Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

16.12.2019, Forschungsverbund Berlin e.V.
Südliche Breitmaulnashörner sind durch Inzucht und die Fragmentierung ihrer Lebensräume bedroht
Die Fragmentierung der natürlichen Lebensräume durch Zäune und Siedlungen wird den Nashörnern zum Verhängnis. Sie verhindert eine natürliche Abwanderung aus dem Familienverband und führt zu Paarungen unter nahen Verwandten. Hinzu kommt, dass die Nashornweibchen zur Paarung bestimmte Männchen bevorzugen und mit diesem Partner über mehrere Jahre hinweg immer wieder Jungtiere zeugen. Dies führt auf lange Sicht zu einem hohen Grad an Inzucht. Diese Ergebnisse stammen aus der bislang größten wissenschaftlichen Untersuchung zu den sexuellen Vorlieben von Breitmaulnashörnern. Die Wissenschaftler schlagen daher gezielte Maßnahmen vor, um den Fortbestand der Art auf lange Sicht zu erhalten.
Erkenntnisse zum Paarungs- und Fortpflanzungsverhalten sind wichtig, um Schutzmaßnahmen für Breitmaulnashörner zu optimieren. Während der Kolonialzeit wurden die Breitmaulnashörner durch die Jagd auf wenige Individuen dezimiert. Alle heute lebenden Nashörner stammen aus dieser kleinen Gründerpopulation. Ein Teil der für sie wichtigen genetischen Vielfalt ging dadurch für immer verloren, die Breitmaulnashörner sind also genetisch verarmt. Die Ergebnisse der neuen Untersuchung deuten darauf hin, dass das ungewöhnliche Paarungsverhalten der Nashörner diese Vielfalt weiter reduziert. „Wir müssen die Südlichen Breitmaulnashörner so genetisch vielfältig wie möglich halten, wenn wir ihnen die Möglichkeit geben wollen, sich an vom Menschen erzeugte Herausforderungen wie Wilderei, Klimawandel oder etwa Krankheiten anzupassen“, erklärt Dr. Petra Kretzschmar, Leitautorin der Veröffentlichung und Wissenschaftlerin am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW).
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler waren von ihren Erkenntnissen selbst überrascht. Sie erwarteten nicht, dass sich die Weibchen über einen längeren Zeitraum immer mit dem gleichen Männchen paaren, da eine enge Bindung mit demselben Partner für Nashörner nicht bekannt war. „Sie sind normalerweise Einzelgänger und kommen nur für kurze Zeit vor der Paarung zusammen“, sagt Dr. Kretzschmar. „Deshalb hat es 13 Jahre Feldforschung gebraucht, um die Geheimnisse ihres Paarungsverhaltens aufzudecken“, fährt sie fort. Die Kombination von Freilanddaten mit genetischen Vaterschaftsanalysen von 172 Individuen zeigt, dass drei Verhaltensweisen bei der Paarung die genetische Verarmung von Breitmaulnashörnern fördern können. Viele Weibchen verpaaren sich über mehrere Paarungszeiten hinweg mit dem gleichen Partner. Dies führt dazu, dass alle ihre Nachkommen Gene vom gleichen Vater erhalten. Außerdem vermeiden Nashörner bei der Partnerwahl ihre nächsten Familienmitglieder nicht, wie das von vielen anderen Arten bekannt ist. Schließlich ist der Fortpflanzungserfolg verschiedener Männern sehr ungleich, so dass einige Männchen mit ihren Genen die nachfolgende Generation dominieren.
In der Vergangenheit war dieses Paarungsverhalten vermutlich unproblematisch, da Nashörner die Möglichkeit hatten die Streifgebiete ihrer Mütter zu verlassen und sich somit nicht in der Nähe enger Familienmitglieder aufhielten. „Heutzutage leben Südliche Breitmaulnashörner in relativ kleinen Naturschutzgebieten und privaten Wildreservaten, die von Zäunen und menschlichen Siedlungen umgeben sind. Sie können sich nicht weit genug ausbreiten, um Inzucht zu vermeiden“, sagt Dr. Alexandre Courtiol, der Seniorautor des Aufsatzes. Die Forscher empfehlen daher eine permanente Überwachung der Nachkommen und ihrer Familienbeziehungen sowie einen regelmäßigen Austausch von nicht verwandten Tieren zwischen den Schutzgebieten. „Nur so kann das langfristige genetische Erbe der Art erhalten werden“, sagt Dr. Kretzschmar abschließend.
Originalpublikation:
Kretzschmar P, Auld H, Boag P, Gansloßer U, Scott C, Van Coeverden de Groot P J, Courtiol A (2019): Mate choice, reproductive success and inbreeding in white rhinoceros: new insights for conservation management. Evolutionary Applications.
https://doi.org/10.1111/eva.12894

17.12.2019, Bundesamt für Naturschutz
Vogelschutzbericht 2019: Bestandsentwicklung zahlreicher Vogelarten in Deutschland weiterhin kritisch
Zum Schutz der heimischen Vogelwelt sind weiterhin erhebliche Anstrengungen notwendig. Dies verdeutlicht der Nationale Vogelschutzbericht 2019, den Deutschland jetzt an die Europäische Kommission übermittelt hat. Der Bericht beinhaltet aktuelle Angaben zur Entwicklung der Vogelbestände und der Verbreitung der Brutvögel mit über 20.000 Einzeldaten. Zwar sind einige Erfolge in Form positiver Bestandsentwicklungen zu verzeichnen, es besteht aber weiterhin großer Handlungsbedarf.
So hält sich bei den Brutvögeln, also den Arten, die hierzulande ihre Jungen großziehen, der Anteil mit zunehmenden und abnehmenden Bestandstrends ungefähr die Waage: Etwa ein Drittel der Arten weisen seit über zwölf Jahren zunehmende Bestandstrends auf. Dazu gehören zum Beispiel einige Großvogelarten wie Seeadler, Uhu und Schwarzstorch. Diese Arten profitieren von intensiven und meist speziell auf sie zugeschnittenen Schutzbemühungen. Gleichzeitig sind in den vergangenen zwölf Jahren jedoch etwa ein Drittel der Vogelarten in ihrem Bestand zurückgegangen. Betroffen sind vor allem Arten der Agrarlandschaft wie der Kiebitz und das Rebhuhn. Diese Entwicklung ist zu einem wesentlichen Anteil auf die Intensivierung der Landwirtschaft zurückzuführen. Dabei sind insbesondere der Verlust und die Verschlechterung des Zustandes von Wiesen und Weiden als wichtige Lebensräume sowie der Rückgang des Nahrungsangebots, etwa an Insekten, ausschlaggebend.
Neben den Angaben zu Brutvögeln wurden auch Daten zu ausgewählten durchziehenden und überwinternden Zugvögeln an die Europäische Kommission übermittelt. Bei der vor allem in Russland brütenden Waldsaatgans haben sich die Rastbestände in Deutschland über die letzten zwölf Jahre mit 70 Prozent besonders gravierend verringert. Zugenommen haben die Rastbestände einiger Entenarten wie beispielsweise der Löffelente. Hierzu tragen unter anderem die milderen Winter in Mitteleuropa bei.
Im aktuellen Vogelschutzbericht zeigt sich außerdem, dass der Anteil der Brutvögel mit abnehmenden Beständen in den vergangenen zwölf Jahren deutlich höher ist als im Zeitraum der letzten 36 Jahre. Dies zeigt, dass der Druck auf die Vogelbestände weiter gewachsen ist.
Zwar wurden im aktuellen Berichtszeitraum weitere Erhaltungsmaßnahmen beschlossen und umgesetzt. Dennoch sind bislang nur für 49 Prozent der Fläche der insgesamt 742 Vogelschutzgebiete in Deutschland die notwendigen Erhaltungsmaßnahmen festgelegt und 340 Managementpläne (Stand 2018) erstellt worden. Deshalb ist es wichtig, die Bestimmungen der Vogelschutzrichtlinie insbesondere in den für das Management der Vogelschutzgebiete zuständigen Bundesländern weiter konsequent umzusetzen und ihre Ziele vor allem in der Land- und Forstwirtschaft stärker zu berücksichtigen.
Hintergrund:
Der nationale Bericht nach Artikel 12 der Vogelschutzrichtlinie enthält umfassende Angaben zur Umsetzung der Richtlinie in Deutschland, zu Anzahl und Management von Vogelschutzgebieten, zu Bestandsgrößen und Verbreitung von Vogelarten sowie zur Entwicklung der Bestände über verschiedene Zeiträume. Für besonders schutzbedürftige Arten sind zusätzlich Angaben zu Beeinträchtigungen und Gefährdungen, zu Erhaltungsmaßnahmen sowie zu Beständen und Trends in den Vogelschutzgebieten erforderlich. Der Vogelschutzbericht wird alle sechs Jahre an die EU-Kommission übermittelt und enthält insgesamt Angaben zu 251 Brutvogelarten, 68 überwinternden und 34 durchziehenden Vogelarten.
Eine wichtige Datenbasis für die Daten zur Vogelwelt liefert das bundesweite Vogelmonitoring, bei dem von vielen tausend Ehrenamtlichen erhobene Daten zusammengetragen werden. Der Vogelschutzbericht ist damit ein gutes Beispiel für die gelungene Zusammenarbeit zwischen behördlichem und ehrenamtlichem Naturschutz. Darüber hinaus werden Angaben des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) aus der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ), Daten des Wattenmeermonitorings sowie von den staatlichen Vogelschutzwarten und von nicht-staatlichen Fachverbänden der Bundesländer verwendet. Der Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA), das Planungsbüro für angewandten Naturschutz PAN und das BfN führen diese Angaben bundesweit zusammen und bereiten sie auf. Nach Abstimmung mit den Ländern wird der Vogelschutzbericht an die Europäische Kommission übermittelt.
Aus den Vogelschutzberichten der EU-Mitgliedstaaten sowie aus den Berichten zur Umsetzung der Fauna-Flora-Habitat Richtlinie (FFH) erstellt die Europäische Kommission einen europaweiten Bericht über den Zustand der Natur (State of Nature Report). Dieser enthält sowohl Informationen zu Vogelarten als auch zu weiteren geschützten Tier- und Pflanzenarten sowie Lebensräumen. Der nächste europaweite Bericht wird voraussichtlich im Herbst 2020 veröffentlicht werden.
Die vollständigen Berichtsdaten des Vogelschutzberichtes sind auf den Internetseiten des BfN veröffentlicht.

18.12.2019, Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)
Lichtverschmutzung unterdrückt „Dunkelhormon“ Melatonin bei Mensch und Tier
Melatonin taktet die innere Uhr, dank einem hohen Melatoninspiegel werden wir abends müde. Forschende vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) haben in einem internationalen Team Daten zur Auswirkung von Lichtverschmutzung auf die Melatoninbildung beim Menschen und bei Wirbeltieren ausgewertet. Das Ergebnis: Selbst die niedrigen Lichtintensitäten einer städtischen Lichtglocke reduzieren die Bildung des sogenannten Dunkelhormons.
Melatonin prägt den Tag-Nacht-Rhythmus beim Menschen und bei Wirbeltieren. Organe, Gewebe und Zellen stellen abhängig von der Konzentration dieses Hormons ihre innere Uhr. Melatonin steuert auch Prozesse wie Fortpflanzung und Wachstum. Über Lichtrezeptoren, beispielsweise auf der Netzhaut im Auge, nehmen Wirbeltiere und der Mensch Unterschiede in der Helligkeit ihrer Umgebung war. Wenn viel Licht auf die Rezeptoren wirkt, wird die Bildung von Melatonin unterdrückt; Bei Dunkelheit wird viel Melatonin gebildet.
Die Empfindlichkeitsschwelle beim Menschen liegt bei 6 Lux, Straßenbeleuchtung strahlt meist heller:
Künstliches Licht bei Nacht kann den Melatoninhaushalt stören, wenn mit der Dunkelheit eigentlich die Melatoninproduktion einsetzten sollte. Die Forschenden identifizierten im Rahmen einer Literaturrecherche aus 1900 Studien 72 relevante Arbeiten, die ihre Kriterien zur Untersuchung von Lichtverschmutzung erfüllten. Sie zeigen anhand der Datenlage, dass bereits sehr geringe Lichtintensitäten die Ausschüttung des Melatonins unterdrücken: bei Fischen liegt die Schwelle bei 0,01 Lux, bei Nagern bei 0,03 Lux und bei empfindlichen Menschen bei 6 Lux; bei Licht mit einem hohen Blaulichtanteil sogar weit darunter.
Dazu im Vergleich die Beleuchtungsstärken, welche die Lebewesen in der Nacht erfahren: In einer sternenklaren Nacht liegt die Beleuchtungsstärke bei 0,001 Lux. In einer Vollmondnacht erreicht sie ein Maximum von 0,3 Lux. Die Lichtglocke einer Stadt kann Beleuchtungsstärken bis zu 0,1 Lux, eine Straßenbeleuchtung mehr als 150 Lux erreichen.
„Das Erstaunliche ist, dass schon die sehr geringen Intensitäten der Lichtglocke einer Stadt ausreichen, um bei bestimmten Wirbeltierklassen wie Fischen und Nagern die Melatoninproduktion zu unterdrücken“, sagt die Erstautorin Dr. Maja Grubisic vom IGB. „Von dieser Art Lichtverschmutzung sind weltweit große Areale betroffen, wie wir aus der Auswertung von Satellitendaten wissen“, ergänzt ihr Kollege Dr. Andreas Jechow. Denn das Licht von künstlicher Beleuchtung strahlt in den Himmel und wird an Wolken und Partikeln reflektiert, wodurch eine große Lichtglocke entsteht.
Die Forschenden stießen bei ihrer Datenauswertung auch auf Wissenslücken: „Bisher gibt es keine Studien zu den Folgen von Lichtverschmutzung auf die Melatoninbildung bei Reptilien und Amphibien, Langzeitfolgen sind wenig erforscht. Und insbesondere die Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit sind noch nicht hinreichend verstanden“, stellt IGB-Forscher Dr. Franz Hölker fest, der die Studie geleitet hat.
Originalpublikation:
Grubisic, M.; Haim, A.; Bhusal, P.; Dominoni, D.M.; Gabriel, K.M.A.; Jechow, A.; Kupprat, F.; Lerner, A.; Marchant, P.; Riley, W.; Stebelova, K.; van Grunsven, R.H.A.; Zeman, M.; Zubidat, A.E.; Hölker, F. Light Pollution, Circadian Photoreception, and Melatonin in Vertebrates. Sustainability 2019, 11, 6400.

19.12.2019, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Klimawandel: Saure Ozeane schädigen Schuppen von Haien
HHU-Meeresbiologen veröffentlichen in Scientific Reports
Haie haben eine ungewöhnliche Art von Schuppen, die sogenannten Dentikel. Eine Forschungsgruppe aus Südafrika und Deutschland unter Beteiligung von Jacqueline Dziergwa und Prof. Dr. Christopher Bridges von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) hat untersucht, wie sich der Klimawandel in Form saurerer Ozeane auf diese Strukturen auswirkt. Sie stellten eine Schädigung der Dentikel fest, wie sie nun in der Fachzeitschrift Scientific Reports berichten.
Während normale Fische flächige Schuppen haben, sehen deren Pendants bei Haien eher wie Zähne aus. Deren Dentikel bedecken aber ebenso den Körper; sie beeinflussen vor allem die Schwimmfähigkeit der Tiere. Die Dentikel bestehen aus einer kalziumhaltigen Verbindung.
Der im Zuge des Klimawandels steigende Gehalt an Kohlendioxid (CO2) der Atmosphäre führt auch zu einer höheren Konzentration in den Ozeanen. Aus dem im Meerwasser gelösten CO2 bildet sich Kohlensäure, die die Ozeane saurer macht.
Man hat bereits festgestellt, dass der höhere Säuregehalt das Kalkgerüst von Korallen und anderen Tieren mit auf Kalzium basierenden Strukturen schädigt. Das Forschungsteam von drei südafrikanischen Forschungseinrichtungen, von der Universität Duisburg-Essen und der HHU hat nun untersucht, ob sich das saurere Meerwasser auch auf Haie auswirkt.
Untersucht wurden Puffotter-Katzenhaie, die im Atlantik vor der Küste von Kapstadt leben und die auch in Aquarien des Kapstädter DAFF Research Aquarium gehalten werden. Insgesamt wurden sechs Haie über mehrere Wochen saurerem Wasser ausgesetzt. Man stellte fest, dass nach dieser Zeit durchschnittlich rund 25 Prozent der Dentikel beschädigt waren, im Vergleich zu unter zehn Prozent bei Haien einer Vergleichsgruppe, die in normalem Wasser lebten. Die Schäden bei der säureexponierten Gruppe können so groß sein, dass es ihre Schwimmgeschwindigkeit beeinträchtigt. Da die Haizähne aus einem ähnlichen Material bestehen, können auch diese negativ betroffen sein, was sich auf deren Ernährung auswirken kann.
In einer weiteren Untersuchungsreihe analysierten die Forscherinnen und Forscher das Blut der in saurem Meerwasser gehaltenen Tiere. Sie fanden, dass dort sowohl die CO2- als auch die Karbonatkonzentration anstieg; das Karbonat verhindert, dass das Blut selbst saurer wird. Damit besitzen die Haie einen gewissen Mechanismus, um sich den Umweltbedingungen anzupassen.
Studierende der HHU-Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Christopher Bridges vom Institut für Stoffwechselphysiologie unternahmen mehrere Forschungsreisen nach Südafrika. Sie nahmen dort Proben, die sie mit nach Düsseldorf brachten und an der HHU strukturell und chemisch analysierten.
Die Forschungen sind Teil des umfassenderen Projektes „BIOACID – Biologische Auswirkungen von Ozeanversauerung“, das vom Bundesforschungsministerium gefördert wird und dem eine Reihe deutscher Universitäten und Forschungseinrichtungen angehören.
Originalpublikation:
Jacqueline Dziergwa, Sarika Singh, Christopher R Bridges, Sven E Kerwath, Joachim Enax, Lutz Auerswald, Acid-base adjustments and first evidence of denticle corrosion caused by ocean acidification conditions in a demersal shark species, Sci Rep. 2019

20.12.2019, Forschungsverbund Berlin e.V.
Gelbkörperzellen von Katzen erfolgreich kultiviert und umfassend charakterisiert
Ein weiterer Meilenstein bei der Aufklärung des Phänomens von langlebigen Gelbkörpern bei Luchsen – Die Fortpflanzung von Luchsen ist höchst rätselhaft: Im Gegensatz zu anderen Katzenarten aus der großen Familie der Felidae sind sie nur einmal im Jahr für wenige Tage empfängnisbereit. Wie ein Wissenschaftsteam des Leibniz-IZW bereits in der Vergangenheit zeigen konnte, sind dafür besonders langlebige Gelbkörper in den Eierstöcken verantwortlich, die weitere Eisprünge im Laufe des Jahres verhindern. Nun gelang ein weiterer Durchbruch: Das Team isolierte mehrere Zelltypen aus Gelbkörpern von Hauskatzen und charakterisierte mithilfe von Zellkulturen deren Funktion im Detail.
Die Fortpflanzung von Luchsen ist höchst rätselhaft. Denn im Gegensatz zu anderen Katzenarten aus der großen Familie der Felidae sind Luchse nur einmal im Jahr für wenige Tage empfängnisbereit. Wie ein Wissenschaftsteam des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) bereits in der Vergangenheit zeigen konnte, sind dafür besonders langlebige Gelbkörper in den Eierstöcken verantwortlich, die weitere Eisprünge im Laufe des Jahres verhindern. Nun gelang dem Berliner Team ein weiterer Durchbruch bei der Lösung des Rätsels: Sie isolierten mehrere Zelltypen aus Gelbkörpern von Hauskatzen und charakterisierten mithilfe von Zellkulturen deren Funktion im Detail. Die neue Technik lässt sich auch auf bedrohte Katzenarten wie den Pardelluchs übertragen und wird helfen, die Besonderheit der Langlebigkeit von Gelbkörper zu verstehen. Ziel ist es, unter dem Einfluss von Gelbkörperhormonen einen Eisprung erfolgreich starten zu können. Damit könnte die Fortpflanzung der hoch bedrohten Pardelluchse im Zuchtprogramm noch besser unterstützt werden.
Wenn es um die Fortpflanzung geht, ist sich die Familie der Katzenartigen (Felidae) normalerweise ziemlich einig: Die allermeisten Katzenarten durchlaufen mehrere Sexualzyklen pro Jahr, können also mehrfach pro Jahr trächtig werden. Anders als ihre Verwandtschaft setzt die Gattung der Luchse (Lynx) überwiegend nicht auf mehrere Zyklen (polyöstrisch), sondern lediglich auf einen einzigen (monoöstrisch). Drei der vier Luchsarten können somit nur einmal im Jahr für kurze Zeit trächtig werden. Für besonders dezimierte Arten wie den Iberischen Luchs oder Pardelluchs (Lynx pardinus) ist das eine Bürde, denn wenn die Nachzucht zum natürlichen Zeitpunkt nicht gelingt, muss bis zum nächsten Jahr gewartet werden. Auch künstliche Besamungen scheiterten bisher an dem fehlenden Wissen zum Anstoßen eines Eisprungs (Ovulationsinduktion). Deshalb ist es für den Erfolg des Erhaltungszuchtprogrammes der Pardelluchse unabdingbar, mehr über die rätselhafte Physiologie ihrer Fortpflanzung zu erfahren.
Eine erste wichtige Teillösung des Rätsels konnte das Reproduktionsteam des Leibniz-IZW 2014 präsentieren. Zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus mehreren Zoos fand es heraus, dass die Gelbkörper (Corpus luteum) der Luchse über mehrere Jahre aktiv und somit für deren ungewöhnliche Fortpflanzung verantwortlich sind. Beim Gelbkörper handelt es sich um Drüsengewebe in Eierstöcken von Säugetieren, das unter anderem Progesteron produziert – das Hormon, das die Schwangerschaft unterstützt und weitere Ovulationen verhindert. Wird die Eizelle nicht befruchtet, baut sich der Gelbkörper normalerweise recht schnell wieder ab und ermöglicht einen neuen Zyklus.
„Bei Luchsen hat sich ein Mechanismus entwickelt, der den Gelbkörper über mehrere Jahre erhält. Damit weist die Gattung Lynx die längste bekannte Lebensdauer von funktionell aktiven Gelbkörpern unter den Säugetieren auf“, sagt Beate Braun, Wissenschaftlerin in der Abteilung Reproduktionsbiologie des Leibniz-IZW. „Erstaunlich ist, dass Luchse trotz vorhandener Gelbkörper in einer neuen Saison empfängnisbereit sind. Die Aktivität der Gelbkörper wird dafür scheinbar für kurze Zeit heruntergefahren, was einen Eisprung auslöst. Danach wird die Progesteronproduktion wieder aufgenommen und über eine Trächtigkeit hinaus hochgehalten. Auf diese Weise verhindern die persistierenden Gelbkörper wahrscheinlich weitere Eisprünge im Jahr.“
Wie genau die Langlebigkeit der Gelbkörper reguliert wird, ist unklar. Das Berliner Wissenschaftsteam ist der Lösung des Rätsels nun aber einen Schritt nähergekommen. „Es ist uns gelungen, verschiedene Zelltypen aus den Gelbkörpern von Hauskatzen zu isolieren und zu kultivieren“, erläutert Michał Hryciuk, Doktorand in der Abteilung Reproduktionsbiologie des Leibniz-IZW. „Die Zellen stammen aus Gewebe, das Hauskatzen in Tierkliniken bei der Kastration entnommen wird. Gewebe von Luchsen oder anderen wildlebenden Katzenarten ist nur sehr selten verfügbar – etwa wenn verendete Tiere gefunden oder Tiere in Zoos aus medizinischen Gründen kastriert werden. Daher war uns wichtig, zuerst ein funktionsfähiges Kultivierungssystem auf die Beine zu stellen, bevor es an wertvollen Proben angewendet wird. Genau dieses System steht jetzt.“
Unter kontrollierten Laborbedingungen gelang dem Wissenschaftsteam nicht nur die Kultivierung, sondern auch die Charakterisierung großer und kleiner Gelbkörperzellen. So konnten sie die Menge des produzierten Progesterons und anderer Hormone bestimmen und die sich über die Zeit verändernde Aktivität von Genen verfolgen. Mit der entwickelten Kultivierungsmethodik steht der Forschung nun das dringend benötigte Instrumentarium zur Verfügung, um das Rätsel der langlebigen Gelbkörper zu lösen. „Unsere Erkenntnisse werden dabei helfen, die hormonellen Steuerungsmechanismen zu identifizieren, die das Wachstum, den Erhalt und den Abbau von Gelbkörpergewebe regulieren“, sagt Katarina Jewgenow, Leiterin der Abteilung Reproduktionsbiologie. „Auf diese Weise könnten sich ganz neue Wege aufzeigen, wie sich in der Nachzucht die Empfängnisbereitschaft bedrohter Luchse und anderer Katzenarten positiv beeinflussen lässt, um so die Erhaltungszuchtprogramme zu unterstützen.“
Originalpublikation:
Hryciuk MM, Braun BC, Bailey LD, Jewgenow K (2019): Functional and morphological characterization of small and large steroidogenic luteal cells from domestic cats before and during culture. Frontiers in Endocrinology. DOI: 10.3389/fendo.2019.00724.

20.12.2019, Universität Potsdam
Räuber und Beute – Potsdamer Forscher untersuchen Zyklen im Langzeitexperiment
Ökologen beschäftigen sich unter anderem mit sogenannten Räuber-Beute-Zyklen. Das bedeutet, dass die Zahl der Raubtiere und ihrer Beute, wie Luchse und Hasen, durch regelmäßige Schwingungen gekennzeichnet ist. Derartige Schwingungen können zeitweilig durch zufällige Schwankungen aus dem Takt geraten. Jetzt konnte gezeigt werden, dass sie anschließend jedoch von selbst wieder in Gang kommen können. Ein interdisziplinäres Wissenschaftlerteam, zu dem auch PD Dr. Guntram Weithoff und Prof. Dr. Ursula Gaedke von der Universität Potsdam gehören, hat diese Schwingungen in einem Langzeitexperiment mit kurzlebigen Arten – Rädertierchen und Algen – untersucht.
Ihre neuesten Forschungsergebnisse sind jetzt in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlicht worden.
Begonnen haben die experimentellen Arbeiten schon im Jahr 2000 an der Universität Potsdam. In mehreren experimentellen Reihen haben die Forscher Räuber-Beute Dynamiken untersucht. „Wir haben, bezogen auf die Anzahl von Räuber-Beute-Zyklen, die längste bekannte Zeitreihe“, sagt Guntram Weithoff. Die Zyklen beruhen auf einer Fraßbeziehung zwischen zwei Arten: Wenn sich die Beutetiere stark vermehren, erhöht sich auch die Zahl der Räuber, bis sie so viele Beutetiere fressen, dass deren Zahl wieder sinkt. Später werden auch die Raubtiere weniger, weil sie verhungern, was zur Vermehrung der Zahl der Beute führt, und ein neuer Zyklus beginnt. In den Experimenten waren Rädertiere die Räuber und Grünalgen die Beute. Die Zahl der Algen wie der Rädertierchen schwankte mit einer Periode von 6,7 Tagen, die der Rädertiere allerdings zeitlich um rund 40 Stunden versetzt. Die Forscherinnen und Forscher beobachteten die beiden Populationen über einen Zeitraum von rund einem Jahr, in mehr als 50 Zyklen und rund 300 Generationen der Rädertierchen.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konnten zeigen, dass die in der Theorie vorausgesagten Zyklen tatsächlich experimentell über 50 Zyklen selbsterhaltend sind. Im Verlauf der langen Zeitreihen kam es jedoch auch zu Unterbrechungen der regulären Zyklen, aber bemerkenswerterweise kehrte das System anschließend zu den regelmäßigen Zyklen zurück. „Dies deutet daraufhin, dass solche Zyklen stark autonom aus sich heraus angetrieben werden“, so Ursula Gaedke. Mithilfe der mathematischen Analysen und Simulationen konnte das System besser beschrieben und verstanden werden. So ist es nun möglich, die Modelle in angepasster Weise auf andere Räuber-Beute-Zyklen anzuwenden. Die experimentellen Arbeiten sind in Potsdam durchgeführt worden. Die mathematischen Analysen setzte vor allem Bernd Blasius an der Universität Oldenburg fort. Es handelt sich um ein interdisziplinäres Projekt der Biologie und Physik an der Universität Potsdam mit den Universitäten Oldenburg und McGill Montreal.

Dieser Beitrag wurde unter Wissenschaft/Naturschutz veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert