Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

15.03.2023, Universität Hamburg
Trotz des Einsatzes von KI: Welche Arten aussterben, ist nicht vorhersagbar
Viele Arten sind in aktuell von der Gefahr des Aussterbens bedroht. Ein Forschungsteam unter der Leitung des Paläontologen Dr. William Foster von der Universität Hamburg hat nun mithilfe von Fossilien und Künstlicher Intelligenz geprüft, ob diese Gefahr für einzelne Tierarten vorhersagbar ist. Anders als erwartet zeigte sich jedoch, dass vergangene Massenaussterbeereignisse nicht zur Vorhersage der aktuellen Gefährdung verwendet werden können.
Das Ausmaß der Umweltveränderungen, die derzeit auf der Erde stattfinden, ist in der Geschichte der Menschheit beispiellos. Dadurch nimmt das Aussterberisiko für Tiere und Pflanzen zu. Ein Team aus der Datenwissenschaft und der Evolutionsbiologie hat nun untersucht, ob Vorhersagen für die Aussterbeanfälligkeit möglich sind. Die Ergebnisse wurden nun in der Zeitschrift Royal Society Open Science veröffentlicht.
Für den Vergleich von Umweltänderungen analysierten sie Versteinerungen von Meeresbewohnern. Wegen der Menge an Informationen, die sich aus den Fossilien ableiten lassen, und wegen der Komplexität des Themas setzten sie Künstliche Intelligenz für die Auswertung ein. Die Forschenden erstellten ein Modell für maschinelles Lernen, um die Anfälligkeit von Meereslebewesen während der drei größten Massenaussterben zu untersuchen: dem Massenaussterben am Ende der Kreidezeit (das die Dinosaurier vor 66 Millionen Jahren auslöschte), am Ende der Trias (vor 200 Millionen Jahren) und am Ende des Perm (vor 252 Millionen Jahren).
Das Ergebnis: Es ließen sich zwar Muster für die Anfälligkeit einzelner Arten aufdecken, doch wies jedes Massenaussterben eine einzigartige Anfälligkeitssignatur auf. Deswegen ließen sich die Daten aus der Vergangenheit nicht zur Vorhersage des Aussterbens bei künftigen Ereignissen verwenden.
Mehrere Faktoren tragen zu diesem Mangel an Vorhersagbarkeit bei. Zum einen hat sich das Leben in den Ozeanen über Hunderte von Millionen Jahren ständig weiterentwickelt. Das bedeutet, dass die Ökosysteme vor jedem Aussterbeereignis andere Arten enthalten und grundlegend anders strukturiert sind. Zum anderen hat sich die Art und Weise, wie sich der Kohlenstoffgehalt der Atmosphäre auf die marinen Ökosysteme auswirkt, verändert.
Dies bedeutet, dass Modelle, die auf vergangenen Massenaussterbeereignissen beruhen, keine Auskunft darüber geben, wie die heutige biologische Vielfalt erhalten werden kann. Es besteht jedoch Hoffnung, dass die Entwicklung anspruchsvollerer Modelle für einzelne Tiergruppen oder für die Dynamik des Zusammenbruchs von Ökosystemen möglich ist.
Originalpublikation:
https://royalsocietypublishing.org/doi/full/10.1098/rsos.221507

16.03.2023 17:30
Was der Fischer davon hat, die Evolution des Kabeljaus zurückzudrehen
Dr. Volker Hahn Medien und Kommunikation
Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig
Überfischung und Übernutzung der Meere haben bei Fischbeständen wie dem Kabeljau zu evolutionären Veränderungen geführt, die die Produktivität und den Marktwert der Fischebestände schmälern. Ein nachhaltigeres und vorausschauendes Management der Fischereien könnte diese Veränderungen rückgängig machen. Eine neue Studie, die im Fachmagazin Nature Sustainability veröffentlicht wurde, zeigt, dass diese Umkehr der evolutionären Veränderungen sich nur geringfügig auf den Gewinn der Fischereien auswirken, aber zum Erhalt der natürlichen genetischen Vielfalt beitragen würde.

Die Auswirkungen globaler Überfischung auf die Meeresökosysteme sind verheerend: Nicht nur die Fischbestände gehen zurück, auch die Qualität mariner Lebensräume und deren Artenvielfalt nehmen immer schneller ab. Weniger offensichtlich sind die Auswirkungen der Fischerei auf die Größe und Altersstruktur der Fischbestände und evolutionäre Veränderungen. Die Fische wachsen häufig langsamer, werden bei geringerer Größe geschlechtsreif und pflanzen sich früher fort. So wird der in der Vergangenheit stark befischte Nordsee-Kabeljau beispielsweise mit durchschnittlich 50 cm geschlechtsreif, während bei einer nicht befischten Population 70 cm zu erwarten wären.

Eine frühere Fortpflanzung kann den Fischbestand kurzfristig widerstandsfähiger machen, über längere Zeiträume führt dies jedoch zu Populationen mit kleineren Fischen, die weniger Nachwuchs zeugen. „Letztendlich kann das die Produktivität eines Bestandes und dessen Marktwert verringern“, erklärt Erstautorin Hanna Schenk vom iDiv und der Universität Leipzig. „Darüber hinaus wissen wir noch recht wenig über die potentiellen Auswirkungen etwa auf die Nahrungskette oder Ökosysteme. Hier können sich Veränderungen dann wiederum auf die befischten Arten auswirken und wichtige ökologische Funktionen beeinträchtigen.“

Nur langfristige Planung kann evolutionäre Veränderungen umkehren

Doch die Evolution ist keine Einbahnstraße. Daher untersuchten Forschende von iDiv, UL und dem Institut für Meeresforschung in Tromsø (Norwegen), was nötig ist, um den evolutionären Verfall nach Jahrzehnten der Übernutzung rückgängig zu machen. Im Fokus ihrer Untersuchungen lagen dabei vor allem die Planungshorizonte des Fischereimanagements. Dafür entwickelten sie ein Modell, das verschiedene Aspekte berücksichtigt: Biologische wie Wachstum und Reproduktion sowie ökonomische wie die Kosten und die Vorlieben der Konsumenten. Die Forschenden untersuchten auch mögliche Konflikte zwischen wirtschaftlichem Gewinn und Naturschutzzielen.

Sie fanden heraus, dass sich der evolutionäre Wandel nur mit Hilfe sehr langer Planungshorizonte umkehren lässt, die bis ins nächste Jahrhundert reichen. Mit der weitaus üblicheren kurzfristigen Planung können sich zwar die Bestände hinsichtlich ihrer Biomasse erholen, der evolutionäre Verfall schreitet jedoch weiter voran, wenngleich deutlich langsamer. „Fischereien gehen typischerweise von Planungshorizonten von wenigen Jahren aus. Das steht im Kontrast zu den langfristigen Nachhaltigkeits- und Biodiversitätszielen“, so Hanna Schenk. Doch auch etwas vorausschauendere Planungshorizonte helfen lediglich dabei, die Bestände wiederaufzubauen, hielten den evolutionären Verfall aber nicht auf. Diesen Prozess umzukehren dauere laut Schenk deutlich länger als die Erholung der reinen Biomasse und gelänge nur mit Planungshorizonten von hundert Jahren und mehr.
Angepasste Schutzziele würden Gewinne aus Fischerei kaum reduzieren
Die Forschenden konnten zeigen, dass Naturschutzziele, die nicht nur auf die Fischbestände, sondern auch auf deren genetische Zusammensetzung abzielen, die Gewinne von Fischern nur wenig schmälern würden. Die Kosten und die Zeit, die für diese evolutionäre Umkehr nötig sind, könnten weiter verringert werden, wenn Fischereien Fische mit bestimmten genetischen Merkmalen bevorzugt befischten, was etwa durch die Wahl von Zeitpunkt und Ort beeinflusst werden kann.
Allerdings sehen die bisherigen Schutzziele die Erhaltung der genetischen Vielfalt nicht vor, so etwa Ziel 14 der Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (SDGs), das ein Ende der Überfischung fordert.
„Indem man stärker selektiv fischt, könnte man den evolutionären Verfall längerfristig umkehren“, sagt Letztautor Martin Quaas von iDiv und der UL. Wirtschaftliche Anreize allein würden jedoch wahrscheinlich nicht ausreichen um dieses Nachhaltigkeitsziel zu erreichen, daher sollten genetische Vielfalt und Naturschutz auch in den SDGs und UN-Biodiversitätszielen enthalten sein. „Aus der Perspektive einen Ökonomen hätte die Fischerei diese unerwünschten evolutionären Veränderungen größtenteils verhindern sollen. Jetzt, da diese Veränderungen aber nun einmal stattgefunden haben, wird es auf kurze Sicht kostspielig sie wieder umzukehren. Langfristig lohnt es sich aus ökonomischer Sicht aber.“
Originalpublikation:
Hanna Schenk, Fabian Zimmermann, Martin Quaas (2023). The Economics of reversing fisheries-induced evolution. Nature Sustainability. Doi: https://doi.org/10.1038/s41893-023-01078-9

16.03.2023, Deutsches Primatenzentrum GmbH – Leibniz-Institut für Primatenforschung
Du oder ich: Wer bekommt die höhere Belohnung?
Menschen und Affen koordinieren gegensätzliche Interessen, um ihre Gewinne zu maximieren
Krimi oder Komödie? Paaren, die den Sonntagabend gemeinsam vor dem Fernseher verbringen wollen, aber unterschiedliche Filmgenres mögen, stellt sich diese Frage an jedem Wochenende erneut. Einigen sie sich auf einen Film und schauen ihn gemeinsam? Oder schaut jeder „seinen“ Lieblingsfilm alleine? Und wenn sie gemeinsam fernsehen, wechseln sie sich bei der Auswahl ab?
Forschende des Deutschen Primatenzentrums – Leibniz-Institut für Primatenforschung in Göttingen haben untersucht, wie Affen und Menschen solche immanenten Interessenkonflikte koordinieren und lösen. Beim Menschen ist dieses Problem im Rahmen der Spieltheorie bereits gut untersucht. Anders als in den bisherigen Ansätzen wurde das Koordinationsspiel nun um die Komponente Sichtbarkeit erweitert. In der von Sebastian Möller, Igor Kagan und Kolleg*innen aus den Abteilungen Kognitive Neurowissenschaften und Kognitive Ethologie entwickelten Spielsituation konnten die Akteure ihr Gegenüber während der Entscheidungen beobachten. Die Untersuchungen zeigten, dass sowohl Menschen als auch Rhesusaffen die Aktionen ihres Gegenübers verfolgen und in ihre Entscheidung einbeziehen. Dabei verwenden sie jedoch unterschiedliche Strategien. Menschen koordinieren sich in einem dynamischen Prozess und erzielen im Zeitverlauf ein „faires“ Gleichgewicht: „Heute“ darfst du aussuchen, nächste Woche bin ich dran. Rhesusaffen koordinieren ihre Entscheidung dagegen statisch, wodurch einer der beiden Akteure im Laufe der Zeit das Nachsehen hat. Zwei Rhesusaffen lernten jedoch sich dynamisch zu koordinieren, nachdem sie mit einem menschlichen Partner gespielt hatten. Aber im Gegensatz zu Menschen nutzen sie diese Fähigkeit, um miteinander zu konkurrieren (eLife).
Die meisten Primatenarten leben in komplexen sozialen Gruppen. Um die Gruppe zusammenzuhalten, um Konflikte zu vermeiden und individuelle sowie gemeinsame Ziele zu erreichen, müssen die Gruppenmitglieder ihre verschiedenen Interessen koordinieren. Die Spieltheorie bietet bewährte Ansätze, um rationales Entscheidungsverhalten in sozialen Konfliktsituationen zu analysieren, in denen der Erfolg des Einzelnen nicht nur vom eigenen Handeln, sondern auch von den Aktionen anderer abhängt.
„In vielen sozialen Situationen finden Interaktionen meist nicht nacheinander statt oder ohne zu wissen, was die anderen tun, wie im Rahmen der klassischen Spieltheorien, sondern offen, beispielsweise von Angesicht zu Angesicht. Deshalb haben wir eine transparente Spielumgebung (die Dyadische Interaktionsplattform) entwickelt, in der wir untersuchen konnten, ob und wie Affen und Menschen spieltheoretische Probleme wie „Bach oder Strawinsky“ lösen, während sie einander gegenübersitzen und tatsächliche Augen-, Kopf- und Handbewegungen sehen. Wir wollten wissen, ob sie sich anders verhalten, wenn sie die Aktion des anderen in Echtzeit in ihre eigene Entscheidung einbeziehen können“, sagt Sebastian Möller, Neurowissenschaftler am Deutschen Primatenzentrum und Erstautor der Studie.
Ähnlich wie das obige Beispiel der sonntäglichen Filmauswahl, fördert das Spiel „Bach oder Strawinsky“, die Koordination, bringt aber auch einen Konflikt darüber mit sich, welche der beiden
koordinierten Optionen zu wählen ist. Es stellte sich heraus, dass die Mehrzahl der getesteten Paare, ob Menschen oder Affen, ihr Verhalten koordinierten, um ihre Belohnung zu erhöhen. Die Hälfte der menschlichen Paare erreichte eine nahezu optimale Koordination, indem sie sich dynamisch abwechselten, um ein faires Gleichgewicht der Belohnungen für alle Züge zu erhalten. Die Rhesusaffen hingegen nutzten einfachere Strategien. Sie koordinierten ihre Spielzüge nicht dynamisch indem sie über den Zeitverlauf einen Ausgleich schafften, sondern koordinierten ihre Aktionen statisch, indem sie immer dieselbe der beiden Optionen wählten oder eine Hälfte des Displays bevorzugten. Zwei Affen, die darauf trainiert wurden, das Spiel mit einem menschlichen Partner zu spielen, zeigten die Fähigkeit, ihre Entscheidungen nicht statisch, sondern dynamisch zu koordinieren, das heißt den menschlichen Partner zu beobachten und zwischen den Optionen zu wechseln. Bemerkenswerterweise begannen die Affen nach diesem Training, ihre Entscheidungen ebenfalls dynamisch miteinander zu koordinieren, allerdings auf eine konkurrierende Weise: der Affe, der schneller eine Entscheidung traf, erhielt einen größeren Anteil der Belohnung.
Die Studie hat gezeigt, dass sowohl Affen als auch Menschen die Information darüber, was der Gegenspieler gerade tut, nutzen, um ihre Handlungen zu koordinieren, allerdings mit unterschiedlichen Mitteln und zu unterschiedlichen Zielen. „Dass sich Rhesusaffen bei unseren Tests nicht dynamisch kooperativ abwechselten, liegt möglicherweise daran, dass sie kognitiv bei der längerfristigen Planung und der Einnahme der Perspektive des Gegners eingeschränkt sind. Ihre statischen Strategien erfordern weniger kognitive Ressourcen und sind leichter zu koordinieren. Es ist aber auch wahrscheinlich, dass Makaken aufgrund ihres wettbewerbsorientierten Charakters, des geringeren normativen sozialen Einflusses und des höheren subjektiven Werts der Belohnungen von eher egoistischen Motiven angetrieben werden“, sagt Igor Kagan, Leiter der Studie, und erklärt: „Dynamische Begegnungen von Angesicht zu Angesicht sind ein fester Teil der sozialen Evolution von Primaten. Zu verstehen, wie die beiden Arten die Sichtbarkeit von Handlungen nutzen, um Koordination zu erreichen und aufrechtzuerhalten, wirft ein Licht auf die Entwicklung von Kooperation und Wettbewerb und schafft die Voraussetzungen für die Untersuchung der neuronalen Grundlagen dynamischer Interaktionen.“
Originalpublikation:
Sebastian Moeller, Anton M Unakafov, Julia Fischer, Alexander Gail, Stefan Treue, Igor Kagan (2023) Human and macaque pairs employ different coordination strategies in a transparent decision game eLife 12:e81641 https://doi.org/10.7554/eLife.81641

16.03.2023, Universität Zürich
Genetik als Instrument zum Schutz bedrohter Schimpansen
Die Westafrikanischen Schimpansen in Guinea sind durch den Bergbau bedroht. Mithilfe eines neuartigen genetischen Ansatzes haben UZH-Forschende zusammen mit einem internationalen Team Informationen zur Populationsgrösse und Gemeinschaftsstruktur der bedrohten Art gesammelt. Diese Daten bilden eine wichtige Grundlage, um die Auswirkungen des Bergbaus zu beurteilen.
Der Westafrikanische Schimpanse wird auf der Roten Liste der Weltnaturschutzunion (IUCN) als vom Aussterben bedroht aufgeführt. Das Naturschutzgebiet des Nimba-Gebirges, ein UNESCO-Weltnaturerbe an der Grenze zwischen Guinea, Liberia und der Elfenbeinküste in Westafrika, beherbergt eine einzigartige Population dieser Schimpansenart. Doch Guinea ist auch reich an Mineralien und verfügt über einige der hochwertigsten Eisenvorkommen der Welt. Durch den Bergbau, der an der Grenze zum Naturschutzgebiet betrieben wird, ist die Region bedroht. «Es ist daher enscheidend, dass wir Instrumente entwickeln, um die gefährdete Schimpansenpopulation zu überwachen und die Auswirkungen des Bergbaus zu bewerten», sagt Kathelijne Koops, Professorin am Institut für Evolutionäre Anthropologie der Universität Zürich.
Fäkalproben aus über 15 Jahren gesammelt
Um die Grösse der Schimpansenpopulation, die Zusammensetzung der Gemeinschaft und ihr Verbreitungsgebiet an der Westflanke des Nimba-Massivs zu bestimmen, verwendeten Koops und ihre Kollegen genetische Zählungen. Zum internationalen Team gehörten Forschende der Universitäten Zürch, Kent und Kopenhagen, des Kopenhagener Zoos, der Texas A&M und des Umweltforschungsinstituts von Bossou in Guinea.
Im Zeitraum zwischen 2003 und 2018 sammelten die Wissenschaftler während der Feldarbeit fast tausend Kotproben der Schimpansen. Sie analysierten das darin enthaltene genetische Material mithilfe eines Panels von 26 Mikrosatelliten – kurzen DNA-Stücken, welche die Identifizierung einzelner Tiere sowie die Verwandtschaft zwischen ihnen ermöglichen. «Unsere Studie ist die erste, in der Genetik so umfangreich eingesetzt wird, um Anzahl und Populationsstruktur einer stark bedrohten Schimpansenpopulation in Westafrika zu bestimmen», sagt Koops.
Gene verraten Familienbande und Migrationsbewegungen
Die Analyse ergab insgesamt 136 Schimpansen, die in vier verschiedenen Gemeinschaften oder sozialen Gruppen leben. Die tatsächliche Zahl der Schimpansen in dem Gebiet übersteigt diese Mindestschätzung wahrscheinlich erheblich. «Säuglinge und Jungtiere werden über die Kotproben nicht zuverlässig erfasst, und von einigen Gebieten des Gebirgszugs gibt es nicht ausreichend Kotproben», sagt Christina Hvilsom, Genetikerin im Zoo Kopenhagen.
Das Team konnte zudem eine Reihe von Migrationsbewegungen, ein hohes Mass an gemeinsamer Abstammung und grosse genetische Vielfalt in der Schimpansenpopulation ausmachen. Die Ergebnisse unterstreichen den Nutzen der genetischen Zählung, um Affenbestände zeitlich zu überwachen, aber auch um Migrationsbewegungen, genetische Vielfalt und die Lebensfähigkeit der Population zu erfassen», fügt Mitautor Peter Frandsen, ebenfalls vom Zoo Kopenhagen, hinzu. Anhand der Daten lassen sich beispielsweise Vorhersagen darüber treffen, wie sich Strassenbau- und Abbautätigkeiten auf die Bewegungen der Schimpansen zwischen den verschiedenen Gemeinschaften oder auf den Zugang zu Nahrung und Nistplätzen auswirken könnten.
Neues Instrument zum Schutz von Menschenaffen
«Unsere Studie bestätigt den Status des UNESCO-Welterbes Nimba als prioritäres Gebiet zum Schutz des stark bedrohten Westafrikanischen Schimpansen», sagt Mitautorin Tatyana Humle, Senior Associate bei Re:wild. Sie zeige auch, wie wertvoll der Einsatz nicht-invasiver genetischer Techniken sei, um wichtige Daten über den Bestand, die Struktur und die genetische Gesundheit der Populationen zu gewinnen.
«Für zukünftige Folgenabschätzungen empfehlen wir genetische Probenahmen in Kombination mit Kamerafallen, da diese Methoden robuste Grundlagen für das Biomonitoring und das Naturschutzmanagement liefern können», sagt Koops. Dies gilt nicht nur für den Westafrikanischen Schimpansen, sondern auch für andere bedrohte Menschenaffenarten.
Literatur:
Kathelijne Koops, Tatyana Humle, Peter Frandsen, Maegan Fitzgerald, Lucy D’Auvergne, Hazel A. Jackson, Claus Børsting, Hans R. Siegismund, Aly Gaspard Soumah and Christina Hvilsom.
Genetics as a novel tool in mining impact assessment and biomonitoring of critically endangered western chimpanzees in the Nimba Mountains, Guinea. Conservation Science and Practice. 16 March 2023. DOI: https://doi.org/10.1111/csp2.12898oi.org/10.1038/s41467-020-19273-z

16.03.2023, Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels
Größtes Genom eines Insekts entdeckt
Das größte bisher bekannte Genom eines Insekts wurde jetzt in einer Feldheuschrecke nachgewiesen. Es ist etwa siebenmal größer als das menschliche Genom. Die aktuelle Studie von Forschenden des Leibniz-Instituts zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB) und der tschechischen Akademie der Wissenschaften, veröffentlicht in PLOS ONE, widerlegt damit die Vorstellung, dass das Erbgut von Insekten kleiner und damit weniger komplex ist.
Die Gefleckte Schnarrschrecke (Bryodemella tuberculata) zählt zu den auffälligsten und heute zugleich seltensten Heuschreckenarten Mitteleuropas. Ihr letztes Rückzugsgebiet findet sie hierzulande in den Alpen, in den Oberläufen von Isar und Lech. Diese Lebensräume unterliegen durch die Flussdynamik ständiger Veränderung. „Es könnte sein, dass diese Anpassung an veränderliche Umweltbedingungen die genetischen Variationen und damit auch die Größe des Genoms befördert hat“, stellt Oliver Hawlitschek, Leiter des Molekularlabors im LIB, Museum der Natur Hamburg, eine Hypothese auf. „Gleichzeitig sehen wir in dem Vergleich zum Menschen, dass wir nicht von der Größe des Genoms auf die Komplexität eines Organismus schließen können.“
Die Studie folgt mehreren jüngeren Veröffentlichungen zur Evolution der Genomgröße von Insektenarten und betrachtet diese im Kontext der Verwandtschafts- und Verbreitungsgeschichte. Keine der bisherigen Studien konnte jedoch die Frage beantworten, warum ausgerechnet einige Heuschreckenarten so große Genome haben. Generell haben Insekten eher kleine Genome. Das der Fruchtfliege ist beispielsweise nur ein Sechstel so groß wie das des Menschen.
Genome von Tieren sind sehr unterschiedlich groß. Selbst zwischen verwandten Gruppen können sich die Erbgutinformationen deutlich unterscheiden. Da bei jeder Zellteilung auch das komplette Genom verdoppelt werden muss, suchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach Ursachen für diese Variabilität. Sie versuchen, die Architektur und den Inhalt von Genomen besser zu verstehen, sehen sich hier jedoch noch am Anfang. Von den mehr als einer Million beschriebener Insektenarten liegen nur von insgesamt 1.345 Größenangaben zum Genom vor. Dabei wurden die größten Genome bislang bei Heuschrecken gefunden.
Um ein besseres Verständnis der Genomgrößenvariation bei Heuschrecken und möglichen Veränderungen im Zuge der Evolution der Arten zu erhalten, haben die Forschenden für die Studie die Genomgröße von 50 Heuschreckenarten gemessen und Veränderungen bei verwandten Arten in unterschiedlichen Gebieten betrachtet. Dabei fanden sie heraus, dass die Gefleckte Schnarrschrecke das bisher größte gemessene Genom aller Insekten besitzt und damit die Asiatische Wüstengrille (Deracantha onos) als Rekordhalter ablöst.
In weiterführenden, sequenz-basierten genomischen Studien sieht Oliver Hawlitschek eine Möglichkeit, mehr über die zugrundeliegenden evolutionären Mechanismen, die Einfluss auf die Größe von Genomen haben, zu erfahren. „Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir durch die Untersuchung dieser Extreme auch noch viel über die Funktion unserer menschlichen Genome lernen werden.“
Originalpublikation:
https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0275551

16.03.2023, Deutsche Wildtier Stiftung
Endlich Frühlingsanfang! Hummeln sind die ersten Bestäuber des Jahres
Wer die richtigen Pflanzen setzt, kann sie das ganze Jahr über unterstützen
Sobald der Frühling einzieht und die Sonne langsam die Erde erwärmt, krabbeln die neuen Hummelköniginnen aus ihren Überwinterungsquartieren. Bereits ab Temperaturen von zwei Grad über null können die pelzigen Wildbienen fliegen. Mit ihren winzigen Muskeln im Brustkorb erzeugen sie durch Zittern Wärme und erreichen so eine Körpertemperatur von bis zu 30 Grad. Hummeln gehören deshalb zu den ersten fliegenden Bestäubern des Jahres.
Doch die ersten Ausflüge des Jahres sind für die Hummelköniginnen eine anstrengende Angelegenheit. Das Nahrungsangebot ist im Frühjahr noch nicht besonders üppig. Mithilfe einer kleinen, mit Nektar gefüllten Honigblase im Körperinneren schaffen die Insekten es, die ersten Stunden in den noch kühlen Tagen zu überleben. „Der protein- und kohlenhydratreiche Nektar ist der Treibstoff, den die Hummeln für den Flug und das Erreichen der Körpertemperatur benötigen“, erklärt Tom Bluth, Wildbienenschützer bei der Deutschen Wildtier Stiftung, „aber die Hummeln brauchen jetzt auch protein- und vitaminreiche Pollen für die Entwicklung der Eierstöcke, um sich fortzupflanzen.“
In der freien Natur geht die Anzahl an Blüten leider rapide zurück. Daher ist es sehr wichtig, dass ausreichend Futterpflanzen für bestäubende Insekten in Gärten oder auf den Balkonen bereitgestellt werden. „Wenn Sie Hummeln helfen möchten, pflanzen Sie frühblühende Stein- oder Kernobstsorten wie Zwetschgen, Kirschen oder Äpfel, oder Weiden- und Ahornsorten, Felsenbirne und Hartriegel sowie Beerensträucher“, erklärt Bluth. Geeignete Zwiebelpflanzen, die auch auf dem Balkon in Kübeln stehen können, sind Traubenhyazinthen, Schneeglanz, Krokusse, Winterlinge und Blausterne. Auch Wildstauden wie Nieswurz, Huflattich und Hirtentäschel liefern Hummeln bereits früh im Jahr überlebenswichtigen Pollen und Nektar.
Hat sich die Hummelkönigin ausreichend gestärkt, beginnt sie mit der Suche nach einem Nistplatz. Je nach Art sind das Mäuselöcher, hohle Bäume, dichte Grasnarben oder Vogelnistkästen. Hier legt die Königin ihre ersten Eier und sammelt weiter fleißig Nektar und Pollen, um sich selbst und die Brut zu versorgen. Schlüpfen nach wenigen Wochen die ersten Arbeiterinnen, übernehmen diese die Versorgung und weitere Aufgaben, wie das Bewachen des Nestes und die Fütterung der Brut. Die Königin bleibt fortan im Nest und kümmert sich nur noch um die Fortpflanzung. Ab dem Sommer haben die meisten Hummelvölker den Höhepunkt der Entwicklung erreicht. Zu diesem Zeitpunkt leben bis zu 600 Tiere im Nest und es werden bereits wieder neue Hummelköniginnen und Drohnen herangezogen.
„Durch die immer heißere und trockenere Witterung bereits ab Mai haben Hummeln oft bis in den August hinein einen Engpass in der Nahrungsversorgung“, erklärt Bluth. Jetzt helfen Rot-, Horn- und Weißklee, aber auch Natternkopf, Flockenblumen, Küchenkräuter oder Disteln, die bis in den Herbst hinein kultiviert werden. „Wer in seinem Garten zusätzlich Wildnis zulässt, kann hummelfreundlichen Pflanzen gratis beim Wachsen zusehen“, empfiehlt der Wildbienenschützer.

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