(Erstveröffentlichung am 14. Dezember 2017)
Um den Haushund und seine zahllosen Rassen richtig zu beurteilen, ist es unbedingt erforderlich, seine wildlebenden Verwandten, die Wölfe (Canis), unter denen man seine Ahnen oder Vorfahren zu suchen hat, kennen zu lernen. Ohne diesen Zweck würde ein guter Teil des Nachfolgenden zunächst unverständlich sein. Auch erscheint es folgerichtig, von den freilebenden Hunden zu den gezähmten überzugehen. Jene lehren uns, was der Hund war, bevor er sich dem Menschen zu eigen gab; in ihnen sehen wir noch das ursprüngliche, in den gezähmten das veränderte und, wohl darf man dies sagen, das vermenschlichte Tier.
Hurlens Anschauungen folgend, zerfällen wir die Gattung der Wölfe in vier Unterabteilungen, denen wir den Rang von Untergattungen beilegen. Unter ihnen stellen wir unseren Wolf und seine Verwandten obenan.
Die Untergattung der eigentlichen Wölfe (Lupus), zu welcher wir alle 42zähnigen, wenn auch manchmal äußerlich sehr abweichenden, wolfsartigen Hunde, mit Ausnahme des Hyänenhundes, zeichnen sich durch mäßig großen, ziemlich spitzschnauzigen Kopf aus.
Der Wolf (Canis [Lupus] lupus, Lupus vulgaris und L. silvestris, Canis lycaon) hat etwa die Gestalt eines großen, hochbeinigen, dürren Hundes, welcher den Schwanz hängen läßt, anstatt ihn aufgerollt zu tragen. Bei schärferer Vergleichung zeigen sich die Unterschiede namentlich in folgendem: der Leib ist hager, der Bauch eingezogen; die Beine entsprechen diesem Leibesbaue; der langhaarige Schwanz hängt bis auf die Fersen herab; die Schnauze erscheint im Verhältnis zu dem dicken Kopfe gestreckt und spitzig; die breite Stirn fällt schief ab; die Augen stehen schief, die Ohren immer aufrecht. Der Pelz ändert ab nach dem Klima der Länder, welche der Wolf bewohnt, ebensowohl hinsichtlich des Haarwuchses wie bezüglich der Färbung. In den nördlichen Ländern ist die Behaarung lang, rauh und dicht, am längsten am Unterleibe und an den Schenkeln, buschig am Schwanze, dicht und aufrecht stehend am Halse und an den Seiten, in südlichen Gegenden im allgemeinen kürzer und rauher. Die Färbung ist gewöhnlich fahlgraugelb mit schwärzlicher Mischung, welche an der Unterseite lichter, oft weißlichgrau erscheint. Im Sommer spielt die Gesamtfärbung mehr in das Rötliche, im Winter mehr in das Gelbliche, in nördlichen Ländern mehr in das Weiße, in südlichen mehr in das Schwärzliche. Die Stirn ist weißlichgrau, die Schnauze gelblichgrau, immer aber mit Schwarz gemischt; die Lippen sind weißlich, die Wangen gelblich und zuweilen undeutlich schwarz gestreift, die dichten Wollhaare fahlgrau.
Hier und da kommt eine schwarze Spielart des Wolfes vor, welche man als besondere Art (Canis lycaon) aufzustellen versucht, jedoch ebensowohl wie andere als bloße Abänderung aufzufassen hat. Gebirgswölfe sind im allgemeinen groß und stark, Wölfe der Ebenen merklich kleiner und schwächer, keineswegs aber auch minder raub- oder angriffslustig. In Ungarn und Galizien unterscheidet man ganz allgemein den Rohr- und Waldwolf. Ersterer ist rötlichgrau, nicht stärker als ein mittelgroßer Vorstehhund, lebt meistens in zahlreichen Rotten beisammen und liebt ebene, sumpfige, nicht sehr waldreiche Gegenden; letzterer hat aschgraue Färbung, erreicht eine viel bedeutendere Größe als der Rohrwolf, schlägt sich nur während der Ranzzeit in größere Meuten zusammen, bildet außerdem Trupps von 2-5 Stück und bevorzugt zusammenhängende Waldungen. Beide können wohl nur als Spielarten aufgefaßt werden, ebenso wie der von Hodgson beschrieben tibetische Lupus laniger und der in China hausende Tschango (Lupus chanco) sich schwerlich als besondere Art sich bewähren dürften. Gray, der Beschreiber des letztgenannten, gibt an, daß er etwas kurzbeiniger als der Wolf, und an den Ohren, den Leibesseiten, den Außenseiten der Glieder mit kurzen blaßgelblichen, unterseits mit weißen Haaren bekleidet ist.
Ein ausgewachsener Wolf erreicht 1,6 m Leibeslänge, wovon 45 cm auf den Schwanz kommen; die Höhe am Widerriste beträgt etwa 85 cm. Ein starkes Stück wiegt 40, wohl auch bis 50 kg. Die Wölfin unterscheidet sich von dem Wolfe durch etwas schwächeren Körperbau, spitzere Schnauze und dünneren Schwanz.
Noch heutigestags ist der Wolf weit verbreitet, so sehr auch sein Gebiet gegen frühere Zeiten beschränkt wurde. Er findet sich gegenwärtig noch fast in ganz Europa, obwohl er aus den bevölkertsten Gebeiten dieses Erdteils verschwunden ist. In Spanien ist er in allen Gebirgen und selbst in den größeren Ebenen eine ständige Erscheinung, in Griechenland, Italien und Frankreich häufig genug, in der Schweiz seltener, im mittleren und nördlichen Deutschland wie in Großbritannien gänzlich ausgerottet worden, im Osten Europas gemein. Ungarn und Galizien, Kroatien, Krain, Serbien, Bosnien, die Donaufürstentümer, Polen, Rußland, Schweden, Norwegen und Lappland sind diejenigen Länder, in denen er jetzt noch in namhafter Menge auftritt. Auf Island und den Inseln des Mittelmeeres scheint er niemals vorgekommen, in den Atlasländern dagegen ebenfalls vorhanden zu sein. Außerdem verbreitet er sich über ganz Nordost- und Mittelasien, nach Blanford sogar durch Afghanistan und Belutschistan bis ins Indusgebiet, bis nach Sind, vielleicht bis ins obere Pantschab und hat in Nordamerika einen ihm so nahestehenden Verwandten, daß man auch den Westen der Erde in seinen Verbreitungskreis gezogen und nicht bloß den nordamerikansichen, sondern auch den mexikanischen als Unterarten aufgefaßt hat.
Die alten kannten den Wolf genau. Viele griechische und römische Schriftsteller sprechen von ihm, einige nicht allein mit dem vollen Abscheu, welchen Isegrim von jeher erregt hat, sondern auch bereits mit geheimer Furcht vor ungeheuerlichen oder gespenstischen Eigenschaften des Tieres. Oppian unterscheidet fünf Abarten, welche Gesners Übersetzer bezeichnet als Schützwolf, so benannt „von wegen seiner schnellen Behändigkeit“, als Raubwolf, zu dem er bemerkt: „der aller Schnelleste, geht mit grosser Ungestümm des Morgens früh auf die Jagd, weil er stets Hunger leydet“, als der gülden Wolf, so benannt von wegen der Farb, und seiner schönen und glänzenden Haaren halber“, und endlich „die von dem vierten und fünftem Geschlechte“, sagt Gesner, „können nach gemeinen Rahmen Booswölff genennt werden, dieweil ihre Köpffe und Hälse kurz und dick sind und einige Gleichheit mit dem Amboos haben“. In der altgermanischen Göttersage wird der Wolf, das Tier Wodans, eher geachtet als verabscheut; letzteres geschieht erst viel später, nachdem die christliche Lehre den Götterglauben unserer Vorfahren verdrängt hatte. Nun verwandelte sich Wodan in den „wilden Jäger“ und seine Wölfe in dessen Hunde, bis zuletzt aus diesen der gespenstische Werwolf wird: ein Ungeheuer, zeitweilig Wolf, zeitweilig Mensch, Blindgläubigen ein Entsetzen. Noch heutzutage spukt die Werwolffabel in verdüsterten Köpfen und flüstert das Volk sich zu, durch welche Mittel das gespenstige Ungeheuer zu bannen und unschädlich zu machen sei.
Der Wolf wird zwar allmählich mehr und mehr zurückgedrängt; doch ist der letzte Tag seines Auftretens im gesitteten Europa anscheinend noch fern. Im vorigen Jahrhunderte fehlte das schädliche Raubtier keinem größeren Waldgebiete unseres Vaterlandes, und auch in diesem Jahrhunderte sind hier nach amtlichen Angaben immerhin noch Tausende erlegt worden. Innerhalb der Grenzen Preußens wurden im Jahre 1817 noch 1080 Stück geschossen. In Pommern allein wurden erlegt im Jahre 1800: 118, 1801: 109, 1802: 102, 1803: 186, 1804: 112, 1805: 85, 1806: 76, 1807: 12, 1808: 37, 1809: 43 Stück. Dann wurden sie seltener, kamen aber wieder in großer Menge aus dem aus Rußland fliehenden französischenn Heere, das ihnen Leichen genug zum Fraße lieferte, ins Land. Im Posenschen wurden von ihnen 1814 – 15 wieder 28 Kinder und 1820 noch 19 Kinder und Erwachsene zerrissen. Gegenwärtig sind Wölfe in unserem Vaterlande sehr selten geworden; doch verlaufen sich alljährlich noch welche aus Rußland, Frankreich und Belgien nach Ost- und Westpreußen, Posen, den Rheinlanden, in strengen Wintern auch nach Oberschlesien, unter Umständen bis tief in das Land. So trieben, laut Pagenstecher, im Jahre 1866 Wölfe im Odenwalde ihr Unwesen, bis es nach vielen vergeblichen Jagden endlich gelang, ihrer habhaft zu werden. In den elf Jahren 1872 – 82 wurden in den Reichslanden 459 Wölfe getötet, und noch 1885 – 86 wurden in Lothringen 32, im Elsaß 7, in den Rheinlanden 2, in Ostpreußen und Brandenburg je 1 Stück zur Strecke gebracht, und Ende 1886 trieb sich an der Seester Höhe in Ostpreußen (bei Goldap) ein sehr starkes Rudel Wölfe umher. Im ganzen Südosten Österreichs, zumal Ungarns und den dazu gehörigen slavischen Ländern, muß man allwinterlich mehr oder minder großartige Jagden veranstalten und sonstige Vertilgungsmittel anwenden, um den Wölfen zu steuern, hat aber in waldigen, dünnbevölkerten Gegenden bis heutigen Tages noch herzlich wenig auszurichten vermocht. Die Anzahl der Wölfe, welche jährlich in Rußland erlegt und von den Behörden ausgelöst werden, ist nicht genau bekannt, jedenfalls aber sehr erheblich, ebenso in Schweden und Norwegen. In diesen drei nördlichen Reichen gelten die Wölfe als die hauptsächlichsten Störer der öffentlichen Ruhe und Sicherheit und stiften alljährlich großen Schaden.
Der Wolf bewohnt sowohl hoch als tief gelegene, einsame, stille Gegenden und Wildnisse, namentlich dichte, düstere Wälder, Brüche mit morastigen und trockenen Stellen, und im Süden die Steppen. Er haust selbst in nicht allzu großen Buschdickichten, auf Kaupen in Brüchen und Sümpfen, in Rohrwäldern, Maisfeldern, in Spanien sogar in Getreidefeldern, oft in geringer Nähe der Ortschaften. Diese meidet er überhaupt viel weniger, als man gewöhnlich annimmt, hütet sich nur, so lange der Hunger ihm irgendwie es gestattet, sich sehr bemerklich zu machen. Wenn er nicht durch das Fortpflanzungsgeschäft gebunden wird, hält er sich selten längere Zeit an einem und demselben Orte auf, schweift vielmehr weit umher, verläßt eine Gegend tage- und wochenlang und kehrt dann wieder nach dem früheren Aufenthaltsorte zurück, um ihn von neuem abzujagen. In dicht bevölkerten Gegenden zeigt er sich nur ausnahmsweise vor Einbruch der Dämmerung, in einsamen Wäldern dagegen wird er, wie der Fuchs unter ähnlichen Umständen, schon in den Nachmittagsstunden rege, schleicht und lungert umher und sieht, ob nichts für seinen ewig bellenden Magen abfalle. Während des Frühjahrs und Sommers lebt er einzeln, zu zweien, zu dreien, im Herbste in Familien, im Winter in mehr oder minder zahlreichen Meuten, je nachdem die Gegend ein Zusammenscharen größerer Rudel begünstigt oder nicht. Trifft man ihn zu zweien an, so hat man es in der Regel, im Frühjahre fast ausnahmslos, mit einem Paare zu thun; bei größeren Trupps pflegen männliche Wölfe zu überwiegen.
Einmal geschart, treibt er alle Tagesgeschäfte gemeinschaftlich, unterstützt seine Mitwölfe und ruft diese nötigen Falls durch Geheul herbei. Gesellschaftlich treibt er sein Umherschweifen ebensogut, als wenn er einzeln lebt, folgt Gebirgszügen, wandert über Ebenen, durchreist, von einem Walde zum anderen sich wendend, ganze Provinzen und tritt deshalb zuweilen urplötzlich in Gegenden auf, in denen man ihn längere Zeit, vielleicht Jahre nacheinander, nicht beobachtet hatte. Erwiesenermaßen durchmißt er bei seinen Jagd- und Wanderzügen Strecken von 40 – 70 Meilen in einer einzigen Nacht. Nicht selten, im Winter bei tiefem Schnee ziemlich regelmäßig, bilden Wolfsgesellschaften lange Rotten, indem die einzelnen Tiere, wie die Indianer auf ihrem Kriegspfade, dicht hintereinander herlaufen und, wie es von den Luchsen bekannt ist, möglichst in dieselbe Spur treten, so daß es selbst für den Kundigen schwer wird, zu erkennen, aus wie vielen Stücken eine Meute besteht. Gegen Morgen bietet irgend ein dichter Waldesteil der wandernden Räubergesellschaft Zuflucht; in der nächsten Nacht geht es weiter, bisweilen auch wieder zurück. Gegen das Frühjahr hin, nach der Ranzzeit, vereinzeln sich die Rudel, und die trächtige Wölfin sucht, nach bestimmten Versicherungen glaubwürdiger Jäger, meist in Gesellschaft eines Wolfes, ihren früheren oder einen ähnlichen Standort wieder auf, um zu wölfen und ihre Jungen zu erziehen.
Die Beweglichkeit des Wolfes hat großen Aufwand von Kraft, raschen Stoffwechsel und unverhältnismäßig bedeutenden Nahrungsverbrauch zur Vorbedingung; der gefährliche Räuber fügt daher allerorten, wo er auftritt, dem ihm erreichbaren Getiere empfindliche Verluste zu. Sein Lieblingswild bilden Haus- und größere Jagdtiere, behaarte wie befiederte; doch begnügt er sich mit den kleinsten, frißt selbst Kerbtiere und verschmäht ebenso verschiedene Pflanzenstoffe, wie gesagt wird, selbst Mais, Melonen, Kürbisse, Gurken, Kartofeln usw., nicht. Der Schade, welchen er durch seine Jagd anrichtet, würde, obschon immer bedeutend, so doch vielleicht zu ertragen sein, ließe er sich von seinem ungestümen Jagdeifer und ungezügelten Blutdurste nicht hinreißen, mehr zu würgen, als er zu seiner Ernährung bedarf. Hierdurch erst wird er zur Geisel für den Hirten und Jagdbesitzer, zum ingrimmig gehaßten Feinde von Jedermann. Während des Sommers schadet er weniger als im Winter. Der Wald bietet ihm neben dem Wilde noch mancherlei andere Speise: Füchse, Igel, Mäuse, verschiedene Vögel und Kriechtiere, auch Pflanzenstoffe; von Haustieren fällt ihm daher jetzt höchstens Kleinvieh, welches in der Nähe seines Aufenthaltsortes unbeaufsichtigt weidet, zur Beute. Unter dem Wilde räumt er entsetzlich auf, reißt und versprengt Elche, Hirsche, Damhirsche, Rehe und vernichtet fast alle Hasen seines Gebietes, greift dagegen größeres Hausvieh doch nur ausnahmsweise an. Manchmal begnügt er sich längere Zeit mit Ausübung der niedersten Jagd, folgt, wie Islawin berichtet, den Zügen der Lemminge durch Hunderte von Wersten und nährt sich dann einzig und allein von diesen Wühlmäusen, sucht Eidechsen, Nattern und Frösche und liest sich Maikäfer auf. Aas liebt er leidenschaftlich und macht da, wo er mit Vetter Luchs zusammenhaust, reinen Tisch auf dessen Schlachtplätzen.
Ganz anders tritt er im Herbste und Winter auf. Jetzt umschleicht er das draußen weidende Vieh ununterbrochen und schont weder große noch kleine Herdentiere, die wehrhaften Pferde, Rinder und Schweine nur dann, wenn sie in geschlossenen Trupps zusammengehen und er sich noch nicht in Meuten geschart hat. Mit Beginn des Winters nähert er sich den Ortschaften mehr und mehr, kommt bis an die letzten Häuser von St. Petersburg, Moskau und anderen russischen Städten, dringt in die ungarischen und kroatischen Ortschaften ein, durchläuft selbst Städte von der Größe Agrams und treibt in kleineren Flecken und Dörfern regelrechte Jagd, zumal auf Hunde, welche ein ihm sehr beliebtes Wild und im Winter die einzige in der Nähe der Dörfer leicht zu erlangende Beute sind. Zwar verabsäumt er keineswegs, sich auch eine andere Gelegenheit sich zu nutze zu machen, schleicht sich ohne Bedenken in einen Stall ein, dessen Thür der Besitzer nicht gehörig verschlossen, springt sogar durch ein offenstehendes Fenster oder eine ihm erreichbare Luke hinein und würgt, wenn er seinen Rückzug gedeckt sieht, alles vorhandene Kleinvieh ohne Gnade und Barmherzigkeit; doch gehören solche Einbrüche des frechen Räubers in Viehställe immerhin zu den Seltenheiten, während alle Dorfbewohner der von ihm heimgesuchten Gegenden allwinterlich einen guten Teil ihrer Hunde einbüßen, ebenso wie der Wolfsjäger regelmäßig im Laufe des Sommers mehrere von seinen treuen Jagdgenossen verliert. Jagt der Wolf in Meuten, so greift er auch Pferde und Rinder an, obgleich diese ihrer Haut sich zu wehren wissen. In Rußland erzählt man sich, wie von Loewis mir mitteilt, daß hungerige Wolfsmeuten sogar den Bären anfallen und nach heftigem Kampfe schließlich bewältigen sollen, die Beobachtungen von Krementz bestätigen jedenfalls, daß Wölfe mitunter den Bären im Winterlager beunruhigen, einen angeschossenenverfolgen und der Bärin die Jungen zu rauben versuchen, obwohl sie im Kampfe mit Meister Petz selten genug erfolgreich sein mögen. So viel ist sicher, daß der Wolf auf alles Lebende Jagd macht, welches er bewältigen zu können glaubt. Immer und überall aber hütet er sich solange wie irgend möglich, mit dem Menschen anzubinden. Die schauerlichen Geschichten, welche wie vom Tiger so auch vom Wolfe erzählt und von unserer Einbildungskraft bestens ausgeschmückt werden, beruhen zum allergeringsten Teile auf Wahrheit. Eine vom Hunger gepeinigte, blindwütende Wolfsmeute wird gelegentlich auch Menschen, selbst wehrhafte Erwachsene, anfallen, töten und auffressen, so schrecklich aber, wie man sich vorstellt, sind die gefahren nicht, welche den Bewohner der Länder bedrohen, in denen Wölfe hausen. Einzelne Wölfe wagen sich schwerlich jemals an einen kräftigen Mann, und wäre er auch nur mit einem Knüppel bewaffnet, es müßten denn besondere Umstände zusammentreffen; wehrlose Weiber und Kindern mögen mehr gefährdet sein.
Bei seinen Jagden verfährt der Wolf mit der List und Schlauheit des Fuchses, von dessen Eigenschaften er gelegentlich auch noch eine andere, die Frechheit, an den Tag legt. Er nähert sich einer ausersehenen Beute mit äußerster Vorsicht, unter sorgfältiger Beobachtung aller Jagdregeln, schleicht lautlos bis in möglichste Nähe an das Opfer heran, springt ihm mit einem geschickten Satze an die Kehle und reißt es nieder. An Wechseln lauert er stundenlang auf das Wild, gleichviel ob es ein Hirsch oder Reh oder in Dauriens Steppen ein in den Bau geschlüpftes Murmeltier ist; einer Fährte folgt er mit untrüglicher Sicherheit. Bei gemeinschaftlichen Jagden handelt er im Einverständnisse mit der übrigen Meute, indem ein Teil die Beute verfolgt, der andere ihr den Weg abzuschneiden und zu verlegen sucht. „Begegnen Wölfe“, schreibt mir Loewis, „in der Ebene einem Fuchse, so teilen sie sich sofort und suchen ihn zu umzingeln, während einige die Hetze aufnehmen. Meister Reineke ist dann gewöhnlich verloren, wird schnell gefaßt, noch schneller zerrissen und verschlungen.“ Angesichts einer Herde bemühen sie sich, wie schon die alten wußten, die Hunde wegzulocken, und fallen dann über die Schafe her: “ Wenn der Wölff viel beysammen und auch viel Hunde oder Hirten bey der Herde sind,so greifft ein Theil die Hunde und der andere Theil die Heerde Schaaffe an“, sagt schon der alte Gesner. Wird er selbst gejagt, so erhebt sich der Wolf, beim ersten Lautwerden der Hunde, um sich fortzustehlen.
Aus vorstehenden Angaben geht zur Genüge hervor, wie schädlich der Wolf wird. Bei den Nomadenvölkern oder allen denen, welche Viehzucht treiben, ist er entschieden der schlimmste aller Feinde. Es kommt vor, daß er die Viehzucht wirklich unmöglich macht. So soll ein Versuch, das so nützliche Ren auch auf den südlichen Gebirgen Norwegens zu züchten oder in Herden zu halten, durch die Wölfe vereitelt worden sein. Ein einziger Wolf, welcher sich, laut Kobell, bevor er getötet wurde, 9 Jahre in der Gegend von Schliersee und Tegernsee umhertrieb, hat nach amtlichen Erhebungen während dieser Zeit gegen 1000 Schafe und viel Wildbret gerissen, so daß der von ihm verursachte Schade auf 8 -10,000 Gulden geschätzt wurde. Im Jagdwalde bei Temesvar, welcher kaum 1 km von der Festung entfernt liegt, rissen die Wölfe in einem Winter über 70 Rehe, in einem walachischen Grenzdorfe binnen 2 Monaten 31 Rinder und 3 Pferde, in der kroatischen Ortschaft Basma in einer Nacht 35 Schafe. Im Dorfe Suhaj in Kroatien trieb, laut mir gewordenem Berichte, am 8. Dezember 1871 der Hirt eine Herde Schafe auf die Weide und wurde hier von etwa sechszig Wölfen überfallen, welche ihm 24 Schafe zerrissen und auffraßen; die übrigen zerstoben in alle Winde und nur ein Lamm kehrte zurück. Ähnliches geschieht allerorten, wo diese Raubtiere hausen. In Lappland ist das Wort Friede gleichbedeutend mit Ruhe vor den Wölfen. Man kennt bloß einen Krieg, und dieser gilt gedachten Raubtieren, welche das lebendige Besitztum der armen Nomaden des Nordens oft in der empfindlichsten Weise schädigen. Auch in Spanien verursachen die Wölfe bedeutende Verluste. In Rußland fallen ihnen jährlich etwa 180,000 Stück Groß- und über dreimal so viel Kleinvieh zur Beute; Lasarewski bemißt den durch sie angerichteten Schaden an Haustieren auf 15 Millionen, an nutzbarem Wilde auf 50 Millionen Rubel. Zu alledem kommt noch, daß sie auch von der Tollwut befallen und dann Menschen wie Tieren gleich gefährlich werden; in Rußland sollen tolle Wölfe die ihnen begegnenden Personen vornehmlich in das Gesicht beißen.
Der Wolf, wie er in Brehms Tierleben beschrieben wird (Alfred E. Brehm: Brehm’s Tierleben. Allgemeine Kunde des Tierreichs. 3. Auflage. Leipzig und Wien, Bibliographisches Institut, 1890; 10 Bände, Großausgabe. 7.200 Seiten inkl. 1.800 Abb., 180 Karten in Farbdruck und Holzschnitt, 9 Karten)
Der Wolf im Beutelwolf-Blog