Ordnung: | Raubtiere (Carnivora) |
Überfamilie: | Hundeartige (Canoidea) |
Familie: | Bären (Ursidae) |
Unterfamilie: | Kurzschnauzenbären (Tremarctinae) |
Gattung: | Tremarctos |
Art: | Tremarctos ornatus |
Der Brillenbär ist ein mittelgroßer Vertreter der Bären. Ein ausgewachsenes männliches Tier erreicht eine Kopf-Rumpf-Länge von 130 bis 190 Zentimeter, eine Schulterhöhe von 70 bis 90 Zentimeter und ein Gewicht von 130 bis 175 Kilogramm; in Ausnahmefällen sind bis 200 Kilogramm möglich. Weibchen sind erheblich kleiner und erreichen etwa 2/3 der Körperlänge der Männchen, sie wiegen nur rund 60 bis 80 Kilogramm. Der Schwanz ist bei beiden Geschlechtern mit weniger als 10 Zentimetern sehr kurz.
Das Fell des Brillenbären ist zum überwiegenden Teil schwarz oder dunkelbraun bis rotbraun gefärbt, es ist lang und rau. Gelblich- bis cremeweiße Binden ziehen sich von der Stirn zu den Wangen und von dort weiter zur Kehle. Außerdem zieht sich ein weißer Streifen vom Nacken und der Stirn über die Nasenwurzel. Dadurch sind die Augen von weißen Zeichnungen umrandet, die einer Brille ähneln und dem Bären seinen wissenschaftlichen Namen ornatus sowie seinen deutschen und englischen Trivialnamen verliehen haben; im englischen Sprachraum ist der Bär entsprechend als „Spectacled Bear“ bekannt. Diese Muster sind bei jedem Tier unterschiedlich; bei einzelnen Individuen können sie auch gänzlich fehlen, andere besitzen eine fast vollständig weiße Schnauze. Im Vergleich zu anderen Bärenarten haben sie eine verhältnismäßig kurze Schnauze.
In ihrem Körperbau zeigen sie die typischen Bärenmerkmale: Der Rumpf ist stämmig und kräftig, der Schwanz ist nur ein kurzer Stummel. Die Füße enden jeweils in fünf mit Krallen versehen Zehen, wie die übrigen Vertreter seiner Familie ist der Brillenbär ein Sohlengänger. Die Krallen des Brillenbären sind kurz. Die Füße zwischen den Zehen- und Fußballen sind behaart und zwischen den Fingern und Handballen unbehaart. Die Vorderbeine sind als Anpassung an die teilweise arboreale Lebensweise, also das Erklettern und Leben auf Bäumen, verlängert.
Der massive Schädel ist charakteristisch für die fossilen und rezenten Arten der Unterfamilie Tremarctinae. Er ist kompakt und rundlich gebaut und mit einer Durchschnittslänge von 20,15 Zentimetern der kürzeste aller rezenten Bärenarten. Der Schädel der Männchen ist mit 23,1 bis 26,3 Zentimeter Länge größer als der der Weibchen mit 19,7 bis 21,0 Zentimeter Länge; außerdem besitzt er einen gut ausgebildeten Kamm entlang der Lambdanaht (Sutura lambdoidea), der den Weibchen fehlt. Die Schnauze ist im Vergleich zu anderen Bären sehr kurz. Der Unterkiefer besitzt eine deutliche Grube vor dem Ansatz des Musculus masseter, die in dieser Form nur bei den Tremarctinae zu finden ist. Der Musculus zygomaticomandibularis ist sehr lang ausgebildet, und auch weitere Merkmale der Kaumuskulatur und der entsprechenden Schädelansätze unterscheiden sich von denen anderer Bärenarten, die vor allem als Anpassung an die pflanzlich dominierte und stark faserige Nahrung angesehen werden. Die Bulla tympanica ist flacher als bei anderen Bären, an der Oberfläche unregelmäßig ausgebildet und mit einer relativ kleinen Paukenhöhle ausgestattet.
Das Gebiss entspricht dem typischen Bärengebiss mit drei Schneidezähnen (Incisivi), einem Eckzahn (Caninus), vier Vormahlzähnen (Praemolares) und zwei Mahlzähnen (Molares) im Oberkiefer sowie der gleichen Anzahl Zähne und einem zusätzlichen Backenzahn im Unterkiefer. Der Kiefer ist vergleichsweise steif, und die molaren Bereiche sind vergrößert. Im Unterschied zum typischen Bärengebiss sind die dritten Vorbackenzähne vergrößert und besitzen stumpfe Kronen sowie drei Zahnhöhlen und drei Wurzeln. Auf diese Weise wird die Kaufläche vergrößert, wodurch größere Mengen pflanzlicher Nahrung zerkaut werden können. Die verhältnismäßig kleinen Eckzähne sind klingenförmig und entsprechen denen des Amerikanischen Schwarzbären und des asiatischen Malaienbären. Mit ihnen kann der Brillenbär auch Tiere reißen und fressen.
Ein wichtiges Skelettmerkmal stellt die Anzahl der Rippen dar: Anders als alle anderen rezenten Bären besitzt der Brillenbär 14 Rippenpaare statt der üblichen 13 Paare. Der Gelenkknorren des Oberarmknochens weist ein zusätzliches Fenster auf, das auch beim Großen Panda anzutreffen ist und wahrscheinlich mit der Verlängerung des Oberarms und der Vergrößerung des Gelenks zusammenhängt. Beide Arten besitzen zudem einen so genannten „falschen Daumen“ in Form eines Sesambeins an der Hand, der beim Großen Panda jedoch deutlich größer ausgebildet ist. Beim Brillenbären kann dieser nicht zum Greifen benutzt werden, er dient jedoch wahrscheinlich gemeinsam mit den Fingern zur Ausrichtung und Manipulation der pflanzlichen Nahrung.
Der Penisknochen entspricht in Form und Größe dem des amerikanischen Schwarzbären. Er ist ziemlich gerade, nach oben gebogen an der Basis und besitzt eine vergrößerte, dicke und stumpfe Spitze.
Der Brillenbär besitzt ein Genom aus 2n = 52 Chromosomen mit 15 metazentrischen und 10 acrozentrischen Autosomenpaaren sowie den beiden Geschlechtschromosomen. Das X-Chromosom ist groß und metazentrisch, während das akrozentrische Y-Chromosom das kleinste aller Chromosomen ist.
Brillenbären sind die einzigen rezenten Vertreter der Bären in Südamerika. Sie leben endemisch in den tropischen Anden und vorgelagerten Gebirgszügen in Kolumbien, dem westlichen Venezuela, Ecuador, Peru und Bolivien. Die Nordgrenze des Verbreitungsgebiets bilden die Sierra de Perijá, Macizo de El Tamá und die Cordillera de Mérida in Venezuela. Von dort aus reicht das Gebiet über Kolumbien, die östlichen und westlichen Züge der Anden in Ecuador, die Andenregionen sowie die Wüstengebiete der Küste von Peru bis in den östlichen Ausläufer der Anden in Bolivien. Das Gebiet erstreckt sich über eine Länge von mehr als 4.600 Kilometer, ist jedoch nur 200 bis 650 Kilometer breit. Historisch erstreckte sich die Verbreitung über weitere Gebiete der Anden.
Einzelne Sichtungen soll es auch in der Region El Darien in Panama und dem nördlichen Argentinien gegeben haben, was jedoch wissenschaftlich nicht bestätigt werden konnte und angezweifelt wird.
Die Höhenverbreitung der Art reicht von 200 bis 4750 Metern Höhe, wobei die tiefsten Verbreitungsgebiete im westlichen Peru liegen. In allen Ländern stammen die häufigsten Sichtungen aus Höhen über 1000 Meter. Bevorzugter Lebensraum der Brillenbären sind feuchte Wälder in 1900 bis 2350 Metern Höhe; sie finden sich aber auch in anderen Habitaten, darunter wüstenartige Küstenstriche oder hochgelegene Grasländer und Buschland.
Innerhalb ihres Verbreitungsgebietes nutzen Brillenbären zahlreiche, sehr verschiedene Lebensräume. Sie leben sowohl im vegetationsarmen Flachland als auch in submontanen und montanen Waldgebieten mit saisonalem und immergrünem Baumbestand, in Sumpfgebieten, in den Grasgebieten der Puna im Hochgebirge sowie in küstennahen Wüstengebieten im westlichen Peru. Ihr Hauptlebensraum sind die feuchten Nebelwälder mit reicher Vegetation und einem reichhaltigen Nahrungsangebot. Bei einer Untersuchung der bevorzugten Habitate in Bolivien wurde festgestellt, dass die Bären fast alle verfügbaren Lebensräume mit Ausnahme der trockenen Gebirgswälder nutzen. Bevorzugt wurden die Nebelwälder und die Feuchtwälder im Hochland, seltener genutzt die Feuchtwälder in niedrigeren Lagen sowie die feuchten Graslandgebiete der Hochanden.
Das Nahrungsangebot ist der Schlüsselfaktor für die Wahl des Lebensraums. So halten sich die Brillenbären in bestimmten Lebensräumen nur auf, wenn geeignete Nahrung wie zum Beispiel spezielle Früchte verfügbar ist. Entsprechend werden Lebensräume mit reichen Nahrungsangeboten während des gesamten Jahres genutzt. Die Fruchtzyklen in Gebieten mit begrenztem Angebot zwingen die Bären zu Wanderungen, um verschiedene Nahrungsquellen zu erschließen. Weitere Faktoren für die Wahl des Lebensraums sind menschliche Besiedlungen, die Verfügbarkeit von Verstecken und Zugang zu Wasser. Neben den Wildnisressourcen nutzen Brillenbären auch landwirtschaftliche Flächen zur Nahrungssuche und ernähren sich von Feldfrüchten und seltener von Nutztieren.
Informationen zur Lebensweise von Brillenbären in freier Wildbahn sind vergleichsweise selten. Beobachtungen stammen häufig von Tieren in Gefangenschaft, weitere Informationen aus Erzählungen von Einheimischen im Verbreitungsgebiet der Tiere. Die Bären sind in der Regel tagaktiv mit maximaler Aktivität am Morgen und am frühen Abend. Die Aktivitätszeiten sind dabei sehr stark von der Jahreszeit und der Region abhängig. Etwa 70 % der Aktivitätszeit verbringen die Bären mit Fressen. Sie leben vor allem am Boden, sind jedoch auch geschickte Kletterer und halten sich bei der Nahrungssuche oft auf Bäumen auf. Dort errichten sie mitunter aus abgebrochenen oder gebogenen Ästen Plattformen, um Früchte außerhalb ihrer Reichweite zu erreichen oder um zu fressen. Im Gegensatz zu anderen Bären halten sie keine Winterruhe.
Brillenbären leben außerhalb der Paarungszeit einzelgängerisch und bilden zur Paarungszeit Paare, zeigen aber kein ausgeprägtes Territorialverhalten. In Gebieten mit hohem Nahrungsaufkommen wie etwa zur Fruchtzeit bestimmter Pflanzen oder in landwirtschaftlichen Flächen wurden mehrere Individuen an denselben Nahrungspflanzen beobachtet. Sie sind nicht aggressiv, wenn sie nicht bedroht werden oder Jungtiere haben. Die Aktionsgebiete der einzelnen Tiere sind wahrscheinlich relativ klein und überlappen sich stark. Im Durchschnitt bewegt sich ein Brillenbär am Tag in einem Gebiet von etwa 600 Metern, maximale Tagesentfernungen liegen bei mehr als sechs Kilometern. Sie nutzen dabei bekannte Pfade und bilden Pfade in ihren Territorien, die sie teilweise durch Duftmarken und Kratzspuren markieren.
Die Kommunikation beschränkt sich auf seltene Laute, die vor allem zwischen Mutter- und Jungtieren eingesetzt werden. Der häufigste Laut ist ein langgezogener und lauter rrr-Ton. Als Hauptsinn gilt der Geruchssinn, während dem Hören und dem Sehen eine untergeordnete Rolle zukommt. Zur Erweiterung des Gesichts- und Geruchsfeldes können sich Brillenbären wie andere Bären auf die Hinterbeine stellen.
Außer den Menschen haben ausgewachsene Brillenbären keine Feinde, potenzielle Fressfeinde der Jungtiere sind Pumas und Jaguare sowie ausgewachsene männliche Brillenbären.
Brillenbären sind Allesfresser, den Hauptbestandteil ihrer Nahrung bilden jedoch Pflanzen.
Angaben über die Fortpflanzung des Brillenbären beruhen vor allem auf Beobachtungen der Tiere in Gefangenschaft, Beobachtungen in freier Wildbahn sind selten oder nicht vorhanden.
Die weiblichen Bären sind polyöstrisch, sind also mehrfach im Jahr paarungs- und befruchtungsfähig. Paarungen finden auch in der Wildnis während des gesamten Jahres statt, am häufigsten vom März bis Oktober.[14] Zur Paarung finden sich die sonst einzelgängerischen Tiere kurzlebig zu Paaren zusammen. Während der durchschnittlich einen Woche, in der Männchen und Weibchen zusammenleben, kommt es immer wieder zu Begattungen mit einer Dauer von jeweils 12 bis 45 Minuten. Nach der Paarungszeit trennen sich die Tiere wieder.[14] Zur Paarung gehören nicht-aggressive Kämpfe und „Spiele“ der Partner, der Koitus wird von hohen Grunzlauten beider Partner begleitet.[14]
Bei den Weibchen kommt es aufgrund einer Keimruhe und einer verzögerten Einnistung der Eizelle im Uterus zu einer verlängerten Tragzeit, so dass der Zeitpunkt der Geburt saisonal angepasst werden kann. Die eigentliche Tragzeit ist wie bei allen Bären kurz, sehr variabel und aufgrund der Verzögerung der Einnistung nur schwer zu bestimmen. Sie kann insgesamt 160 bis 260 Tage nach der Paarung andauern, die effektive Tragzeit liegt dabei jedoch bei nur etwa 60 Tagen. Die Geburten können das ganze Jahr über stattfinden, in der Regel werfen die Weibchen abhängig von den klimatischen Verhältnissen etwa sechs Wochen vor der Fruchtreife. Dabei besteht ein Wurf aus einem bis vier Jungtieren, abhängig vom Gewicht der Bärin und der Verfügbarkeit von Nahrung. Die Jungtiere kommen in Bauen zur Welt und haben bei der Geburt ein Gewicht von 275 bis 380 Gramm und eine Länge von 25 bis 35 Zentimeter, wobei die Weibchen in der Regel etwa 30 Gramm leichter als die Männchen sind und auch langsamer wachsen. Sie kommen mit vollständigem Fell zur Welt, das in der Färbung dem der Alttiere entspricht. Die Augen sind geschlossen und werden nach 14 bis 40 Tagen geöffnet, die ersten Zähne brechen nach 25 bis 35 Tagen durch.[14] Zu dieser Zeit beginnen die Jungtiere zudem zu laufen, feste Nahrung nehmen sie nach 80 bis 95 Tagen erstmals zu sich. Die Muttertiere bleiben für etwa drei bis vier Monate bei ihnen im Versteck und geben ihnen während des gesamten ersten Lebensjahres Milch. Sie betreuen sie bis zu 2 Jahre, bis die Jungtiere die Muttertiere verlassen.
Nach der Entwöhnung der Jungtiere dauert es etwa vier bis sechs Wochen, bis die Muttertiere erneut einen Eisprung haben und wieder paarungsbereit sind. Sterben die Jungtiere bei der Geburt oder kommen sie als Fehlgeburten zur Welt, kann der nächste Eisprung bereits nach zwei bis drei Wochen erfolgen.
Die Jungtiere erreichen die Geschlechtsreife nach drei bis sieben Jahren, wobei die Weibchen im Durchschnitt nach vier und die Männchen nach fünf Jahren paarungsbereit sind. Das Alter ist abhängig von der Nahrungsverfügbarkeit und dem Gewicht der Tiere. Bei den ersten Geburten sind die Weibchen in der Regel etwa fünf Jahre alt. Nach 15 bis 17 Jahren endet die sexuelle Aktivität der Weibchen, bei den Männchen dauert sie bis zum 28. bis 30. Lebensjahr an. Die maximale Lebensdauer der Weibchen liegt bei etwa 35 und die der Männchen bei 35 bis 40 Jahren