Eine der stattlichsten und edelsten Gestalten der Hirsche, für uns die wichtigste aller Arten, ist der Edel- oder Rothhirsch (Cervus Elaphus). Ungeachtet seiner Schlankheit ist er doch kräftig und schön gebaut und seine Haltung eine so edle und stolze, daß er seinen Namen mit vollstem Rechte führt. Seine Leibeslänge beträgt etwa 2,3 Meter, die des Schwanzes 15 Centimeter, die Höhe am Widerrist 1,5 Meter und die am Kreuz einige Centimeter weniger. Das Thier ist bedeutend kleiner und gewöhnlich auch anders gefärbt. Hinsichtlich der Größe bleibt unser Edelhirsch nur hinter dem Wapiti und dem persischen Hirsche zurück, wogegen er die übrigen bekannten Arten seiner Sippe übertrifft. Er hat gestreckten, in den Weichen eingezogenen Leib mit breiter Brust und stark hervortretenden Schultern, geraden und flachen Rücken, welcher am Widerrist etwas erhaben und am Kreuze vorstehend gerundet ist, langen, schlanken, seitlich zusammengedrückten Hals, und langen, am Hinterhaupte hohen und breiten, nach vorn zu stark verschmälerten Kopf, mit flacher, zwischen den Augen ausgehöhlter Stirne und geradem Nasenrücken. Die Augen sind mittelgroß und lebhaft, ihre Sterne länglichrund. Die Thränengruben stehen schräg abwärts gegen den Mundwinkel zu, sind ziemlich groß und bilden eine schmale, längliche Einbuchtung, an deren inneren Wänden eine fettige, breiartige Masse abgesondert wird, welche das Thier später durch Reiben an den Bäumen auspreßt. Das Geweih des Hirsches sitzt auf einem kurzen Rosenstocke auf und ist einfach verästelt, vielsprossig und aufrechtstehend. Von der Wurzel an biegen sich die Stangen in einem ziemlich starken Bogen, der Stirne gleichgerichtet, nach rückwärts und auswärts, oben krümmen sie sich wieder in sanften Bogen nach einwärts und kehren dann ihre Spitzen etwas gegen einander. Unmittelbar über der Nase entspringt auf der Vorderseite der Stange der Augensproß, welcher sich nach vor-und aufwärts richtet; dicht über derselben tritt der kaum minder lange und dicke Eissproß hervor; in der Mitte der Stange wächst der Mittelsproß heraus und am äußern Ende bildet sich die Krone, welche ihre Zacken ebenfalls nach vorn ausdehnt, aber je nach dem Alter oder der Eigenthümlichkeit des Hirsches mannigfaltig abändert. Die Stange ist überall rund und mit zahlreichen, theils geraden, theils geschlängelten Längsfurchen durchzogen, zwischen denen sich in der Nähe der Wurzel längliche oder rundliche, unregelmäßige Knoten oder Perlen bilden. Die Spitzen der Enden sind glatt. Mittelhohe, schlanke aber doch kräftige Beine tragen den Rumpf und gerade, spitzige, schmale und schlanke Hufe umschließen die Zehen; die Afterklauen sind länglichrund, an der Spitze flach abgestutzt und gerade herabhängend, berühren aber den Boden nicht. Der Schwanz ist kegelförmig gebildet und nach der Spitze zu verschmälert. Ein feines Woll- und ein grobes Grannenhaar deckt den Leib und liegt ziemlich glatt und dicht an, nur am Vorderhalse verlängert es sich bedeutend. Meiner Ansicht nach besteht die Winterdecke nicht aus Grannen, sondern ausschließlich aus überwuchernden, eigenthümlich veränderten Wollhaaren, zwischen denen sich noch einige wenige wie gewöhnlich gebildete befinden. Die richtige Deutung der Haare des Winterkleides unserer Wildarten ist übrigens schwer und eine irrige Ansicht in dieser Beziehung leicht möglich. Die straffe, nicht überhängende Oberlippe des Edelhirsches trägt drei Reihen dünner, langer Borsten; ähnliche Haargebilde stehen auch über den Augen. Nach Jahreszeit, Geschlecht und Alter ändert die Färbung des Rothwildes. Im Winter sind die Grannen mehr graubraun, im Sommer mehr röthlichbraun; das Wollhaar ist aschgrau mit bräunlicher Spitze. Am Maule fällt das Haar ins Schwärzliche, um den After herum ins Gelbliche. Nur die Kälber zeigen in den ersten Monaten weiße Flecken auf der rothbraunen Grundfarbe. Mancherlei Farbenänderungen kommen vor, indem die Grundfärbung manchmal ins Schwarzbraune, manchmal ins Fahlgelbe übergeht. Hirsche, welche auf farbigem Grunde weiß gefleckt oder vollkommen weiß sind, gelten als seltene Erscheinung.
In der Weidmannssprache gebraucht man folgende Ausdrücke. Der männliche Hirsch heißt Hirsch, Edelhirsch oder Rothhirsch, der weibliche Thier, Roththier und Stück Wild, das Junge Kalb, mit Rücksicht des Geschlechtes aber Hirsch- oder Wildkalb. Das Hirschkalb wird, nachdem es das erste Jahr vollendet hat, Spießer genannt; im zweiten Jahre erhält es den Namen Gabelhirsch oder Gabler; im dritten Jahre heißt es Sechsender u.s.f., je nach der Anzahl der Enden oder Sprossen des Geweihes. Wenn dieses ganz regelmäßig gebildet erscheint, ist der Hirsch ein gerader Ender, wenn eine Stange nicht genau wie die andere ist, ein ungerader. Erst wenn der Hirsch zwölf Enden hat und 300 Pfund wiegt, wird er ein jagdbarer oder guter Hirsch genannt; mit zehn Enden ist er noch ein schlecht jagdbarer. Ein sehr alter und starker, guter Hirsch heißt Kapitalhirsch; er trägt ein gutes, braves, prächtiges Gewicht oder Geweih. Ein starker und großer Hirsch sieht gut, ein magerer, schlecht aus am Leibe; einen irgendwie unvollkommenen Hirsch nennt man Kümmerer. Der Hirsch hat kein Fleisch, sondern Wildpret, kein Blut, sondern Schweiß, kein Fett, sondern Feist; seine Beine heißen Läufe, die Schultern Blätter, die Schenkel Keulen, der Unterrücken Ziemer, die Dünnungen Flanken, die Luftröhre Drossel, der Kehlkopf Drosselknopf, der Schwanz Wedel, die Augen Lichter, die Ohren Gehör, die Hörner Geweih, das Fell Haut, die Gedärme Gescheide, die inneren Theile Lunge, Geräusch oder Gelünge, der After Weideloch, die Hufe Schalen, die Afterklauen Oberrücken oder Geäfter, das Euter Gesäuge. Eine Gesellschaft Edelwild wird ein Trupp oder ein Rudel genannt, und auch hierbei unterscheidet man einen Trupp Hirsche von einen Trupp Wild. Das Edelwild steht in einem Reviere, steckt in einem Theile desselben, wechselt auf einem bestimmten Wege hin und her, zieht auf Aesung oder zu Holze, tritt aus dem Holze auf die Felder oder Gehaue; es geht vertraut, wenn es im Schritt läuft, trollt oder trabt, ist flüchtig, wenn es rennt, fällt über Jagdzeuge oder ins Garn; es thut sich nieder, wenn es ruht, und löset sich, wenn es ein natürliches Bedürfnis befriedigt. Der Hirsch orgelt oder schreit, das Thier mahnt (beide klagen, wenn sie bei Verwundungen aufschreien); es verendet, wenn der Tod infolge von Verwundung entsteht, oder fällt und geht ein, wenn es einer Krankheit unterliegt; es brunstet oder brunftet; das Thier geht hochbeschlagen und setzt ein Kalb. Bei guter Aesung wird das Hochwild feist, bei magerer schlecht; der Hirsch setzt sein Geweih auf und vereckt es oder bildet es vollkommen aus; den Bast, welcher an ihm sitzt, fegter ab; die abfallenden Stücke sind das Gefege. Das Urtheil eines Weidmanns über den Hirsch heißt der Anspruch usw.
Noch gegenwärtig bewohnt das Edelwild fast ganz Europa, mit Ausnahme des höchsten Nordens, und einen großen Theil Asiens. In Europa reicht seine Nordgrenze etwa bis zum 65., in Asien bis zum 55. Grad nördlicher Breite; nach Süden hin bilden der Kaukasus und die Gebirge der Mandschurei die Grenzen. In allen bevölkerten Ländern hat es sehr abgenommen oder ist gänzlich ausgerottet worden, so in der Schweiz und einem großen Theile von Deutsch land. Am häufigsten ist es noch in Polen, Galizien, Böhmen, Mähren, Ungarn, Siebenbürgen, Kärnten, Steiermark und Tirol; viel häufiger aber als in allen diesen Ländern, findet es sich in Asien, namentlich im Kaukasus und in dem bewaldeten südlichen Sibirien. Es liebt mehr gebirgige als ebene Gegenden und vor allem große, zusammenhängende Waldstrecken, namentlich Laubhölzer. Hier schlägt es sich zu größeren oder kleineren Trupps zusammen, welche nach dem Alter und Geschlecht gesondert sind: alte Thiere, Kälber, Spießer, Gabler und Schmalthiere bleiben gewöhnlich vereinigt; die älteren Hirsche bilden kleine Trupps für sich, und die starken oder Kapitalhirsche leben einzeln bis zur Brunstzeit, wann sie sich mit den übrigen Trupps vereinigen. Die stärksten Rudel werden demgemäß von den Thieren und den jungen Hirschen, die schwachen von Hirschen mittlern Alters gebildet. Die Kälber bleiben bis zur nächsten Satzzeit bei der Mutter und gesellen sich sodann als Spießer oder Schmalthiere zu den aus älteren Hirschen und Schmalthieren gebildeten Trupps, wogegen die Altthiere, sobald die Kälber ihnen folgen können, neue Rudel bilden und erst im Spätsommer, jedoch nicht immer, mit jenen Rudeln wieder sich zusammenschlagen. An der Spitze des Rudels steht stets ein weibliches Thier, nach welchem alle übrigen sich richten. Dies geschieht selbst während der Brunstzeit, so lange der Hirsch die Thiere nicht treibt. Jener erscheint im Rudel stets zuletzt und zwar um so gewisser, je stärker er ist. »Sieht man«, sagt Blasius, »in der Brunstzeit mehrere starke Hirsche beim Rudel, so kann man immer mit Sicherheit auf einen noch stärkern rechnen, welcher oft fünfhundert Schritte hinterdrein trollt.« Im Winter ziehen sich die Trupps von den Bergen zur Tiefe zurück, im Sommer steigen sie bis zu den höchsten Spitzen der Mittelgebirge empor; im allgemeinen aber hält das Edelwild, so lang es ungestört leben kann, an seinem Stande treulich fest und nur in der Brunstzeit oder beim Aussetzen der neuen Geweihe und endlich bei Mangel an Aesung verändert es freiwillig seinen alten Wohnort. Der Schnee treibt es im Winter aus den höheren Gebirgen in die Vorberge herab, und das weiche Geweih nöthigt es, in sehr niederem Gebüsch oder im Holze, wo es an den Zweigen nicht anstreicht, sich aufzuhalten. Wird der Wald sehr unruhig, so thut es sich zuweilen in Getreidefeldern nieder. Den Tag über liegt es in seinem Bette verborgen, gegen Abend zieht es auf Aesung aus, im Sommer früher als im Winter. Nur in Gegenden, wo es sich völlig sicher weiß, äst es sich zuweilen auch bei Tage. Beim Ausgehen nach Aesung pflegt es in raschem Trabe sich zu bewegen oder zu trollen; der Rückzug am Morgen dagegen erfolgt langsam, weshalb ihn die Jäger den Kirchgang nennen. Auch wenn die Sonne bereits aufgegangen ist, verweilt es noch in den Vorhölzern; denn der Morgenthau, welcher auf den Blättern liegt, ist ihm unangenehm.
Alle Bewegungen des Edelwildes sind leicht, zierlich und anstandsvoll; namentlich der Hirsch zeichnet sich durch seine edle Haltung aus. Der gewöhnliche Gang fördert hinlänglich; im Trollen bewegt sich das Wild sehr schnell und im Laufe mit fast unglaublicher Geschwindigkeit. Beim Trollen streckt es den Hals weit nach vorn, im Galopp legt es ihn mehr nach rückwärts. Ungeheuere Sätze werden mit spielender Leichtigkeit ausgeführt, Hindernisse aller Art ohne Aufenthalt überwunden, im Nothfall breite Ströme, ja selbst – in Norwegen oft genug – Meeresarme ohne Besinnen überschwommen. Den Jäger fesselt jede Bewegung des Thieres, jedes Zeichen, welches er bei der Spur zurückläßt, oder welches überhaupt von seinem Vorhandensein Kunde gibt. Schon seit alten Zeiten sind alle Merkmale, welche den Hirsch bekunden, genau beobachtet worden. Der geübte Jäger lernt nach kurzer Prüfung mit unfehlbarer Sicherheit aus der Fährte, ob sie von einem Hirsche oder von einem Thiere herrührt, schätzt nach ihr sogar ziemlich richtig das Alter des Hirsches. Die Anzeichen werden gerechte genannt, wenn sie untrüglich sind, und der Jäger spricht nach ihnen den Hirsch an. Unsere Vorfahren kannten zweiundsiebzig solcher Zeichen; Dietrich aus dem Winckell aber glaubt, daß man diese auf siebenundzwanzig herabsetzen kann. Ich will nur einige von ihnen anführen. Der Schrank oder das Schränken besteht darin, daß, wenn der Hirsch feist ist, die Tritte des rechten und linken Laufes nicht gerade hinter, sondern neben einander kommen; an der Weite des Schrittes erkennt man die Schwere des Hirsches. Der Schritt kennzeichnet den Hirsch, weil die Eindrücke der Füße weiter von einander stehen als bei dem Thiere; schreitet er weiter als 75 Centim. aus, so kann er schon ein Geweih von zehn Enden tragen. Der Burgstall oder das Grimmen ist eine kleine, gewölbte Erhebung in der Mitte des Trittes, der Beitritt, welcher den feisten Hirsch anzeigt, der Eindruck des Hinterlaufes neben dem Tritte des Vorderlaufes. Der Kreuztritt entsteht, wenn der Hirsch soweit ausschreitet, daß der Tritt des Hinterlaufes in den zu stehen kommt, welchen der Vorderlauf zurückließ: das Thier geht niemals in dieser Weise. Das Ballenzeichen bildet sich, wenn die Ballen an allen vier Tritten ausgedrückt sind, das Blenden, wenn der Hirsch mit der Hinterschale fast genau in die Vorderfährte tritt. Die Stümpfe deuten auf die stumpfere Form der Schale des Hirsches, während die eines alten Thieres spitziger sind. Das Fädlein ist ein kleiner, schmaler, erhabener Längsstrich zwischen den beiden Schalen, das Insigel, ein von der Schale abgeworfener Ballen Erde, welchen der Hirsch bei feuchtem Wetter aufgenommen hat, der Abtritt ein Eindruck auf Rasen, welcher die Halme abgeschnitten hat (das Thier zerquetscht sie bloß), der Einschlag wird bezeichnet durch Pflanzenblätter und Halme, welche der Hirsch zwischen den Schalen aufnahm und auf harten Boden fallen ließ, der Schloßtritt durch den ersten Eindruck, welchen der Hirsch macht, wenn er sich aus dem Bette erhebt usw. Zu diesen gerechten Zeichen kommen nun noch die Himmelsspur, d.h. die Merkmale, welche der Hirsch beim Fegen an Bäumen zurückgelassen hat, und andere mehr. Für den Ungeübten dürfte es schwer sein, die Fährten des Hirsches und des alten Thieres, selbst wenn er sie soeben neben einander gesehen hat, ein paar Schritte davon wieder zu unterscheiden.
Unter den Sinnen des Edelwildes sind Gehör, Geruch und Gesicht vorzüglich ausgebildet. Es wird allgemein behauptet, daß das Wild in Entfernungen von vier- bis sechshundert Schritt einen Menschen wittern kann, und nach dem, was ich an dem wilden Renthier beobachten konnte, wage ich nicht mehr, an jener Behauptung zu zweifeln. Auch das Gehör ist außerordentlich scharf; ihm entgeht nicht das geringste Geräusch, welches im Walde laut wird. Manche Töne scheinen einen höchst angenehmen Eindruck auf das Rothwild zu machen: so hat man beobachtet, daß es sich durch die Klänge des Waldhorns, der Schalmei und der Flöte oft herbeilocken oder wenigstens zum Stillstehen bringen läßt.
Ueber Wesen und geistige Eigenschaften des Edelhirsches gehen die Ansichten ziemlich weit auseinander. Der Jäger ist geneigt, in seinem Lieblingswilde den Inbegriff aller Vollkommenheit zu erblicken, der minder eingenommene Beobachter, welcher den Hirsch mit anderen Thieren vergleicht, urtheilt minder günstig. Nach neuerem Dafürhalten ist dieser weder gescheiter noch liebenswürdiger als andere wildlebende Wiederkäuer. Er ist sehr ängstlich und scheu, nicht aber klug und verständig. Sein Gedächtnis scheint schwach, seine Fassungsgabe gering zu sein. Nach und nach sammelt auch er sich Erfahrungen und verwerthet sie nicht ungeschickt; von einem ernstern Nachdenken über seine Handlungen aber dürfte bei ihm kaum gesprochen werden können. Er handelt unvorsichtig, nicht überlegt, ist scheu, jedoch nicht klug. Wenn seine Leidenschaften erregt wurden, vergißt er häufig seine Sicherheit, auf welche er sonst stets zuerst Bedacht zu nehmen pflegt. Liebenswürdig ist er in keiner Weise. Selbstsüchtig denkt der männliche Hirsch ausschließlich an seinen eigenen Vortheil und ordnet diesem alles übrige unter. Das Thier behandelt er stets grob und roh, während der Brunstzeit am schlechtesten. Anhänglichkeit bekundet nur das Thier seinem Kälbchen gegenüber, der Hirsch kennt dieses Gefühl nicht. So lange er anderer Hilfe bedarf, ist er schmiegsam und für Freundlichkeit empfänglich, sobald er seiner Kraft sich bewußt geworden, erinnert er sich früher empfangener Wohlthaten nicht mehr. Andere Thiere fürchtet er, oder sie sind ihm gleichgültig, wenn nicht geradezu unangenehm; schwächere mißhandelt er. Sobald er sich beleidigt wähnt oder gereizt wird, verzerrt er rümpfend die Oberlippe, knirscht mit den Zähnen, verdreht ingrimmig die Lichter, beugt den Kopf nach unten und macht sich zum Stoßen bereit. Während der Brunstzeit ist er förmlich von Sinnen, vergißt alles, vernachlässigt selbst eine regelmäßige Aesung und scheint einzig und allein an das von ihm sonst sehr wenig beachtete Mutterwild und andere gleichstrebende Hirsche zu denken. Ein Brunsthirsch im freien Walde ist eine herrliche, ein Brunsthirsch im engen Gitter eine abscheuliche Erscheinung. Der beschränkte Raum drückt die großen Leidenschaften des Hirsches zum Zerrbilde herab und macht deshalb diesen selbst widerlich. Das Thier erscheint sanfter, hingebender, anhänglicher, kurz liebenswürdiger, ist aber im wesentlichen ebenso geartet wie der Hirsch. Im Freien tritt es, weil ihm die Waffen fehlen, noch furchtsamer auf als dieser, übernimmt deshalb auch regelmäßig die Leitung eines Rudels; wirklich verständig aber zeigt es sich ebensowenig wie jener. Die außerordentlich feinen Sinne, welche jede Gefahr gewöhnlich rechtzeitig zum Bewußtsein bringen, lassen Hirsch und Thier klüger erscheinen, als sie wahrscheinlich sind.
Unzweifelhaft zeigt sich das Edelwild deshalb so furchtsam, weil es erfahrungsmäßig den Menschen als seinen schlimmsten Feind kennt und dessen Furchtbarkeit würdigen gelernt hat. An Orten, wo es sich des Schutzes vollkommen bewußt ist, wird es sehr zutraulich. Im Prater bei Wien standen früher starke Trupps der stattlichen Geschöpfe, welche sich an das Heer der Lustwandelnden vollkommen gewöhnt hatten und, wie ich aus eigener Erfahrung versichern kann, ohne Scheu einen Mann bis auf dreißig Schritte an sich herankommen ließen. Einer dieser Hirsche war nach und nach so kühn geworden, daß er dreist zu den Wirtschaften kam, zwischen den Tischen umherging und die schönen Hände der Frauen beleckte, sie hierdurch bittend, ihm, wie es gewöhnlich geworden war, Zucker oder Kuchen zu verabreichen. Dieses prächtige Thier, welches niemandem etwas zu Leide that, der es gut mit ihm meinte, aber jedem Necklustigen oder Böswilligen sofort das kräftige Geweih zeigte, verendete auf eine klägliche Weise. Bei einer ungeschickten Bewegung verwickelte es sich mit den Sprossen seines Geweihes in eine durchlöcherte Stuhllehne, warf beim Aufrichtenden darauf Sitzenden unsanft zu Boden, erschrak hierüber, bohrte die Sprossen noch fester in den Stuhl ein, wurde durch diese unfreiwillige Bürde aufs äußerste entsetzt, und raste nun mit höchster Wuth in den Parkanlagen umher, machte alle übrigen Hirsche scheu und stürzte wie unsinnig auf die Vorübergehenden los, so daß man es endlich erschießen mußte. Bei den Futterplätzen wird das Edelwild oft überraschend zahm. »In Dessau«, sagt Dietrich aus dem Winckell, »stehen an jeder der beiden Fütterungen siebzig, achtzig und mehr Hirsche. Haben sie sich, um besondere Aesung zu suchen, davon entfernt, so kann sie der Jäger mit dem Pferde gemächlich näher treiben. Hat er dann Heu auf die Raufen gesteckt und Hafer oder Eicheln in kleinen Häufchen auf dem Erdboden herumgestreut, so kommen sie, dem wiederholten Rufe: ›Komm Hirsch!‹ zufolge, heran und sind so ruhig bei der Aesung, daß der ihnen bekannte Jäger unter ihnen umherreiten, auch zuweilen einige mit den Händen berühren kann. Dies Schauspiel, an welchem mehrere Zuschauer ganz in der Nähe theilnehmen dürfen, gewährt gewiß jedem Jagdliebhaber ein hohes Vergnügen.«
Anders verhält es sich, wenn der Hirsch in einen engen Raum gesperrt wird, oder wenn die Brunstzeit eingetreten ist. In beiden Fällen wird er oft durch die geringste Kleinigkeit gereizt und nimmt auch den Menschen an. Vor dem von ihn beabsichtigten Angriffe biegt er den Kopf herab, richtet die Spitzen der Augensprossen gerade auf seinen Feind und fährt mit so viel Schnelligkeit auf denselben los, daß schwer zu entkommen ist. Aeltere und neuere Jagdbücher wissen von vielen Hirschen zu erzählen, welche Menschen, oft ohne Veranlassung, angriffen und verwundeten oder umbrachten. »Anno 1637«, erzählt von Flemming in seinem »Teutschen Jäger«, »wurden auf dem Schlosse Hartenstein täglich ein junger Hirsch und eine arme Magd aus der Hofküche gespeiset. Im Herbste trifft der Hirsch das arme Mensch im Walde an und stößt es todt. Er wurde aber, ehe sie begraben worden, erschossen und vor die Hunde geworfen.« In Wildgärten, wo die Hirsche ihre angeborene Scheu vor dem Menschen nach und nach verlieren, werden sie viel gefährlicher als im freien Walde. Lenz sah einen Hirsch auf dem Kallenberge bei Koburg, welcher schon zwei Kinder getödtet hatte und selbst auf den Fütterer lebensgefährlich losstieß, wenn dieser ihm kein Futter mehr geben wollte. »Da der vierbeinige Wütherich«, so erzählt unser Gewährsmann, »gerade kein Geweih, und statt dessen nur weiche Kolben hatte, also an sich schon weniger gefährlich war, so bat ich den Wärter, Futter zu holen, dies in kleinen Gaben meiner linken Hand zu überliefern, die rechte aber mit einem guten Knüppel zu bewaffnen. Ich fütterte nun den Hirsch. So oft eine Gabe alle war, trat er zurück, um Anlauf zu nehmen, zuckte boshaft mit der Nase, sah mich schief und wüthend an, wich aber jedesmal, wenn ich die Waffe drohend schwang, und kam dann ganz getrost wieder, wenn die neue Futtergabe sich zeigte.« In Gotha stieß ein zahmer Hirsch seinen sonst sehr von ihm geliebten Wärter in einem Anfalle von Bosheit durchs Auge ins Gehirn, daß der Verletzte augenblicklich todt zur Erde sank; in Potsdam mordete ein ganz zahmer weißer Hirsch seinen Versorger, mit welchem er im besten Einverständnisse lebte, auf gräßliche Weise. Aehnliche Fälle ließen sich noch viele aufführen. In den Thiergärten fürchtet man die eingehegten Edelhirsche mehr als Tiger und Löwen; denn diesen sieht man auf den ersten Blick an, ob sie gute oder schlechte Laune haben, jene dagegen sind unberechenbar und während der Brunstzeit förmlich von Sinnen. Nur in der Jugend beweisen sie ihrem Wärter eine gewisse Anhänglichkeit; je älter sie werden, um so mehr zeigen sie sich geneigt, gerade ihre besten Bekannten zu mißhandeln. Wirklich vertrauen darf man ihnen nie, weil sie kein Vertrauen verdienen. Das Thier ist nicht im geringsten liebenswürdiger und ansprechender als der Hirsch, nur minder wehrhaft und gefährlich. Aber auch sein Zorn flammt wie Strohfeuer auf, und es gebraucht seine Schalen mit ebensoviel Kraft wie Geschick, sobald es sich darum handelt, seine Abneigung oder schlechte Laune kundzugeben. Gleichwohl lassen sich Hirsch und Thier bis zu einem gewissen Grade zähmen, auch zu mancherlei sogenannten Kunststückchen abrichten; jede Ziege aber leistet in dieser Beziehung mehr als sie. August II. von Polen fuhr im Jahre 1739 mit acht Hirschen; die Herzöge von Zweibrücken und Meiningen hatten Gespanne, welche aus weißen Hirschen bestanden. Heutzutage sieht man höchstens bei Bereitern und Seiltänzern noch eine derartige Verwendung der edeln Thiere. An Futter und Pflegestellen gefangene Edelhirsche wenig Ansprüche, halten sich deshalb auch im engen Gewahrsam sehr gut, pflanzen sich ohne Umstände fort und erzeugen mit ihren nächsten Verwandten fruchtbare Blendlinge. Dies benutzend, hat man in neuerer Zeit mehrfach und nicht gänzlich ohne Erfolg Versuche gemacht, den Edelhirsch mit dem Wapiti zu kreuzen, um in geschützten Gegenden stärkeres Wild zu erzielen.
Je nach der Jahreszeit ist die Aesung des Edelwildes eine verschiedene. Im Winter besteht sie in grüner Saat und vielen Pflanzen, welche in der Nähe von Quellen hervorsprießen, in Knospen, Holzrinde, Heidekraut, Brombeerblättern, Misteln und dergleichen, im Frühlinge in Knospen und frischen Trieben mit oder ohne Laub, allerlei Grasarten und Kräutern, später aus Getreidekörnern, Rüben, Kraut, verschiedenen Früchten, Kartoffeln, Bücheln und Eicheln. Nach Blasius soll das Edelwild in Norddeutschland erst seit etwa funfzig Jahren den Kartoffeln nachgehen, auch Fichtenrinde früher nicht abgeschält haben, überhaupt seine Neigungen im Verlaufe verschiedener Geschlechter mehrfach geändert haben. Während der Brunstzeit nehmen die alten Hirsche nur das Nothdürftigste zu sich und fressen dann meist Pilze, und zwar auch solche, welche für den Menschen giftig sind. Salz liebt das Rothwild ebenso sehr wie die meisten übrigen Wiederkäuer.
Starke Hirsche werfen ihre Geweihe bereits im Februar, spätestens im März ab und ersetzen sie bis zu Ende Juli vollständig wieder; junge Hirsche, zumal Spießer, tragen die Stangen oft noch im Mai, haben jedoch ebenfalls im August bereits vereckt und gefegt.
Mit dem Geweihwechsel steht die Härung in gewisser Beziehung, mit beiden die Geschlechtsthätigkeit im Einklange. Nachdem das Geweih abgeworfen worden ist, bildet sich mit ihm das Sommerhaar aus, und sobald letzteres vollendet ist, setzt das Thier sein Kalb. Der Hirsch brunstet im vollen Sommerhaare und verliert die Grannen bald nach der Brunst, worauf die Entwickelung des Winterhaares vor sich geht.
»Die Brunstzeit des Edelwilds«, sagt Dietrich aus dem Winckell, »fängt mit Eintritt des Monats September an und dauert bis zur Mitte des Oktober. Schon gegen Ende des August, wenn die Hirsche am feistesten sind, erwachen in den stärksten die Triebe zur Brunst. Sie äußern dies durch ihr Schreien – einen Laut, welcher dem Jäger angenehm, dem musikalischen Ohr aber nichts weniger als schmeichelnd ist – infolge dessen ihnen gleich anfangs der Hals anschwillt. Denselben Ort, wo der Hirsch einmal gebrunstet hat, wählt er, solange das Holz nicht abgetrieben wird, und falls er Ruhe hat, in den folgenden Jahren immer wieder. Solche Stellen nennt man Brunstplätze. In der Nachbarschaft derselben zieht sich dann auch das Wild in kleine Trupps zu sechs, acht, zehn bis zwölf Stück zusammen, verbirgt sich aber, vielleicht aus Gefallsucht, vor dem Brunsthirsche. Dieser trollt unaufhörlich mit zu Boden gesenkter Nase umher, um zu wittern, wo es gezogen ist und steht. Findet er noch schwache Hirsche oder Spießer dabei, so vertreibt er sie und bringt sich in den Besitz der Alleinherrschaft, welche er von nun an mit der größten Strenge ausübt. Keine der erwählten Geliebten darf sich nur auf dreißig Schritte weit entfernen; er treibt sie sämmtlich auf den gewählten Brunstplatz. Hier, von soviel Reizen umgeben, vermehrt sich der Begattungstrieb stündlich; aber noch immer weigern sich wenigstens die jüngeren Spröden, die Schmalthiere, welche er unausgesetzt umherjagt, so daß der Platz ganz kahl getreten wird.
Abends und morgens ertönt der Wald vom Geschrei der Brunsthirsche, welche sich jetzt kaum den Genuß des nöthigen Geäses und nur zuweilen Abkühlung in einer benachbarten Suhle oder Quelle, wohin die Thiere sie begleiten müssen, gestatten. Andere, weniger glückliche Nebenbuhler beantworten neidisch das Geschrei. Mit dem Vorsatze, alles zu wagen, um durch Tapferkeit oder List sich an die Stelle jener zu setzen, nahen sie sich. Kaum erblickt der beim Wilde stehende Hirsch einen andern, so stellt er sich, glühend vor Eifersucht, ihm entgegen. Jetzt beginnt ein Kampf, welcher oft einem der Streitenden, nicht selten beiden, das Leben kostet. Wüthend gehen sie mit gesenktem Gehörn auf einander los, und suchen sich mit bewundernswürdiger Gewandtheit wechselweise anzugreifen oder zu vertheidigen. Weit erschallt im Walde das Zusammenschlagen der Geweihe, und wehe dem Theile, welcher aus Altersschwäche oder sonst zufällig eine Blöße gibt! Sicher benutzt diese der Gegner, um ihm mit den scharfen Ecken der Augensprossen eine Wunde beizubringen. Man kennt Beispiele, daß die Geweihe beim Kampfe sich so fest in einander verschlungen hatten, daß der Tod beider Hirsche die Folge dieses Zufalls war, und auch dann vermochte keine menschliche Kraft, sie ohne Verletzung der Enden zu trennen. Oft bleibt der Streit stundenlang unentschieden. Nur bei völliger Ermattung zieht sich der Besiegte zurück; der Sieger aber findet seinen Lohn im unersättlichen, immer wechselnden Genuß von Gunstbezeugungen der Thiere, welche – wer kann es bestimmen, ob nicht mit getheilter Theilnahme – dem Kampfe zusahen. Während desselben gelingt es zuweilen ganz jungen Hirschen, sich auf kurze Zeit in den Besitz der Rechte zu stellen, um welche jene sich mit so großer Hartnäckigkeit streiten, indem sie sich an das Wild heranschleichen und das genießen, was ihnen sonst erst drei Wochen später, wenn die starken, ganz entkräftet, die Brunstplätze verlassen, zu Theil wird. Zum Beschlage selbst bedient der Hirsch sich nur eines sehr kurzen Zeitraums.
Das Thier gehört nicht zu den Geschöpfen, welche nicht gleiches mit gleichem vergelten, wenn der Gatte sich steten Wechsel erlaubt! Es sucht sich so oft als möglich für den Zwang schadlos zu halten, welchen ihm die eifersüchtigen Grillen desselben auflegen. Sonst schrieb man ihm soviel Enthaltsamkeit zu, daß man behauptete, es trenne sich unvermerkt vom Hirsche, sobald es sich hochbeschlagen fühle; neuere Beobachtungen haben das Gegentheil bewiesen.
Vierzig bis einundvierzig Wochen geht das Thier tragend. Es setzt, je nachdem es während der Brunst zeitig oder spät beschlagen wurde, zu Ende des Mai oder im Monat Juni ein Kalb, selten zwei. Wenn die Setzzeit herannaht, sucht es Einsamkeit und Ruhe im dichtesten Holze. Die Kälber sind in den ersten drei Tagen ihres Lebens so unbeholfen, daß sie sich nicht von der Stelle bewegen. Man kann sie sogar mit der Hand aufnehmen. Nur selten und auf kurze Zeit verläßt sie in dieser Zeit die Mutter, und selbst wenn sie verscheucht wird, entfernt sie sich bloß so weit als nöthig ist, um durch vorgegebene Flucht die wirkliche oder eingebildete Gefahr abzuwenden. Und diesen Zweck sucht sie, vorzüglich wenn ein Hund oder Raubthier sich naht, mit vieler Schlauheit zu erreichen. Trotz ihrer sonstigen Furchtsamkeit flieht sie nicht eher und nicht schneller, als sie muß, um zu entkommen, weil sie weis, daß dies das beste Mittel ist, die Aufmerksamkeit des Feindes vom Kalbe ab und auf sich zu ziehen, und jenen, indem er ihr mit Eifer folgt, irre zu führen. Kaum ist er gänzlich entfernt, so eilt sie an den Ort zurück, wo sie ihren Liebling verließ. Nachdem das Kalb nur eine Woche überlebt hat, würde die Mühe vergeblich sein, es ohne Netze fangen zu wollen. Ueberall folgt es nun der Mutter und drückt sich sogleich im hohen Grase, wenn diese sich meldet, d.h. einen Laut des Schreckens von sich gibt, oder mit dem Vorderlaufe schnell und stark auf den Boden stampft. Es besaugt das Thier bis zur nächsten Brunstzeit, und wird von diesem über die Wahl der ihm dienlichen Aesung von Jugend auf belehrt.«
Von nun an beginnt das wechselreiche Leben des Edelwildes. Das Wildkalb ist bereits im dritten Jahre erwachsen, das Hirschkalb braucht eine Reihe von Jahren, ehe es sich alle Rechte der Alleinherrschaft erworben hat. Im siebenten Monate seines Alters setzt es zum erstenmale auf, und von nun an wechselt es seinen Hauptschmuck in jedem Jahre. Ich halte es für sehr belehrend, einen kurzen Ueberblick der Veränderungen, welche das Hirschkalb durchmacht, hier zu geben, und will mich dabei auf Blasius stützen, welcher diesen Gegenstand im naturwissenschaftlichen Sinne behandelt hat. Es reicht beim Hirsche noch weniger aus als beim Rehbocke, die Anzahl der Enden jagdmäßig zu bestimmen, um die Reihe der allmählichen Entwickelung zu bezeichnen. Wenn auch in der Anzahl der Enden oft eine Unregelmäßigkeit des Fortschritts bemerkt wird und sogar die Hirsche nicht selten wieder zurücksetzen, findet doch eine strenge Gesetzmäßigkeit in der Reihenfolge der Entwickelung statt, und die Bestimmung einer solchen Entwickelungsreihe bringt die Anzahl der Enden nicht so oft in Widerspruch mit der Stärke des Geweihes der Hirsche als die jagdmäßige Zählung. Für eine naturgeschichtliche Betrachtung erscheint die Gestalt der Geweihe von viel größerer Wichtigkeit als die Anzahl der Enden. Bei der Zählung der Enden kommt ihre Stellung wieder vielmehr in Betracht als die Anzahl selber. Nur diejenigen Enden sind von Bedeutung, welche mit der Hauptstange in Berührung kommen, alle Verzweigungen, entfernt von der Hauptstange, können nur als zufällige, keine wesentlichen Veränderungen des Bildungsgesetzes bedingende Abweichungen angesehen werden. Die Hauptstange hat anfangs nur eine einzige, gleichmäßige und schwache Krümmung; dann erhält sie eine plötzliche, knieförmige Biegung an der Stelle, wo der Mittelsproß entsteht, nach rückwärts, während die Spitze immer nach innen gerichtet bleibt. Eine zweite knieförmige Biegung erhält sie in der Krone des Zwölfenders: sie biegt sich wieder rückwärts und macht am Fuße der Krone einen Winkel; eine dritte tritt beim Vierzehnender, eine vierte beim Zwanzigender immer höher hinauf in der Krone ein, während die Spitze oder Außenseite sich nach innen kehrt. Jede dieser Biegungen bleibt für alle folgenden Entwickelungsstufen als Grundlage. Ebenso auffallend ist die Veränderung des Augensprosses im Verlaufe der Entwickelung. Zuerst steht er ziemlich hoch, später tritt er der Rose immer näher. Anfangs macht er mit der Hauptstange einen spitzen Winkel, später vergrößert sich dieser immer mehr. Aehnliche Veränderungen gehen der Mittel sproß, der Eissproß und die Krone ein. Der Spießhirsch trägt schlanke und zertheilte Hauptstangen mit gleichmäßiger Krümmung nach außen, ohne alle knieförmige Biegung; die Spitzen sind wieder nach innen gerichtet. Der Gabelhirsch hat an einer entsprechenden Hauptstange schwache, aufwärtsstrebende, von der Rose sehr entfernte Augensprossen. Beim Sechsender hat die im ganzen noch ähnlich gebogene Hauptstange gegen die Mitte eine plötzliche, knieförmige Biegung; ihre beiden Hälften verlaufen in untergeordneten, nach hinten gekrümmten Bögen; an dem nach vorn gekehrten Knie steht der aufstrebende, schwache Mittelsproß; der Augensproß hat sich mehr gesenkt. Sowie an einer Stange, kann auch an beiden der Mittelsproß fehlen: dann hätte man der Form nach einen Sechsender, welcher jagdmäßig als Gabelhirsch zählen würde; fehlt auch der Augensproß, so hätte man einen Spießer, den man der Form nach als Sechsender ansprechen müßte. Beim Achtender tritt eine Endgabel zum Augen- und Mittelsproß, welche stärker und mehr senkrecht gestellt sind. Auch hier sind die Nebensprossen oft nur durch die Winkelbildung der Hauptstange angedeutet: man kann der Form nach Achtender haben, welche jagdmäßig nur als Sechsender angesprochen werden dürften. Beim Zehnender tritt zum erstenmal der Eissproß oder zweite Augensproß auf; er kann aber auch durch eine bloße scharfe Kante an der Hauptstange angedeutet sein: dann hat man Achtender, welche als Zehnender angesprochen werden müssen. Nun kann auch der äußere Gabelsproß verkümmern: dann hat man Sechsender, anstatt der Zehnender; ja es kann vorkommen, daß auch der Mittelsproß verkümmert und man hat Gabelhirsche, welche thierkundlich als Zehnender angesprochen werden müssen. Beim Zwölfender zeigt sich zum erstenmal die Krone. Die Hauptstange tritt rückwärts knieförmig heraus, mit der Spitze nach innen gekehrt. Hier liegen zuerst nicht mehr alle Enden in einer und derselben gleichmäßig gekrümmten Fläche; das Ende der Hauptstange macht durch die zweite knieförmige Biegung eine Ausnahme. Es tritt mit den beiden Enden der Gabel des Horns von der unzertheilten Oberhälfte der Hauptstange in einem und demselben Punkt hervor, und dies bedingt das Gepräge der Krone. Hier treten oft Verkümmerungen auf. Am häufigsten fehlen die Eissprossen: dadurch entstehen die sogenannten Kronzehnender, welche mit vollem Rechte thierkundlich als Zwölfender angesprochen werden; es fehlt auch der äußere Nebensproß der Gabel, der Gipfel des Geweihes ist dann wieder eine Gabel; allein die Enden liegen noch in einer und derselben gleichmäßig gekrümmten Fläche: auch solche Zehnender müssen als Zwölfender gelten. Die Verkümmerung kann so weit gehen, daß Hirsche jagdmäßig als Sechsender angesprochen werden, welche, thierkundlich betrachtet, Zwölfender sind; solche Geweihe sind aber selten. Am Vierzehnender bildet die nach hinten gerichtete Spitze des Zwölfenders wieder eine regelmäßige Gabel, d.h. es tritt nach außen ein Nebensproß an ihr hervor; hierdurch bildet sich eine zweite Gabel hinter der ersten, deren Theilung etwas höher als die der vordern Gabel stattfindet. Diese Doppelgabel kennzeichnet die Krone des Vierzehnenders; fehlt solchem Geweihe der Eissproß, so wird der Hirsch jagdmäßig als Zwölfender angesprochen u.s.f. In der Krone des Sechzehnenders biegt sich die Hauptstange hinter der Doppelgabel des Vierzehnenders aufs neue zurück, wendet aber die Spitze wieder nach innen; die fünffache Krone des Achtzehnenders entwickelt die Spitze der Hauptstange des Sechzehnenders und wieder einen Nebensproß nach außen: hierdurch entsteht eine dreifache Gabel über und hinter einander, von vorn nach hinten allmählich höher ansteigend; sie, mit der doppelten Biegung der Hauptstange, kennzeichnet den Achtzehnender. Beim Zwanzigender biegt sich hinter der dreifachen Kronengabel des Achtzehnenders die Hauptstange aufs neue knieförmig nach rückwärts, die Krone zählt also sieben Enden und drei knieförmige Biegungen. Die Krone des Zweiundzwanzigenders würde vier Kronengabeln hinter einander und eine dreifache knieförmige Biegung in der Hauptstange einer Krone haben usw. In diesen Zügen liegt die regelrechte Entwickelungsreihe angedeutet, und der Zusammenhang der Gestalt und Anzahl ist unverkennbar; die Form der Geweihe erscheint als Hauptsache, als das bedingende, die Anzahl der Enden schließt sich der Form als das unwesentliche, bedingte, an. Alle Abweichungen sind für den Thierkundigen nebensächlich, auch solche, wo die Nebensprossen sich ungewöhnlich zertheilen; denn solche Zertheilung kann jede Verzweigung der Hauptstange treffen und ins unbegrenzte fortgehen. Sie zeigen sich nicht selten in den Enden der Kronen von sehr alten Hirschen und kommen auch häufig an dem Mittelsproß vor. So kommt es, daß in den Augen des Naturforschers die hohe Endenzahl vieler berühmten Geweihe, z.B. des Sechsundsechzigenders auf der Moritzburg, welcher vom Kurfürsten Friedrich III. 1696 bei Fürstenwalde geschossen wurde, sehr gewaltig zusammenbricht. Mehr als zwanzig regelrechte Enden sind wohl sehr selten vorgekommen; Achtzehnender sieht man schon in jeder mäßig großen Sammlung, und unter den lebenden Hirschen kommen Sechzehnender noch immer nicht selten vor. Bei reichlicher Aesung geschieht es, daß die Hirsche bei neuen Aufsätzen Geweihe von sechs und zehn Enden überspringen; noch häufiger aber kommt das Wiederholen der Endenanzahl und ebenso oft das Zurücksetzen auf eine geringere Endenanzahl vor. In dieser Beziehung bildet der Zehnender eine auffallende Grenze. Ein Hirsch, welcher einmal eine Krone getragen hat, setzt nie weiter als auf einen regelmäßigen Zehnender zurück.
In gewisser Hinsicht auffallend ist es, daß jeder gesunde Hirsch sein Geweih in eben der Form und Stellung wieder aufsetzt, wie er es im vorigen Jahre hatte. Wenn es weit oder eng, vorwärts oder rückwärts stand, bekommt es auch in der Folge wieder eben dieselbe Gestalt, und wenn der Augen- oder Eissproß oder andere Enden eine besondere Biegung machen, erscheint diese in gleicher Weise beim nächsten Aufsetzen. Einige Jäger, welche Gelegenheit zu vielen Beobachtungen hatten, behaupten sogar, daß gewisse Eigenthümlichkeiten der Geweihe sich der Nachkommenschaft durch viele Geschlechter hindurch vererben. Sie versichern, daß sie gewisse Familien sofort am Geweih zu erkennen vermöchten. Daß auch die Oertlichkeit auf Bildung des Geweihes Einfluß hat, dürfte kaum zu bezweifeln sein. Die Hirsche der Donauinseln z.B. tragen, so schwach von Wildpret sie auch sind, auffallend vielendige Geweihe: Vierundzwanzigender unter ihnen gehören nicht zu besonderen Seltenheiten, obschon die Geweihe nicht so schwer als bei Berghirschen sind.
Das Gewicht, welches das Geweih erreichen kann, ist sehr verschieden; bei schwachen Hirschen wiegt es 9 bis 10, bei sehr starken 16 bis 18 Kilogramm.
Die Feinde des Edelwildes sind der Wolf, der Luchs und der Vielfraß, seltener der Bär. Wolf und Luchs dürften wohl die schlimmsten genannt werden. Der erstere verfolgt bei tiefem Schnee das Wild in Meuten und hetzt und mattet es ab; der letztere springt ihm von oben herab auf den Hals, wenn es, nichts ahnend, vorüberzieht. Der schlimmste Feind aber ist und bleibt unter allen Umständen der Mensch, obgleich er das Edelwild gegenwärtig nicht mehr in der greulichen Weise verfolgt und tödtet als früher. Ich glaube hier von der Jagd absehen zu dürfen, weil eine genaue Beschreibung derselben uns zu weit führen dürfte und man darüber, wenn man sonst will, in anderen Büchern nachschlagen kann. Gegenwärtig ist dieses edle Vergnügen schon außerordentlich geschmälert worden, und die meisten der jetzt lebenden Jäger von Beruf haben keinen Hirsch geschossen: solches Wild bleibt für vornehmere Herren aufgespart. Es mag wohl eine recht lustige Zeit gewesen sein, in welcher die Grünröcke noch die liebe deutsche Büchse fast ausschließlich handhabten und in den glatten Schrotgewehren nur ein nothwendiges Uebel erblickten! Mit großartigem Schaugepränge zog man zu den Jagden hinaus, und fröhlich und heiter ging es zu, zumal dann, wenn einer oder der andere von den Sonntagsschützen oder noch nicht ganz weidgerechten Jägern sich irgend ein Versehen zu Schulden hatte kommen lassen.
Die Zeit ist vorüber, für immer. Es hat nur einmal eine deutsche Jägerei gegeben. Und wenn auch da, wo es gegenwärtig noch Hirsche gibt, die reichen Grundbesitzer sich vielfach bemüht haben, solch ein frisch fröhliches, männliches Treiben bei sich einzuführen: sie haben nicht auch gleich die Heiterkeit und Gemüthlichkeit, den derben Witz unserer Altvorderen ihren Gehülfen anlernen können, und so ist all ihr Thun nur Stückwerk geblieben. Daß die großartigen »Parforcejagden« und andere ähnliche Anstalten zur Erlegung des Edelwildes ursprünglich fremde Einrichtungen waren, erkennt jeder leicht an ihrem, dem deutschen Wesen so widersprechenden Gepräge. Unsere Vorfahren gebrauchten nur die Büchse zur Erlegung des Hirsches.
Auch das Edelwild wird von einigen Bremsenarten arg geplagt. Diese widerlichen Kerfe legen ihre Zuchten, ganz in der Weise wie bei dem Ren, auf dem Wilde an, und die Schmeißbrut durchlöchert den armen Geschöpfen fast das ganze Fell. Auch eine Laus, welche sich in den Haaren einnistet, Fliegen und Mücken quälen das Wild in hohem Grade. Um diesen, ihm äußerst verhaßten Geschöpfen zu entgehen, fuhlt es sich oft stundenlang im Wasser. Außer dem ist das Wild manchen Krankheiten unterworfen. Der Milzbrand tritt oft seuchenartig auf, die Leberfäule, die Ruhr, der Zahnkrebs und die Auszehrung richten zuweilen große Verheerungen an, und in schlechten Jahren gehen auch viele Hirsche aus noch unerklärten Ursachen ein.
Leider ist der Schaden, welchen das Rothwild anrichtet, viel größer als der Nutzen, den es bringt. Nur aus diesem Grunde ist es in den meisten Gegenden unseres Vaterlandes ausgerottet worden. Obschon Wildpret, Decke und Geweih hoch bezahlt werden, und man die Jagdfreude sehr hoch anschlagen darf: der vom Wild verursachte Schaden wird hierdurch nicht aufgehoben. Ein starker Hochwildstand verträgt sich mit unseren forstwirtschaftlichen Grundsätzen durchaus nicht mehr.
In früheren Zeiten beschäftigte sich der Aberglaube lebhaft mit allen Theilen des Hirsches; heutzutage scheinen bloß die Chinesen, welche die noch weichen Hirschgeweihe als Arzneimittel verwenden und mit außerordentlich hohen Preisen bezahlen, an ähnlichen Anschauungen festzuhalten. Bei uns zu Lande wurden vormals die sogenannten Haarbeine, die Thränendrüsen, die Eingeweide, das Blut, die Geschlechtstheile, die im Magen nicht selten vorkommenden Bezoare, ja selbst die Losung als viel versprechendes Heilmittel in hohen Ehren gehalten. Aus Hirschklauen verfertigte man sich Ringe als Schutzmittel gegen den Krampf; Hirschzähne wurden in Gold und Silber gefaßt und von den Jägern als Amulete getragen. Von dem Leben des Thieres erzählt man sich allerlei Fabeln, und selbst die Jäger hielten lange daran fest, bis erst die genauere Beobachtung den Hirsch uns kennen lehrte.
Das Edelwild hat wenige, ihm wirklich nahestehende Verwandte. In Nordwestafrika lebt ein Hirsch, welchen man unter dem Namen Cervus barbarus getrennt, aber keineswegs allseitig als besondere Art anerkannt hat, sondern eher als Abart betrachten will, weil er dem Edelhirsche in jeder Hinsicht am ähnlichsten ist. Sodann kennt man einen stattlichen Hirsch aus Persien, welcher mit dem unserigen viel übereinstimmendes zeigt, durch bedeutendere Größe und viel stärkere Nackenmähne aber sich hinlänglich unterscheidet (Cervus Wallichii), und endlich ist der größte aller eigentlichen Hirsche, der Wapiti Nordamerikas (Cervus canadensis), hierher zu rechnen. Alle übrigen Hirsche stimmen wenig mit dem unserigen überein, welcher auch ihnen gegenüber immerhin den Namen Edelhirsch verdient. Doch gibt es einzelne Arten, welche sich durch Schönheit des Baues wesentlich auszeichnen.