Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

26.02.2024, Veterinärmedizinische Universität Wien
Wiener Forschungsteam entwickelt neuen Test, um die kognitiven Fähigkeiten von Fischen zu untersuchen
Der ostafrikanische Tanganjikasee ist weltweit für seine bunten Zierfische bekannt. Die Prinzessin von Tanganjika See (Neolamprologus pulcher), einer der beliebtesten dieser kleinen Buntbarsche, wurde nun von einen Wissenschaftsteam der Veterinärmedizinischen Universität Wien untersucht. Ziel war die erstmalige Entwicklung eines einfachen Tests, um die kognitiven Fähigkeiten für ein breites Spektrum von Fischen in ihrem natürlichen Lebensraum zu erforschen.
Die kognitiven Fähigkeiten variieren innerhalb und zwischen den Arten. Wissenschafter:innen schlagen mehrere Hypothesen vor, um diese Variation zu erklären. Zwei der bekanntesten Hypothesen zur Evolution der Kognition stellen einerseits die zunehmende soziale Komplexität und andererseits die Komplexität des Lebensraums mit höheren kognitiven Fähigkeiten in Zusammenhang.
Mehrere Studien haben die aus diesen beiden Hypothesen abgeleiteten Vorhersagen getestet, doch nur selten unter natürlichen Bedingungen mit Wildtieren und überhaupt nicht anhand von freilebenden Fischen. „Dies ist jedoch von besonderer Bedeutung, wenn wir kognitive Fähigkeiten mit fitnessrelevanten Faktoren verknüpfen wollen, um die Evolution der Kognition besser zu verstehen“, betont Studien-Erstautor Arne Jungwirth vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung (KLIVV) der Veterinärmedizinischen Universität Wien.
Erster Test zur Untersuchung der kognitiven Fähigkeiten von Fischen in ihrem natürlichen Lebensraum
Die größte Hürde bei der Bewertung der kognitiven Fähigkeiten in freier Wildbahn bestand bisher laut den Forscher:innen darin, einen geeigneten Aufbau zu finden, der unter Feldbedingungen einfach zu handhaben ist. Als Ziel setzte sich das Forschungsteam einen möglichst einfachen Test, der außerdem bei einer Vielzahl von Fischen in ihrem natürlichen Lebensraum eingesetzt werden kann.
Wie dies gelang, erklärt Studien-Letztautor Stefan Fischer vom KLIVV: „Wir entwickelten einen Umweg-Test, bei dem die Fische um ein Hindernis herumschwimmen mussten, damit sie eine Futterbelohnung erreichen.“ Indem die Verhaltensforscher:innen den Schwierigkeitsgrad der Aufgabe veränderten, bestätigten sie, dass dieses Verfahren ein gültiger Test ist um die kognitiven Fähigkeiten von wild lebenden Gruppen von Neolamprologus pulcher zu untersuchen.
Hypothesenprüfung bringt uneinheitliche Ergebnisse
Anschließend überprüften sie die spezifischen Vorhersagen der beiden Haupthypothesen zur kognitiven Entwicklung unter Verwendung der schwierigsten Testkonfiguration. „Insbesondere untersuchten wir die Unterschiede in den kognitiven Fähigkeiten von Gruppen unterschiedlicher Größe, die unterschiedlich komplexe Lebensräume bewohnen. Beide Hypothesen ließen sich im Rahmen dieser ersten Pilotstudie jedoch nicht eindeutig verifizieren“, so Arne Jungwirth. Allerdings betonen die Wissenschafter:innen, dass die von ihnen entwickelte Versuchsanordnung die Möglichkeit eröffnet, eine ganze Reihe von Forschungsfragen zu beantworten. Dazu Stefan Fischer: „Wir erwarten, dass der von uns entwickelte Test zu einem besseren Verständnis der Evolution kognitiver Fähigkeiten in der freien Natur beiträgt.“
Originalpublikation:
Der Artikel „Estimating Cognitive Ability in the Wild: Validation of a Detour Test Paradigm Using a Cichlid Fish (Neolamprologus pulcher)“ von Arne Jungwirth, Anna Horsfield, Paul Nührenberg und Stefan Fischer wurde in „Fishes“ veröffentlicht. https://www.mdpi.com/2410-3888/9/2/50

27.02.2024, Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig
Fische könnten aussterben, wenn sie aufgrund steigender Temperaturen ihr Jagdverhalten ändern
Fischarten reagieren auf höhere Temperaturen, indem sie leichter verfügbare Beute jagen. Dieses Verhalten könnte laut Modellrechnungen zum Aussterben von Arten führen.
Wenn es wärmer wird, verändern Fische ihr Beutejagd-Verhalten. Modellrechnungen deuten darauf hin, dass diese Verhaltensänderung das Aussterben von Arten wahrscheinlicher macht, so eine neue Studie in der Fachzeitschrift Nature Climate Change.
Die Forscherinnen und Forschern unter Leitung des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und der Friedrich-Schiller-Universität Jena fanden heraus, dass Fische in der Ostsee auf Temperaturerhöhungen reagieren, indem sie zunehmend die nächstbeste und einfach verfügbare Beute jagen. Das veränderte Jagdverhalten führte dazu, dass die Fische tendenziell kleinere und häufiger vorkommende Tiere fraßen, zum Beispiel kleine Krebstiere, Schlangensterne, Würmer und Weichtiere.
Wie viele andere Tiere brauchen auch Fische mehr Nahrung, wenn die Temperaturen steigen, weil sich ihr Stoffwechsel erhöht. Kleine, häufige Beutetiere sind eine schnell verfügbare Energiequelle. Aber dieses so genannte „flexible Nahrungsverhalten” kann dazu führen, dass Fische ihren langfristigen Energiebedarf schlechter decken als durch den Verzehr größerer und kalorienreicher Beute.
Diese Diskrepanz zwischen dem Energiebedarf eines Fisches und seiner tatsächlichen Nahrungsaufnahme könnte laut Modellberechnungen zu einem verstärkten Artensterben führen. Die Fische verhungern, weil sie nicht genug Energie aufnehmen. Diese Modellberechnungen lassen sich auch auf andere Tiergruppen anwenden. Sie zeigen, dass insbesondere Arten am oberen Ende der Nahrungsnetzes gefährdet sein könnten. Die Autorinnen und Autoren vermuten, dass das flexible Nahrungsverhalten die Lebensgemeinschaften anfälliger für den Klimawandel machen könnte.
„Man vermutet eigentlich, dass Arten ihre Nahrungssuche so anpassen, dass sie möglichst viel Energie aufnehmen“, erklärt Erstautor Dr. Benoit Gauzens von iDiv und der Universität Jena. „Aber unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Fische – und auch andere Tiere – in unerwarteter und ineffizienter Weise auf den Klimawandel reagieren könnten.“
Daten aus Fischmägen
Die Forscher analysierten Daten über den Mageninhalt von sechs wirtschaftlich wichtigen Fischarten mit unterschiedlichen Ernährungsstrategien, die alle in der Kieler Bucht gefangen wurden. So sind Plattfische wie die Flunder (Platichthys flesus) eher wartend-passive Raubfische, während der Dorsch (Gadus morhua) eher aktiv auf Nahrungssuche geht.
Die zwischen 1968 und 1978 ganzjährig gesammelten Daten gaben Aufschluss über die Ernährungsgewohnheiten der Fische und darüber, welche Beute sie bei unterschiedlichen Temperaturen in ihrer Nähe fanden. Die Mageninhalte zeigten, dass sich die Fische mit zunehmender Erwärmung allmählich von selteneren auf häufigere Beutetiere umstellten.
„Fischarten in der Ostsee und anderswo sind einer Vielzahl menschlicher Einflüsse ausgesetzt, zum Beispiel Überfischung oder Verschmutzung“, fügt Co-Autor Dr. Gregor Kalinkat vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) hinzu. „Die Auswirkung eines ineffizienteren Jagdverhaltens bei Erwärmung könnte ein weiterer, bisher übersehener Faktor sein, der bewirkt, dass sich Fischbestände nicht erholen können, selbst wenn Fangquoten deutlich reduziert werden.“
Auf Basis ihrer Erkenntnisse berechneten die Forscherinnen und Forscher, wie sich Veränderungen des Nahrungserwerbs auf andere Arten und das Ökosystem insgesamt auswirken. Dafür nutzten sie mathematische Nahrungsnetz-Modelle. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Änderungen des Jagdverhaltens bei steigenden Temperaturen zu einem vermehrten Aussterben von Fisch- und anderen Tierarten führen könnten, was sich wiederum auf andere Arten im Nahrungsnetz auswirken kann.
„Die Anpassung des Nahrungserwerbs an die örtlichen Bedingungen ist normalerweise ein wichtiger Faktor zur Erhaltung einer hohen Artenvielfalt“, sagt Gauzens. „Es ist daher verwunderlich, dass dies in Zusammenhang mit höheren Temperaturen möglicherweise nicht der Fall ist.”
Die neuen Erkenntnisse zu einem möglichem Aussterben von Fischen und anderen Tierarten aufgrund höherer Temperaturen sind bemerkenswert. Allerdings beruhen sie auf Berechnungen theoretischer Nahrungsnetz-Modelle. In Zukunft wollen die Forscherinnen und Forscher ihre Erkenntnisse durch Beobachtungen in natürlichen Ökosystemen überprüfen.
Originalpublikation:
Benoit Gauzens, Benjamin Rosenbaum, Gregor Kalinkat, Thomas Boy, Malte Jochum, Susanne Kortsch, Eoin J. O’Gorman, Ulrich Brose (2024). Flexible foraging behaviour increases predator vulnerability to climate change, DOI:10.1038/s41558-024-01946-y

27.02.2024, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
140 Dezibel lauter Mini-Fisch
Ein internationales Forschungsteam mit Senckenberg-Wissenschaftler Dr. Ralf Britz hat die nur etwa 12 Millimeter große Fischart Danionella cerebrum untersucht. Die Fische können trotz ihrer geringen Größe körpernah Lautstärken von über 140 Dezibel erzeugen – vergleichbar mit einem Düsentriebwerk beim Flugzeugstart in 100 Meter Entfernung. In ihrer im Fachjournal „PNAS“ erschienenen Studie zeigen die Forschenden, dass die transparenten Fischchen über einen besonderen Schallerzeugungsapparat verfügen. Die Tiere nutzen die Laute vermutlich, um in trüben Gewässern mit Artgenossen zu kommunizieren.
Bis zu 250 Dezibel laut ist der Knall, den der Pistolenkrebs mit seinen Scheren erzeugt. Der flugunfähige Kakapo bringt es bei seinen Balzrufen auf 130 Dezibel und Elefanten erzielen mit ihren Rüsseln Lautstärken von bis zu 125 Dezibel. „Fische gelten dagegen gemeinhin eher als leise Vertreter im Tierreich“, erklärt Dr. Ralf Britz von den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen in Dresden und fährt fort: „Dabei gibt es auch Fischarten, die erstaunlich laut werden können. So lockt beispielsweise der männliche Nördliche Bootsmannfisch seine Weibchen mit einem hörbaren Vibrato von etwa 100 Hertz und 130 Dezibel an.“
Britz und ein internationales Forschungsteam haben unter der Leitung von Benjamin Judkewitz von der Charité in Berlin in ihrer aktuellen Studie die nur etwa 10 bis 12 Millimeter lange Fischart Danionella cerebrum untersucht. „Dieser winzige Fisch kann Töne von über 140 Dezibel in einer Entfernung seiner Körpergröße erzeugen – das ist vergleichbar mit der Lautstärke, die man als Mensch in 100 Meter Entfernung beim Start eines Flugzeuges empfindet und ziemlich ungewöhnlich für ein Tier solch geringer Größe. Wir wollten verstehen, wie er das schafft und welche Mechanismen hierfür verantwortlich sind“, erläutert der Dresdner Ichthyologe.
Mithilfe einer Kombination aus Hochgeschwindigkeitsvideos, Mikro-Computertomographie, Genexpressionsanalysen und Finite-Differenzen-Verfahren zeigen die Forschenden, dass die Männchen der Danionella-Art über einen einzigartigen Schallerzeugungsapparat verfügen, der einen Trommelknorpel, eine spezielle Rippe und einen ermüdungsresistenten Muskel umfasst. „Dieser Apparat beschleunigt den trommelnden Knorpel mit g-Kräften von über 2.000 und schießt ihn auf die Schwimmblase, um einen schnellen, lauten Impuls zu erzeugen. Diese Impulse werden aneinandergereiht, um Rufe mit entweder beidseitig abwechselnden oder einseitigen Muskelkontraktionen zu erzeugen“, ergänzt Britz.
Die lebenslang transparenten – und als Modellorganismus für die biomedizinische Forschung genutzten – Fische sind in flachen und trüben Gewässern Myanmars heimisch. „Wir gehen davon aus, dass der Wettbewerb zwischen den männlichen Tieren in dieser optisch eingeschränkten Umgebung zur Entwicklung des speziellen Mechanismus für die akustische Kommunikation beigetragen hat“, so Britz.
Die Studienergebnisse stellen die herkömmliche Vorstellung, dass die Geschwindigkeit der Skelettbewegungen von Wirbeltieren durch die Muskelbewegung begrenzt ist in Frage. „Das Verständnis der außergewöhnlichen Anpassung von Art Danionella cerebrum erweitert unser Wissen über die Bewegung von Tieren und unterstreicht die bemerkenswerte Vielfalt der Antriebsmechanismen bei verschiedenen Arten. Dies trägt zu einem breiteren Verständnis der Evolutionsbiologie und Biomechanik bei“, so das Team und gibt einen Ausblick: „Die von den anderen Danionella-Arten erzeugten Laute wurden bislang noch nicht im Detail untersucht – es wäre interessant zu erfahren, wie sich der Mechanismus ihrer Lauterzeugung unterscheidet und wie diese Verschiedenheiten mit der evolutionären Anpassung zusammenhängen. In Kombination mit ihrer lebenslangen Transparenz bietet die Gattung Danionella eine einzigartige Gelegenheit, die neuronalen Mechanismen, die den Lautäußerungen zugrunde liegen, zwischen den Arten zu vergleichen.“
Originalpublikation:
Verity A. N. O. Cook et. Al. (2024): Ultrafast sound production mechanism in one of the smallest vertebrates. PNAS. 121 (10) e231401712
https://doi.org/10.1073/pnas.2314017121

28.02.2024, Georg-August-Universität Göttingen
Elefanten, Giraffen & Co fördern vielfältige Ökosysteme
Forschungsteam zeigt mit Meta-Analyse enorme ökologische Bedeutung großer Pflanzenfresser
Elefanten in Europa, Riesen-Wombats in Australien und Bodenfaultiere in Südamerika – solche großen Pflanzenfresser prägten viele Millionen Jahre lang die Ökosysteme an Land. Viele starben aus, als der Mensch sich global ausbreitete. Welche dramatischen Folgen das für die Ökosysteme hatte, ist nicht vollständig geklärt. Im Vergleich zu früher sind große Pflanzenfresser selten geworden. Heute sind die Arten mit weniger Individuen vertreten und viele sind vom Aussterben bedroht.
Dabei beeinflussen wildlebende große Pflanzenfresser die Ökosysteme weiterhin in vielerlei Hinsicht von den Böden über die Pflanzen und kleineren Tiere bis zur strukturellen Vielfalt der Landschaft. Das zeigt ein internationales Team unter der Leitung von Forschenden der Universitäten Göttingen und Aarhus (Dänemark) mit einer Meta-Analyse über sechs Kontinente hinweg. Sie kommen zu dem Schluss, dass Schutz- und Wiederherstellungsmaßnahmen große Pflanzenfresser einbeziehen sollten – auch, um Ökosysteme widerstandsfähiger gegen den Klimawandel zu machen. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Nature Ecology & Evolution veröffentlicht.
Um bisherige Erkenntnisse zu den Auswirkungen großer Pflanzenfresser auf Ökosysteme übergreifend zu analysieren und zu verallgemeinern, trugen die Forschenden Daten von 279 Studien aus Afrika, Asien, Australien, Europa sowie Nord- und Südamerika zusammen. Es handelte sich dabei vor allem um sogenannte Exclosure-Studien. Hierbei zäunen Forschende Teile eines Untersuchungsgebiets ein, um zu verhindern, dass große Tiere eindringen. Durch den Vergleich von Bereichen mit und ohne Megafauna lässt sich dann beurteilen, wie die Tiere das Ökosystem verändern. Meta-Analysen gelten als besonders aussagekräftig, denn sie greifen auf große Datenbestände zurück und ermöglichen Schlussfolgerungen über einen lokalen Kontext hinaus.
Wie sich zeigte, prägen große Pflanzenfresser ein breites Spektrum ökologisch wichtiger Parameter: Sie verschieben Nährstoffe zwischen den Pflanzen und dem Boden, fördern eine halboffene bis offene Vegetation wie in Savannen oder Steppen, regulieren die Populationsgrößen kleinerer Tiere und haben Einfluss auf die Zusammensetzung von Tier- und Pflanzenarten. Zudem schaffen sie strukturelle Unterschiede in der Vegetation, indem sie pflanzliche Biomasse fressen, holzige Pflanzen zerbrechen und kleinere Pflanzen zertrampeln. „Der positive Einfluss auf die Variabilität der Vegetationsstruktur ist besonders bemerkenswert, denn die Verschiedenartigkeit der Umwelt gilt als Treiber der Biodiversität“, sagt Erstautor Jonas Trepel, Doktorand an der Universität Aarhus. Die Körpergröße spielt dabei eine entscheidende Rolle, fanden die Forschenden heraus: Pflanzenfresser-Gemeinschaften mit größeren Arten erhöhen die Vielfalt der Pflanzenarten eher, während Gemeinschaften mit kleineren Arten sie verringern.
Die ökologische Bedeutung großer Pflanzenfresser heißt im Umkehrschluss, dass mit ihnen auch wichtige Funktionen des Ökosystems verlorengehen. „In den meisten Schutzgebieten fehlen große Pflanzenfresser. Ihre Wiederansiedlung könnte diese Gebiete dynamischer gestalten und an Störungen gewöhnen“, sagt Trepel und fährt fort: „Strukturell vielfältige Ökosysteme bieten Tieren Rückzugsorte, etwa bei extremen Wetterereignissen, und ökologische Nischen für verschiedene Arten. Das kann verhindern, dass einzelne oder wenige Arten dominieren. Stattdessen können Arten mit ähnlichen ökologischen Ansprüchen koexistieren. Das macht Ökosysteme widerstandsfähiger, auch gegen die Folgen des Klimawandels.“
Prof. Dr. Johannes Kamp von der Abteilung Naturschutzbiologie der Universität Göttingen war an der Studie beteiligt. Er betont: „Angesichts der enormen Bedeutung großer Pflanzenfresser ist es zum Schutz unserer Biosphäre entscheidend, die wenigen verbliebenen Arten zu schützen. Auch eine angepasste Beweidung durch Haustiere kann stellenweise positive Effekte auf die biologische Vielfalt und Ökosystemfunktionen haben.“
Originalpublikation:
Trepel, J. et al. Meta-analysis shows that wild large herbivores shape ecosystem properties and promote spatial heterogeneity. Nature Ecology & Evolution (2024). https://doi.org/10.1038/s41559-024-02327-6

29.02.2024, Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels
Studie zur Verbreitung von bedrohter Schildkrötenart liefert Basis für Schutzprogramm
Erhaltungszuchtprogramme sollen den Schutz der vom Aussterben bedrohten Gefleckten Weichschildkröte unterstützen. Um mehr über ihr Vorkommen auf dem indochinesischen Festland zu erfahren, haben Forschende jetzt eine Studie zur Habitateignung und zu Verbreitungsmustern im Fachjournal Nature Conservation veröffentlicht. Für die Ermittlung prioritärer Schutzgebiete kombiniert die Studie molekulare Analysen und Modellierungen der Artenverbreitung.
Die Studie ist unter Beteiligung der Vietnamesischen Akademie für Wissenschaft und Technologie (VAST), der Vietnam National University Hanoi und des Asian Turtle Programs (Vietnam), sowie des Kölner Zoos und des Leibniz-Instituts zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB) erschienen.
Die Gefleckte Weichschildkröte (Pelodiscus variegatus) ist seit 2019 aus Vietnam und von der Insel Hainan, China, bekannt. In diesen Ländern gilt sie als Delikatesse. Allein in China werden jedes Jahr Hunderte von Millionen Schildkröten gehandelt, was sie zu den am häufigsten konsumierten Schildkröten der Welt macht. Lebensraumverlust und -verschlechterung, Konkurrenz mit nicht heimischen Schildkrötenarten und Verschmutzung des Lebensraumes sind weitere Gründe für den Rückgang der Art.
Obwohl mehrere Schutzgebiete in Vietnam offenbar geeignete Lebensräume für diese Schildkrötenart bieten, konnten die Forschenden in keinem der untersuchten Gebiete Populationen feststellen. „Wir gehen deshalb davon aus, dass die Gefleckte Weichschildkröte besonders vom Aussterben bedroht ist“, betont PD Dr. Dennis Rödder, Kurator der Herpetologie am Museum Koenig Bonn des LIB.
Die Ergebnisse der ökologischen Modellierungen zeigen, dass Pelodiscus variegatus auch möglicherweise in Laos vorkommt. „An der Grenze zwischen Vietnam und Laos sowie in Feuchtgebieten konnten wir sie jedoch nur lückenhaft nachweisen“, beschreibt Rödder die Modellierung.
Vietnamesische Naturschützer haben in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Thomas Ziegler vom Kölner Zoo in Vietnam Erhaltungszuchtprogramme ins Leben gerufen, um die durch übermäßigen Verbrauch, Lebensraumverlust und Vermischung mit invasiven Arten bedrohten Populationen der Gefleckten Weichschildkröte zu retten.
Die Forschenden haben das Verbreitungsgebiet und den Erhaltungszustand der Gefleckten Weichschildkröte auf Grundlage einer Literaturstudie, von Feldstudien in ganz Vietnam und genetischen Untersuchungen gesammelter Proben errechnet. Die Daten wurden verwendet, um das potenzielle Verbreitungsgebiet der Art in Vietnam zu modellieren.
Um die natürlichen Populationen der Art wiederherzustellen, haben das Institut für Ökologie und biologische Ressourcen (IEBR, VAST) in Vietnam und der Kölner Zoo ein landesinternes Erhaltungszuchtprogramm gestartet. Ende 2023 wurden bereits 50 junge und gesunde Schildkröten in Nordvietnam an einem Standort mit geeignetem Klima und Lebensraum in die Freiheit entlassen.
Aufgrund der Ergebnisse der Studie besteht die Hoffnung, dass weitere Individuen in geschützten Gebieten in Nord-Zentral-Vietnam, dem Verbreitungszentrum der Gefleckten Weichschildkröte, wieder angesiedelt werden können. So will das Konsortium den Rückgang der Art eindämmen und einen weiteren Beitrag zur weltweiten „Reverse the Red“-Bewegung leisten – durch die Anwendung des „One Plan Approach to Conservation“ der IUCN, bei dem alle verfügbaren Expertisen zum optimalen Artenschutz zusammenwirken.
Weichschildkröten der Gattung Pelodiscus sind von Südostsibirien über China bis nach Vietnam weit verbreitet. Ihr Verbreitungsgebiet hat sich jedoch durch menschliche Transporte und Zuchtaktivitäten bis nach Indonesien, Nordaustralien, Westeuropa, Nordamerika, Hawaii und Mauritius ausgedehnt.
Traditionell galt diese Gattung als monotypisch, das heißt mit nur einer anerkannten Art, der Chinesischen Weichschildkröte (Pelodiscus sinensis). Neuere Forschungen haben jedoch gezeigt, dass die Gattung sehr viel vielfältiger ist und der Wissenschaft mindestens sieben Arten bekannt sind, die folglich auch kleiner Verbreitungen haben und stärker bedroht sind.
„Aufgrund ihrer morphologischen Ähnlichkeit, der sich ausdehnenden Siedlungen und landwirtschaftlichen Aktivitäten, der Übernutzung und aufgrund der aquatischen Lebensweise ist es oft schwierig, sie in ihrem natürlichen Lebensraum zu studieren, um ihre Verbreitung sowie ihren Bestand und ihren Erhaltungszustand besser zu verstehen“, so Rödder. „Leider ist bisher nur ein Teil des potenziellen Verbreitungsgebiets der Art geschützt, und es sind keine Nachweise aus geschützten Gebieten bekannt, was die Notwendigkeit erweiterter oder sogar neuer Schutzgebiete unterstreicht.“
Originalpublikation:
Climatic niche modelling and genetic analyses highlight conservation priorities for the Spotted Softshell Turtle (Pelodiscus variegatus). Nature Conservation 55: 67-82. (Le MD, Rödder D, Nguyen TT, The Pham C, Nguyen TQ, Ong AV, McCormack TEM, Nguyen TT, Le MH, Ngo HT, Ziegler T (2024) https://doi.org/10.3897/natureconservation.55.114746

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