Klasse: | Vögel (Aves) |
Ordnung: | Eulen (Strigiformes) |
Familie: | Schleiereulen (Tytonidae) |
Unterfamilie: | Schleiereulen (Tytoninae) |
Gattung: | Schleiereulen (Tyto) |
Art: | Schleiereule (Tyto alba) |
Die Schleiereule erreicht je nach Geschlecht und Unterart eine Körperlänge von 32 bis 39 Zentimeter, eine Flügelspannweite von 90 bis 105 Zentimeter sowie ein Gewicht von gut 450 bis 560 Gramm. Weibchen sind im allgemeinen größer und schwerer als Männchen. Die 35 Unterarten unterscheiden sich insbesondere in der Größe und der Gefiederfärbung. Mit ihren Maßen gehört die Schleiereule zu den mittelgroßen Eulen-Arten. Das Gefieder ist überwiegend bräunlich gefärbt und weist insbesondere an den Flügeln und dem kurzen Schwanz deutlich eine dunkle Bänderung auf. Der Rücken ist dabei deutlich dunkler als die Flügel, zudem fehlt dem Rücken die Bänderung. Die Beine der Schleiereule sind ausgesprochen lang und spärlich bis zu den Füßen mit kleinen Federchen bedeckt. Der Kopf erscheint im Vergleich zum Körper sehr groß. Er ist rundlich geformt und ihm fehlen die für Eulen typischen Federohren. Oberkopf, Nacken und Rücken können mit feinen weißlichen Punkten bedeckt sein. Die Brust- und Bauchseite sind cremefarben bis fast weiß deutlich heller als das restliche Gefieder. Markant ist der Federkranz, der das Gesicht umgibt. Dieser Gesichtsschleier fängt bei der Jagd Töne wie ein Trichter auf und leitet sie zu den Ohren. Der Schnabel ist von leicht gelblicher Färbung, die Krallen sind hornfarben. Die Iris der Augen weist eine dunkelbraune bis schwärzliche Färbung auf.
Derzeit sind über 30 Unterarten der Schleiereule beschrieben, die sich im Aussehen und im Verhalten unterscheiden. Die Anzahl der Unterarten variiert je nach Autor, so geben Schneider und Eck (1995) 34 Unterarten, Mebs und Scherzinger unverbindlich über 30 an. Claus König und Friedlhelm Weick ordnen in ihrer 2008 erschienen Eulen-Monographie zahlreichen Unterarten einen Artstatus zu, so dass zur Art nur noch 10 Unterarten gehören. Sie erhoben vor allem die zahlreichen, auf einige wenige Inseln begrenzten Formen wie die Kap Verde- und Galapagos-Schleiereule in den Artstatus. Sie begründen dies mit neueren Erkenntnissen aus molekular-biologischer Sicht und verweisen darauf, dass für die gesamte Gattung der Schleiereulen eine Neuordnung absehbar ist.
Die Schleiereule besiedelt die gemäßigten, subtropischen und tropischen Zonen von Afrika, Europa, Südwest- und Südasien, Australien, Südamerika und Nordamerika. Sie zählt damit zu den am weitesten verbreiteten Vogelarten überhaupt. In Europa kommt die Schleiereule nordwärts bis Schottland und Dänemark, nach Osten bis in die Ukraine vor. In Europa und Nordamerika liegt die nördliche Verbreitungsgrenze in Gebieten mit einer Jahresdurchschnittstemperatur zwischen sechs und acht Grad Celsius.
Die Schleiereule besiedelt in ihrem riesigen Verbreitungsgebiet alle Habitate außer geschlossenen Regenwäldern, dem Inneren von Wüsten sowie montanen Bereichen. Halboffene Landschaften wie Savannen, Halbwüsten und Baumsteppen werden bevorzugt. Im Mitteleuropa besiedelt sie als Kulturfolger fast ausschließlich die offene Agrarlandschaft mit dörflichen Siedlungen. Als Brutplätze werden vor allem Scheunen und Kirchtürme, seltener auch Baumhöhlen genutzt. Die langen Flügel und der gleitende Flug sind Anpassungen an die Jagd in offenem Gelände. Während ihrer Ruhezeit am Tage sitzt sie an versteckten Plätzen in Scheunen, Ruinen, in Baumhöhlen oder Felsspalten. Schleiereulen sind ziemlich ortstreu und verharren auch in strengen Wintern mit hoher Schneedecke sehr lange in ihren angestammten Gebieten. Zusammen mit der vergleichsweise schlechten Nahrungsverwertung und der geringen Fettspeicherung führt diese wenig ausgeprägte Neigung zu Wetterfluchten im Mitteleuropa in strengen Wintern oft zu Bestandseinbrüchen, die bis zum Erlöschen regionaler Vorkommen führen können.
Die Schleiereule macht in der Dämmerung und nachts vor allem Jagd auf kleine Säugetiere. In 47 von 52 Untersuchungen aus dem gesamten Verbreitungsgebiet der Art bildeten kleine Nagetiere mindestens die Hälfte aller Beutetiere. Selbst in Zentralaustralien besteht die Beute der Schleiereule mittlerweile zu 97 % aus Hausmäusen, die von den dorthin ausgewanderten Europäern als Neozoen unfreiwillig eingebürgert wurden. Fledermäuse, Ratten und kleine Kaninchen, Vögel, Reptilien, Frösche und Insekten können lokal oder regional eine wichtige Rolle spielen. In Europa besteht die Beute vor allem aus Wühlmäusen, Echten Mäusen und Spitzmäusen.
Bei ungünstigen Wetterbedingungen sowie während der Jungenaufzucht dehnt sie ihre Jagdzeit auch auf den Tag aus. Die Ortung der Beute erfolgt optisch und akustisch. Der Gesichtsschleier verstärkt die Schallsammlung für das Gehör und schirmt andere Geräusche ab. Aufgrund dieser Fähigkeit nutzt sie praktisch alle nachtaktiven und Geräusche verursachenden Kleinsäuger in ihrem Revier als Nahrung.
Während der Jagd gleitet sie oft nur wenige Meter über dem Erdboden; ihr Flug ist dabei nahezu geräuschlos. Strömungsgeräusche während des Fliegens werden durch die kammartig gezähnte Außenfahne der vordersten Handschwinge und durch einen dichten, weichen Flaum auf der Oberseite aller Schwingen vermieden. Beobachtungen lassen darauf schließen, dass sie bei der Jagd regelmäßige Flugrouten einhält und dabei besonders an Hecken, Zäunen und Gräben entlangfliegt. Hier findet sie mehr Beute als über sonstigem Kulturland. Entdeckt sie während des Jagdflugs Beute, lässt sie sich aus dem Flug plötzlich herabfallen und ergreift mit den bekrallten Zehen die Beute. Der Wendezeh verhindert das Entkommen der Beute. Seltener sitzt sie auf Pfosten oder Baumstümpfen und lässt sich beim Auftauchen von Beute lautlos herabgleiten.
Den Tag verbringt die Schleiereule vor allem reglos sitzend und dösend an ihrem Ruheplatz, der häufig geschützt vor Störungen und versteckt ist. Neben der Störungsfreiheit muss dieser Tagesruheplatz auch Abdunkelung und Schutz vor der Witterung bieten. Er kann dabei abhängig vom Lebensraum in einer alten Scheune, einem hohlen Baum, an überdachten Böschungen oder in einer Felshöhle liegen. Die Eulen stehen dabei aufrecht auf Balken, dickeren Ästen oder Steinflächen, häufig mit einer Möglichkeit zum Anlehnen. Während der Balz- und Brutzeit liegt der Übertagungsort in der Nähe des Nistplatzes, wobei die beiden Elterntiere meistens dicht beieinander sitzen. Nach der Eiablage sucht sich das Männchen wiederum einen Platz mit etwas Distanz zum Nest.
Vor dem Aktivitätsbeginn in der Dämmerung strecken und schütteln sich die Eulen. Danach putzen sie sich ausgiebig mit Hilfe der als „Putzkralle“ ausgebildeten und gezähnten Mittelzehe sowie mit dem Schnabel, wobei das Gefieder durch ein Sekret der Bürzeldrüse am Schnabel eingefettet wird („Komfortverhalten“). Während der Balzzeit kommt es auch zu gegenseitiger Gefiederpflege, bei der mit dem Schnabel der Schleier, Kopf und Nackenbereich gekrault wird. Regelmäßig ergänzen Wasserbäder oder Regenduschen die Körperpflege, auch morgendliches Sonnenbaden wurde beobachtet.
Ausgewachsene Schleiereulen sind sicher überwiegend Einzelgänger, die sich mit Ausnahme der Balz- und Paarungszeit selten in die Nähe anderer Schleiereulen begeben. Paare stehen oft nebeneinander und führen auch gegenseitige Körperpflege wie oben beschrieben durch. Das Revierverhalten der Schleiereule ist nicht sehr ausgeprägt, so kann man häufig mehrere Tiere oder Brutpaare in relativ dichter Nachbarschaft auffinden. Zur Überwinterung dulden die Männchen sogar Geschlechtsgenossen im eigenen Einstand. Besonders zur Brutzeit kommt es allerdings zu einer vermehrten Verteidigung des Brutbereiches, bei dem die Männchen Eindringlinge verfolgen und sogar angreifen können. Trotzdem überlappen sich die Jagdgebiete benachbarter Brutpaare häufig großflächig.
Während das Weibchen brütet, versucht das Männchen sehr häufig, weitere Partnerinnen anzulocken und zur Paarung zu bringen (Polygynie). Dadurch kommt es manchmal zur Ausbildung von Bruten mehrerer Weibchen am gleichen Nistplatz (Schachtelbruten) oder an verschiedenen Nistplätzen im Revier des Männchens. Verpaarungen eines Weibchens mit mehreren Männchen (Polyandrie) sind ebenfalls möglich, aber seltener. Dabei kann es zu mehreren Bruten eines Weibchens kommen, wobei die erste Brut vom Männchen betreut wird, oder zu Einzelbruten mit mehreren Männchen an einem Nest.
Das Feindverhalten der Schleiereulen besteht in erster Linie aus einer ausgeprägten Feindvermeidung. Auf ihrem Ansitzplatz sind die Eulen meistens gut versteckt und getarnt, noch verstärkt durch ihre aufrechte Ruhestellung. Bei Störungen laufen die meisten Schleiereulen in ein Versteck oder drücken sich näher an bestehende Strukturen des Ansitzes. Im Extremfall fliehen die Eulen und bespritzen dabei ihren Feind mit ihrem dünnflüssigen Kot. Jungvögel und bedrängte Altvögel, die nicht fliehen können, drohen ihrem Gegner in einer Drohstellung mit ausgestreckten und präsentierten Flügeln und vorgebeugtem Körper. Dabei stoßen sie laute Schreie aus und starten Scheinangriffe. Flugunfähige Jungvögel und ergriffene Schleiereulen wehren sich vor allem durch Zuschlagen mit den Krallen, seltener durch Bisse. Liegen sie auf dem Rücken, verharren sie häufig bewegungslos mit geschlossenen Augen (Akinese).
Die Geschlechtsreife wird bereits mit einem Jahr erreicht. Die Schleiereule lebt monogam und verpaart sich in der Regel für ein Leben lang. Während der Paarungszeit vollführt das Männchen aufwendige Balzflüge, um sein Weibchen zu beeindrucken. Es können aufwendige Verfolgungsjagten entstehen. Die eigentliche Kopulation erstreckt sich nur über wenige Sekunden. Bei der Kopulation befindet sich das Männchen mit den Flügeln balancierend auf dem Weibchen. Pro Jahr kommt es bei den Schleiereulen meist nur zu einer Jahresbrut. In einigen Verbreitungsgebieten kann es auch zu zwei Jahresbruten kommen. Der Zeitpunkt der Eiablage richtet sich dabei stark an das Nahrungsangebot aus. In mageren Zeiten findet keine Brut statt, um den Bruterfolg nicht zu gefährden. Als Nest wird in der Regel ein vorhandenes Nest genutzt und spärlich ausgepolstert. Die Nester befinden sich meist in alten Gebäuden wie Ruinen, Scheunen, Kirchtürmen oder dergleichen. Das Auspolstern übernimmt für gewöhnlich das Weibchen.
Das Weibchen legt zwischen zwei und zehn, selten auch mehr Eier. Durchschnittlich sind es allerdings zwischen vier und sieben Eier. Die Eier werden über einen Zeitraum von gut drei Tagen gelegt. Das Ausbrüten übernimmt alleine das Weibchen über einen Zeitraum von 29 bis 34 Tagen. Die geschlüpften Jungvögel werden in den ersten Tagen von der Mutter gehudert. Während der ersten Wochen übernimmt alleine das Männchen die Versorgung der Brut und seines Weibchens. Das Weibchen zerkleinert die herangebrachte Nahrung des Männchens und verfüttert sie im folgenden an die Brut. Einen Teil frisst sie auch selber. Ab der vierten Lebenswoche sorgt auch das Weibchen für Nahrungsnachschub für die unersättlichen Jungtiere. Die Nestlingszeit beträgt durchschnittlich 60 bis 70 Tage. Nach dem Ausfliegen werden die Jungvögel noch zwei weitere Monate von den Eltern mit Nahrung versorgt.
Im Herbst wandern die Jungvögel ab; Ringfundauswertungen zeigen, dass etwa zwei Drittel aller Wanderungsbewegungen innerhalb eines Radius von 50 km um den Geburtsort enden. Die Wanderungen können jedoch auch erheblich weiter führen. In Baden-Württemberg beringte Vögel wurden noch im ersten Lebensjahr beispielsweise an der holländischen Küste, in Südfrankreich oder in Spanien wieder aufgefunden. Zu sehr starken Wanderungsbewegungen kommt es immer dann, wenn sehr hohe Schleiereulen-Bestände mit einem Zusammenbruch der Feldmaus-Population zusammentreffen. In Jahren, in denen sich Feldmäuse sehr stark vermehren (Gradation), siedeln sich die Jungvögel in nächster Nähe zu den Elterntieren an.
In Freiheit ist die Lebenserwartung sehr gering. Nur die wenigsten Schleiereulen erreichen ein Alter von vier bis acht Jahren. In Gefangenschaft können sie bei guter Pflege aber durchaus ein Alter von über 30 Jahren erreichen.