Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

03.11.2023, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Wie marine Borstenwürmer mit Hilfe eines außergewöhnlichen Proteins zwischen Sonnen- und Mondlicht unterscheiden
Forschungsteam der Universitäten Mainz, Köln und Oldenburg kommt zu wichtigen Erkenntnissen für die Erforschung des inneren Mondkalenders von marinen Organismen
Mit einer bahnbrechenden Studie, die jetzt in der renommierten Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht wurde, hat ein Forschungsteam der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), der Universität zu Köln und der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg neue Erkenntnisse über die Funktion eines speziellen Cryptochrom-Proteins gewonnen. Diese Proteine, die in einer Vielzahl von Organismen vorkommen, sind häufig an lichtgesteuerten biologischen Prozessen beteiligt. Der marine Borstenwurm Platynereis dumerilii nutzt etwa ein spezielles Cryptochrom-Protein namens L-Cry, um zwischen Sonnen- und Mondlicht zu unterscheiden. Diese Fähigkeit ist für die Würmer entscheidend, um ihre Fortpflanzung mit Hilfe eines inneren Mondkalenders, auch circalunare Uhr genannt, mit der Mondphase zu synchronisieren, ohne dabei durch den Tag-Nacht-Zyklus durcheinandergebracht zu werden. Die Forschenden in Köln nutzten die Methode und die vor Ort vorhandene Plattform der Kryo-Elektronenmikroskopie, um die dreidimensionale Struktur des L-Cry-Proteins unter verschiedenen Belichtungszuständen sichtbar zu machen. Diese strukturellen Analysen sowie die vor allem in Mainz durchgeführten biochemischen Untersuchungen enthüllten, dass L-Cry im Dunkeln eine sogenannte dimere Anordnung mit zwei stabil verknüpften Untereinheiten annimmt, aber durch intensive, sonnenlichtartige Belichtung in seine Untereinheiten aufgetrennt werden kann.
Nicht nur die räumliche Anordnung der beiden Untereinheiten im dunklen Zustand ist außergewöhnlich, denn sie wurde bisher bei anderen Cry-Proteinen nicht beobachtet. Auch die Richtung des Übergangs zwischen den lichtabhängigen Zuständen ist unerwartet, da für andere Cry-Proteine bisher nur der umgekehrte Prozess beschrieben wurde: von einzelnen Untereinheiten im Dunkeln zu mehreren assoziierten Untereinheiten im Hellen. Das Forschungsteam konnte weiterhin die für dieses ungewöhnliche Verhalten wichtigen strukturellen Merkmale im Protein identifizieren. Zudem ermöglichte die Kenntnis der dreidimensionalen Struktur, durch Mutationen gezielte Veränderungen an dem L-Cry Protein vorzunehmen, wodurch dessen Funktion als Lichtrezeptor weitergehend aufgeklärt werden konnte. „Anhand dieser Erkenntnisse lässt sich erklären, wie es L-Cry gelingen könnte, zwischen Sonnen- und Mondlicht zu unterscheiden: Das intensive Sonnenlicht aktiviert im Protein immer beide Untereinheiten gleichzeitig, was den Zerfall des Dimers in die einzelnen Untereinheiten einleitet. Im deutlich schwächeren Mondlicht hingegen wird statistisch immer nur eine von zwei Untereinheiten aktiviert“, sagt Prof. Dr. Eva Wolf vom Institut für Molekulare Physiologie der JGU, die die Studie auf Mainzer Seite leitete. Die Ergebnisse der Studie unterstreichen die Einzigartigkeit von L-Cry unter den funktionell sehr vielfältigen Cry-Proteinen, von denen unter anderem auch angenommen wird, dass sie bei der Magnetrezeption von Vögeln als Sensorproteine dienen.
Die Entschlüsselung der molekularen Prozesse des inneren Mondkalenders hat begonnen
„Die Arbeit mit lichtsensitiven Proteinen ist immer eine Herausforderung“, sagt Hong Ha Vu, Doktorand in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Eva Wolf, der maßgeblich an der Studie beteiligt war. „Schon bei der Herstellung der L-Cry-Proteine müssen wir alle experimentellen Schritte im Dunkeln oder unter gut definierten Rotlichtbedingungen durchführen, um eine unbeabsichtigte Vorab-Aktivierung der sehr lichtempfindlichen Proteine zu verhindern. Für die funktionelle Charakterisierung von L-Cry ist es zudem wichtig, Belichtungsbedingungen zu wählen, die möglichst genau dem natürlichen Sonnenlicht oder dem Mondlicht unter der Wasseroberfläche entsprechen, wie es die Borstenwürmer in ihrer natürlichen Umgebung vorfinden. Nur so können wir die besonderen Eigenschaften von L-Cry als Sonnen- und Mondlichtrezeptor im Vergleich zu anderen Cryptochromen umfassend beschreiben.“ Prof. Dr. Eva Wolf ergänzt: „Unsere Untersuchungen haben wichtige neue Einblicke in die Funktionsweise dieses außergewöhnlichen Sonnen- und Mondlichtrezeptors geliefert. Mit L-Cry haben wir zudem erstmalig ein Protein mit einer Funktion bei der Synchronisation des inneren Mondkalenders mit den Mondphasen auf struktureller und molekular-mechanistischer Ebene beschrieben. Unsere Erkenntnisse eröffnen neue wissenschaftliche Ansätze für die zukünftige Erforschung der weitgehend noch unbekannten molekularen Prozesse, die den inneren Mondkalendern und deren Synchronisation mit dem Mondzyklus zugrunde liegen.“
Originalpublikation:
H. H. Vu et al., A marine cryptochrome with an inverse photo-oligomerization mechanism, Nature Communications 14, 6918, 30. Oktober 2023,
https://doi.org/10.1038/s41467-023-42708-2

03.11.2023, Universität Ulm
Pestizid beeinflusst Paarungsverhalten von Wildbienen: Männchen werben kürzer, Weibchen produzieren weniger Pheromone
Biologen der Universität Ulm haben in einer neuen Studie untersucht, wie sich Pestizide auf das Paarungsverhalten von Wildbienen auswirken. Die Wissenschaftler vom Institut für Evolutionsökologie und Naturschutzgenomik analysierten den Einfluss des Wirkstoffs Flupyradifuron. Sie konnten zeigen, dass das Insektizid in subletalen Dosen sowohl die Kommunikation während der Anbahnung des Geschlechtsaktes als auch das Paarungsverhalten selbst beeinflusst. Dabei ist Flupyradifuron als bienenfreundliches Mittel deklariert. Die Forschungsergebnisse sind in der Fachpublikation „Insect Science“ erschienen.
Weltweit nimmt die Artenvielfalt durch umweltbedingte Stressfaktoren immer weiter ab. Insekten werden durch nicht nachhaltige Praktiken in der Landwirtschaft und den Einsatz von Pestiziden stark bedroht. Dass sich bereits subletale, also nicht tödliche, Konzentrationen negativ auf die Populationsdichte von Wildbienen auswirken können, da sie die Fortpflanzung beeinträchtigen, zeigen die Bienenforscher Dr. Samuel Boff und Professor Manfred Ayasse vom Institut für Evolutionsökologie und Naturschutzgenomik an der Uni Ulm. Für ihre Untersuchungen wählten die Wissenschaftler die Gemeine Löcherbiene (Heriades truncorum), weil ihr Paarungsverhalten bereits gut erforscht ist. Die kleine, solitär lebende Wildbienenart ist in Europa und Nordafrika weit verbreitet und auf Korbblütler wie Löwenzahn, Kamille und Wegwarte spezialisiert. In ihrer Studie setzten die Forscher Männchen und Weibchen einer Zuckerlösung aus, die das Insektizid Flupyradifuron in Reinform in einer Konzentration von 0,38 Mikrogramm pro Liter enthielt. Im Anschluss beobachteten sie das Paarungsverhalten der Tiere.
„Die Ergebnisse verdeutlichen, dass selbst subletale Dosen von Pestiziden das Paarungsverhalten und die Partnerwahl von Wildbienen erheblich stören können“, sagt Erstautor Dr. Samuel Boff. Die männlichen Löcherbienen, die dem Pestizid drei bis sechs Tage lang ausgesetzt waren, begannen ihre Paarungsversuche langsamer als die Kontrollgruppe und benötigten mehr Zeit, um eine Partnerin zu finden. Auch bei der Auswahl der Partnerinnen spielt das Insektenvernichtungsmittel eine Rolle: Die Männchen bevorzugten jene Weibchen, die nicht in Kontakt mit Flupyradifuron gekommen waren. Ihnen näherten sie sich schneller. Die exponierten weiblichen Bienen produzierten weniger Sexualpheromone. Deshalb buhlten die unbehandelten Männchen weniger um sie: Die Dauer der seitwärts wippenden Tanzbewegung, mit der die Männchen um eine Partnerin werben, war kürzer als in der Kontrollgruppe. Außerdem wählten die exponierten Weibchen ihre Partner schneller aus: Sie brauchten signifikant weniger Zeit, um die Männchen zu begutachten. „Das deutet darauf hin, dass das Insektizid die Fähigkeit der Weibchen zur optimalen Partnerwahl beeinträchtigen kann“, so Co-Autor Professor Manfred Ayasse. Die beiden Biologen vermuten, dass diese Auswirkungen damit zusammenhängen könnten, dass aufgrund von Flupyradifuron weniger chemische Verbindungen auf der Cuticula der Weibchen produziert werden. Diese Verbindungen wirken als Pheromone. Der einzigartige „Duft-Fingerabdruck“ auf der äußersten Schicht des Außenskeletts spielt eine wichtige Rolle bei der sexuellen Kommunikation. Wie sich all dies auf die Fortpflanzung von Wildbienen in der freien Natur auswirkt, muss noch untersucht werden.
„Solitäre Wildbienen gehören zu den wichtigsten Insekten der Erde“, so Dr. Samuel Boff. „Ihre unverzichtbare Funktion als Bestäuber könnte durch die subletalen Auswirkungen von Pestiziden auf verschiedene Aspekte bei der Paarung gefährdet sein.“ Boff und Ayasse betonen die Notwendigkeit, auch subletale Effekte von Pestiziden in deren Risikobewertung einzubeziehen und nicht nur die Überlebensrate von Nützlingen zu betrachten.
Flupyradifuron ist ein relativ neues Insektenvernichtungsmittel aus der Gruppe der Butenolide. Es wirkt gegen saugende Schädlinge wie Blattläuse und Weiße Fliegen und gilt als vielversprechende Alternative zu bienenschädigenden Neonicotinoiden. In der EU ist Flupyradifuron bis 2025 als Wirkstoff in Pflanzenschutzmitteln genehmigt. In Deutschland wurde ein solches Mittel im Jahr 2020 zugelassen, allerdings ausschließlich für die Verwendung in Gewächshäusern auf vollständig versiegelten Flächen und nicht für den privaten Gebrauch.
Die Studie wurde im Rahmen des Forschungsprojektes „Diversität und Reproduktion von Solitärbienen auf ökologischen und konventionellen landwirtschaftlichen Betrieben“ durchgeführt, das von der Aurelia Stiftung gefördert wird. Weitere Unterstützung kam von der Software AG.
Originalpublikation:
Samuel Boff, Manfred Ayasse. Exposure to sublethal concentration of flupyradifurone alters sexual behavior and cuticular hydrocarbon profile in Heriades truncorum, an oligolectic solitary bee. Insect Science, 21. August 2023
DOI: https://doi.org/10.1111/1744-7917.13268

02.11.2023, Universität Heidelberg
Wie sich die Organe männlicher und weiblicher Säugetiere unterscheiden
Wissenschaftler aus Heidelberg und London entschlüsseln genetische Programme, die der Entwicklung geschlechtsspezifischer Merkmale von Säugetierorganen zugrunde liegen
Die Ausbildung geschlechtsspezifischer Merkmale kommt bei Säugetieren häufig vor. Diese Merkmale entstehen durch die Aktivierung entsprechender genetischer Programme, die wissenschaftlich bisher weitgehend unbeschrieben sind. Ein internationales Forschungsteam des Zentrums für Molekulare Biologie der Universität Heidelberg und des Francis Crick Institute in London hat nun erstmals die Programme entschlüsselt, die die geschlechtsspezifische Entwicklung wichtiger Organe bei ausgewählten Säugetieren – Mensch, Maus, Ratte, Kaninchen und Opossum – steuern. Durch den Vergleich dieser Programme konnten die Wissenschaftler auch die Evolution geschlechtsspezifischer Organmerkmale nachzeichnen.
Der sogenannte Sexualdimorphismus bezeichnet die Ausbildung sekundärer Geschlechtsmerkmale und bezieht sich in der Biologie auf Unterschiede im Erscheinungsbild geschlechtsreifer männlicher und weiblicher Individuen derselben Art, die nicht auf die Geschlechtsorgane bezogen sind. Dazu gehören klar erkennbare Unterschiede in der Größe und Färbung des Körpers oder die Ausbildung unterschiedlicher Organe, etwa das Geweih bei männlichen Hirschen. Hinzu kommen weniger offensichtliche Unterschiede in der Größe, Funktion und zellulären Zusammensetzung innerer Organe. Diese Unterschiede können beim Menschen zum Beispiel bei der Leber zu einer geschlechtsspezifischen Verarbeitung oder Wirksamkeit von Medikamenten führen, so Prof. Dr. Henrik Kaessmann vom Zentrum für Molekulare Biologie der Universität Heidelberg (ZMBH), der die Arbeiten zusammen mit Dr. Margarida Cardoso-Moreira vom Francis Crick Institute in London geleitet hat.
Die Entwicklung von Säugetierorganen vor und nach der Geburt wird durch das fein abgestimmte und komplexe Zusammenspiel der Aktivität sehr vieler verschiedener Gene – auch Genexpressionsprogramme genannt – kontrolliert. „Diese entwicklungsabhängige Genexpression ist insgesamt schon recht gut verstanden, unter anderem durch die Arbeiten in unserem Labor. Weitgehend unbekannt war bislang jedoch, wie sich diese Programme zwischen weiblichen und männlichen Individuen unterscheiden und welche Auswirkungen diese Unterschiede auf die Funktion und zelluläre Zusammensetzung von Organen erwachsener Säugetiere haben“, erläutert Leticia Rodríguez-Montes. Sie ist Doktorandin in Prof. Kaessmanns Forschungsgruppe „Evolution des Säugetiergenoms“.
Den Wissenschaftlern in Heidelberg und London ist es nun gelungen, auf der Organ- und Zellebene systematisch Gene zu kartieren, die während der Entwicklung vorrangig in nur einem der beiden Geschlechter aktiv sind und so zur Ausbildung unterschiedlicher Organmerkmale bei weiblichen und männlichen Individuen führen. Auf der Grundlage von Sequenzierdaten entdeckten die Forscherinnen und Forscher mithilfe von bioinformatischen Analysemethoden ein überraschendes Muster, das auf alle von ihnen untersuchten Säugetiere zutrifft: „Fast alle Unterschiede bei der Genexpression entstehen schlagartig erst mit der Geschlechtsreife. Das heißt, dass die genetischen Programme, die für die Ausbildung geschlechtsspezifischer Organeigenschaften verantwortlich sind, fast ausschließlich spät in der Entwicklung der Organe angeschaltet werden, ausgelöst von weiblichen oder von männlichen Hormonen“, betont Prof. Kaessmann.
Um auch die Evolution dieser genregulatorischen Programme nachvollziehen zu können, verglichen die Wissenschaftler ihre Ergebnisse für die verschiedenen Säugetiere im Detail. „Bei den meisten von uns untersuchten Arten weisen Leber und Niere zwischen den Geschlechtern zahlreiche Genexpressionsunterschiede auf, die wiederum zu ausgeprägten geschlechtsspezifischen Unterschieden hinsichtlich der Funktionalität dieser Organe führen“, erklärt Dr. Cardoso-Moreira. Diese Unterschiede zwischen den Geschlechtern, so fanden die Forscherinnen und Forscher weiter heraus, treten säugetierübergreifend zwar bei den gleichen Organen und sogar bei den gleichen Zelltypen in diesen Organen auf; sie kommen jedoch größtenteils durch die Aktivität unterschiedlicher Gene zustande.
Die aktuellen Erkenntnisse veranschaulichen die rasante Evolution geschlechtsspezifischer Merkmale, die nach den Worten von Leticia Rodríguez-Montes vermutlich auf unterschiedliche Herausforderungen im Laufe der Artbildung zurückzuführen sind. „Eine Ausnahme bilden einige wenige Gene, die auf den X- und Y-Geschlechtschromosomen zu finden sind und vermutlich als grundlegende genetische Auslöser für die Entwicklung geschlechtsspezifischer Eigenschaften bei allen Säugetieren dienen“, erklärt die Wissenschaftlerin.
Die Forschungsergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Science“ veröffentlicht. Der Europäische Forschungsrat hat die Arbeiten gefördert. Die Forschungsdaten sind in einer frei zugänglichen Datenbank abrufbar.
Originalpublikation:
L. Rodríguez-Montes, S. Ovchinnikova, X. Yuan, T. Studer, I. Sarropoulos, S. Anders, H. Kaessmann, M. Cardoso-Moreira: Sex-biased gene expression across mammalian organ development and evolution. Science (published online 2 November 2023), https://doi.org/10.1126/science.adf1046

07.11.2023, Veterinärmedizinische Universität Wien
Erfolgreiche Vogel-Flirts: Weniger ist mehr
Balzen will gelernt sein und am erfolgreichsten sind nicht unbedingt die größten Angeber. Alternative Flirt-Strategien sind durchaus erfolgsversprechend. Zum Beispiel macht subtiles, spielerisches Verhalten wie eine vordergründige Schüchternheit neugierig und kann bei potenziellen Sexual-Partnerinnen das Interesse erhöhen. Was sehr menschlich klingt, analysierte nun eine aktuelle Studie des Konrad-Lorenz-Instituts für Vergleichende Verhaltensforschung (KLIVV) der Veterinärmedizinischen Universität Wien anhand der Vogelbalz. Veröffentlicht wurde die Review in der renommierten britischen Fachzeitschrift „Proceedings of the Royal Society B“.
Für ihre Forschungsarbeit analysierte das dreiköpfige Wissenschaftler-Team bereits veröffentlichte Studien zur Vogelbalz. Demnach dominiert in der Forschung zur sexuellen Selektion die Vorstellung, dass bei der Partnerwahl die stärksten, beeindruckendsten und ausgefallensten Balzhandlungen zum Erfolg führen – diese würden die Qualität des Braut-Werbenden am besten widerspiegeln.
Subtil schlägt brachial
Laut den Verhaltensforschern ist die Balz allerdings oft zeitlich strukturiert und enthält verschiedene Elemente mit unterschiedlichem Grad an Intensität und Auffälligkeit. „So sind zum Beispiel sehr intensive Bewegungen oft mit subtileren Komponenten wie statischen Körperhaltungen oder Versteckspielen gekoppelt“, erklärt Thomas MacGillavry. In diesem Zusammenhang bezeichnen die Wissenschaftler solche subtilen Darstellungsmerkmale als „schüchtern“, da sie Informationen über die maximalen Darstellungsfähigkeiten zurückhalten.
Drei Hypothesen zum Erfolgsgeheimnis der gefiederten „Shy guys“
Das Forschungsteam untersuchte die Rolle von Intensitätsvariationen innerhalb zeitlich dynamischer Darbietungen und präsentiert drei Hypothesen für die Evolution von „scheuem“ Balzverhalten. Dazu Giovanni Spezie (KLIVV): „Zunächst gehen wir auf die Hypothese der Bedrohungsreduktion ein, die auf sexuellen Zwang und sexuelle Autonomie als wichtige Aspekte der sexuellen Selektion hinweist. Dann schlagen wir vor, dass Variationen in der Größe der Darstellung bereits bestehende Wahrnehmungsvorlieben für zeitliche Kontraste ausnutzen.“ Als dritte Hypothese formulieren die Wissenschaftler die Idee, dass das Zurückhalten von Informationen die Neigung der Empfänger ausnutzen kann, Informationslücken zu füllen – dieses Phänomen nennen sie „curiosity bias“, also das Wecken von Neugier bei den potenziellen Sexual-Partnerinnen.
Neue Denkanstöße für ein besseres Verständnis des Balzverhaltens
„Ähnlich wie in der menschlichen Musik oder im Theater können Balzvorführungen echte Darbietungen sein, bei denen verschiedene Elemente zusammenwirken, um das Publikum zu verführen, Spannung aufzubauen, zu überraschen und zu erregen. Die Art und Weise, wie sich solche Darbietungen im Rahmen einer Balz entfalten, stellt eine vielversprechende und neue Richtung für die Erforschung des Balzverhaltens dar“, so Leonida Fusani, Leiter des Konrad-Lorenz-Instituts für Vergleichende Verhaltensforschung der Vetmeduni. Dass solche Aspekte bislang in der Forschung unterrepräsentiert sind, liegt laut den Wissenschaftlern daran, dass Verhaltensweisen in der Verhaltensforschung traditionell in ihre Bestandteile zerlegt und nicht gesamthaft gesehen werden – eine Analyse, die möglicherweise eben nicht den tatsächlichen Wechselwirkungen während einer Balz entspricht.
Originalpublikation:
Der Artikel „When less is more: coy display behaviours and the temporal dynamics of animal courtship“ von Thomas MacGillavry, Giovanni Spezie und Leonida Fusani wurde in „Proceedings of the Royal Society B“ veröffentlicht.
https://royalsocietypublishing.org/doi/10.1098/rspb.2023.1684

07.11.2023, Ludwig-Maximilians-Universität München
Paläogenomik: Wildkatzen und Hauskatzen meiden sich weitgehend
• Ein internationales Team um LMU-Paläontologe Laurent Frantz und Greger Larson (Universität Oxford) hat mittels genetischer Analysen die Geschichte der Katzen in Europa untersucht
• Wildkatzen und aus dem Nahen Osten eingeführte Hauskatzen haben sich lange Zeit gemieden
• Erst seit den 1960er-Jahren begann in Schottland eine massive Vermischung
Vor über 2.000 Jahren gelangte die Hauskatze aus dem Nahen Osten nach Europa und teilt sich seither ihr Verbreitungsgebiet mit der einheimischen europäischen Wildkatze. Was die Reproduktion angeht, gingen sich Haus- und Wildkatzen dennoch lange Zeit aus dem Weg. Dies zeigen genetische Analysen eines internationalen Forscherteams um den LMU-Paläontologen Professor Laurent Frantz und Professor Greger Larson (Universität Oxford, Großbritannien).
Die Expertinnen und Experten sequenzierten und analysierten das Genom von Wild- und Hauskatzen, darunter 48 moderne Individuen und 258 bis zu 8.500 Jahre alte Proben aus archäologischen Stätten. Anschließend untersuchten sie, ob und in welchem Ausmaß Kreuzungen stattgefunden haben.
Dabei fanden die Forschenden, dass Haus- und Wildkatzen im Allgemeinen eine Paarung vermieden. Bis heute lässt sich die Abstammung der meisten modernen Hauskatzen zu weniger als zehn Prozent auf Wildkatzen zurückführen. „Unsere Studien zeigen, dass die Biologie der Hauskatzen so weit von der der Wildkatzen abweicht, dass sie sich normalerweise nicht kreuzen würden“, sagt Frantz. „Das liegt wahrscheinlich daran, dass sich Hauskatzen und Wildkatzen an sehr unterschiedliche ökologische Nischen angepasst haben und ein unterschiedliches Verhalten an den Tag legen: Wildkatzen sind Einzelgänger, während Hauskatzen in viel größerer Dichte leben können.“
Schwindende Populationen fördern Vermischung
Trotzdem schwindet diese Separierung seit den 1960er-Jahren, wie die Forschenden in einer von der Universität Bristol geleiteten separaten Studie für schottische Katzen nachwiesen, an der Frantz ebenfalls beteiligt war. Vermutlich als Folge der schwindenden Wildkatzenpopulationen und damit der fehlenden Gelegenheit, sich mit anderen Wildkatzen zu paaren, stieg dort die Rate der Kreuzungen rapide an. „Diese Hybridisierung ist eine Folge der modernen Bedrohungen. Lebensraumverlust und Verfolgung haben die Wildkatze in Großbritannien an den Rand des Aussterbens gebracht“, sagt Jo Howard-McCombe, Erstautorin der Studie an schottischen Wildkatzen.
Die schottischen Wildkatzen sind die am stärksten bedrohte Population in ganz Europa. Die neuen Erkenntnisse können nach Ansicht der Forschenden dazu beitragen, die Art in Zukunft besser zu schützen, etwa in Bezug auf Schutzprogramme und Wiederansiedlungen. Für Deutschland deuten die Ergebnisse darauf hin, dass hier die Populationen wahrscheinlich noch nicht so schnell abnehmen und daher noch nicht dem gleichen Hybridisierungsdruck ausgesetzt sind. „Wir bräuchten mehr genomische Daten, um die Situation in Zukunft überwachen können und zu verhindern, dass wir mit den gleichen Problemen wie in Schottland konfrontiert werden“, schließt Frantz.
Originalpublikation:
A. Jamieson et al.: Limited historical admixture between European wildcats and domestic cats. Current Biology 2023.
Doi 10.1016/j.cub.2023.08.031
J. Howard-McCombe et al.: Genetic swamping of the critically endangered Scottish wildcat was recent and accelerated by disease. Current Biology 2023.
Doi 10.1016/j.cub.2023.10.026

07.11.202, Veterinärmedizinische Universität Wien
Katzenschnurren: Klingt einfach, ist aber ziemlich kompliziert
Hauskatzen kommunizieren durch verschiedene Laute mit ihrer Umwelt. Außergewöhnlich sind die Schnurrgeräusche der „Haustiger“. Erzeugt werden diese durch vom Gehirn gesteuerte zyklische Kontraktionen der Kehlkopfmuskulatur – so lautet die gängige Annahme. Eine aktuelle in „Current Biology“ internationale Studie unter Beteiligung der Veterinärmedizinischen Universität Wien zeigt nun jedoch, dass Katzenkehlköpfe schnurrähnliche Laute ohne neuronalen Input erzeugen können. Dies deutet darauf hin, dass die Dynamik des Katzenschnurrens komplexer ist als bisher angenommen.
Die meisten Säugetiere erzeugen ihre Laute durch selbsterhaltende Schwingungen des Kehlkopfgewebes nach dem sogenannten myoelastisch-aerodynamischen Prinzip (myoelastic-aerodynamic principle; MEAD). Im Gegensatz dazu wird seit langem angenommen, dass Hauskatzen (Felis silvestris catus) ihre tieffrequenten Schnurrlaute durch einen radikal anderen Mechanismus erzeugen. Dieser beinhaltet demnach das neural gesteuerte, aktive und zyklische Zusammenziehen und Entspannen von Muskeln im Kehlkopf (active muscle contractions; AMC), typischerweise bei einer Frequenz von 20 bis 30 Hz. Dieser Wert liegt weit unter den tiefsten Tönen, die der Mensch mit seiner Stimme produzieren kann. Empirische Nachweise für diesen AMC-Mechanismus sind allerdings sehr spärlich.
Forschungsteam testet AMC-Hypothese …
Für ihre Studie untersuchte das Forschungsteam in einem Laborexperiment von Hauskatzen entnommene (exzidierte) Kehlköpfe, um die Richtigkeit der AMC-Hypothese zu testen. Demnach sollten Vibrationen ohne neuromuskuläre Aktivität unmöglich sein – und daher exzidierte Kehlköpfe nicht zum Schnurren gebracht werden können.
… und widerlegt diese in weiten Teilen
Überraschenderweise erzeugten die Kehlköpfe aber selbsterhaltende Schwingungen in der für Katzen typischen Schnurrfrequenz. Die histologische Analyse der Katzenkehlköpfe ergab, dass in die Stimmlippen kissenähnliche Strukturen mit einem Durchmesser von bis zu 4 mm eingebettet sind. Diese einzigartige Spezialisierung der Stimmlippen scheint die beim Schnurren beobachteten und für solch kleine Tiere ungewöhnlich niedrigen Grundfrequenzwerte zu ermöglichen.
„Auch wenn unsere Daten die AMC-Hypothese für das Schnurren nicht vollständig widerlegen, so zeigen sie doch, dass Katzenkehlköpfe ohne Weiteres Geräusche im Bereich des Schnurrens mit Grundfrequenzen von 25 bis 30 Hz ohne neuronalen Input oder Muskelkontraktion erzeugen können“, so Studien-Coautor Gerald Weissengruber vom Institut für Morphologie der Vetmeduni.
„Dies deutet stark darauf hin, dass die physikalische und physiologische Grundlage des Katzenschnurrens auf den gleichen MEAD-basierten Mechanismen beruht, wie andere Katzenvokalisationen, beispielsweise Miauen, und Vokalisationen der meisten anderen Wirbeltiere. Möglicherweise wird das Katzenschnurren aber durch AMC verstärkt. Darüber hinaus vermuten wir, dass sowohl AMC- als auch MEAD-Mechanismen bei lebenden Tieren frequenzabhängig sind“, fasst Gerald Weissengruber weitere zentrale Erkenntnisse der Studie zusammen.
Originalpublikation:
Der Artikel „Domestic cat larynges can produce purring frequencies without neural input“ von Christian T. Herbst, Tamara Prigge, Maxime Garcia, Vit Hampala, Riccardo Hofer, Gerald E. Weissengruber, Jan G. Svec und W. Tecumseh Fitch wurde in „Current Biology“ veröffentlicht. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0960982223012307?via%3Dihub

08.11.2023, Julius Kühn-Institut, Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen
Langzeitstudie Nordharz: Viele Insekten verschwunden, nur die Blattläuse nicht
Daten des Julius Kühn-Instituts (JKI) weisen für die landwirtschaftlich intensiv bewirtschaftete Region in Sachsen-Anhalt hohe Biomasse-Verluste fliegender Insekten nach. Blattläuse und Zikaden profitieren.
(Quedlinburg) Seit der 2017 veröffentlichten „Krefeld-Studie“ wird intensiv über das Insektensterben diskutiert. Die Datenlage zu Insektenvielfalt und -dichte in der Landschaft und ihrer rückläufigen Tendenz ist lückenhaft und uneinheitlich. Eine Langzeitstudie des Julius Kühn-Instituts (JKI) beschreibt nun für den Nordharz und damit für eine intensiv landwirtschaftlich genutzte Region einen drastischen Rückgang von rund 95 Prozent der Biomasse fliegender Insekten über einen Zeitraum von 24 Jahren. Doch nicht alle Arten sind gleichermaßen betroffen: Während manche taxonomische Gruppen ungeachtet natürlicher Populationsschwankungen deutlich zurückgehen, zeigen die Langzeitdaten der Forschenden für den Nordharz eine tendenzielle Zunahme und längere Flugaktivität bei anpassungsfähigen Pflanzenschädlingen wie Blattläusen. Die Ergebnisse sind im Journal of Pest Science erschienen DOI: https://doi.org/10.1007/s10340-023-01698-2.
„Der Zusammenhang zwischen dem Gesamtverlust fliegender Insekten und steigender Blattlauspopulationen ist nicht widersprüchlich“, erklärt Entomologe und Erstautor Dr. Tim Ziesche vom JKI. „Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Blattläuse auf den großen und strukturarmen Landwirtschaftsflächen der Region Nahrung auf dem Silbertablett serviert bekommen, während vielen potenziellen Gegenspielern dort Nahrung und Nistmöglichkeiten fehlen.“ Die Datenauswertung der JKI-Autoren legt nahe, dass Agrarlandschaften mit großen Ackerschlägen und wenig Kleinstrukturen wie Hecken, Randstreifen oder Gehölzen das Verhältnis von Pflanzenschädlingen zu Gegenspielern zugunsten der Schädlinge verschieben und gleichzeitig mit einem Verlust schädlingsregulierender Ökosystemdienstleistungen einhergehen.
Seit 1996 ist die Temperatur während der Vegetationsperiode in der verhältnismäßig trockenen Region im Windschatten des Harzes zudem um rund 2°C gestiegen. Der Klimawandel fördert die frühe und schnellere Entwicklung sowie längere Aktivität der Schädlinge. „Das heißt im Umkehrschluss jedoch nicht, dass der Klimawandel Pflanzenschädlinge grundsätzlich begünstigt,“ so Dr. Ziesche. „Bei den Blattflöhen und Thripsen etwa sehen wir ebenfalls einen signifikanten Rückgang. Es sind wärmeliebende bzw. trockenstresstolerante Arten wie Zikaden oder anpassungsfähige Insektengruppen wie die der Blattläuse, die von den steigenden Temperaturen profitieren.“ So stellten Blattläuse als Reaktion auf wärmere Umweltbedingungen beispielsweise ihre sexuelle Fortpflanzung und Eiablage auf Winterwirtspflanzen ein, um direkt in Getreide- und Rapsflächen zu überwintern.
Die Studie liefert wertvolle Hinweise für eine nachhaltige Förderung der Insektenvielfalt in Agrarlandschaften. Die JKI-Autoren gehen davon aus, dass Klimawandel und intensive Landbewirtschaftung in strukturarmen Agrarlandschaften sich in ihrer Wirkung auf Insekten gegenseitig verstärken. Da viele Insektenarten wichtige, schädlingsregulierende Funktionen in der Agrarfläche einnehmen, sollte diese Wechselwirkung in Pflanzenschutzstrategien stärker bedacht werden.
Hintergrund: Für die Studie wurden die Saugfallen-Fänge von 35 Jahren (1985-2020) am JKI-Standort Quedlinburg ausgewertet und mit Daten aus Groß Lüsewitz (bei Rostock, Sammelperiode (SP): 1997-2017, 2019), Göttingen (SP: 1993-1998) und Stuttgart (SP: 1994-1995) verglichen. Die Langzeitdaten zeichnen sich durch eine hohe zeitliche Auflösung während der Vegetationsperiode und die technisch standardisierte Erhebungsmethode aus. Die landwirtschaftliche Flächennutzung der Region um Quedlinburg liegt bei mehr als 60 Prozent mit durchschnittlichen Schlaggrößen von rund 41 Hektar.
Originalpublikation:
Tim M. Ziesche, Frank Ordon, Edgar Schliephake, Torsten Will (2023): Long-term data in agricultural landscapes indicate that insect decline promotes pests well adapted to environmental changes. Journal of Pest Science. DOI: https://doi.org/10.1007/s10340-023-01698-2

08.11.2023, Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)
Diese Haustiere haben für Süßgewässer ein hohes Invasionsrisiko
Oft genug werden Haustiere ausgesetzt, sobald sie lästig werden. Nicht nur Hund oder Katze, sondern auch Süßwasserexoten. Das trägt wesentlich zur Ausbreitung invasiver Arten bei. Forschende unter Leitung des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) haben für Deutschland die wichtigsten Risikoarten unter den aquatischen Haustieren identifiziert und eine dreistufige Risikobewertung entwickelt, die als Screening-Instrument und Grundlage für die Gesetzgebung zur Beschränkung künftiger Freisetzungen unerwünschter Haustiere dienen kann. Dies ist auch nötig, denn die Studie zeigt, dass 97 Prozent der in Deutschland verkauften Süßwasserarten nicht heimisch sind.
Die Ausbreitung gebietsfremder Arten – Tiere, Pflanzen und andere Organismen, die außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebietes eingeführt werden – ist eine der Hauptursachen für den Verlust der biologischen Vielfalt. Viele dieser Arten stammen aus dem Heimtierhandel. Dies gilt laut früherer Studien für etwa ein Drittel aller invasiven Süßwasserarten.
Für einige Arten wurde der Handel daher schon verboten oder stark eingeschränkt, um eine weitere Ausbreitung zu verhindern. So darf beispielsweise die Nordamerikanische Buchstaben-Schmuckschildkröte, die früher häufig im europäischen Heimtierhandel angeboten wurde, heute in der EU nicht mehr verkauft werden. Diese Art ist inzwischen auf allen Kontinenten außer der Antarktis verbreitet, da sie weltweit von Tierhalter*innen ausgesetzt wurde.
„Eine zunehmend globalisierte Welt hat die Verbreitung gebietsfremder Arten durch den schlecht regulierten internationalen Handel mit Heimtieren erleichtert. Um die Bedrohung durch invasive Arten einzudämmen, ist Prävention besonders wichtig. Dazu muss man die Risikoquellen kennen und die Arten identifizieren, die am ehesten eingeschleppt werden und sich im neuen Lebensraum etablieren können“, erklärt IGB-Forscher James W. E. Dickey, Erstautor der Studie.
Arteninventar von Süßwassertieren im deutschen Handel:
Die Forscherinnen und Forscher führten eine umfassende Analyse des Handels mit Süßwassertieren in Deutschland durch und erstellten ein Arteninventar. Dazu nutzte das Team drei Recherchekanäle: Erstens direkte Befragungen in Berliner Zoofachgeschäften und Gartencentern, zweitens deutschsprachige Internetseiten für Heimtiere und drittens eBay-Kleinanzeigen (heißt nun kleinanzeigen). Für jede Art ermittelten sie auf der Grundlage von Verfügbarkeit und Preis, wie wahrscheinlich eine Freisetzung ist. Dabei gingen die Forschenden davon aus, dass leichter erhältliche und billigere Arten ein höheres Risiko haben, in falsche Hände zu geraten und freigesetzt zu werden. Im nächsten Schritt ermittelten sie, welche Arten aufgrund der Breite ihrer ökologischen Nischen und der Überlappung ihrer Nischen mit den Umweltbedingungen in Deutschland die größte Wahrscheinlichkeit haben, zu überleben und hier gebietsfremde Populationen zu bilden.
97 Prozent der verkauften Süßwasserarten sind nicht heimisch, 22 dieser Arten wurden in Deutschland bereits in freier Wildbahn gefunden:
Das Team dokumentierte 669 Süßwasserarten im deutschen Handel, von denen 651 nicht heimisch waren. Fische waren mit 89,5 % aller Arten am häufigsten vertreten, gefolgt von Weichtieren mit 4,3 %, Krebstieren mit 3,9 % (Garnelen: 2,1 %; Fluss- und Süßwasserkrebse: 1,8 %), Amphibien mit 1,2 % und Reptilien mit 1,0 %. Zweiundzwanzig dieser Arten wurden bereits in der freien Wildbahn in Deutschland gefunden. Einige der Arten, wie der Froschwels (Clarias batrachus), stehen auf der Liste der „100 der schlimmsten invasiven gebietsfremden Arten der Welt“. Andere, wie der Afrikanische Krallenfrosch (Xenopus laevis), auf der EU-Liste der „invasiven gebietsfremden Arten von gemeinschaftlichem Interesse“.
Kleinanzeigen-Recherche: Viele Verkäufer*innen wissen gar nicht, was sie anbieten. Größe und hohe Vermehrungsrate sind Hauptgründe für Abgabe:
Trotz der hohen Anzahl an Angeboten konnten bei eBay-Kleinanzeigen die wenigsten Arten ermittelt werden. „Besorgniserregend ist die Häufigkeit, mit der in den Anzeigen grobe Bezeichnungen anstelle von genauen Artnamen verwendet werden – manchmal so vage wie ‚Tiere‘. Dies verdeutlicht auch die Schwierigkeiten bei der Regulierung informeller Online-Marktplätze“, so Professor Jonathan Jeschke, Abteilungsleiter am IGB und Letztautor der Studie.
Die Gründe für die Abgabe bei eBay-Kleinanzeigen waren vielfältig und haben zum Teil mit der Reproduktion oder dem Wohlbefinden der Tiere zu tun: Eine hohe Fortpflanzungsrate (am häufigsten), die Größe des Tieres im Verhältnis zum Becken (am dritthäufigsten) und die Aggressivität gegenüber anderen Tieren (am fünfthäufigsten) waren wichtige Gründe für die Abgabe. Der zweithäufigste Grund deutet jedoch darauf hin, dass auch die Ästhetik Vorrang vor der Affinität zu den Tieren haben kann, da die Besitzer*innen ihr Aquarium umgestalten oder den Tierbestand austauschen wollten.
Unter den Hochrisikoarten für Deutschland sind der Goldfisch, der Guppy und die Nadel-Kronenschnecke:
Auf der Grundlage der gesammelten Daten sowie des ermittelten Freisetzungsrisikos und der Überlebenswahrscheinlichkeit im neuen Habitat entwickelte das Team eine dreistufige Risikobewertungsmethode. „Wir schlagen diese Methode für das Screening von kommerziellen Arten vor. Damit könnte die Ausbreitung besonders risikoreicher Arten möglicherweise eingedämmt werden, zum Beispiel durch besondere Haltungsanforderungen oder den Preis“, so James Dickey.
Zu den Hochrisikoarten für Deutschland gehören der Goldfisch (Carassius auratus), der Guppy (Poecilia reticulata) und die Nadel-Kronenschnecke (Melanoides tuberculata). Alle drei Arten haben eine lange Invasionsgeschichte und wurden bereits in freier Wildbahn in Deutschland gefunden. Goldfische sind eine Gefahr durch ihre hohe Nahrungsaufnahme, ihr breit gefächertes Nahrungsspektrum und ihr Futtersuchverhalten, was zu drastischen Veränderungen in den Gewässern führen kann, in denen sie sich ansiedeln. Guppys sind nicht nur beliebte Haustiere, sondern werden auch weltweit zur Mückenbekämpfung eingesetzt, und sie können zu einem Rückgang auch anderer wirbelloser Arten führen. Die Nadel-Kronenschnecke vermehrt sich ungeschlechtlich und kann in gebietsfremden Lebensräumen große Dichten erreichen. Infolgedessen hat sie einheimische Süßwasserschneckenarten verdrängt und ist auch ein Zwischenwirt für Saugwurmparasiten, die eine Gefahr für die menschliche Gesundheit darstellen.
Die Autor*innen plädieren dafür, auch denjenigen Arten besondere Beachtung zu schenken, die sich noch nicht in Deutschland ausgebreitet haben, wie der Blutsalmler (Hyphessobrycon eques) und der Papageienkärpfling (Xiphophorus variatus). „Der Handel mit Zierfischen ist unglaublich dynamisch, und es kommen ständig neue Arten hinzu. Je nach Angebot und Nachfrage können sich auch die Preise und die Verfügbarkeit der Arten ändern. Das bedeutet, dass die Risiken, die mit jeder Art verbunden sind, schwanken, was eine gezielte und langfristige Überwachung der Branche erforderlich macht“, erklärt James Dickey. „Wir hoffen, dass Risikobewertungen wie unsere und eine stärkere Sensibilisierung der Öffentlichkeit dazu beitragen können, die Freisetzung riskanter und potenziell gefährlicher Arten in deutschen Gewässern zu reduzieren.“
Originalpublikation:
Dickey, J. W. E., Liu, C., Briski, E., Wolter, C., Moesch, S., & Jeschke, J. M. (2023). Identifying potential emerging invasive non-native species from the freshwater pet trade. People and Nature, 00, 1–14. https://doi.org/10.1002/pan3.10535

09.11.2023, Universität Bern
Pfeilgiftfrösche: Der Charakter bestimmt die Fortpflanzung
Pfeilgiftfrösche der Spezies Allobates femoralis sind zwar im Gegensatz zu ihren Verwandten nicht giftig, bestechen aber durch ihre verschiedenen Charakterzüge: je nachdem, ob sie mutig, aggressiv oder entdeckungsfreudig sind, haben sie mit unterschiedlichen Strategien Erfolg bei der Fortpflanzung. Zudem sind bestimmte Charaktereigenschaften schon im Kaulquappenstadium der Amphibien vorhanden. Dies zeigen zwei kürzlich publizierte Studien der Universität Bern.
Pfeilgiftfrösche der Spezies Allobates femoralis sind in den tropischen Regenwäldern Südamerikas weit verbreitet. Ihre hochgiftigen Verwandten, wie in etwa Frösche der Gattung Phyllobates, wurden häufig von indigenen Völkern Kolumbiens verwendet, um durch Reiben der Haut an Pfeilspitzen Giftstoffe zu extrahieren, und diese dann zum Zweck der Jagd und des Kampfes einzusetzen. Frösche der Art Allobates femoralis sind nicht giftig. Aber sie haben, wie viele andere Tierarten auch, ausgeprägte Persönlichkeitsmerkmale. Sowohl Männchen als auch Weibchen können zum Beispiel besonders mutig, aggressiv oder entdeckungsfreudig sein. Pfeilgiftfrösche verpaaren sich im Laufe einer Fortpflanzungsperiode mit mehreren Partnern, und ihre Charaktereigenschaften haben einen grossen Einfluss auf die Fortpflanzungsstrategien der einzelnen Tiere.
Bisherige Studien in anderen Tierarten untersuchten meist den Effekt von Persönlichkeitsmerkmalen auf nur einzelne Aspekte von Fortpflanzungserfolg. In zwei kürzlich publizierten Studien präsentieren Forschende des Instituts für Ökologie und Evolution der Universität Bern nun neue Ergebnisse zu den Auswirkungen unterschiedlicher Kombinationen von Persönlichkeitsmerkmalen bei Männchen und Weibchen auf verschiedene Komponenten von Fortpflanzungserfolg. Dabei untersuchten sie sowohl den Einfluss von Persönlichkeit auf den Paarungserfolg, die Anzahl der produzierten Gelege als auch auf die Anzahl der Nachkommen, die bis ins Erwachsenenalter überlebten. Zudem konnten die Forschenden zeigen, dass gewisse Persönlichkeitsmerkmale bei Pfeilgiftfröschen bereits im Kaulquappenstadium vorhanden sind und sogar über die nachfolgende Metamorphose hinweg erhalten bleiben.
Verhaltens-Experimente im Feld und im Labor
Amphibien und insbesondere Pfeilgiftfrösche sind ideal, um die Zusammenhänge zwischen Verhalten und Fortpflanzungserfolg zu untersuchen, da zwischen Männchen und Weibchen bei der Partnerwahl und auch bei der Aufzucht des Nachwuchses komplexe Interaktionen und Abgrenzungen stattfinden.
Die Forschungsgruppe von Eva Ringler, Professorin und Leiterin der Abteilung Verhaltensökologie am Institut für Ökologie und Evolution der Universität Bern,
untersuchte eine natürliche Population von Pfeilgiftfröschen auf einer Flussinsel in Französisch-Guayana. Diese Population ist dort seit über zehn Jahren etabliert. «Die Situation dieser Flussinsel bietet uns die Möglichkeit, mit freilebenden Amphibien auf Populationsebene in abgegrenztem Gebiet zu arbeiten. Wir können einerseits untersuchen, wie sich einzelne Individuen voneinander in ihrem Verhalten unterscheiden. Andererseits ist es uns möglich, mittels genetischer Methoden den individuellen Fortpflanzungserfolg zu erfassen, und dies in Bezug zur Gesamtpopulation zu setzen», sagt Eva Ringler. Die Forschenden führten auch Verhaltens-Experimente mit Tieren an der Ethologischen Forschungsstation Hasli der Universität Bern durch. Aus diesen Untersuchungen stammen die Ergebnisse über die Stabilität der Persönlichkeitsmerkmale über die Metamorphose hinweg.
Kein Verhalten verspricht in jedem Fall Erfolg
Die Persönlichkeitsmerkmale der Pfeilgiftfrösche wurden in speziellen Verhaltensversuchen erfasst. «Um zum Beispiel die Aggressivität zu messen, wurden akustische Signale abgespielt, um bei den Männchen territoriales Verteidigungsverhalten auszulösen», erklärt Studien-Erstautorin Mélissa Peignier. Die Forschenden kamen zum Schluss, dass die Persönlichkeitsmerkmale Mut, Aggressivität und Entdeckergeist je nach Kontext sowohl bei Männchen als auch bei Weibchen Vor- oder Nachteile für verschiedene Aspekte von Fortpflanzungserfolg haben können. «Es gibt kein Verhalten, das generell Erfolg verspricht und sich durchsetzt. Es kommt auf den jeweiligen Kontext an», sagt Eva Ringler.
So konnte das Team zeigen, dass Männchen, die viele Partnerinnen anwerben konnten, entweder nicht aggressiv und nicht erkundungsfreudig oder sehr aggressiv und erkundungsfreudig waren. «Männchen mit niedrigem Aggressionslevel haben es wahrscheinlich schwer, sich gegen aggressivere Artgenossen durchzusetzen. Deshalb ist es für sie vorteilhaft, geschützt im eigenen Revier zu bleiben und dort auf Partnerinnen zu warten», erklärt Peignier. «Aggressivere Männchen, die aber nicht auf Erkundungstour gehen und im eigenen Revier bleiben, haben dort möglicherweise das Problem, dass sie potenzielle Partnerinnen schlecht von Konkurrenten unterscheiden können. Ein Angriff im eigenen Revier auf ein sich näherndes Weibchen ist für den Paarungserfolg natürlich nicht förderlich», sagt Peignier. Umgekehrt könnten aggressive Männchen mit einem hohen Erkundungsdrang ihren Paarungserfolg steigern, indem sie ihre Chancen erhöhen, sich an Orten mit vielen Weibchen niederzulassen.
Charakter entwickelt sich früh und ist stabil
Viele Tiere zeigen eine hohe Konsistenz in ihrem Verhaltensrepertoire, unabhängig von Zeit und Kontext. Bei Amphibien ist diese Stabilität in Persönlichkeitsmerkmalen besonders interessant, da sie während der Metamorphose von der Kaulquappe zum Frosch drastische morphologische und ökologische Veränderungen durchlaufen. «In Verhaltenstests im Labor haben wir festgestellt, dass beispielsweise die Eigenschaften Mut und Erkundungsdrang bereits in der Kaulquappe vorhanden sind und auch nach der Metamorphose erhalten bleiben», erklärt Studienautorin Lauriane Bégué.
«Die beiden Studien zeigen, wie wichtig es ist, individuelle Unterschiede bei ökologischen und evolutionären Fragestellungen zu berücksichtigen. Und sie liefern wichtige Einblicke in die Mechanismen, die die Vielfalt an Persönlichkeitsausprägungen einerseits generiert und diese auch über evolutionäre Zeiträume erhält», sagt Ringler. Die Ergebnisse deuten überdies darauf hin, dass Verhaltensmerkmale eine physiologische und/oder eine genetische Grundlage haben könnten. «Zukünftige Studien sollten untersuchen, inwieweit die Persönlichkeit bei Pfeilgiftfröschen vererbt wird, um besser zu verstehen, wie genetische Faktoren Vielfalt in Charaktereigenschaften einschränken können.», sagt Eva Ringler abschliessend.
Originalpublikation:
Peignier Mélissa, Araya-Ajoy Yimen G., Ringler Max and Ringler Eva. 2023. Personality traits differentially affect components of reproductive success in a Neotropical poison frog. Proc. R. Soc. B. 290: 20231551 https://royalsocietypublishing.org/doi/10.1098/rspb.2023.1551
http://doi.org/10.1098/rspb.2023.1551
Bégué, L., Tschirren, N., Peignier, M. et al. 2023. Behavioural consistency across metamorphosis in a neotropical poison frog. Evol Ecol. https://link.springer.com/article/10.1007/s10682-023-10274-0

09.11.2023, Bundesanstalt für Gewässerkunde
Nicht-einheimische Arten im Wasser schneller erkennen: Behörden testen neue Verfahren
Meist werden nicht-einheimische Arten erst bemerkt, wenn sie sich bereits etabliert haben. Das könnte sich nun ändern. Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) und die Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG) haben erfolgreich genetische Verfahren getestet, um invasive Arten in Fluss und Meer frühzeitig zu entdecken. So könnte in Zukunft die Ausbreitung rechtzeitig eingedämmt werden. Die Ergebnisse wurden kürzlich bei der 2. Verkehrs- und Infrastrukturtagung des BMDV-Expertennetzwerks in Berlin vorgestellt.
Im Hafen Rostock haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler insgesamt 37 nicht-einheimische Arten detektiert. Das Besondere: sie kombinierten erstmals herkömmliche und genetische Verfahren, um die Arten zu bestimmen. „Zusammen konnten wir viel mehr nicht-einheimische Arten identifizieren. Dies ist wichtig, um sie frühzeitig zu erfassen“, erklärt Mariusz Zabrocki vom BSH. „So können wir rechtzeitig reagieren, um Mensch und Umwelt zu schützen.“
In der Studie erfassten sie beispielsweise die Mittelmeer-Miesmuschel und die Neuseeländische-Zwergdeckelschnecke ausschließlich mit genetischen Verfahren. Der riffbildende Kalkröhrenwurm, der im Jahr 2020 für Aufsehen sorgte, haben sie hingegen nur auf die klassische Art und Weise gefunden. In den Flüssen setzen unter anderem die Wollhandkrabbe und die Zebramuschel die heimischen Ökosysteme unter Druck.
Im Wasser sind viele der eingeführten Arten potenziell schädlich
Die internationale Schifffahrt begünstigt die Verbreitung von nicht-einheimischen Arten. Im Bewuchs oder im Ballastwasser von Schiffen können Arten an Orte gelangen, wo sie natürlicherweise nicht vorkommen. Dort können sie sich unter Umständen ansiedeln und so große Schäden anrichten. Daher ist eine frühzeitige Erkennung entscheidend. Oft werden diese Arten jedoch meist erst bemerkt, wenn sie sich bereits vor Ort etabliert haben.
„Klassischerweise nehmen Expertinnen und Experten die äußeren Merkmale eines Lebewesens unter die Lupe und bestimmen so die Art jedes Individuums“, erklärt Saskia Schmidt von der BfG. Dies erfordere viel Erfahrung und Fachwissen – und vor allem Zeit. Einige Arten sind nur schwer zu identifizieren und seltene Arten werden so kaum entdeckt. Hier können genetische Verfahren weiterhelfen.
In Zukunft werden DNA-basierte Methoden angewendet
Um nicht-einheimische Arten schneller zu erkennen, werden neuerdings genetische Verfahren eingesetzt und getestet. Zuvor zählte der Fund von erkennbaren Individuen oder -teilen selbst. Die neuen Methoden zeigen das Vorkommen einer Art an, wenn lediglich das Vorkommen von genetischem Material (DNA) von Individuen in Probematerial nachgewiesen wird. So können auch schwer bestimmbare und eher seltene Arten identifiziert werden. In der Regel sind DNA-basierte Methoden sogar schneller und günstiger. Derzeit werden sie für das behördliche Monitoring standardisiert.
Mit den genetischen Verfahren steht BSH und BfG nun ein zuverlässiger „Werkzeugkof-fer“ für weitere Untersuchungen zur Verfügung. Zusammen mit der klassischen Artenbestimmung haben sie ein großes Potential als Frühwarnsystem. Zukünftig können so die Verbreitungspfade besser identifiziert und effektive Maßnahmen zur Eindämmung von nicht-einheimischen Arten abgeleitet werden.
Forschung für eine umweltgerechte Schifffahrt
Die Ergebnisse stellten BSH und BfG auf der 2. Verkehrs- und Infrastrukturtagung vor, die kürzlich in Berlin stattfand. Die Studien wurden durch das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) gefördert und im BMDV-Expertennetzwerk durchgeführt. Im Vordergrund stehen gemeinsame Lösungen, um das Verkehrssystem wider-standsfähig und umweltgerecht zu gestalten.

09.11.2023, BUND
Wildkatzenschutz: Paarungen mit Hauskatzen vermeiden
Großflächige wilde Wälder bieten gefährdeten Wildkatzen nötige Rückzugsräume
Paarungen von Haus- und Wildkatzen können heimische Wildtierart gefährden
BUND: freilaufende Hauskatzen als Beitrag zum Artenschutz kastrieren
Schutz und Erweiterung der Wildkatzenlebensräume notwendig

Zwischen Hauskatzen und Europäischen Wildkatzen kommt es nur selten zu einer Paarung. Der Lebensraumverlust der bundesweit gefährdeten Wildkatze kann allerdings die Vermischung beider Arten fördern, wie eine Studie der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München und der Universität Oxford belegt. Der BUND ruft deshalb dazu auf, freilaufende Hauskatzen zu kastrieren und die Lebensräume der Wildkatze zu schützen und zu fördern.
Friederike Scholz, Leiterin des Projektes „Wildkatzenwälder von morgen“ im Bundesprogramm Biologische Vielfalt: „Die streng geschützte Europäische Wildkatze ist ein echtes Wildtier und optimal an ihren natürlichen Lebensraum angepasst. Unsere Hauskatzen dagegen stammen von der Falbkatze ab. Dennoch können sich Haus- und Wildkatze unter besonderen Umständen paaren und Nachkommen zeugen. Dabei stehen die geschätzt 6000 bis 8000 Wildkatzen in Deutschland über 15 Millionen Hauskatzen gegenüber. Frühere Untersuchungen haben gezeigt, dass die Wildkatzen in Deutschland dennoch nur eine geringe Hybridisierungsrate von rund drei Prozent aufweisen. Das bestätigt auch die neue Studie.“
Von einer Situation wie in Schottland sind die Wildkatzen in Deutschland somit weit entfernt: Dort gilt die Wildkatze durch Hybridisierung mit Hauskatzen mittlerweile als genetisch ausgestorben. In den letzten Jahren gab es aber auch hierzulande vermehrt Hinweise auf Hybridkatzen, z.B. in Baden-Württemberg. Vielerorts fehlen jedoch Daten. Um die Wildkatze als eigenständige Art zu schützen, ist daher weitere Forschung zum Thema notwendig.
Scholz: „Um die Wildkatzen zu schützen, sind im Hinblick auf Hauskatzen zwei Aspekte sehr wichtig: Zum einen sollten freilaufende Hauskatzen kastriert werden. Alle Menschen, die Hauskatzen halten, können dadurch einen Beitrag zum Artenschutz leisten. Zum anderen müssen die Lebensräume der Wildkatze geschützt und erweitert werden, denn Hauskatzen und auch Hybride meiden offensichtlich wilde Wälder.“
In großen Waldgebieten mit stabilen Vorkommen der Wildkatze wie der Eifel und dem Harz sind bisher kaum Hybride nachgewiesen. Wahrscheinlich hat die Wildkatze in solchen Lebensräumen Vorteile beim Überleben gegenüber den schlechter angepassten Hybridkatzen. Außerdem gibt es dort genug andere Wildkatzen als Paarungspartner.
Scholz: „Im Projekt ‚Wildkatzenwälder von morgen‘ arbeitet der BUND daran, weitere solcher Wälder wildkatzengerecht zu gestalten. Wir setzen auf die direkte Zusammenarbeit mit Menschen, die Wald besitzen oder verwalten. Gemeinsam schützen und erhalten wir so heimische Wälder, bedrohte Tierarten und betreiben damit auch natürlichen Klimaschutz.“
Hintergrund:
Die Europäische Wildkatze ist laut Bundesnaturschutzgesetz streng geschützt und gilt laut Roter Liste der gefährdeten Arten bundesweit als „gefährdet“. Unsere Hauskatzen stammen nicht von der Wildkatze ab, sondern von der Afrikanischen Falbkatze. Hauskatzen wurden von den Römern nach Mitteleuropa gebracht. Hybride aus Haus- und Wildkatze weisen veränderte genetische Merkmale auf und die ursprünglichen Anpassungen an den Lebensraum der Wildkatze können verloren gehen.
Das sechsjährige Projekt „Wildkatzenwälder von morgen“ wird im Bundesprogramm Biologische Vielfalt durch das Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz gefördert. Das Projekt setzen der BUND-Bundesverband, die BUNDjugend und die BUND-Landesverbände Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen um.

10.11.2023, Goethe-Universität Frankfurt am Main
KI zeigt Artenschwund im Badesee: Forschende entwickeln „Zeitmaschine für die biologische Vielfalt“
Wie Wasserverschmutzung, extreme Wetterereignisse und steigende Temperaturen über viele Jahrzehnte hinweg das Ökosystem eines Süßwassersees verändern und unwiederbringlich schädigen können, zeigt ein KI-Modell eines Teams aus Wissenschaftler:innen der Goethe-Universität Frankfurt und der Universität Birmingham. Das Modell, das Wetter- und Klimadaten sowie Daten aus einem Sedimentbohrkern des Sees nutzt, könnte künftig für Vorhersagen genutzt werden, wie Ökosysteme auf komplexe Umweltveränderungen reagieren. Es könnte daher als „Zeitmaschine für die biologische Vielfalt“ dienen, die sowohl Prozesse in der Vergangenheit erklärt wie auch auf künftige ökologische Gefahren hinweist.
Die Sedimente von Seen und Flüssen sind das Langzeitgedächtnis der Gewässer: Schicht für Schicht werden hier über lange Zeiträume mineralische, organische und chemische Partikel und Stoffe abgelagert. In einem Sedimentbohrkern des „Ring Lake“ bei Braedstrup in Dänemark analysierte das deutsch-britische Wissenschaftsteam unter Federführung von Niamh Eastwood und Prof. Luisa Orsini sowohl die DNA-Reste von Pflanzen, Tieren und Bakterien wie auch Umweltgifte wie etwa Pestizide oder Herbizide, die im Laufe der Zeit in den See gelangten und sich in den Sedimenten ablagerten. So konnte das Wissenschaftsteam die Veränderungen der ökologischen Lebensgemeinschaft im See einerseits und die Verschmutzung etwa durch Nitrate und Biozide im Laufe der vergangenen 100 Jahre rekonstruieren.
„Der von uns untersuchte ‚Ring Lake‘ in Dänemark ist ein Gewässer, das zu Beginn des 20. Jahrhundert kaum belastet war. Im Laufe des Jahrhunderts war der See dann erheblichen Umweltbelastungen ausgesetzt, während sich in den letzten Jahren des 20. Jahrhundert die Wasserqualität deutlich verbessert hat“, erklärt Prof. Henner Hollert, Umwelttoxikologe an der Goethe-Universität Frankfurt, Fraunhofer IME und dem LOEWE Zentrum TBG für Translationale Biodiversitätsgenomik. Dies und die ungestörte Sedimentschichtung, in denen die Jahre ähnlich wie bei Jahresringen eines Baumstamms sichtbar werden, habe den See zu einem interessanten Forschungsobjekt gemacht.
Das Wissenschaftsteam verknüpfte nun die Analysedaten des Bohrkerns mit Klimaaufzeichnungen, wobei Extremtemperaturen und Niederschlagsmengen von besonderem Interesse waren, und entwickelte mithilfe einer künstlichen Intelligenz ein Modell, um den Einfluss der Umweltveränderungen auf die Zusammensetzung der Süßwassergemeinschaft zu erklären und zeitlich sowie räumlich auflösen zu können. Das Ergebnis: 90 Prozent der Veränderungen in der funktionellen biologischen Vielfalt des Ring Lake waren auf den Eintrag von Insektiziden und Fungiziden in Verbindung mit extremen Temperatur- und Niederschlagsereignissen zurückzuführen.
Zwar verringerte sich die landwirtschaftliche Nutzung in der Umgebung des Sees Ende des Jahrhunderts und führte zu einer Verbesserung der Wasserqualität. Das deutsch-britische Wissenschaftsteam musste jedoch feststellen, dass der ursprüngliche ökologische Zustand des Sees nicht wiederhergestellt werden konnte.
Henner Hollert erläutert: „Wir konnten zeigen, dass der Schwund der Artenvielfalt in einem Ökosystem ist nicht komplett reversibel ist: Die Lebensgemeinschaft funktioniert nicht mehr so wie vorher, da Arten fehlen, die bestimmte Ökosystemleistungen in dem System erbracht haben. Wir werden unser KI-System, unsere ‚Zeitmaschine für die Biologische Vielfalt‘, jetzt an weitere Seen testen, etwa in einem aktuellen interdisziplinären DFG-Projekt zur Wechselwirkung Mensch und Umwelt im späten Mittelalter mit der TU Darmstadt, dem Geoforschungszentrum Potsdam, der Landesdenkmalpflege Baden-Württemberg sowie den Universitäten Tübingen und Braunschweig. Lehren aus der Vergangenen können uns für die Zukunft helfen: Unser Ziel ist es, Behörden ein Warnsystem an die Hand zu geben, womit ökologisch bedrohliche Entwicklungen frühzeitig abgeschätzt und Gegenmaßnahmen ergriffen werden können, zum Beispiel indem die Verwendung bestimmter Biozide in der Umgebung eines Ökotops eingeschränkt wird.“
Die Ökotoxikologin Prof. Dr. Luisa Orsini, die auch eine Hückmann-Stiftungsgastprofessur an der Goethe-Universität innehat und bei dem Exzellenznetzwerk RobustNature mitwirkt, unterstreicht die Vorteile der neue KI-basierten Methode: „Die von uns verwendeten Hochdurchsatzanalysen ermöglichen es, die Gesamtheit der Lebewesen in einem Ökosystem zu beobachten und zu ihrer Umwelt in Beziehung zu setzen. Damit können wir langfristige Trends in der Entwicklung eines Ökosystems erheblich besser abschätzen als bisherige Überwachungsmethoden, die sich nur an einer oder wenigen Arten orientieren, und die Faktoren identifizieren, die sich am stärksten auf die Biodiversität auswirken.“
Originalpublikation:
Niamh Eastwood, Jiarui Zhou, Romain Derelle, Mohamed Abou-Elwafa Abdallah, William A Stubbings, Yunlu Jia, Sarah E Crawford, Thomas A Davidson, John K Colbourne, Simon Creer, Holly Bik, Henner Hollert, Luisa Orsini: 100 years of anthropogenic impact causes changes in freshwater functional biodiversity. eLife (2023) https://elifesciences.org/articles/86576

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