Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

30.01.2024, Universität Konstanz
Den Rüssel stets im Blick behalten
Ganz ähnlich wie wir Menschen beim Greifen nach Gegenständen nutzt das Taubenschwänzchen den Sehsinn, um seinen langen Rüssel auf der Suche nach Nektar zielgenau in der Blüte zu platzieren – so das Ergebnis einer Studie Konstanzer Biolog*innen. Das macht den Falter zu einem spannenden Modellorganismus für die Erforschung der visuellen Steuerung von Gliedmaßen.
Haben Sie schon einmal ein Taubenschwänzchen gesehen? Bei der ersten Begegnung sorgt dieser Falter oft für Verwunderung: Von seinem Aussehen her irgendwo zwischen Schmetterling und Vogel erstaunt das Tier außerdem durch seine Fähigkeit, wie ein Helikopter längere Zeit an ein und derselben Stelle zu schweben. Bei genauer Betrachtung fällt schnell ein weiteres Merkmal des Taubenschwänzchens ins Auge: der spiralförmig eingerollte Rüssel, der genauso lang ist wie das Tier selbst. Mit ihm saugt der Falter Nektar aus Pflanzenblüten, indem er den Rüssel im Flug durch winzige Öffnungen in die Nektarien der Blüten führt.
Dass ihm dies scheinbar mühelos und in Sekundenschnelle gelingt, ist bewundernswert. „Das ist, als würden Sie versuchen, im Stehen mit einem langen Strohhalm die Öffnung einer Getränkedose am Boden zu treffen“, vergleicht Anna Stöckl, Biologin an der Universität Konstanz. In einer aktuellen Studie in der Fachzeitschrift PNAS untersuchten sie und ihre Kolleg*innen, welche Sinnesinformationen die Schmetterlinge für diese zielgenaue Steuerung des Rüssels verwenden. Sie fanden heraus, dass die Tiere – ganz ähnlich wie wir Menschen beim Greifen mit der Hand – durchgängig ihren Sehsinn (visuelles Feedback) nutzen, um die Bewegung des Rüssels auf dem Weg zum Nektar zu kontrollieren und gegebenenfalls zu korrigieren. Diese aufwändige Form der Gliedmaßensteuerung war bisher vor allem von Tieren mit vergleichsweise großem Gehirn – wie Affen oder Vögeln – bekannt.
In „Zeitlupe“ auf den Rüssel geschaut
Den Nachweis, dass sie auch bei Insekten vorkommt, erbrachten die Forschenden durch ausgefeilte Verhaltensexperimente, in denen Taubenschwänzchen beim Anflug auf künstliche Blüten mit Hochgeschwindigkeitskameras aufgezeichnet wurden. So konnten die genauen Positionen von Körper, Kopf und Rüssel der Falter mit hoher zeitlicher Auflösung ermittelt werden, während die Tiere auf der Suche nach Nektar waren. Dabei ist bekannt, dass Taubenschwänzchen sichtbare Muster in den Blüten nutzen, die sie mit ihrem Rüssel gezielt abtasten, um schneller an den Zuckersaft zu gelangen.
Die Bewegungsanalysen ergaben zunächst, dass Taubenschwänzchen ihren Rüssel nur etwa eineinhalb Zentimeter vor- und zurück- und so gut wie gar nicht seitwärts bewegen können. Die grobe Positionierung des Rüssels in der Blüte wird deshalb durch Bewegung des gesamten Körpers im Flug reguliert. Die kleineren Bewegungen des Rüssels selbst dienen dagegen der Feinsteuerung zum gezielten Abtasten des Blütenmusters. „Das ist ganz ähnlich wie bei unseren Fingern, die wir, abgesehen vom Daumen, ebenfalls vor allem vor- und zurückbewegen können. Trotzdem können wir mit ihnen sehr komplexe Bewegungsmuster im Raum durchführen, indem wir die Hand für die grobe Richtungsgebung mitbewegen – beispielsweise beim Klavierspielen“, so Stöckl.
Insektengehirne sind Meister in Sachen Effizienz
Doch es bestand noch eine weitere Ähnlichkeit zum Menschen: Genau wie wir, die wir bei ungeübten Handbewegungen genau hinschauen müssen, während sich unsere Finger zum Ziel bewegen, benötigten die Taubenschwänzchen durchgängig visuelle Information, um ihren Rüssel zielgenau zum Nektar zu manövrieren. Wurden ihre Augen in Richtung Rüssel verdeckt, fanden die Falter zwar noch mit dem Rüssel ins Blüteninnere, sie tasteten dieses aber nicht mehr entlang des Blütenmusters ab, sondern wahllos. Die Suche nach dem Zuckersaft dauert so im Zweifelsfall länger.
Dass die Falter visuelles Feedback für die Feinsteuerung ihres Rüssels verwenden war ein Stück weit überraschend, denn solch ein Echtzeitabgleich zwischen dem Gesehenen und der Rüsselbewegung im Raum ist rechnerisch aufwändig. Insekten besitzen jedoch mit weniger als einer Million Nervenzellen ein vergleichsweise einfaches Nervensystem. „Die Insekten müssen für diese Aufgabe mit einem winzigen Bruchteil der Verarbeitungskapazität auskommen, die zum Beispiel unserem Nervensystem zur Verfügung steht“, so Stöckl. Gerade das macht sie jedoch als Modellorganismus für die Erforschung der visuellen Steuerung von Gliedmaßen hochinteressant. „Und nicht nur das! Auch für Anwendungen, beispielsweise in der Robotik, sind diese kleinen Gehirne und ihre effiziente Arbeitsweise spannende Vorbilder. Wir können viel vom Taubenschwänzchen lernen“, ergänzt Stöckl.
Originalpublikation:
S. Kannegieser, N. Kraft, A. Haan & A. Stöckl (2024) Visual guidance fine-tunes probing movements of an insect appendage. PNAS; doi: 10.1073/pnas.2306937121

31.01.2024, Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde
Rückgang von Insekten in naturnahen Wäldern
Eine aktuelle Studie der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) mit dem Titel „Long-term drought triggers severe declines in carabid beetles in a temperate forest.“ (Dürreperioden (oder: Trockenjahre) führen zum Rückgang von Insekten auch in naturnahen Wäldern) bestätigt den besorgniserregenden Rückgang von Insekten auch in naturnahen Ökosystemen. Seit 2015 ist die spezifische Biomasse um 89% zurückgegangen. Diese Abnahme korreliert mit den Dürreperioden im letzten Jahrzehnt.
Über 24 Jahre haben Prof. Dr. Andreas Linde und Doktorand Fabio Weiß die Veränderungen bei bodenlebenden Insekten (Laufkäfern) in einem naturnahen Waldgebiet nördlich Berlins dokumentiert. Obwohl dieser Wald kaum genutzt wurde, fanden die Autoren der Studie eine signifikante Abnahme der Anzahl und Biomasse der Käfer sowie Veränderungen in der Artenzusammensetzung.
Die Ergebnisse bestätigen die Hinweise auf einen fortschreitenden Rückgang von Insekten auch in naturnahen Ökosystemen und belegen die zunehmenden Wetteranomalien und Trockenjahre als wichtige Faktoren (Treiber). Eine der vermutlichen Ursachen des globalen Rückgangs von Insekten ist der Klimawandel und die damit einhergehenden, in den letzten Jahrhunderten beispiellosen Dürreperioden in Europa. Deren Einfluss auf Insekten in Waldökosystemen war bislang wenig untersucht.
„Ich war zunächst skeptisch, was Berichte über das Insektensterben angeht, da die Insektenpopulationen in unserem Untersuchungsgebiet lange stabil erschienen. Die plötzlichen und starken Rückgänge im Zusammenhang mit den Dürrejahren sind aber nicht zu leugnen.“ Sagt Prof. Dr. Andreas Linde. Er ist Professor für Angewandte Ökologie und Zoologie an der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Seit 1995 erfasst er mit Studierenden Insektendaten in einem Waldgebiet bei Eberswalde.
Fabio Weiß, Doktorand an der HNEE und der Leuphana Universität Lüneburg, forscht zu Langzeitentwicklungen bei Waldinsekten in Deutschland und ergänzt: „Ich bin überzeugt, dass wir hier Auswirkungen des Klimawandels sehen.“
Diese Studie ist eine der ersten, die die Auswirkungen der jüngsten Trockenjahre und Hitzewellen auf Waldinsekten in Mitteleuropa dokumentiert. Veröffentlicht wurde sie in der internationalen Fachzeitschrift Ecography (peer-reviewed). Sie wird von der Nordic Society Oikos und Wiley herausgegeben. Sie publiziert zu Forschung über ökologische und biodiversitätsbezogene Muster in Raum und Zeit.
Originalpublikation:
Die Studie “Long-term drought triggers severe declines in carabid beetles in a temperate forest”
steht unter https://doi.org/10.1111/ecog.07020 zur Verfügung

01.02.2024, Deutsche Wildtier Stiftung
Zum Tag der Feuchtgebiete: Nach Regen und Hochwasser finden Amphibien gute Laichplätze und Watvögel viel Nahrung
Hamburg

Hochwasser und Dauerregen haben vielen Menschen in den letzten Monaten schwer zu schaffen gemacht. Viele kämpfen noch immer mit den Folgen. Zahlreiche Wildtiere starben. Dennoch gibt es Gewinner in der Natur – die tierischen Bewohner von Feuchtgebieten. Sie stehen am 2. Februar im Fokus: am Tag der Feuchtgebiete – dem Jahrestag der Ramsar-Konvention von 1971, einem Übereinkommen über den Erhalt der Lebensräume von Wasser-, Wat- und Wiesenvögeln.
Feuchtgebiete sind global bedroht. So verliert beispielsweise mehr als jeder zweite große See weltweit dauerhaft Wasser, vermeldeten im letzten Sommer amerikanische Forscher. Für Deutschland gibt es zumindest in diesem Winter eine gute Nachricht: Der Wasserstand vieler naturnaher Sölle, Teiche, Moore, Flüsse oder Bäche konnte durch den anhaltenden Regen (im November 2023 etwa im Schnitt 126 Liter pro Quadratmeter, im Jahr zuvor dagegen nur 50 Liter) und das Hochwasser kurzfristig wieder ansteigen. „Humusreiche und damit durchlässige Böden speichern das Wasser und der Grundwasserspiegel kann nach und nach steigen“, sagt Sophia Lansing, Biologin bei der Deutschen Wildtier Stiftung. „Ein nasser Winter allein reicht zwar nicht aus, um die vergangenen sehr trockenen Jahre auszugleichen, auch ist die Situation je nach Region unterschiedlich. Aber temporär kann der Dauerregen vielen Wildtieren helfen, die auf Wasser angewiesen sind.“
So profitieren verschiedene Vögel vom Nass: Watvögel stochern beispielsweise in feuchten Wiesen nach Nahrung. Ist der Boden ausreichend durchfeuchtet, finden Kiebitz oder Großer Brachvogel genug Würmer, um sich und ihre Jungen zu versorgen. Im Frühjahr beginnt für sie die Brutzeit. Beide Vogelarten stehen auf der Roten Liste der Vögel Deutschlands in der Kategorie „vom Aussterben bedroht“. Auch der Nachwuchs des Kranichs ist vor Angriffen von Beutegreifern wie etwa dem Fuchs geschützt, wenn das Nest von Wasser umgeben ist.
Und auch Amphibien zählen zu den Gewinnern. „Wenn Erdkröten, Moorfrösche, Grasfrösche und Teichmolche bald langsam aus ihrer Winterstarre erwachen, dürften sie gute Bedingungen an ihren Stammgewässern vorfinden“, sagt Lansing. In und an frisch gefluteten Seen, Pfützen oder Teichen erbeuten sie Insekten, Spinnentiere oder Schnecken. „Bleibt der gute Zustand der Gewässer bis in den Frühling und Sommer erhalten, können Frösche, Molche und Kröten dort wunderbar ablaichen und der Laich kann sich gut entwickeln“, sagt die Biologin. Ein wichtiger Faktor für die Biodiversität, denn mehr als die Hälfte der 21 Amphibienarten in Deutschland sind gefährdet. So auch der Moorfrosch.
Ihn und weitere bedrohte Arten schützt die Deutsche Wildtier Stiftung auf ihren Wildnis- und Nationale Naturerbe-Flächen (NNE). Sie leistet damit einen Beitrag zur Umsetzung des Zwei-Prozent-Wildnisziels der Bundesregierung und zum Pariser Klimaabkommen, das ein nachhaltiges Wasserressourcenmanagement verlangt. So erwarb die Stiftung Ende 2021 mit Mitteln des Bundes das 471 Hektar große Wildnisgebiet Aschhorner Moor bei Stade in Niedersachsen. In Mecklenburg-Vorpommern arbeitet die Stiftung daran, den Niedermooren der Stiftungsflächen in Hornshagen, Rechlin und Tilzow durch gezielte Maßnahmen wieder mehr Wasser zuzuführen, damit Schreiadler, Schwarzstorch, Moorfrosch und andere Bewohner feuchter Wälder und Moore möglichst bald ihren Lebensraum zurückbekommen und dieser langfristig gesichert ist

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