Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

09.10.2023, Technische Universität München
Evolutionsgeschichte von Natterngift entschlüsselt
Jedes Jahr sterben weltweit etwa 100.000 Menschen am Biss einer Giftnatter. Forschende der Technischen Universität München (TUM) haben untersucht, wie das Gift vor 50 bis 120 Millionen Jahren durch die Veränderung eines Gens, das auch in Säugetieren und anderen Reptilien vorkommt, entstand. Die Ergebnisse könnten zukünftig eine bessere Behandlung für Betroffene ermöglichen und erweitern das Wissen in der Therapie für Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes oder Bluthochdruck.
Sobald die Natter zubeißt und ihr Gift überträgt, bindet dieses an Rezeptoren von Nervenzellen und Muskeln und unterbricht dadurch die Kommunikation zwischen den Zellen. Dies führt zunächst zu Lähmungen und ohne ein Gegengift schließlich innerhalb von wenigen Minuten bis Stunden zum Tod. Ein Forschungsteam untersuchte, wie sich die Proteinstruktur von Natterngift, den sogenannten Drei-Finger-Toxinen (3FTxs) im Laufe der Evolution veränderte.
Wie Natterngift entstand
Das Team um Burkhard Rost, Professor für Bioinformatik fand heraus, dass sich das Gift von Nattern über die Zeit aus dem Ly-6-Gen entwickelte, das auch in Säugetieren und anderen Reptilien vorkommt und im Körper unter anderem für verschiedene Stoffwechselfunktionen, die Immunantwort von Zellen oder auch für die neuronale Regulierung zuständig ist.
Dr. Ivan Koludarov, Wissenschaftler am Lehrstuhl für Bioinformatik und Erstautor der Studie sagt: „Unsere Untersuchungen zeigten, dass sich die ersten Schlangenarten vor etwa 120 Millionen Jahren von den Echsen abspalteten. Die heute giftigen Nattern trennten sich vor etwa 50 Millionen Jahren von den anderen Schlangenarten, wobei beide Arten bereits funktionale 3FTx-Gene in sich trugen. Damit veränderte sich das Ly-6-Gen vor 50 bis 120 MillionenJahren so stark, dass daraus heutzutage ein stark Gift gebildet wird.”
Im Laufe der Evolution verdoppelte sich das Ly-6-Gen, das den Bauplan für das Toxin bildet, immer wieder, sodass Giftnattern mehrere Kopien des Gens in sich tragen. Auf diesen Kopien sind verschiedene Abschnitte mutiert. Dadurch veränderte sich die Funktion des daraus gebildeten Proteins so stark, dass es seinen ursprünglichen Aufgaben nicht mehr nachkommt, sondern als Gift wirkt.
Verschiedene Formen des Giftes
Tobias Senoner, Doktorand am Lehrstuhl für Bioinformatik ergänzt: „Dabei hat sich gezeigt, dass das Gen in den verschiedenen Natternarten auf unterschiedliche Weise mutiert ist. Auf Grundlage der daraus resultierenden Proteinstrukturen können vier Formen des 3FTx-Toxins unterschieden werden. Jede Variante hat spezifische Strukturen und wirkt dadurch auch auf die jeweilige Beute anders.“
Prof. Burkhard Rost erläutert: „Für unsere Studie sammelten wir alle verfügbaren Informationen aus der Datenbank UniProt, die Daten für Proteine aller Lebewesen und Viren zur Verfügung stellt. Darüber hinaus griffen wir auf biomedizinische und genetische Informationen des National Center for Biotechnology Information zurück. Diese Daten analysierten wir durch die Lupe von Methoden aus der Künstlichen Intelligenz.“
Verbesserte Behandlung und Arzneimittelentwicklung
Die Erkenntnisse der Studien tragen dazu bei, die Behandlung von Betroffenen zu verbessern und Fortschritte in der Arzneimittelentwicklung zu erzielen. Durch das Verständnis der Toxine könnten zukünftig neue Methoden zur Behandlung von Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck oder auch zur Linderung von Schmerzen entwickelt werden.
Originalpublikation:
Koludarov, I., Senoner, T., Jackson, T.N.W. et al. Domain loss enabled evolution of novel functions in the snake three-finger toxin gene superfamily. Nat Commun 14, 4861 (2023). doi.org/10.1038/s41467-023-40550-0

09.10.2023, Universität Hamburg
Tiefseeforschung: Team entdeckt weltweite Verbreitung eines räuberischen Krebses
Ein Forschungsteam unter Leitung des Fachbereichs Biologie der Universität Hamburg hat erstmalig die räuberische Flohkrebsart Rhachotrops abyssalis in drei verschiedenen Ozeanen entdeckt, die bis zu 20.000 Kilometer voneinander entfernt sind. Die Tiere leben jeweils in mehr als drei Kilometern Tiefe. Die Ergebnisse wurden im Fachjournal „Scientific Reports“ veröffentlicht.
Das Abyssal, der Tiefseeboden unterhalb von 3.000 Metern Tiefe, ist der größte und gleichzeitig am wenigsten erforschte Lebensraum der Erde. Eine besondere Herausforderung für Forschende besteht darin, aus diesen Tiefen wirbellose Tiere zu gewinnen.
Flohkrebse (Amphipoda) gehören zu den Schlüsselakteuren am Boden der Tiefsee, wo sie in großer Anzahl und Artenzahl vorkommen. Die Weibchen betreiben Brutpflege und tragen ihre Eier und Jungtiere in einem Brutbeutel. Im Gegensatz zu vielen anderen wirbellosen Meeresbewohnern haben sie also keine freischwimmenden Larven, die sich über weite Distanzen im Meer ausbreiten können.
Forschende des Fachbereichs Biologie der Universität Hamburg, des Naturhistorischen Museums Wien sowie der Universität Lodz haben nun jeweils in einer Tiefe von mehreren Kilometern die Flohkrebsart Rhachotrops abyssalis im Rossmeer, im Pazifik und im Nordatlantik gefunden. „Besonders bemerkenswert ist, dass diese Regionen bis zu 20.000 Kilometer voneinander entfernt sind“, erklärt Dr. Anne-Nina Lörz, die am Fachbereich Biologie im Institut für marine Ökosystem- und Fischereiwissenschaften sowie am Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) der Universität Hamburg forscht. „Die Tiere aus den drei Regionen waren sich sowohl in ihrer äußeren Erscheinung, das heißt morphologisch, wie auch genetisch extrem ähnlich.“
Für die Tiefsee ist dies der erste Nachweis eines wirbellosen Räubers ohne larvale Verbreitung, der eine solch umfassende geografische Verbreitung aufweist, die noch dazu durch genetische Untersuchungen bestätigt werden konnten. „Die Art wurde an drei sehr weit entfernten Enden der Welt gefunden. Wir gehen davon aus, dass sie auch in den Gebieten dazwischen vorkommt und dort bisher schlicht übersehen wurde“, sagt Dr. Martin Schwentner vom Naturhistorischen Museum Wien und Mitautor der Studie. Rhachotropis abyssalis wurde im Jahr 2010 erstmalig von Dr. Anne-Nina Lörz aus dem antarktischen Rossmeer geborgen und beschrieben. Die neuen Nachweise wurden nun unter anderem durch Expeditionen auf dem Forschungsschiff SONNE in den Kurilen-Kamtschatka Graben und die Labradorsee ermöglicht.
„Vielleicht stellt diese ausgedehnte Verbreitung eine seltene Ausnahme für brütende Räuber dar – möglicherweise sind diese Ergebnisse aber auch überhaupt keine Ausnahme, sondern ein Spiegelbild der seltenen Probenahme und seltenen taxonomischen Untersuchung wirbelloser Tiere in der Tiefsee“, sagt Lörz. „Unsere Ergebnisse unterstreichen das spärliche Wissen über Biodiversität und Biogeographie in Tiefseeebenen.“
Originalpublikation:
Anne-Nina Lörz, Martin Schwentner, Simon Bober, Anna Jażdżewska (2023) Multi-ocean distribution of a brooding predator in the abyssal benthos, Scientific Reports 13, 15867 (2023). https://doi.org/10.1038/s41598-023-42942-0

09.10.2023, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Darwin oder Kimura – Natürliche Selektion oder alles Zufall? Neue Literaturübersicht will eine hitzige Debatte klären
Manche Geheimnisse der Natur beschäftigen Wissenschaftler*innen schon seit Jahrzehnten – dazu gehören auch die Prozesse, die die Evolution vorantreiben. So spaltet die Frage, ob bestimmte Unterschiede zwischen und innerhalb von Arten durch natürliche Auslese oder durch zufällige Abläufe verursacht werden, die Evolutionsbiolog*innen bis heute. Ein internationales Forscherteam hat nun Licht in eine wissenschaftliche Auseinandersetzung um die Evolutionstheorien von Darwin und dem japanischen Genetiker Kimura gebracht. Ihr Fazit: Die Debatte ist durch das Nebeneinander verschiedener Interpretationen verworren.
Manche Geheimnisse der Natur beschäftigen Wissenschaftler*innen schon seit Jahrzehnten – dazu gehören auch die Prozesse, die die Evolution vorantreiben. So spaltet die Frage, ob bestimmte Unterschiede zwischen und innerhalb von Arten durch natürliche Auslese oder durch zufällige Abläufe verursacht werden, die Evolutionsbiolog*innen bis heute. Ein internationales Forscherteam hat nun Licht in eine wissenschaftliche Auseinandersetzung um die Evolutionstheorien von Darwin und dem japanischen Genetiker Kimura gebracht. Ihr Fazit: Die Debatte ist durch das Nebeneinander verschiedener Interpretationen verworren.
Der britische Naturforscher Charles Darwin (1809–1882) gilt aufgrund seiner Beiträge zu den geologischen und biologischen Wissenschaften als einer der weltweit bedeutendsten Naturwissenschaftler. Sein einflussreiches Werk „On the Origin of Species“ (1859) bildet mit seiner streng wissenschaftlichen Erklärung der Vielfalt des Lebens die Grundlage der modernen Evolutionsbiologie. Darwin kam zu dem Schluss, dass sich die Arten durch natürliche Auslese entwickeln: Gut angepasste Organismen überleben, andere nicht.
Dass die meisten genetischen Veränderungen im Laufe der Evolution dem Individuum jedoch keine direkten Vor- oder Nachteile bieten, sondern neutral sind, schlug Ende der 1960er Jahre der japanische Genetiker Motoo Kimura (1924–1994) vor. Laut seiner „Neutrale[n] Theorie der molekularen Evolution“, erstmals 1968 veröffentlicht, entsteht der größte Teil der genetischen Variation innerhalb und zwischen den Arten durch zufällige Fluktuationen neutraler Mutationen.
Stehen diese beiden Theorien nun im Widerspruch zueinander, oder lassen sie sich miteinander vereinbaren? Dies ist eine der Fragen, die Forscher der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, der britischen Universitäten Durham und East Anglia sowie des Hessischen LOEWE-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik (LOEWE-TBG) in einer Literaturübersicht diskutieren. In ihrem in der Zeitschrift „Biological Reviews“ veröffentlichten Beitrag listen sie mehrere Aspekte der Neutralen Theorie auf, die unterschiedlich interpretiert werden können. Diese Unklarheiten haben nach Ansicht der Autoren die jahrzehntelange Debatte zwischen ihren Befürwortern („Neutralisten“) und Gegnern („Selektionisten“) getrübt.
Eine dieser Unklarheiten, und wohl die umstrittenste, betrifft die Auswirkungen der Neutralen Theorie auf die Entwicklung der sichtbaren Merkmale eines Organismus, des so genannten Phänotyps. Bedeuten zahlreiche neutrale Mutationen auf genomischer Ebene, dass phänotypische Unterschiede innerhalb und zwischen Arten ebenfalls neutral sind und nicht, wie von Darwin angenommen, das Ergebnis natürlicher Selektion?
Selbst innerhalb der Gruppe der „Neutralisten“ können die Meinungen zu diesem Thema auseinandergehen, wie die Autoren der Studie betonen. So vertreten einige ihrer Anhänger*innen die Auffassung, dass neutrale Mutationen hauptsächlich im nicht-kodierenden Teil des Genoms (zum Beispiel in der sogenannten „Junk-DNA“) auftreten, der keine Auswirkungen auf das Aussehen oder die Funktion eines Organismus hat. Andere wiederum vermuten, dass neutrale Mutationen auch im funktionellen Teil des Genoms (zum Beispiel in den Genen) vorkommen und daher phänotypische Unterschiede verursachen.
„Die erste Position ist voll und ganz mit Darwins Konzept der Artbildung durch natürliche Selektion vereinbar, während die zweite mitunter eine alternative Erklärung bietet“, erklärt der Hauptautor der Studie Dr. Menno de Jong vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum. „Wir bezeichnen diese unterschiedlichen Interpretationen als die enge und die erweiterte Version der Neutralen Theorie, weil im zweiten Fall die Neutrale Theorie auf den Phänotyp ausgedehnt wird. Kimura vertrat ursprünglich die enge Version, akzeptierte aber schließlich die erweiterte Version.“ Selbst Darwin schloss nicht aus – mehr als 100 Jahre bevor Kimura die Neutrale Theorie vorschlug –, dass Variationen, die weder nützlich noch schädlich seien („On the Origin of Species“, Kapitel 4), sich im Laufe der Zeit als sichtbare Unterschiede innerhalb und zwischen den Arten manifestieren könnten.
De Jong und seine Mitautoren betonen, dass „Neutralisten“ die Idee der Evolution durch Selektion nicht ablehnen. „Neutralisten stellen zum Beispiel nicht in Frage, dass Giraffen ihre Flecken durch natürliche Auslese erhalten haben. Sie plädieren lediglich für Neutralität, wenn es um subtilere Unterschiede geht, wie etwa die genaue Form und Größe der Flecken, die die verschiedenen Giraffenarten und -unterarten kennzeichnen“, sagt De Jong. „Befürworter der Selektionstheorie und der engen Version der Neutralen Theorie gehen davon aus, dass sich jedes Fellmuster so entwickelt hat, dass es in die jeweilige regionale Umgebung passt, während Neutralisten, die an der erweiterten Version der Theorie festhalten, argumentieren, dass die genauen Details der Fellfärbung keine wesentlichen Überlebensvorteile bieten.“
„Mit unserer Literaturübersicht wollen wir zu einer konstruktiveren Debatte zwischen den Befürwortern und Gegnern der Neutralen Theorie beitragen“, sagt Mitautor Axel Janke, Professor für Vergleichende Genomik bei Senckenberg und LOEWE-TBG. „Als die ‚Neutrale Theorie der molekularen Evolution‘ in den späten 1960er Jahren begründet wurde, gab es nur eine Handvoll Daten zu Proteinen. Inzwischen sind wir in der Ära der Genomik angekommen, die uns völlig neue Einblicke in die Evolution ermöglicht. Zahlreiche Genomsequenzierungsinitiativen weltweit tragen dazu bei, die Geheimnisse der Evolution zu entschlüsseln und ein besseres Verständnis der Artbildung und der zugrunde liegenden Prozesse zu erlangen.“
Originalpublikation:
Publikation in Biological Reviews:
Menno J. de Jong, Cock van Oosterhout, A. Rus Hoelzel, Axel Janke
“Moderating the neutralist–selectionist debate: exactly which propositions are we debating, and which arguments are valid?”
https://doi.org/10.1111/brv.13010

10.10.2023, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Hohe Berge, hohe Vielfalt: Seit wann steuern die Anden die Biodiversität Südamerikas?
Mithilfe stabiler Wasserstoffisotope in vulkanischem Glas hat ein internationales Forschungsteam, unter ihnen Senckenberg-Geowissenschaftler Prof. Dr. Andreas Mulch, die Hebungsgeschichte des Anden-Plateaus untersucht. In ihrer heute im Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America“ (PNAS) veröffentlichten Studie zeigen sie, dass einzelne Abschnitte des heutigen Hotspots für Artenvielfalt erst vor 13 bis 9 Millionen Jahren auf ihre aktuelle Höhe anstiegen. Die Andenbildung gilt als maßgeblich für die Entwicklung der biologischen Vielfalt in Südamerika.
An den Hängen der Anden liegen die weltweit größten Zentren der Biodiversität: Vikunjas, Lamas, Brillenbären und Andenschakale sind ebenso an der – mit etwa 9000 Kilometern – längsten Gebirgskette der Erde anzutreffen wie die nur hasengroßen Pudu-Hirsche und die Andenkondore mit einer Flügelspannweite von bis zu über drei Metern. „Allein im Amazonas-Regenwald finden wir schätzungsweise 40.000 Pflanzenarten. Mehrere Studien haben ergeben, dass die Entstehung und Veränderung der Anden eine Schlüsselrolle bei der Evolutionsgeschichte der dortigen Pflanzen- und Tierwelt spielt“, erläutert Prof. Dr. Andreas Mulch vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum und der Goethe Universität Frankfurt und fährt fort: „Wir haben uns gefragt, seit wann dies eigentlich der Fall ist.“
Unter der Leitung von Erstautor und Geowissenschaftler an der Universität Potsdam Dr. Heiko Pingel haben Mulch und ein internationales Forschungsteam die Hebung des Puna-Plateaus in den südlich-zentralen Anden im Nordwesten Argentiniens untersucht. Das Andenplateau mit seinen durchschnittlichen vier Kilometern Höhe ist das zweitgrößte Gebirgsplateau der Welt. „Es gibt umstrittene Hypothesen und kontroverse Debatten über den Zeitpunkt und die Art der Hebung des Plateaus und seine Einflussnahme auf die Umweltbedingungen von Südamerika, wo man innerhalb weniger Stunden von subtropischen, artenreichen Wäldern am Ostrand des Gebirges in eine der niederschlagsärmsten Wüsten der Welt am pazifischen Rand von Südamerika fahren kann“, erklärt Pingel und fährt fort: „Frühere Schätzungen, wann das Plateau seine heutige Höhe erreicht hat, variieren stark – von vor 40 bis 10 Millionen Jahren. Das macht es schwierig, die Kräfte zu verstehen, die seine einzigartigen Merkmale und damit auch die heutige Lebenswelt geformt haben.“
Das Team verglich in der neuen Arbeit Wasserstoff-Isotopenverhältnisse aus Millionen Jahre alten vulkanischen Gläsern, die während verschiedener Geländearbeiten gesammelt wurden, mit Daten aus dem viel tiefer liegenden Vorland. „Das vulkanische Glas verrät uns wie hoch unser Untersuchungsgebiet zu verschiedenen Zeiten lag, indem es die damaligen, höhenabhängigen Niederschläge speichert“, so Mulch und weiter: „Während sich die Höhe des Vorlands in den letzten 20 Millionen Jahren kaum veränderte, zeigen unsere Daten, dass sich das Puna-Plateau seit dem mittleren bis späten Miozän – 13 bis 9 Millionen Jahre vor heute – um etwa zwei Kilometer gehoben hat.“
Gebirge beeinflussen Wind- und Niederschlagssysteme und sind sowohl effiziente Korridore als auch Barrieren für die Ausbreitung von Arten. „Unsere Ergebnisse werfen nicht nur ein neues Licht auf die geologischen Prozesse in den zentralen Anden, sondern auch auf die Entwicklung der Artenvielfalt Südamerikas. Es zeigt sich erneut wie im ‚System Erde‘ alles miteinander verknüpft ist und dass die Geobiodiversitätsforschung der richtige Ansatz ist, um die komplexen Prozesse der Vergangenheit zu verstehen und auch Lösungen für die Zukunft zu finden“, resümiert Mulch.
Originalpublikation:
Heiko Pingel et al. (2023): Miocene surface uplift and orogenic evolution of the southern Andean Plateau (central Puna), northwestern Argentina. PNAS, 120 (42) e2303964120.
https://doi.org/10.1073/pnas.2303964120

10.10.202, Dachverbad Deutscher Avifaunisten
Beratungen zur Verbesserung des Vogelmonitorings in den deutschen Alpen
Am 6. Oktober 2023 trafen sich Vertreter der bayerischen Vogelschutzwarte des Landesamtes für Umweltschutz (LfU), des Landesbundes für Vogelschutz (LBV), des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) und des Dachverandes Deutscher Avifaunisten (DDA) in Garmisch-Partenkirchen, um über konkrete Schritte zur Verbesserung des Vogelmonitorings in den deutschen Alpen zu beraten.
Im Vordergrund standen Erfassungsmethoden für Brutvogelarten des Bergwaldes und alpiner Lagen sowie die Organisation des Alpenvogelmonitorings, in das auch ehrenamtlich aktive Vogelbeobachter*innen eingebunden werden sollen. Vor dem Hintergrund der durch die Klimaerwärmung ausgelösten ökologischen Veränderungen, insbesondere der Lebensräume in den Hochlagen, sowie durch ihre touristische Erschließung, stellen die durch das Vogelmonitoring erhobenen Daten eine unverzichtbare Grundlage für einen zielführenden Schutz der alpinen Biodiversität dar. Alle Akteure bekräftigten abschließend, die jetzt aufgenommenen Aktivitäten mit Nachdruck voranteiben zu wollen und schon bald ein abgestimmtes Konzept zum Alpenvogelmonitoring vorzulegen.

10.10.202, Dachverbad Deutscher Avifaunisten
Gemeinsam für das Rebhuhn – Start eines großen deutschlandweiten Schutzprojekts
Die Projektpartner des Projektes „Rebhuhn retten – Vielfalt fördern!“ bei der Übergabe des Förderbescheids durch Der Deutsche Verband für Landschaftspflege (DVL), der Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA) sowie die Abteilung für Naturschutzbiologie der Georg-August-Universität Göttingen fordern, die Artenvielfalt in den Fokus der Agrarpolitik zu nehmen, um dem Rebhuhn unter die Flügel zu greifen. Bei der Auftaktveranstaltung des Projektes „Rebhuhn retten – Vielfalt fördern!“ im Bundesprogramm Biologische Vielfalt stellten sich das Verbundprojekt, seine 15 Projektpartner und die Projektgebiete vor.
In der Feldflur Mitteleuropas war das Rebhuhn früher nicht wegzudenken. Seit 1980 ist die Zahl der Rebhühner in Deutschland jedoch um 85 % zurückgegangen. Denn das Rebhuhn lebt überwiegend auf landwirtschaftlich genutzten Flächen, die aber den Bedürfnissen des Vogels immer weniger gerecht werden. Das Projekt „Rebhuhn retten – Vielfalt fördern! “ setzt sich jetzt eine Trendumkehr als Ziel, unter anderem weil das Rebhuhn als Leitart für eine artenreiche Agrarlandschaft steht. Es will 10 Projektgebieten auf 7 % der landwirtschaft-lichen Nutzfläche Brachen, Blühflächen, Feldraine und Hecken als Lebensraum schaffen. Im Durchschnitt ist jedes der zehn ausgewählten Projektgebiete 200 km² groß. Das entspricht einer Fläche, die größer ist als das Saarland. Die Projektgebiete sind verteilt auf acht Bundesländer und verschiedene Naturräume. Umgesetzt werden sollen die Maßnahmen gemeinsam mit den Akteur*innen vor Ort: mit Landwirt*innen, Jäger*innen und Naturschützer*innen.
Die Existenzbedrohung des Rebhuhns steht stellvertretend für die Herausforderungen, die in der Kulturlandschaft gemeistert werden müssen, um die biologische Vielfalt zu fördern: mehr Strukturreichtum, mehr Biotopvernetzung, mehr Brachflächen. „Das Rebhuhn fordert uns jetzt zum Handeln zugunsten der Artenvielfalt auf! Unser wichtigster Partner ist dabei die Landwirtschaft.“ unterstrich Ute Grothey, stellvertretende Vorsitzende des DVL, in ihrem Grußwort zur Auftaktveranstaltung am 11.Oktober 2023 in Göttingen.
Mit der Auftaktveranstaltung, die Akteur*innen im Rebhuhnschutz eine Plattform zum Austausch bot, begann für das Projekt die sechsjährige Laufzeit.
Mehr Artenvielfalt durch Rebhuhnschutz
Wissenschaftliche Untersuchungen der Universität Göttingen zeigen, dass sich Maßnahmen für den Rebhuhnschutz auch positiv auf zahlreiche andere Tiere der Agrarlandschaft auswirken. Ziel des Projekts ist somit nicht nur die Hilfe für das Rebhuhn. Die Projektpartner wollen auch einen wesentlichen Beitrag zur Wiederherstellung und zum Erhalt der Artenvielfalt leisten. Ob das gelingt, soll ein umfangreiches Monitoring zeigen: Der Dachverband Deutscher Avifaunisten organisiert eine Erfassung der Rebhuhnbestände, sowohl in den Projektgebieten als auch außerhalb und repräsentativ für Deutschland. Diese Ergebniskontrolle liefert in den nächsten Jahren nicht nur die Grundlage für den wissenschaftlichen Nachweis der Maßnahmeneffekte, sondern etabliert langfristig ein nachhaltiges Netzwerk von Rebhuhnschützer*innen.
Gemeinsame Agrarpolitik
Für mehr Artenvielfalt in der Agrarlandschaft ist auch politisches Umdenken notwendig. Mit der Optimierung der Standards zu verpflichtenden Brachen in der Gemeinsamen Agrarpolitik 2023 – 2027 (GAP) konnte in einem gemeinsamen Vorprojekt ein erster Erfolg erzielt werden. Es bestehe von Seiten der Politik jedoch immer noch akuter Handlungsbedarf, meint Dr. Eckhard Gottschalk, Projektleiter an der Georg-August-Universität Göttingen. „Die effektive Umsetzung von Agrarumweltmaßnahmen kommt nicht nur dem Rebhuhn und vielen anderen Tierarten zugute. Gerade angesichts bestehender und wachsender Flächenkonkurrenz und knapper werdenden finanziellen Mittel ist es besonders wichtig, dass keine uneffektiven Maßnahmen in die Landschaft gebracht werden.“
Verbundprojekt schafft Synergien
DVL, DDA und Universität stellen über die Projekt-Homepage einen Leitfaden, Newsletter und Fortbildungen zum Rebhuhnschutz zur Verfügung. Das Projekt möchte damit Anreize setzen, Ähnliches auch andernorts zu versuchen.
Förderung
Das Projekt „Rebhuhn retten – Vielfalt fördern!“ wird im Bundesprogramm Biologische Vielfalt durch das Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz gefördert. 13 Teilprojekte erhalten zudem Mittel von regionalen Institutionen. Diese und weitere Informationen zum Projekt finden Sie unter www.rebhuhn-retten.de.

10.10.202, Dachverbad Deutscher Avifaunisten
Massenhafte Ankunft arktischer Blässgänse
Aktuell ziehen zehntausende Blässgänse von ihrem Brutgebiet, der arktischen Tundra, in ihre Überwinterungsgebiete nach Mittel- und Westeuropa. Bedingt durch das gute Wetter der letzten Wochen hat sich der Blässganszug in diesem Jahr etwas verzögert und ist nun seit dem 8. Oktober in vollem Gange. Die Beobachtungskarte auf ornitho.de zeigt, in welchen Teilen Deutschlands die Art bereits beobachtet wurde. Die Ankunft kommt genau zu der bundesweiten Zählung rastender Gänse und Schwäne am 15. Oktober.
Tagsüber halten sich die Blässgänse zur Nahrungsaufnahme vorzugsweise im Grünland und auf Ackerflächen (aktuell vor allem Mais) auf. Dort können sie sehr gut beobachtet und im Rahmen von Monitoringprogrammen auch systematisch erfasst werden. Bei genauem Hinsehen sind sogar die Familienverbände auszumachen, in denen die Elterntiere zusammen mit ihren halbstarken Jungtieren die Futterplätze unsicher machen. Die jungen Blässgänse tragen nur zum Teil das adulte Federkleid, so dass die Unterscheidung anhand bestimmter Gefiedermerkmale noch vergleichsweise einfach ist. Der Bruterfolg bei den Blässgänsen war in den letzten Jahrzehnten stark rückläufig und hat zu einer Stabilisierung des Gesamtbestandes geführt. Die Altersbestimmung der einzelnen Individuen liefert also wichtige Hintergrundinformationen zu der allgemeinen Bestandsentwicklung.
Bei der nächsten Zählung des bundesweiten Monitorings rastender Gänse und Schwäne (GuS) am kommenden Sonntag, den 15. Oktober, möchten wir Sie dazu aufrufen, ein besonderes Augenmerk auf die Altersbestimmung der verschiedenen Gänsearten, insbesondere der Blässgans, zu legen. Aus diesem Grund haben wir eine Bestimmungshilfe vorbereitet, damit Ihnen bei der erfolgreichen Erfassung und Altersbestimmung der jungen Gänse nichts mehr im Wege steht.
Das wohl eindeutigste Merkmal ist bei Jungvögeln die noch fehlende Blässe über dem Schnabel (entwickelt sich erst später im Winter). Ansonsten ist das Gefieder bei Jungvögeln auf dem Rücken und den Schultern sowie auf den Flügeldecken rund und zeigt nur fahle Endsäume, sodass das Gefieder kontrastarm wirkt. Bei adulten Vögeln ist das Gefieder eckig mit kontrastierenden hellen Säumen.
Die Flanken der Jungvögel zeigen weiter ein typisches Fleckenmuster (gescheckt), während adulte Exemplare ein eher kontrastreiches Muster vorweisen, das zudem vertikal „gestreift“ wirkt. Bis zum Frühling (und sogar teilweise im 2. Herbst) fehlen bei den Jungvögeln außerdem die schwarzen Bauchflecken. Auch dieses Merkmal ist im Moment gut zu sehen, allerdings manchmal erschwert, wenn die Gänse im hohen Gras sitzen.
Bisher wurden bei den erstankommenden Trupps recht wenig Familien angetroffen (weniger als 10 % der Vögel wurden dieses Jahr geboren), aber die Erfahrung aus anderen Jahren zeigt, dass Familien mit Nachwuchs den Herbstzug durchaus etwas langsamer angehen und später bei uns eintreffen.
Selbstverständlich werden neben der Blässgans auch noch andere Arten erfasst. Insbesondere Höckerschwan, Tundrasaatgans, Weißwangengans und Ringelgans können aktuell beobachtet werden. Auch hier möchten wir darauf hinweisen, dass die einzelne Erfassung von Jung- und Altvögeln in jedem Trupp wertvolle Hinweise auf den Bruterfolg der Arten liefert und daher möglichst genau dokumentiert werden soll. Dazu finden Sie hier die dazugehörigen Bestimmungshilfen.

11.10.2023, Universität Konstanz
Ganz und gar nicht faul: Honigbienen-Drohnen
Manchmal lohnt es sich, ins Detail zu gehen, scheinbar uninteressante oder bisher unbeachtete Aspekte zu untersuchen – und es kommen bemerkenswerte Tatsachen zum Vorschein. Genau so ging es Forschenden vom Exzellenzcluster Kollektives Verhalten an der Universität Konstanz und dem Konstanzer Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie. In einer kürzlich in der Zeitschrift Animal Behaviour veröffentlichten Studie zeigten sie, dass männliche Honigbienen (Drohnen), die lange Zeit als faul galten, zeitweise die aktivsten Mitglieder des Bienenvolkes sind.
„Wann immer Menschen der Meinung sind, etwas sei uninteressant, dann möchte ich exakt da genauer hinsehen: einfach, weil man vielleicht der Erste ist, der etwas entdeckt.“ Das ist das Arbeitsmotto von Michael L. Smith, Mitglied des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie und des Exzellenzclusters Kollektives Verhalten, sowie Professor an der Auburn University (USA). Deshalb schlug er der damaligen Bachelor-Studentin Louisa Neubauer vor, die Drohnen, also die männlichen für die Reproduktion verantwortlichen Tiere in Bienenvölkern, genauer unter die Lupe zu nehmen. Die Ergebnisse waren so überraschend, dass sie vor Kurzem in der Zeitschrift Animal Behaviour veröffentlicht wurden.
Drohnen spielen eine entscheidende Rolle für den Fortpflanzungserfolg der Kolonie. Die Drohnen verlassen den Bienenstock lediglich für Paarungsflüge, mit dem Ziel sich mit einer unbefruchteten Königin zu paaren. Ansonsten verbringen die Drohnen ihr Leben im Bienenstock als Teil der Kolonie. Daher galten sie bislang als faul und langweilig. „Jedoch war nicht klar, wie sich Drohnen im Bienenstock verhalten und wie sie sich in das übrige Bienenvolk integrieren“, sagt Louisa Neubauer, die jetzt an der Universität Bern promoviert.
„Wir hatten bereits Arbeitsbienen mit kleinen Markern versehen und beobachtet, also schien es ein einfacher und naheliegender Schritt zu sein, auch einige der Drohnen zu markieren“, sagt Smith. So wurden individuell markierte Drohnen in ein Bienenvolk eingeführt, das in einem verglasten Beobachtungsstock lebte. Einige Drohnen erhielten einen kleinen Code auf den Thorax, der Information zur individuellen Erkennung sowie Orientierung erfasst. Mit dem BeesBook, einem von Tim Landgrafs Arbeitsgruppe an der Freien Universität Berlin entwickelten Ortungssystem, konnte Neubauer die Bewegung und Position jeder einzelnen markierten Drohne während deren gesamten Lebens verfolgen, indem sie die Kodierung der Tags entschlüsselten. Es gab eine handfeste Überraschung: „Diese ‚faulen‘ Drohnen sind zeitweise die aktivsten Individuen in der gesamten Kolonie“, sagt Neubauer.
Synchronisierte Perioden der Hyperaktivität
Für Neubauer war es spannend zu beobachten, dass Drohnen – neben ihrer bekannten Faulheit oder Unbeweglichkeit – synchronisierte Hyperaktivitätsperioden haben, in denen sie die schnellsten Individuen im Bienenvolk sind. Das Forschungsteam fand heraus, dass diese Hyperaktivität während der Flugphase der Drohnen auftritt, und dass die Phasen und die Synchronisierung sowohl von externen Faktoren als auch vom Austausch sozialer Informationen beeinflusst werden. „Insgesamt sind diese Ergebnisse erstaunlich, denn sie zeigen, wie Drohnen ihr Verhalten an ihre Aufgabe anpassen, indem sie ihren Energieverbrauch auf ein bestimmtes Aktivitätsfenster beschränken“, erklärt Neubauer.
Bislang war in der Forschung bekannt, dass Drohnen den Zeitpunkt ihrer Paarungsflüge vom Wetter abhängig machen. „Aber wenn man sich das Innere der Kolonie genauer ansieht, sind die Anfangs- und Endzeiten ihrer hyperaktiven Periode stärker synchronisiert, als wir es allein aufgrund des Wetters erwarten würden“, sagt Jacob Davidson, Postdoktorand am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie und assoziiertes Mitglied des Exzellenzclusters Kollektives Verhalten. „Das deutet darauf hin, dass die Drohnen miteinander kommunizieren, um eine synchronisierte kollektive Entscheidung zu treffen, wann sie das Nest verlassen.“ Wie genau diese Kommunikation zwischen den Drohnen im Nest abläuft, ist ein Thema für zukünftige Forschungen.
Energiesparen für die Paarungsflüge
„Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass Drohnen ihr Verhalten im Bienenstock an ihre Aufgabe als männliche Keimzellen der Kolonie anpassen“, fasst Louisa Neubauer zusammen. „Zunächst einmal begrenzen die Drohnen ihren Energieverbrauch, indem sie ihre Aktivität auf eine bestimmte Tageszeit beschränken, nämlich auf die Zeit der Paarungsflüge, während sie den Rest des Tages relativ unbeweglich bleiben. Zweitens halten sich die Drohnen im Nest entsprechend ihrer Entwicklungsphase auf, sodass sie die Arbeit der anderen Bienen nicht stören.“ Die Ergebnisse machen deutlich, dass sich Drohnen an ihre Aufgabe anpassen und trotz ihrer Faulheit einen Beitrag zum Bienenvolk leisten, indem sie den Energieverbrauch senken. Außerdem zeigen sie, dass sich Drohnen in das Bienenvolk integrieren und ihr Verhalten anpassen, um den Erfolg des Volkes zu maximieren.
Publication: Louisa C. Neubauer, Jacob D. Davidson, Benjamin Wild, David M. Dormagen, Tim Landgraf, Iain D. Couzin, Michael L. Smith: Honey bee drones are synchronously hyperactive inside the nest, Animal Behaviour, Volume 203, 2023, https://doi.org/10.1016/j.anbehav.2023.05.018
Louisa Neubauer, Jacob Davidson und Michael L. Smith sind Forschende am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie und am Exzellenzcluster Kollektives Verhalten.

11.10.2023, ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung
Biodiversitätsbewusstsein in Land- und Forstwirtschaft – Wie eine Trendwende beim Biodiversitätsschutz gelingen kann
Land- und Forstwirt*innen in Deutschland haben ein hohes Problembewusstsein für den Verlust der Artenvielfalt und möchten einen Beitrag zum Schutz der Biodiversität leisten. Bei der Umsetzung von Maßnahmen sehen sie sich jedoch hohen Hürden gegenüber. Das zeigt die Studie „Zielvorstellung Biodiversität – Biodiversitätsbewusstsein in der Land- und Forstwirtschaft“, für die rund 500 Landwirt*innen und 500 Forstwirt*innen zu ihren Einstellungen gegenüber Biodiversität, zu ihrer Bereitschaft und zu ihren Möglichkeiten für Schutzmaßnahmen zum Erhalt der Artenvielfalt befragt wurden.
Die biologische Vielfalt ist auch in Deutschland stark zurückgegangen. Die Gründe dafür sind vielfältig, als eine der Hauptursachen gilt jedoch eine nicht nachhaltige Landnutzung. Etwa 50% der Flächennutzung in Deutschland entfallen auf Landwirtschaft und knapp 30% auf Wälder. Land- und Forstwirt*innen sind deshalb zentral für den Wandel hin zu einer biodiversitätsfreundlichen Bewirtschaftung von Äckern, Wiesen und Wäldern. Aber wie ist die Haltung von Land- und Forstwirt*innen gegenüber Biodiversitätsschutz, wie ihr Wissen um Artenvielfalt, welche Werte sind für sie handlungsleitend? Hier setzt die von der BMBF-Forschungsinitiative zum Erhalt der Artenvielfalt (FEdA) in Auftrag gegebene und vom ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung durchgeführte Studie an, die am Mittwoch, den 11. Oktober 2023 in Frankfurt am Main vorgestellt wird. Die Studie zeigt neben repräsentativen Einstellungen auch die Schwierigkeiten und Herausforderungen in der Land- und Forstwirtschaft für ein biodiversitätsfreundliches Handeln auf.
Problembewusst und handlungsbereit
Der Studie zufolge haben 83% der Befragten in der Forstwirtschaft (FWS) und 67% in der Landwirtschaft (LWS) ein hohes Problembewusstsein, die Mehrheit fühlt sich persönlich dafür verantwortlich, etwas für den Biodiversitätsschutz zu unternehmen (81% FWS, 85% LWS). Allerdings gibt es auch eine nicht ganz kleine Gruppe, die sich bei dem Thema überfordert fühlt (45% FWS, 24% LWS). 87% der Landwirt*innen sind frustriert darüber, dass ihnen die Ursachenverantwortung für den Biodiversitätsverlust zugeschrieben wird. In beiden Gruppen zeigt sich ein Zusammenhang zwischen dem Biodiversitätsbewusstsein und der Bewertung von Ökosystemleistungen – das sind die Leistungen, die die Natur kostenfrei bereitstellt: Wer einen hohen Nutzen in der Biodiversität sieht, hat auch ein höheres Bewusstsein für den Erhalt der Artenvielfalt.
„Die Befragung zeigt deutlich, dass Land- und Forstwirt*innen eine hohe intrinsische Motivation haben, zum Schutz der biologischen Vielfalt beizutragen“, betont Marion Mehring vom ISOE, Leitautorin der Studie. „Schwierigkeiten bei der Umsetzung biodiversitätsfördernder Maßnahmen sind vor allem praktischer Art und nicht etwa Zweifel an der Sinnhaftigkeit.“ 92% beider Gruppen gaben an, bereits Maßnahmen zum Schutz der Biodiversität im eigenen Betrieb umgesetzt zu haben. Eine Mehrheit zeigt sich jedoch unzufrieden und berichtet über einen Mangel an Handlungsmöglichkeiten, konkrete Hemmnisse sehen die Befragten in der fehlenden Flexibilität der Maßnahmen oder einem zu hohen Dokumentationsaufwand. Eine weitere Hürde liegt in der Sorge vor möglichen Schäden und Nachteilen, Biodiversität wird in der Umfrage auch als Risiko in Form von Schädlingsbefall wahrgenommen.
Akteure besser in Umwelt- und Biodiversitätsschutz einbeziehen
„Land- und Forstwirt*innen haben wertvolles Expertenwissen über die lokale Situation, in der sie arbeiten, und können am besten beurteilen, welche Maßnahmen wirklich dem Biodiversitätsschutz dienen, ohne zu hohe betriebliche Mehrkosten zu erzeugen“, erklärt Volker Mosbrugger, Ko-Autor der Studie und Sprecher der FEdA. „Für uns war es daher essenziell, ein besseres Verständnis von den Motiven und Herausforderungen der Akteure gegenüber Biodiversität zu erhalten, damit wir Land- und Forstwirt*innen künftig zielgerichtet in den Umwelt- und Biodiversitätsschutz einbeziehen können.“ Dafür sei eine zielgruppenspezifische Ansprache notwendig. Die Studie „Zielvorstellung Biodiversität“ unterscheidet anhand des Biodiversitätsbewusstseins, der Bewertung des Nutzens von Ökosystemleistungen sowie der Einschätzung der eigenen Handlungsmöglichkeiten fünf (LWS) bzw. vier (FWS) Gruppen.
Die relativ kleine Gruppe der „wenig Überzeugten“ sowohl in Land- als auch in Forstwirtschaft (15% LWS, 10% FWS) hat ein niedriges Biodiversitätsbewusstsein, das die Hauptbarriere für den Biodiversitätsschutz darstellt. Die verhältnismäßig große Gruppe mit hohem Biodiversitätsbewusstsein ist dagegen grundlegend ansprechbar für Biodiversitätsschutz und lässt sich über andere Barrieren in unterschiedliche Gruppen unterteilen: Die „Zurückhaltenden“ (16% LWS, 44% FWS) sehen nicht nur den Nutzen, sondern auch potenzielle Risiken der Biodiversität und berichten von einem Mangel an Handlungsmöglichkeiten. Die „Vorsichtigen“, die es mit 10% nur in der Landwirtschaft gibt, eint die Sorge vor Risiken der Biodiversität, einen Mangel an Handlungsmöglichkeiten sehen sie dagegen eher nicht. Die „Handlungsbereiten“ wiederum berichten vor allem einen Mangel an Handlungsmöglichkeiten, während die Risiken eher kein Problem für sie darstellen (31% LWS, 28% FWS). Zudem identifiziert die Studie die Gruppe der „Überzeugten“ (26% LWS, 17% FWS). Sie haben ein hohes Biodiversitätsbewusstsein und sehen weder die Risiken von Biodiversität noch die Handlungsmöglichkeiten als Barriere für den Biodiversitätsschutz.
Für eine zielgruppenspezifische Ansprache legt die Studie nahe, die „wenig Überzeugten“ mit einer gezielten Information über Funktion und Rolle von Biodiversität zu gewinnen. Die „Zurückhaltenden“ spreche man mit dem Abbau der Sorgen vor möglichen Risiken an. Die „Vorsichtigen“ sollten mithilfe von Best-Practice-Beispielen unterstützt werden und den „Handlungsbereiten“ sollte ermöglicht werden, Barrieren bei der Maßnahmenergreifung abzubauen. „Die Gruppe der Überzeugten kann wiederum aufgrund ihrer Expertise und Erfahrungen aktiv angesprochen werden“, betont Mehring. „Um eine Trendwende für die Artenvielfalt zu erreichen, braucht es ein breites Engagement und neue Bündnisse zwischen allen beteiligten Akteuren. Die Studie zeigt auf, wie dies über die Entwicklung gemeinsamer Zielvorstellungen auf der Grundlage von geteilter Motivation für den Schutz der Biodiversität gelingen kann.“
Originalpublikation:
Zielvorstellung Biodiversität – Biodiversitätsbewusstsein in der Land- und Forstwirtschaft. Konzeptentwicklung und Ergebnisse einer standardisierten Befragung in Deutschland Marion Mehring, Naomi Bi, Anna Brietzke, Konrad Götz, Vladimir Gross, Volker Mosbrugger, Philipp Sprenger, Melina Stein, Immanuel Stieß, Georg Sunderer, Julian Taffner (2023). ISOE-Materialien Soziale Ökologie 72. Frankfurt am Main
https://isoe-publikationen.de/fileadmin/redaktion/ISOE-Reihen/msoe/msoe-72-isoe-…

11.10.2023, Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)
Daunen in Gefahr? 123 Jahre Citizen Science zeigen, welcher Räuber den Eiderenten in Island besonders zu schaffen macht
Ein Team unter Leitung des Forschungszentrums Snæfellsnes der Universität von Island und des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) hat mit Hilfe ungewöhnlicher Citizen-Science-Daten aus über 100 Jahren gezeigt, dass der Amerikanische Nerz die heimische Eiderente stark dezimiert hat. Dabei sind Eiderenten durchaus an räuberische Säugetiere gewöhnt. In einer isländischen Insellandschaft, dem Purkey-Archipel, hatte etwa die Rückkehr des heimischen Polarfuchses keinen erkennbaren Einfluss auf die Eiderentenpopulation – vermutlich aufgrund der gemeinsamen evolutionären Geschichte, in der die Eiderenten geeignete Abwehrstrategien gegen den Fuchs entwickelt haben.
Vögel auf Inseln sind durch invasive Tierarten stark bedroht. Ein prominentes Beispiel ist der neuseeländische Kiwi, dessen Bestand durch Frettchen und weitere invasive Räuber stark zurückgegangen ist. Aber auch andere Vögel auf anderen Inseln sind betroffen, zum Beispiel in Island: Ein Team unter Leitung des Forschungszentrums Snæfellsnes der Universität von Island und des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) hat mit Hilfe ungewöhnlicher Citizen-Science-Daten aus über 100 Jahren gezeigt, dass der Amerikanische Nerz die heimische Eiderente im Brokey-Archipel um ungefähr 60 Prozent dezimiert hat. Dabei sind Eiderenten – anders als der neuseeländische Kiwi – durchaus an räuberische Säugetiere gewöhnt. In einer anderen isländischen Insellandschaft, dem Purkey-Archipel, hatte etwa die Rückkehr des heimischen Polarfuchses keinen erkennbaren Einfluss auf die Eiderentenpopulation – vermutlich aufgrund der gemeinsamen evolutionären Geschichte, in der die Eiderenten geeignete Abwehrstrategien gegen den Fuchs entwickelt haben.
Artengemeinschaften auf Inseln haben in der Regel kleinere Populationen und geografische Verbreitungsgebiete. Und sie verfügen über keine oder nur wenige Abwehrmechanismen gegen Raubtiere. Beides macht sie anfälliger für die negativen Auswirkungen von Eindringlingen als Arten auf dem Festland. Dies gilt insbesondere für am Boden brütende Vogelarten, die von invasiven Räubern bedroht sind, wie zum Beispiel die isländische Eiderente (Somateria mollissima borealis).
Etwa 16 % der weltweiten und 32 % der europäischen Eiderentenpopulation leben in Island (BirdLife International, 2019). Dort ist diese Vogelart von großer ökologischer, wirtschaftlicher und kultureller Bedeutung. In Island werden jährlich etwa 3.000 kg Eiderdaunen aus den Nestern gewonnen und zu hochwertigen Kleidungsstücken und Decken verarbeitet.
Datenschatz: 123 Jahre Daunen sammeln und Nester dokumentieren:
Eiderdaunen werden in Island bereits seit Jahrhunderten gesammelt, und die Anzahl der Nester pro Insel wird jedes Jahr von den einheimischen Familien genau dokumentiert. Dies lieferte langfristige Datensätze von Nestern aus zwei Inselgruppen, die 95 Inseln über 123 Jahre bzw. 39 Inseln über 27 Jahre abdecken. „Diese ungewöhnlichen Citizen-Science-Daten sind aufgrund der langen Zeiträume, über die sie gesammelt wurden, sehr wertvoll. Die Familien, die diese Daten sammeln, kennen nicht nur ihre Inseln besser als jeder andere, sondern auch die Eiderenten, deren Feinde und andere Tiere, die auf den Inseln leben“, erklärt Jón Einar Jónsson von der Universität Island und einer der leitenden Autoren der Studie.
Inselvogel ist an heimischen Räuber angepasst, nicht aber an den eingeschleppten Nerz:
Anhand dieser außergewöhnlichen Datensätze konnte das Forschungsteam feststellen, dass die Einführung des invasiven semi-aquatischen Amerikanischen Nerzes (Neogale vison) die Populationsdynamik der Eiderenten stärker beeinflusst hat als die Folgen des Klimawandels: Der invasive Räuber hat die Zahl der Eiderenten-Nester im Brokey-Archipel um etwa 60 Prozent reduziert.
Im Purkey-Archipel hingegen dokumentierten die Forschenden eine vermutlich im Laufe der gemeinsamen Evolution entstandene Reaktion der Eiderenten auf die Rückkehr des heimischen Polarfuchses: Die Vögel bauten ihre Nester auf für den Fuchs unzugänglichen kleinen Inselchen – diese Strategie hält den rein landlebenden Polarfuchs fern, nicht aber den Nerz, der sich auch im Wasser sehr gut fortbewegen kann. „Das einzige heimische räuberische Säugetier ist der Polarfuchs. Die Eiderenten haben ihre Abwehrmechanismen im Laufe der Evolution an diesen Feind angepasst. Gegen den neuen Feind funktionieren diese aber nicht“, sagt IGB-Forscher Florian Ruland, ebenfalls leitender Autor der Studie.
Langzeitdaten zu biologischen Invasionen sehr wertvoll für die Wissenschaft:
Die Studie zeigt, wie wichtig Langzeitdaten zur Untersuchung der Auswirkungen biologischer Invasionen sind. Zeitliche Dynamiken biologischer Invasionen und deren Auswirkungen werden seit 2015 vom Invasion Dynamics Network untersucht, das Jonathan Jeschke, Seniorautor der Studie und am IGB sowie an der Freien Universität Berlin tätig, gemeinsam mit Florian Ruland initiiert hat. „Daten über sehr lange Zeiträume sind in der Ökologie leider selten. Hochwertige Daten, welche die Jahrzehnte vor und nach der Einführung einer invasiven Art abdecken, sind daher eine wahre Fundgrube an Informationen“, betont Fiona Rickowski, ebenfalls leitende Autorin der Studie und Doktorandin am IGB und der Freien Universität Berlin.
Originalpublikation:
Jónsson, J.E., Rickowski, F.S., Ruland, F., Ásgeirsson, Á. & Jeschke, J.M. (2023) Long-term data reveal contrasting impacts of native versus invasive nest predators in Iceland. Ecology Letters, 00, 1–11. Available from: https://doi.org/10.1111/ele.14313

12.10.2023, Staatliches Museum für Naturkunde Stuttgart
Studie zum Größenwachstum von Meereskrokodilen in der Jurazeit.
Das Naturkundemuseum Stuttgart verfügt über eine weltweit bedeutende Sammlung von Meeresreptilen mit zahlreichen Exemplaren aus der Zeit des sogenannten Posidonienschiefers. Die Besonderheit der ca. 183-182 Millionen Jahre alten Fossilien aus Südwestdeutschland ist deren extrem gute, oft vollständige Erhaltung. Die Fossilien sind daher nicht nur schöne Ausstellungsstücke, sondern auch für die Wissenschaft von unschätzbarem Wert. Auf der Grundlage von zweiundsechzig Fossilien aus dem Posidonienschiefer hat ein Team des Naturkundemuseums Stuttgart um die Paläontologin Dr. Michela Johnson, eine Untersuchung zum Größenwachstum des Meereskrokodils Macrospondylus bollensis durchführt.
Diese Arbeit stellt eine der ersten Studien zum Wachstum von Meereskrokodilen, sogenannter Teleosauroiden, auch „Löffelsaurier“ genannt, dar. Bei Ihren Analysen stellten die Wissenschaftler*innen fest, dass ein Großteil des Körpers dieser Krokodile isometrisch wuchs. Das bedeutet, dass bei Macrospondylus bollensis ein Großteil der Körperteile in allen Altersstadien ein gleichmäßiges Wachstum im Verhältnis zum Gesamtwachstum aufweist. Dies ist bei Wirbeltieren ungewöhnlich. Die Forschungsergebnisse wurden nun in der Fachzeitschrift „Papers in Palaeontology“ veröffentlicht.
Die Teleosauroiden stellen eine erfolgreiche, nahezu weltweit vorkommende Gruppe von marinen Krokodilen dar, die vom Zeitalter des frühen Juras bis zur frühen Kreide vorkamen. Dabei finden sie sich besonders häufig in der 182 Millionen Jahre alten Posidonienschiefer-Formation im Südwesten Deutschlands. Wie diese Tiere von einem fünfzig Zentimeter großen Baby zu einem fünf Meter großen Erwachsenen heranwuchsen, war bisher wenig erforscht. In ihrer Studie untersuchten die Paläontolog*innen die Wachstumsraten des am häufigsten vorkommenden Teleosauroiden, Macrospondylus bollensis, da im Posidonienschiefer Südwestdeutschlands mehrere Körpergrößen und biologische Wachstumsstadien der Tiere erhalten geblieben sind. Viele fossile Exemplare der Tiere befinden sich in den Sammlungen des Naturkundemuseums Stuttgart. Die Wissenschaftler*innen führten statistische Analysen an sechzehn Jungtieren, sieben heranwachsenden und neununddreißig ausgewachsenen Exemplaren von Macrospondylus durch. Dabei wurden einundzwanzig Schädel- und Skelettmaße einbezogen.
„Das wichtigste Ergebnis unserer Studie ist, dass junge, subadulte und erwachsene Individuen ein nahezu gleiches Wachstum fast aller Körperregionen aufweisen. Wir nennen dieses Größenwachstum auch isometrisches Wachstum, das bei Wirbeltieren ungewöhnlich ist. Darum sehen aber die Jungtiere von Macrospondylus den erwachsenen Tieren recht ähnlich“, so Dr. Michela Johnson. Bei vielen Wirbeltieren wachsen einzelne Körperteile, z.B. die Beine, schneller oder langsamer als andere Teile des Körpers. Die Analysen zeigen außerdem, dass sich die Schuppung der Gliedmaßen bei Macrospondylus von der moderner Alligatoren und Krokodile unterscheidet, aber vergleichbar mit der des heute stark bedrohten Indischen Gavials, Gavialis gangeticus ist. Warum bei Macrospondylus bollensis ein isometrisches Wachstum vorlag, ist noch ungeklärt. „Unsere Studie wirft neue Fragen zur Ökologie und Lebensweise dieser Tiere auf, die wir mit weiteren Untersuchungen klären möchten“, so Dr. Michela Johnson.
Originalpublikation:
Johnson MM, Amson E, Maxwell EE. 2023. Evaluating growth in Macrospondylus bollensis (Crocodylomorpha: Teleosauroidea) in the Toarcian Posidonia Shale, Germany. Papers in Palaeontology.
https://doi.org/10.1002/spp2.1529

12.10.2023, Veterinärmedizinische Universität Wien
Wildschweine trotzen durch Thermoregulierung dem Klimawandel
Im Laufe der Evolution haben sich Wildschweine (Sus scrofa) weltweit verbreitet und werden in dieser Hinsicht nur vom Menschen und dessen Dauerbegleitern Maus (Mus musculus) und Ratte (Rattus norvegicus) übertroffen. Wesentlicher Faktor der hohen Anpassungsfähigkeit auf unterschiedlichste Umweltbedingungen ist die ausgeprägte Fähigkeit der Wildschweine zur Regulierung ihrer Körpertemperatur. Laut einer aktuellen Studie des Forschungsinstituts für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI) der Veterinärmedizinischen Universität Wien könnte dadurch der globale Klimawandel für Wildschweine nur geringe Auswirkungen haben.
Evolutionär stammt das Wildschwein von warmen Inseln in Südostasien, ist heute aber auf allen Kontinenten, außer in der Antarktis zu finden. Nahe liegend wäre es, diesen Siegeszug auf die steigenden Umwelttemperaturen zurückzuführen. Für ihre Studie überprüften die Wissenschafter:innen die Hypothese, ob die Temperatur als Lebensraumfaktor im Vergleich zu anderen Lebensraumfaktoren unwichtig ist, weil Wildschweine ausgezeichnete Thermoregulatoren sind. Untersucht wurden 13 erwachsene Weibchen, die im Burgenland in einem Freigehege leben. Ausgestattet waren die Wildschweine mit Sensoren für Herzschlag und Körpertemperatur. Laut den Forscher:innen der Vetmeduni wirkt die Temperatur nur indirekt. Wichtiger ist demnach die reichliche Verfügbarkeit von Nahrungsressourcen, sie kann die negativen Auswirkungen kalter Winter vollständig ausgleichen.
Wildschweine zeigen hohe Resilienz gegenüber Temperaturunterschieden
„Wir fanden heraus, dass die thermoneutrale Zone im Sommer etwa 6 bis 24°C beträgt. Im Winter liegt die thermoneutrale Zone bei 0 bis 7°C. Zudem ist der Anstieg der Herzfrequenz und des Energieverbrauchs bei Kälte vergleichsweise gering“, so Studien-Erstautor Thomas Ruf vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI) der Vetmeduni. „Dieser relativ geringe Anstieg des Energieverbrauchs bei Kälteexposition stellt das Wildschwein in die Reihe der arktischen Tiere, wie z. B. des Eisbären, während tropische Säugetiere ihren Energieverbrauch um ein Vielfaches erhöhen. Andererseits war die Reaktion der von uns untersuchten Wildschweine auf hohe Umgebungstemperaturen zu allen Jahreszeiten schwach.“
Vorteil in Zeiten des globalen Klimawandels
Für die Thermoregulation sind Wildschweine auf tägliche Zyklen angewiesen, insbesondere auf Rhythmen der subkutanen Temperatur. Dazu Studien-Letztautorin Claudia Bieber, Leiterin des FIWI der Vetmeduni: „Diese ermöglichen es ihnen, mit geringem Energieaufwand große Unterschiede der Haut- und Körperkerntemperatur aufzubauen, was wiederum den Wärmeverlust verringert.“ Laut den Forscher:innen führte vor allem diese Fähigkeit – zusammen mit wirksamen Verhaltensstrategien zum Ausgleich von Hitze – dazu, dass Wildschweine heute die klimatisch unterschiedlichsten Gebiete der Welt bewohnen.
Laut den Wissenschafter:innen wäre es vor diesem Hintergrund keine Überraschung, wenn Wildschweine nur geringe Reaktionen auf den globalen Klimawandel zeigen würden. Allerdings könnte die mit der Klimaerwärmung verbundene, zunehmende Trockenheit zu einer geringeren Nahrungsverfügbarkeit führen und Wildschweine damit vor ein anderes Problem stellen.
Originalpublikation:
Der Artikel „Thermoregulation in the wild boar (Sus scrofa)“ von Thomas Ruf, Sebastian G. Vetter, Johanna Painer-Gigler, Gabrielle Stalder und Claudia Bieber wurde in „Journal of Comparative Physiology B“ veröffentlicht.
https://link.springer.com/article/10.1007/s00360-023-01512-6

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