Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

06.02.2023, Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV) e. V.

Der LBV auf großer Kinoleinwand
Als Beispiel für die Arbeit eines Naturschutzverbands ist der LBV im neuen Dokumentarfilm Vogelperspektiven von Jörg Adolph zu sehen
Kinostart am 16. Februar
Nach dem Erfolgsfilm „Das geheime Leben der Bäume“ bringt der Regisseur Jörg Adolph mit VOGELPERSPEKTIVEN einen weiteren Dokumentarfilm über die Natur in die deutschen Kinos. Der bayerische Naturschutzverband LBV (Landesbund für Vogel- und Naturschutz) tritt dabei als einer der beiden Protagonisten beispielhaft für die Arbeit von vielen Nichtregierungsorganisation auf, die sich für die Natur und Artenvielfalt engagieren. In VOGELPERSPEKTIVEN verschmelzen Dokumentar- und Naturfilm: Er öffnet die Augen für die Schönheit der Vögel und deren Beobachtung, blickt dabei auch hinter die Kulissen der Umweltpolitik und zeigt beispielhafte Schutzprojekte. Der Film startet am 16. Februar deutschlandweit – im Verleih von FILMPERLEN – in den Kinos.
Es ist höchste Zeit: In den letzten 60 Jahren hat Deutschland fast die Hälfte seiner Vögel verloren. Trotzdem ist für uns kein Tier so allgegenwärtig. Es gibt unzählige Arten von Vögeln, überall sind sie zu finden, nicht zu überhören, auffallend – und oft auffallend schön. Sie sitzen in Hecken und Bäumen, auf Dächern und Balkonen. Doch während der Himmel für sie keine Grenzen hat, wird ihr Lebensraum auf der Erde knapp. Vögel spüren als erste die Klimakatastrophe und zeigen uns die Defizite im Umgang mit der Natur. VOGELPERSPEKTIVEN behandelt eine hochaktuelle Thematik und zeigt, wie wichtig Vögel für die Erde, den Kreislauf der Natur und deshalb auch für die Menschheit sind.
Gerade in Zeiten des Artensterbens ist die Arbeit von Naturschutzverbänden wichtiger denn je. Jörg Adolph begleitet den Ornithologen Dr. Norbert Schäffer, Vorsitzender des LBV, einem der größten Naturschutzverbände Deutschlands, auf seiner Mission zur Rettung der Vögel. „Alle, die sich nicht nur in Bayern für die Begeisterung um das Volksbegehren ‚Rettet die Bienen‘ interessiert haben, bekommen in diesem Film einen fast intimen Einblick in die Arbeit eines Naturschutzverbands, der sich, angetrieben von seiner Faszination für Vogel und Natur, für den Erhalt der Artenvielfalt einsetzt“, so der LBV-Vorsitzende Norbert Schäffer.
Ganz anders beobachtet Arnulf Conradi Vögel. Der Gründer und frühere Verleger des Berlin Verlages ist begeisterter Birdwatcher seit Kindertagen und hat 2019 den Bestseller „Zen und die Kunst der Vogelbeobachtung“ veröffentlicht. Poetisch und philosophisch erzählt er in VOGELPERSPEKTIVEN von seiner Faszination für die heimische Vogelwelt. „Die Beobachtung der Vögel ist eigentlich kein Hobby, es ist eine Lebensform. Wenn ich in der Natur bin, habe ich immer ein Fernglas dabei, das mir erlaubt, diesen interessanten, schönen, lebhaften Geschöpfen nahezukommen. Jörg Adolphs Film bildet diese Leidenschaft von zwei Seiten her ab: von der kontemplativen Seite, zu der ich mich zähle, und von der aktiven Seite, zu der Norbert Schäffer und seine Leute zählen. Ich hoffe sehr, dass die Zuschauer dieses großartigen Filmes die Kontrapunktik der Regie verstehen und genießen“, sagt Arnulf Conradi.
VOGELPERSPEKTIVEN öffnet die Augen für die Schönheit der Vögel und deren Beobachtung, blickt dabei auch hinter die Kulissen der Umweltpolitik und zeigt beispielhafte Schutzprojekte. Wir machen uns auf zu einer emotionalen und inspirierenden Erkundungsreise mit atemberaubenden Bildern und erleben Arten- und Naturschutz in Aktion.
https://www.vogelperspektiven-derfilm.de/

07.02.2023, Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)
Fischschwärme funktionieren ähnlich wie das Gehirn
Wie es biologischen Systemen wie dem Gehirn oder Tierschwärmen gelingt, die Vielzahl an Einzelinformationen aus verschiedenen Quellen optimal zusammenzuführen, ist wenig bekannt. Es gibt die Hypothese, dass das größte Leistungspotenzial des Gehirns an der Grenze zwischen Ordnung und Chaos liegt, im Zustand der sogenannten Kritikalität. Forschende des Exzellenzclusters „Science of Intelligence“ der Humboldt-Universität zu Berlin (HU), der Technischen Universität Berlin (TU) und des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) konnten diese Hypothese nun an einem riesigen Fischschwarm nachweisen. Die Studie wurde in Nature Physics veröffentlicht.
„Es geht bei Schwarmverhalten ja darum, dass sich Informationen lawinenartig ausbreiten. In diesem Zustand reagieren die Individuen maximal schnell auf externe Reize mit einer maximal effektiven Informationsweitergabe. Wir konnten an großen Fischschwärmen zeigen, dass die Gesetzmäßigkeit der Kritikalität, die man schon für neuronale Netzwerke nachweisen konnte, diesen Zustand beschreibt“, erläutert Studienleiter Pawel Romanczuk, Professor am Institut für Biologie der HU und Forscher im Exzellenzcluster.
Kritikalität: An der Schwelle von Ordnung zum Chaos arbeitet das Gehirn am effektivsten:
Die Informationsverarbeitung im Gehirn basiert auf einem Netzwerk von rund 86 Milliarden Neuronen. Sie leiten Informationen in Form von Spannungsimpulsen weiter. Nach einer These der Neurobiologie, der so genannten „Kritikalität des Gehirns“ (the critical brain hypothesis) ist unser Gehirn deshalb so effizient in der Informationsverarbeitung, weil es sich permanent an einem kritischen Punkt zwischen zwei dynamischen Zuständen befindet, nämlich Ordnung und Chaos – wobei Ordnung bedeutet, dass die Neuronen hochsynchron aktiv sind, wie in einem neuronaler Gleitschritt, und Chaos bedeutet, dass die Zellen unabhängig voneinander Impulse aussenden. Im Zwischenzustand, der Kritikalität, ist das Gehirn maximal erregbar und schon kleine Reize bringen plötzlich eine Vielzahl von Neuronen zum Feuern, Informationen breiten sich lawinenartig aus und können besonders leicht übertragen werden, auch in weit voneinander entfernte Hirnareale.
La-Ola-Welle für die höchstmögliche Alarmbereitschaft:
Schwefelmollys sind Fische die in Schwefelquellen in Mexiko leben. Sie schwimmen zu Hunderttausenden im Schwarm und zeigen dabei ein typisches und ungewöhnliches Verhalten: Sie tauchen in Wellen auf und ab – aus der Vogelperspektive wirkt es wie eine riesige La-Ola-Welle, die sich mannigfaltig wiederholt. Wie das Forschungsteam bereits in einer früheren Studie gezeigt hat, nutzen die kleinen Fische das Wellenverhalten zunächst, um angreifende Vögel erfolgreich zu verwirren. Dieses Verhalten könnte aber auch eine andere Funktion haben: Es könnte den Schwarm in einen Zustand optimaler Alarmbereitschaft versetzen – in einer Weise, die dem oben beschriebenen Zustand der Kritikalität des Gehirns sehr ähnlich ist. Diese Wachsamkeit ist notwendig, weil die Tiere einem hohen Fraßdruck durch Vögel ausgesetzt sind – wer also nicht wachsam genug ist, wird gefressen.
Die Fische machen nämlich auch eine Wellenbewegung, wenn gar keine Vögel angreifen. „Wir wollten also herausfinden, ob diese Wellenbewegung eine Analogie zur Informationsverarbeitung des Gehirns sein könnte: wenige Oberflächenwellen, wenn keine Vögel angreifen; stärkere und mehr Wellen, wenn Vögel angreifen. Damit würde sich auch der Schwarm bei der kollektiven Tauchbewegung im Stadium der Kritikalität bewegen – mit der höchstmöglichen Alarmbereitschaft“, erläutert Erstautor Luis Gómez-Nava, Forscher im Exzellenzcluster.
Die Forschenden kombinierten empirische Daten aus Verhaltensstudien im Feld mit mathematischen Modellen und konnten so zeigen, dass die räumlich-zeitliche kollektive Dynamik großer Schwärme von Schwefelmollys tatsächlich einem erregbaren System im Stadium der Kritikalität entspricht – ähnlich eines Gehirns.
Maximale Unterscheidungsfähigkeit von Umweltreizen und hohe Reichweite:
Das Verhalten an einem kritischen Punkt ermöglicht es den Schwefelmollyschwärmen, ständig auf Störungen in der Umwelt zu achten und Informationen über die Intensität des Hinweises auch über weite Strecken weiterzugeben. Dies konnte in Zusammenarbeit mit weiteren Mitgliedern des Exzellenzclusters aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz, Robert Lange und Professor Henning Sprekeler, gezeigt werden. Sie nutzten modernste Algorithmen des maschinellen Lernens, um die Reaktion des Schwarms auf unterschiedliche Intensitäten von Störungen in der Umgebung zu testen, und kamen zu dem Schluss, dass der Schwarm tatsächlich in der Lage ist, die Informationen über äußere Reize – wie angreifende Vögel – effizient für sich zu nutzen.
„Im Falle der Schwefelmollys korreliert die Intensität der Hinweise mit der Gefahr, da jagende Vögel oft mit dem Körper ins Wasser eindringen, was zu hochintensiven visuellen, akustischen und hydrodynamischen Hinweisen führt, während Vögel im Überflug nur einige visuelle Hinweise geben. Daher ist die Information über die Intensität des Hinweises für Fische sehr wichtig, um angemessene Reaktionen zu koordinieren, zu denen auch wiederholtes Tauchen über mehrere Minuten gehört. Darüber hinaus können diese Informationen über weite Entfernungen übermittelt werden, sodass die Fische Vorsorgemaßnahmen ergreifen können, auch wenn sie sich nicht im direkten Gefahrenbereich befinden“, sagt Koautor David Bierbach. Der Forscher im Exzellencluster hat bereits viele Verhaltensstudien mit Schwefelmollys durchgeführt.
Unterschiede Schwarm und Gehirn: Individuelles Verhalten der Tiere:
Natürlich gibt es auch wichtige Unterschiede zwischen dem Fischschwarm und neuronalen Systemen. In neuronalen Systemen ändert sich die Struktur des Interaktionsnetzwerks zwischen den einzelnen Elementen auf einer viel langsameren Zeitskala als das dynamische Verhalten im Fischschwarm.
„Die dynamische Gruppenstruktur und individuelle Verhaltensparameter wie die individuelle Geschwindigkeit oder die Aufmerksamkeit gegenüber Artgenossen haben starke Auswirkungen auf das kollektive Verhalten, was zu alternativen Mechanismen der Selbstorganisation in Richtung Kritikalität durch Modulation des individuellen Verhaltens führen kann. Es gibt hier noch viele offene Fragen an denen wir weiterforschen“, sagt Jens Krause, Professor an der HU und im Exzellenzcluster sowie Leiter einer Forschungsabteilung am IGB.
Die Ähnlichkeit zwischen dem Tauchverhalten von Fischen als „kollektivem Verstand“ und der neuronalen Aktivität im Gehirn hilft, kollektive Systeme in der Natur besser zu verstehen.
Originalpublikation:
Gómez-Nava, L., Lange, R.T., Klamser, P.P. et al. Fish shoals resemble a stochastic excitable system driven by environmental perturbations. Nat. Phys. (2023). https://doi.org/10.1038/s41567-022-01916-1

08.02.2023, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Genschalter macht männliche Bienenaugen groß und weibliche klein
Biologie: Publikation in Nature Communications
Bienenforscher der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) unter Leitung von Prof. Dr. Martin Beye haben bei der Honigbiene ein neues Gen gefunden. Unter anderem ist es für die unterschiedliche Augenform bei männlichen und weiblichen Tieren verantwortlich. Dieses Gen und die evolutionsgenetischen Schlüsse, die sie ziehen, stellen die Forschenden in der Fachzeitschrift Nature Communications vor.
Im Tierreich sind Unterschiede zwischen Männchen und Weibchen allgegenwärtig. Sie beschränken sich nicht nur auf morphologische Verschiedenheit – also solche bei der Gestalt der Tiere –, sondern beeinflussen auch die Physiologie und das Verhalten. Dies gilt gleichermaßen für Wirbellose (Invertebraten) wie Wirbeltiere (Vertebraten). Dieser „Geschlechtliche Dimorphismus“ trägt zur biologischen Vielfalt der Organismen bei; Beispiele sind das Farbfederkleid und Rad des männlichen Pfaus oder die Farbgebung von Schmetterlingen.
Wie dieser Dimorphismus während der Entwicklung reguliert wird und wie er im Laufe der Evolution entstand, ist bisher nur unvollständig verstanden. Ein Entwicklungsgen, das „dsx-Gen“, konnte in genetischen Modellorganismen identifiziert werden. Aber dieses Gen allein kann nicht den Geschlechts-Dimorphismus in anderen Organismen bestimmen. Ferner war unbekannt, wie eine geschlechtsspezifische Entwicklungsfunktion evolutionär entstand, da der Vorteil bei dem einen Geschlecht zugleich einen Nachteil im anderen Geschlecht generiert.
Das Spezialgebiet der Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Martin Beye vom Institut für Evolutionsgenetik der HHU ist die Honigbiene (Apis mellifera), die einen eindrücklichen Dimorphismus bei den Augen männlicher und weiblicher Tieren aufweist: Männchen besitzen sehr große Komplexaugen, da sie beim Paarungsflug die Königin orten müssen. Weibchen haben dagegen sehr kleine Komplexaugen, die aber für die Orientierung und das Auffinden von Blüten ausreichen.
Zusammen mit Kolleginnen und Kollegen der Universität im niederländischen Wageningen haben Prof. Beye und sein Team bei der Biene genomweit nach möglichen, geschlechtsspezifisch regulierten Entwicklungs-Genen gesucht. Sie entdeckten dabei bei der Biene das von ihnen benannte „Glubschauge Gen“.
Dieses Gen reguliert die geschlechtliche Ausprägung des Auges. Die Forschenden gingen dabei folgendermaßen vor: Mithilfe der CRISPR/Cas9-Methode schalteten sie bei Weibchen das Gen aus, die Tiere entwickelten eine Augenform wie bei männlichen Tieren. Umgekehrt fügten sie bei Männchen das Gen hinzu, was zu einem weiblichen Augentypus führte. Sie entdeckten somit ein in der Evolution neu entstandenes Entwicklungsgen, auch „Transkriptionsfaktor“ genannt.
Prof. Beye: „Unsere Befunde zeigen auf, wie die Vielfalt an sekundären Geschlechtsmerkmalen sich während der Entwicklung ausprägen können. Wir konnten folgendes Prinzip aufzeigen: Nutze für jedes Merkmal ein eigenes genetisches Instruktionsprogram. In den Bienen gibt es keine allgemeine Instruktion für den Gesamtorganismus.“
Die Forschenden interessierten sich darüber hinaus für die evolutionäre Geschichte des „Glubschauge Gens“: Wie kam dieses Gen zu seiner geschlechtsbestimmenden Funktion? Prof. Beye: „Unser Befund löst ein altes Rätsel der Evolutionsbiologie. Bisher waren keine Nachweise bekannt, wie der positive Effekt bei der Evolution eines Geschlechtsmerkmals nicht zu einem Nachteil im anderen Geschlecht führt. Wir zeigen nun, wie es funktionieren kann.“
Mithilfe evolutionärer Sequenzanalysen entdeckte das Forschungsteam, dass diese geschlechtsspezifische Funktion erst im Laufe der Evolution von Hautflüglern entstanden ist. Dabei fanden sie, dass zunächst die geschlechtsspezifische Aktivität neu erfunden wurde, während die entwicklungsbiologische Funktion später hinzukam. Beye: „Die zunächst erfolgte geschlechtsspezifische Regulierung limitiert die im Anschluss folgende Entwicklungsänderung auf nur ein Geschlecht. Wir haben also einen molekularen Weg nachgewiesen, durch den sexueller Dimorphismus im Laufe der Zeit entstehen kann.“
Originalpublikation:
Netschitailo, O., Wang, Y., Wagner, A.., Sommer, V., Verhulst, E. C., Beye, M., The function and evolution of a genetic switch controlling sexually dimorphic eye differentiation in honeybees, Nature Communications 14, 463 (2023).
DOI: 10.1038/s41467-023-36153-4

08.02.2023, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.
Detaillierte Kartierung des Genoms von Meeresschildkröten zeigt: Ihre Zukunft könnte in ihrer Geschichte liegen
In einem in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ veröffentlichten Aufsatz stellt ein internationales Wissenschaftsteam eine detaillierte Karte des Genoms zweier Arten von Meeresschildkröten vor, der Grünen Meeresschildkröte und der Lederschildkröte. Damit können zum ersten Mal jene genetischen Grundlagen analysiert werden, die es den einst an Land lebenden Schildkröten ermöglichten, in den Ozeanen zu leben. Vor etwa 100 Millionen Jahren wandten sich ihre Vorfahren dem Meer zu und entwickelten sich schließlich zu jenen Meeresschildkröten, die wir heute kennen.
Die Kenntnis des genetischen Hintergrunds dieser bemerkenswerten Anpassung könnte sich in Zeiten rascher Umweltveränderungen als entscheidend für Schutz und Erhalt der Arten erweisen. Die Kartierung der Genome der Grünen Meeresschildkröte (Chelonia mydas) und der Lederschildkröte (Dermochelys coriacea) ist das Ergebnis eines internationalen Kooperationsprojekts unter Leitung des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) und der University of Massachusetts Amherst(UMass) in Zusammenarbeit mit dem Vertebrate Genomes Project. „Wir stellten zwei der bisher vollständigsten Reptiliengenome zusammen, die zwei uralte Familien von Meeresschildkröten repräsentieren“, sagt Camila Mazzoni, eine der beiden Seniorautoren und Gruppenleiterin für Evolutions- und Naturschutzgenomik am Leibniz-IZW sowie Wissenschaftlerin am Berlin Center for Genomics in Biodiversity Research (BeGenDiv).
Die Sequenzierung des Genoms einer Art ist ein enormer Arbeitsaufwand, der einer Übersetzung einer gesamten Bibliothek in eine für die Wissenschaft lesbare Sprache gleichkommt. Dies wurde erst mit technologischen Entwicklungen in den letzten zwei Jahrzehnten möglich. Für Grüne Meeresschildkröten liegt seit 2013 ein Genom-Entwurf vor, der etwa 100.000 genetische Informationen enthält – „aber“, so Blair Bentley, Wissenschaftler am Department of Environmental Conservation der UMass Amherst und Erstautor des neuen Aufsatzes, „diese 100.000 genetischen Informationen waren nicht kartiert. Es war, als ob man eine Bibliothek betritt und 100.000 Bücher verstreut auf dem Boden liegen, anstatt nach einem logischen System in Regale und Abteilungen einsortiert zu sein.“
Um die Genome der Schildkröten genauer zu katalogisieren, wandte das internationale Team neue Technologien an, darunter die Pacbio-Langzeitsequenzierung – eine Innovation, die kürzlich zur Methode des Jahres 2022 gekürt wurde (https://www.nature.com/articles/s41592-022-01759-x). Damit ist es möglich, die Genome von praktisch jeder lebenden Art mit weitaus größerer Präzision als bisher zu sequenzieren. Die Sequenzierung der Genome der Schildkröten wurde an der Rockefeller University im Vertebrate Genome Laboratory (VGL) unter der Leitung von Erich Jarvis und Olivier Fedrigo sowie am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) unter der Leitung von Eugene Myers durchgeführt, die alle als Koautoren an der neuen Publikation beteiligt sind. „Diese Fortschritte haben uns das ermöglicht, was in einer Bibliothek bedeuten würde, alle Bände nach der Dewey-Dezimalklassifikation für Bibliotheksbestände zu ordnen. Wir können jetzt damit beginnen zu verstehen, wie alles zusammenpasst“, sagt Bentley.
Die Kartierung der vollständigen Genome durch die Zusammenarbeit der Forschungsgruppen von Mazzoni und Lisa Komoroske, Professorin für Umweltschutz an der UMass und zweite Seniorautorin des Aufsatzes, brachte mehrere Überraschungen ans Licht. Die erste ist, dass sich die Genome der Grünen Meeresschildkröte und der Lederschildkröte bemerkenswert ähnlich sind, obwohl sich beide Arten seit etwa 60 Millionen Jahren getrennt voneinander entwickelten. Ähnlich, aber nicht identisch. „Es sind diese feinen Unterschiede, die sie einzigartig machen“, sagt Komoroske. Und genau diese Unterschiede könnten der Schlüssel zum Überleben beider Arten sein, denn die Bestände sowohl der Grünen Meeres- als auch der Lederschildkröte sind in jüngerer Zeit aufgrund menschlicher Aktivitäten drastisch zurückgegangen und somit ihre Anpassungsfähigkeit an die veränderten Lebensbedingungen wichtiger denn je.
Es stellte sich heraus, dass die Grüne Meeresschildkröte mehr Gene für das Immunsystem besitzen, was darauf schließen lässt, dass sie besser auf neue Krankheitserreger vorbereitet ist als die Lederschildkröte. Zudem verfügt sie über mehr Geruchsrezeptoren – sie haben einen besseren Geruchssinn. Das Lederschildkröten-Genom zeigt hingegen, dass die Bestände dieser Art in der Vergangenheit schon einmal deutlich kleiner waren. „Dies ist sowohl ein Segen als auch ein Fluch“, sagt Komoroske, „denn es bedeutet, dass die Lederschildkröte zwar eine widerstandsfähige Art ist, ihre genetische Vielfalt jedoch auch gering ist. Eine hohe genetische Vielfalt würde es ihnen eher ermöglichen, sich weiterzuentwickeln und den Herausforderungen ihrer sich schnell verändernden Umwelt angemessen zu begegnen.“ Erkenntnisse wie diese könnten dem Artenschutz helfen, fundiertere Entscheidungen über geeignete Maßnahmen zum Schutz und Erhalt der Arten zu treffen.
Je mehr Zeit die Forschergruppen von Mazzoni und Komoroske mit den Genomen der Schildkröten verbrachten, desto deutlicher wurde, dass ein Großteil der genetischen Unterschiede zwischen beiden Arten nicht auf den großen (Haupt-)Chromosomen zu finden ist, die mehr als 80 % des Genoms der Meeresschildkröten ausmachen, sondern auf Mikrochromosomen oder kleinen genetischen Einheiten. Mikrochromosomen existieren bei Säugetieren nicht, sind aber charakteristisch für das Erbgut von Vögeln und Reptilien. „Wir fanden die meisten Unterschiede zwischen der Grünen Meeresschildkröte und der Lederschildkröte auf eben diesen Mikrochromosomen“, sagt Mazzoni. „Unsere Arbeit ist daher auch ein Beitrag zum wachsenden Verständnis über die Bedeutung von Mikrochromosomen in der Evolution der Wirbeltiere.“
„Wir konnten diese Arbeit nur dank eines großen Kooperationsnetzwerks durchführen, das Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Bereichen mit Organisationen wie dem Vertebrate Genomes Project, dem Israeli Sea Turtle Rescue Center und dem NOAA Southwest Fisheries Science Center zusammenbrachte, unterstützt von Geldgebern aus der ganzen Welt“, sagt Komoroske. Die Forschung wurde von einer Vielzahl von Organisationen unterstützt, darunter National Science Foundation, National Oceanic and Atmospheric Administration, National Research Council, National Institutes of Health, Vertebrate Genomes Project, Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik, CONICYT-DAAD, Sanger Institute, São Paulo Research Foundation, Bundesministerium für Bildung und Forschung, Generalitat de Catalunya, La Caixa Foundation, Wiener Wissenschafts- und Technologiefonds, Stadt Wien, Welsh Government Sêr Cymru II, Forschungs- und Innovationsprogramm Horizont 2020 der Europäischen Union im Rahmen des Marie Skłodowska-Curie-Stipendiums, Florida Sea Turtle Grants Program sowie von einzelnen internationalen Spendern.
Originalpublikation:
Bentley BP, Carrasco-Valenzuela T, Ramos EKS, Pawar H, Arantes LS, Alexander A, Banerjee SM, Masterson P, Kuhlwilm M, Pippel M, Mountcastle J, Haase B, Uliano-Silva M, Formenti G, Howe K, Chow W, Tracey A, Sims Y, Pelan S, Wood J, Kelsey Yetsko, Perrault JR, Stewart K, Benson SR, Levy T, Todd EV, Shaffer HB, Scott P, Henen BT, Murphy RW, Mohr DW, Scott AF, Duffy DJ, Gemmell NJ, Suh A, Winkler S, Thibaud-Nissen F, Nery MF, Marques-Bonet T, Antunes A, Tikochinski Y, Dutton PH, Fedrigo O, Myers EW, Jarvis ED, Mazzoni CJ, Komoroske LM (2023): Divergent sensory and immune gene evolution in sea turtles with contrasting demographic and life histories. PNAS 120 (7) e2201076120.

08.02.2023, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen
Schildkröten-Invasion im Ländle
Erstmals nachgewiesen: Drei nordamerikanische Schildkrötenarten pflanzen sich selbständig in deutschen Gewässern fort.
Ein Forschungsteam mit Dr. Melita Vamberger von den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen Dresden sowie Benno Tietz und Dr. Johannes Penner von der Universität Freiburg konnte erstmals zeigen, dass drei ursprünglich in Nordamerika beheimatete Schildkrötenarten sich in Deutschland in der Natur fortpflanzen – so weit im Norden wie nie zuvor nachgewiesen. Genetische Untersuchungen der Tiere legen nahe, dass dies in den betreffenden Populationen regelmäßig geschieht – die gepanzerten Reptilien haben sich in ihrem neuen Lebensraum in Baden-Württemberg etabliert.
Ein Forschungsteam mit Dr. Melita Vamberger von den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen Dresden sowie Benno Tietz und Dr. Johannes Penner von der Universität Freiburg konnte erstmals zeigen, dass drei ursprünglich in Nordamerika beheimatete Schildkrötenarten sich in Deutschland in der Natur fortpflanzen – so weit im Norden wie nie zuvor nachgewiesen. Genetische Untersuchungen der Tiere legen nahe, dass dies in den betreffenden Populationen von Pseudemys concinna, Graptemys pseudogeographica and Trachemys scripta regelmäßig geschieht – die gepanzerten Reptilien haben sich in ihrem neuen Lebensraum in Baden-Württemberg etabliert. In ihrer nun in der Fachzeitschrift „NeoBiota“ erschienene Studie weisen die Forschenden auf mögliche Gefahren hin, welche die invasiven Schildkröten für bedrohte heimische Arten und Ökosysteme darstellen können, schlagen Präventionsmöglichkeiten vor und fordern Untersuchungen zum konkreten Einfluss der nun heimisch gewordenen Arten.
Invasive Tierarten verursachen weltweit wirtschaftliche Schäden in Milliardenhöhe. Sie sind zu einem großen Anteil mitverantwortlich für das fortschreitende globale Artensterben – und ihre Zahl wächst kontinuierlich. Auch exotische Reptilien geraten in Deutschland regelmäßig in die Natur. Am häufigsten handelt es sich dabei um Tiere, die von ihren Besitzer*innen ausgesetzt werden. Die Nordamerikanische Buchstaben-Schmuckschildkröte (Trachemys scripta) – in den Achtziger- und Neunzigerjahren in großer Zahl als Haustier in die Europäische Union importiert – wurde so weltweit zu einer der meistverbreiteten und schädlichsten invasiven Reptilienarten. 1997 wurde ihr Import von der EU verboten, 2016 auch der Verkauf hier geborener Exemplare untersagt.
Im Tierhandel haben seitdem andere Süßwasser-Schildkrötenarten Trachemys scripta ersetzt und in der Folge ihren Weg auch in heimische Gewässer gefunden. Zwei davon – die Gewöhnliche Schmuckschildkröte (Pseudemys concinna) und die Falsche Landkarten-Höckerschildkröte (Graptemys pseudogeographica) – sowie die Nordamerikanische Buchstaben-Schmuckschildkröte selbst, haben die Wissenschaftler*innen nun in Seen in Freiburg im Breisgau und Kehl, in denen größere Populationen gesichtet wurden, untersucht.
„Wir wollten herausfinden, ob die Schildkrötenarten als invasiv anzusehen sind – also ob sie sich hier selbständig und regelmäßig in der Natur fortpflanzen“, erläutert Dr. Melita Vamberger, Wissenschaftlerin an den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen Dresden und fährt fort: „Für alle drei Arten konnten wir das nun erstmals zeigen: Sie sind in Baden-Württemberg heimisch geworden. Das ist der erste Nachweis erfolgreicher Fortpflanzung nicht-heimischer Schildkrötenarten in Deutschland.“ Die Wissenschaftler*innen untersuchten insgesamt knapp 200 Tiere verschiedenen Alters und führten genetische Analysen durch. „Überraschend ist, dass sich die invasiven Arten so weit im Norden etabliert haben“, so Benno Tietz, Erstautor der Studie, und weiter: „Erfolgreiche Fortpflanzung und sich selbst erhaltende Populationen von Trachemys scripta waren in Europa bisher aus den Mittelmeerregionen und der kontinentalen Klimazone Sloweniens bekannt. Bis vor kurzem ist man davon ausgegangen, dass sich diese Schildkröten in Mitteleuropa insbesondere wegen des kühleren Klimas nicht fortpflanzen können. Gerade die Falsche Landkarten-Höckerschildkröte ist eigentlich eher kälteempfindlich.“
Für einheimische Arten wie die Europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis), die in vielen europäischen Ländern unter Schutz steht und in Deutschland nur noch in Teilen von Brandenburg zu finden ist, könnten die invasiven Artgenossen zum Problem werden. „Im Versuchsaufbau kam es bei Europäischen Sumpfschildkröten, die gemeinsam mit Trachemys scripta gehalten wurden, zu Gewichtsverlust und einer hohen Sterblichkeit“, berichtet Dr. Johannes Penner von der Universität Freiburg und fährt fort: „Die wahrscheinlichste Erklärung ist, dass die größeren gebietsfremden Arten die kleineren einheimischen von den Sonnenplätzen verdrängen, so dass letztere unter einer suboptimalen Thermoregulation leiden. Möglicherweise haben sie auch Vorteile beim Nahrungserwerb.“
Darüber hinaus können Wasserschildkröten als Wirte von Viren und Parasiten eine Rolle bei der Übertragung von Krankheiten spielen. In Gewässern stehen sie am oberen Ende der Nahrungskette und könnten durch ihr nahezu omnivores Fressverhalten auch einen erheblichen und potenziell schädlichen Einfluss auf andere Teile des Ökosystems wie Amphibien, Fische oder Wasserpflanzen haben. Auf der anderen Seite geben die Forschenden in ihrer Studie zu bedenken, dass die nicht-heimischen Arten möglicherweise Ökosystemleistungen in geschädigten Ökosystemen übernehmen könnten, in denen sie andernfalls fehlen.
„Alle diese Fragen müssen dringend weiter erforscht werden“, schließt Vamberger und betont: „Gleichzeitig brauchen wir eine breite Aufklärung der Bevölkerung, damit künftig keine Tiere – egal welcher Art – mehr ausgesetzt werden. Es wäre auch sinnvoll, verpflichtende Schulungen für das Halten bestimmter Tiere nach dem Prinzip des ‚Sachkundenachweises‘ anzubieten. Wir müssen die Menschen darüber aufklären, dass es notwendig ist, gefährdete heimische Arten und ganze Ökosysteme vor den sich immer weiter ausbreitenden invasiven Arten zu schützen!“
Originalpublikation:
Tietz B, Penner J, Vamberger M (2023) Chelonian challenge: three alien species from North America are moving their reproductive boundaries in Central Europe. NeoBiota
https://doi.org/10.3897/neobiota.82.87264

09.02.2023, Julius Kühn-Institut, Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen
Zikaden beim Saugen zuschauen, um Pflanzen zu schützen
Die Insekten können das gefährliche Feuerbakterium auf Reben übertragen. Forschende des JKI analysieren Fraßverhalten, um Risiko für den Weinbau zu ermitteln.
Die Wirkung von Xylella fastidiosa auf den Olivenanbau in Süditalien war verheerend: Millionen von Bäume hat das sogenannte Feuerbakterium in Apulien zerstört. Es blockiert die Wasserleitungsbahnen der befallenen Pflanzen, so dass diese schließlich vertrocknen und absterben. Übertragen wird das Bakterium von Zikaden, die Nährstoffe aus diesen Leitungsbahnen, dem sogenannten Xylem, saugen. Das Problem für die deutsche Landwirtschaft: X. fastidiosa befällt nicht nur Olivenbäume, sondern mehr als 300 weitere Pflanzenarten, darunter auch Weinreben. Und Xylem-saugende Zikaden-Arten gibt es auch hier.
„Alle Xylem-saugenden Zikaden-Arten haben die prinzipielle Fähigkeit, das Bakterium aus dem Pflanzensaft aufzunehmen und zu übertragen“, erklärt Anna Markheiser vom Julius Kühn-Institut (JKI), dem Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen. Ihre Forschungsgruppe mit Partnern aus Italien und Spanien hat einen Standard zur Analyse des Fraßverhaltens von Xylemsaugern mittels Elektropenetographie (Electrical Penetration Graph, EPG) entwickelt und damit den bereits bekannten Vektor an Olive, die Wiesenschaumzikade Philaenus spumarius, sowie potenziell neue Überträger an Weinreben untersucht. Über die EPG-Wellenmuster lässt sich das Saugverhalten der verschiedenen Arten vergleichen – von der Häufigkeit, mit der die Insekten mit ihrem Saugrüssel (Stilett) die Pflanze anstechen, bis zur Intensität des Fraßes im Xylem. Dies ermöglicht einen tieferen Einblick in die Übertragungsbiologie und -ökologie von X. fastidiosa und seinen Vektoren. Die Ergebnisse wurden kürzlich im „Journal of Applied Entomology“ publiziert: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/jen.13098.
Es zeigte sich, dass die in Europa vorkommenden Schaumzikaden und Schmuckzikaden, welche hier zu den am meisten verbreiteten Xylemsaugern zählen, eine unterschiedliche Fraßdynamik an Reben aufweisen. Das legt ein unterschiedliches Übertragungsrisiko des Bakteriums durch diese Gruppen nahe. In Europa wurde bisher nur P. spumarius als Vektor an Rebe bestätigt. Diese Art ist auch in Deutschland weit verbreitet. Allerdings sind hier keine Vorkommen von X. fastidiosa bestätigt. Deutschland gilt somit zurzeit als befallsfrei.
Zikaden übertragen neben X. fastidiosa auch andere Erreger von Pflanzenkrankheiten. Daher wird die Methodik am JKI-Fachinstitut für Pflanzenschutz in Obst- und Weinbau dazu genutzt, die Vektor- Wirtspflanzen-Assoziation von Phloemsaugern zu verstehen. Dazu zählt etwa die Schilf-Glasflügelzikade Pentastiridius leporinus, die das Syndrome Basses Richesses (SBR) an Zuckerrüben und Kartoffeln überträgt.
Elektropenetographie
An Pflanzen saugende Insekten wie Zikaden oder Blattläuse stechen mit ihrem Stilett wie mit einem Strohhalm die Pflanze an, um an Wasser und Nährstoffe zu gelangen. Bei der Elektropenetographie werden die Insekten an einen elektrischen Schaltkreis angeschlossen, der sich schließt, sobald das Stilett den leitfähigen Pflanzensaft erreicht. Bei der Messung des elektrischen Stroms entstehen charakteristische Wellenmuster, die den unterschiedlichen Aktivitäten des Saugvorgangs wie dem Anstechen verschiedener Gewebearten, Abgabe von Speichel oder Schlucken zugeordnet werden können. Da die Insekten dabei Pflanzenkrankheiten übertragen können, wird das Verfahren zur Untersuchung der Interaktion zwischen Wirtspflanze, Vektor und Pathogen eingesetzt.
Originalpublikation:
Markheiser, Anna; Santoiemma, Giacomo; Fereres, Alberto; Kugler, Sanela; Maixner, Michael; Cornara, Daniele (2022): DC-EPG assisted comparison of European spittlebugs and sharpshooters feeding behaviour on grapevine. Journal of Applied Entomology. 1-13. DOI: https://doi.org/10.1111/jen.13098

09.02.2023, Universität Bern
Wie aus Riesen Zwerge wurden
Bei in leeren Schneckenhäusern brütenden Buntbarschen gibt es zwei verschieden grosse Männchentypen: winzige und riesige. Forschende der Universität Bern und der Universität Graz haben nun die Genome der weiblichen und männlichen Buntbarsche analysiert und fanden heraus, wie die Grössen im Zusammenhang mit dem Geschlecht der Fische genetisch festgelegt werden.
Unterschiedliche Körpergrössen zwischen Männchen und Weibchen sind ein weit verbreitetes Phänomen im Tierreich. Ein extremes Beispiel hierfür ist der Schneckenhaus-brütende Buntbarsch Lamprologus callipterus aus dem Tanganjikasee, bei dem die Männchen 12-mal grösser und schwerer sind als die Weibchen. Dies ist sinnvoll, weil die grossen Männchen leere Schneckenhäuser zu Nestern anhäufen, in denen die kleinen Weibchen Schutz finden und ihre Brut aufziehen. Das Besondere bei dieser Art ist jedoch ein zweiter Männchentyp, der sich auf Grund von extremem Zwergwuchs in die Schneckenhäuser der Riesen einschleichen kann, um die Eier der Weibchen zu befruchten. Die kleinen Buntbarschmännchen haben damit eine alternative Strategie entwickelt, um als ungebetene Gäste des Revierbesitzers erfolgreich Nachwuchs zu erzeugen.
Bisher war bekannt, dass aus Zwergmännchen nur Zwergmännchen hervorgehen und aus Riesen nur Riesen, während die von beiden Männchentypen erzeugten Weibchen etwa gleich gross sind. Die Männchengrösse wird also geschlechtsspezifisch vom jeweiligen Vater weitergegeben. Pooja Singh, vormals an der Universität Graz, Michael Taborsky und Catherine Peichel, alle nun am Institut für Ökologie und Evolution (IEE) der Universität Bern, und Christian Sturmbauer von der Universität Graz, fanden heraus, wie alternative Grössen und Geschlecht bei den Buntbarschen genetisch festgelegt werden. Die Studie wurde im Journal Molecular Ecology veröffentlicht.
Genetischer Mechanismus zu einem einzigartigen Reproduktionssystem
Für die Studie analysierte das Team der Universitäten Bern und Graz die Genome von männlichen und weiblichen Buntbarschen von L. callipterus, um den genetischen Mechanismus und Evolutionsweg zu deren einzigartigem Reproduktionssystem mit zwei verschieden grossen Männchentypen zu klären. Sie konnten nun aufklären, wie es kommt, dass beide Männchentypen ihre jeweilige Grösse an die nächste Männchengeneration vererben, ohne die Körpergrösse der weiblichen Nachkommen zu beeinflussen.
«Dafür mussten wir erst die geschlechtsbestimmenden Regionen im Genom dieser Art identifizieren, da diesen Buntbarschen gut unterscheidbare Geschlechtschromosomen, wie sie zum Beispiel der Mensch hat, fehlen», erklärt Pooja Singh, Erstautorin der Studie. Darin sei aber auch der Reiz gelegen, da man so auch den Weg nachzeichnen könne, wie verstreute, geschlechtsbestimmende Gen-Positionen im Chromosom zu einem komplexen zentralen Geschlechtschromosom, wie dem Y-Chromosom des Menschen, evolvieren können, meint Singh.
Die Forschenden fanden im Genom der Buntbarsche eine sehr kleine, Y-artige Region, die sich zwischen Männchen und Weibchen unterschied. «Obwohl die Riesen und Zwerge den gleichen Männlichkeitsfaktor haben, unterscheidet sich diese Region im Detail: Als wir in die Region hineinzoomten, fanden wir dort das Schalter-Gen GHRHR, das schon von Säugetieren her bekannt ist. Es dient als Wachstumshormon-Regulator, und Mutationen davon führen auch beim Menschen und anderen Säugern zu Zwergenwuchs», sagt Co-Autorin Catherine Peichel. Da dieses Zwergen-Gen nun auch bei Fischen nachgewiesen ist, muss es laut dem Forschungsteam mehr als 440 Millionen Jahre alt sein und damit vor die Eroberung des Festlandes durch die Landwirbeltiere zurückreichen. Ein altes Grössen-Gen verknüpft sich im Fall der Buntbarsche also mit einem neu entstehenden Geschlechtschromosom.
Wer kam zuerst: Die Riesen oder die Zwerge?
Die Resultate zeigen, dass ein sexueller Konflikt bezüglich der für die Fortpflanzung wichtigen Körpergrösse die Evolution eines Geschlechtschromosoms begleitet. Die Frage ist nun, welcher der beiden Männchentypen zuerst da war. «Wir vermuten, dass es die Riesen waren, da ja das ganze Reproduktionssystem auf der Fähigkeit des Nestbaus durch die Sammlung und Anhäufung leerer Schneckenhäuser – und deren Verteidigung – basiert. Die Zwerge konnten dann durch eine punktuelle Mutation des Schalter-Gens entstehen und sich durch ihre parasitische Fortpflanzungstaktik erfolgreich etablieren», sagt Co-Autor Michael Taborsky.
Originalpublikation:
Pooja Singh, Michael Taborsky, Catherine L. Peichel, Christian Sturmbauer
(2023). “Genomic basis of Y-linked dwarfism in cichlids pursuing alternative reproductive tactics” Molecular Ecology, February 09. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/mec.16839
DOI: 10.1111/mec.16839

09.02.2023, Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig
Wie konnte der Mensch ein so großes Gehirn entwickeln?
In Jäger- und Sammlergesellschaften bilden bereits Kinder geschlechtsspezifische Fähigkeiten zur Nahrungssuche aus, um besondere Nahrung verfügbar zu machen. Diese Errungenschaft sowie das Teilen von Nahrung könnte es der menschlichen Spezies ermöglicht haben, ein wesentlich größeres Gehirn zu entwickeln als unsere nächsten lebenden Verwandten. Eine stabilere Energie- und Nährstoffversorgung könnte eine größere Investition in das Gehirn ermöglicht haben. Die Studie wurde in der Zeitschrift Frontiers in Ecology and Evolution veröffentlicht.
Die Gehirne von Menschen sind dreimal so groß wie die anderer Primatenarten. Es wird angenommen, dass eine vielfältige, hochwertige Ernährung und eine lange Kindheit mit ausreichend Zeit zum Erlernen komplexer Fähigkeiten zum Nahrungserwerb wichtige evolutionäre Faktoren für unsere großen Gehirne sind. Im Gegensatz zu anderen Primaten zeichnet sich die menschliche Ernährung durch eine große Vielfalt an hochwertigen und schwer zu beschaffenden Nahrungsmitteln aus, wie etwa Fleisch, Fisch und Raupen sowie unterirdische Knollen oder viele Arten von Nüssen. Um diese zu sammeln zu können, bedarf es komplexer Fähigkeiten zur Nahrungssuche, die vermutlich schon im frühen Alter entwickelt werden.
Um besser zu verstehen, wie der Mensch diese Fähigkeiten erlernt, begleitete das internationale Forscherteam ein Jahr lang 27 Kinder einer modernen Sammlergesellschaft in der Republik Kongo. Die BaYaka beginnen bereits im Alter von fünf Jahren mit der selbstständigen Nahrungssuche in Gruppen von Gleichaltrigen. Die Forschenden untersuchten die Methoden der Kinder bei der Nahrungssuche, die Zusammensetzung ihrer Nahrung und ihr Wissen über die Pflanzenwelt auf ihren täglichen Ausflügen. Neben der Beobachtung des Verhaltens führten sie auch Nährwertanalysen der gesammelten Nahrung durch. Zu diesem Zweck arbeiteten die Forscher interdisziplinär mit einem Botaniker und kognitiven Verhaltensökologen der Universitäten Leiden und Amsterdam, chemischen Ökologen des iDiv, der Universität Jena und des UFZ, Anthropologen des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und Ernährungsökologen des Charles Perkins Centre der Universität Sydney zusammen. Die Feldarbeit ergab einen einzigartigen Datensatz mit 798 Stunden Beobachtung.
Die BaYaka-Kinder verbrachten ein Drittel ihrer Zeit mit der Suche und Beschaffung von Nahrung. Die Hälfte davon suchten sie unabhängig von Erwachsenen und zeigten ein hohes Maß an Selbstständigkeit. „Ich war beeindruckt, wie geschickt die Kinder schon in einem sehr jungen Alter waren“, sagt Jorin Veen, Erstautor der Studie, der diese Untersuchung im Rahmen seiner Masterarbeit an der UvA durchgeführt hat. „Der Großteil der Nahrung waren Fallfrüchte, Samen und Knollen, aber die Kinder kletterten auch auf 40 Meter hohe Bäume, um Honig oder Früchte zu sammeln, was mitunter sehr riskant sein kann.“
Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen
Die Ergebnisse zeigten eine früh einsetzende Spezialisierung bei der Nahrungssuche. Gruppen mit mehr Jungen ernährten sich eher von Früchten und Samen, was oft riskante Kletterkünste erfordert, während Gruppen mit mehr Mädchen eher Knollen sammelten. „Die Knollen zu sammeln erfordert außergewöhnliche Grabungsfähigkeiten, da die Liane, die zu den unterirdischen Knollen führt, nicht leicht zu erkennen und zu verfolgen ist“, erklärt Prof. Karline Janmaat, Betreuerin der Erstautorin und Forscherin am Institut für Biodiversität und Ökosystemdynamik der UvA. „Diese frühe geschlechtsspezifische Spezialisierung der Fähigkeiten zur Nahrungssuche in Verbindung mit dem hohen Grad an Nahrungsaustausch in Jäger- und Sammlergesellschaften ermöglicht der menschlichen Spezies wahrscheinlich eine stabilere Energie- und Nährstoffversorgung – und die könnte es uns letztlich ermöglicht haben, uns ein wesentlich größeres Gehirn zu leisten als andre Primaten.“
„Unsere Analysen ergaben, dass vor allem die Früchte, die 40 Prozent der Ernährung der Kinder ausmachten, im Vergleich zu anderen pflanzlichen Nahrungsmitteln mehr Zucker, vor allem Glukose und Fruktose, enthielten“, sagt Mitautorin Prof. Nicole van Dam. „Kein Wunder, dass sie sich so sehr bemühten, sie zu beschaffen.“ Van Dam, die die chemischen Analysen betreute, war bis Oktober 2022 Leiterin der Arbeitsgruppe Molekulare Interaktionsökologie am iDiv. Danach übernahm sie die Leitung des Leibniz-Instituts für Gemüse- und Zierpflanzenbau (IGZ) in Großbeeren und hält gleichzeitig ihre Professur an der Universität Jena.
Originalpublikation:
Jorin Veen, Haneul Jang, David Raubenheimer, Bryndan O.C.M. van Pinxteren, Vidrige Kandza, Patrick G. Meirmans, Nicole M. van Dam, Susanne Dunker, Petra Hoffmann, Anja Worrich, Karline R.L. Janmaat (2023) Development of embodied capital: diet composition, foraging skills, and botanical knowledge of forager children in the Congo Basin”, Frontiers in Ecology and Evolution. DOI: 10.3389/fevo.2023.935987

10.02.2023, Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig
Wie verändert sich die biologische Vielfalt weltweit? Genaue Trends zu erkennen ist derzeit kaum möglich
Die verfügbaren Monitoringdaten sind wohl zu unpräzise, um verlässliche globale Durchschnittswerte aus den Trends der lokalen Artenvielfalt errechnen zu können. Zu diesem Schluss kommt ein internationales Forschungsteam unter Leitung des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU). Die Forschenden empfehlen, den Wandel der biologischen Vielfalt vorrangig auf lokaler und regionaler Ebene zu bewerten statt diesen global darzustellen. Sie raten zu standardisierten Monitoringprogrammen, ergänzt durch Modelle, die Messfehler und räumliche Ungenauigkeiten berücksichtigen. Die Studie wurde in Ecography veröffentlicht.
Der weltweite Verlust der biologischen Vielfalt gilt als eine der dringendsten Herausforderungen für kommende Generationen. Auf der Weltbiodiversitätskonferenz COP15 im Dezember letzten Jahres haben die Mitgliedsstaaten des UN-Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CBD) neue Ziele und Regeln verabschiedet, um diesen Rückgang zu bremsen und umzukehren. Um die Erfolge dieses neuen Abkommens messen zu können, bedarf es eines verbesserten Monitorings der biologischen Vielfalt, das die globalen Trends erfassen und bewerten soll.
Es gibt zwar viele verschiedene Kenngrößen, um die biologische Vielfalt zu messen. Die gängigste ist jedoch der Artenreichtum auf lokaler Ebene. Doch während der Verlust von Arten auf globaler Ebene alarmierende Ausmaße annimmt, entspricht dies nicht immer dem, was auf lokaler Ebene geschieht.
„In der wissenschaftlichen Gemeinschaft wurde heftig darüber diskutiert, warum die großen globalen Gesamtstudien bisher keine negativen Trends beim lokalen Artenreichtum festgestellt haben“, erklärt Prof. Henrique Pereira, Leiter der Forschungsgruppe Biodiversität und Naturschutz am iDiv und an der MLU und Letztautor der Studie. „Wir zeigen, dass der Rückgang der lokalen Artenvielfalt wahrscheinlich viel geringer ist als von vielen angenommen und dass unter diesen Bedingungen selbst geringe räumliche Abweichungen und Fehler beim Monitoring dazu führen, dass globale Trends nicht erkannt werden.“
Aktuelle Datenlage zu mangelhaft zur Errechnung eines präzisen globalen Bildes
Um ein globales Bild von den Vorgängen auf lokaler Ebene zu erhalten, müssen alle verfügbaren lokalen Beobachtungsdaten zusammengetragen und über die Zeit hinweg ausgewertet werden. „Das Problem mit den Daten ist, dass diese von ganz verschiedenen Personen und Organisationen unter völlig unterschiedlichen Bedingungen und meist nicht nach standardisierten Regeln erfasst wurden und werden“, sagt Erstautor Dr. Jose Valdez, Postdoktorand am iDiv und an der MLU. „Führt man sie dann zusammen, addieren sich die Fehler und Abweichungen und machen das Ergebnis sehr ungenau.“
Die Forscher beschreiben in ihrer Publikation, wie zahlreiche Faktoren, etwa die Zeitabstände zwischen den Probenahmen, die Größe der Probeflächen oder kleine Fehler bei der Zählung der Arten an einem Standort, die Monitoringresultate beeinflussen. Ein weiteres Problem ist die räumliche Unausgewogenheit der Monitoringdaten. So werden die meisten Daten in Europa und den Vereinigten Staaten erhoben, und dort vorwiegend in Lebensräumen wie gemäßigten Laub- und Mischwäldern. Tropische Regionen und Lebensräume, die die höchste Artenvielfalt und größten Verluste verzeichnen, sind in den Datenbanken völlig unterrepräsentiert.
Um herauszufinden, ob und wie diese Ungenauigkeiten kompensiert werden können, simulierten die Forschenden in Modellen Tausende von Monitoringnetzwerke, die in den oben genannten Faktoren variierten. Die Grundlage dafür bildete ein Modell mit Daten aus der PREDICTS-Datenbank, die Daten aus über 32.000 Standorten und über 51.000 Arten vereint und die voraussichtliche Entwicklung der Populationen bei der jeweils lokal vorherrschenden Landnutzung über Jahrzehnte berechnet.
Die Forschenden konnten zeigen, dass es theoretisch möglich wäre, globale Veränderungen der biologischen Vielfalt innerhalb eines Jahrzehnts zu indentifizieren, wenn man Hunderte von Standorten perfekt beprobte, oder sogar innerhalb von drei Jahren bei Tausenden von Standorten.
Veränderungen des Artenreichtums auf globaler Ebene nur mit Beprobung unrealistisch vieler Standorte nachweisbar
In der Realität gibt es jedoch keine perfekten Probenahmen. Studien zeigen, dass lokale Monitoringdaten in der Regel zu 10 % bis 30 % fehlerhaft sind, meist aufgrund fehlender oder falsch identifizierter Arten. So stellte sich auch heraus, dass sich die Möglichkeit, globale Veränderungen erkennen zu können, schon drastisch verringerte, wenn man nur sehr kleine Messfehler von bis zu 5 % hinzufügte. Bei realistischeren Fehlerquoten und weiteren Ungenauigkeitsfaktoren dürfte die Feststellung des durchschnittlichen globalen Trends schlicht unmöglich sein.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass präzise globale Aussagen zu Trends der lokalen Artenvielfalt die perfekte Beprobung einer unvorstellbar großen Anzahl von Probeorten erfordern würde“, fügt Valdez hinzu. „Es stellt sich jedoch die Frage, ob dies für einen wirksamen und zeitnahen Schutz der biologischen Vielfalt überhaupt nützlich oder sinnvoll wäre. Naturschutzstrategien und -maßnahmen werden nicht auf globaler Ebene, sondern auf lokaler und nationaler Ebene koordiniert und umgesetzt. Die Messung von Trends bei der biologischen Vielfalt auf diesen kleineren Skalen ist nicht nur praktischer, sondern hilft auch dabei, die Ursachen für den Verlust der biologischen Vielfalt zu verstehen und die Fortschritte der Erhaltungsmaßnahmen zu bewerten.“
„Biodiversitätsmonitorings sollten deutlich ausgeweitet und mit Modellen ergänzt werden, um Datenlücken zu schließen“, sagt Henrique Pereira. Die Autorinnen und Autoren raten dazu, ein repräsentatives Netz von Probenahmestellen in der ganzen Welt zu etablieren, das unabhängige, integrierte und regelmäßig aktualisierte Daten zur biologischen Vielfalt liefert. Ein solcher Ansatz wird derzeit für die Europäische Union im Rahmen des Projekts EuropaBON entwickelt.
Diese Forschung wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG; FZT-118) und dem Horizon 2020 Forschungs- und Innovationsprogramm der Europäischen Union, dem EuropaBON-Projekt, gefördert.
Originalpublikation:
Valdez, J., Callaghan, C.T., Junker, J., Andy Purvis, Samantha L.L. Hill, Pereira, H. M. (2022): The undetectability of global biodiversity trends using local species richness. Ecography, DOI: 10.1111/ecog.06604

10.02.2023, Georg-August-Universität Göttingen
Ökologie und Naturschutz im globalen Süden
Die Tropen beherbergen den größten Teil der biologischen Vielfalt der Erde. Um dieses wertvolle Gut zu erhalten, müssen sich viele Menschen vor Ort engagieren und gut informiert sein. Die Tropenökologie und die Naturschutzwissenschaften sind jedoch noch häufig von kolonialistischen und diskriminierenden Praktiken geprägt, die den Erfolg des Naturschutzes beeinträchtigen können.
Ein internationales Team führender Universitäten in der Tropenforschung, darunter die Universität Göttingen, hat nun vorgeschlagen, wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Globalen Südens, der häufig aus historisch durch den Kolonialismus geschädigten Nationen besteht, Lösungen für eine nachhaltige Entwicklung besser fördern können. Ihr Positionspapier ist in der Zeitschrift Perspectives in Ecology and Conservation erschienen.
Das Team von Forschenden aus mehr als zwölf Ländern – aus Südamerika, Afrika, Asien, Europa und Nordamerika – hat Erfahrungen aus der internationalen Zusammenarbeit im Bereich der terrestrischen und marinen Tropenökologie, des Naturschutzes sowie der Diskussion in Initiativen zur Förderung der Diversifizierung wissenschaftlicher Fachgesellschaften zusammengetragen. Sie schlagen zehn Maßnahmen für Forschende aus dem Globalen Süden vor, um Verbesserungen in den Bereichen Vielfalt, Gleichberechtigung und Integration zu fördern. Dazu gehören Maßnahmen auf institutioneller, nationaler und internationaler Ebene, um zu erreichen, dass Forschungsteams im globalen Süden integrativer und vielfältiger werden und gut auf internationale Kooperationen auf Augenhöhe vorbereitet sind.
Die Autorinnen und Autoren sind der Meinung, dass die gegenwärtigen Forschungsverbünde in der Tropenforschung die große Vielfalt der Menschen und Perspektiven in den tropischen Regionen oft nicht vollständig berücksichtigen, was die Umsetzung wissenschaftlicher Praktiken behindert. Sie sind sich jedoch auch der hohen Anfangskosten bewusst, mit denen die Einführung von Systemen für eine gerechte Beteiligung verbunden ist. „Diese Maßnahmen erfordern von uns allen viel Arbeit und Selbstreflexion über unsere Handlungen und Einstellungen. Aber wir sind zuversichtlich, dass die Vorteile beträchtlich sind, sowohl für die Qualität der Wissenschaft, die wir betreiben, als auch für den Schutz tropischer Ökosysteme“, sagt die Erstautorin und Postdoktorandin Carolina Ocampo-Ariza aus der Abteilung Agrarökologie an der Universität Göttingen.
Erfolgreiche Naturschutzmaßnahmen hängen von der Beteiligung möglichst aller lokaler Interessengruppen ab, einschließlich der lokalen Regierungen und Gemeinden in ländlichen Gebieten. „Wir hoffen, dass wir die Menschen, die unmittelbar die tropische Biodiversität erleben, zu mehr Führungsstärke ermutigen können“, sagt Prof. Dr. Teja Tscharntke, Leiter der Abteilung Agrarökologie der Universität Göttingen. Dazu gehört, dass Forschende im Globalen Süden ihre Forschungsprojekte öffentlichkeitswirksamer darstellen, Forschungsziele gemeinsam mit lokalen Interessengruppen wie den indigenen Gemeinschaften und lokalen Bauern entwickeln und eine führende Rolle in internationalen Forschungsteams übernehmen.
„Die laufenden internationalen Diskussionen über Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion werden uns hoffentlich helfen, nachhaltigere und fairere Kooperationen in der Forschung zu etablieren“, ergänzt Co-Autorin Isabelle Arimond, Abteilung Funktionelle Agrobiodiversität der Universität Göttingen.
Originalpublikation:
Carolina Ocampo-Ariza et al. Global South leadership towards inclusive tropical ecology and conservation. Perspectives in Ecology and Conservation. Doi: 10.1016/j.pecon.2023.01.002. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2530064423000020?via%3Dihub

10.02.2023, Deutsche Wildtier Stiftung
Was machen Wildtiere am Valentinstag?
Sie lernen sich kennen, denn im Februar ist für viele Tiere Paarungszeit
Auch wenn es für Wildtiere am Valentinstag keine roten Rosen regnet, so sind einige von ihnen im Februar doch intensiv um das andere Geschlecht bemüht. Für Stockenten, Erdkröten, Rebhühner oder Füchse ist jetzt Paarungszeit. Wer beim Spaziergang Augen und Ohren aufhält, kann daher das eine oder andere Date beobachten.
„Im Wald, am Feldrand oder auch im Park ist im Februar mit Glück das heisere Gebell eines paarungsbereiten Fuchses zu hören“, sagt Jenifer Calvi, Pressereferentin der Deutschen Wildtier Stiftung. Sein „kaw, kaw, kaw“ in der sogenannten Ranzzeit erinnert an das Kläffen eines Hundes – der Rotfuchs (Vulpes vulpes) gehört zur Familie der Hundeartigen. Der sonst eher dämmerungsaktive Fuchs ist nun häufig auch tagsüber unterwegs, um ein Weibchen aufzuspüren. Mit einem Sekret aus einer Drüse nahe der Schwanzwurzel locken die weiblichen Tiere, Fähen genannt, die Rüden an. Für sie duftet das Sekret unwiderstehlich – wir nehmen es als Ammoniakgeruch wahr.
Auch Rebhähne sind im Februar auf der Suche nach der richtigen Partnerin. In der Dämmerung – denn da sind sie vor Greifvogelangriffen aus der Luft einigermaßen sicher – kämpfen sie auf dem Acker oder im Brachland um die Gunst einer Henne. Perdix perdix muss sich dabei von seiner stärksten Seite zeigen und zunächst wild flatternd und mit flinken Schnabelhieben seine Konkurrenten vertreiben. Ist ihm dies geglückt, wird er plötzlich lammfromm. Dann steht er mit geöffnetem Schnabel und gesträubtem Bürzel vor seiner Umworbenen und setzt zu seinem Balzgesang an. Sein leises „Gru“ richtet er nur an die eine. Hat die Henne Interesse an dem werbenden Hahn, schaut sie ihm intensiv ins Gesicht – und die Paarung kann beginnen.
Nicht ganz so feinfühlig, aber genauso entschlossen, handelt das Erdkrötenmännchen. Sobald es nachts nicht mehr kälter als fünf Grad ist, geht Bufo bufo bei feuchter Witterung auf Brautschau. Nähert sich im Gras ein Weibchen, hüpft das wesentlich kleinere Männchen auf seinen Rücken und umklammert es fest mit seinen muskulösen Beinen. Auch Dank der sogenannten Brunftschwielen an den Innenseiten des zweiten und dritten Fingers bietet sein Klammergriff kein Entrinnen. Dann geht es huckepack zum Laichgewässer. Und da es weniger Weibchen als Männchen gibt, kann es passieren, dass eine Kröte mehrere Männchen zum Laichgewässer tragen muss, wo es dann lange Laichschnüre absetzt, die von dem oder den Männchen befruchtet werden.
Ebenfalls sportlich geht es zu, wenn Feldhasen (Lepus europaeus) sich auf dem Feld kennenlernen. „Bevor es zur Verpaarung kommt, boxen Häsin und Hase gegeneinander. Dabei stellen sie sich auf die Hinterbeine und trommeln mit den Vorderpfoten stakkatoartig aufeinander ein“, erklärt Calvi. Zwischendurch unterbrechen die beiden ihren Boxkampf und es kommt zu wilden Verfolgungsjagden. Die Häsin testet auf diese Weise die Stärke ihres potenziellen Partners. Im Boxring lernt sie viele Hasen kennen – und so hat ihr Nachwuchs aus einem Wurf manchmal mehrere Väter.
Für die Stockenten (Anas platyrhynchos) ist der Februar der letzte Monat der Balzzeit. Sie sind bereits seit Oktober des vorangegangenen Jahres in der sogenannten Verlobungszeit. Jetzt ziehen die Erpel in ihrem Prachtkleid die Aufmerksamkeit der Enten auf sich – nicht zu übersehen dabei: die schmucke Erpellocke in der Mitte der Schwanzfedern. Manchmal veranstalten Erpel und Ente regelrecht kleine Verfolgungsjagden, indem sie über den Weiher jagen. Durch gegenseitiges Kopfnicken signalisieren beide Interesse aneinander. Und auch Musik gibt es im Ententeich. Dafür taucht der Erpel seinen Schnabel unter die Wasseroberfläche, um ihn sogleich wieder hochzureißen und einen grunzenden Balzpfiff und ein energisches „räb-räb“ auszustoßen. Schwimmt der Erpel im Halbkreis dann noch um das Weibchen herum, hat er seine Verlobte gefunden und im April gibt es Küken-Nachwuchs.

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