen, welcher sich nach hinten zutheilt und an den Halsseiten mit einem anderen, vom Kinne her kommenden vereinigt. Die Schuppen, welche den Mundrand umsäumen, sehen hellsandgelb, die Schilder der Unterseite lichtgelb aus. Auf der Rückenmitte verlaufen die Schuppenreihen, deren man im ganzen neunundzwanzig bis zweiunddreißig zählt, in gerader Richtung.

Das Bild der Cerastes findet sich oft in der heiligen Schrift der alten Egypter, da ihr ursprünglicher Name, Fi, später gebraucht wurde, den F-Laut auszudrücken; sie selbst scheint auch sonst bei den Alten eine gewisse Bedeutung gehabt zu haben. Herodot gedenkt ihrer, bemerkt, daß sie in der Gegend von Theben leben, zwei Hörner auf dem Kopfe tragen und dem Menschen nicht gefährlich werden, bezeichnet sie auch als heilig, sagt jedoch nicht warum; die übrigen Schriftsteller der Alten schildern sie bloß naturwissenschaftlich.

Ihr Verbreitungskreis erstreckt sich über ganz Nordostafrika und das Steinigte und Glückliche Arabien, dehnt sich aber weiter aus als der Wüstengürtel, da sie auch in den Steppen des Ostsudân vorkommt, in denen Kordofâns, nach eigenen Erfahrungen, sogar viel häufiger auftritt, als dem Reisenden erwünscht ist. »Africa«, sagt der alte Geßner, »ist voll diser schlangen. Insonders sind in Lybia ettliche sandechte einödinen, vnd vnfruchtbare ort, da nichts dann vilerley vnd sonderlich gehörnte schlangen herfür kom men. Es ist die sag, diser schlangen seyen vor zeyten vil in Egypten funden worden, die ein guten theil lands darinnen eingenommen, vnd dasselb verherget vnd einöd gemacht, daß es niemandt mehr bewohnen können. Sonst erhalten sie sich mehrteils in sandechten orten vnder dem sand, oder ligen in gruben neben den strassen, auff daß sie die, so sürgehen, anfallen vnd jnen destobaß nach stellen mögen. Wiewol dise gehörnte schlang vergiffter vnd hitziger art vnd complexion ist, so mögen doch keine schlangen so lang ohne trincken bey läben bleiben vnd erhalten werden, als sie vnd die hecknater.

Sie gebiret auch gleych der hecknateren läbendigen jungen, darumb bedunket mich der vnderscheid zwüschen den schlangen vnd der hecknater so daher genommen wirdt, daß sie allein läbendige jungen herfür bringe, nit genügsam vnd wol dise geschlecht entscheiden. Sie schleichen nit schlecht, sondern mit vil vmbwenden vnd krümben. Daher ettlich vermeint, sie hetten dieser weichsame halber kein ruckgradt. Sonst schleichen sie mit grossem thon, gereüsch, vnd pfeifen, gleych als wenn ein schiff von winden getriben, vnd von wellen mit grossem getöß hin vnd wider geworffen wirt. Sie lausteren und stehen gar betruglich nach den vöglen, verbergen den leyb überall vnder den sand, vnd löcken die vögel mit den hörnern, die sie allein sehen lassen, hinzu, sie damit zufassen vnd zuerwürgen. Sie erzeigen gegen den eyenwohneren Libyae kein liebe noch fründtschafft, sonder sind jnen gehaß vnd begeren jr verderben. Dargegen sind die Psilli vor jnen sicher vnd so sie von jnen gebissen werden, mag jnen der bisß nit nur nit schaden oder einigen schmertzen zufügen, sonder sie vertreiben vnd liechtern in bloß mit auffgelegter hand, auch anderleüten, daher legen sie jre kinder den schlangen für, jrer ehweyber keüschheit dardurch, gleich wie man das gold durchs fheür bewärt vnd probiert, zuerfahren.«

Der erstere Theil dieser Angaben ist im wesentlichen richtig. Allerdings kommt die Hornviper häufig vor in Afrika und namentlich in Egypten; in der That lebt sie hauptsächlich in der Wüste, übertages stets gänzlich im Sande verborgen, an Orten, wo sie weit und breit kein Wasser findet; und wirklich, dem Anscheine nach infolge der in schrägen Reihen stehenden, bei lebhafterer Bewegung sich reibenden Schuppen, verursacht ihr Kriechen ein hörbares Geräusch. Daß sie eine Nachtschlange ist, hat schon Bruce vermuthet, da auch er erfahren mußte, daß sie nachts zu seinem Lagerfeuer herangekrochen kam. Bei allen meinen Jagden in der Wüste oder Steppe habe ich niemals eine gesehen; weil mir der geübte Blick der handwerksmäßigen Schlangenfänger abging; nachts aber hat sie mich oft mit Zorn und Ingrimm erfüllt. Man muß es wissen, was es besagen will, einen Reisetag in der Wüste oder Steppe hinter sich zu haben, um zu begreifen, wie sehr man die Ruhe ersehnt. Vom frühen Morgen an bis gegen Mittag hin und von drei Uhr Nachmittag bis zu Sonnenuntergang hat man auf dem Rücken des widerhaarigen Kamels gesessen, die ewig durstigen Lippen mit lauwarmem, stinkendem Schlauchwasser befeuchtet, den bellenden Magen mit etwas Reis zur Ruhe gebracht, so recht eigentlich des Tages Last und Hitze getragen, und sich schon im voraus auf das Lager im Sande gefreut: da endlich wird der Platz bestimmt, welcher die Reisegesellschaft des Nachts beherbergen soll. Das Gepäck wird abgeladen, eine seichte Mulde in den Sand gegraben, der Teppich darüber gebreitet, eine Pfeife gestopft und ein hellleuchtendes Feuer angezündet. Eine behagliche Stimmung bemächtigt sich der Gemüther; selbst der Koch, welcher noch einen dürftigen Imbiß herzurichten beginnt, summt einige Rhaselât in der ewig gleichen Weise vor sich hin. Da plötzlich verstummen diese, von einem lauten Fluche unterbrochen. »Welche Neuigkeit, Knabe?« »O, Gott verfluche sie und ihren Vater und ihr ganzes Geschlecht und verbanne sie in den Abgrund der Hölle! Eine Schlange, Herr; doch sie schmort schon im Feuer!« Das ganze Lager wird lebendig; jedermann, bewaffnet mit einer Zange, setzt sich auf einen Waarenballen oder auf eine Kiste und wartet der Dinge, die da kommen sollen. Und herankriecht es, zuweilen dutzendweise; man begreift nicht, woher sie alle kommen, die Hornvipern. Vorsichtig naht sich der eine oder der andere, die eiserne Zange in der Hand, dem giftigen Wurme; im rechten Augenblicke packt er ihn hinten im Genicke; fest kneipt er zusammen, damit er nicht wieder entrinne, und mitten ins lodernde Feuer wirft er den verruchten Sohn der Hölle, mit boshafter Freude seinen Untergang verfolgend. »Vor den Skorpionen«, so schreibt mir Dümichen, »welche sich des Nachts um meine Lagerstätte scharten, habe ich mich niemals gefürchtet: die Fi aber hat mir und noch mehr meinem Diener gar oft Schrecken bereitet. Monate lang war ich beschäftigt in den Tempeln und in den Ruinen um sie herum, zeichnend, grabend, untersuchend, forschend, ohne auch nur eine einzige zu sehen; wenn aber die Nacht angebrochen war und das Feuer brannte, da waren sie zur Stelle und schlängelten und züngelten um uns herum.« In ähnlicher Weise klagen alle Reisenden in Afrika.

Von was sich die Hornviper eigentlich ernährt inmitten der Wüste, kann ich nicht sagen; denn ich habe mir, wie ich zu meiner Schande bekenne, nie die Mühe genommen, eine von uns getödtete zu untersuchen. Möglicherweise bilden da, wo es keine Mäuse gibt, Eidechsen die Hauptnahrung. Daß sie auch Vögel stellt, unterliegt keinem Zweifel.

Ueber die Fortpflanzung ist man noch heutigentages nicht einerlei Meinung. Die egyptischen Schlangenfänger sagen, daß sie, wie die anderen Vipern auch, lebende Junge zur Welt bringen; Dumeril aber erfuhr an seinen Gefangenen, welche sich wiederholt im Käfige begatteten, daß sie Eier legten, welche niemals auskamen. Trotzdem halte ich die Angabe der Egypter für richtig, da ja auf die Verschiedenheit der Fortpflanzung bei den Kriechthieren besonderes Gewicht nicht gelegt werden darf.

In die Gefangenschaft findet sich die Cerastes ebenso leicht wie irgend eine ihrer Verwandten. Sie ist im Stande erstaunlich lange zu hungern: Shaw behauptet, zwei im Käfige eines Liebhabers zu Venedig gesehen zu haben, welche fünf Jahre lang ohne Nahrung zugebracht hatten, sich häuteten und noch so munter waren, als wären sie soeben gefangen worden; andere Beobachter erfuhren wenigstens, daß ihnen strenges Fasten von halbjähriger Dauer nicht schadet. Die meisten gefangenen Hornvipern, welche lebend nach Europa gelangen, kommen ohne Giftzähne hier an, weil diese von den Fängern sobald als möglich ausgebrochen werden, und fressen nicht; wenn aber die Zähne wieder ausgewachsen sind, gehen sie ohne Umstände ans Futter, vergiften jede Maus, welche ihnen vorgeworfen wird, und fressen sie auf. Mit anderen Schlangen vertragen sie sich gut, mit Eidechsen ebenfalls, warmblütiges Kleingethier dagegen erregt augenblicklich ihre Aufmerksamkeit und Mordlust. Wie in der Freiheit wühlen sie sich, wenn es irgend angeht, mit dem ganzen Leibe in den Sand, so daß nur die Augen, die beiden Hörnchen und vielleicht noch hier und da einige Stellen der Rückenlinie sichtbar sind. Das Einwühlen bewerkstelligt die Hornviper durch eigenthümliche seitliche Bewegungen ihrer Rippen, indem sie den Leib bald breitet, bald wiederum zusammenzieht und bei jedesmaligem Breiten den Sand zur Seite schiebt; diese Bewegungen folgen aber so rasch aufeinander, daß das Verbergen im Sande meist nicht mehr als zehn, höchstens zwanzig Sekunden erfordert. Auch wenn der Sand sie nicht gänzlich aufgenommen hat, verschwindet sie den Blicken vollständig; selbst das schärfste Auge nimmt sie nicht wahr, wenn es nicht besonders auf die Stelle hingelenkt wurde. Schon in einem Käfige von vier Geviertmeter Grundfläche, welcher mit feinem Sande bedeckt ist, muß man lange suchen, bevor man die eingewühlte Schlange auffindet, und wenn man den Blick einmal abwendet, hat man sie wiederum vollständig aus den Augen verloren. Nach diesen Beobachtungen, welche ich Monate hindurch angestellt habe, erscheint es mir sehr glaublich, daß die Behauptung der Alten auf Wahrheit beruht und ein kleiner Vogel sich wirklich bezüglich der eben nur über den Sand hervorragenden Hörnchen täuschen, dieselben für das Ende eines Wurmes oder einer Larve ansehen und dies mit dem Leben bezahlen kann. Für die Schlange selbst haben die Hörnchen unzweifelhaft eine wichtige Bedeutung: sie dienen ihr als Fühler und unterrichten sie auch in dem Falle von Gefahren, daß sie dieselben durch das im hellen Lichte des Tages geblendete Auge nicht erkunden sollte. Einem Menschen, welcher nur mit Sandalen beschuht durch die Wüste geht, wird diese gänzlich verborgene und so giftige Schlange erklärlicherweise in hohem Grade gefährlich, und die Alten mögen auch in dieser Beziehung nach bösen Erfahrungen die volle Wahrheit berichtet haben.

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