Das Mufflon in Brehms Tierleben

Mufflon (Brehms Tierleben)

Nur zwei Breitengrade trennen das Mähnenschaf von dem Mufflon (Ovis Musimon, Capra, Aegoceros und Caprovis Musimon, Capra und Aegoceros Ammon), Vertreter der Untersippe der Bergwidder (Ovis), dem einzigen Wildschafe, welches Europa und zwar die Felsgebirge der Inseln Sardinien und Corsica bewohnt. Ziemlich allgemein nimmt man an, daß der Mufflon in früheren Zeiten noch in anderen Theilen Südeuropas vorgekommen sei, sich beispielsweise auch auf den Balearischen Inseln und in Griechenland gefunden habe, vermag diese Meinung jedoch in keiner Weise zu begründen. In Spanien, dessen südöstlicher Theil als Heimat des Mufflon angegeben wird, ist er nicht mehr zu finden, und wahrscheinlich auch niemals zu finden gewesen. Man hat einfach den Bergsteinbock mit ihm verwechselt.

Ich habe mich mit besonderer Sorgfalt nach dem Mufflon erkundigt und alle Sammlungen von Thieren oder Gehörnen genau geprüft, auch alle zünftigen Jäger und die gut beobachtenden Bergbewohner befragt, immer aber erfahren, daß außer dem Bergstein wilde keine andere Wildziegen- oder Wildschafart auf der Iberischen Halbinsel lebt. Zur Zeit findet sich der Mufflon auf Sardinien und Corsica noch immer in Rudeln von funfzig bis hundert Stück, und ist dort allen Gebirgsbewohnern unter dem Namen Muffione, Muffuro und Muffla oder Mufflon wohl bekannt. Die alten Römer unterschieden den korsischen Mufflon von dem sardinischen; Plinius nennt den einen Musmon, den anderen, wie die Griechen, Ophion, die mit dem Schafe erzeugten Blendlinge aber Umbri.

Aus alten Berichten erfahren wir, daß diese Wildschafe außerordentlich häufig waren. Bisweilen wurden auf einer einzigen großen Jagd vier- bis fünfhundert Stück erlegt; gegenwärtig ist man froh, wenn man einige Stücke bekommt; auf Jagden der Vornehmen, welche mit allen Mitteln ins Werk gesetzt werden, erbeutet man nur in höchst seltenen Fällen dreißig bis vierzig Stück. Schon zu Ende des vorigen Jahrhunderts, zu Zeiten des Abtes Cetti, welchem wir die erste ausführlichere, auch im nachstehenden wiedergegebene Lebensschilderung des Mufflon verdanken, gehörte es zu den glücklichsten Jagdereignissen, wenn man einmal hundert dieser Wildschafe erjagte. Wie der eben genannte, recht tüchtige Forscher ausführt, bewohnen dieselben nämlich keineswegs alle Gebirge Sardiniens, sondern bloß einzelne Bergzüge und hier auch nur die höchsten Spitzen, zuweilen solche Gipfel ersteigend, von denen man das ganze die Insel einfassende Meer erblicken kann. Eine Ansiedelung der Thiere befindet sich auf dem Gebirge Argentiera in Nurra, eine andere in den Landschaften Iglesias und Teulada; der eigentliche Stamm lebt in dem östlichen Theile, besonders zahlreich auf dem Lerrone, einem Gebirge in Patada, ferner in Budoso und Nuoro; der Mittelpunkt ihrer Wohnplätze aber scheint der Berg Pradu in Oliena zu sein, von wo aus sie sich über Fonni bis Sarabus verbreitet haben. Spätere von Lamarmora herrührende Angaben sind dürftig und mangelhaft. Im Gegensatze zu Cetti behauptet dieser Berichterstatter, daß der Mufflon um die Mitte der zwanziger Jahre auf Sardinien noch ebenso häufig gewesen sei als zu Plinius Zeiten, infolge der verbesserten Gewehre aber sich vermindert und durch den sehr strengen Winter von 1830 ungemein gelitten habe. Von seiner Lebensweise weiß der edle Graf nichts mitzutheilen, was nicht schon von Cetti besser und ausführlicher gesagt worden wäre. Auch Mimaut, welcher das Thier weitschweifig schildert, bereichert seine Naturgeschichte kaum wesentlich.

Der Mufflon gehört zu den kleinsten Wildschafen, obgleich seine Länge, einschließlich des höchstens 10 Centim. langen Schwanzes, immerhin 1,25 Meter, die Höhe am Widerriste 70 Centim. und das Gewicht zwischen 40 bis 50 Kilogramm beträgt. Die Hörner erreichen, der Krümmung nach gemessen, eine Länge von etwa 65 Centim. und ein Gewicht von 4 bis 6 Kilogramm. Der Leibesbau ist der gedrungene aller Wildschafe. Die ziemlich kurze Behaarung liegt glatt an, ist zumal im Winter, weil dann das kurze, feine und krause Wollhaar in reichlicher Menge auftritt, außerordentlich dicht, verlängert sich an der Brust und bildet gleichsam eine kurze Mähne. Die Rückenlinie ist dunkelbraun, die übrige Färbung ein fuchsiges Roth, welches am Kopfe ins Aschgraue spielt und an der Schnauze, am Kreuze, am Rande des Schwanzes, an den Fußenden und auf der Unterseite ins Weiße übergeht. Einzelne Haare sind fuchsroth, andere schwarz, die Wollhaare aschgrau. Im Winter dunkelt das Fell und geht mehr ins Kastanienbraune über, und es sticht dann zu beiden Seiten ein großer, fast viereckiger, blaßgelblicher oder weißlicher Flecken von der allgemeinen Färbung ab. Das Gehörn des Bockes ist stark und lang, an der Wurzel sehr dick, erst von der Mitte der Länge an allmählich verdünnt und zugespitzt, sein Querschnitt dreieckig, jede Seite in der Mitte mehr oder weniger deutlich eingebuchtet, und die eine gegen die entsprechende des anderen Hornes, die zweite nach außen, die dritte nach innen gerichtet. Beide Hörner stoßen an der Wurzel fast zusammen, wenden sich aber bald seitlich von einander und krümmen sich in einer beinahe sichelförmigen Windung schief nach ein-, aus- und abwärts, mit der Spitze aber nach ab-, vor- und einwärts. Das rechte Horn ist nach links, das linke nach rechts gewunden. Dreißig bis vierzig Runzeln, welche dicht an einander gedrängt und mehr oder weniger unregelmäßig sind, erheben sich auf der Oberfläche von der Wurzel an bis fast zur Spitze. Das merklich kleinere Weibchen unterscheidet sich durch seine mehr ins Fahle spielende Färbung sowie durch das Fehlen oder seltene Vorkommen des Gehörns vom Bocke; seine Hörner sind, wenn überhaupt vorhanden, immer sehr kurz, höchstens 5 bis 6 Centim. lang, stumpfen Pyramiden vergleichbar.

Im Gegensatze zum Mähnenschafe soll sich der Mufflon in Scharen von funfzig bis hundert Stück rudeln, deren Leitung ein alter und starker Bock übernimmt. Diese Rudel erwählen sich, laut Mimaut, die höchsten Berggipfel zu ihrem Aufenthalte und nehmen hier an schroffen und mehr oder weniger unzugänglichen Felsenwänden ihren Stand. Wie bei anderen gesellig lebenden Wiederkäuern halten stets einige Stück sorgfältig Umschau, stoßen bei Wahrnehmung eines verdächtigen Gegenstandes einen Schreckruf aus und benachrichtigen dadurch die Genossen, welche darauf hin mit jenen sofort flüchtig werden. Zur Brunstzeit trennen sich die Rudel in kleine, aus einem Bocke und mehreren Schafen bestehende Trupps, welche der leitende Widder erst durch tapfere Kämpfe sich erworben hat. So furchtsam und ängstlich der Mufflon sonst ist, so kühn zeigt er sich im Kampfe mit seines Gleichen. In den Monaten December und Januar hört man das Knallen der an einander gestoßenen Gehörne im Gebirge widerhallen, und wenn man vorsichtig dem Schalle folgt, sieht man die starken Widder des Rudels gesenkten Kopfes sich gegenüberstehen und mit solcher Gewalt gegen einander anrennen, daß man nicht begreift, wie die Streiter auf ihren Kampfplätzen sich erhalten können. Nicht selten geschieht es, daß einer der Nebenbuhler über die Felsenwände hinabgestoßen wird und in der Tiefe zerschellt.

Einundzwanzig Wochen nach der Begattung, im April oder Mai, bringt das Schaf ein oder zwei Junge zur Welt, welche der Mutter schon nach wenigen Tagen auf den halsbrechendsten Pfaden mit der größten Sicherheit folgen, und ihr bald in allen Kunstfertigkeiten gleichkommen. Im Alter von vier Monaten sprossen bei den jungen Böckchen die Hörner; nach Jahresfrist denken sie bereits an die Paarung, obwohl sie erst im dritten Jahre völlig ausgewachsen und mannbar sein dürften.

Die Bewegungen des Mufflon sind lebhaft, gewandt, schnell und sicher, aber nicht eben ausdauernd, am wenigsten auf ebenem Boden. Seine Meisterschaft beruht im Klettern. Cetti sagt, daß er sehr furchtsam ist und bei dem geringsten Geräusche vor Angst und Schrecken am ganzen Leibe zittert, auch sobald als möglich flüchtet. Wenn ihn seine Feinde so in die Enge treiben, daß er sich nicht mehr durch seine Kletterkünste retten kann, harnt er vor Angst, oder spritzt, wie andere glauben, den Harn seinen Feinden entgegen. Als solche darf man den Wolf und den Luchs ansehen; Junge fallen wohl auch den Adlern und möglicherweise dem Geieradler zur Beute.

Der Mensch gebraucht jedes Mittel, um das werthvolle Jagdthier zu erlangen. Während der Brunstzeit sollen die Böcke von den im Dickicht verborgenen Jägern durch das nachgeahmte Blöken der Schafe herbeigezogen werden können; die gewöhnliche Jagd ist jedoch die Birsche, obgleich sie nur in seltenen Fällen ein günstiges Ergebnis liefert. Die Sarden sind, wie alle Italiener überhaupt, schlechte Büchsenschützen und die Mufflons, gleich anderen Wildschafen, zählebige Thiere; es gilt daher unter allen Jägern als erwiesen, daß der Mufflon nicht verende, bevor er den letzten Blutstropfen verloren hat, und man verwundert sich nicht über die Seltenheit eines glücklichen Schusses. Das Wildpret der erlegten Stücke liefert ein auserlesenes Gericht, da es würzigen Wildgeschmack mit dem des Hammelfleisches vereinigt. Ende Mai beginnt die Feistzeit des Mufflons, welcher dann fast ebensoviel Fett angesetzt hat wie ein wohlgenährter, halbgemästeter Hammel. Als besonderer Leckerbissen gilt das gereinigte, strickartig zusammengedrehte und gebratene Gedärm, welches Corda genannt wird. Außer dem Wildpret verwendet man Fell und Gehörn; höher als alles zusammen aber werthet man Bezoare, welche man dann und wann in der ersten Abtheilung des Magens findet und als unfehlbar wirkendes, schweißtreibendes Mittel betrachtet.

Alte, erwachsene Mufflons fängt man wohl nie, junge nur, nachdem man ihre Mutter weggeschossen hat. Sie gewöhnen sich, laut Cetti, bald an ihren Pfleger, bewahren aber ungeachtet der großen Zahmheit, welche sie erlangen, immer die Munterkeit und das gewandte Wesen, welches die wilden so auszeichnet. Auf Sardinien und Corsica trifft man in den Dörfern häufig gezähmte Mufflons an; einzelne zeigen sich so anhänglich an den Menschen, daß sie ihm, gleich einem Hunde, auf allen Pfaden folgen, auf den Ruf hören etc. Nur durch ihren Muthwillen werden sie lästig. Sie durchstöbern alle Winkel im Hause, stürzen dabei Geräthe um, zerbrechen die Töpfe und treiben noch anderen Unfug, zumal in denjenigen Räumen des Hauses, über welche sie unumschränkte Herrschaft haben. Alte Böcke werden manchmal wirklich bösartig und lassen sich selbst durch Züchtigung nicht bändigen, verlieren überhaupt alle Scheu vor dem Menschen, sobald sie ihn kennen gelernt, und kämpfen dann nicht bloß zur Abwehr, sondern aus reinem Uebermuthe mit ihm.

Alle von mir beobachteten Gefangenen haben mir bewiesen, daß ihr Verstand sehr gering ist. Sie sind schwachgeistig, ohne Urtheilsfähigkeit und sehr vergeßlich. Ich legte ihnen Fallen und lockte sie durch vorgehaltenes Futter, zumal durch besondere Leckereien, in dieselben. Sie gingen ohne Besinnen immer wieder in die Schlingen und Netze, obgleich es ihnen höchst unangenehm zu sein schien, wenn sie sich gefangen hatten. Ein gewisser Ortssinn, schwache Erinnerung an empfangene Wohlthaten, Anhänglichkeit an die gewohnten Genossen und Liebe zu den Jungen: das sind die Anzeichen ihrer geistigen Thätigkeit, welche ich an ihnen beobachtet habe.

Schon die Alten wußten, daß Mufflon und Hausschaf sich fruchtbar vermischen, nicht aber, daß auch die Blendlinge, von ihnen Umber genannt, unter sich oder mit anderen Hausschafen wiederum fruchtbar sind. Beide Thiere scheinen, wie Cetti sich ausdrückt, zu fühlen, »daß sie eines Geblütes sind, und alles Unterschiedes ungeachtet, ihren gemeinschaftlichen Ursprung eines in dem anderen zu finden. Der Mufflon erkennt es gleichsam selbst, daß er ein Schaf, das Schaf, daß es ein Mufflon ist. Ihre Stimme ist ihre Losung. Bisweilen verläßt der Mufflon seinen gebirgigen Aufenthalt und kommt freiwillig zu den Schafen, um mit ihnen zu leben, mit ihnen sich zu paaren; bisweilen auch sucht ein mutterloses Lamm ein Mufflonschaf auf, verfolgt es blökend, um zu saugen und scheint es um gerechtes Erbarmen anzuflehen, als ob es nach dem Rechte der Blutsverwandtschaft ihm die Last der Erziehung auferlegen wolle«. Im Dorfe Atzara deckte ein Mufflon ein Schaf, welches einen Umber warf; dieser paarte sich ebenfalls mit einem Hausschafe und erzeugte einen anderweitigen Blendling. Später angestellte Versuche hatten dasselbe Ergebnis. In der kaiserlichen Menagerie zu Schönbrunn wurden, wie Fitzinger berichtet, mehrere Male Mufflons mit deutschen Landschafen gepaart. Die Bastarde aus dieser Kreuzung paarte man zuweilen wieder mit dem Mufflon, zuweilen mit dem Hausschafe, und immer mit Erfolg. Manche Blendlinge hatten große Aehnlichkeit mit dem Wildschafe, nur waren die Hörner weniger gebogen und minder stark. Einige Männchen erhielten vier Hörner wie jene Schafe, von denen Oppian berichtet, und welche wahrscheinlich auch nichts anderes waren als solche Bastarde. Dagegen sollen Versuche, Mufflon und Hausziege zu kreuzen, fruchtlos geblieben sein.

Ebenso leicht als in engerer Gefangenschaft hält sich der Mufflon in größeren Wildgärten. Schon seit den Zeiten Kaiser Karls des Sechsten, seit Anfang des vorigen Jahrhunderts also, leben im kaiserlichen Thiergarten unweit Wiens Mufflons im halbwilden Zustande, ohne andere Pflege zu genießen als die dort eingehegten Hirsche und Wildschweine. Sie haben sich, da man ihnen von Zeit zu Zeit frisches Blut zuführte, nicht allein erhalten, sondern auch alle Gewohnheiten und Sitten der Wildlinge bewahrt, sind ebenso scheu, ebenso flüchtig wie ihre Stammeltern auf Sardinien und Corsica, vermehren sich regelmäßig und gelten mit Recht als ebenso seltenes wie fesselndes Jagdwild. Ihr Bestand, welcher kaum funfzig Stück übersteigt, ließe sich wahrscheinlich leicht vermehren, wenn man sich entschließen wollte, einmal in größerer Menge frisches Wild zuzuführen. Jedenfalls ist der Beweis erbracht worden, daß der Mufflon bei uns sich einbürgern und auch unter wesentlich veränderten Umständen in gutem Stande erhalten läßt.

Dieser Beitrag wurde unter Uncategorized abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert