Der Schimpanse in Brehms Tierleben

Der vorstehend mehrfach erwähnte Schimpanse, »Barris«, »Inschoko«, »Insiëgo«, »Soko«, »Nschniëgo«, »Baâm«, und wie er sonst noch bei den Eingeborenen heißen oder von Reisenden genannt worden sein mag (Anthropopithecus troglodytes, Simia, Pithecus, Chimpanza, Mimetes und Pseudanthropos troglodytes, Satyrus lagarus und Chimpanza Troglodytes niger), wird gegenwärtig ebenfalls als Vertreter einer gleichnamigen Sippe oder Untersippe (Pseudanthropos) betrachtet. Er ist beträchtlich kleiner, im Rumpfe verhältnismäßig viel kürzer als der Gorilla, trotzdem er dieselbe Anzahl von rippentragenden und Lendenwirbeln (dreizehn und vier) besitzt wie dieser, sein Kopf verhältnismäßig groß, die breite Schnauze wenig vorgezogen, der Vorderarm für Menschenaffen auffallend kurz, die Hand gestreckt und schmal, das Bein ebenfalls kurz, der Fuß der Hand entsprechend gebaut; auch zeigt der hinterste Backenzahn nur vier Höcker und einen hinteren Anhang.

Sein Gesicht ist ziemlich breit und flach, die Stirn tritt namentlich bei alten merklich, jedoch weit weniger als beim Gorilla zurück und das Kinn in demselben Verhältnisse vor, so daß der Gesichtswinkel 55 Grad beträgt. Die Augenbrauenbogen stehen deutlich vor; die Nase ist klein und flach, der Mund übermäßig groß; die schmalen, weit vorstreckbaren Lippen sind im Leben vielfach gefaltet. Die Ohrmuschel ist viel größer, steht auch weiter vom Kopfe ab als bei dem Menschen, und zeigt fast denselben Bau wie beim Gorilla. Hände und Füße habe ich bereits (S. 41 f.) beschrieben, jedoch noch hinzuzufügen, daß die Arme bei aufrechtem Gange sehr weit am Beine herabreichen und die Fingerspitzen der ausgestreckten Hand fast die Knöchel berühren. Um das Verhältnis der Glieder zum Leibe anzugeben, will ich die Maße eines jungen Schimpanse, welchen ich lebend untersuchen konnte, angeben. Es beträgt die Länge vom Scheitel bis zum Steiße 52 Centim., die Armlänge von der Achselhöhle bis zur Fingerspitze 44 Centim., die Beinlänge bis zur Zehenspitze 41 Centim., die Länge des Oberarmes 19 Centim., die Länge des Unterarmes 19 Centim., die Länge der Hand 13 Centim., die Länge des Oberschenkels 17 Centim., des Unterschenkels 17 Centim., des Fußes oben gemessen 12 Centim., der Umfang des Schädels über dem Brauenbogen gemessen 38 Centim., der Umfang des Halses 26 Centim., der Umfang des Leibes unter den Armen 50 Centim.

Ein ziemlich dichtes, aus mittellangen schlichten und glänzenden Haaren bestehendes Kleid, welches sich bartartig an beiden Gesichtsseiten und schopfig auf dem Hinterkopfe verlängert, deckt gleichmäßig Stirn, Scheitel, Hinterkopf, Nacken und Rücken, wogegen die Unterseite weit spärlicher bekleidet und die Kinn- und Weichengegend nur sehr dünn behaart ist. In der Gegend des nackten Afters sieht das Haar weißlich aus. Die Färbung des unbehaarten Gesichtes ist ein grauliches Ledergelb, welches zwischen den Augen in Braunschwarz übergeht, ohne daß jedoch letztere Färbung zur vorherrschenden würde. Hände und Füße sehen lederbraun, die Lippen blaßroth, die Ohren lebergelb aus. Die milden, sanften Augen haben lichtzimmetbraune Iris.

In wiefern das Thier in höherem Alter von dem eben beschriebenen Jungen abweicht, vermag ich nicht zu sagen, weil ich noch niemals einen lebenden Schimpanse gesehen habe, welcher bereits über die Jahre der Kindheit hinaus gewesen wäre, und mich auf eine Beschreibung getrockneter Bälge nicht einlassen mag. Nur so viel will ich noch bemerken, daß der erwachsene Schimpanse nach Versicherung der Eingeborenen zuweilen bis 1,5 Meter hoch wird und sich durch weißen Kinnbart, welcher auch bei den Jungen bereits angedeutet ist, besonders auszeichnet. Die Knochen des Schimpanse sind, laut Hartmann, im ganzen schlanker und zierlicher als diejenigen des Gorilla. Dem Schädel des männlichen Schimpanse fehlt der riesige Knochenkamm des ebengenannten Verwandten gänzlich; ebensowenig bemerkt man an ihm die beim männlichen Gorilla sehr mächtigen, beim weiblichen deutlich erkennbaren Knochenwülste über den Augen.

Um zu beweisen, daß die Alten den Schimpanse gekannt haben, führt man das berühmte Mosaikbild an, welches einstmals den Tempel der Fortuna in Präneste schmückte und unter vielen anderen Thieren der oberen Nilländer auch unseren Menschenaffen dargestellt haben soll. Erwähnt wird dieser von vielen Schriftstellern der letztvergangenen Jahrhunderte meist unter den Namen »Insiëgo« oder »Nschniëgo«, welche er in Mittelafrika heute noch führt. Ein junger Schimpanse wurde in der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts lebend nach Europa gebracht, von Tulpius und Tyson zergliedert und von Dapper beschrieben. Von dieser Zeit angelangte das Thier wiederholt zu uns, und neuerlich trifft es sogar mit einer gewissen Regelmäßigkeit auf dem europäischen Thiermarkte ein: im Jahre 1870 wurden fünf Stück allein nach Deutschland gebracht.

Während man früher Ober- und Niederguinea für seine ausschließliche Heimat hielt, wissen wir gegenwärtig durch Heuglin und Schweinfurth, daß er sich bis tief in das Innere von Afrika verbreitet. »Auf dem dichtbelaubten Hochholz längs der Flüsse im Lande der Niamniam«, sagt Heuglin, »haust in Paaren und Familien der Mban (richtiger Baâm), ein Affe von der Größe eines Mannes und von wildem Wesen, welcher sich nicht scheut, den ihn verfolgen den Jäger anzugreifen. Derselbe baut sich große Nester auf den Kronen der Bäume und versieht sie mit einem dichten Schutzdache gegen den Regen. Er hat eine olivenschwärzliche, nicht dichte Behaarung, nacktes, fleischfarbenes Gesicht und weißliches Gesäß.« Vorstehende Schilderung, welche durch Schweinfurths Angaben durchaus bestätigt wird, kann sich nur auf den Schimpanse beziehen, und diese Ansicht wird unterstützt durch die Berichte des Letztgenannten und Hartmanns über die wenigen Stücke dieses mittelafrikanischen Affen, welche in schlecht zubereiteten Bälgen nach Europa gelangt sind. Schweinfurth erfuhr, daß ein Krainer Jäger, Klancznik, im Jahre 1863 außer einer Ladung Sklaven auch einen lebenden Schimpanse vom oberen Weißen Flusse mitbrachte. Der Affe starb, noch ehe er Chartum erreichte, wurde dort abgehäutet und der Hochschule für Aerzte in Kairo überlassen. Hier sah Schweinfurth den Balg; auf der Pariser Ausstellung konnte Hartmann einen zweiten untersuchen. Beide Forscher sprechen sich dahin aus, daß man das Thier als Schimpanse bestimmen müsse. »Im December 1868«, schaltet Schweinfurth hier ein, »fand ich in Chartum einen dritten, schlecht ausgestopften, aber sehr großen Balg des betreffenden Affen, welcher sich gegenwärtig im Berliner Museum befindet und nach Hartmanns Ueberzeugung von dem westafrikanischen Schimpanse sich nicht unterscheidet. Unter den von mir bereisten Ländern des tiefsten Inneren von Afrika nenne ich als Heimat dieses Menschenaffen vor allen anderen das waldreiche Land des Königs Uando, weil das Thier hier besonders häufig auftreten muß. In einem Dorfe nahm ich zwölf vollständige Schädel desselben von einem einzigen der hier gebräuchlichen Merkpfähle, welche mit Beutezeichen der Jagd behangen zu werden pflegen. In dem bevölkerten Monbuttulande dagegen, welches weite, dem Bananenbau gewidmete Lichtungen in sich schließt, scheint das menschenscheue Thier nur ein ziemlich vereinzeltes Dasein zu führen. Auch mir wurde erzählt, daß er auf den von ihm bewohnten Bäumen sich Nester errichte.« In Ober- und Niederguinea bewohnt der Schimpanse die großen Wälder in den Flußthälern und an der Küste, scheint jedoch trockene Gegenden feuchten vorzuziehen. Auf der nördlichen Seite des Kongo soll er, laut Monteiro, sehr häufig sein.

»Man kann nicht sagen«, berichtet Savage, »daß die Schimpansen gesellig leben, da man selten mehr als ihrer fünf, höchstens ihrer zehn zusammen findet. Auf gute Gewähr mich stützend, darf ich behaupten, daß sie sich gelegentlich in größerer Anzahl versammeln, um zu spielen. Einer meiner Berichterstatter versichert, bei einer solchen Gelegenheit einmal nicht weniger als ihrer funfzig gesehen zu haben, welche sich durch Jubeln, Schreien und Trommeln auf alten Stämmen erfreuten. Sie meiden die Aufenthaltsorte der Menschen soviel als möglich. Ihre Wohnungen, mehr Nester als Hütten, errichten sie auf Bäumen, im allgemeinen nicht hoch über dem Boden. Größere oder kleinere Zweige werden niedergebogen, abgeknickt, gekreuzt und durch einen Ast oder einen Gabelzweig gestützt. Zuweilen findet man ein Nest nahe dem Ende eines dicken blattreichen Astes, acht bis zwölf Meter über der Erde; doch habe ich auch eins gesehen, welches nicht niedriger als dreizehn Meter sein konnte. Einen festen Standort haben die Schimpansen nicht, wechseln ihren Platz vielmehr beim Aufsuchen der Nahrung oder aus sonstigen Gründen, je nach den Umständen. Wir sahen sie öfters auf hoch gelegenen Stellen, wohl nur deshalb, weil die dem Reisbau der Eingeborenen günstigeren Niederungen öfters gelichtet werden, und jenen dann passende Bäume zum Bau ihrer Nester mangeln. Selten sieht man mehr als ein oder zwei Nester auf einem und demselben Baume oder sogar in derselben Umgebung. Doch hat man einmal deren fünf gefunden.« Nester, wie solche Du-Chaillu bespricht und abbildet, wahrhaft künstliche Flechtereien nämlich, beschreibt kein einziger der übrigen Berichterstatter.

»In der Ruhe nimmt der freilebende Schimpanse gewöhnlich eine sitzende Stellung an. Man sieht ihn in der Regel stehen oder gehen; wird er dabei entdeckt, so fällt er unverzüglich auf alle Viere und entfernt sich fliehend von dem Beobachter. Sein Bau ist derart, daß er nicht ganz aufrecht stehen kann, sondern stets nach vorn neigt; wenn er steht, sieht man ihn die Hände über dem Hinterhaupte zusammenschlagen oder über der Lendengegend kreuzen, was notwendig zu sein scheint, um sich im Gleichgewichte zu erhalten. Die Zehen sind beim Erwachsenen stark gebogen und nach innen gewendet, können auch nicht vollständig ausgestreckt werden. Beim Versuche hierzu erhebt sich die Haut des Fußrückens in dicken Falten, woraus hervorgeht, daß völlige Streckung des Fußes ihm unnatürlich ist. Die ihm bequemste Stellung ist die auf allen Vieren, wobei der Leib auf den Knöcheln ruht. Infolge des Gebrauches sind letztere verbreitert und wie die Fußsohle mit schwieliger Haut bekleidet. Wie man schon aus dem Baue vermuthen kann, ist der Schimpanse ein geschickter Kletterer. Bei seinen Spielen schwingt er sich auf weite Entfernungen von einem Baume zum anderen und springt mit staunenerregender Behendigkeit. Nicht selten sieht man die ›alten Leute‹, wie einer meiner Berichterstatter sich ausdrückt, unter einem Baume sitzen, mit Aufzehren von Früchten und freundschaftlichem Geschwätz sich unterhaltend, während ihre Kinder um sie herumspringen und ausgelassen von Baum zu Baume klettern. Die Nahrung besteht wahrscheinlich aus denselben Pflanzen und Früchten, welche der Gorilla verzehrt: Früchte, Nüsse, Blatt- und Blütenschößlinge, vielleicht auch Wurzeln bilden wohl die Hauptspeise. Nicht selten soll er Bananen und andere Fruchtbäume besuchen, welche die Neger zwischen ihren Maisfeldern anpflanzen, oder sich in verlassenen Negerdörfern, in denen die Papaya in großer Menge wächst, einfinden und dort so lange verweilen, als es Nahrung gibt, nach Aufzehrung derselben aber wieder Wanderungen von größerer oder geringerer Ausdehnung unternehmen.

Der Schimpanse bekundet scharfen Verstand und warme Liebe zu seinen Jungen. Ein Weibchen, welches sich mit seinem Manne und zwei Jungen auf einem Baume befand und von dem Jäger aufgefunden wurde, stieg zuerst mit großer Schnelligkeit herunter und versuchte mit dem Männchen und einem Jungen ins Dickicht zu entfliehen. Bald darauf aber kehrte es zur Rettung des zurückgebliebenen Jungen zurück, stieg wieder auf den Baum, nahm das Kind in seine Arme und erhielt in demselben Augenblicke die tödtliche Kugel, welche auf dem Wege zum Herzen der Mutter durch den Vorderarm des Jungen drang. In einem anderen Falle blieb die Mutter, nachdem sie entdeckt war, mit ihrem Jungen auf dem Baume und folgte aufmerksam dem Vorgehen des Jägers. Als er zielte, bewegte sie ihre Hand, genau in der Weise, wie ein Mensch thun würde, um den Gegner zum Abstehen und Fortgehen zu bewegen. Verwundete suchen das Blut durch Aufdrücken der Hand oder, wenn dies nicht ausreicht, durch Auflegen von Blättern und Gras zu stillen, schreien auch laut, ›nicht unähnlich einem Menschen, welcher plötzlich in große Noth geräth.‹ Ferner wird erzählt, daß sich die Schimpansen in ihrer geschlechtlichen Liebe weit weniger abschreckend als andere Affen zeigen, sogar eine gewisse Sittsamkeit an den Tag legen sollen. Auch von ihnen geht überall, wo sie vorkommen, das Gerücht, daß die Männchen an weiblichen Menschen Gefallen finden, und diese Behauptung erscheint denjenigen, welche das Gebaren großer männlicher Affen beim Anblicke von Frauen aus eigener Erfahrung kennen gelernt haben, durchaus nicht unwahrscheinlich. Ueber Zeit und Umstände der Paarung, Schwangerschaft und Entwickelung der Jungen usw. sind mir keinerlei Angaben bekannt; ich weiß bloß aus Beobachtung angefangenen Jungen, daß deren Wachsthum weit langsamer vor sich geht, als man bisher angenommen zu haben scheint. Der Zahnwechsel beginnt nicht vor dem zurückgelegten vierten Lebensjahre, wahrscheinlich noch um ein Jahr später. Ein Schimpanse, welchen ich drei Jahre lang pflegte, war, als er in meinen Besitz kam, jedenfalls älter als zwei Jahre und wechselte erst kurz vor seinem Tode die unteren Schneidezähne; der Zahnwechsel würde also, die Richtigkeit meiner Annahme vorausgesetzt, erst im sechsten Lebensjahre stattgefunden haben. Wenn man, hierauf fußend, den Schimpanse bezüglich seines Wachsthums und des zu erreichenden Alters dem Menschen annähernd gleichstellt, wird man sich schwerlich irren.«

Unter den Eingeborenen Westafrikas geht eine Ueberlieferung, nach welcher die Schimpansen einmal Mitglieder ihres eigenen Stammes gewesen seien, wegen ihrer schlechten Gewohnheiten aber aus aller menschlichen Gesellschaft verstoßen und infolge hartnäckigen Beharrens bei ihren gemeinen Neigungen allmählich auf den gegenwärtigen Zustand herabgesunken wären. Dies hindert die Eingeborenen übrigens nicht, die Herren Vettern zu essen; ja deren Leiber gelten, mit Palmöl gekocht, sogar für ein äußerst schmackhaftes Gericht.

Wie es scheint, kämpft der Schimpanse mit dem Menschen einzig und allein, um sich zu vertheidigen. Fürchtet er gefangen zu werden, so leistet er dadurch Widerstand, daß er seine Arme um den Gegner schlingt, ihn zu sich heranzieht und zu beißen versucht. Savage hat einen Mann gesehen, welcher so an den Füßen bedeutend verwundet worden war. »Die starke Entwickelung der Eckzähne beim erwachsenen Schimpanse möchte Neigung zu Fleischnahrung andeuten. Solche zeigt sich jedoch nur, wenn er gezähmt wurde. Anfänglich weist er Fleisch zurück, nach und nach aber verzehrt er es mit einer gewissen Vorliebe. Die Eckzähne, welche sich frühzeitig entwickeln, spielen also nur eine Rolle bei der Vertheidigung. Kommt ein Schimpanse mit dem Menschen in Zwiespalt, so ist beinahe das erste, was er thun will, beißen.«

»Leider«, erzählt Schweinfurth, »noch war es mir nicht vergönnt, im Lande der Niamniam eine Jagd auf Schimpansen veranstalten zu sehen. Eine solche bereitet nämlich viele Schwierigkeiten. Nach Aussage der Niamniam selbst gehören dazu mindestens zwanzig bis dreißig entschlossene Jäger, denen die heikle Aufgabe zufällt, in den achtzig und mehr Fuß hohen Bäumen mit dem Schimpanse um die Wette umherzuklettern und dabei die gewandten und kräftigen Thiere in Fangnetze zu locken, in denen sie, einmal verwickelt, mit Lanzenwürfen leicht abgethan werden können. In solchen Fällen sollen sie sich grimmig und verzweifelt wehren, in die Enge getrieben, den Jägern sogar die Speere zu entreißen vermögen, mit welchen sie dann wüthend um sich schlagen. Weit verderblicher aber noch soll den Angreifern der Biß ihrer gewaltigen Eckzähne und die erstaunliche Muskelstärke ihrer nervigen Arme werden.«

Unter allen Menschenaffen gelangt gegenwärtig der Schimpanse am häufigsten lebend zu uns, hält hier aber leider nur ausnahmsweise zwei bis drei Jahre aus, während er, wie man versichert, in Westafrika bis zwanzig Jahre in Gefangenschaft gelebt haben und groß und stark geworden sein soll. Bis jetzt hat man stets beobachtet, daß die Gefangenen sanft, klug und liebenswürdig waren. Grandpret sah auf einem Schiffe ein Weibchen, welches man gelehrt hatte, den Backofen zu heizen. Es erfüllte sein Amt zur allgemeinen Zufriedenheit, gab acht, daß keine Kohlen herausfielen, wußte, wenn der Ofen den nöthigen Grad von Hitze erlangt hatte, ging hin und berichtete den Bäcker durch sehr ausdruckvolle Geberden davon. Derselbe Affe verrichtete die Arbeit eines Matrosen mit ebenso viel Geschick als Einsicht, wand das Ankertau auf, zog die Segel ein, band sie fest und arbeitete vollkommen zur Zufriedenheit der Matrosen, welche ihn zuletzt als ihren Maat betrachteten. Brosse brachte ein Pärchen junger Schimpansen nach Europa, ein junges Männchen und ein Weibchen. Sie setzten sich an den Tisch wie ein Mensch, aßen von allem und bedienten sich dabei des Messers, der Gabel und der Löffel, theilten auch alle Getränke, namentlich Wein und Branntwein, mit den Menschen, riefen die Schiffsjungen, wenn sie etwas brauchten, und wurden böse, wenn diese es ihnen verweigerten, faßten die Knaben am Arme, bissen sie und warfen sie unter sich. Das Männchen wurde krank, und der Schiffsarzt ließ ihm deshalb zur Ader; so oft es sich unwohl fühlte, hielt es ihm stets den Arm hin. Buffon erzählt, daß sein Schimpanse traurig und ernsthaft aussah und sich abgemessen und verständig bewegte. Von den häßlichen Eigenschaften der Paviane zeigte er keine einzige, war aber auch nicht muthwillig wie die Meerkatzen, gehorchte aufs Wort oder auf ein Zeichen, bot den Leuten den Arm an und ging mit ihnen umher, setzte sich zu Tische, benutzte ein Vorstecktuch und wischte sich, wenn er getrunken hatte, damit die Lippen; schenkte sich selbst Wein ein und stieß mit anderen an, holte sich eine Tasse und Schale herbei, that Zucker hinein, goß Thee darauf und ließ ihn kalt werden, bevor er ihn trank. Niemandem fügte er ein Leid zu, sondern näherte sich jedem bescheiden und freute sich ungemein, wenn ihm geschmeichelt wurde. Traills Schimpanse hielt man einen Spiegel vor: sogleich war seine Aufmerksamkeit gefesselt; auf die größte Beweglichkeit folgte die tiefste Ruhe. Neugierig untersuchte er das merkwürdige Ding und schien stumm vor Erstaunen, blickte sodann fragend seinen Freund an, hierauf wieder den Spiegel, ging hinter diesen, kam zurück, betrachtete nochmals sein Bild und suchte sich durch Betasten desselben zu überzeugen, ob er wirkliche Körperlichkeit oder bloßen Schein vor sich habe: ganz so wie es wilde Völker thun, wenn ihnen zum erstenmal ein Spiegel gereicht wird. Leutnant Sayers erzählt von einem jungen Männchen, welches er wenige Tage nach der Gefangenschaft an der Westküste Afrikas erhielt, daß es sehr bald und im hohen Grade vertraut mit ihm wurde, noch innigere Freundschaft aber mit einem Negerknaben schloß und im höchsten Zorne zu kreischen anfing, wenn jener ihn nur für einen Augenblick verlassen wollte. Sehr eingenommen war der Affe für Kleidungsstücke, und das erste Beste, das ihm in den Weg kam, eignete er sich an, trug es sogleich auf den Platz und setzte sich unabänderlich, mit selbstzufriedenem Gurgeln, darauf, gab es auch gewiß nicht ohne harten Kampf und ohne die Zeichen der größten Unzufriedenheit wieder her. »Als ich diese Vorliebe bemerkte«, fährt der Erzähler fort, »versah ich ihn mit einem Stück Baumwollenzeug, von dem er sich dann, zur allgemeinen Belustigung, nicht wieder trennen mochte, und welches er überallhin mitschleppte, so daß keine Verlockung stark genug war, ihn zum Aufgeben desselben auch nur für einen Augenblick zu bewegen. Die Lebensweise der Thiere in der Wildnis war mir völlig unbekannt; ich versuchte deshalb, ihn nach meiner Art zu ernähren und hatte den besten Erfolg. Morgens um acht Uhr bekam mein Gefangener ein Stück Brod in Wasser oder in verdünnter Milch geweicht, gegen zwei Uhr ein paar Bananen oder Pisang, und ehe er sich niederlegte wieder eine Banane, eine Apfelsine oder ein Stück Ananas. Die Banane schien seine Lieblingsfrucht zu sein, für sie ließ er jedes andere Gericht im Stiche, und wenn er sie nicht bekam, war er höchst mürrisch. Als ich ihm einmal eine verweigerte, bekundete er die heftigste Wuth, stieß einen schrillen Schrei aus und rannte mit dem Kopfe so heftig gegen die Wand, daß er auf den Rücken fiel, stieg dann auf eine Kiste, streckte die Arme verzweiflungsvoll aus und stürzte sich herunter. Alles dies ließ mich so sehr für sein Leben fürchten, daß ich den Widerstand aufgab. Nun erfreute er sich seines Sieges auf das lebhafteste, indem er minutenlang ein höchst bedeutungsvolles Gurgeln hören ließ: kurz, jedesmal, wenn man ihm seinen Willen nicht thun wollte, zeigte er sich wie ein verzogenes Kind. Aber so böse er auch werden mochte, nie bemerkte ich, daß er geneigt gewesen wäre, seinen Wärter oder mich zu beißen oder sich sonstwie an uns zu vergreifen.«

Ich kann diese Berichte nach eigener Erfahrung bestätigen und vervollständigen, da ich selbst mehrere Schimpansen jahrelang gepflegt und beobachtet habe. Einen solchen Affen kann man nicht wie ein Thier behandeln, sondern mit ihm nur wie mit einem Menschen verkehren. Ungeachtet aller Eigenthümlichkeiten, welche er bekundet, zeigt er in seinem Wesen und Gebaren so außerordentlich viel menschliches, daß man das Thier beinahe vergißt. Sein Leib ist der eines Thieres, sein Verstand steht mit dem eines rohen Menschen fast auf einer und derselben Stufe. Es würde abgeschmackt sein, wollte man die Handlungen und Streiche eines so hoch stehenden Geschöpfes einzig und allein auf Rechnung einer urtheilslosen Nachahmung stellen, wie man es hin und wieder gethan hat. Allerdings ahmt der Schimpanse nach; es geschieht dies aber genau in derselben Weise, in welcher ein Menschenkind Erwachsenen etwas nachthut, also mit Verständnis und Urtheil. Er läßt sich belehren und lernt. Wäre seine Hand ebenso willig oder gebrauchsfähig wie die Menschenhand, er würde noch ganz anderes nachahmen, noch ganz anderes lernen. Er thut eben so viel er zu thun vermag, führt das aus, was er ausführen kann; jede seiner Handlungen aber geschieht mit Bewußtsein, mit entschiedener Ueberlegung. Er versteht, was ihm gesagt wird, und wir verstehen auch ihn, weil er zu sprechen weiß, nicht mit Worten allerdings, aber mit so ausdrucksvoll betonten Lauten und Silben, daß wir uns über sein Begehren nicht täuschen. Er erkennt sich und seine Umgebung und ist sich seiner Stellung bewußt. Im Umgange mit dem Menschen ordnet er sich höherer Begabung und Fähigkeit unter, im Umgange mit Thieren bekundet er ein ähnliches Selbstbewußtsein wie der Mensch. Er hält sich für besser, für höher stehend als andere Thiere, namentlich als andere Affen. Sehr wohl unterscheidet er zwischen erwachsenen Menschen und Kindern: erstere achtet, letztere liebt er, vorausgesetzt, daß es sich nicht um Knaben handelt, welche ihn necken oder sonstwie beunruhigen. Er hat witzige Einfälle und erlaubt sich Späße, nicht bloß Thieren, sondern auch Menschen gegenüber. Er zeigt Theilnahme für Gegenstände, welche mit seinen natürlichen Bedürfnissen keinen Zusammenhang haben, für Thiere, welche ihn sozusagen nachts angehen, mit denen er weder Freundschaft anknüpfen, noch in irgend ein anderes Verhältnis treten kann. Er ist nicht bloß neugierig, sondern förmlich wißbegierig. Ein Gegenstand, welcher seine Aufmerksamkeit erregte, gewinnt an Werth für ihn, wenn er gelernt hat, ihn zu benutzen. Er versteht Schlüsse zu ziehen, von dem einen auf etwas anderes zu folgern, gewisse Erfahrungen zweckentsprechend auf ihm neue Verhältnisse zu übertragen. Er ist listig, sogar verschmitzt, eigenwillig, jedoch nicht störrisch; er verlangt, was ihm zukommt, ohne rechthaberisch zu sein, bekundet Launen und Stimmungen, ist heute lustig und aufgeräumt, morgen traurig und mürrisch. Er unterhält sich in dieser und langweilt sich in jener Gesellschaft, geht auf passende Scherze ein und weist umpassende von sich. Seine Gefühle drückt er aus wie der Mensch. In heiterer Stimmung lacht er freilich nicht, aber er schmunzelt doch wenigstens, d.h. verzieht sein Gesicht und nimmt den unverkennbaren Ausdruck der Heiterkeit an. Trübe Stimmungen dagegen verkündet er ganz in derselben Weise wie ein Mensch, nicht allein durch seine Mienen, sondern auch durch klägliche Laute, welche jedermann verstehen muß, weil sie menschlichen mindestens in demselben Grade ähneln wie thierischen. Wohlwollen erwiedert er durch die gleiche Gesinnung, Uebelwollen womöglich in eben derselben Weise. Bei Kränkungen geberdet er sich wie ein Verzweifelter, wirft sich mit dem Rücken auf den Boden, verzerrt sein Gesicht, schlägt mit Händen und Füßen um sich, kreischt und rauft sich sein Haar. Andere Affen bekunden ähnliche Geistesfähigkeiten; beim Schimpanse aber erscheint jede Aeußerung des Geistes klarer, verständlicher, weil sie dem, was wir beim Menschen sehen, entschieden ähnlicher ist als die Verstandesäußerung jener Thiere.

Der Schimpanse, welcher, während ich diese Zeilen in die schnelläufige Feder des Eilschreibers fließen lasse, in meinem Zimmer umhergeht und sich nach Herzenslust unterhält, langte in der traurigsten Verfassung an. Er war ermüdet und ermattet von der Reise, krank und leiblich und geistig herabgekommen. In dieser Lage verlangte er die sorgsamste Pflege, eine solche, wie man sie einem kranken Kinde angedeihen läßt, und erhielt diese und eine treffliche Erziehung durch einen der ausgezeichnetsten Thierpfleger, meinen alten Freund Seidel, in der freundlichsten Weise. Kein Wunder, daß er an diesem Manne hängt wie ein Kind an seiner Mutter, daß er sich seinen Wünschen fügt und in überraschend kurzer Zeit zu dem folgsamsten Pfleglinge unter der Sonne geworden ist. Namentlich seitdem er seine Krankheit vollständig überwunden hat, zeigt er sich als ein ganz anderes Geschöpf als vorher. Er ist rege und thätig ohne Unterlaß, vom frühen Morgen bis zum späten Abend, sucht sich ununterbrochen mit irgend etwas zu beschäftigen, und sollte er auch nur mit seinen Händen klatschend auf seine Fußsohlen klopfen, ganz so wie Kinder es ebenfalls zu thun pflegen. So ungeschickt er zu sein scheint, wenn er geht, so gewandt und behend ist er wirklich, und zwar bei jeder Bewegung. In der Regel geht er in der sämmtlichen Menschenaffen eigenen Weise auf allen Vieren, und zwar mit schiefer Richtung seines Leibes, indem er sich mit den Händen auf die eingeschlagenen Knöchel stützt und entweder ein Hinterbein zwischen den Vorderarmen und eins außerhalb derselben setzt oder beide Hinterbeine zwischen die Vorderame schiebt. Trägt er jedoch etwas, so richtet er sich fast zu voller Höhe auf, stützt sich nur mit einer Hand auf den Boden und bewegt sich dann eigentlich ebenso geschickt als sonst. Wirklich aufrecht, also nur auf beiden Beinen allein, ohne sich mit einem Arme zu stützen, geht er bloß dann, wenn er in besondere Erregung geräth, beispielsweise wenn er glaubt, daß sich sein Pfleger von ihm entfernen wolle, ohne ihn mitzunehmen. Bei dieser Bewegung hält er die im Armgelenk gebogenen Hände seitlich vom Kopfe ab nach oben, um das Gleichgewicht herzustellen. Der Gang auf allen Vieren sieht äußerst holperig aus, fördert aber verhältnismäßig rasch genug und jedenfalls mehr, als ein Mensch zu laufen im Stande ist. Eigentliche Beweglichkeit und Behendigkeit entfaltet er aber doch nur im Klettern, und hierin unterscheidet er sich, wie wahrscheinlich alle übrigen Menschenaffen, wesentlich von seinen Ordnungsverwandten. Er klettert nach Art eines Menschen, nicht nach Art eines Thieres, und turnt in der ausgezeichnetsten Weise. Mit seinen Armen ergreift er einen Ast oder sonstigen Halt und schwingt sich nun mit überraschender Gewandtheit über ziemlich weite Entfernungen weg, macht auch verhältnismäßig große Sätze, immer aber so, daß er mit einer Hand oder mit beiden einen neuen Halt ergreifen kann. Die Füße spielen beim Klettern und Turnenden Händen gegenüber eine untergeordnete Rolle, obgleich sie selbstverständlich ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen und die höchst beweglichen Zehen gebührend benutzt werden. Mit dem ihm gebotenen Turngeräthe macht er sich vom Morgen bis zum Abend zu schaffen, und weiß ihnen fortwährend neue Seiten der Verwendung abzugewinnen. Er schaukelt sich minutenlang mit Behagen, klettert an seiner hängenden Leiter auf und ab, setzt diese in Bewegung, geht am Reck, mit den Händen fest hangend, hin und her und führt andere Turnkünsteleien mit vollendeter Fertigkeit aus, ohne jemals im geringsten unterrichtet worden zu sein. So sicher er sich auf diesen ihm bekannten Turngeräthen fühlt, so ängstlich geberdet er sich, wenn er auf einen Gegenstand klettert, welcher ihm nicht fest genug zu sein scheint: ein wackeliger Stuhl z.B. erregt sein höchstes Bedenken. Den Händen fällt der größte Theil aller Arbeiten zu, welche er verrichtet. Mit ihnen untersucht und betastet, mit ihnen packt er Gegenstände, während der Fuß nur aushülfsweise als Greifwerkzeug benutzt wird. Er gebraucht seine Hände im wesentlichen ganz so wie ein Mensch und unterscheidet sich von diesem hauptsächlich darin, daß er die einzelnen Finger der Hand unter sich weniger als der Mensch bewegt, d.h. gewöhnlich mit dem Daumen und der übrigen ganzen Hand zugreift; doch wendet er bei genaueren Untersuchungen sehr regelmäßig auch den Zeige- oder Mittelfinger an.

Winwood Reade erzählt, daß ihm auf die Frage, ob sich der Gorilla auf die Brust schlage und ein Geräusch wie das einer Trommel hervorbringe, erwiedert worden sei, der Gorilla habe keine Trommel, wohl aber der Schimpanse; daß man ihn dann, als er die Trommel zu sehen gewünscht, zu einem hohlen Baume geführt und ihm gezeigt habe, wie der Schimpanse diesem durch Stampfen mit den Beinen einen trommelnden Ton zu entlocken wisse. Der Bericht der Neger ist gewiß vollständig richtig; denn auch der zahme Schimpanse thut dasselbe, indem er bei heiterer Stimmung, gleichsam um seinen Uebermuth auszulassen, nicht bloß mit den Händen auf den Boden schlägt, wie andere Affen es ebenfalls thun, sondern auch mit den Beinen auf und niedertrampelt, besonders da, wo es tönt, und damit allerdings ein trommelndes Geräusch hervorbringt. Er zeigt sich wahrhaft entzückt, wenn sich ein Mensch herbeiläßt, in derselben Weise wie er zu klopfen, ja er fordert Bekannte geradezu auf, derartig mit ihm zu spielen.

Mein Schimpanse kennt seine Freunde genau und unterscheidet sie sehr wohl von Fremden, befreundet sich aber bald mit allen, welche ihm liebreich entgegenkommen. Am behaglichsten befindet er sich im Kreise einer Familie, namentlich wenn er aus einem Zimmer ins andere gehen, Thüren öffnen und schließen und sich sonstwie zu unterhalten vermag. Man vermeint es ihm anzusehen, wie gehoben er sich fühlt, wenn er sich einmal frei unter ihm wohlwollenden Menschen bewegen und mit ihnen am Tische sitzen darf. Merkt er, daß man auf seine Scherze eingeht, so beginnt er mit seinen Händen auf den Tisch zu klopfen, und freut sich höchlich, wenn seine Gastgeber ihm folgen. Außerdem beschäftigt er sich mit genauer Untersuchung aller denkbaren Gegenstände, öffnet die Ofenthüre, um sich das Feuer zu betrachten, zieht Kisten heraus, kramt sie aus und spielt mit dem, was er hier findet, vorausgesetzt, daß es nicht verdächtig erscheint; denn er ist im hohen Grade ängstlich und kann vor einem Gummiballe sich entsetzen. Sehr genau merkt er, ob er beobachtet wird oder nicht. Im ersteren Falle thut er nur das, was ihm erlaubt wird, im letzteren läßt er sich mancherlei Uebergriffe zu Schulden kommen, gehorcht aber, wenn sein Pfleger ihm etwas verbietet, auf das bloße Wort hin, obschon nicht immer sogleich. Lob feuert ihn an, namentlich wenn es sich um Schwingen und Turnen handelt. Beschenkt oder freudig überrascht, beweist er sich dankbar, indem er, ohne gerade hierzu abgerichtet oder gelehrt worden zu sein, seinen Arm zärtlich um die Schulter des Wohlthäters legt und ihm eine Hand oder echt menschlich auch einen Kuß gibt. Genau dasselbe thut er, wenn er des Abends aus seinem Käfig genommen und auf das Zimmer gebracht wird. Er kennt die Zeit und zeigt sich schon eine Stunde, bevor er in sein Zimmer zurückgebracht wird, höchst unruhig. In dieser letzten Stunde darf sein Pfleger sich nicht entfernen, ohne daß er in ausdrucksvolles Klagen ausbricht oder auch wohl verzweifelnd sich geberdet, indem er sich, wie beschrieben, auf den Boden wirft, mit Händen und Füßen strampelt und ein unerträgliches Kreischen ausstößt. Dabei beachtet er die Richtung, in welcher sein Pfleger sich bewegt, genau, und bricht nur dann in Klagen aus, wenn er meint, daß jener ihn verlassen wolle. Wird er getragen, so setzt er sich wie ein Kind auf den Arm seines Pflegers, schmiegt den Kopf an dessen Brust und scheint sich außerordentlich behaglich zu fühlen. Von nun an hat er anscheinend bloß den einen Gedanken, sobald als möglich auf sein Zimmer zu kommen, setzt sich hier auf das Sopha und betrachtet seinen Freund mit treuherzigem Blicke, gleichsam als wolle er in dessen Gesichte lesen, ob dieser ihm heute Abend wohl Gesellschaft leisten oder ihn allein lassen werde. Wenn er das erstere glaubt, fühlt er sich glücklich, wogegen er, wenn er das Gegentheil merkt, sehr unglücklich sich geberdet, ein betrübtes Gesicht schneidet, die Lippen weit vorstößt, jammernd aufschreit, an dem Pfleger emporklettert und krampfhaft an ihm sich festhält. In solcher Stimmung hilft auch freundliches Zureden wenig, während dieses sonst die vollständigste Wirkung auf ihn äußert, ebenso wie er sich ergriffen zeigt, wenn er ausgescholten wurde. Man darf wohl sagen, daß er die an ihn gerichteten Worte vollständig versteht; denn er befolgt ohne Zögern die verschiedensten Befehle und beachtet alle ihm zukommenden Gebote; doch gehorcht er eigentlich nur seinem Pfleger, nicht aber Fremden, am wenigsten, wenn diese sich herausnehmen, in Gegenwart seines Freundes etwas von ihm zu verlangen.

Im hohen Grade anziehend benimmt er sich Kindern gegenüber. Er ist an und für sich durchaus nicht bösartig oder gar heimtückisch und behandelt eigentlich jedermann freundlich und zuvorkommend, Kinder aber mit besonderer Zärtlichkeit, und dies um so mehr, je kleiner sie sind. Mädchen bevorzugt er Knaben, aus dem einfachen Grunde, weil letztere es selten unterlassen können, ihn zu necken; und wenn er auch auf solche Scherze gern eingeht, scheint es ihn doch zu ärgern, von so kleinen Persönlichkeiten sich gefoppt zu sehen. Als er zum erstenmal meinem sechswöchentlichen Töchterchen gezeigt wurde, betrachtete er zunächst das Kind mit sichtlichem Erstaunen, als ob er sich über dessen Menschenthum vergewissern müsse, berührte hierauf das Gesicht überaus zart mit einem Finger und reichte schließlich freundlich die Hand hin. Dieser Charakterzug, welchen ich bei allen von mir gepflegten Schimpansen beobachtet habe, verdient besonders deshalb hervorgehoben zu werden, weil er zu beweisen scheint, daß unser Menschenaffe auch im kleinsten Kinde immer noch den höher stehenden Menschen sieht und anerkennt. Gegen Seinesgleichen benimmt er sich keineswegs ebenso freundlich. Ein junges Schimpanseweibchen, welches ich früher pflegte, zeigte, als ich ihm ein junges Männchen seiner Art beigesellte, keine Theilnahme, kein Gefühl von Freude oder Freundschaft für dieses, behandelte das schwächere Männchen im Gegentheile mit entschiedener Roheit, versuchte es zu schlagen, zu kneipen, überhaupt zu mißhandeln, so daß beide getrennt werden mußten. Ein solches Betragen hat sich keiner der von mir gepflegten Schimpansen gegen Menschenkinder zu Schulden kommen lassen.

Abweichend von anderen Affenarten ist er munter bis in die späte Nacht, mindestens so lange, als das Zimmer beleuchtet wird. Das Abendbrod schmeckt ihm am besten, und er kann deshalb nach seiner Ankunft im Zimmer kaum erwarten, daß die Wirtschafterin ihm den Thee bringt. Erscheint dieselbe nicht, so geht er zur Thüre und klopft laut an diese an; kommt jene, so begrüßt er sie mit freudigem »Oh! Oh!«, bietet ihr auch wohl die Hand. Thee und Kaffee liebt er sehr, den ersteren stark versüßt und mit etwas Rum gewürzt, wie er überhaupt alles genießt, was auf den Tisch kommt, und sich auch an Getränken, namentlich an Bier, gütlich thut. Beim Essen stellt er sich auf das Sopha, stützt beide Hände auf den Tisch oder legt sich mit dem einen Arme auf, nimmt mit der einen Hand die Obertasse von der unteren, schlürft mit Behagen den flüssigen Inhalt und geht dann erst zu den eingebrockten Brodstückchen über. So weit er diese erlangen kann, zieht er sie mit den Lippen an sich; geht es auf die Neige, so bedient er sich, da ihm untersagt ist, mit den Händen zuzulangen, des Löffels mit Geschick. Während des Essens zeigt er sich aufmerksam auf alles, was vorgeht, und seine Augen sind ununterbrochen nach allen Seiten gerichtet. Wie andere junge Thiere seiner Art hat er zuweilen natürlich zu erklärende Gelüste, ißt z.B. eine größere Menge Salz, ein Stück Kreide, eine Hand voll Erde; niemals aber habe ich an ihm die abscheuliche Unart, den eigenen Koth zu verschlingen, bemerkt, wie solches an Affen, einschließlich seiner Art- und Sippschaftsgenossen, und ebenso zuweilen an Menschenkindern beobachtet worden ist. Der innige Umgang mit ernst und verständig erziehenden Menschen hat seine Sitten auch in dieser Hinsicht veredelt und vielleicht vorhanden gewesene häßliche Gelüste im Keime erstickt.

Nachdem er gespeist, will er sich in seiner Häuslichkeit noch ein wenig vergnügen, jedenfalls noch nicht zu Bette gehen. Er holt sich ein Stück Holz vom Ofen oder zieht die Hausschuhe seines Pflegers über die Hände und ruscht so im Zimmer umher, nimmt ein Hand- oder Taschentuch, hängt sich dasselbe um oder wischt und scheuert das Zimmer damit. Scheuern, Putzen, Wischen sind Lieblingsbeschäftigungen von ihm, und wenn er einmal ein Tuch gepackt hat, läßt er nur ungern es sich wieder nehmen. Anfangs sehr unreinlich, hat er sich bald daran gewöhnt, seinen Käfig, das Zimmer und das Bett nicht mehr zu beschmutzen; und wenn er einmal das Mißgeschick hat, in Schmutz zu treten, zeigt er sich sehr verdrießlich, geberdet sich genau wie ein Mensch in gleichem Falle, betrachtet mit entschiedenem Ekel den Fuß, hält ihn so weit als möglich von sich, schüttelt ihn ab und nimmt dann eine Hand voll Heu, um sich damit zu reinigen. Ja, es ist bemerkt worden, daß er letzteres, nachdem es Dienste gethan, zur Thüre seines Käfigs hinauswarf.

Sobald das Licht ausgelöscht wird, legt er sich zu Bette, weil er sich im Dunkeln fürchtet. Er schläft ruhig die Nacht hindurch, streckt und reckt sich aber mitunter, namentlich wenn es ihm zu kalt oder zu warm wird. In schwülen Sommernächten ruht er langgestreckt auf dem Rücken, beide Hände gleichseitig unter den Kopf gesteckt; im Winter hingegen liegt er mehr zusammengekauert. Mit Tageshelle ermuntert er sich und ist von nun an wieder so rege als Tags vorher.

Mit anderen Thieren pflegt er wenig Umgang. Größere fürchtet, kleine mißachtet er. Ein Kaninchen, welches ihm zum Spielen beigegeben wurde, mißhandelte er ebenso wie das erwähnte Weibchen das zu ihm gesetzte Männchen der eigenen Art. Vögel lassen ihn gleichgültig, falls sie nicht in besonders naher Beziehung zu seinem Gebieter stehen, und dadurch seine Theilnahme erregen. In seinem Zimmer befindet sich ein Graupapagei, mit welchem er sich stets zu schaffen macht. So furchtsam er selbst ist, so kann er es doch nicht unterlassen, diesen zu ängstigen. Leise schleicht er an den Bauer heran, hebt plötzlich eine Hand hoch und thut, als ob er seinen Gefährten erschrecken wolle. Dieser aber ist viel zu sehr an ihn gewöhnt, als daß er sich fürchten sollte, und hat für den Schimpanse ergötzlicherweise nur ein verbietendes »Pst! Pst!«, welches er seinem Herrn abgelauscht, zur Antwort. Vor Schlangen und anderen Kriechthieren sowie vor Lurchen hat er eine lächerliche Furcht und geberdet sich ihnen gegenüber fast in derselben Weise wie nervenschwache Frauenzimmer oder verbildete Männer. Schon ihr Anblick verursacht ihm Entsetzen. Zeige ich ihm Krokodile, so ruft er halb ängstlich, halb ärgerlich »Oh! Oh!« und sucht sich schleunigst zu entfernen; lasse ich ihn Schlangen durch eine Glasscheibe betrachten, so stößt er denselben Ruf aus, versucht aber nur ausnahmsweise sich zu entfernen, weil er die Bedeutung des trennenden Glases genau kennt; nehme ich aber eine Schildkröte, Eidechse oder Schlange in die Hand, so eilt er im schnellsten Laufe davon, um sich zu sichern. Alles schlangenähnliche Gethier ist ihm unheimlich.

Heute, während ich diese Zeilen überlese, weilt das vortreffliche Thier nicht mehr unter den Lebenden. Eine Lungenentzündung, welche auf eine Halsdrüsengeschwulst folgte, hat seinem Dasein ein Ende gemacht. Ich habe mehrere Schimpansen krank und einige von ihnen sterben sehen: keiner von allen hat sich in seinen letzten Lebenstagen so menschlich benommen wie dieser eine. Das mehrfach erwähnte Männchen kam ebenfalls krank in Europa an, war, wie ein leidendes Kind in gleicher Lage, eigensinnig, klammerte sich ängstlich an dem ihm zuertheilten Wärter fest oder ruhte bewegungslos auf seinem Lager, den schmerzenden Kopf mit einer oder beiden Händen haltend, verweigerte Arzneien zu nehmen, zeigte sich auch sonst oft unfolgsam und unartig: vorstehend beschriebener Schimpanse, der gesittetste, welchen ich jemals kennen gelernt habe, verleugnete auch während seiner Krankheit die ihm gewordene Erziehung nicht. Er genoß die sorgsamste Pflege mehrerer Aerzte, welche dem Verlaufe der Krankheit mit um so größerer Theilnahme folgten, jemehr sie den Leidenden schätzen lernten, und ich kann deshalb wohl nichts besseres thun, als einen dieser Aerzte, Dr. Martini, anstatt meiner reden zu lassen.

»In meiner Eigenschaft als Arzt machte ich die Bekanntschaft des Schimpanse Ende December bei trübem Winterwetter. Ich zögerte nicht, der auch an mich ergangenen Bitte, dieses Thier zu behandeln, Folge zu leisten; denn die vergleichende Anatomie sprach in vorliegendem Falle dem Menschenarzte größeres Recht als dem Thierarzte für die Behandlung zu. Ich hatte den Schimpanse vordem oft beobachtet und die Ausgelassenheit seines Wesens, das lebhafte Mienenspiel, die rastlose Beweglichkeit und die unbegrenzte Liebe zu seinem Pfleger angestaunt. Um so mehr überraschte mich der Eindruck, welchen der kranke Affe auf mich machte. Bis auf den Kopf in sein Deckbett gehüllt, lag er ruhig und theilnahmlos gegen alles, was um ihn her vorging, auf seinem Lager, den Ausdruck schweren Leidens im Antlitze, von Hustenanfällen geplagt, in oberflächlicher, aber beschleunigter Athmung nach Luft haschend, nur zeitweise unter Schmerzensseufzern die Augen aufwärts schlagend. Wie ein Kind scheute er vor mir, dem ihm unbekannten Manne zurück und machte an diesem Tage eine genauere Untersuchung unmöglich. Letztere gelang erst, nachdem ich während der folgenden Besuche durch Beileidsbezeigungen und freundliches Nähertreten sein Vertrauen mir erworben hatte. Außer bedeutende Schwellung der Lymphdrüsen zu beiden Seiten des Halses ließen sich Veränderungen des Gewebes in beiden Lungenspitzen und eine neuerdings hinzugetretene Entzündung des linken unteren Lungenlappens feststellen. Hierzu kam noch eine eiternde Geschwulst vor und unterhalb des Kehlkopfes, welche nachweislich mit der Drüsenerkrankung im Zusammenhange stand und bereits Kehlkopf und Luftröhre zusammenpreßte, früher oder später also entweder zur Erstickung führen oder zum Durchbruche nach außen oder innen kommen oder, was wahrscheinlicher, ihren Inhalt in den Mittelfellraum senken und dadurch weitere Gefahren hervorrufen mußte. Das beklagenswerthe Geschöpf schien sich dieser Geschwulst als Athmungshindernisses bewußt zu sein; wie bräunekranke Kinder in ihrem Lufthunger nach dem Sitze des Leidens fassen, so führte der Schimpanse meine untersuchende Hand, als erwarte er in dunkler Ahnung von dieser Hülfe, immer und immer wieder zur Halsgeschwulst zurück.

Schimpanse (Brehms Tierleben)

Nach vorgängiger Berathung mit einem Berufsgenossen wurde die Oeffnung des Senkungsgeschwüres durch einen Schnitt in der Höhe des Kehlkopfes als dringend nothwendig erkannt. Leicht gefunden war dieser Rath, schwierig die Art und Weise der Ausführung. Jede Bewegung des leidenden Thieres während der wundärztlichen Operation konnte dem Messer eine tödtliche oder doch schwer verletzende Richtung geben. Betäubung durch Chloroform war infolge der schweren Erkrankung der Lunge untersagt; Chloralhydrat in einer Gabe von drei Gramm versuchsweise an gewandt, bewirkte kaum einen Halbschlummer, nicht aber Bewußtlosigkeit. Nach dreistündigem erfolglosen Warten gingen wir endlich mit Gewalt ans Werk. Vier Männer sollten das Thier festhalten. Umsonst: mit Aufbietung all seiner Kräfte schleuderte der Schimpanse die Leute zur Seite und hörte nicht eher zu toben auf, bis wir die vermeintlichen Peiniger zur Thüre hinausgewiesen hatten. Was durch Zwangsmittel nicht zu erreichen gewesen war, sollte jetzt zu unserem Erstaunen freiwillig gewährt werden. Wieder beruhigt durch gütliches Zureden und Liebkosungen, gestattete der Leidende ohne Widerstreben eine nochmalige Untersuchung der Halsgeschwulst und leitete auch diesmal bittenden Blickes meine Hand. Dies mußte uns ermuthigen, die Operation ohne Hülfe betäubender Mittel und ohne jegliche Fessel zu wagen. Auf dem Schoße seines Pflegers sitzend, beugte der Affe den Kopf rückwärts und ließ sich willig in dieser Stellung festhalten. Die erforderlichen Schnitte waren rasch geführt; das Thier zuckte weder, noch gab es einen Laut des Schmerzes von sich. Eine Menge dünnflüssiger Eiter quoll hervor, und mit seiner Entleerung schwand die Geschwulst. Jetzt trat freiere Athmung ein, obwohl die bestehende Lungenentzündung immer noch eine Vermehrung der Athemzüge bedingte. Ein unverkennbarer Ausdruck der Freude und des Besserbefindens prägte sich in den Zügen des Kranken aus, und dankbar reichte er, unaufgefordert, uns beiden die Hand, beglückt umarmte er seinen Wärter.

Leider genügte die Beseitigung dieses einen Leidens nicht zur Rettung des Lebens. Die Halswunde heilte, aber die Lungenentzündung griff weiter um sich. So heldenmüthig und verständig das kranke Thier sich während der wundärztlichen Behandlung gezeigt, so willig und folgsam nahm er die ihm gereichten Arzneien, so sanft und geduldig erschien er in seinen letzten Stunden. Er starb, wie ein Mensch, nicht wie ein Thier stirbt.«

Dies sind Beobachtungen, welche ich verbürge, und welche niemand bemäkeln soll. Möge man sich auch den Anschein eines »tiefernsten Denkens« zu geben suchen, um zu beweisen, daß das Thier keinen Verstand besitze: ein solcher Schimpanse wirft alle Ergebnisse jenes tiefernsten Denkens einfach über den Haufen. Nicht aller Mensch, aber sehr viel Mensch ist an ihm! In einem vor kurzem im Dresdener Thiergarten gestorbenen Menschenaffen erkannte ich sofort eine vom Schimpanse und, nach genauerer Prüfung des Hand- und Fußbaues, auch vom Gorilla verschiedene Art, muß mich jedoch außer Stande erklären, dieselbe mit Bestimmtheit zu deuten, d.h. eine der vielen, ausnahmslos aber mangelhaften, unklaren und wirren Beschreibungen auf sie zu beziehen, welche über mehrere, als eigenartig angesehene und wissenschaftlich benannte afrikanische Menschenaffen veröffentlicht wurden.

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