Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

31.03.2023, Ludwig-Maximilians-Universität München
Fledermäuse in gestörten Ökosystemen sind häufiger mit Coronaviren infiziert
Tiere aus gestressten Ökosystemen sind stärker mit Coronaviren belastet, was die Übertragungsmöglichkeiten auf den Menschen verstärkt.
Bereits dreimal haben Coronaviren aus wilden Fledermauspopulationen in den vergangenen 20 Jahren zu großen Krankheitsausbrüchen beim Menschen geführt: SARS im Jahr 2002, MERS im Jahr 2012 und COVID-19. Letzterer zog eine globale Pandemie nach sich, von deren Folgen sich die Menschheit noch immer nicht gänzlich erholt hat. Das hat auch für eine erhöhte Aufmerksamkeit für Infektionskrankheiten gesorgt, deren Ursprünge im Tierreich liegen – sogenannte Zoonosen.
Eines ist inzwischen klar: Die Wahrscheinlichkeit für sogenannte Spillover-Ereignisse, bei denen Krankheitserreger von Tieren auf den Menschen überspringen, wird umso größer, je stärker der Mensch der Wildnis auf den Pelz rückt. Dabei spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Zum Beispiel, wie stark menschliche Invasionen in intakte Ökosysteme die Kontaktraten zwischen Menschen und potenziell infizierten Arten erhöhen oder wie leicht ein Virus sich an einen neuen Wirt anpassen kann.
Dr. Vera Warmuth und Prof. Dr. Dirk Metzler aus dem Fachbereich Evolutionsgenetik der LMU haben nun gemeinsam mit der Fledermausökologin Dr. Veronica Zamora-Gutierrez am CIIDIR Durango in Mexiko einen weiteren Zusammenhang nachgewiesen, der dabei relevant ist: Die Studie konnte klar nachweisen, dass Fledermäuse in (vom Menschen) gestörten Habitaten häufiger mit Coronaviren infiziert sind als solche in ungestörten Habitaten.
Dafür haben die Forschenden mittels einer Metaanalyse Informationen zu Infektionsraten bei Fledermäusen aus aller Welt zusammengetragen und statistisch analysiert. Dabei sind Daten von über 26.000 Fledermäusen aus über 300 Arten in die Auswertung eingeflossen und mit Daten zur Landbedeckung und Landnutzung in Verbindung gebracht worden.
„Viele Formen der Landnutzung bedeuten einen Verlust von wichtigen Ressourcen für Wildtiere; im Falle von Fledermäusen etwa Jagd- oder Schlafplätze“, sagt Vera Warmuth.
Dass ein solcher Ressourcenverlust für Wildtiere zu chronischem Stress führen kann, wurde bereits mehrfach gezeigt. Wenn Fledermäuse aufgrund menschlichen Eingreifens keine Schlafplätze oder weniger Nahrung fänden, könne der damit verbundene chronische Stress zu einer Abschwächung der Immunabwehr führen.
„Die negativen Auswirkungen von chronischem Stress auf das Immunsystem von Säugetieren sind gut bekannt. Unsere Ergebnisse zeigen ganz klar, dass Tiere in gestörten Ökosystemen häufiger infiziert sind. Je stärker ein Gebiet durch den Menschen beeinflusst ist, desto mehr Coronaviren finden sich in den dort lebenden Fledermäusen“, meint Warmuth.
Besonders stark stechen dabei drei Formen der Landnutzung heraus: Landwirtschaft, Abholzung und der Abbau von Bodenschätzen. Sie stellen den Autoren der Studie zufolge die größten Stressfaktoren für die Fledermauspopulationen dar. Durch sie werden Waldhabitate zerstört oder fragmentiert, die Fledermäuse finden wegen des Anbaus von Monokulturen und dem Einsatz von Pestiziden weniger Futter in Form von Insekten und verlieren selbst ihre unterirdischen Schlafplätze, wenn Bergbau betrieben wird.
Ökologischer Stress wirkt sich also signifikant auf die Häufigkeit von Coronaviren in einer Tiergruppe aus, der eine große Bedeutung als Virus-Reservoir in der Natur zukommt. „Wenn wir das Ausbreitungsrisiko möglicher Zoonose-Erreger vorhersagen und eingrenzen wollen, ist es nach unseren Erkenntnissen notwendig, auch ihre Häufigkeit in Wildtierpopulationen zu überwachen. Insbesondere wenn der menschliche Druck auf Ökosysteme weiter steigt“, meint Metzler. „Die Modelle weisen auch auf eine Handvoll Regionen, insbesondere im Osten der Vereinigten Staaten und in Indien, hin, in denen verstärkte Überwachungsmaßnahmen besonders wichtig sein könnten.“
Originalpublikation:
Vera M. Warmuth, Dirk Metzler, Veronica Zamora-Gutierrez; Human disturbance increases coronavirus prevalence in bats. Science Advances, 2023

03.04.2023, Universität Bayreuth
Ökologisch-Botanischer Garten der Uni Bayreuth ist Hotspot für Wildbienen in Mitteleuropa
214 Wildbienenarten, und damit etwas mehr als 40 Prozent der in Bayern vorkommenden Bienenarten, wurden im vergangenen Jahr im Ökologisch-Botanischen Garten der Universität Bayreuth (ÖBG) im Rahmen einer Masterarbeit nachgewiesen. Darunter waren vier vom Aussterben bedrohte Arten, wie die Große Sandgängerbiene (Ammobates punctatus), sowie zahlreiche weitere gefährdete Arten.
Bienen sind weltweit die wichtigsten Bestäuber und nicht nur unverzichtbar für den Erhalt von Wildpflanzenarten, sondern auch für die Bestäubung eines Großteils unserer Nutzpflanzen. Bienen gelten somit als ökologisch sowie ökonomisch sehr wichtige Gruppe mit unverzichtbaren Ökosystemfunktionen. Weltweit werden allerdings seit den 1990er Jahren immer weniger Bienenarten nachgewiesen. Vor diesem Hintergrund ist die im Ökologisch-Botanischen Garten (ÖBG) gefundene hohe Artenzahl von 214 Wildbienenarten sehr erfreulich.
Daniel Schanz kartierte in seiner Masterarbeit die Wildbienen eines ca. 13,5 Hektar großen Teilbereichs des Freigeländes des ÖBG in fast 40 Begehungen von März bis September 2022. Es war die zweite Untersuchung der Wildbienenfauna im ÖBG nach ihrer Ersterfassung im Jahr 2000. Daneben erfasste er das Blütenbesuchsverhalten an heimischen und nicht-heimischen Pflanzenarten. Betreut wurde die Arbeit von Prof. Dr. Elisabeth Obermaier (ÖBG, Universität Bayreuth) und Prof. Dr. Stefan Dötterl (Universität Salzburg), der die Erhebung im Jahr 2000 durchführte. Die, im Vergleich zur Erfassung vor 22 Jahren, 85 neu hinzugekommenen Bienenarten sind häufig wärmeliebender und signifikant weniger weit nordwärts verbreitet als Bienenarten mit einem Nachweis bei beiden Erfassungen.
14 der im Jahr 2000 nachgewiesenen Arten konnten 2022 nicht nachgewiesen werden, so dass in den letzten gut 20 Jahren insgesamt fast 230 Bienenarten im ÖBG festgestellt wurden, das sind 44 Prozent der in Bayern und 39 Prozent der in Deutschland bekannten Arten. Damit ist der ÖBG, auch bezogen auf seine relativ kleine Fläche, einer der artenreichsten Wildbienen-Standorte Mitteleuropas. Selbst in keinem anderen Botanischen Garten Mitteleuropas konnten bisher so viele Bienenarten festgestellt werden.
„Die hohe Artenzahl im ÖBG wird vor allem begründet mit der hohen Lebensraumvielfalt auf engem Raum und mit vielen verschiedenartigen Blütenpflanzen und Nistbereichen“, sagt Daniel Schanz. „Dazu gehören die Weidenkultur mit einer blütenreichen Bodenvegetation, viele selten gemähte Wiesenbereiche, der Nutzpflanzengarten und die Calluna-Heide sowie eine Sandböschung für bodennistende Arten. Außerdem bietet Totholz für Arten, die auf solche Strukturen zur Anlage ihrer Nistplätze angewiesen sind, weitere Möglichkeiten zur Ansiedlung von Bienenarten.“ Im ÖBG werden zudem an vielen Stellen spontan aufkommende Wildkräuter geduldet, deren Bedeutung für die Bienenfauna als sehr hoch einzuschätzen ist.
Bei der Erfassung der von den Bienen besuchten Pflanzenarten im Jahr 2022 zeigte sich, dass unter den 16 von der größten Vielfalt an Bienenarten besuchten Pflanzenarten lediglich zwei nicht-heimische Blütenpflanzen waren. Etwa die Hälfte dieser 16 Pflanzenarten waren nicht direkt angepflanzte Wildkräuter. Besonders viele Bienenarten wurden auf Löwenzahn, Berg-Sandglöckchen, Schafgarbe, Mannstreu, Wiesenflockenblume, Hornklee, Rundblättriger Glockenblume und Wilder Möhre festgestellt. Darunter meist auch so genannte oligolektische Arten, die bzgl. des Blütenpollens spezialisiert auf bestimmte Pflanzen sind.
Insgesamt belegen die Untersuchungen, dass der ÖBG mit seinen vielen heimischen Pflanzenarten und diversen Nistmöglichkeiten ein Hotspot für Bienen in Mitteleuropa ist.
„Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Intensivierung der Kulturlandschaft mit immer weniger Lebensräumen für Wildbienen, erhalten naturnahe Gärten eine immer größere Bedeutung auch für bedrohte Bienenarten“, betont Prof. Dr. Elisabeth Obermaier. „Darüber hinaus zeigt die Studie, dass sich die Bienenfauna innerhalb von 22 Jahren deutlich verändert hat.“ Unter den neu hinzugekommenen Arten sind etliche besonders wärmeliebend, wie beispielsweise die Dichtpunktierte Goldfurchenbiene (Halictus subauratus), die bereits häufiger geworden ist als die Gewöhnliche Goldfurchenbiene (Halictus tumulorum). Prof. Dr. Stefan Dötterl stellt daher fest: „Die Bienenfauna im ÖBG reagiert deutlich auf die Klimaerwärmung.“

04.04.2023, Technische Universität Darmstadt
Insektensterben auch im Wald – Studie der TU Darmstadt zeigt dramatischen Artenrückgang
Die Zahl der Insekten nimmt seit Jahren ab. Für landwirtschaftlich genutzte Gebiete ist dies bereits gut dokumentiert. In Wäldern wurden bislang vor allem Insekten untersucht, die als Schädlinge gelten. Nun wurde von Forschenden unter Leitung der TU Darmstadt die Entwicklung sehr vieler Insektenarten in deutschen Wäldern untersucht. Anders als von den Forschenden vermutet, zeigte sich auch hier: Die Mehrzahl der untersuchten Arten nimmt ab. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Communications Biology“ veröffentlicht.
Der Wald ist durch seine Bedeutung für das Klima und durch die allgegenwärtigen Waldschäden infolge der heißen und trockenen Sommer ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Neben dem Menschen sind auch viele Tierarten auf das Ökosystem Wald angewiesen, die meisten von ihnen sind Insekten. Insekten werden im Wald oft nur als Schädlinge beachtet, wie beispielsweise die Berichterstattung über Borkenkäfer oder Maikäfer zeigt, dabei sind alle Arten für das natürliche Geleichgewicht sehr wichtig. Während zeitliche Veränderungen in den Populationen potentieller Schadinsekten gut untersucht sind, weiß man wenig über den Zustand und die Entwicklung der vielen anderen faszinierenden Insektenarten in Wäldern.
Eine neue Studie unter der Leitung von Forschenden der Technischen Universitäten Darmstadt und München in Zusammenarbeit mit weiteren Forschenden zeigt nun, wie sich die Populationen von 1.805 Insektenarten von 2008 bis 2017 in deutschen Wäldern entwickelt haben. Zur Überraschung der Forschenden ist die Individuenzahl bei der Mehrzahl der ausgewerteten Arten über die Zeit zurückgegangen.
Dies verwundert vor allem im Vergleich zu landwirtschaftlich geprägten Flächen, bei denen sich die Art der Landnutzung über die Zeit verändert und durch Faktoren wie wirksamere Pestizide, den Wegfall von Randstrukturen oder den vermehrten Anbau von Energiemais intensiviert hat. Störungen dieser Art spielen im Wald keine Rolle. Dennoch lässt sich ein deutlicher Artenrückgang nachweisen. Dabei waren größere und häufigere Arten besonders stark rückläufig. Während bei pflanzenfressenden Insekten etwas mehr Arten zu- als abnahmen, gingen bei allen anderen Ernährungstypen wie Räubern oder Totholz-Zersetzern deutlich mehr Arten zurück.
Auswirkungen auf alle Organismen im Wald
Die neue Studie wurde im Rahmen der „Biodiversitäts Exploratorien“, einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) seit 2006 gefördertem interdisziplinärem Infrastruktur-Schwerpunktprogramm, in drei Regionen durchgeführt: im Nationalpark Hainich, im UNESCO Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin und im UNESCO Biosphärenreservat Schwäbische Alb. Der Rückgang war stärker in Wäldern mit einem hohen Anteil an Nadelbäumen wie etwa Fichten und Kiefern, die in den Untersuchungsgebieten natürlicherweise nur selten vorkommen, sondern angepflanzt sind. In heimischen Buchenwäldern waren die Verluste dagegen geringer. Weiterhin waren in geschützten Wäldern ohne forstliche Nutzung die Rückgänge weniger stark als in intensiv bewirtschafteten Wäldern.
Mit dieser bisher umfangreichsten Studie zum Insektensterben in mitteleuropäischen Wäldern zeigen die Autorinnen und Autoren, dass Insekten nicht nur – wie schon zuvor nachgewiesen – in der Agrarlandschaft rückläufig sind, sondern auch im Wald, welcher in Deutschland fast ein Drittel der Landfläche bedeckt.
„Über 60 Prozent der untersuchten Insektenarten waren rückläufig“, sagt Dr. Michael Staab von der Arbeitsgruppe Ökologische Netzwerke des Fachbereichs Biologie der TU Darmstadt und Hauptautor der Studie. „Dies wird sehr wahrscheinlich Auswirkungen auf alle Organismen in unseren Wäldern haben, da sich Nahrungsnetze zu verschieben drohen.“ In Anbetracht des Klimawandels ist es in Zukunft notwendig zu untersuchen, wie sich die zunehmende Trockenheit und die damit einhergehende Veränderung der heimischen Wälder auf die Entwicklung von Insektenpopulationen auswirkt.
Professor Nico Blüthgen, Leiter der Arbeitsgruppe Ökologische Netzwerke, ergänzt: „Unsere Wälder sind durch die Klimakrise gerade dabei, sich drastisch zu verändern. Wir versuchen derzeit zu verstehen, wie sich dies auf die Insektenpopulation auswirkt.“ Die Ergebnisse der jetzt im renommierten Fachmagazin „Communications Biology“ veröffentlichten Studie legen nahe, dass eine gezielte Bewirtschaftung, einschließlich der Förderung einer natürlicheren Baumartenzusammensetzung und eines reduzierten Holzeinschlags, dazu beitragen kann, das Insektensterben in unseren Wäldern abzuschwächen.
Weitere Informationen
Forschungsplattform Biodiversitäts-Exploratorien: www.biodiversity-exploratories.de
Michael Staab, Martin M. Gossner, Nadja K. Simons, Rafael Achury, Didem Ambarlı, Soyeon Bae, Peter Schall, Wolfgang W. Weisser, Nico Blüthgen (2023): “Insect decline in forests depends on species’ traits and may be mitigated by management.” In: Communications Biology.
https://www.nature.com/articles/s42003-023-04690-9
https://doi.org/10.1038/s42003-023-04690-9

04.04.2023, Goethe-Universität Frankfurt am Main
Analyse von Dinosaurier-Eierschalen: Vogelähnlicher Troodon legte 4 bis 6 Eier in ein Gemeinschaftsnest
Troodon, ein mit heutigen Vögeln eng verwandter Dinosaurier, war zwar ein Warmblüter. Sein Fortpflanzungssystem jedoch ähnelte dem von Reptilien. Dies hat ein internationales Forschungsteam unter Leitung der Goethe-Universität Frankfurt jetzt festgestellt. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wandten eine neue Methode zur genauen Bestimmung der Temperatur an, bei der die Kalkschalen der Dinosauriereier gebildet wurden. Außerdem zeigten die Forschenden, dass ein Troodon-Gelege vier bis sechs Eier umfasste. Da Nester mit bis zu 24 Eiern gefunden wurden, schließen die Forschenden, dass mehrere Troodon-Weibchen ihre Eier in Gemeinschaftsnester legten.
FRANKFURT. In Millionen von Jahren und als Folge vieler kleiner Veränderungen entwickelte sich eine bestimmte Gruppe von Dinosauriern, die Theropoden, zu den Vögeln, die wir heute auf unserem Planeten fliegen sehen. Vögel sind damit die einzigen Nachfahren der Dinosaurier, die das katastrophale Aussterben überlebten, das vor 66 Millionen Jahren die Kreidezeit beendete.
Troodon war ein solcher Theropode. Der fleischfressende Dinosaurier war etwa zwei Meter lang und bevölkerte vor etwa 75 Millionen Jahren die weiten, halbtrockenen Landschaften Nordamerikas. Wie einige seiner Dinosaurier-Verwandten besaß Troodon einige vogelähnliche Merkmale wie hohle und leichte Knochen. Troodon bewegte sich auf zwei Beinen fort und hatte voll entwickelte, gefiederte Flügel. Da er jedoch recht groß war, konnte er nicht fliegen. Stattdessen lief er wahrscheinlich recht schnell und fing seine Beute mit seinen starken Krallen. Troodon-Weibchen legten Eier, die mehr den asymmetrischen Eiern moderner Vögel glichen als den runden Eiern von Reptilien, den ältesten Verwandten aller Dinosaurier. Die Troodon-Eier waren gefärbt und wurden halb in den Boden eingegraben aufgefunden. Sie wurden von Troodon wahrscheinlich sitzend bebrütet.
Ein internationales Wissenschaftsteam um Dr. Mattia Tagliavento und Prof. Jens Fiebig von der Goethe-Universität Frankfurt hat nun das Kalziumkarbonat einiger gut erhaltener Troodon-Eierschalen untersucht. Die Forscher nutzten dafür eine von Fiebigs Arbeitsgruppe im Jahr 2019 entwickelte Methode, die „dual clumped isotope thermometry“. Damit konnten sie messen, inwieweit schwere Elementvarianten (Isotope) von Sauerstoff und Kohlenstoff im Karbonat nebeneinander gruppiert vorkommen. Das Ausmaß dieser „Isotopengruppierung“ ist temperaturabhängig und ermöglichte es daher den Wissenschaftlern, die Temperatur zu bestimmen, bei der die Karbonate kristallisierten.
Bei der Analyse der Troodon-Eierschalen stellte das Forscherteam fest, dass diese bei Temperaturen von 42 und 30 Grad Celsius gebildet wurden. Mattia Tagliavento, Erstautor der Studie, erklärt: „Die Isotopenzusammensetzung der Troodon-Eierschalen zeigt, dass diese ausgestorbenen Tiere eine Körpertemperatur von 42°C hatten und in der Lage waren, diese auf etwa 30°C zu senken, wie moderne Vögel.“
Um herauszufinden, ob Troodon modernen Vögeln oder Reptilien ähnlicher war, untersuchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Isotopenzusammensetzung der Eierschalen verschiedener Reptilien (Krokodil, Alligator und verschiedene Schildkrötenarten) und Vögel (Huhn, Spatz, Zaunkönig, Emu, Kiwi, Kasuar und Strauß). Sie fanden zwei unterschiedliche Isotopenmuster: Die Schalen von Reptilieneiern haben eine Isotopenzusammensetzung, die einer Bildung bei der Umgebungstemperatur entspricht. Dies rührt daher, dass die Tiere kaltblütig sind und ihre Eier langsam bilden. Bei Vögeln hingegen ist eine sogenannte „nicht-thermische Signatur“ in der Isotopenzusammensetzung erkennbar, die darauf hindeutet, dass die Eierschalenbildung sehr schnell erfolgt. Tagliavento: „Wir glauben, dass diese sehr hohe Produktionsrate damit zusammenhängt, dass Vögel im Gegensatz zu Reptilien nur einen Eierstock haben. Da sie jeweils nur ein Ei nach dem anderen produzieren können, müssen Vögel dies schneller tun“.
In den Troodon-Eierschalen konnten die Forscher die für Vögel typische Isotopenzusammensetzung nicht feststellen. Tagliavento ist überzeugt: „Dies zeigt, dass Troodon seine Eier auf eine Weise gebildet hat, die eher mit der moderner Reptilien vergleichbar ist, und es deutet darauf hin, dass sein Fortpflanzungssystem noch aus zwei Eierstöcken bestand.“
Unter der zusätzlichen Berücksichtigung des bereits bekannten Körper- und Eierschalengewichts von Troodon berechneten die Forscherinnen und Forscher anhand ihrer Analysen, dass Troodon nur 4 bis 6 Eier pro Fortpflanzungsphase produzierte. „Diese Beobachtung ist besonders interessant, weil Troodon-Nester normalerweise groß sind und bis zu 24 Eier enthalten“, erklärt Tagliavento. „Wir denken, dass dies ein deutlicher Hinweis darauf ist, dass Troodon-Weibchen ihre Eier in Gemeinschaftsnester legten. Ein solches Verhalten beobachten wir heutzutage bei modernen Straußen.“
Dies seien sehr spannende Erkenntnisse, findet Jens Fiebig: „Ursprünglich haben wir die ‚dual clumped isotope‘-Thermometrie entwickelt, um die Temperaturen der Erdoberfläche vergangener geologischer Epochen genau zu rekonstruieren. Unsere neue Untersuchung zeigt, dass unsere Methode nicht nur eine zuverlässige Rekonstruktion der Temperatur erlaubt, sondern auch ermöglicht zu untersuchen, wie sich die Biomineralisierung von Karbonaten im Laufe der Erdgeschichte entwickelt hat.“
Beteiligte Partner:
Institute of Geosciences, Goethe University Frankfurt, Germany
Frankfurt Isotope and Element Research Center (FIERCE), Goethe University Frankfurt, Germany.
Institute of Applied Geosciences, Graz University of Technology, Austria.
Royal Tyrrell Museum of Palaeontology, Drumheller, Canada.
Department of Geoscience, University of Calgary, Canada.
Naturalis Biodiversity Center, Leiden, the Netherlands
Department of Earth Sciences, Universiteit Utrecht, the Netherlands
Department of Geosciences, University of Massachusetts, USA
Morrill Science Center, Amherst, USA
Department of Geology and Geophysics, Woods Hole Oceanographic Institution, USA
Originalpublikation:
Mattia Tagliavento, Amelia J. Davies, Miguel Bernecker, Philip T. Staudigel, Robin R.
Dawson, Martin Dietzel, Katja Goetschl, Weifu Guo, Anne S. Schulp, François Therrien, Darla K. Zelenitsky, Axel Gerdes, Wolfgang Müller, Jens Fiebig: Evidence for heterothermic endothermy and reptile-like eggshell mineralization in Troodon, a non-avian maniraptoran theropod. PNAS (2023) https://www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.2213987120

05.04.2023, Universität Wien
Evolution von Muskeln: gemeinsamer Ursprung bei Seeanemonen und Mensch
Entwicklung verschiedener Muskelzelltypen beruht auf Duplikation & Diversifikation von Genen
Tiere bestehen in der Regel aus hunderten von Zelltypen – doch wie sich diese zelluläre Komplexität im Lauf der Evolution entwickelt hat, ist nach wie vor nicht geklärt. Genau dieser Frage hat sich ein Forschungsteam rund um den Entwicklungsbiologen Ulrich Technau von der Universität Wien angenommen. Die Ergebnisse seiner Studie wurden aktuell im renommierten Fachjournal Nature Communications veröffentlicht. Dabei fanden die Forscher*innen heraus, dass verschiedene Muskelzelltypen in der Seeanemone durch eine Vielzahl von Genduplikationen und nachfolgenden Diversifizierungen entstanden sind. Außerdem entdeckte das Forschungsteam einen wahrscheinlichen evolutionären Ursprung von Herzmuskelzellen.
Seit langem beschäftigt die Wissenschaft die Frage, welche Mechanismen dem hohen Grad an zellulärer Komplexität verschiedener Organismen zugrunde liegen. Mögliche Antworten liefert die Entwicklungsbiologie durch das Studium von Zelltypen, die allen Tieren gemein sind – wie z.B. den Muskelzellen. Von diesen Zellen gibt es verschiedene Arten – bei Wirbeltieren z.B. den quergestreiften Herzmuskel, die quergestreifte Skelettmuskulatur und die glatte Muskulatur, die beispielsweise den Darm auskleidet.
Seeanemonen – komplexer als gedacht
Auch Seeanemonen, die zu den evolutionär ältesten und somit „einfachsten“ Tierstämmen gehören, besitzen Muskeln, die jedoch anatomisch alle sehr ähnlich aussehen. Durch eine relativ neue molekularbiologische Methode, die Einzel-Zell-Sequenzierung, konnte die Gruppe um Ulrich Technau von der Universität Wien nun aber bestätigen, dass es in Seeanemonen tatsächlich vier verschiedene Muskelzell-Subtypen gibt. Diese lassen sich wiederum in zwei Hauptkategorien – schnell-kontrahierende und langsam-kontrahierende Muskeln – unterteilen, ähnlich wie es beim Menschen schnelle und langsame Muskeln gibt. Schnelle und langsame Muskeln unterscheiden sich auf molekularbiologischer Ebene durch einen ganzen Satz an Strukturproteinen, die jeweils durch Genduplikationen entstanden und vermutlich für die unterschiedlichen Eigenschaften verantwortlich sind.
Genetische Regulation liefert Hinweis auf gemeinsamen evolutionären Ursprung
Das Forschungsteam ging als nächstes der Frage nach, wie die Entstehung und Differenzierung dieser vier Muskelzell-Subtypen reguliert wird. „Erstaunlicherweise sind in den langsamen Muskeln Regulator-Gene aktiv, die beim Menschen und bei Fliegen auch bei der Entwicklung der Herzmuskelzellen eine Rolle spielen. Dies weist auf einen gemeinsamen evolutionären Ursprung von Herzmuskelzellen sowie den langsamen Muskeln der Seeanemonen hin“, betont Entwicklungsbiologin Alison Cole, Erstautorin der Studie. Die Entwicklung der beiden schnellen Muskeln der Seeanemonen wird hingegen von Schwestergenen reguliert, die man nur bei ihnen findet und die dort durch Genduplikation entstanden sind.
Die Studie zeigt, dass selbst einfach anmutende Tiere bereits eine höhere Komplexität als erwartet haben können und dass bei dieser Diversifizierung von Zelltypen Genduplikationen eine bedeutende Rolle spielen.
Originalpublikation:
Alison G. Cole, Stefan M. Jahnel, Sabrina Kaul, Julia Steger, Julia Hagauer, Andreas Denner, Patricio Ferrer Murguia, Elisabeth Taudes, Bob Zimmermann, Robert Reischl, Patrick R. H. Steinmetz & Ulrich Technau. Muscle cell-type diversification is driven by bHLH transcription factor expansion and extensive effector gene duplications. Nature Communications (2023).
DOI: 10.1038/s41467-023-37220-6
https://doi.org/10.1038/s41467-023-37220-6

06.04.2023, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.
Auch Hyänen sterben bei Verkehrsunfällen
Welche Faktoren beeinflussen das Risiko von tödlichen Kollisionen zwischen Fahrzeugen und Tüpfelhyänen in der Serengeti? Erkenntnisse aus einer Langzeitstudie über drei Jahrzehnte
Die Serengeti in Tansania beherbergt hohe Bestände verschiedenster Wildtierarten, darunter auch Tüpfelhyänen (Crocuta crocuta). Während im Nationalpark viele menschliche Aktivitäten verboten sind, ist Autofahren im und durch das Schutzgebiet erlaubt. Anhand eines 34 Jahre umfassenden Langzeitdatensatzes analysierte ein Team des Leibniz-Instituts für Zoo und Wildtierforschung (Leibniz-IZW), welche Faktoren maßgeblich dazu beitragen, dass Hyänen von Fahrzeugen überfahren und getötet werden. Die Resultate der Analysen deuten an, dass hauptsächlich zwei Faktoren eine Rolle spielen: zum einen, die Merkmale der Straße und zum anderen die in der Serengeti jährlich stattfindende Wanderung der großen Huftierherden und die damit verbundenen saisonalen Veränderungen in der Lokalisation der Beutetiere der Tüpfelhyänen. Diese Ergebnisse liefern neue Erkenntnisse darüber, welche ökologischen und individuellen Faktoren das Risiko von tödlichen Kollisionen von Raubtieren mit Fahrzeugen beeinflussen. Die Forschungsergebnisse wurden im Fachjournal Biological Conservation veröffentlicht.
Selbst in Schutzgebieten werden weltweit viele Wildtiere durch Fahrzeuge getötet, und diese negativen Auswirkungen von Straßen nehmen durch den Anstieg der menschlichen Bevölkerung an den Grenzen der Schutzgebiete und das wachsende Interesse an Wildtiertourismus immer weiter zu. Welche Faktoren (tödliche) Kollisionen zwischen Fahrzeugen und Wildtieren begünstigen ist bislang allerdings nur unzureichend bekannt.
Im Rahmen einer Langzeitstudie im Serengeti Nationalpark fanden die Forscher:innen zwischen 1989 bis 2023 insgesamt 104 überfahrene Tüpfelhyänen. Anhand dieser Fälle untersuchten sie die Frage, welche räumlichen und zeitlichen Faktoren besonders dazu beitragen, dass Tüpfelhyänen mit Fahrzeugen kollidieren und getötet werden, und ob Tüpfelhyänen einer Altersklasse, eines Geschlechtes oder eines Sozialstatus besondere betroffen sind. Langzeitstudien dieser Art gibt es bislang nur selten. Die Serengeti ist von einem Netz von Straßen durchzogen. Hauptstraßen sind befestigte Schotterpisten die nicht nur von Touristenfahrzeugen, Forscher:innen und Parkmitarbeiter:innen, sondern ganzjährig auch von Lastwagen, Versorgungsfahrzeugen sowie nationale Buslinien befahren werden. Daneben gibt es eine Vielzahl an unbefestigten Wildbeobachtungspfaden und Camp-Zufahrten „Tracks“.
Insgesamt erwiesen sich zwei Faktoren als entscheidend. Zum einen wurden Hyänen häufiger auf Hauptstraßen als auf „Tracks“ überfahren, wahrscheinlich weil auf Hauptstraßen mehr Verkehr herrscht und die Fahrzeuge dort schneller fahren. Zum anderen variierten Zeitpunkt und Ort des tödlichen Kollisionenrisikos mit der saisonalen Wanderung der großen Huftierherden (Gnus, Zebras und Thomson-Gazellen), welche die Hauptbeutetiere der Serengeti Tüpfelhyänen sind. Die Ergebnisse stehen im Einklang mit anderen Studien, die zeigen, dass das Risiko, von einem Fahrzeug getötet zu werden, mit der Mobilität und der zurückgelegten Strecke der Tiere steigt. Aussderdem wurden getötete Hyänen besonders in der Nähe von Wasserläufen und menschlichen Behausungen gefunden, an diese die Hyänen vermutlich durch das Vorhandensein menschlicher Nahrungsmittelabfällen herangelockt werden.
„Entgegen der Erwartungen spielte das saisonal unterschiedlich hohe Touristenaufkommen in der Region keine Rolle bezüglich der Höhe der Mortalität“, sagt Marwan Naciri, Erstautor der Publikation , der für dieses Projekt am Leibniz-IZW geforscht hat.
Eine Besonderheit des untersuchten Datensatzes ist, dass einige der überfahrenen Hyänen individuell bekannt waren und deshalb Faktoren ihrer Lebensgeschichte in die Analyse mit einbezogen werden konnten. So zeigen die Analysen, dass erwachsene Weibchen am häufigsten überfahren wurden, wahrscheinlich weil sie diejenigen sind, die regelmäßig lange Strecken zwischen ihrem Bau und den wandernden Beutetierherden zurücklegen müssen, um einerseits jagen und andererseits ihre am Bau zurückgelassenen Welpen säugen zu können.
„Auch von Verletzungen durch illegal ausgelegte Drahtschlingenfallen sind besonders erwachsene Hyänenweibchen betroffen, wie wir in einer früheren Studie feststellen konnten“, sagt Sarah Benhaiem, Leibniz-IZW-Seniorautorin beider Studien. Zusammengefasst könnten Verkehrstötungen und Tod durch Schlingenfallen eine der Haupttodesursachen für erwachsene Hyänen in der Serengeti sein. Es ist noch unklar, ob diese Sterblichkeit, die vor allem erwachsene Weibchen betrifft, den Fortbestand der Tüpfelhyänenpopulation in der Serengeti gefährdet.
Das Straßennetz in der Serengeti wird sich in den kommenden Jahrzehnten wahrscheinlich ausweiten, auch in Schutzgebieten. Die Kenntnis der Faktoren, die zu tödlichen Kollisionen zwischen Fahrzeugen und Wildtieren beitragen, wie z. B. über die Beschaffenheit von verschiedenen Straßen, werden dazu beitragen, wirksame Schutzmaßnahmen zu entwickeln, wie z. B. die Verringerung der Geschwindigkeit und der Anzahl der Fahrzeuge auf Hauptstraßen. Eine Artenschutzgerechte Planung des Straßenbaus und die Umsetzung von Kollisionsvermeidungsmaßnahmen sind für den Schutz von Wildtieren in Schutzgebieten unerlässlich.
Originalpublikation:
Naciri M, Planillo A, Gicquel M, East ML, Hofer H, Metzger S, Benhaiem S (2023): Three decades of wildlife-vehicle collisions in a protected area: Main roads and long-distance commuting trips to migratory prey increase spotted hyena roadkills in the Serengeti. Biological Conservation 279, https://doi.org/10.1016/j.biocon.2023.109950.
Benhaiem S, Kaidatzi S, Hofer H, East ML (2023): Long-term reproductive costs of snare injuries in a keystone terrestrial by-catch species. Anim Conserv 26, 61-71. https://doi.org/10.1111/acv.12798.

11.04.2023, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Die männliche Gelbe Spinnerameise: Eine Chimäre
Die Männchen der Gelben Spinnerameise tragen zwei Genome in jeweils unterschiedlichen Zellen – sie sind also Chimären
Sie gilt als eine der schlimmsten invasiven Arten der Welt: die Gelbe Spinnerameise, von Expertinnen und Experten Anoplolepis gracilipes genannt. Dies ist jedoch nicht der Grund, aus dem sich ein internationales Forscherteam mit dieser Ameisenart beschäftigt – stattdessen interessiert sich dieses für die Fortpflanzung der Insekten; insbesondere die Männchen stellten die Wissenschaft bislang vor Rätsel. „Frühere genetische Studien an Gelben Spinnerameisen haben gezeigt, dass Männchen dieser Art zwei Kopien jedes Chromosoms tragen. Dies war unerwartet, da sich Männchen typischerweise aus unbefruchteten Eiern entwickeln und nur einen mütterlichen Chromosomensatz tragen – bei Ameisen ebenso wie bei Bienen und Wespen“, erläutert Dr. Hugo Darras, Assistenzprofessor an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und Erstautor der kürzlich in Science erschienenen Studie. „Dies veranlasste uns, detaillierte Folgeexperimente durchzuführen.“
Zwei Genome in unterschiedlichen Zellen
Die Ergebnisse erstaunen: Die bisherige Annahme – dass die Männchen der Gelben Spinnerameise in allen ihren Zellen das gleiche genetische Material tragen – trifft keineswegs zu, wie das Team zeigen konnte. „Wir haben entdeckt, dass Ameisen-Männchen mütterliche und väterliche Genome in verschiedenen Zellen ihres Körpers tragen und damit Chimären sind. Anders gesagt: Die Männchen tragen zwei Genome in ihrem Körper, wobei jedoch jede Zelle ihres Organismus nur eines der beiden Genome trägt“, fasst Darras zusammen. Üblicherweise weisen die Zellen vielzelliger Organismen alle das gleiche genetische Material auf, sei es bei Mensch, Hund oder Fledermaus.
Der Grund für dieses doppelte Erbgut bei Männchen der Gelben Spinnerameise: Sie entwickeln sich aus befruchteten Eiern, in denen die väterlichen Nuklei nicht verschmelzen. Stattdessen teilen sich die mütterlichen und väterlichen Nuklei unabhängig voneinander – was dazu führt, dass erwachsene Männchen die mütterlichen und väterlichen Genome in verschiedenen Zellen ihres Körpers tragen. Verschmelzen die Genome dagegen, entwickeln sich die Eier je nach genetischer Information des Spermiums zu einer Königin oder einer Arbeiterin. Welche Mechanismen steuern, ob ein solches Verschmelzen stattfindet oder nicht, ist derzeit noch nicht bekannt.
Chimärismus: Eine für die Wissenschaft neue Art der Fortpflanzung
Chimären, also Individuen aus genetisch unterschiedlichen Zellen, kommen natürlicherweise in manchen Organismen wie Korallen oder Seeteufeln vor: Denn hier können verschiedene Individuen zu einem verschmelzen. Auch bei Menschen und anderen Plazentatieren kann Chimärismus auftreten. Während der Entwicklung tauschen Mutter und Fötus eine kleine Anzahl von Zellen aus, das Baby trägt daher einige Zellen mit dem gleichen genetischen Material wie die Mutter. Auch zwischen Zwillingen können solche winzigen genetischen Austausche stattfinden. „Bei der Gelben Spinnerameise stammt der Chimärismus jedoch nicht aus der Verschmelzung verschiedener Individuen oder aus dem Zellaustausch zwischen Individuen. Vielmehr wird er in einem einzigen befruchteten Ei etabliert. Das ist einzigartig!“, sagt Darras. Die Gelbe Spinnerameise umgeht damit das fundamentale Gesetz der genetischen Vererbung, dass alle Zellen das gleiche Genom tragen.
Originalpublikation:
H. Darras et al., Obligate chimerism in male yellow crazy ants, Science 380: 6640, 55-58, 6. April 2023,
DOI: 10.1126/science.adf0419
https://www.science.org/doi/10.1126/science.adf0419

12.04.2023, Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft
Wie Rochen gelernt haben, durchs Wasser zu gleiten
Gene sind nicht die einzigen Triebkräfte der Evolution. Die charakteristischen Flossen der Rochen entstanden, weil sich die nicht-kodierenden Teile des Genoms und seine dreidimensionale Struktur verändert hatten, berichtet ein Forschungsteam um Darío Lupiáñez vom Max Delbrück Center in „Nature“.
Der Kleine Rochen tanzt anmutig auf dem Meeresboden: Seine Brustflossen umgeben ihn wie ein weiter Mantel. Sie bewegen sich wellenartig, während er unter einer Sandschicht entlang gleitet. Mit seiner gesprenkelten sandfarbenen Tarnung ist der Fisch leicht zu übersehen.
Forscher*innen des Max Delbrück Center, des Andalusischen Zentrums für Entwicklungsbiologie (CABD) in Sevilla und andere Arbeitsgruppen haben nun herausgefunden, wie sich diese umhangähnlichen Flossen der Rochen entwickeln konnten. Der Schlüssel zur Flossen-Evolution liegt demnach nicht in den kodierenden Teilen des Genoms, sondern in den nicht-kodierenden Regionen und den dreidimensionalen Komplexen, in die sie gefaltet sind. Diese 3D-Strukturen werden TADs genannt: „topologisch assoziierte Domänen“.
Wenn Mutationen im Genom die TADs verändern, kann das die Evolution in neue Richtungen lenken, schreibt das internationale Team jetzt in „Nature“. Bis vor wenigen Jahren lag der Fokus von Evolutionsbiolog*innen auf den Veränderungen der DNA-Sequenz und nicht auf der Ebene der dreidimensionalen Struktur des Genoms. „Das ist eine neue Perspektive darauf, wie sich das Erbgut im Laufe der Evolution weiterentwickelt“, sagt Dr. Darío Lupiáñez, Genetiker am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft in Berlin und einer der Letztautoren der Studie.
„Wir wussten zwar schon seit einiger Zeit, dass einzigartige Genexpressionsmuster für die außergewöhnlich breiten Flossen der Rochen verantwortlich sind. Aber bisher war unbekannt, wie sich die Regulation des Genoms dafür verändern musste“, sagt Co-Autor Dr. Tetsuya Nakamura, Entwicklungsbiologe an der Rutgers University.
Weit entfernte Verwandtschaft
Vor mehr als 450 Millionen Jahren hat sich das Genom eines primitiven Ur-Fisches zweimal verdoppelt. Diese Vervielfältigung des genetischen Materials hat die rasante Evolution von mehr als 60.000 Wirbeltierarten ermöglicht, auch die des Menschen. Zu unseren entferntesten Verwandten unter den Wirbeltieren zählt der Kleine Igelrochen (Leucoraja erinacea). Die Tiere gehören zu den Knorpelfischen, so wie alle Rochen und Haie. Für die Wissenschaft sind sie ideale Organismen, um die Evolution von Merkmalen zu analysieren, die uns zum Menschen machen – wie gepaarte Gliedmaßen.
„Rochen gehören zu den Knorpelfischen, also den Chondrichthyens. Sie ähneln den Vorfahren der heutigen Wirbeltiere am ehesten“, sagt Dr. Christina Paliou, Entwicklungsbiologin am CABD und eine der Erstautor*innen. „Wir können die Charakteristika der Rochen mit anderen Arten vergleichen und so feststellen, was neuartig ist und was von früheren Vorfahren stammt.“
Eine spannende Zeit für die Evolutionsgenomik
Der inzwischen verstorbene CABD-Forscher Dr. José Luis Gómez-Skarmeta, eine prägende Persönlichkeit in der Evolutionsgenomik, hat im Jahr 2017 Wissenschaftler*innen aus allen Ecken der Welt um sich geschart, um die Evolution der Rochen zu analysieren: Arbeitsgruppen mit Expertise zur Evolution des Genoms wie die AG von Ferdinand Marlétaz am University College London und Daniel Rokhsar an der University of California-Berkeley; mit Expertise zur Biologie der Rochen wie die AG von Neil Shubin an der University of Chicago, wo Tetsuya Nakamura damals forschte; und mit Expertise zur 3D Genregulation wie die AGs von Juan Tena am CABD, von Darío Lupiáñez und von Gómez-Skarmeta sowie weitere Labore. Gómez-Skarmeta wollte wissen, wie strukturelle und funktionelle Änderungen im Genom das Entstehen neuer Merkmale fördern. „Wie sich die Genregulation im Verlauf der Entwicklung immer wieder ändert, hat wesentlichen Anteil an der Evolution“, sagte er 2018.
Es war eine spannende Zeit in der Evolutionsgenomik. Die Technologien zur Genomsequenzierung hatten sich erheblich verbessert; Wissenschaftler*innen konnten nun ermitteln, wie der meterlange DNA-Faden in einen Zellkern mit nur fünf Mikrometern Durchmesser verstaut ist. „Wie die DNA gepackt ist, ist alles andere als zufällig“, sagt Lupiáñez. Die DNA ist in dreidimensionale Strukturen gefaltet: die TADs. Sie beinhalten sowohl Gene als auch Sequenzen, die sie regulieren. Dank der 3D-Struktur werden die richtigen Gene zur richtigen Zeit in den richtigen Zellen an- und abgeschaltet.
Welche TADs unterscheiden sich bei Rochen und Haien?
Dr. Rafael Acemel, Genetiker am Max Delbrück Center und einer der Erstautor*innen, nutzte für seine Experimente die Hi-C-Technologie, um die 3D-Strukturen der TADs zu analysieren. Doch die Interpretation der Ergebnisse war eine Herausforderung – die Wissenschaftler*innen brauchten zunächst ein komplettes Rochen-Genom als Referenz. „Zu dem Zeitpunkt konnten wir nur auf Tausende kleine und ungeordnete Stückchen von DNA-Sequenzen zurückgreifen. Das hat nicht geholfen“, sagt Acemel.
Um die DNA-Teile wie ein Puzzle zusammensetzen zu können und die ungeordneten Sequenzen den Rochen-Chromosomen zuzuordnen, haben die Wissenschaftler*innen die HI-C-Daten mit Long-Read-Sequencing kombiniert. Mit der neuen Referenz war es schließlich ein Kinderspiel, die 3D-Struktur der TADs anhand der HI-C-Daten zu rekonstruieren.
Das Team verglich das genauere Rochen-Genom mit den Genomen der engsten Verwandten wie Haien. So konnten die Forscher*innen TADs identifizieren, die sich im Laufe der Evolution verändert hatten. In diesen veränderten TADs befinden sich Gene des Wnt/PCP-Signalweges, der für die Entwicklung der Flossen wichtig ist. Auch eine Variation in den nicht-kodierenden Sequenzen nahe der Hox-Gene gab es ausschließlich bei den Rochen. Sie reguliert ebenfalls die Entwicklung der Flossen. „Diese spezifische Sequenz kann mehrere Hox-Gene im vorderen Teil der Flossen aktivieren. Und das passiert nicht bei anderen Fischen oder bei vierbeinigen Tieren“, sagt Paliou. Funktionale Experimente bestätigten schließlich, dass die molekularen Veränderungen den Rochen zu ihren einzigartigenTADs treiben die Evolution voran Flossen verholfen haben.
Frühere Studien hatten bereits belegt, dass TADs das An- und Abschalten von Genen beeinflussen und so Krankheiten beim Menschen verursachen können. In der aktuellen Studie zeigen die Forscher*innen die Rolle der TADs in der Evolution – ähnlich wie sie es zuvor bei Maulwürfen getan hatten.
Nachdem der primitive Fisch-Vorfahr sein Genom verdoppelt hatte, gingen viele ungenutzte und überflüssige Teile verloren. „Da verschwanden nicht nur Gene, sondern auch die regulatorischen Elemente und die TADs, in denen beide enthalten waren“, sagt Lupiáñez. „Ich halte das für ein wirklich spannendes Ergebnis. Denn es legt nahe, dass die 3D-Struktur des Genoms die Evolution beeinflusst.“
TADs sind zentral für die Genregulation, und etwa 40 Prozent sind in allen Wirbeltieren konserviert – sie blieben also gleich, sagt Acemel. „Aber 60 Prozent der TADs haben sich im Laufe der Evolution auf die eine oder andere Art und Weise verändert. Was hat das für Folgen für die Entstehung der Arten? Ich glaube, wir kratzen derzeit erst an der Oberfläche dieses spannenden Phänomens“, sagt Acemel.
Mechanismen der Evolution, die an die TADs gebunden sind, könnten in der Natur weitverbreitet sein. „Wir vermuten, dass diese Mechanismen noch viele andere interessante Erscheinungsformen des Lebens (Phänotypen), die wir aus der Natur kennen, erklären können“, sagt Lupiáñez. „Wenn wir diese neuen Ebenen der Genexpression, der Genregulation und der 3D-Struktur des Chromatins berücksichtigen, könnte sich für das Feld der Evolutionsgenomik eine neue Ära der Entdeckungen eröffnen.“
Originalpublikation:
Ferdinand Marlétaz, Elisa de la Calle-Mustienes, Rafael D. Acemel, Christina Paliou et al. (2023): „The little skate genome and the evolutionary emergence of wing-like fin appendages“. Nature, DOI: 10.1038/s41586-023-05868-1

12.04.2023, Veterinärmedizinische Universität Wien
Drohnen und Vogelschutz – ein zweischneidiges Schwert
Eine aktuelle internationale Studie unter Leitung des Konrad-Lorenz-Instituts für Vergleichende Verhaltensforschung der Vetmeduni untersuchte die Auswirkungen von Drohnenflügen zu Forschungszwecken bei Geiern. Die Forscher:innen kommen zum Schluss, dass unbemannte Flugsysteme deutliche Vorteile gegenüber anderen Untersuchungsmethoden bieten. Andererseits bestehen Risiken durch potenzielle Störeffekte am Brutplatz der Greifvögel. Die Wissenschafter:innen empfehlen deshalb den Einsatz von Drohnen mit Augenmaß.
Geier zählen weltweit zu den am stärksten bedrohten Vogelarten und spielen am Ende der Nahrungskette eine einzigartige Rolle innerhalb von Ökosystemen. Für die Wissenschaft sind sie deshalb von großem Interesse. Besonders der Einsatz von Drohnen entwickelt sich in ihrer Erforschung rasant. Gründe sind der technologische Fortschritt, die Erschwinglichkeit und die einfache Zugänglichkeit. Allerdings gibt es eine Reihe von Faktoren, die beim Einsatz der unbemannten Flugsysteme zu beachten sind, um insbesondere die sensible Phase der Fortpflanzung der Vögel nicht zu stören.
Gefährliche Wissenslücke dringend schließen
„Die verringerte Störung von Wildtieren ist das Hauptargument für den Einsatz moderner Beobachtungs- und Fototechniken mit Drohnen. Die große Unbekannte sind aber die Reaktionen der Tiere und das Potenzial für langfristige negative Folgen. Um diese gefährliche Lücke zu schließen, empfehlen wir dringend, den Einsatz von Drohnen bei Tieren in Gefangenschaft und in freier Wildbahn zu dokumentieren. Außerdem brauchen wir einheitliche Richtlinien zum Drohneneinsatz, um Störungen und Vogelreaktionen wissenschaftlich eindeutig zu interpretieren“, fasst Studien-Erstautor Richard Zink vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung der Vetmeduni die wesentlichsten Ergebnisse zusammen.
Sicher ist sicher: Dosierter Einsatz von Drohnen ratsam
Richard Zink plädiert außerdem für einen dosierten Einsatz von Drohnen: „Aufgrund fehlender Daten zu langfristigen Störeffekten treten wir für das Vorsorgeprinzip ein. Durch Beachtung einer Reihe von artspezifischen Empfehlungen lassen sich die potenziellen negativen Auswirkungen von Drohnen begrenzen und ihr Wert für das Naturschutzmanagement maximieren. Insbesondere sollten die physiologischen und langfristigen Auswirkungen auf die Gesundheit und den Fortpflanzungserfolg von Geiern Berücksichtigung finden.“
Konkrete Empfehlungen an die internationale Scientific Community
Vor allem die hohe Empfindlichkeit und das territoriale Verhalten der meisten Geierarten stellen laut den Wissenschafter:innen erhebliche Herausforderungen an den Einsatz von Drohnen. Generell raten die Expert:innen vom regelmäßigen Einsatz von Drohnen für Nestkontrollen während der empfindlichsten Brutphasen sowie bei schlechtem Wetter ab oder wenn potenzielle Fressfeinde der Küken in der Nähe sind. „Wir fordern kein Verbot des Einsatzes von unbemannten Luftfahrzeugen für die Geierforscher, treten aber ausdrücklich für eine sorgfältige Prüfung der Umstände und eine sorgfältige Dokumentation der Auswirkungen ein“, betont Richard Zink, der für die Studie gemeinsam mit seinen Co-Autor:innen die aktuelle wissenschaftliche Forschung zu den Reaktionen europäischer Geier und anderer vergleichbarer Arten auf Drohnen analysierte.
Originalpublikation:
Der Artikel „Assessing the potential disturbance effects on the use of Unmanned Aircraft Systems (UASs) for European vultures research: a review and conservation recommendations“ von Richard Zink, Elena Kmetova-Biro, Stefan Agnezy, Ivaylo Klisurov und Antoni Margalida wurde in „Bird Conservation International“ veröffentlicht.
https://www.cambridge.org/core/journals/bird-conservation-international/article/…

13.04.2023, Staatliches Museum für Naturkunde Stuttgart
Einzigartige Entdeckung: Der ‚große kleine Fisch‘. Forschende finden eine neue Fischart in der Tiefsee vor Irland
Er ist nur fünf Zentimeter lang, aber größer als alle seine Verwandten: Microichthys grandis, wörtlich „großer kleiner Fisch“.
Forschende des Naturkundemuseums Stuttgart in Deutschland und des Wageningen Marine Research in den Niederlanden entdeckten im vergangenen Jahr während einer Untersuchung vor der irischen Küste diese neue Fischart. Dieser Fund im Nordostatlantik ist für die Wissenschaftler*innen sehr besonders und wurde nun in der Fachzeitschrift „Ichthyological Research“ veröffentlicht.
Ein sehr seltenes Ereignis:
Der Forscher Bram Couperus von WMR ist überrascht von der spontanen Entdeckung: „Eine neue Fischart im Nordostatlantik zu entdecken, ist ein sehr seltenes Ereignis. In der Geschichte unseres Instituts, das in den 1950er Jahren gegründet wurde, hat es das noch nicht gegeben. Dieser Fisch wurde in einem Gebiet gefangen, in dem viel gefischt wird, vor allem von niederländischen Fischern. Man würde daher erwarten, dass die Art schon einmal gefangen wurde. Wenn das der Fall ist, ist sie zumindest bis zum letzten Jahr unbemerkt geblieben.“
Suche nach unbekanntem Fisch:
Die neue Fischart wurde im vergangenen Jahr im Rahmen der Erhebung über den Blauen Wittling entdeckt. Diese Untersuchung wird jährlich durchgeführt, um die Bestände des Blauen Wittlings, einer Dorschart, zu bewerten und Fangempfehlungen auf europäischer Ebene festzulegen. Couperus: „Der Blaue Wittling lebt in der so genannten mesopelagischen oder Zwielichtzone. In dieser Tiefe findet man auffällige Arten, wie Laternenfische und Tiefsee-Anglerfische. Unter diesen befand sich plötzlich ein unbekannter Fisch.“
Ein Stuttgarter Wissenschaftler untersuchte den Fisch:
Für die Wageninger Forschenden führte die Suche nach der Identität des Fisches über den Kontakt mit einem russischen Biologen hin zum Naturkundemuseum Stuttgart in Deutschland. Dort arbeitet der Fischexperte Ronald Fricke, der bereits Erfahrung mit dieser Fischgruppe hatte, den Tiefseekardinalfischen (Epigonidae). Fricke: „Tiefseekardinalfische der Gattung Microichthys sind von drei weiteren Arten bekannt, die im Mittelmeer und im Ostatlantik leben. Sie leben freischwimmend in tiefen Gewässern und nur wenige Exemplare sind der Wissenschaft bekannt. Die Entdeckung der neuen Art vor Irland ist für uns sehr aufregend, denn sie scheint näher mit einer Mittelmeerart aus Sizilien verwandt zu sein, als mit den anderen atlantischen Arten von den Azoren.“
Fricke stellt außerdem eine Theorie zur Zoogeographie der Art auf: „Derzeit gibt es zwei Artenpaare, eines im Atlantik, das andere im Mittelmeer. Während der Salinitätskrise im Mittelmeer vor etwa 6 Millionen Jahren war das Mittelmeer trocken und konnte nicht von Fischen besiedelt werden, so dass ein Artenpaar im Atlantik überlebte. Als sich die Straße von Gibraltar wieder öffnete, wanderten sie in das Mittelmeer ein, aber aufgrund des viel wärmeren Tiefseewassers im Mittelmeer passten sie sich an diese Bedingungen an und entwickelten sich zu zwei eigenen Arten.“
Neuer Fisch, neuer Name:
Ein Grund dafür, dass der Fisch bisher nicht bemerkt wurde, ist, dass er nur 5,5 cm groß ist. Somit kann er leicht durch die Maschen eines Netzes schlüpfen oder beim Fangen übersehen werden. Die bisher bekannten Arten dieser Fischgruppe sind sogar noch kleiner als das gefangene Exemplar. Der lateinische Name dieser Gattung lautet daher Microichthys, was so viel wie ‚kleiner Fisch‘ bedeutet. Die neue Art erhält den Zusatz ‚grandis‘. Damit lautet ihr vollständiger Name Microichthys grandis, wörtlich ‚großer kleiner Fisch‘.
Lebensraum:
Der ‚große kleine Fisch‘ wurde im Porcupine Bank Canyon gefangen, einer Unterwasserschlucht mit Kaltwasserkorallen entlang des westlichen Rands der Porcupine Bank. Die von den Forschenden angewandte Fangtechnik umfasste keine Bodenschleppnetze. Dies liegt daran, dass der Blaue Wittling eine so genannte „pelagische Art“ ist. Diese schwimmt in Schwärmen im offenen Wasser und nicht in der Nähe des Meeresbodens. Fischerboote, die in diesem Gebiet fischen, verwenden ebenfalls ein pelagisches Netz.
Die Forschenden vermuten, dass die neu entdeckte Art von Natur aus sehr selten ist. Außerdem ist sie so klein, dass sie normalerweise durch die Maschen des Netzes hindurchgleitet, was die Fangchancen sehr gering macht.
Originalpublikation:
Fricke, R., Couperus, B. Microichthys grandis, a new species of deepwater cardinalfish from off Ireland, northeastern Atlantic Ocean (Teleostei: Epigonidae). Ichthyol Res (2023).
DOI: https://doi.org/10.1007/s10228-023-00909-1
Veröffentlicht: 13.04.2023

14.04.2023, Universität Hohenheim
Ganzjährig & bundesweit: Klimawandel begünstigt Ausbreitung von Zecken & FSME
Ganz Deutschland ist inzwischen ein FSME Endemiegebiet, so Forscher:innen auf einer Pressekonferenz der Uni Hohenheim. Die Krankheit wird immer noch unterschätzt.
Die Zecke bleibe ganzjährig aktiv und habe inzwischen selbst höher gelegene Bergregionen erobert: Der Klimawandel begünstigt die Ausbreitung von Zecken und damit auch das Auftreten der FSME, warnte Prof. Dr. Ute Mackenstedt von der Universität Hohenheim in Stuttgart auf der heutigen Pressekonferenz. Neuere Erkenntnisse zeigten außerdem, dass FSME-Infektionen auch sehr untypische Symptome hervorrufen können, sodass gerade bei Kindern die Gefahr der Fehldiagnose bestehe, bestätigt Prof. Dr. Gerhard Dobler, Mikrobiologe und Leiter des Nationalen Konsiliarlabors für Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) am Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr.
Ein paar Tage Frost im Winter reichten nicht: „Damit die Zecke im Winter nicht überlebt, braucht es richtig knackig tiefe Temperaturen, die auch einmal wochenlang andauern. Da tiefe Temperaturen von -15 Grad durch den Klimawandel selbst in den Alpen immer seltener werden, sind die Zecken auch in den Wintermonaten aktiv“, erklärt Prof. Dr. Mackenstedt, Leiterin des Fachgebietes Parasitologie der Universität Hohenheim.
Die Folge: „Zecken werden früher im Jahr aktiv oder sind sogar ganzjährig aktiv. Und selbst in den Bergregionen bis 1.200 m werden heute stabile Zeckenpopulationen gefunden“.
Mit den Zecken breiteten sich auch Krankheiten aus, deren Erreger von den Zecken übertragen würden. Allen voran die Frühsommer-Meningoenzephalitis, kurz FSME. „Die Anzahl der FSME Fälle hat in den letzten Jahren zugenommen“, erklärt Dr. Rainer Oehme vom Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg.
Er weist darauf hin, dass vom Robert-Koch-Institut (RKI) in diesem Frühjahr weitere zusätzliche Land- und Stadtkreise zu Risikogebieten in Deutschland erklärt worden seien, die z.B. in Sachsen liegen. Doch bleibe die Situation bestehen, dass mehr als 80% der FSME-Fälle in Baden-Württemberg und Bayern liegen. Hotspots sind z.B. der Landkreis Ravensburg.
Hochdynamische Situation vor allem in Süddeutschland
Vor allem in Süddeutschland sei die Situation sehr dynamisch, ergänzt Prof. Dr. Mackenstedt. Die Untersuchungen und die genetische Charakterisierung der FSME Viren habe gezeigt, dass sich gerade hier viele verschiedene FSME Stämme etabliert hätten, die für die Krankheitsfälle verantwortlich seien. Diese genetische Vielfalt sähe man in anderen Regionen Deutschlands nicht.
Die langjährigen Untersuchungen zeigten aber auch: Die FSME-Situation sei ein hochkomplexes vielfältiges Geschehen und Vorhersagen seien schwierig. Manche Regionen erwiesen sich über Jahre oder Jahrzehnte als FSME-Hotspot. Bei anderen schnellten die Fallzahlen innerhalb eines Jahres rapide nach oben und nähmen im nächsten Jahr wieder ab, so die Experten.
Ganz Deutschland muss inzwischen als Endemie-Gebiet gelten
Eines stehe aber bei genauer Ansicht der Fallzahlen fest: „Wir können für keine Region in Deutschland Entwarnung geben. Was die FSME betrifft, ist Deutschland inzwischen ein bundesweites Endemie-Gebiet“, betont Prof. Dr. Mackenstedt.
Aus diesem Grund seien Darstellungen irreführend, die weiße Flecken auf der FSME-Karte auswiesen: „In den Gebieten sind die Fallzahlen sehr gering, was aber nicht heißt, dass dort keine FSME Fälle gemeldet werden. Es heißt nur, dass die Anzahl nicht den Schwellenwert übersteigt, bei dem dieser Landkreis zu einem Risikogebieten erklärt wird. Auch das RKI bestätigt, dass FSME Fälle in fast allen Bundesländern auftreten.“
Erkrankungen können aufgrund atypischer Symptome zu spät erkannt werden
Als Krankheit sollte die FSME nicht unterschätzt werden, warnte der Mikrobiologe Prof. Dr. Gerhard Dobler, Leiter des nationalen Konsiliarlabors für FSME am Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr.
Die bekanntesten Symptome seien zwar Gehirn- und Hirnhautentzündung, aber auch Symptome einer Sommergrippe wie Fieber, Kopfschmerzen oder Erbrechen und selbst Darmsymptome könnten unter Umständen auf eine FSME-Infektion hindeuten.
„Inzwischen wissen wir ebenfalls, dass die FSME auch bei Kindern einen schweren Verlauf nehmen kann. Hier wird häufig von einem uncharakteristischen Krankheitsbeginn berichtet, der immer wieder zu verspätetet Diagnosen oder selbst zu Fehldiagnosen führen kann“, so der Mikrobiologe.
98% der Erkrankten hatten keinen oder unvollständigen Impfschutz
Vor diesem Hintergrund bestehe die Gefahr, dass die FSME zu spät oder gar nicht erkannt werde. Die beste Strategie sei deshalb, der Krankheit vorzubeugen: „Bei 98% der FSME-Patienten oder -Patientinnen im vergangenen Jahr waren die Erkrankten gar nicht geimpft, oder hatten wegen fehlender Auffrischung-Impfungen einen unzureichenden Impfschutz.“
Gleichzeitig zeigten uns Länder wie Österreich, wie weitgehend flächendeckende Impfungen die Krankheitszahlen erfolgreich nach unten drückten. Allerdings zeige sich auch in Österreich ein ansteigender Trend bei den Erkrankungen in der ungeimpften Bevölkerung, sagt Prof. Dr. Dobler.
Was wissenswert sei: Die Impfung werde von den Krankenkassen bezahlt und sei gleich für die ganze Familie empfehlenswert.

14.04.2023, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau
Borkenkäfer können ihre Nahrungspilze an Duftstoffen erkennen
• Experimente an der Universität Freiburg liefern erstmals Belege für die Fähigkeit der Käfer, Nahrungs- und Schadpilze zu unterscheiden
• Ergebnisse der Studien tragen dazu bei, besser zu verstehen, wie Borkenkäfer in Symbiose mit Nahrungspilzen leben und diese pflegen
• Duftstoffe der Pilze könnten auch Grundlage sein, einen Lockstoff zur Schädlingsbekämpfung etwa im Obstbau zu entwickeln
Bestimmte Borkenkäfer-Arten betreiben aktive Landwirtschaft. Als soziale Gemeinschaften züchten und pflegen sie im Holz von Bäumen Nahrungspilze und sorgen dafür, dass sich so genannte Unkrautpilze weniger stark ausbreiten. Forschende um Prof. Dr. Peter Biedermann, Professor für Forstentomologie und Waldschutz der Universität Freiburg, haben nun erstmals nachgewiesen, dass Borkenkäfer verschiedene Pilzarten anhand ihrer Duftstoffe unterschieden können. „Die Ergebnisse können dazu beitragen besser zu verstehen, warum Käfer gezielt Bäume mit Artgenossen besiedeln und wie ihre Pilzzucht genau funktioniert“, sagt Biedermann. „Außerdem könnten sich aus den Duftstoffen der Pilze Lockstoffe entwickeln lassen, um nicht heimische Käfer zu kontrollieren.“
Käfer orientieren sich an Pilz-Duftstoffen
Ein Forschungsteam um Biedermann und den Umweltwissenschaftler Dr. Antonio Gugliuzzo von der Universität Catania/Italien konnte zum ersten Mal zeigen, dass der Schwarze Nutzholzborkenkäfer (Xylosandrus germanus) Duftstoffe seiner Nahrungspilze wahrnimmt und diese als so genannte Aggregationspheromone wirken. Das bedeutet, der Käfer verwendet den Geruch des Nahrungspilzes dafür, Bäume zu finden, die bereits von Artgenossen besiedelt sind. Bei dem Käfer handelt es sich um eine invasive Art, die inzwischen in Deutschland weit verbreitet und vor allem in Obstbäumen zu finden ist. Die Ergebnisse sind soeben in der Fachzeitschrift Frontiers in Microbiology erschienen.
„Bisher konnte man noch nicht wirklich erklären, wann diese Käfer in Gruppen Bäume befallen“, sagt Biedermann – denn man hatte bisher keinen entsprechenden eigenen Duftstoff der Insekten gefunden. Im Experiment zeigte sich nun, dass die Käfer auf die Duftstoffe der spezifischen Nahrungspilze reagieren, die ihre Artgenossen bereits in den Ästen eines Baumes angebaut haben. „So können die Käfer zum Beispiel geschwächte Bäume in größerer Anzahl besiedeln, leichter die Baumabwehr überwinden und den Baum so zum Absterben bringen“, sagt Biedermann. In weiteren chemischen Analysen lasse sich nun eventuell eine Komponente des Pilzduftes ermitteln, die dann als Lockstoff für Fallen im Obstbau verwendet werden könne.
Schon Larven können Pilze unterscheiden
In einer weiteren Studie konnten die Umweltwissenschaftlerin Denicia Kassie und die Biologin Janina Diehl erstmals experimentell nachweisen, dass eine andere Borkenkäfer-Art, der Kleine Holzbohrer (Xyleborinus saxesenii), seine Nahrungspilze und so genannte Unkraut- oder Schadpilze anhand ihrer Duftstoffe erkennen und unterscheiden kann. Diehl ist Doktorandin bei Biedermann an der Universität Freiburg. „Je nach Zustand der Pilze suchten die Käfer in den Experimenten die Pilzkulturen entweder gezielt auf oder sie mieden sie“, sagt Biedermann. Die Fähigkeit, eine potenzielle Bedrohung für Nahrungspilze oder die eigene Gesundheit zu erkennen, biete den Käfern die Möglichkeit zu reagieren – und die Schadpilze entweder zu meiden oder gezielt zu bekämpfen. Die Ergebnisse der Studie sind in der Fachzeitschrift Symbiosis erschienen.
Die Fähigkeit, verschiedene Nahrungs- und Schadpilze zu unterscheiden, konnten die Wissenschaftler*innen sowohl bei Larven als auch bei erwachsenen Individuen des Kleinen Holzbohrers nachweisen – die im sozialen Verbund je eigene Aufgaben bei der Zucht und Pflege der Nahrungspilz-Kulturen übernehmen. „Diese Erkenntnisse sind ein weiterer Baustein, um besser zu verstehen, wie die Steuerung der Pilzzucht durch Borkenkäfer funktionell abläuft“, sagt Biedermann. „Daraus könnten sich auch Ideen für unsere Landwirtschaft ergeben, um nachhaltig und umweltgerecht Schadorganismen zu bekämpfen.“
Originalpublikationen: Gugliuzzo, A., Kreuzwieser, J., Ranger, Ch. M., Tropea Garzia, G., Biondi, A., Biedermann, P. H. W.: Volatiles of fungal cultivars act as cues for host-selection in the fungus-farming ambrosia beetle Xylosandrus germanus. In: Front. Microbiol. 14:1151078 (2023). DOI: https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fmicb.2023.1151078/full
Diehl, J.M.C., Kassie, D., Biedermann, P.H.W.: Friend or foe: Ambrosia beetle response to volatiles of common threats in their fungus gardens. Symbiosis (2023). https://link.springer.com/article/10.1007/s13199-023-00914-y

14.04.2023, Technische Universität Dresden
Zombie-Zellen mit Vorteilen: Alternde Zellen unterstützen die Regeneration in Salamandern
Forschende zeigen, dass so gennante seneszente Zellen, also Zellen, die sich nicht mehr teilen, die Produktion neuer Muskelzellen anregen, um die Regeneration verlorener Gliedmaßen bei Salamandern zu verbessern.
Seneszente Zellen, oft auch als Zombie-Zellen bezeichnet, werden seit langem mit Alterung und Krankheit in Verbindung gebracht. Eine neue Studie des Zentrums für Regenerative Therapien Dresden (CRTD) an der TU Dresden ergänzt jedoch die wachsende Zahl von Belegen dafür, dass nicht alle alternden Zellen schädlich sind. Die Studie unter der Leitung von Dr. Maximina Yun zeigt, dass diese Zellen eine positive Rolle bei der Regeneration spielen können. Ihr Team fand heraus, dass seneszente Zellen die Muskelbildung in regenerierenden Gliedmaßen von Salamandern fördern. Die Ergebnisse zeigen eine neue Funktion von seneszenten Zellen und erweitern das Verständnis der frühen Ereignisse im Regenerationsprozess. Die Forschungsergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Aging Cell veröffentlicht.
Seneszente Zellen sind Zellen, die sich aufgrund von Zellstress nicht mehr teilen, aber nicht abgestorben sind. Wenn Organismen altern, nimmt die Anzahl seneszenter Zellen im Körper zu. Diese Anhäufung wird derzeit als eines der Merkmale des Alterns angesehen und mit einer Vielzahl von Krankheiten, einschließlich Krebs, in Verbindung gebracht. Die wahre Natur dieser Zellen könnte jedoch komplexer und kontextabhängig sein.
Immer mehr Hinweise deuten darauf hin, dass alternde Zellen auch positive Effekte haben können, etwa bei der Wundheilung oder bei der Verhinderung von Narbenbildung im Gewebe. „Vor einigen Jahren entdeckte unsere Gruppe, dass seneszente Zellen in wichtigen Stadien der Regeneration von Salamander-Gliedmaßen vorkommen. Interessanterweise fanden andere Gruppen diese Zellen später auch in anderen Regenerationszusammenhängen, sogar bei Säugetieren. Wir wollten daher herausfinden, ob diese Zellen in irgendeiner Weise zur Regeneration selbst beitragen“, erklärt Dr. Maximina Yun, Leiterin der Forschungsgruppe am Zentrum für Regenerative Therapien Dresden (CRTD) und am Exzellenzcluster Physik des Lebens (PoL) der TU Dresden und des Max-Planck-Instituts für molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG).
Seneszente Zellen fördern die Regeneration
Die Forschenden um Yun untersuchen Salamander. Diese Tiere verfügen über einzigartige Regenerationsfähigkeiten und können viele Organe ihres Körpers nachwachsen lassen, darunter auch verlorene Gliedmaßen. „Die Regeneration von Salamander-Gliedmaßen ist ein faszinierender Prozess. Innerhalb weniger Wochen wächst eine voll funktionsfähige Gliedmaße nach“, erklärt Dr. Yun.
Um herauszufinden, ob das Vorhandensein seneszenter Zellen den Regenerationsprozess der Gliedmaßen beeinflusst, haben die Forscherinnen und Forscher um Yun einen Weg gefunden, die Anzahl seneszenter Zellen in der Wunde zu modulieren. Das Team beobachtete, dass das Vorhandensein seneszenter Zellen den Regenerationsprozess verbesserte.
„Wenn mehr seneszente Zellen in der Wunde vorhanden waren, entwickelten die Tiere eine größere Regenerationsknospe oder, wie wir es nennen, ein Blastem. Dabei handelt es sich um eine Ansammlung von Zellen, die alle Gewebe bilden, die in der neuen Gliedmaße benötigt werden. Je größer das Blastem ist, desto mehr Zellen stehen für das Nachwachsen der Gliedmaße zur Verfügung und desto schneller verläuft der Regenerationsprozess. Das Vorhandensein von seneszenten Zellen scheint den Regenerationsprozess zu beschleunigen“, sagt Dr. Yun.
Zombie-Signal fördert neue Muskelzellen
Bei der genaueren Untersuchung des Blastems mit und ohne den Einfluss seneszenter Zellen entdeckte das Team um Yun einen neuen Mechanismus, der den Regenerationsprozess fördert, und stellte fest, dass die Anwesenheit seneszenter Zellen die Zahl der sich regenerierenden Muskelzellen erhöht. Sie zeigten, dass seneszente Zellen Faktoren absondern, die das benachbarte Muskelgewebe dazu anregen, einen Entwicklungsschritt zurück zu machen und neue Muskeln zu bilden.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass seneszente Zellen die Zell-Zell-Kommunikation nutzen, um den Regenerationsprozess zu beeinflussen. Sie scheiden Moleküle aus, die den reifen Muskelfasern signalisieren, sich in Muskelvorläuferzellen zu entdifferenzieren. Diese Zellen können sich sowohl selbst vermehren als auch in neue Muskelzellen differenzieren und so den Regenerationsprozess fördern. Diese Signalübertragung scheint ein wichtiger Bestandteil der Förderung der Regeneration zu sein“, sagt Dr. Yun.
Vorerst konzentriert sich die Gruppe auf Muskeln, eines der wichtigsten regenerierenden Gewebe in Gliedmaßen. Das Team untersucht jedoch bereits, ob die Signalübertragung seneszenter Zellen auch zur Regeneration anderer Gewebe beiträgt.
Vom Salamander lernen
Yuns Gruppe arbeitet mit Salamandern, um Regenerations- und Alterungsprozesse zu untersuchen. „Salamander sind eine der wenigen Tierarten, die sich dem natürlichen Alterungsprozess zu entziehen scheinen. Sie zeigen keine typischen Alterserscheinungen und erkranken nicht an altersbedingten Krankheiten wie Krebs. Außerdem haben sie außergewöhnliche Selbstheilungskräfte“, sagt Dr. Yun. Diese Tiere können fast jedes Organ in ihrem Körper regenerieren.
Das Studium der Salamander hilft Dr. Yun und ihren Kollegen am CRTD, die Prinzipien des Regenerationsprozesses zu verstehen und könnte langfristig dazu beitragen, das Rätsel zu lösen, warum die Regenerationsfähigkeit des Menschen so begrenzt ist.
Originalpublikation:
Hannah E. Walters, Konstantin E. Troyanovskiy, Alwin M. Graf and Maximina H. Yun: Senescent cells enhance newt limb regeneration by promoting muscle dedifferentiation. Aging Cell (April 2023)
Link: http://doi.org/10.1111/acel.13826

14.04.2023, Deutsche Wildtier Stiftung
Die Ölkäfer sind da: faszinierend, aber giftig
Wer in diesen Tagen im Garten arbeitet oder in der Sonne im Gras liegt, dem krabbeln sie vielleicht über den Weg: schwarz-glänzende Käfer mit einem kleinen quer-ovalen Kopf und langem Hinterleib – die Violetten oder Schwarzblauen Ölkäfer (Meloe violaceus oder Meloe proscarabaeus), auch Maiwürmer genannt. Aber Vorsicht: Für Gärtner, Faulenzer und vor allem Kinder gilt: nur gucken, nicht anfassen! Denn die etwa 10 bis 30 Millimeter großen Krabbeltiere bilden an den Beinen den giftigen Stoff Cantharidin. Er schützt sie vor Fressfeinden wie Ameisen oder Laufkäfern. Kommen Menschen mit dem Gift in Berührung, reizt es die Haut und es bilden sich Rötungen und Blasen. Das Verschlucken von Cantharidin kann schlimmstenfalls zum Tod führen.
So gefährlich die Ölkäfer aufgrund ihres Abwehrstoffes für ihre Feinde sind, so spannend sind sie für Naturfreunde. Die Käfer haben eine ausgeklügelte Strategie, sich fortzupflanzen – sie sind Schmarotzer in Wildbienennestern. „Ohne Wildbiene als Wirt kann der Ölkäfer sich nicht entwickeln. Sein Anblick ist also ein schöner Beleg dafür, dass Ihr Garten wildbienenfreundlich ist“, sagt Sophie Lokatis, Mitarbeiterin im Projekt „Berlin blüht auf – mehr Bienen für Berlin“ der Deutschen Wildtier Stiftung.
Im Mai haben die Käfer Hochsaison. Dann sind die Käferweibchen schwanger. Tausende Eier tragen sie am Hinterleib mit sich herum, der nun geschwollen ist und unter den kurzen Deckflügeln deutlich hervortritt. Mehrmals legt das Weibchen in nur wenigen Wochen ihre Eier in bis zu fünf Zentimetern Tiefe im Erdboden ab. Sind die gelb-rötlich gefärbten Larven im Boden geschlüpft, krabbeln sie an die Oberfläche und klettern auf Blüten oder finden sich in Klumpen an Halmen zusammen, wo sie Scheinblüten bilden. Landet ein Insekt auf einer dieser vermeintlichen Blüten, umklammern die Larven es fest. Aber nur, wenn sie den Pelz einer Wildbiene, ihrem Wirtstier, erwischen, können sie sich weiterentwickeln. Von den Wildbienen werden die Larven zu den Nestern geflogen. Hier gelangen sie in die Brutkammern und fressen die Wildbieneneier samt Pollenproviant auf. Anschließend verlassen die Larven das Wildbienennest und wandern ab in den Boden, wo sie sich verpuppen und überwintern. Klammern sie sich im Anfangsstadium aber etwa an einer Honigbiene fest und gelangen so in einen Bienenstock, überleben sie nicht.
Weil der Lebenszyklus der Ölkäfer so störanfällig ist und weil ihnen, wie auch den Wildbienen, immer weniger geeignete Lebensräume in unserer Kulturlandschaft zur Verfügung stehen, wird der Schwarzblaue Ölkäfer als gefährdet auf der Roten Liste geführt. Auch der Violette Ölkäfer steht durch das Bundesnaturschutzgesetz unter besonderem Schutz.

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