Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

25.03.2024, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Wie viele Fische machen einen Schwarm?
Auch Physiker interessieren sich für Fische – vor allem, wenn sie die Bildung von Strukturen erforschen. Ein Forschungsteam der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) und der Universität Bristol (Vereinigtes Königreich) untersuchte das Schwarmverhalten von Zebrabärblingen (Danio rerio, auch als „Zebrafische“ bekannt) mit Methoden der Vielteilchenphysik. In der Fachzeitschrift Nature Communications erläutern sie, dass sich schon drei Fische ähnlich wie große Fischschwärme bewegen, zwei Fische dagegen ein ganz anderes Verhalten aufweisen.
„Three is a Crowd“ – dieser englische Spruch scheint nicht nur für „Die drei ???“ und die Drei Musketiere zu gelten. Auch bei verschiedenen Phänomene in den Naturwissenschaften – wie den Grundfarben oder den Raumdimensionen – genügen drei Zahlen, um verschiedene Zustände zu charakterisieren.
Physikerinnen und Physiker untersuchten nun, wie sich verschieden große Gruppen von Lebewesen verhalten. Sie wollten wissen, ab welcher Größe sich die Bewegungsmuster der einzelnen Mitglieder zu einer koordinierten Gruppenbewegung ändert. Tatsächlich scheint für Zebrafische die Drei die entscheidende Zahl zu sein.
Ein Aquarium in Bristol bestückten die Physiker dazu mit synchronisierten Kameras, um so die dreidimensionalen Schwimmtrajektorien ihrer Zebrafische zu messen. Sie nahmen diese Bahnen systematisch für verschiedene Gruppengrößen – zwei, drei, vier und fünfzig Fische – auf.
In den Schwimmtrajektorien suchten sie dann in einem nächsten Schritt Ordnungseffekte. Sie fanden verschiedene Bewegungsmuster: Entweder schwammen die Fische alle in dieselbe Richtung oder sie drehten sich gemeinsam im Kreis. Bewegten sie sich in dieselbe Richtung, dann schwammen sie entweder neben- oder hintereinander.
Ein isoliertes Paar aus zwei Fischen bewegt sich vorzugsweise hintereinander – ein Fisch führt, der andere folgt. Drei Fische schwimmen aber nebeneinander; anscheinend will keiner von ihnen der letzte sein. Und: Solches Nebeneinanderschwimmen charakterisiert auch einen großen Fischschwarm.
Im großen Schwarm markierten die Forschenden anschließend auch kleine Teilgruppen. Sie stellten fest, dass sich Dreiergruppen innerhalb des Schwarm sehr ähnlich wie eine isolierte Dreiergruppe bewegt. Markierten sie dagegen nur zwei Nachbarn, dann verhielten sich diese im Schwarm anders als in einer isolierten Zweiergruppe. Dr. Alexandra Zampetaki aus Düsseldorf (jetzt Wien), die zusammen mit Dr. Yushi Yang Erstautorin der nun in Nature Communications erschienenen Studie, stellt fest: „Drei Fische bilden praktisch einen Schwarm, aber zwei reichen dafür nicht.“
„Dieses einfache Ergebnis gilt erst einmal nur für Zebrafische. Die Konzepte können aber auch auf andere Beispiele der Fauna übertragen werden“, betont der Korrespondenzautor Prof. Dr. C. Patrick Royall von der Universität Bristol, der jetzt an der EPSCI in Paris arbeitet. Royall weiter: „Dazu zählen andere Fischschwärme wie solche aus Goldfischen oder Sardinen, aber auch Vogel- und Insektenschwärme wie fliegende Stare und tanzende Mücken.“
Die Idee zu dem gemeinsamen Forschungsprojekt entstand während mehrerer Besuche des von der Alexander von Humboldt-Stiftung ausgezeichneten Bessel-Preisträgers Prof. Royall an der HHU bei Prof. Dr. Hartmut Löwen. „Es war eine neue Herausforderung, traditionelle Methoden und Konzepte aus der Theorie der Flüssigkeiten wie Paar- und Triplettkorrelationen auf Fische anzuwenden. Denn diese Konzepte stammen aus dem thermodynamischen Gleichgewicht, aber ein lebender Fischschwarm ist weit von einem Gleichgewichtszustand entfernt“, so Löwen, der das Institut für Theoretische Physik II der HHU leitet.
In Düsseldorf wurde die grundlegende Klassifizierung der Vielteilcheneffekte vorgenommen. Darüber hinaus simulierte Dr. Alexandra Zampetaki die Fischtrajektorien: „Wir haben unser Modell so modifiziert, dass die Schwimmbewegung der Fische realistisch nachgebildet wird. Die Simulation bestätigte das experimentelle Ergebnis ‚Drei machen einen Schwarm‘.“
In die Zukunft gedacht, wollen die Forschenden ihre Erkenntnis auf das Gruppenverhalten von Menschen anwenden, wie diese sich zum Beispiel bei Partys oder Massenveranstaltungen verhalten. Löwen: „Ob dafür dann auch die einfache Grenze der Zahl Drei Bestand hat, muss sich zeigen.“
Originalpublikation:
A. Zampetaki, Y. Yang, H. Löwen, C. P. Royall. Dynamical Order and Many-Body Correlations in Zebrafish show that Three is a Crowd. Nature Communications. Nature Communications 15, 2591 (2024).

26.03.2024, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Nicht in Stein gemeißelt: Spezialisierung von Ameisenköniginnen hängt vom sozialen Umfeld ab
Spezialisierung von Ameisenköniginnen auf die Eiablage ist umkehrbar. Sie wird durch Anwesenheit von Arbeiterinnen ausgelöst und aufrechterhalten.
Die Königinnen der sozialen Insekten, wie etwa von Ameisen, Bienen oder Wespen, gelten gemeinhin als Höhepunkt der Spezialisierung im Tierreich. Königinnen, so die verbreitete Ansicht, seien nur dazu da, Eier zu legen – und diese Eigenschaft sei angeboren und nicht von äußeren Faktoren beeinflusst. Forschungen an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) zeigen im Gegensatz zu dieser Auffassung, dass in Ameisenstaaten das soziale Umfeld eine entscheidende Rolle bei der Verhaltensspezialisierung von Ameisenköniginnen spielen kann. „Die Spezialisierung der Königinnen unterliegt bei der Ameisenart, die wir untersucht haben, einer sozialen Kontrolle. Mit diesem Befund stellen wir das weithin akzeptierte Dogma infrage, wonach Insektenköniginnen praktisch als Eierlegemaschinen geboren werden“, sagt Dr. Romain Libbrecht. Die Arbeiten wurden in der Gruppe „Reproduktion, Ernährung und Verhalten von Insektenstaaten“ unter der Leitung von Libbrecht an der JGU durchgeführt und nun in dem Fachmagazin Functional Ecology veröffentlicht. Romain Libbrecht arbeitet heute als Evolutionsbiologe für das renommierte Centre national de la recherche scientifique (CNRS) an der Universität Tours.
Vorstellung von Insektenstaat als Superorganismus mit spezialisierten Individuen
Soziale Insektenkolonien bestehen aus Königinnen, die die Fortpflanzung monopolisieren, und sterilen Arbeiterinnen, die alle nicht-reproduktiven Aufgaben übernehmen, wie beispielsweise die Versorgung von Eiern und Larven – diese Ansicht stellen die Forschenden in ihrer neuen Studie auf die Probe. Sie nehmen dafür Ameisenarten in den Fokus, bei denen die Königinnen neue Kolonien alleine und ohne die Hilfe von Arbeiterinnen gründen. „Interessanterweise sind die Gründungsköniginnen in dieser Lebensphase noch nicht in ihrem Verhalten spezialisiert“, sagt Libbrecht. „Sie müssen alle Aufgaben im Nest wie auch die Brutpflege selbst übernehmen, um die erste Generation an Arbeiterinnen erfolgreich großzuziehen.“
Libbrechts Gruppe hat die experimentellen Untersuchungen an der einheimischen Schwarzen Wegameise Lasius niger vorgenommen. Sie zeigen, welch eine zentrale Rolle das soziale Umfeld dabei spielt, die Verhaltensspezialisierung von Gründungsköniginnen auszubilden. „Wenn wir Arbeiterinnen zu den Nestern von Gründungsköniginnen hinzugeben, unterdrückt dies die natürliche Veranlagung dieser Königinnen, sich um die Brut selbst zu kümmern. Und umgekehrt, wenn wir aufs Eierlegen spezialisierte Königinnen von ihren Arbeiterinnen isolieren, dann kehren sie schnell zu dem Brutpflegeverhalten von Gründungsköniginnen zurück – selbst nach vielen Jahren der Spezialisierung.“
Verständnis von Insektengesellschaften und ihrer Arbeitsteilung ist nun zu überdenken
Libbrecht betont, dass ein solches Verhalten die weithin akzeptierte Vorstellung infrage stellt, dass soziale Insektenköniginnen von Natur aus spezialisierte Maschinen zur Eiablage sind. Stattdessen zeige die Studie, dass die Anwesenheit von Arbeiterinnen die Spezialisierung der Königin auf die Eiablage nicht nur auslöst, sondern darüber hinaus die Spezialisierung auch in etablierten Kolonien aktiv aufrechterhält. Diese Entdeckung, dass die Spezialisierung der Königinnen einer sozialen Kontrolle unterliegt, könnte unser Verständnis, wie Insektengesellschaften und ihre Arbeitsteilung funktionieren, verändern.
Romain Libbrecht war von 2016 bis 2022 Gruppenleiter der Forschungsgruppe „Reproduktion, Ernährung und Verhalten von Insektenstaaten“ am Institut für Organismische und Molekulare Evolutionsbiologie (IOME) der Universität Mainz. Seit 2023 ist er als Forscher des CNRS am Forschungsinstitut für Insektenbiologie der Universität Tours tätig. Er beschäftigt sich insbesondere mit der Frage, wie Organismen ihre Fortpflanzung, ihre Physiologie und ihr Verhalten an die Umweltbedingungen anpassen.
Originalpublikation:
Vahideh Majidifar et al.
Ontogeny of superorganisms: Social control of queen specialization in ants
Functional Ecology, 26. März 2024
DOI: 10.1111/1365-2435.14536
https://besjournals.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/1365-2435.14536

27.03.2024, Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde
Energiekrise bei Dorsch und Co.: Wie Überdüngung und Klimawandel die Nahrungsnetze der Ostsee verändern
Der Ostdorschbestand ist seit Jahren in der Krise. Trotz historisch niedrigem Fischereidruck erholt sich der Bestand nicht. Bislang gab es hierfür keine schlüssige Erklärung. Forschende des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) und des Thünen-Instituts für Ostseefischerei konnten nun erstmals nachweisen, dass sich in Ostseeregionen mit großflächigen Blüten fädiger Blaualgen, die durch Überdüngung und Klimawandel verstärkt auftreten, das Nahrungsnetz für den Dorsch verlängert hat. Dadurch steht der Population deutlich weniger Energie zur Verfügung als in Gebieten ohne Blaualgenblüten. Verbessert sich das Nährstoffregime nicht, kann sich der Ostdorsch nicht erholen.
Das marine Phytoplankton ist der Energielieferant für alle Meeresökosysteme: Diese winzig kleinen, im Meerwasser schwebenden Pflanzen binden mittels Photosynthese Energie in Form von Biomasse, die dann Schritt für Schritt in den marinen Nahrungsnetzen weitergereicht wird, bis hin zu unterschiedlichen Arten von Fischen und Fischfressern. Wieviel Energie bei den unterschiedlichen Lebewesen ankommt, hängt von der Position ab, die sie im Nahrungsnetz einnehmen. Man weiß, dass von einer Ebene zur nächsten rund 90 Prozent der Energie als Wärme verloren gehen. Je mehr Ebenen ein Nahrungsnetz hat, umso weniger Energie kommt bei den Lebewesen mit den höchsten Positionen wie etwa Raubfischen an.
„Das Phytoplankton der zentralen Ostsee hat sich in den letzten drei Jahrzehnten stark verändert. Zunehmend wird es im Sommer von massenhaft auftretenden fadenförmigen Cyanobakterien dominiert. Das Phänomen ist als Blaualgenblüten bekannt“, sagt Markus Steinkopf, Meeresbiologe am IOW. Auslöser seien die klimawandelbedingt höheren Wassertemperaturen und die nach wie vor zu hohe Nährstoffbelastung der Ostsee; das begünstige Blaualgen gegenüber anderem Phytoplankton. „Aufgrund ihrer Form und Größe können fädige Blaualgen nicht von den kleinen Krebsen des Zooplanktons gefressen werden, die in marinen Nahrungsnetzen sonst die nächste Position nach dem Phytoplankton einnehmen. Welche Folgen das für die Energieversorgung höherer Lebewesen hat, war bislang weitgehend ungeklärt“, sagt der Erstautor der jetzt im Fachjournal Ecology and Evolution publizierten Studie zu Nahrungsnetz-Veränderungen in der Ostsee.
Hier setzte Steinkopf an und verglich, welche Position im Nahrungsnetz Dorsche und Flundern haben, die in der zentralen Ostsee leben, mit denen in der westlichen Ostsee, wo Blaualgenblüten keine Rolle spielen. Um die Nahrung der untersuchten Fische und somit ihre Nahrungsnetzposition zu identifizieren, nutzte er die Stickstoff-Isotopenanalyse in Aminosäuren. Denn je nachdem, was die Fische fressen, lassen sich in ihrem Muskelfleisch charakteristische Muster der unterschiedlichen stabilen Amino-Stickstoffisotope feststellen und sehr präzise interpretieren.
Bezüglich der Dorsche kam das Forschungsteam um den Warnemünder Wissenschaftler zu einem erstaunlich klaren Ergebnis: In der Blaualgen-belasteten zentralen Ostsee ist das Nahrungsnetz der dort lebenden Ostdorsche deutlich länger als das der Dorsche in der westlichen Ostsee. Steinkopf: „Die Nahrungsnetzposition des Westdorsches liegt bei 4,1, die des Ostdorsches dagegen zwischen 4,8 und 5,2. Das bedeutet einen Energieverlust von gut 60 bis 99 Prozent für den Ostdorsch im Vergleich zum Westdorsch.“ Bei den Flundern gab es hingegen zwischen den beiden Meeresgebieten nur geringe Unterschiede in der Nahrungsnetzposition: 3,4 in der westlichen vs. 3,1 in der zentralen Ostsee.
„Flundern fressen in beiden Seegebieten hauptsächlich Muscheln, deren Nahrungsnetz auf Phytoplankton basiert, auch wenn es Blaualgenblüten gibt. Große Unterschiede waren hier also nicht zu erwarten“, erläutert Uwe Krumme, Co-Autor der Studie vom Thünen-Institut für Ostseefischerei. Am Thünen-Institut, das über die entsprechende Expertise zu den Fischbeständen der Ostsee verfügt, wurden unter anderem die Fischproben für die Studie bearbeitet. „Bei den Dorschen sieht es anders aus. Westdorsche ernähren sich vor allem von der Gemeinen Strandkrabbe, die am Boden lebt. Ihr Nahrungsnetz ist daher ohnehin kürzer als das der Ostdorsche, die vor allem Heringe und Sprotten fressen, die wiederum von Zooplankton leben. Diese Ernährungsunterschiede allein können die deutlich höhere Nahrungsnetzposition der Ostdorsche aber nicht erklären“, so Krumme weiter.
Wie kommt es also zu der markanten Nahrungsnetzverlängerung für den Ostdorsch? „In den Blaualgengebieten stellt sich das Zooplankton um. Statt sich vegetarisch zu ernähren, frisst es Mikroben, die sich von Ausscheidungen oder Abbauprodukten der Blaualgen ernähren, wenn die Blüten absterben. Das haben frühere Analysen des IOW gezeigt. Damit entsteht eine komplette zusätzliche Nahrungsnetzebene, die zwangsläufig zu hohem Energieverlust bei den Tieren auf nachgeschalteten Nahrungsnetzpositionen führt“, erklärt Natalie Loick-Wilde, ebenfalls Co-Autorin der Studie und Spezialistin für Isotopen-basierte Nahrungsnetz-Analyse. „Diese Art der Nahrungsnetzverlängerung bei Fischen wird schon länger theoretisch diskutiert. Wir können sie nun erstmals direkt messen und eindeutig dem Blaualgen-geprägten Nahrungsnetz zuordnen“, sagt die Meeresbiologin. Sie hat am IOW eines der wenigen marinen Forschungslabore weltweit etabliert, in dem stabile Isotope von Stickstoff und Kohlenstoff in 13 verschiedenen Aminosäuren gemessen werden können.
„Die Isotopen-basierte Nahrungsnetz-Analyse ist ein wertvolles Instrument, um grundlegende Veränderungen in Ökosystemen sichtbar zu machen und Zusammenhänge besser zu verstehen. Die Energiekrise beim Ostdorsch zeigt, dass Einschränkungen bei der Fischerei für eine Bestandserholung allein nicht mehr ausreichen. Vielmehr muss das Nahrungsnetz an sich rehabilitiert werden. Das gelingt aber nur, wenn man länderübergreifend alle Möglichkeiten ausschöpft, um die Überdüngung der Ostsee in den Griff zu bekommen“, resümiert Markus Steinkopf. Die Ergebnisse zur Flunder zeigen zwar, dass nicht alle Teile des Nahrungsnetzes gleichermaßen betroffen sind. Aber: „Die Studie lässt auch vermuten, dass Nahrungsnetzverlängerungen nicht nur für die Ostsee relevant sind, sondern sich zu einem Problem globaler Natur entwickeln werden, da der Klimawandel schädliche Algenblüten und viele weitere Stressoren für Nahrungsnetze verstärkt“, so der Meeresbiologe abschließend.
 Die Studie wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des Projektes BluEs (kurz für: Blue_Estuaries – Nachhaltige Ästuar-Entwicklung unter Klimawandel und anderen Stressoren, https://www.io-warnemuende.de/blues-start.html) gefördert.
Originalpublikation:
M. Steinkopf, U. Krumme, D. Schulz- Bull, D. Wodarg, N. Loick- Wilde (2024): Trophic lengthening triggered by filamentous, N2- fixing cyanobacteria disrupts pelagic but not benthic food webs in a large estuarine ecosystem, Ecology and Evolution, https://doi.org/10.1002/ece3.11048

28.03.2024, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.
Wenn Ungleichheit unter die Haut geht: Sozialer Status hinterlässt Spuren im Erbgut von Tüpfelhyänen in Tansania
Forschende des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) weisen gemeinsam mit Kolleg:innen in einer Untersuchung an jungen und erwachsenen freilebenden Tüpfelhyänen nach, dass sich Sozialverhalten und sozialer Status durch epigenetische Mechanismen auf molekularer Ebene im Erbgut niederschlagen. Sie analysierten nicht-invasiv gesammelte Proben der Darmschleimhaut von ranghohen und rangniedrigen Weibchen und zeigten, dass sich Rangunterschiede in dem Muster des An- oder Abschaltens von Genen in Erbgutregionen ausdrückten, die wichtige physiologische Prozesse wie Energieumwandlung und Immunantwort steuern.
Die in der Fachzeitschrift „Communications Biology“ veröffentlichten Ergebnisse tragen dazu bei, die Rolle epigenetischer Mechanismen im Zusammenspiel von sozialen, ökologischen und physiologischen Faktoren im Leben eines sozialen Säugetiers besser zu verstehen.
Bei Säugetieren können das Sozialverhalten und der soziale Status das Überleben, die Fortpflanzungsleistung und die Gesundheit von Individuen stark beeinflussen. Es ist jedoch noch nicht vollständig geklärt, wie soziale und ökologische Faktoren in physiologische Prozesse übertragen werden und wie sich das dann in molekularen Prozessen widerspiegelt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Leibniz-IZW-Abteilung für Evolutionsgenetik und des Serengeti-Hyänenprojekts der Leibniz-IZW-Abteilung für Ökologische Dynamik fanden nun heraus, dass der soziale Status epigenetische Muster – insbesondere durch DNS-Methylierung – bei jungen und erwachsenen weiblichen Tüpfelhyänen (Crocuta crocuta) hinterlässt. Die Forschenden analysierten gemeinsam mit Kolleg:innen DNS aus Zellen der Darmschleimhaut von 18 erwachsenen Hyänenweibchen und 24 Jungtieren mit bekanntem sozialem Status aus drei Clans im Serengeti-Nationalpark in Tansania. Sie identifizierten und validierten 149 Regionen, die bei ranghohen und rangniedrigen Individuen unterschiedlich methyliert waren (differentially methylated regions – DMRs). „Wir konnten erstmals epigenetische Signaturen sozialer Ungleichheit sowohl bei jungen als auch bei erwachsenen Tüpfelhyänen nachweisen“, sagt Dr. Alexandra Weyrich, Leiterin der Arbeitsgruppe „Wildtier-Epigenetik“ in der Leibniz-IZW-Abteilung für Evolutionsgenetik und Seniorautorin des Aufsatzes.
Die Ergebnisse zeigten, dass diese epigenetischen Signaturen über mehrere Lebensstadien hinweg stabil und mit wichtigen physiologischen Prozessen verbunden sind: Viele der identifizierten DMRs sind an der Regulierung der Energieumwandlung, der Immunantwort, der Signalgebung des Glutamatrezeptors und des Ionentransports beteiligt. „Besonders die große Anzahl von DMRs in Genen, die an der Energieumwandlung beteiligt sind, ist uns aufgefallen“, sagt Erstautor Colin Vullioud, Datenanalyst in Weyrichs Arbeitsgruppe. Co-Autorin Dr. Sarah Benhaiem, Co-Leiterin des Serengeti-Hyänen-Projekts, erklärt: „Wir vermuten, dass dies auf Unterschiede im Verhalten bei der Nahrungssuche zurückzuführen ist. Rangniedrige Weibchen müssen dafür häufiger lange Strecken zurücklegen – und haben daher einen erheblich höheren Energiebedarf für die Nahrungsbeschaffung – als ranghohe Weibchen, die Ressourcen in ihrem Clanterritorium monopolisieren.“ Interessanterweise waren diese Gene bei rangniedrigen Weibchen im Erwachsenenalter mehr methyliert („hypermethyliert“), nicht jedoch bei den Jungtieren. Dies passt insofern, da erst die erwachsenen Weibchen mit niedrigem Rang mit den hohen energetischen Kosten des häufigen Pendelns über große Entfernungen umgehen müssen – ein Verhalten, das die Jungtiere noch nicht zeigen. „Obwohl die genauen physiologischen Folgen der beobachteten Hypermethylierung noch untersucht werden müssen, stimmen diese Ergebnisse mit unseren Beobachtungen überein und weisen auf die gesuchte fehlende Verbindung zwischen sozialen und physiologischen Faktoren hin“, schließen Weyrich und Benhaiem.
Die Analysen bauen auf der epigenetischen Expertise des Leibniz-IZW sowie auf der bereits 1987 begonnenen Langzeitforschung an Tüpfelhyänen in der Serengeti auf. Die Weibchen in dieser Untersuchung sind individuell bekannt und die Forschenden verfolgen den sozialen Rang der Hyänen über Generationen hinweg. Dies bot ideale Bedingungen, um die Zusammenhänge zwischen epigenetischen Veränderungen, Verhalten, physiologischen Faktoren und Fitness im Sinne von Überleben und Fortpflanzung in einer Wildpopulation zu untersuchen. „Wir haben unsere Proben gesammelt, ohne in das Leben der Hyänen einzugreifen“, sagen Dr. Marion L. East und Prof. Dr. Heribert Hofer, die das Serengeti-Hyänenprojekt des Leibniz-IZW begründeten. „Das Team folgte unseren Studientieren, sammelte frischen, dampfenden Kot unmittelbar nach seiner Produktion und sicherte Proben der Darmschleimhaut von dessen Oberfläche.“ Die Verwendung eines nicht-invasiv gesammelten Probenmaterials sei eine der Stärken der Untersuchung, stellen die Autorinnen und Autoren fest. „Die im nächsten Schritt von uns verwendete Capture-Methylierungsmethode reichert sowohl methylierte DNS als auch Säugetier-DNS an, was die Menge an Hyänen-DNS gegenüber bakterieller DNS und die Qualität der Sequenzierdaten verbesserte“, erklärt Weyrich.
Die DNS-Methylierung ist eine chemische Veränderung der Grundbausteine des genetischen Materials einer Zelle. Diese Veränderung wird durch die Übertragung von Methylgruppen auf Nukleobasen an bestimmten Positionen in der DNS ermöglicht. Da die Grundstruktur der jeweiligen Nukleobase nicht verändert wird, handelt es sich bei der DNS-Methylierung nicht um eine genetische Mutation, sondern um eine Modifikation, die festlegt, ob dieser Teil des Erbguts von der Zelle aktiviert werden kann oder abgeschaltet ist. Die DNS-Methylierung ist die wichtigste epigenetische Veränderung und damit ein zentraler Bestandteil der genetischen Information einer Zelle.
Tüpfelhyänen sind sehr soziale Tiere und ein hervorragendes Beispiel für statusbedingte Unterschiede, die mit Unterschieden in physiologischen Prozessen und der Gesundheit einhergehen. In Hyänenclans dominieren Weibchen und ihr Nachwuchs alle neu einwandernden Männchen, wobei der soziale Status von den Müttern an die Jungtiere „vererbt“ wird. Die Jungtiere erhalten dadurch jene Privilegien, die mit dem Rang ihrer Mutter verbunden sind. „Wie bei einigen Affenarten erhalten junge Hyänen von ihren Müttern soziale Unterstützung bei Interaktionen mit Gruppenmitgliedern und lernen dabei, dass sie alle Individuen dominieren können, die ihrer Mutter untergeordnet sind. Sie werden aber zugleich von jenen dominiert, denen ihre Mutter untergeordnet ist“, erklärt East. Der soziale Status ist also stabil und vorhersehbar, weil er durch Familienbeziehungen und Verhaltenskonventionen bestimmt wird.
„Außerdem werden die Auswirkungen des sozialen Status auf den Lebensverlauf und die Gesundheit typischerweise über Generationen hinweg weitergegeben“, ergänzt Hofer. Beispielsweise haben Weibchen mit hohem Rang vorrangigen Zugang zu den Ressourcen im Clanterritorium und müssen nicht so weite Wege zurücklegen wie rangniedrige Weibchen, um Nahrung zu finden. Sie sind daher viel häufiger im Gemeinschaftsbau anwesend und säugen ihre Jungen häufiger. Die von der Milch abhängigen Jungtiere profitieren in dieser frühen Phase ihres Lebens überproportional – sie wachsen schneller, haben eine höhere Überlebenschance und starten früher mit der Fortpflanzung als der Nachwuchs rangniedriger Weibchen.
Originalpublikation:
Vullioud C, Benhaiem S, Meneghini D, Szyf M, Shao Y, Hofer H, East ML, Fickel J, Weyrich A (2024): Epigenetic signatures of social status in female free-ranging spotted hyenas (Crocuta Crocuta). Communications Biology.

28.03.2024, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.
Kleine Vögel bereichern den vielfältigen Speiseplan von Tüpfelhyänen in Namibia
Hyänen gehören zu den Generalisten unter den Raubtieren mit einer breiten Palette an Beutetieren. Vorrangig jagen und erbeuten sie größere Säugetiere wie Antilopen, ernähren sich jedoch gelegentlich auch von kleinen Säugetieren oder Reptilien. Flexibel in der Beutewahl zu sein ist eine kluge Strategie für Generalisten – bei Tüpfelhyänen erstreckt sich das sogar auf kleine Vögel, wie Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) und der Universität Ljubljana in Namibia beobachteten: Tüpfelhyänen jagten fliegende Blutschnabelweber, eine Singvogelart aus der Familie der Webervögel.
Die Wissenschaftler aus Berlin und Ljubljana dokumentieren, wie Tüpfelhyänen fliegende Blutschnabelweber jagten oder sie direkt vom Boden oder der Oberfläche eines Wasserlochs schnappten – bis zu drei Mal in der Minute. Anschließend verschluckten sie die kleinen Vögel als Ganzes. Beschreibungen, Foto- und Videoaufnahmen dieser Beobachtungen sind in einem Aufsatz in der in der Fachzeitschrift „Food Webs“ erschienen.
Hyänen weisen im Vergleich mit anderen Raubtieren ein enorm breites Nahrungsspektrum auf. Tüpfelhyänen (Crocuta crocuta) jagen nachweislich eine Vielzahl größerer Säugetiere wie Zebras und Antilopen im südlichen und östlichen Afrika – aber auch Strauße, Flamingos, Reptilien und andere Raubtiere. Außerdem gehören zu ihrem Nahrungsspektrum auch Kadaver von weitaus größeren Tieren wie Giraffen und Elefanten sowie mit Rindern auch Nutztiere. Das Erlegen und der Verzehr von kleinen Vögeln durch Tüpfelhyänen wurde bislang nur sehr selten beobachtet und noch nie wissenschaftlich dokumentiert. „In unserem Aufsatz beschreiben wir zum ersten Mal, wie Tüpfelhyänen Blutschnabelweber (Quelea quelea) jagen und fressen, die sich an einem Wasserloch im Etosha-Nationalpark in Namibia in großen Schwärmen versammeln“, sagen Rubén Portas und Dr. Miha Krofel, Wissenschaftler des Leibniz-IZW und der Universität Ljubljana. An zwei verschiedenen Tagen beobachteten, filmten und fotografierten sie an der Wasserstelle Tüpfelhyänen, die fliegende Vögel jagten, sie vom Boden oder von der Wasseroberfläche auflasen und im Ganzen verschlungen. „Die Ergebnisse zeigten, dass eine einzelne Hyäne im Durchschnitt einen Vogel alle drei Minuten fangen kann“, schließen die Wissenschaftler aus ihren Beobachtungen.
Die Wissenschaftler können aus ihren Beobachtungen einige Rückschlüsse auf das Fressverhalten der Tüpfelhyänen ziehen. „Es erweitert die bekannte Vielfalt der Nahrung und der Jagdtaktiken der Hyänen, da dieses Verhalten bisher nicht dokumentiert wurde“, sagt Portas. „Unsere Beobachtungen bestätigen die Flexibilität und die Fähigkeit der Tüpfelhyänen, sich Nahrung auch aus untypischen Quellen beschaffen zu können. Wir konnten auch eine erste Auswertung der Fangraten und der Nahrungsaufnahme von Hyänen bei der Jagd auf kleine Singvögel vornehmen.“ Die Beobachtungen beschränkten sich jedoch auf ein einziges Wasserloch, so dass es möglich ist, dass die beschriebene Jagdmethode spezifisch für die Hyänen des beobachteten Clans war und als Reaktion auf eine reichhaltige Nahrungsquelle erfolgte, so die Autoren. Zwischen Mai und August versammeln sich Tausende von überwinternden Blutschnabelwebern an Wasserlöchern in Namibia.
Portas und Krofel führen regelmäßig Feldforschung zu Geiern, Löwen, Leoparden und Hyänen im Etosha-Nationalpark durch und untersuchen die Interaktionen zwischen Raubtieren und Aasfressern sowie Informationstransfer Gemeinschaften von Aasfressern für die GAIA-Initiative und die InterMuc-Projekte. Die GAIA-Initiative ist ein Zusammenschluss von Forschungsinstituten, Naturschutzorganisationen und Unternehmen mit dem Ziel, ein High-Tech-Frühwarnsystem für Umweltveränderungen zu schaffen. In mehreren Projekten erforschen die GAIA-Partner ausgewählte Tierarten, ihre Interaktion und die Funktionsweise von Ökosystemen, in denen sie leben. Auf dieser Grundlage bauen und nutzen sie Hightech-Schnittstellen zu den Sinnen und der Intelligenz von Wächtertieren wie Geiern oder Raben, um kritische Veränderungen oder Vorfälle ihrer und unserer Umwelt schnell und effektiv zu erkennen. Dafür entwickeln sie eine neue Generation von Tiersendern mit sensornaher Künstlicher Intelligenz (KI), einer Kamera, energieeffizienter Elektronik und satellitengestützter Kommunikationstechnik.
Originalpublikation:
Portas R, Krofel M (2024): Spotted hyena (Crocuta crocuta) predation on passerine birds in Namibia. Food Webs 38 (2024) e00340. DOI: 10.1016/j.fooweb.2024.e00340

02.04.2024, Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie
Den Lebensraum mit Menschen teilen
Tiere können im menschlichen Umfeld leben, wenn sie Risiken gut einschätzen können. Alexis Breen vom Max-Planck-Institut (MPI) für evolutionäre Anthropologie und Dominik Deffner vom MPI für Bildungsforschung haben das Verhalten von Großschwanzgrackeln untersucht, einer Vogelart, die sich in den letzten Jahren erfolgreich über weite Teile des städtischen Nordamerikas ausgebreitet hat. Die Studie ergab, dass die Ausbreitung von männlichen Grackeln vorangetrieben wird, die dazu neigen, Risiken zu vermeiden. Diese Eigenschaft kommt ihnen in chaotischen Umgebungen wie Städten zugute. Die neuen Erkenntnisse liefern faszinierende Einblicke, wie und warum Tiere und Menschen zusammenleben können.
“Für Tiere ist das Zusammenleben mit dem Menschen eine riskante Angelegenheit. Doch einige Arten, wie zum Beispiel die Grackeln, kommen in einer von Menschen dominierten Umgebung eindeutig besser zurecht und suchen diese sogar gezielt auf. Wir wollten herausfinden, was das Erfolgsgeheimnis der Grackeln in der Stadt ist”, sagt Breen.
Die aktuelle Studie basiert auf neuen Analysen des Fressverhaltens dieser Vogelart. Deffner erklärt: “Städte sind chaotisch. Es gibt zwar viele Cafés, in denen Grackeln Nahrung finden, aber dort wimmelt es auch von unberechenbaren Menschen und ihren Haustieren. Um mit diesen Unsicherheiten zurechtzukommen, dachten wir, dass die Grackeln bei der Nahrungssuche eine ganz bestimmte Strategie verfolgen könnten.”
In drei verschiedenen Populationen untersuchten die Forschenden zunächst, wie schnell die Grackeln lernten, dass das Futter an einem ganz bestimmten Ort versteckt war und nicht an einem anderen. Dann untersuchten sie, wie schnell die Grackeln umlernten, wenn sich der Ort des Futters änderte.
Bei der Besiedlung von Städten auf Nummer sicher gehen
“Unser wichtigstes Ergebnis ist, dass die männlichen Grackeln in allen drei Populationen schneller lernten, an welchem neuen Ort sich das Futter befand, als ihre weiblichen Artgenossen. Männliche Grackeln scheinen bei der Futtersuche in unberechenbaren Umgebungen effizienter zu sein als Weibchen”, sagt Breen.
Warum das so ist? “Im Gegensatz zu den Weibchen sind die Männchen beim Lernen sehr risikobewusst. Sie achten sehr genau darauf, wo sie zuletzt Nahrung gefunden haben, und fressen dann lieber dort, als anderswo nach Nahrung zu suchen”, erklärt Deffner. Diese Strategie konnte das Forschungsteam mit Hilfe eines Simulationsmodells aus dem Fressverhalten der Grackeln ableiten.
“Das unterschiedliche Lernverhalten von männlichen und weiblichen Grackeln ist biologisch sinnvoll”, sagt Breen und fügt hinzu: “Bei dieser Vogelart sind es die Männchen, die sich ausbreiten und in neue Gebiete ziehen – sie führen die Besiedlung städtischer Lebensräume an. Als Anführer sollten männliche Grackeln also vorsichtig sein, denn neue Stadtviertel bringen neue Herausforderungen mit sich”. Das Autorenteam geht davon aus, dass später eintreffende Weibchen die gleichen Herausforderungen meistern, indem sie von den bereits etablierten und somit „erfahreneren“ Männchen lernen.
Risikobewusstsein hilft in unberechenbaren Umgebungen
Am Computer simulierten die Forschenden evolutionäre Prozesse und untersuchten, welche Lernstrategien in unberechenbaren Umgebungen wie Städten zum Erfolg führen. Deffner erklärt: „In der Simulation lernen die Tiere, wie sie in einer städtischen Umgebung Nahrung finden. Die Lernstrategie, die sie bei der Futtersuche anwenden, bestimmt, wie viel Nahrung ihnen zur Verfügung steht. Wie viel sie fressen, bestimmt wiederum, ob sie Nachwuchs bekommen, der auf eine ähnliche Weise lernt. So werden über viele Generationen die Tiere mit der besten Lernstrategie die städtische Umwelt dominieren. Diese ‚Gewinner‘ geben uns eine Vorstellung davon, wie Tiere generell im Anthropozän gedeihen können.”
Welche Strategie bevorzugen Lernende in städtischen Umgebungen? „Auffällig ist, dass Risikobewusstsein in unsicheren Situationen zum Erfolg führt. Das deutet darauf hin, dass risikobewusste Individuen, wie die männlichen Grackeln, besser an chaotische Umgebungen angepasst sind, unabhängig davon, ob diese Bedingungen von Menschen verursacht wurden oder nicht“, sagt Breen.
“Unsere Studie zeigt überzeugend, wie und warum Grackeln in unvorhersehbaren städtischen Umgebungen gedeihen”, schlussfolgert Breen. “Wir verbinden die geschlechtsspezifischen Unterschiede in den Lernstrategien von Grackeln mit den geschlechtsspezifischen Unterschieden in der Frage, wer die Ausbreitung ihrer Art in städtische Lebensräume anführt. Und wir zeigen, dass Risikobewusstsein wahrscheinlich eine gute Strategie für viele Tiere ist, die mit Menschen zusammenleben“.
Um zukünftige Studien zur Koexistenz von Mensch und Tier zu erleichtern, hat das Forschungsteam ein Online-Repositorium eingerichtet, das Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftern sowie der Öffentlichkeit freien Zugang zu den eigens entwickelten Modellierungswerkzeugen bietet. “Wir hoffen, dass diese Open-Science-Ressource auch für andere nützlich sein wird“, sagt Deffner.
Originalpublikation:
Alexis J. Breen, Dominik Deffner
Risk-sensitive learning is a winning strategy for leading an urban invasion
eLife, 02 April 2024, https://doi.org/10.7554/eLife.89315

03.04.2024, BUND
Junge Wildkatzen im Wald lassen
BUND vermittelt im Notfall Hilfe
Im Frühjahr streifen Jungtiere der Europäischen Wildkatze durch Wälder
Verwechslungsgefahr mit grau-getigerten Hauskätzchen groß
Richtige Betreuung der Jungtiere aufwändig und Aufgabe von Profis

Es ist wieder so weit: In viele Wäldern Deutschlands tummeln sich aktuell Jungtiere der Europäischen Wildkatze. Jedes Frühjahr wiederholt sich jedoch ein fataler Fehler: Spaziergänger*innen treffen im Wald auf diese kleinen grau-getigerten Kätzchen und halten sie versehentlich für ausgesetzte Hauskatzen. Sie nehmen die scheinbar verlassenen Jungtiere mit, obwohl sich diese in den meisten Fällen in keiner Not befinden. Oft ist ihre Mutter nur auf Mäusejagd. So beginnt eine schwerwiegende Odyssee für die jungen Wildkatzen, die sogar zum Tod der kleinen Kätzchen führen kann. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) warnt Spaziergänger*innen davor, die kleinen Wildkatzen mit nach Hause zu nehmen.
Friederike Scholz, Leiterin des Projektes „Wildkatzen – Vorsicht Verwechslungsgefahr!“ beim BUND: „Die Europäische Wildkatze ist ein gefährdetes Wildtier und steht unter Artenschutz. Die Mitnahme von Jungtieren aus der freien Natur und ihre Haltung in Privathaushalten ist daher verboten. Wildkatzen reagieren sehr empfindlich gegenüber handelsüblichem Katzenfutter, Medikamenten und diversen Katzenkrankheiten. Daheim oder in Tierheimen können die Jungkatzen daher schnell sterben. Deshalb sollten die Jungtiere unbedingt im Wald bleiben.“
Aufwand für Wildtier-Auffangstationen enorm
Die Wildkatzenjungtiere müssen von Fachleuten in speziellen Einrichtungen betreut werden. Meistens übernehmen Wildtierauffangstationen oder Expert*innen in Tierarztpraxen diese Aufgaben. Für die meist ehrenamtlich arbeitenden Menschen können im Frühjahr die vielen aus dem Wald entnommenen Kätzchen zu einer großen Herausforderung werden.
Scholz: „Die Wildkatzenfachleute leisten unglaubliche Arbeit. Die richtige Versorgung, Aufzucht und Wiederauswilderung einer Wildkatze kostet die ohnehin oft überlasteten Wildtierstationen viel Arbeit, Zeit und auch Geld. Durchschnittlich 3.000 Euro und 165 Stunden Arbeitszeit kann pro Jungtier angesetzt werden*. Vorausgesetzt, dass das Kätzchen die Trennung von seiner Mutter überhaupt überlebt und später wieder in die freie Wildbahn ausgewildert werden kann. Indem gesunde, graugetigerte Kätzchen im Wald belassen werden, ersparen wir den Tieren unnötiges Leid und entlasten die Wildtierauffangstationen.“
Hilfe bei der Unterscheidung zu Hauskatzen und Notfalltelefon
Der BUND klärt zur Verwechslungsgefahr auf und vermittelt Nothilfe, falls unklar ist, ob eine Wildkatze tatsächlich Hilfe braucht oder doch versehentlich eine Jungkatze aus dem Wald entnommen wurde. Kurze BUND-Videos und Infomaterialien zeigen die wichtigsten Unterschiede zwischen Wild- und Hauskatzen auf. Außerdem bietet der BUND einen ausführlichen Handlungsleitfaden an. Dieser hilft Wildkatzen zu erkennen und im Notfall die richtigen Schritte einzuleiten.
Notfalltelefon im Wildkatzendorf Hütscheroda: Täglich von 10 bis 18 Uhr erreichbar unter: 036254 / 86 51 80
*Angaben der Wildtier- und Artenschutzstation e.V. Sachsenhagen

04.04.2024, Universität Ulm
Weniger Artenvielfalt, mehr Krankheitserreger – Ulmer Studie untersucht Coronaviren-Dynamik bei Fledermäusen
Der Verlust von Biodiversität ist nicht nur ein Problem für die Natur, sondern auch für die Gesundheit des Menschen. So zeigt eine von der Universität Ulm geleitete Studie, dass ein Rückgang an Artenvielfalt die Ausbreitung von potenziell zoonotischen Krankheitserregern begünstigt. Untersucht wurde in der Studie, wie sich Veränderungen in der Zusammensetzung von Fledermausgemeinschaften auf die Verbreitung von Coronaviren auswirkt. Veröffentlicht wurde die von der DFG geförderte Studie im Fachmagazin Nature Communications.
Das westafrikanische Land Ghana ist bekannt für seine artenreiche Tierwelt, insbesondere für die Vielfalt seiner Fledermauspopulationen. Doch der Klimawandel und vermehrte Eingriffe des Menschen in die Natur etwa durch Abholzung gefährden die Biodiversität in der Sub-Sahara-Region. Dass dies nicht nur massive ökologische Konsequenzen hat, sondern auch gesundheitliche, belegt eine von Biologen und Biologinnen der Uni Ulm geleitete Studie. Das internationale Forschungsteam, an dem Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus Deutschland, Tschechien, Australien und Ghana beteiligt waren, hat analysiert, wie sich die Zusammensetzung von höhlenlebenden Fledermausgemeinschaften auf die Verbreitung von Coronaviren auswirkt. Über zwei Jahre hinweg wurden dafür in fünf Höhlen in Ghana mehr als 2300 Fledermäuse auf ihre Artzugehörigkeit untersucht und Kotproben analysiert.
„Da viele unterschiedliche Fledermausarten durch äußerliche Merkmale so gut wie nicht zu unterscheiden sind, mussten wir deren genetische Identität zunächst durch aufwändige molekulargenetische Untersuchungen bestimmen“, erklären die beiden Erstautoren der Studie, Dr. Magdalena Meyer und Dr. Dominik Melville vom Institut für Evolutionäre Ökologie und Naturschutzgenomik der Uni Ulm. „Die Tiere wurden dafür – mit größter Vorsicht und Sorgfalt – mit Netzen gefangen, beprobt, vermessen und gewogen und danach sofort wieder in die Freiheit entlassen“, erläutert Professor Marco Tschapka. Der Ulmer Fledermausexperte kommt aus dem gleichen Institut und hat die Feldarbeit vor Ort geleitet. Dank der morphologischen und genetischen Analysen konnte festgestellt werden, welche Fledermausarten in den untersuchten Populationen vorkommen und welche davon häufiger mit Krankheitserregern infiziert sind.
In den Höhlen wurden außerdem Kotproben der Fledermäuse gesammelt, die dann in der Charité in Berlin auf Infektionen mit Coronaviren untersucht wurden. Durchgeführt wurde das Virenscreening unter der Leitung des Berliner Virologen Professor Christian Drosten, der seit vielen Jahren mit den Ulmer Ökologen zusammenarbeitet.
Bekannt ist, dass Viren an potenzielle Wirtsarten unterschiedlich gut angepasst sind und deshalb von diesen in unterschiedlichem Maße übertragen werden können. Auch bei Fledermäusen gibt es demnach Arten, die besonders `kompetent´ sind und solche, die weniger `kompetent´ sind. „Bei unserer Untersuchung kam heraus, dass in weniger vielfältigen Fledermausgemeinschaften nur die besonders störungstoleranten Arten noch häufig anzutreffen waren. Und ausgerechnet diese gehören zu den `kompetenten´ Arten, die anfälliger für die untersuchten Viren sind und diese gut übertragen“, sagt Professorin Simone Sommer, Leiterin des Instituts für Evolutionäre Ökologie und Naturschutzgenomik der Universität Ulm, die die Studie koordiniert hat. Als Folge davon stieg das Infektionsrisiko innerhalb der gesamten Fledermauskolonie. Beobachtet wurde dieses Phänomen unter anderem für zwei besondere Coronaviren-Varianten: für die sogenannte Alpha-CoV 229E-like Variante, die einem menschlichen Erkältungsvirus ähnelt, als auch für die Variante Beta-CoV 2b, die mit dem SARS-Erreger verwandt ist.
„Alles in allem stützen unsere Ergebnisse das sogenannte `One Health´-Konzept. Dieses besagt, dass es eine enge Verbindung zwischen Umweltschutz, Tiergesundheit und menschlicher Gesundheit gibt“, so Sommer. Die Studie zeigt, wie Veränderungen in der Artenzusammensetzung von Wildtieren – ausgelöst durch menschliche Störungen in ihren Lebensräumen – die Verbreitung von Krankheitserregern begünstigen könnten. Der Schutz von Fledermäusen ist aber auch aus ökologischen Gründen wichtig. Erbringen diese artenreichen und sehr unterschiedlichen Tiere doch vielfältige Ökosystemleistungen: Sie regulieren Insektenpopulationen, bestäuben Pflanzen und verbreiten deren Samen. Der Erhalt und Schutz ihrer Lebensräume ist somit nicht nur von entscheidender Bedeutung für die Integrität unserer Ökosysteme, sondern trägt gleichzeitig zur Vorbeugung von Pandemien bei.
Die Geschichte hinter der Forschung
Das Forschungsteam wurde übrigens vom SpringerNature-Verlag zu einem „Behind the Paper“-Beitrag eingeladen, der Einblicke gibt in die wissenschaftliche Arbeit und Fragen aufgreift, die hinter dem Forschungsprojekt stehen: https://go.nature.com/4cCuMst
Originalpublikation:
Meyer, M., Melville, D.W., Baldwin, H.J. et al. Bat species assemblage predicts coronavirus prevalence. Nature Communications 15, 2887 (2024), published 04 April 24. https://doi.org/10.1038/s41467-024-46979-1

05.04.2024, Deutsche Wildtier Stiftung
Raus aus dem Winterschlaf: Das Tier des Jahres 2024 erobert die Gärten
Freie Bahn für Deutschlands Igel!
Die Tage werden immer länger und auch die letzten Igel erwachen aus dem Winterschlaf. Das Tier des Jahres 2024 muss gleich nach dem Aufwachen ordentlich fressen. Es braucht Energie, denn die anstrengende Paarungszeit steht an. In naturnahen Gärten finden die Insektenfresser ihre Beute: Laufkäfer, Ohrwürmer und andere Wirbellose stehen auf der Igel-Speisekarte. Allerdings hat der dämmerungs- und nachtaktive Wanderer ein Problem: Ihm fehlt der Zugang zu den Leckerbissen.
„Der Weg in naturnahe Gärten wird für den Igel zum Hindernislauf, wenn Zäune bis zum Boden reichen und Mauern keine Lücken zum Durchschlüpfen haben“, sagt Lea-Carina Mendel, Artenschützerin bei der Deutschen Wildtier Stiftung. Ausgebremst durch Zaun und Mauer sucht sich das Stacheltier dann andere Wege. Dabei gerät es schnell in Gefahr. „Ein hungriger Igel quetscht sich beispielsweise flach unter einem Drahtzaun hindurch und kann sich dabei verletzen. Oder er will auf der Suche nach Futter einen anderen Garten ansteuern, überquert dabei eine Straße und wird überfahren.“
Die Deutsche Wildtier Stiftung bittet Gartenbesitzer, Schutzmaßnahmen für das Tier des Jahres 2024 zu treffen. Denn schon mit einfachen Mitteln können Igelfreunde ihre Gärten barrierefrei gestalten. Mit nur drei Maßnahmen durchqueren die Igel ihren Lebensraum – unsere Gärten – auf direktem Weg. So sparen die Tiere Energie und werden nicht auf lebensgefährlichen Umwegen über Straßen geleitet.
Maßnahme 1: „Brauchen Sie eine Begrenzung für ihr Rasenstück, setzen Sie keinen Zaun, sondern pflanzen Sie eine dichte Hecke an“, bittet Lea-Carina Mendel. Hainbuche, Weißdorn, Wildrose oder Feldahorn – statt Kirschlorbeer und Thuja – eignen sich gut. Unter ihnen finden Igel Durchschlupf und Verstecke und unten im Blattwerk tummeln sich zudem Insekten als Igelnahrung. Auch eine Benjeshecke ist nützlich: „Unter den aufgeschichteten Zweigen kann der Igel sein Tagesquartier bauen und erbeutet gleichzeitig Insekten.“
Maßnahme 2: Stellen Sie dennoch Zäune auf, dann wählen Sie ein Modell, das dem Igel Durchschlupf gewährt. „Das sind Zäune, die nicht bis zum Boden reichen. Oder eine Latte im Holzzaun wird herausgenommen, am besten dort, wo keine Straße liegt“, rät Mendel. Steht ein Zaun bereits, sollte er einen Durchgang aufweisen. Ein Igel-Durchschlupf misst am besten mindestens 13 x 13 Zentimeter im Durchmesser. Mit Säge und scharfer Schere können Zäune auch nachträglich präpariert werden. „Achten Sie darauf, dass die Ränder des Durchgangs nach dem Schneiden sauber sind, damit sich kein Igel oder ein anderes Wildtier daran verletzt“, so Mendel.
Maßnahme 3: Überall dort, wo Gärten liegen, in der Dämmerung und nachts bremsbereit und vorausschauend fahren. „Gerade die Männchen haben in der Paarungszeit einen großen Bewegungsradius. Sie queren dabei die Straßen und sind nicht schnell genug, um sich vor heranrollenden Autos in Sicherheit zu bringen“, sagt Mendel.

Dieser Beitrag wurde unter Wissenschaft/Naturschutz veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert