Der Jägerliest in Brehms Tierleben

Jägerliest (Brehms Tierleben)

Unter den Mitgliedern dieser Sippe, welche ausschließlich dem Festlande Neuhollands angehört, ist der Jägerliest oder Riesenfischer (Paralcyon gigas, Alcedo gigas, gigantea, fusca und undulata, Dacelo gigas und undulatus) das bekannteste; denn dieser Vogel stellt sich nicht bloß jedem Europäer, welcher Australien betritt, persönlich vor, sondern ist auch und namentlich in der neueren Zeit so oft nach Europa gekommen, daß er gegenwärtig keiner größeren Thiersammlung fehlt. Kopf, Hals und alle Untertheile sind weiß, schmutzig rostfahl verwaschen, Stirne und Vorderkopf schmal dunkelbraun, die Schenkelseiten sehr undeutlich und verwaschen quer gebändert, Zügel und ein breiter Streifen über die Ohrgegend, ein breiter Mittelfleck auf Scheitel und Hinterkopf, Mantel, Schultern und Flügeldecken braun, letztere, wenigstens die mittelsten von ihnen, am Ende zart beryllblau gesäumt, der Bürzel, die Oberbürzelgegend auf schmutzigweißem Grunde mit verloschenen dunklen Querlinien, die rothbraunen oberen Schwanzdecken und Schwanzfedern mit breiten schwarzen Querbinden, die röthlichen Steuerfedern mit breiten weißen Endsäumen geziert. Die Iris ist tiefbraun, der Oberschnabel schwarz, der untere blaßgelb, der Fuß dunkelbraun. Beim Weibchen sind die Farben minder lebhaft und weniger hervorstechend, auch das Braun der Scheitelmitte und der Zügel blässer. Die Länge beträgt fünfundvierzig bis siebenundvierzig, die Breite fünfundsechzig, die Fittiglänge einundzwanzig, die Schwanzlänge sechzehn Centimeter.

Der Jägerliest ist schon den ersten Reisenden und Forschern, welche Australien berührten, aufgefallen, aber erst durch neuere Forschungen und namentlich durch Goulds Beobachtungen bekannt geworden. »Er ist ein Vogel«, sagt Gould, »welchen jeder Bewohner oder Reisende in Neusüdwales kennen lernen muß, da nicht bloß seine Größe auffällt, sondern auch seine außergewöhnliche Stimme die Aufmerksamkeit ihm zulenkt. Dazu kommt, daß er den Menschen durchaus nicht scheut, im Gegentheile, wenn etwas seine Neugierde reizt, herbeikommt, um es zu untersuchen. So erscheint er oft auf dem dürren Zweige des nächsten Baumes, unter welchem sich Reisende gelagert, und beobachtet mit der regsten Aufmerksamkeit das Anzünden des Feuers oder die Bereitung des Mahles. Gleichwohl entdeckt man seine Anwesenheit selten früher, als bis er sein gurgelndes Gelächter aufschlägt, welches jederzeit bei den Hörern den Ausruf veranlaßt: ›Ah, sieh da, da ist ja unser alter Freund, der lachende Hans‹«. Die Töne, welche er ausstößt, sind so bemerkenswerth, daß jeder Schriftsteller über Südwales ihrer gedenkt. Caley sagt, daß man sein lautes Geschrei und Lachen in beträchtlicher Entfernung höre, und er wahrscheinlich davon seinen Spitznamen erhalten habe. Das Geschrei dieses Vogels, versichert Capitän Sturt, klingt wie ein Chor wilder Geister und muß den Reisenden erschrecken, welcher sich in Gefahr glaubt, während das Unglück bereits hohnlachend seiner spottet. Jenes sonderbar kolkende Gelächter, bestätigt Bennett, leise beginnend und zu einem hohen und lauten Tone sich verstärkend, wird oft in allen Theilen der Ansiedelung gehört. Man vernimmt es in der Dämmerung und gegen Sonnenuntergang, wenn die Sonne im Westen niedersinkt, gleichsam als eine gute Nacht für alle, welche es hören wollen. Ausführlicher spricht sich »ein alter Buschmann« in seinen »Waldgängen eines Naturforschers« aus. »Eine Stunde vor Tagesanbruch wird der Jäger aufgeweckt durch wilde Laute, welche klingen, als ob eine Heerschaar des bösen Geistes kreischend, schreiend und lachend ihn umtobe. Die Laute sind der Morgengesang des ›lachenden Hans‹, welcher seinen gefiederten Genossen den Anbruch des Tages verkündet. Zur Mittagszeit hört man dasselbe wilde Gelächter, und wenn die Sonne im Westen niedergeht, tönt es wiederum durch den Wald. Ich werde niemals die erste Nach vergessen, welche ich in Australien im offenen Busche verbrachte.

Nach unruhigem Schlafe erwachte ich mit Tagesanbruche; aber ich bedurfte Zeit, um mich zu besinnen, wo ich mich befand, so überwältigend war der Eindruck, welchen die ungewohnten Töne auf mich übten. Das höllische Gelächter des Jägerliests vereinigte sich mit dem kleineren flötenähnlichen Ton der ›Elster‹, dem heiseren Gackern der Großfußhühner, dem Kreischen tausender von Papageien und verschiedenen Stimmen anderer Vögel zu einem so wunderbaren Ganzen, wie ich es nie vernommen. Ich habe es seitdem hundertmal gehört, aber nie mit denselben Gefühlen wie damals. Der ›lachende Hans‹ ist des Buschmanns Uhr. Nichts weniger als scheu, im Gegentheile gesellschaftsliebend, wird er gewissermaßen zum Genossen des Zeltes und ist deshalb, noch mehr aber wegen seiner Feindschaft gegen die Schlangen, in den Augen der Buschleute ein geheiligter Vogel.«

Der Jägerliest findet sich, nach Gould, nicht in Vandiemensland oder in Westaustralien, sondern scheint allein dem Südosten Neuhollands, den Landstrichen zwischen dem Spensergolf und der Moretonbucht anzugehören. Er bindet sich keineswegs an eine bestimmte Oertlichkeit, sondern besucht eine jede: jene üppigen Büsche längs der Küste wie den dünn bestandenen Wald der Höhe. Aber nirgends ist er häufig zu nennen. Er findet sich überall, allerorten jedoch nur einzeln. Seine Nahrung ist gemischter Art, allein immer dem Thierreiche entlehnt. Kriech- und Kerbthiere sowie Krabben scheinen bevorzugt zu werden. Er stürzt sich mit Hast auf Eidechsen, und gar nicht selten sieht man ihn mit einer Schlange im Schnabel seinem Sitzplatze zufliegen. »Einmal«, sagt der »alte Buschmann«, »sah ich ein Paar lachende Hänse auf dem abgestorbenen Aste eines alten, grauen Baumes sitzen und von hier aus von Zeit zu Zeit nach dem Boden herabstoßen. Sie hatten, wie sich bei genauerer Untersuchung ergab, eine Teppichschlange getödtet und bewiesen durch ihr Geschwätz und Gelächter lebhafte Freude darüber. Ob sie übrigens Schlangen fressen, vermag ich nicht zu sagen; denn die einzigen Kriechthiere, welche ich je in ihrem Magen gefunden habe, waren kleine Eidechsen.« Uebrigens raubt er auch kleine Säugethiere: Gould schoß einst einen Vogel dieser Art, bloß um zu sehen, was er im Schnabel trüge, und fand, daß er eine seltene Beutelratte erjagt hatte. Daß er junge Vögel nicht verschont und namentlich den Nestern gefährlich werden mag, läßt sich erwarten. Wasser scheint nicht zu den Bedürfnissen des Jägerliests zu gehören. Den freilebenden Vogel findet man, wie bemerkt, selbst in den trockensten Waldungen, und auch die gefangenen zeigen weder des Trinkens noch des Badens halber besonderes Verlangen nach diesem Elemente.

Die Brutzeit fällt in die Monate August und September. Das Paar sucht sich dann eine passende Höhlung in einem großen Gummibaume aus und legt hier seine wundervollen perlweißen Eier auf den Mulm in der Tiefe dieser Höhle. Wenn die Jungen ausgeschlüpft sind, vertheidigen die Alten den Brutplatz muthig und furchtlos, und den, welcher die Brut rauben will, greifen sie sogar thätlich an und versetzen ihm nicht ungefährliche Bisse.

»Das erste, was mir bei meiner Landung in London in die Augen fiel«, schließt der »alte Buschmann«, »war ein ›lachender Hans‹, welcher eingepfercht in einem engen Käfige saß. Niemals habe ich ein erbärmlicheres, beklagenswertheres Wesen gesehen als meinen armen, alten Freund, welcher die Freiheit seiner luftigen Wälder mit dem dicken Nebel des neuzeitlichen Babels vertauschen mußte.« Der »alte Buschmann« mag Recht behalten mit seiner Klage; denn allerdings kommen die gefangenen Vögel aus Neuholland in sehr traurigem Zustande bei uns an: so schlimm aber, als er gedacht haben mag, ist ihr späteres Loos denn doch nicht. Dies beweisen die gefangenen selbst überzeugend genug. Sie gehören allerdings nicht zu den anspruchsvollen Thieren, begnügen sich vielmehr mit sehr einfacher Nahrung, mit grob geschnittenen Fleischstückchen, Mäusen und Fischen nämlich, und verschmerzen vielleicht schon deshalb den Verlust ihrer Freiheit. Gibt man ihnen einen geräumigen Käfig, so gewinnen sie bald ihre ganze Heiterkeit wieder und betragen sich genau ebenso wie in ihrem heimatlichen Lande. Gewöhnlich sitzen sie ruhig auf dem passendsten Platze, wenn sie paarweise gehalten werden, dicht neben einander. Der Hals wird dabei so eingezogen, daß der Kopf unmittelbar auf den Schultern liegt, das Gefieder lässig getragen. Zur Abwechselung sträubt einer oder der andere das Kopfgefieder so, daß der Kopf fast noch einmal so groß erscheint als sonst und einen sehr ernsthaften Ausdruck gewinnt; zuweilen wird auch mit dem Schwanze gewippt. Dieser Bewegungen ungeachtet erscheint der Riesenfischer träge, verdrossen und schläfrig: aber er erscheint auch nur so. Wer wissen will, weß Geistes Kind er vor sich hat, muß das unruhig sich bewegende, listig blitzende Auge beobachten: er wird dann wenigstens zu der Ueberzeugung gelangen, daß der Vogel seine Umgebung fortwährend beachtet und alles, was vorgeht, bemerkt.

Auch im Käfige zeigt der Riesenfischer dieselbe Zeitkunde wie im australischen Buschwalde: er schreit in der Regel wirklich nur zu den oben angegebenen Zeiten. Doch trägt er besonderen Ereignissen Rechnung, läßt sich z.B. herbei, eine ihm gebrachte und ihm verständliche Begrüßung durch Geschrei zu erwidern. Hat er sich einmal mit seinem Pfleger enger befreundet, so begrüßt er diesen, auch ohne dazu aufgefordert worden zu sein. Die zahmsten Riesenfischer, welche ich gesehen habe, lebten im Thiergarten zu Dresden. Sie beweisen, daß ihr Pfleger, mein werther Freund Schöpff, gründlich versteht, mit Thieren umzugehen. Das Erscheinen des Gebieters ist für die in Rede stehenden Riesenfischer ein Ereignis. Die träumerische Ruhe, in welcher sie sich gefielen, weicht augenblicklich der lebhaftesten Erregung. »Sobald ich mich sehen lasse«, erzählte mir Schöpff, »begrüßen mich die Vögel mit lautem Geschrei; gehe ich in den Käfig, so fliegen sie mir auf Schulter und Hand, und ich muß sie mit Gewalt entfernen, wenn ich sie los werden will; denn freiwillig haben sie mich noch nie verlassen. Schon wenn ich am Käfig auf und ab gehe, fliegen sie mir nach, auch wenn ich mich scheinbar nicht um sie kümmere.« Zum Beweise der Wahrheit seiner Erzählung führte mich Schöpff zu dem betreffenden Käfige, und ich hatte nun selbst Gelegenheit, die Zahmheit der Thiere zu bewundern. Die gedachten Riesenfischer leben mit Silber- und Nachtreihern, Purpurhühnern und Ibissen im besten Einvernehmen, scheinen sich aber wenig um ihre Genossen zu kümmern, sich vielmehr nur mit sich selbst zu beschäftigen. Mit Kleingeflügel aber würden sie sich schwerlich vertragen; denn ihre Mordlust ist sehr ausgeprägt. So friedlich die Gatten eines Paares dieser Vögel sind, so zänkisch zeigen sie sich, wenn ihre Raubsucht rege wird. Dann will jeder der erste sein. Eine lebende Maus wird wüthend angefallen, gepackt und rasch nach einander einige Male gegen den Ast geschlagen, eine bereits getödtete in derselben Weise behandelt. Dann fassen beide das Schlachtopfer und zerren es heftig hin und her, sträuben die Kopffedern und werfen sich bitterböse Blicke zu, bis endlich einer in den unbestreitbaren Besitz des Beutestückes gelangt, das heißt, es im Inneren seines Schlundes gegen fernere Nachstellungen des anderen sichert.

Wie sehr die Jägerlieste nach Thieren mit Haut, Federn, Schuppen oder Haaren verlangen, erkennt man, sobald man ihnen solche, wenn auch nur von fern zeigt. Anscheinend ohne Widerstreben begnügen sie sich mit den ihnen sonst gereichten Fleischbrocken und lassen äußerlich keinen Mangel erkennen; sobald sie aber eines der bezeichneten Thiere erblicken, verändert sich ihr ganzes Wesen. Das Kopfgefieder sträubt sich, die Augen leuchten heller, und der Schwanz wird mehrmals nacheinander kräftig gewippt; dann stürzt sich der Riesenliest eiligst auf die willkommene Beute und gibt, sobald er sie gepackt hat, durch lautes Schreien, in welches der Genosse regelmäßig einzustimmen pflegt, seiner Freude Ausdruck. Erheiternd in hohem Grade ist das Schauspiel, welches man sich bereiten kann, wenn man den Vögeln eine größere lebende Schlange bietet. Ohne Besinnen überfällt der Riesenfischer auch diese; mit derselben Gier wie die Maus packt er sie, und ebenso wie mit jener verfährt er, um sie zu tödten. Doch die Zählebigkeit des Opfers bereitet ihm Schwierigkeiten, und das jubelnde Gelächter wird jetzt gleichsam zum Schlachtgesange. Früher oder später überwältigt er sein Opfer aber dennoch und verzehrt es, wenn nicht im ganzen, so doch stückweise. Obgleich ich nicht im Stande bin, dafür den Beweis zu führen, zweifle ich doch nicht im geringsten, daß er mit kleineren giftigen Schlangen ebensowenig Umstände machen wird wie mitgiftlosen. Als beachtenswerth erwähne ich noch, daß der Vogel Fische in der Regel gänzlich verschmäht. Er ist ein Jäger des Waldes, nicht aber ein Fischer wie seine wasserkundigen Familienverwandten.

Erwähnenswerth ist, daß der Riesenfischer im Käfige auch zur Fortpflanzung schreitet. Gefangene des Berliner Thiergartens haben wiederholt Eier gelegt und dieselben sehr eifrig bebrütet, die Jungen jedoch nicht großgezogen.

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