Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

17.07.2023, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.
Neue Embryonen und Leihmütter für BioRescue – das Forschungsprojekt zur Rettung der Nördlichen Breitmaulnashörner
Vier Jahre nach Beginn des ehrgeizigen BioRescue-Forschungsprojekts zur Rettung des Nördlichen Breitmaulnashorns erzielt das BioRescue-Konsortium bedeutende Fortschritte: Mithilfe moderner Technologien der assistierten Reproduktion wurden 29 Embryonen des Nördlichen Breitmaulnashorns erzeugt und in flüssigen Stickstoff eingefroren (cryo-konserviert), um später für den Transfer in eine Leihmutter zur Verfügung zu stehen. Bei der letzten Eizellentnahme im Mai 2023 wurden 18 Eizellen entnommen, aus denen 5 neue Embryonen entstanden sind.
Die Spermien für die Befruchtung stammten von zwei verschiedenen Bullen zur Erhöhung der genetischen Vielfalt. Das BioRescue-Forschungsprojekt wird hauptsächlich vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanziert.
Während des letzten wissenschaftlichen Forschungsaufenthaltes in Kenia im Mai 2023 wurde die 13. Eizellengewinnung beim Nördlichen Breitmaulnashorn (NWR) von einem Team aus Wissenschaftler:innen und Naturschützer:innen des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW), der Ol Pejeta Conservancy, des Safari Park Dvůr Králové, des Kenya Wildlife Service (KWS) und des Wildlife Research and Training Institute (WRTI) in der Ol Pejeta Conservancy in Kenia durchgeführt. Der Eingriff bei dem NWR Weibchen Fatu verlief reibungslos und ohne Komplikationen, und es wurden 18 Eizellen entnommen. Nach ihrer Reifung und Befruchtung wurden aus den Eizellen im italienischen Avantea-Labor in Cremona fünf Embryonen erzeugt. Bei früheren Einsätzen im November 2022 (11. Entnahme) und Februar 2023 (12. Entnahme) wurden zwei und keine Embryonen gewonnen.
Zudem gelang dem BioRescue-Team im Mai 2023 ein weiterer vielversprechender Schritt zur Rettung der am stärksten gefährdeten Säugetierart unseres Planeten. Das BioRescue-Team konnte zwei wilde südliche Breitmaulnashornweibchen (SWR) als zukünftige Leihmütter ausfindig machen. Beide Weibchen wurden untersucht und in ein sicheres Gehege umgesiedelt. Sie werden nun eine wichtige Rolle bei der Unterstützung des Zuchtprogramms für die NWRs spielen.
Das Konsortium-Team überprüfte auch den Gesundheitszustand des SWR-Teaser-Bullen Ouwan und bestätigte, dass er weiterhin funktionell sterilisiert ist. Der Teaser-Bulle zeigt durch Kopulation an, wenn eine potentielle SWR-Leihmutter empfangsbereit ist. Der Bulle muss sterilisiert sein, sonst ergibt ein Embryotransfer keinen Sinn, da das Weibchen durch das Sperma des Bullen schwanger werden könnte.
Die nächsten Schritte des BioRescue-Forschungsprojekts werden darin bestehen, Embryotransfers mit SWR-Embryonen durchzuführen, um zu zeigen, dass die angewandten Transfermethoden bei den Nashörnern auch funktionieren. Nachdem eine erfolgreiche Schwangerschaft nachgewiesen ist, wird das Team die kryokonservierten NWR-Embryonen verwenden, um so bald wie möglich lebensfähige NWR-Nachkommen zu erzeugen.
Alle Schritte des BioRescue-Forschungsprojekts werden von einem ethischen Bewertungsverfahren begleitet, das vom Ethik-Labor für Tiermedizin, Naturschutz und Tierschutz an der Universität Padua in Italien entwickelt und umgesetzt wird. Neben dem BMBF gehören die Stiftung Nadace ČEZ und Richard McLellan zu den wichtigsten Geldgebern des BioRescue-Forschungsprojekts.

19.07.2023, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Ein Käfer aus der Asche
Senckenberg-Forscherin Dr. Marianna Simões hat gemeinsam mit ihrem Kollegen Dr. Lukáš Sekerka vom Nationalmuseum Prag eine neue Art aus der Gattung der Schildkrötenkäfer entdeckt. Der nun als Dorynota phoenix im Fachjournal „Zootaxa“ beschriebene Käfer stammt aus den Sammlungen des Brasilianischen Nationalmuseums in Rio de Janeiro, die 2018 fast vollständig durch ein außer Kontrolle geratenes Feuer vernichtet wurden.
Große Teile des 200 Jahre alten Nationalmuseums und seines Archivs in Rio de Janeiro wurden am 2. September 2018 durch einen Großbrand zerstört. „Die brasilianischen Sammlungen des Nationalmuseums umfassten mehr als 20 Millionen Objekte von unschätzbarem Wert. Zu ihnen zählten unter anderem die älteste Sammlung altägyptischer Exponate auf dem amerikanischen Doppelkontinent, der größte in Brasilien entdeckte Meteorit sowie das erste komplette Dinosaurier-Fossil Brasiliens. Zu den Beständen gehörte auch eine der größten Referenzsammlungen für die Insektenvielfalt in Südamerika – mit einer umfangreichen Käfersammlung von mehr als zwei Millionen Exemplaren, die ein breites Spektrum an Arten repräsentierte“, erklärt Dr. Marianna Simões vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt und ergänzt: „Bis auf wenige Leihgaben, die zum Zeitpunkt des Feuers nicht in Rio de Janeiro waren, gingen diese Sammlungen unwiederbringlich verloren.“
Eine der seltenen, noch erhalten gebliebenen Leihgaben hat die Frankfurter Entomologin nun mit Dr. Lukáš Sekerka, Wissenschaftler am Nationalmuseum in Prag, untersucht. „Das etwa 11 Millimeter lange und zehn Millimeter breite Insekt gehört zur Gattung der Schildkrötenkäfer, diese umfasst derzeit 18 Arten, die in der neotropischen Region von Mexiko bis Nordargentinien weit verbreitet sind. Wir haben sehr schnell festgestellt, dass das vorliegende Exemplar Merkmale aufweist, die sich im Vergleich zu den übrigen beschriebenen Arten der Gattung deutlich abheben“, so Simões.
Die beiden Forschenden tauften die von ihnen neu entdeckte Art auf den Namen Dorynota phoenix – der Phönix ist ein mythischer Vogel, der am Ende seines Lebenszyklus verbrennt, um aus seiner Asche wieder neu zu erstehen. „Wir wollten mit dieser Benennung darauf hinweisen, dass das Sammlungsstück wie durch ein Wunder vor dem verheerenden Brand des Museums gerettet wurde. Der kleine Käfer soll ein Symbol für den bemerkenswerten Wiederaufbau des Museums aus der Asche sein – schon für 2025 ist die Wiedereröffnung des gesamten Museums geplant! Die neue entdeckte Art zeigt zudem erneut, welche entscheidende Rolle Museen bei der Erhaltung und dem Verständnis der biologischen Vielfalt spielen und wie wichtig es ist diese ‚Archive der Natur‘ zu schützen“, resümiert Simões.
Originalpublikation:
Marianna V. P. Simões & Lukáš Sekerka (2023): A new species in the tortoise-beetle genus Dorynota s. str. Chevrolat (Coleoptera: Chrysomelidae: Cassidinae: Dorynotini) from Brazil.
Zootaxa 5311 (3): 446–450. https://doi.org/10.11646/zootaxa.5311.3.7

19.07.2023, Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV) e. V.
Sensation: Basstölpel in Bayern bruchgelandet
Hochseevogel in der Oberpfalz gefunden – geschwächtes Tier wird in LBV-Vogelauffangstation gepflegt – Auswilderung an der Nordsee geplant
Sensationelle Entdeckung auf einem Stoppelfeld im südlichen Landkreis Neumarkt. Am vergangenen Freitag fand ein Landwirt dort einen erschöpften Basstölpel, der anschließend von Aktiven der LBV-Kreisgruppe Neumarkt zur Pflege in die LBV-Vogel- und Umweltstation Regenstauf gebracht wurde. In Deutschland brüten die beeindruckenden Küsten- und Hochseevögel mit einer Spannweite von bis zu 1,80 Meter nur auf Helgoland. Für Bayern ist es erst der vierte bekannte Nachweis eines Basstölpels überhaupt. „Wir haben nicht schlecht gestaunt, als es sich bei unserem neuen Pflegling tatsächlich um einen erwachsenen Basstölpel handelte“, sagt Ferdinand Baer, fachlicher Leiter der LBV-Vogelstation Regenstauf. „Diese Vögel können auf der Suche nach Fisch täglich mehrere hundert Kilometer zurücklegen, aber eben immer nur über dem Meer oder entlang von Küsten. So einen Vogel in Bayern zu finden, ist schon eine echte Sensation.“ Der Vogel hatte keine Verletzungen, war aber deutlich geschwächt und wird nun vom LBV gepflegt. Wenn er sich vollständig erholt, soll er im August wieder an der Nordsee ausgewildert werden.
Wie genau der Hochseevogel nach Bayern kam, können die LBV-Artenschützer*innen aktuell nicht sagen. Eine mögliche Theorie ist, dass er durch die Gewitter in den letzten Wochen ins Inland bis nach Bayern geweht worden ist. „Wir können mittlerweile ausschließen, dass der Vogel aus einer Gefangenschaft geflüchtet ist, denn er trägt weder Ring noch ist er gechipt. Eine Abfrage in den europaweit fünf Zoos, die Basstölpel halten, ergab: es fehlt auch kein Individuum. Außerdem lässt sich aus seinem Verhalten schließen, dass er den Kontakt zu Menschen nicht zu kennen scheint“, so Ferdinand Baer. Dennoch zeigt der wilde Basstölpel kein besonders scheues Verhalten, was allerdings typisch für diese Art ist. Seefahrer bezeichneten diese Vogelart früher als „Tölpel“, weil sie sehr zutraulich ist, sich leicht fangen ließ und so zu einer einfachen, kulinarischen Beute für sie wurde.
Da das Team der LBV-Vogelstation nicht auf die Pflege von Meeresvögeln spezialisiert ist, hat es sich mit norddeutschen Vogelexpert*innen ausgetauscht, um den geschwächten Hochseevogel bestens versorgen zu können. „Von den hilfsbereiten Vogelexperten des Zoos Bremerhaven erhielten wir erste Tipps zum Futter. Die angebotene Makrele – sogar zum Sonderpreis vom Fischhändler – nimmt er zwar noch nicht selbstständig, aber er schluckt sie bereitwillig, wenn ich ihm das Futter in den Schnabel gebe“, erzählt Ferdinand Baer. Nun soll der Basstölpel noch knapp ein Kilo zunehmen, bis er wieder sein Normalgewicht von drei Kilogramm erreicht hat. „Auf den großen und kräftigen Schnabel des Vogels müssen wir beim Festhalten besonders Acht geben. Außerdem lagern wir den Vogel weich, um Verletzungen der Füße und der empfindlichen Schwimmhäute zu vermeiden“, so Baer weiter.
Sobald der Basstölpel wieder fit genug ist, soll er zurück an die Nordseeküste gebracht und dort ausgewildert werden. Das Waloseum, eine Auffangstation im Nationalpark Wattenmeer an den Ostfriesischen Inseln, wird den Vogel übernehmen, sobald er für den langen Transport an die niedersächsische Küste stabil genug ist und einen negativen Vogelgrippetest vorweist. Im vergangenen Jahr waren die Basstölpel stark von der Vogelgrippe betroffen. Etwa die Hälfte der deutschen Population in Helgoland ist daran gestorben. „Aktuell ist unser Basstölpel noch nicht ganz über den Berg. Wenn er sich gut erholt, werden wir ihn Anfang August an die über 800 Kilometer entfernte Nordsee bringen und zurück in die Freiheit in seinem gewohnten Lebensraum am Meer entlassen“, so der LBV-Vogelexperte.

20.07.2023, Dachverband Deutscher Avifaunisten
Seltene Mischbrut: Schwarzstorch hat Küken mit Weißstorch
Die wohl weltweit erste dokumentierte Mischbrut zwischen Schwarz- und Weißstorch in freier Wildbahn findet aktuell im niedersächsischen Lüder (Landkreis Uelzen) statt. Dort fanden im Frühjahr ein weiblicher Schwarzstorch und ein männlicher Weißstorch zusammen. Die Schwarzstörchin war in den Vorjahren bereits in der Umgebung durch bisher erfolglose Kontaktversuche zu Weißstörchen aufgefallen. Aufgrund einer deutlich unterschiedlichen Ökologie der Arten gab es bei dem ungleichen Paar hinsichtlich des Nestbaus einige Meinungsverschiedenheiten. So wurde der gewählte Weißstorch-Kunsthorst vom Schwarzstorch mit Moos ausgestattet, während der Weißstorch dieses wieder entfernte und stattdessen Gras in die Nestmulde eintrug. Am 19. April wurden drei Eier gelegt, aus denen ab 20. Mai zwei Jungvögel schlüpften, die beide völlig unterschiedlich gefärbt sind. Auch bei der Nahrungsbeschaffung für den Nachwuchs sind sich beide Elternteile uneinig: Während der Weißstorch Mäuse und Insekten zum Nest bringt, fängt der Schwarzstorch Fische. Beide Jungvögel entwickeln sich dennoch prächtig und werden voraussichtlich in etwa einer Woche ausfliegen. Dank ihrer auffälligen Färbung werden die beiden „Graustörche“ hoffentlich auch andernorts noch für Aufmerksamkeit sorgen, sodass sich ihre weiteren Stationen vielleicht verfolgen lassen. Eine ausführliche Publikation zu der ungewöhnlichen Mischbrut ist in Arbeit.

20.07.2023, Georg-August-Universität Göttingen
Mehr Nützlinge und weniger Schädlinge in Mischkulturen
Forschende bewerten die Vorteile im Vergleich zu Monokulturen mit einer Meta-Analyse
Der globale Rückgang der biologischen Vielfalt ist gravierend. Die landwirtschaftliche Flächennutzung trägt maßgeblich dazu bei – besonders der großflächige Anbau einzelner Kulturpflanzen in Monokulturen. Mischkulturen können entgegenwirken: Auf Äckern, auf denen gleichzeitig verschiedene Kulturpflanzen wachsen, gibt es mehr nützliche Arthropoden wie Insekten und Spinnen als in Monokulturen. Gleichzeitig kommen weniger Schädlingen vor. Das fanden Forschende der Universität Göttingen mit einer systematischen Literatur- und statistischen Meta-Analyse heraus.
Besonders vorteilhaft ist es, wenn Getreide und Hülsenfrüchten kombiniert werden und im Streifen- oder Reihenanbau gepflanzt wird. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift Agriculture, Ecosystems & Environment erschienen.
Die Forschenden werteten 63 publizierte Fachartikel zum Vergleich von Misch- und Monokulturen aus 18 Ländern aus. Sie verglichen die Artenvielfalt, die Anzahl der Individuen (Häufigkeit) und die Dichte pro Pflanze von nützlichen und schädlichen Arthropoden. Dabei betrachteten sie auch einzelne Gruppen der nützlichen Arthropoden: Bestäuber, Zersetzer sowie Räuber und Parasitoiden, die Schädlinge töten. Zudem untersuchten sie, wie verschiedene Kombinationen und räumliche Anordnungen der Kulturpflanzen in Mischkulturen das Vorkommen dieser Tiere beeinflussen.
Die Artenvielfalt nützlicher Arthropoden ist in Mischkulturen um 27 Prozent höher als in Monokulturen. Ihre Häufigkeit ist um 36 Prozent höher und ihre Dichte pro Pflanze um 94 Prozent. Verschiedene Gruppen nützlicher Arthropoden profitieren unterschiedlich stark von Mischkulturen: Die Artenvielfalt und Häufigkeit von Bestäubern, Räubern und Parasitoiden ist größer als in Monokulturen, für Zersetzer gibt es dagegen keinen Unterschied. Schädliche Arthropoden kommen in Mischkulturen weniger vor als in Monokulturen: Ihre Häufigkeit ist um 38 Prozent geringer, ihre Dichte pro Pflanze um 41 Prozent. Ihre Artenvielfalt unterscheidet sich nicht zwischen den Anbauformen. Der gleichzeitige Anbau von Getreide und Hülsenfrüchten übertrifft die Kombination verschiedener Getreidesorten bei der Förderung der Nützlinge und der Reduzierung der Schädlinge. Außerdem ist es effektiver, wenn die Kulturpflanzen im Streifen- oder Reihenanbau wachsen und nicht in ungeordnetem Mischanbau oder im Staffelanbau zeitversetzt ausgesät werden.
Den Forschenden zufolge zeigen die Ergebnisse, wie nachhaltige landwirtschaftliche Praktiken die biologische Vielfalt und damit verbundene Ökosystemleistungen fördern können. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Mischkultur eine wirksame Methode ist, um die nachteiligen Auswirkungen der intensiven Landwirtschaft auf nützliche Arthropoden in Agrarökosystemen abzumildern“, sagt Erstautor Dr. Anjaharinony Rakotomalala, jetzt Postdoktorand an der Universität Marburg. „Die Ergebnisse sollten die Politik ermutigen, in Agrarumweltprogrammen Anreize für die Überführung von Monokulturen in Mischkulturen zu setzen“, ergänzen Dr. Anoush Ficiciyan und Prof. Dr. Teja Tscharntke von der Abteilung Agrarökologie der Universität Göttingen.
Originalpublikation:
Anjaharinony A. N. A. Rakotomalala et al. Intercropping enhances beneficial arthropods and controls pests: A systematic review and meta-analysis. Agriculture, Ecosystems & Environment (2023). https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0167880923002761?via%3Dih…

20.07.2023, Österreichische Akademie der Wissenschaften
Klimakrise beschleunigt Artensterben – auch in den Anden
Die Erderwärmung verändert die Pflanzengemeinschaften der Berggipfel weltweit. In den südamerikanischen Anden, der längsten Gebirgskette der Erde, breiten sich Pflanzenarten in höher gelegenen Bergregionen aus, während immer mehr angestammte Gebirgspflanzen – auch von Arten aus Europa – zurückgedrängt werden. Zu diesem Befund kommt jetzt ein internationales Forschungsteam mit Beteiligung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und BOKU Wien.
Von Venezuela bis Feuerland: Auf der Suche nach neuen Lebensräumen, wandern in den Anden immer mehr Pflanzenarten in höher gelegene Bergabschnitte aus. Dabei verdrängen sie seltene Gebirgspflanzen in den Hochanden. Grund dafür sind die vom Menschen verursachten steigenden Temperaturen. Diese werden die Entwicklung in Zukunft noch weiter beschleunigen, wie eine kürzlich im Fachjournal Global Ecology and Biogeography erschienene Studie nahelegt.
Im Rahmen eines von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Universität für Bodenkultur (BOKU) Wien koordinierten Langzeit-Monitoring- und Forschungsprogramms, der „Global Observation Research Initiative in Alpine Environments“ (GLORIA), wurden Daten über Pflanzengemeinschaften verwendet, die in 720 Dauerbeobachtungsflächen auf 45 Berggipfeln in den hohen Anden zwischen 2011 und 2019 erhoben wurden. Erstmals liegen nun Daten vor, die sich über einen großen Teil der Gebirgskette erstrecken. Im Großraum der tropischen Anden befindet sich auch das größte Zentrum der biologischen Vielfalt der Erde.
Rapider Artenwandel in den Bergen
Die Erfassung der Biodiversität entlang von Höhengradienten zeigt die Wirkung des Klimawandels auf die Zusammensetzung der Ökosysteme. Diese sind in den Anden durch das Zusammentreffen einer komplexen Landschaftsstruktur mit dem tropischen Klima besonders vielfältig und einzigartig. „Das Höhersteigen der Arten lässt sich an den meisten unserer Messpunkte auf den Berggipfeln feststellen. Die Veränderungen können aber recht unterschiedlich sein, etwa eine Zunahme der Gesamtbedeckung der Vegetation, während diese an anderen Standorten deutlich rückgängig war“, sagt Co-Studienautor Harald Pauli. Er ist Hochgebirgsökologe am Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der ÖAW und leitet das GLORIA-Netzwerk.
„Im Schnitt kommt alle zweieinhalb Jahre eine Pflanzenart in den Monitoringflächen dazu, in manchen Gebieten mehr. Das ist für kalte Gebirgslebensräume ein sehr kurzer Zeitraum“, so der Ökologe. Es ist eine besorgniserregende Entwicklung, die Pauli mit seinem Team bereits in unterschiedlichen Gebirgen Europas beobachten konnte.
Intensive Landwirtschaft und importierte Arten aus Europa
Faktor Nummer eins weltweit für das Artensterben ist die intensive Landwirtschaft, einschließlich der Abholzung der Wälder, erklärt er. Auch in den Anden wird das Gebirge beweidet. „Häufig werden Flächen in der trockenen Jahreszeit abgebrannt, weil die Weidetiere das junge Gras, das danach wächst, lieber fressen. Für die Vielfalt hat das aber massive Konsequenzen“, sagt Pauli.
Hinzu kommt ein Phänomen, das in vielen Teilen der Anden besonders virulent ist: importierte europäische Wiesenpflanzen – vom Knäuelgras bis zum Rotklee. Je wärmer es wird, desto mehr können sie sich in höheren Lagen ausbreiten, so der Forscher. Und mit der globalen Erwärmung steigen die Bodentemperaturen weiter. Das konnten auch die Messungen bestätigen.
Gebirgspflanzen als lebende Sensoren für Biodiversitätsverlust
„Gebirgspflanzen sind wie lebende Sensoren. Wir können sie als Indikatoren verstehen, die über den Zustand der Ökosysteme Auskunft geben und anhand derer Zukunftsprognosen evaluiert werden können“, sagt Hochgebirgsökologe Pauli. Die Vielfalt der unterschiedlichen lokal verbreiteten Arten zu erhalten, die verschiedenste ökologische Nischen einnehmen, ist gerade in Zeiten des Klimawandels essentiell. Schließlich sind intakte Ökosysteme für rund 30 Prozent der CO2-Bindung verantwortlich.
Biodiversitäts-Monitoring kann zwar den rasanten Verlust der biologischen Vielfalt nicht stoppen, aber zumindest darüber informieren. „Die Verantwortung dafür trägt die Gesellschaft – und allen voran die Politik“, so Pauli.
Originalpublikation:
„Compositional shifts of alpine plant communities across the high Andes“, Cuesta, F., Carilla, J., LLambí, L. D., Muriel, P., Lencinas, M. V., Meneses, R. I., Feeley, K. J., Pauli, et al., Global Ecology and Biogeography, 00, 1–16, 2023
DOI: https://doi.org/10.1111/geb.13721

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