Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

18.12.2023, Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)
Still und starr ruht der See? Von wegen! Das tun Wasserlebewesen im Winter
Nein, ganz still ist es in der kalten Jahreszeit weder im Wasser noch unter dem Eis, auch wenn einige Lebewesen in diesem Lebensraum ruhen oder erstarren. Wie sich Tiere und Pflanzen an die harten Bedingungen angepasst haben und wie es ihnen gelingt, den Winter im See, Teich oder Tümpel zu überstehen, lesen Sie hier von Forschenden des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB). Außerdem: Wie wir den Tieren und Pflanzen im Gartenteich helfen können, gut durch die Kälte zu kommen.
Wenn die Luft kälter wird, sinkt auch die Wassertemperatur. Aufgrund der besonderen Dichteeigenschaften des Wassers vermischen sich die Wasserschichten, bis das gesamte Gewässer eine Temperatur von 4°C erreicht hat. Wird es noch kälter, bildet sich eine Eisdecke, während das Wasser darunter bei vier Grad Celsius bleibt. In flacheren, gut durchmischten Seen kühlt das Wasser noch weiter ab; aber nur sehr flache Gewässer können bis zum Grund durchfrieren. Die bei uns heimischen Tiere und Pflanzen sind an diese Bedingungen angepasst. Viele Tiere nutzen auch den Gewässergrund, das Sediment, als Winterquartier. Es gibt aber auch kälteangepasste Organismen, wie einige Fischarten, die erst im Winter so richtig munter werden, oder aber im Winter aktiv fressen, wie Hechte.
Frösche im Gewässer müssen nicht auftauchen, sondern atmen über die Haut:
Amphibien – wie Frösche, Kröten und Molche – halten eine Winterstarre. Frösche und Kröten können, je nach Art, an Land oder im Wasser überwintern, nur feucht oder nass muss es sein. Wasser-, Teich- und Grasfrösche verbringen die Winterstarre häufig im Gewässer, aber eher nicht im Wasser selbst, sondern im Bodenschlamm. Einige Arten können, ebenso wie einige Fische „Frostschutzmittel“ in ihre Gewebe einlagern und regelrecht einfrieren, ohne zu sterben.
Da ausgewachsene Amphibien meist keine Kiemen haben, müssen sie eigentlich zum Luftholen an die Wasseroberfläche kommen. In der Ruhephase im Winter genügt ihnen jedoch die Atmung über die Haut. Wasserpflanzen und Phytoplankton produzieren normalerweise genügend Sauerstoff für die Tiere. Werden sie jedoch aktiv, müssen sie auftauchen, um Luft zu holen. Ist das Gewässer allerdings zugefroren, kann das für die Tiere tödliche Folgen haben. Gleiches gilt für sauerstoffarme Situationen, wie in übermäßig nährstoffreichen Gewässern und nach langen Eisbedeckungen.
Teichmolche und Grasfrösche flirten früh:
Teich- und andere heimische Molche überwintern oft an Land, häufig in Laubhaufen. Sie wandern im Spätherbst in ihre Winterquartiere, aber meist nicht weiter als hundert Meter. Nach oder zeitgleich mit den Grasfröschen beginnen sie als eine der ersten heimischen Amphibienarten im Februar ihre Laichwanderung zurück zum Gewässer. Zuerst machen sich die Männchen, dann die Weibchen auf den kurzen Weg zum Teich. Steigt die Wassertemperatur auf über 5 °C, beginnt schon die Balz, ein verhaltensbiologisch hochinteressantes Geschehen, das einem „Tanz unter Wasser“ gleicht.
Muscheln hören im Winter auf zu wachsen:
Auch Süßwassermuscheln überwintern. Sie liegen am Gewässergrund und fahren ihren Stoffwechsel herunter. Dadurch wachsen sie viel weniger. So bilden sie ähnlich wie Bäume Jahresringe auf ihrer Schale aus, an denen man das Alter ablesen kann.
Fische sind trotz Kälte meist wach und manche auch geselliger als im Sommer:
Fische bleiben im Winter wach, verhalten sich aber meist ruhiger – dachte man jedenfalls. Das Team von IGB-Forscher Robert Arlinghaus hat mittels Telemetrie das Verhalten von Karpfen im jahreszeitlichen Verlauf in einem gesamten See untersucht. Dabei zeigte sich, dass das Verhalten der Tiere über das Jahr variierte. Im Winter schwammen die Karpfen im Durchschnitt erstaunlicherweise etwa doppelt so schnell wie im Sommer, gruppierten sich eher im Schwarm und verbrachten tagsüber mehr Zeit miteinander.
Grundsätzlich ist es aber schon die Regel, dass sich auch viele Fische im Winter weniger bewegen, weil der Stoffwechsel temperaturgesteuert ist. Kaltangepasste Fischarten hingegen sind gerade im Winter aktiv, wie beispielsweise Forellen. Einige, wie die Quappen, laichen sogar in dieser Zeit oder fressen sich rund, um über den Winter die Geschlechtsorgane ausbilden, wie Hechte, die im Winter ähnlich aktiv umher schwimmen wie im Sommer. Fast alle Fische sind an kalte Temperaturen angepasst und haben daher auch mit langen kalten Temperaturen keine Probleme. Im Gegenteil – der Klimawandel, der die Winterwassertemperaturen erhöht, kann beispielsweise bei Barschen zu Problemen mit der Eireifung und zu einer verringerten Fortpflanzung im nächsten Frühjahr führen.
Wasserflöhe haben jahreszeitlich betrachtet nur vor dem Winter Sex:
Wasserflöhe haben mit dem Tier- oder Menschenfloh nichts gemein. Sie gehören zu den kleinsten Vertretern der Krebstiere, leben im Süßwasser und haben eine faszinierende Überlebensstrategie: Wenn es stressig wird und die Lebensbedingungen schlecht sind, legen sie Dauereier, die noch nach 100 Jahren wieder geweckt werden können. Als Dauerei überstehen sie auch die kalte Jahreszeit.
Normalerweise produziert der weibliche Wasserfloh unbefruchtete Eier, aus denen sich nur weibliche Tiere entwickeln. Im Herbst oder bei ungünstigen Lebensbedingungen entwickeln sich aus diesen Eiern jedoch auch Männchen, die sich mit den Weibchen paaren. So entstehen für das Überwintern robuste Dauereier mit einer festen Hülle. Im nächsten Frühjahr entwickeln sich aus den befruchteten Dauereiern wieder weibliche Tiere und der Fortpflanzungszyklus beginnt von Neuem.
Algen können auch im Winter „blühen“:
Berichte über Massenentwicklungen von Algen kennt man eher aus dem Sommer. Im Winter sind die Algenmengen durch geringes Lichtangebot und niedrige Temperaturen meist gering. Gelegentlich wachsen einige Algen aber auch im Winter kräftig, sogar unter (schneefreiem) Eis. Dies kann vor allem in Kleinstgewässern wie dem Gartenteich geschehen, wenn viel Laub oder abgestorbene Pflanzenteile das Wasser mit Nährstoffen belasten. Die im Winter wachsenden Algen weisen jedoch bestimmte Charakteristika auf: Sie haben eine breite Temperaturtoleranz und besondere Überlebensstrategien für kalte Temperaturen entwickelt – wie beispielsweise Kälteschock- und Gefrierschutzproteine oder eine kälteresistente Zellwand aus ungesättigten Fettsäuren.
Wo sind die Wasserpflanzen im Winter?
Die meisten unserer heimischen Wasserpflanzen bilden sich zum Spätherbst weitgehend zurück und überdauern die kalte Jahreszeit als Samen, in Dauerstadien oder Winterknospen (Turionen) am Gewässerboden. Die Samen und Turionen brauchen, bevor sie im Frühjahr wieder auskeimen, eine Kälteperiode.
Die Sauerstoffproduktion durch die Unterwasserpflanzen fehlt daher im Winter weitgehend, und unter Eis sind Perioden mit sauerstofffreien Bedingungen in Seen mit hohen sommerlichen Pflanzenbiomassen häufiger als in Seen, die durch Algen dominiert werden. Einige Wasserpflanzenarten sind jedoch wintergrün und können die im Winter geringere Konkurrenz um Ressourcen für ihr Wachstum nutzen. So braucht das Quellmoos freies CO2, das im Frühjahr und Sommer auch stark durch die Photosynthese der Algen genutzt wird. Es wächst daher im Winter besonders gut. Auch einige Arten von Armleuchteralgen sind wintergrün. Dichte Wiesen, die den Gewässergrund bedecken, können so auch im Winter zur Sauerstoffproduktion beitragen
Wasservögel: Wärmetauscher in den Beinen, bitte auch im Winter nicht füttern:
Viele Wasservögel verbringen den Winter in unseren Breiten. Tatsächlich sind Schwäne Zugvögel, aber die meisten europäischen Schwäne verspüren wenig Drang, im Winter fortzuziehen. Außer in den nördlichen Ländern wie Island, wo die Vögel bei Kälte aufbrechen. Auch Stockenten ziehen nicht immer ins Warme.
Um auch bei niedrigen Temperaturen nicht auf dem zugefrorenen See anzufrieren, ist der Blutkreislauf in den Beinen von Wasservögeln wie ein Wärmetauscher angelegt. Die feinen Blutgefäße liegen dort dicht beieinander, so dass das warme Blut vom Körper das kalte Blut von den Füßen erwärmt.
Wichtig ist, die Wasservögel auch im Winter nicht zu füttern. Sie finden in der Regel in ihrer Umgebung, genug zu fressen. Das Füttern birgt nämlich gesundheitliche Risiken für die Tiere, beeinträchtigt die Wasserqualität und ist zudem in einigen Gegenden, z.B. Städten wie Berlin, eine Ordnungswidrigkeit.
Damit im Winter im Teich keine Tiere sterben oder Algenblüten entstehen:
Wer selbst einen Teich oder Tümpel im Garten hat, findet in Gartenbüchern oder auf entsprechenden Internetseiten viele Ratschläge, wie man sein kleines Gewässer winterfest machen kann. Deshalb hier nur die wichtigsten Tipps: Für Fische muss der Teich mindestens 80 bis 100 Zentimeter tief sein, damit die Tiere nicht erfrieren, und die Wasseroberfläche darf nicht komplett zufrieren. Faulschlamm entfernen und vermeiden, denn er verbraucht im Winter den dringend benötigten Sauerstoff. Dazu auch Laub beseitigen und Wasserpflanzen zurückschneiden. Aber nicht alles Grün muss raus, denn wintergrüne Pflanzenarten sind auch in der kalten Jahreszeit wichtige Sauerstofflieferanten für die Fische und Röhrichte bei geschlossener Eisdecke nützlich für den Gasaustausch und als Kinderstube für Insektenlarven. Warum kleine Gewässer so wichtig sind, ist hier nachzulesen.
Ach ja, wo wir gerade von Eis sprechen: Hier nochmal ein Sicherheitshinweis!
Bitte im Winter nicht die Eisdecke eines natürlichen Gewässers betreten (Pfützen ausgenommen). Strömungen, Einleitungen, Risse und unterschiedliche Eisqualitäten können dazu führen, dass trotz ausreichender Dicke das Eis nicht sicher trägt. Also: Besser auf eine Eisbahn ausweichen oder für eine Schneeballschlacht am Ufer bleiben.
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Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Winterstarre, Winterschlaf und Winterruhe?
Die Winterstarre ist eine Überlebensstrategie von wechselwarmen Tieren wie Amphibien, Reptilien und Insekten. Ihre Körpertemperatur passt sich der Außentemperatur an. Natürlich nur in gewissen Grenzen. Sinkt die Temperatur unter 10°C, verfallen die Tiere in eine Winterstarre. In der Winterstarre verharren die Tiere während der gesamten kalten Jahreszeit. Erst durch die Wärme der Sonne werden die Körperfunktionen wieder aktiviert und die Tiere erwachen aus diesem Zustand.
Kleinere Säugetiere wie Igel oder Siebenschläfer halten Winterschlaf. Während des Winterschlafs werden die Körperfunktionen extrem heruntergefahren, die Körpertemperatur und die Stoffwechselaktivität sinken, das Herz schlägt langsamer. Im Gegensatz zur Winterstarre sind die Tiere nach oder während des Winterschlafs in der Lage, ihre Körperfunktionen selbst wieder zu aktivieren und auch zwischendurch aufzuwachen und Nahrung aufzunehmen.
Rein äußerlich unterscheidet sich die Winterruhe nicht vom Winterschlaf. Tiere die Winterruhe halten, wie der Bär oder der Dachs, ziehen sich zu Beginn der kalten Jahreszeit für mehrere Monate in geeignete Unterschlüpfe zurück. Im Gegensatz zum Winterschlaf werden die Körperfunktionen jedoch nicht so stark reduziert. Die Tiere sind daher schnell wieder auf den Beinen, wenn sie beispielsweise angegriffen werden.

20.12.2023, Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig
Häufige Insektenarten am stärksten vom Rückgang betroffen
Rückläufige Insektenzahlen sind vor allem auf den Verlust häufigerer Arten zurückzuführen
Der Rückgang der Insekten ist auf Verluste bei lokal häufigeren Arten zurückzuführen. Das zeigt eine neue Studie, die in Nature veröffentlicht wurde. Geleitet von Forschern des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU), stellt die Meta-Analyse von 923 Standorten weltweit zwei wichtige Tendenzen fest: 1) häufige Arten mit vielen Individuen (hohe Abundanzen) sind stärker zurückgegangen als seltene Arten, und 2) die Zunahmen mancher Insektenarten waren zu gering, um früher beobachtete Häufigkeiten zu erreichen. Dies erklärt wahrscheinlich die verbreitete Feststellung, dass es heute weniger Insekten gibt als vor zehn, zwanzig oder dreißig Jahren.
iDiv-Forscherinnen und Forscher haben die langfristigen Tendenzen bei landlebenden Insekten wie Käfern, Motten und Heuschrecken analysiert und festgestellt, dass Verluste bei den früher am häufigsten vorkommenden Arten am stärksten zum Rückgang der lokalen Insekten beigetragen hat. Häufige Insektenarten sind die Arten, die lokal am zahlreichsten vorkommen – welche Arten das konkret sind, ist von Ort zu Ort unterschiedlich. Die Ergebnisse dieser Studie stellen die Behauptung in Frage, dass Veränderungen in der Artenvielfalt von Insekten vom Rückgang seltener Arten dominiert werden.
Die Studie folgt den alarmierenden Meldungen über den Verlust von Insekten, denen zufolge Forschende einen dramatischen Rückgang der Gesamtzahl der Insekten in vielen Teilen der Welt feststellen. Jedoch ist wenig über die allgemeinen und langfristigen Tendenzen bei lokal seltenen und häufigen Arten bekannt. „Es war offensichtlich, dass dies untersucht werden musste“, sagt Roel van Klink, Hauptautor der Studie und Wissenschaftler bei iDiv und an der MLU. „Wir wollten wissen, ob sich die Beobachtungen über den Rückgang der Gesamthäufigkeit von Insekten bei häufigen und seltenen Arten unterscheiden und wie sich dies auf die Vielfalt in der Insektengemeinschaft insgesamt auswirkt”.
Häufige Arten verlieren am meisten
Van Klink und seine Kolleginnen und Kollegen wollten die Entwicklung der Insektenzahlen besser verstehen und griffen dafür auf 106 Studien zurück. Sie trugen Daten über Insektengemeinschaften zusammen, die über einen Zeitraum von 9 bis 64 Jahren in 106 Studien gesammelt worden waren. Dazu gehört zum Beispiel eine niederländische Studie über Laufkäfer, die seit 1959 läuft.
Mit dieser Datenbank bestätigten die Forscherinnen und Forscher, dass trotz Abweichungen bei den Daten die Zahl der Landinsekten insgesamt um 1,5 % pro Jahr zurückgeht. Um diese Entwicklung besser zu verstehen, verglichen sie die Tendenzen verschieden häufiger Arten und stellten fest, dass die Arten, die zu Beginn der Zeitreihen am häufigsten vorkamen, im Durchschnitt am stärksten von einem Rückgang betroffen waren – etwa 8 % pro Jahr -, während seltenere Arten weniger stark zurückgingen.
Dabei wurden die Verluste der zuvor dominierenden Arten nicht durch die Zunahme anderer Arten ausgeglichen, was weitreichende Folgen hat: Arten, die im Überfluss vorhanden sind, sind eine Hauptnahrungsquelle für Vögel und andere insektenfressende Tiere und erfüllen somit eine lebenswichtige Funktion im Ökosystem. „Die Nahrungsnetze müssten sich als Reaktion auf den Rückgang der am häufigsten vorkommenden Arten bereits erheblich verändert haben“, erklärt van Klink. „Diese Arten sind für alle möglichen anderen Organismen und für das Funktionieren des Ökosystems äußerst wichtig“.
Gewinner und Verlierer
Die Analyse zeigt deutlich, dass die früher häufig vorkommenden Insektenarten im Vergleich zu den weniger häufigen Arten durchweg die meisten Individuen verlieren. Aber auch weniger häufige und seltene Arten erleiden Verluste, was zu einem Rückgang der Zahl der lokalen Arten führt. Die Studie zeigt einen leichten Rückgang der Gesamtzahl der Arten um knapp 0,3 % pro Jahr. Dies deutet darauf hin, dass neben den häufigen Arten auch einige seltene Arten Verluste erleiden und teilweise lokal aussterben.
An der Spitze stehen die neu eingewanderten Arten, die es geschafft haben, sich erfolgreich als Teil der lokalen Gemeinschaft zu etablieren. Die meisten dieser Neuzugänge bleiben lokal selten und ersetzen andere, zuvor seltene Insekten, hin und wieder werden sie aber auch sehr häufig. Der invasive Asiatische Marienkäfer (Harmonia axyridis), der inzwischen in Europa, Amerika und Südafrika verbreitet ist, ist ein solches Beispiel.
Nach Ansicht der Autorinnen und Autoren ist weitere Forschung nötig, um die Ursachen für diese Trends zu beleuchten. Wahrscheinlich ist jedoch, dass die Rückgänge im Zusammenhang mit den vom Menschen verursachten Veränderungen stehen, wie dem Klimawandel und die Urbanisierung, zwei Hauptursachen die für den Verlust der biologischen Vielfalt verantwortlich sind. „Insekten scheinen stärker davon betroffen zu sein als viele andere Arten, dass Menschen den Planeten immer mehr dominieren“, erklärt iDiv- und MLU-Professor Jonathan Chase, Letztautor der Studie. „Andere Studien, einschließlich derjenigen, an denen unser Team mitgearbeitet hat, haben bei vielen anderen Tier- und Pflanzengruppen keine derartigen Rückgänge auf lokaler Ebene festgestellt“.
Die Ergebnisse der Studie sind zwar eindrücklich, doch sind diese Tendenzen stark von den Daten über Insektengemeinschaften in Europa und Nordamerika beeinflusst. Sie sollten daher nicht als globales Phänomen interpretiert werden. Chase fügt hinzu: „Die von uns beobachteten Muster könnten ein Best-Case-Szenario für die Quantifizierung der tatsächlichen Auswirkungen des Menschen auf Insekten sein“, und verweist auf den, in Wissenschaftskreisen sogenannten Rettungsboot-Effekt. „Diese Rückgänge wurden in Langzeitstudien in Gebieten beobachtet, die weitgehend intakt geblieben sind, und nicht in Gebieten, in denen es zu einer massiven Umwandlung von Naturgebieten in vom Menschen geprägte Landschaften gekommen ist, wie zum Bespiel bei Einkaufszentren und auf Parkplätzen“.
Originalpublikation:
Roel van Klink, Diana E. Bowler, Konstantin B. Gongalsky, Minghua Shen, Scott R. Swengel, Jonathan M. Chase (2023). Disproportionate declines of formerly abundant species underlie insect loss. Nature, DOI: https://doi.org/10.1038/s41586-023-06861-4

20.12.2023, Philipps-Universität Marburg
Dunkle Froschlurche lieben es kühl
Frösche und Kröten weisen umso dunklere Farben auf, je kälter es in ihrem Lebensraum ist, je mehr Krankheitserreger ihnen dort drohen und je stärker sie ultravioletter Strahlung ausgesetzt sind. Das hat ein Forschungsteam aus der Biologie herausgefunden, indem es Daten von mehr als 40 Prozent aller bekannten Frosch- und Krötenarten verglich. Die Forschungsgruppe berichtet im Wissenschaftsmagazin „Nature Communications“ über ihre Ergebnisse.
Grelle Warntöne, unscheinbare Tarntrachten – Frösche und Kröten zeigen eine beeindruckende Farbenvielfalt. Die Färbung hängt dabei auch von äußeren Bedingungen ab: Die Gestalt der Tiere beeinflusst ihre räumliche Verbreitung und umgekehrt. „Angesichts des Klimawandels geraten diejenigen Prozesse immer stärker in den wissenschaftlichen Fokus, die auf äußerlichen Merkmalen beruhen und der Verbreitung von Arten zugrunde liegen“, sagt Erstautorin Ricarda Laumeier aus dem Fachgebiet Tierökologie der Philipps-Universität Marburg.
Die Ökologie kennt verschiedene Regeln, nach denen die Färbung auf die räumliche Verbreitung von wechselwarmen Tieren wirkt, die ihre Körpertemperatur nicht konstant halten. „Dunkler gefärbte Arten genießen in kalter Umgebung einen Vorteil, weil sich dunklere Körper schneller aufheizen als hellere“, legt Laumeier dar. „Dunklere Farben gewähren außerdem einen besseren Schutz vor ultravioletter Strahlung. Zudem wird angenommen, dass dunklere Arten unter warmen und feuchten Bedingungen einen größeren Schutz gegen das Eindringen von Krankheitserregern wie Pilzen und Bakterien genießen, die dort besonders gut gedeihen.“ Eine wärmere Umgebung biete hingegen Vorzüge für heller gefärbte Arten, da diese das Licht besser reflektieren und somit eine Überhitzung vermeiden.
„Wie umfassend die Bedeutung dieser Funktionen für wechselwarme Arten ist, blieb jedoch bislang unklar“, ergänzt Laumeiers Kollege Dr. Stefan Pinkert, ein weiterer Leitautor der Studie; „frühere Studien bezogen sich vor allem auf europäische und nordamerikanische Arten. Um herauszufinden, ob es sich um eine Gesetzmäßigkeit handelt, haben wir auf globaler Skala untersucht, ob die heutige Verbreitung von Froschlurchen und die Zusammensetzung der Lebensgemeinschaften durch physiologische Funktionen der Färbung erklärt werden können.“
Die Wahl des Teams fiel auf die Tiergruppe der Froschlurche oder Anuren, also Frösche und Kröten. „Verbreitungsinformationen und Daten zum Pathogenbefall sind bei Anuren im Vergleich zu anderen wechselwarmen Gruppen einzigartig reichhaltig und vollständig. Dadurch ließen sich diese Zusammenhänge erstmalig so umfassend testen“, erklärt Pinkert.
Die Forschungsgruppe verglich Daten von 3.059 Arten, das sind 41 Prozent aller bekannten Frösche und Kröten. „Dabei bestätigte sich, dass die Helligkeit mit abnehmender Temperatur des Lebensraumes und feuchtwarmen Bedingungen kontinuierlich abnimmt, aber auch bei zunehmender ultravioletter Strahlung“, berichtet Laumeier.
Außerdem zeigen die Ergebnisse, dass sich eng verwandte Arten hinsichtlich der Helligkeit ihrer Färbung ähneln. „Zusammen mit der Verbreitung bestimmter Familien deutet dies darauf hin, dass die Evolution der Farbhelligkeit die Besiedlung der gemäßigten Klimazonen durch einige wenige, eng verwandte Linien der Froschlurche begünstigt hat“, schlussfolgert Pinkert.
Ricarda Laumeier forscht derzeit als Doktorandin in der Marburger Arbeitsgruppe Tierökologie und an der Fachhochschule Erfurt. Dr. Stefan Pinkert gehört mit seiner Forschungsgruppe der Arbeitsgruppe Naturschutzökologie an. Außerdem beteiligten sich weitere Wissenschaftler der Philipps-Universität Marburg, der Fachhochschule Erfurt sowie des Museums für Naturkunde Berlin an der Studie. Die Alexander-von-Humboldt-Stiftung förderte die wissenschaftliche Arbeit durch ein Forschungsstipendium für Stefan Pinkert.
Originalveröffentlichung: Ricarda Laumeier & al.: The global importance and interplay of colour-based protective and thermoregulatory functions in frogs, Nature Communications 2023, DOI: https://doi.org/10.1038/s41467-023-43729-7

20.12.2023, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Libellenfarbe verändert sich im Jahreslauf
Die Farbe von Libellengemeinschaften reagiert auf jahreszeitliche Schwankungen der Sonneneinstrahlung. Über die letzten 30 Jahre hat sich dieses Farbmuster allerdings verändert – wohl eine Auswirkung des Klimawandels.
Forschende der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) haben in einer neuen Studie herausgefunden, dass die Farbe von Libellengemeinschaften auf jahreszeitliche Schwankungen der Sonneneinstrahlung reagiert. Im Frühjahr und im Herbst fliegen eher Libellen mit dunkleren Farbnuancen, die im Sommer auftretenden Exemplare sind eher heller gefärbt. Die Ergebnisse der Studie wurden nun im Fachjournal Nature Communications veröffentlicht.
Die Farbanpassung erlaubt es den räuberischen Insekten, ihre Körpertemperatur zu regulieren. Dunkle Farben nehmen die Wärme besser auf als helle. Wichtig ist dabei, dass sich nicht einzelne Tiere verfärben, erklärt Professor Christian Hof. Er leitet an der JMU den neugeschaffenen Lehrstuhl für Ökologie des Globalen Wandels: „Was sich verändert und gewissermaßen an die Sonneneinstrahlung anpasst, ist die durchschnittliche Färbung aller zu einem Zeitpunkt fliegenden Libellen.“
Vorangegangene Studien hatten herausgefunden, dass in nördlichen Regionen deshalb generell eher dunkel gefärbte und größere Libellenarten fliegen, die so die Wärme besser speichern können. Hellere Arten finden sich dagegen im sonnenreichen Süden, wo die Färbung die Tiere vor Überhitzung schützt.
Farbänderung im Jahresverlauf erstmals nachgewiesen
Das Team um Dr. Roberto Novella-Fernandez und Professor Christian Hof hatte die Arbeit während der Zeit am Lehrstuhl für Terrestrische Ökologie an der Technischen Universität München (TUM) begonnen nach dem gemeinsamen Wechsel an die JMU abgeschlossen.
Für die Studie untersuchten sie wissenschaftliche Beobachtungsdaten von Libellengemeinschaften von 1990 bis 2020 in Großbritannien und werteten diese aus. Dabei stellten die Forschenden fest, dass sich die durchschnittliche Färbung der Libellen jahreszeitlich verändert.
„Zum ersten Mal konnten wir nachweisen, dass sich die durchschnittliche Körperhelligkeit von Libellen nicht nur zwischen wärmeren und kälteren Gegenden unterscheidet, sondern dass auch im Jahreslauf in Monaten mit stärkerer Sonneneinstrahlung, also im Sommer, eher hellere Arten unterwegs sind, während im Frühjahr und Herbst dunklere Exemplare fliegen“ erläutert Roberto Novella-Fernandez, Leitautor der Studie.
Christian Hof ergänzt: „Wir sehen in den ausgewerteten Daten auch, dass sich diese jahreszeitliche Farbvariation im Zuge des Klimawandels verändert hat.“ Dabei verändere sich mit der globalen Erwärmung vor allem die Temperatur und nicht die Sonneneinstrahlung.
„Womöglich verschiebt sich aufgrund der Erwärmung das Muster sogar in eine Richtung, die für die Libellen ungünstig ist, weil sie nicht mehr unter idealen Sonneneinstrahlungsverhältnissen fliegen. Dies genauer zu verstehen, ist eines unserer nächsten Ziele“, so Novella-Fernandez weiter.
Mechanismen der Farbveränderung bei Insekten bieten neues Forschungsfeld
In der aktuellen Studie haben die Forschenden in Zusammenarbeit mit Kollegen von der Philipps-Universität Marburg die verfügbaren Daten über die farblichen Merkmale der Libellen auswerten können. „Indem wir Veränderungen der Merkmale von Arten, etwa der Färbung von Insekten, in Beziehung setzen zu Umweltveränderungen, können wir die Ursachen des Verlusts biologischer Vielfalt besser verstehen. Hierzu beizutragen war das Ziel unserer Forschungsgruppe an der TUM, die von 2018 bis 2023 im Rahmen des bayerischen Klimaforschungsnetzwerks bayklif gefördert wurde. Diese Arbeit wollen wir an der Uni Würzburg fortsetzen“, so Christian Hof abschließend.
Originalpublikation:
Roberto Novella-Fernandez, Roland Brandl, Stefan Pinkert, Dirk Zeuss, Christian Hof: Seasonal variation in dragonfly assemblage colouration suggests a link between thermal melanism and phenology. In: Nature Communications, 19.12.2023. DOI: https://doi.org/10.1038/s41467-023-44106-0

20.12.2023, Universität Bayreuth
Studie deckt größtes vom Menschen verursachtes Vogelsterben auf
Unter Beteiligung des Bayreuther Ökologen Prof. Dr. Manuel Steinbauer hat ein internationales Forscherteam herausgefunden, dass der Mensch bisher über 1.400 Vogelarten ausgerottet hat. Damit belegt das Team das größte, vom Menschen verursachte Wirbeltiersterben der Geschichte. Die Auswirkungen auf die anhaltende Krise der Artenvielfalt sind noch nicht absehbar.
Viele Inseln der Welt waren früher Hotspots der Evolution mit einzigartiger, unberührter Natur. Aber die Ansiedlung von Menschen an Orten wie den Kanarischen Inseln, Tonga und den Azoren führte im Laufe der Zeit zu weitreichenden Auswirkungen, darunter Abholzung, Überjagung und die Einführung invasiver Arten. Infolgedessen wurden etliche Vogelarten ausgerottet. Während das Aussterben vieler Vögel seit dem Jahr 1500 dokumentiert ist, beruht unser Wissen über das Schicksal der Arten vor dieser Zeit auf Fossilien. Doch solche Versteinerungen sind kaum verfügbar, da sich leichte Vogelknochen mit der Zeit zersetzen. Dadurch ist das wahre Ausmaß des weltweiten, durch den Menschen bedingte Aussterben nur schlecht erkennbar.
Das internationale Forscherteam nutzte erstmals statistische Modelle, um die „wahre“ Anzahl an bisher unbekannten Vogelarten abzuschätzen, welche seit dem Spätpleistozän vor etwa 130.000 Jahren durch den Menschen ausgerottet wurden. Das Studienteam stützte sich bei seinen Modellen auf Informationen zu bekannten Aussterbefälle und den Umfang der Forschungsarbeiten in speziellen Regionen. Denn: Je weniger Forschung in einer Region durchgeführt wurden, desto unvollständiger ist der Fossilnachweis, und desto größer ist die Zahl der ausgestorbenen Arten, die unentdeckt geblieben sind.
„Bisher wussten wir aus Beobachtungen und Fossilien, dass durch den Menschen 640 Vogelarten ausgestorben sind – 90 Prozent davon auf Inseln“, sagt Prof. Dr. Manuel Steinbauer. Das Spektrum reicht vom ikonischen Dodo auf Mauritius über den großen Auk im Nordatlantik bis hin zum weniger bekannten St. Helena-Riesenhopf. „Aufgrund der Modellergebnisse schätzen wir jedoch, dass die tatsächliche Zahl etwas mehr als doppelt so hoch ist“, erklärt der Bayreuther Ökologe, welcher maßgeblich an der Entwicklung der Forschungsmethodik beteiligt war. Er und seine Kollegen sprechen von 1.430 ausgestorbene Arten, das entspricht etwa 11 % aller Vogelarten, so dass heute nur noch knapp 11.000 übrig sind.
Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass ihre Studie das größte vom Menschen verursachte Aussterben von Wirbeltieren in der Geschichte aufgedeckt hat. Neben den Auswirkungen der globalen Seefahrt im 14. Jahrhundert werden größere Aussterbewellen vor allem durch die Ankunft des Menschen auf den pazifischen und atlantischen Inseln vor dreitausend Jahren verursacht.
Dr. Rob Cooke, ein ökologischer Modellierer am UK Centre for Ecology & Hydrology, leitete die Studie, die jetzt in der renommierten Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht wurde. Er sagt: „Unsere Studie zeigt, dass der Einfluss des Menschen auf die Vogelvielfalt weitaus größer war als bisher angenommen. Der Mensch hat die Vogelpopulationen durch die Zerstörung von Lebensräumen, Raubbau und die Einführung von Ratten, Schweinen und Hunden, die die Nester der Vögel überfielen und mit ihnen um Nahrung konkurrierten, rasch zerstört. Wir zeigen, dass viele Arten vor der schriftlichen Aufzeichnung ausgestorben sind und keine Spuren hinterlassen haben, also aus der Naturgeschichte getilgt sind.“
Prof. Dr. Manuel Steinbauer von der Universität Bayreuth, einer der Mitautoren der Studie, hebt die Bedeutung der Fossilien für das Verständnis von Austerbeprozessen hervor. „Diese ermöglichen uns einen Blick in die Vergangenheit. Leider zeigt sich, dass die Ankunft des Menschen, unabhängig von kulturellem oder technologischem Hintergrund, auf Inseln fatale Auswirkungen auf ökologische Systeme hatte. Vor dem Hintergrund des aktuellen Artensterbens ist es für uns jetzt wichtig zu verstehen, wie sich der Verlust einer Art und der damit verbundene Verlust einer ökologischen Funktion auf die Wechselwirkung in ökologischen Systemen auswirkt.“
Denn das Vogelsterben dauert an: Die Forscher*innen verweisen auf das aktuelle, sich fortsetzende Aussterben, das schon Mitte des 18. Jahrhunderts begann. Seitdem sind Vögel neben der zunehmenden Abholzung und der Ausbreitung invasiver Arten auch den vom Menschen verursachten Bedrohungen durch Klimawandel, intensive Landwirtschaft und Umweltverschmutzung ausgesetzt. Aus den Daten der International Union for Conservation of Nature (IUCN) lässt sich ableiten, dass wir in den nächsten hundert Jahren bis zu 700 weitere Vogelarten verlieren. Das kann fatale Auswirkungen haben: „Ein Aussterben hat immer auch Auswirkungen auf das ganze Ökosysteme“, erklärt Steinbauer. Viele Arten haben Schlüsselfunktionen, bei Vögeln etwa die Verbreitung von Samen, die Kontrolle von Insektenpopulationen oder die Bestäubung von Pflanzen.
Originalpublikation:
Cooke, R., Sayol, F., Andermann, T. et al. Undiscovered bird extinctions obscure the true magnitude of human-driven extinction waves. Nat Commun 14, 8116 (2023). https://doi.org/10.1038/s41467-023-43445-2

21.12.2023, Ludwig-Maximilians-Universität München
Vielfältige Abwehrstrategien bei Insekten bereits in der Kreidezeit
Bernstein-Analysen zeigen: Bereits vor 100 Millionen Jahren nutzten Insektenlarven verschiedenste Taktiken, um sich gegen Fressfeinde zu schützen.
Jungstadien von Insekten erfüllen wichtige Funktionen in unseren Ökosystemen. Sie zersetzen Kadaver und Holz, bilden dadurch Boden und führen so verschiedene Elemente wieder in die Stoffkreisläufe ein. Nicht zuletzt sind sie eine wichtige Futtergrundlage für viele größere Tiere wie Vögel und Säuger. Letzteres hat dazu geführt, dass viele Insektenlarven Strukturen und Strategien entwickelt haben, welche die Gefahr reduzieren, gefressen zu werden. Dazu gehören Stacheln, Haare, aber auch Tarnung und versteckte Lebensweisen. Über die Jahrmillionen hat sich eine große Vielfalt derartiger Anpassungsstrategien entwickelt.
Forschende der LMU und der Universitäten Greifswald und Rostock haben besonders gut erhaltene Fossilien aus dem Bernstein Myanmars untersucht und konnten nachweisen, dass solche Verteidigungsmechanismen bei Insektenlarven bereits in der Kreidezeit vor 100 Millionen Jahren sehr divers ausgeprägt waren. Darunter sind wohlbekannte Strategien wie die von Netzflüglerlarven, die sich mit verschiedenem Pflanzen- und Tiermaterial auf dem Rücken Tarnung verschaffen, oder auch solche, die mit ihrem Aussehen bestimmte Pflanzenteile nachahmen.
„Besonders spektakulär ist zum Beispiel die mit Abstand älteste Larve einer Skorpionsfliege, bisher die zweite fossile überhaupt, die spezielle Haare auf dem Rücken trägt, um Tarnmaterial daran zu befestigen“, beschreibt Professorin Carolin Haug, Hauptautorin des Artikels und Zoologin an der Fakultät für Biologie. „Außerdem Larven von Pflanzenwespen, die in Blättern lebten und dort Gänge anlegten, während sie die dünne Schicht des Blattinneren verspeisten.“ Insgesamt zeige der im Fachmagazin iScience erschienene Artikel, dass bereits vor 100 Millionen Jahren eine große Vielfalt verschiedener Strategien existierte, um sich gegen Räuber zur Wehr zu setzen. „Die Vielfalt der Vergangenheit und das Auftauchen und Verschwinden verschiedener Erscheinungsformen zu betrachten, hilft, diese Prozesse besser zu verstehen, was im Angesicht der anhaltenden aktuellen Biodiversitätskrise von besonderer Bedeutung ist“, sagt Haug.
Originalpublikation:
Carolin Haug, Joachim Haug, Gideon Haug, Patrick Müller, Ana Zippel, Christine Kiesmüller, Joshua Gauweiler & Marie K. Hörnig: Fossils in Myanmar amber demonstrate the diversity of anti-predator strategies of Cretaceous holometabolan insect larvae. iScience 2023
https://doi.org/10.1016/j.isci.2023.108621

21.12.2023, Veterinärmedizinische Universität Wien
Transport-Stress bringt das Mikrobiom von Nasenhörnern aus der Balance
Gefährdete Wildtiere müssen oft über weite Strecken hinweg transportiert werden. Ein internationales Forschungsteam unter Leitung der Veterinärmedizinischen Universität Wien untersuchte nun in einer explorativen Studie anhand von Nashörnern (Rhinocerotidae), wie sich solche erzwungenen, aber notwendigen Reisen auf die Darmgesundheit und das Tierwohl der Dickhäuter auswirken. Demnach führen die Transporte und der damit verbundene Stress zu einem Ungleichgewicht des Mikrobioms, was in weiterer Folge zur Entstehung von Krankheiten führen kann.
Umsiedlungen von Nashörnern werden häufig zu Erhaltungszwecken – also aus Tierschutzgründen – durchgeführt. Allerdings setzen diese Transporte die Tiere einer Vielzahl von Stressfaktoren aus, wie z. B. längeres Fasten, Gefangenschaft, neue Umgebung usw. Dieser Stress kann die Zusammensetzung der Darmmikrobiota (Mikrobiom) verändern, was sich auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Tiere auswirken kann. Insbesondere können die Nashörner nach einer Umsiedlung Magersucht, Durchfall und eine Darmentzündung (Enterokolitis) entwickeln.
DNA-Analyse zur Bestimmung der Folgen eines Tiertransports
Ziel der soeben veröffentlichten Studie war es, den Einfluss von Alter, Geschlecht und Umsiedlung auf die Zusammensetzung der bakteriellen Mikrobiota im Kot von Nashörnern zu untersuchen. Dazu wurden Kotproben von Nashörnern beim Fang (n = 16) und nach einem mehr als 30-stündigen Straßentransport (n = 7) gesammelt. Aus diesen Proben wurde DNA isoliert und analysiert. „Die Resultate unterschieden sich nicht zwischen Nashörnern unterschiedlichen Alters und Geschlechts. Allerdings gab es einen signifikanten Unterschied zwischen Kotproben, die beim Fang und nach dem Transport gesammelt wurden“, so Studien-Leiterin Friederike Pohlin vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI) der Vetmeduni.
„Schlechte“ Bakterien werden mehr, Zahl der guten „Bakterien“ sinkt
Die häufigsten Bakterienstämme in den beim Fang gesammelten Proben waren Firmicutes und Bacteroidetes (85,76 %), vertreten durch die Familien Lachnospiraceae, Ruminococcaceae und Prevotellaceae. Die Baktierienstämme Proteobacteria und Actinobacteria nahmen in ihrer relativen Häufigkeit vom Fang bis nach dem Transport zu und umfassten potenziell pathogene Bakterienfamilien wie Enterobacteriaceae und Pseudomonadaceae. Wichtige Kommensalen – also „gute“ Bakterien – wie Spirochaetes, Fibrobacteres und Lachnospiraceae nahmen in ihrer relativen Häufigkeit ab.
Dazu Friederike Pohlin: „Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die mit dem Fang und Transport verbundenen Stressfaktoren bei Nashörnern eine unausgewogene Zusammensetzung der fäkalen Mikrobiota verursachen, die zu potenziell infektiösen Darmerkrankungen führen kann. Dieses Ungleichgewicht kann durch die Ausbreitung normalerweise harmloser Krankheitserreger, die vermehrte Ausscheidung von Krankheitserregern oder eine erhöhte Anfälligkeit für neue Krankheitserreger entstehen.“
Einfache Maßnahmen können Tierwohl und -gesundheit deutlich verbessern
Laut dem wissenschaftlichen Team der Studie sind nun weitere Schritte erforderlich, um die klinischen Auswirkungen dieser Veränderungen in der Zusammensetzung der fäkalen Mikrobiota besser zu verstehen: „Insbesondere geht es darum, festzustellen, ob die Veränderungen dauerhaft oder vorübergehend sind. Außerdem müssen wir Möglichkeiten finden, diesen Veränderungen entgegenzuwirken, um die transportbedingte Morbidität und Mortalität bei umgesiedelten Nashörnern zu verringern“.
Vor allem einfach umzusetzende Maßnahmen zur Unterstützung und Stabilisierung einer ausgewogenen Darmmikrobiota während des Transports – wie z. B. die Bereitstellung von ausreichend Wasser und Nahrung in regelmäßigen Abständen oder die Verabreichung von Probiotika – sollten laut den Forscher:innen dringend untersucht werden.
Originalpublikation:
Der Artikel „Capture and transport of white rhinoceroses (Ceratotheriumsimum) cause shifts in their fecal microbiota composition towards dysbiosis“ von Friederike Pohlin, Carolin Frei, Leith C.R. Meyer, Franz-Ferdinand Roch, Narciso M. Quijada, Beate Conrady, Viktoria Neubauer, Markus Hofmeyr, Dave Cooper, Gabrielle Stalder und Stefanie U. Wetzels wurde in „Conservation Physiology“ veröffentlicht.
https://academic.oup.com/conphys/article/11/1/coad089/7449573?login=true

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