Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

09.12.2022, Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft
Großer Schritt in Richtung Nashorn-Keimzelle
Um das Nördliche Breitmaulnashorn vor dem Aussterben zu retten, will das BioRescue-Konsortium Eizellen und Spermien der Tiere im Labor erzeugen. In „Science Advances“ berichtet das Team über einen Meilenstein: Erstmals ist es gelungen, die Vorläufer der Keimzellen aus Stammzellen zu generieren.
Die 33-jährige Najin und ihre elf Jahre jüngere Tochter Fatu sind die letzten Nördlichen Breitmaulnashörner auf diesem Planeten. Gemeinsam leben die beiden Weibchen in einem Reservat in Kenia. Die größte Nashorn-Art gilt als nicht mehr überlebensfähig – zumindest nicht aus eigener Kraft. Es gebe jedoch Grund zur Hoffnung, berichtet ein internationales Team im Fachblatt „Science Advances“. Die Forschenden haben erstmals sowohl aus embryonalen Stammzellen als auch aus induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen) primordiale Keimzellen – die Vorstufen von Eizellen und Spermien – gezüchtet.
Es ist ein Meilenstein für einen ehrgeizigen Plan: In dem seit 2019 vom BMBF geförderten und am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) koordinierten Projekt „BioRescue“ versuchen die Forschenden, unter anderem aus den Hautzellen verstorbener Nashörner Spermien und Eizellen zu generieren. Leihmütter des nah verwandten Südlichen Breitmaulnashorns, so die Idee, werden die daraus entstehenden Embryonen austragen. Modernste Reproduktions- und Stammzelltechnologien sollen die Art, die der Mensch durch Wilderei de facto ausgerottet hat, doch noch retten.
Erster Erfolg bei einer bedrohten Art
Von einem Stück Haut zum lebenden Nashorn zu gelangen, ist allerdings wahre Zellingenieurskunst. Zwar gibt es Vorbilder: Das Labor von Letztautor Professor Katsuhiko Hayashi von der Osaka University und der Kyushu University in Fukuoka, Japan, hat es bereits bei Mäusen geschafft. Doch die einzelnen Schritte sind für jede Art Neuland. Beim Nördlichen Breitmaulnashorn arbeitet Hayashi dafür eng mit der Technologieplattform „Pluripotente Stammzellen“ am Berliner Max Delbrück Center von Dr. Sebastian Diecke und dem Reproduktionsexperten Professor Thomas Hildebrandt vom Leibniz-IZW zusammen. Beide sind ebenfalls Letztautoren der aktuellen Studie.
„Es ist das erste Mal, dass primordiale Keimzellen einer großen und zugleich bedrohten Säugetierart aus Stammzellen generiert werden konnten“, sagt der japanische Erstautor der Studie, Masafumi Hayashi von der Osaka University. Bislang war das nur bei Nagetieren und Primaten gelungen. Anders als bei Nagetieren identifizierten die Forschenden bei den Nashörnern das Gen SOX17 als einen Schlüssel für die Entstehung der Vorläuferzellen. Das Gen spielt auch bei der menschlichen Keimzellentwicklung – und somit womöglich bei vielen Säugetierarten – eine wesentliche Rolle.
Die in Japan verwendeten embryonalen Stammzellen vom Südlichen Breitmaulnashorn stammen aus dem Labor von Avantea im italienischen Cremona, wo sie das Team von Professor Cesare Galli erstmals gezüchtet hat. Die jetzt verfügbaren primordialen Keimzellen des Nördlichen Breitmaulnashorns sind aus den Hautzellen von Fatus Tante Nabire entstanden. Nabire war 2015 im tschechischen Safari Park Dvůr Králové verstorben, am Max Delbrück Center hatte das Team um Diecke ihre Zellen in iPS-Zellen umgewandelt.
Die Zellen müssen zunächst reifen
Mithilfe der Stammzell-Techniken aus dem Labor von Katsuhiko Hayashi wolle man auch andere gefährdete Nashorn-Spezies retten, erläutert Masafumi Hayashi: „Es gibt fünf Nashorn-Arten und fast alle werden in der Roten Liste der IUCN als bedrohte Arten eingestuft.“ Vom Südlichen Breitmaulnashorn, von dem es weltweit noch etwa 20.000 Exemplare gibt, hat das internationale Team ebenfalls primordiale Keimzellen aus Stammzellen gezüchtet. Zudem konnten die Forschenden bei beiden Nashorn-Arten auf der Oberfläche der Vorläuferzellen zwei charakteristische Moleküle, CD9 und ITGA6, identifizieren. „Diese Marker werden uns künftig dabei helfen, in einer Gruppe pluripotenter Stammzellen die schon entstandenen primordialen Keimzellen aufzuspüren und zu isolieren“, sagt Hayashi.
Nun stehen die Forschenden von BioRescue vor der nächsten schwierigen Aufgabe: Die primordialen Keimzellen müssen im Labor zu funktionstüchtigen Eizellen und Spermien heranreifen. „Die Vorläuferzellen sind im Vergleich zu Eizellen relativ klein und haben vor allem noch einen doppelten Chromosomensatz“, erläutert Dr. Vera Zywitza aus Dieckes Arbeitsgruppe, die an der aktuellen Studie beteiligt war. „Wir müssen also geeignete Bedingungen finden, unter denen die Zellen wachsen und ihren Chromosomensatz halbieren.“
Genetische Varianz für den Arterhalt
Der IZW-Forscher Hildebrandt verfolgt noch einen ergänzenden Ansatz. Er will von der 22-jährigen Fatu Eizellen gewinnen, um sie im Labor des Italieners Galli nach der ICSI-Methode, also der Intracytoplasmatischen Spermieninjektion, mit aufgetauten Spermien zu befruchten. Von vier verstorbenen Bullen des Nördlichen Breitmaulnashorns existiert tiefgefrorenes Sperma. Austragen könnte Fatu ihren im Labor erzeugten Nachwuchs allerdings nicht. „Sie hat Probleme an der Achillessehne und kann daher kein zusätzliches Gewicht mehr tragen“, erklärt Hildebrandt. Ihre Mutter Najin wäre für Nachwuchs ohnehin zu alt. Zudem leidet die betagte Nashorn-Dame an Tumoren der Eierstöcke. „Aber da wir nur noch eine Spenderin für natürliche Eizellen haben, wäre die genetische Varianz für den Artenerhalt auf jeden Fall zu klein.“
Die jetzt vorliegenden primordialen Keimzellen in Eizellen zu verwandeln, hat für das Team somit oberste Priorität. „Bei der Maus war für diesen entscheidenden Schritt die Anwesenheit von Eierstockgewebe wichtig. Da wir dieses Gewebe den beiden Nashorn-Weibchen nicht einfach so entnehmen können, müssen wir es vermutlich ebenfalls aus Stammzellen züchten“, ergänzt Zywitza. Möglicherweise könne jedoch Eierstockgewebe von Pferden dienlich sein, hofft die Forscherin. Denn Pferde zählen aus evolutionärer Sicht zu den engsten Nachbarn der Nashörner. Um sie hat sich der Mensch in der Vergangenheit allerdings sehr viel besser gekümmert als um die wildlebenden und daher jetzt bedrohten Verwandten.
Weitere Zitate
Katsuhiko Hayashi, Osaka University:
„Die genaue Orchestrierung, wann Zellen welche Signale brauchen, um sich wie gewünscht zu entwickeln, ist für jede Art anders. Diese Entwicklung in der Zellkultur nachzustellen, ist eine extrem große Herausforderung. Wir mussten außerdem bestätigen, dass die künstlich erzeugten Vorläufer der Keimzellen genetisch identisch sind mit den Zellen, aus denen sie entstanden sind. Auch das kann kompliziert sein.“
Jan Stejskal, Safari Park Dvůr Králové:
„Wir sind begeistert, dass die BioRescue-Forscher*innen diesen Meilenstein erreicht haben. So ist Nabire, die 2015 in Dvůr Králové verstorben ist, weiter an der Rettung ihrer Art beteiligt. Sie hat leider im Laufe ihres Lebens keine Jungen geboren. Aber mit den jüngsten Erfolgen der Stammzelltechnologien ist es dennoch möglich, dass irgendwann in der Zukunft ein direkter Nachkomme von Nabire geboren wird und eine wichtige Rolle dabei spielt, wieder Nördliche Breitmaulnashörner in Zentralafrika anzusiedeln.“
Thomas Hildebrandt, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW):
„Es war von Anfang klar, dass wir das Nördliche Breitmaulnashorn nicht langfristig vor dem Aussterben retten können, wenn wir für die künstliche Befruchtung nur auf natürlich Keimzellen zurückgreifen. Eine ergänzende Strategie, um Keimzellen mit deutlich höherer genetischer Vielfalt und in größerer Zahl zu gewinnen, ist von entscheidender Bedeutung. Künstliche Keimzellen können es uns sogar ermöglichen, Embryonen zu erzeugen, die Nachkommen von Najin sind. Das war mit ihren natürlichen Keimzellen nicht mehr machbar. Es ist ermutigend, dass die Stammzellspezialisten in unserem Konsortium, also die Expertinnen und Experten von der Universität Osaka und vom Max Delbrück Center, jetzt einen wichtigen Schritt auf diesem Weg gemacht haben. Hier geht es nicht um ein Entweder-oder: Wir brauchen sowohl natürliche als auch künstliche Keimzellen, diese Wege kreuzen sich und sie verschmelzen, wenn über die In-vitro-Fertilisation Embryonen entstehen.“
Cesare Galli, Avantea:
„Von den ersten Embryonen von Südlichen Breitmaulnashörnern, die wir erzeugen konnten, konnte Dr. Giovanna Lazzari aus unserem Labor 2018 embryonale Stammzellen (ES-Zellen) gewinnen. Das hat sich als entscheidend für den Erfolg von Professor Hayashis Team erwiesen, da die ES-Zellen schon lange erforscht und differenziert werden und eine Vorlage für die induzierten pluripotenten Stammzellen lieferten.“
Originalpublikation:
Masafumi Hayashi et al. (2022): „Robust induction of primordial germ cells of white rhinoceros on the brink of extinction“. Science Advances, DOI: 10.1126/sciadv.abp9683

13.12.2022, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Abnutzungsspuren auf den Zähnen von Dinosauriern geben Hinweise auf deren Ernährung
Vergleich mikroskopischer Zahnoberflächentexturen von Allosaurus und Tyrannosaurus zeigt keinen Unterschied in der Aufnahme von abrasiven Knochen mit der Nahrung
Die Forschung befasst sich seit Langem mit der Frage, wie sich die Dinosaurier genau ernährt haben, und verwendet immer feinere Techniken, um darauf Antworten zu finden. Zum ersten Mal wurde nun ein Verfahren zur Mikrotexturanalyse von Zähnen eingesetzt, um die Ernährungsweise von großen fleischfressenden Theropoden, darunter Allosaurus und Tyrannosaurus rex, zu untersuchen. Mit dem mikroskopischen Verfahren kann aus den kleinsten Abnutzungsspuren ein 3-D-Oberflächenmodell des Zahnschmelzes erstellt werden, das Rückschlüsse auf eine Ernährung mit entweder eher weicher oder eher harter Nahrung liefert. Entgegen den Erwartungen fanden die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zwischen Allosaurus und Tyrannosaurus keine Unterschiede in der Intensität, mit der Knochen gefressen und mit den Zähnen zerkleinert wurden. Allerdings zeigten sich Unterschiede zwischen Jungtieren und Erwachsenen. Die Studie wurde an der Universität Tokio in Zusammenarbeit mit dem Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB), Hamburg und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) erstellt und in dem Fachmagazin Palaeontology veröffentlicht.
DMTA zeigt Zahnoberflächenrelief ähnlich wie eine topografische Karte
Die Theropoden waren vorwiegend Fleischfresser und standen im Erdmittelalter an der Spitze der Nahrungspyramide, bis sie zum Ende der Kreidezeit vor 66 Millionen Jahren ausgestorben sind. Um ihre Ernährung zu untersuchen und Unterschiede im Fressverhalten zu ermitteln, werden in der Regel gut erhaltene Schädel benötigt. Die Analyse der Mikroabnutzungstextur von Zähnen, kurz DMTA vom englischen Begriff „Dental Microwear Texture Analysis“, wurde nun erstmals zur Untersuchung einzelner Theropoden-Zähne eingesetzt, die viel häufiger als Fossilien erhalten geblieben sind als komplette Schädel. Damit kann die Zahnoberfläche wie auf einer Geländekarte als dreidimensionales Höhenmodell abgebildet werden. Aus der Rauheit, Tiefe und Komplexität der Abnutzungsspuren wird geschlossen, ob harte Materialien in größerem Umfang mit der Nahrung aufgenommen wurden. In diesem Fall können es nur Knochen gewesen sein.
„Zahnoberflächen sind ein Archiv des Ernährungsverhaltens und der Lebensraumnutzung“, erklärt Prof. Dr. Thomas Kaiser vom LIB in Hamburg, wo die Messungen durchgeführt wurden. Die Forschenden am LIB können auf eine weltweit einzigartige Vergleichsdatenbank zugreifen. Dies erlaubt auch Vergleiche zwischen Dinosauriern und Säugetieren. „Wir haben hier eine universelle Lebensraumschnittstelle erschlossen, die gewissermaßen die Zeitreise ins Erdmittelalter ermöglicht.“ Denn Mikroabnutzungstexturen bleiben, wie die Zähne der Wirbeltiere auch, über Jahrmillionen fast im Originalzustand erhalten.
„Wir wollten testen, ob wir mittels der DMTA-Hinweise auf ein unterschiedliches Ernährungsverhalten bei Tyrannosauriden und Allosaurus finden können. Die Tyrannosauriden haben in der Kreidezeit vor 145 bis 66 Millionen Jahren gelebt, der ältere Allosaurus in der Jurazeit vor 201 bis 145 Millionen Jahren“, sagt die Erstautorin Dr. Daniela Winkler zum Ziel der Studie.
Das Zusammenspiel von Zahnnutzung, Schädelform und Beißkräften gibt wiederum Hinweise, wie diese Räuber ihre Beute erlegt und aufgenommen haben. Bei Tyrannosaurus wurde vermutet, dass vergleichsweise viele Knochen mitgefressen wurden und sich das Zerbeißen von harten Knochen mithilfe der DMTA in Form von raueren und komplexeren Oberflächentexturen zeigen lässt. „Unsere Daten legen jedoch nahe, dass sich die beiden Theropoden, Allosaurus und Tyrannosaurus, nicht so sehr unterscheiden, wie man vielleicht erwartet hätte“, fasst der Mainzer Paläontologe Prof. Dr. Thomas Tütken die Ergebnisse zusammen. Die Studien wurden von Daniela Winkler in der Arbeitsgruppe von Tütken am Institut für Geowissenschaften der JGU begonnen und nun an der Graduate School of Frontier Sciences der Universität Tokio abgeschlossen.
Zähne von jungen räuberischen Dinosauriern weisen stärkere Abnutzung auf als die von Erwachsenen
Insgesamt untersuchte das Team 48 Zähne, 34 von Dinosauriern und zum Vergleich 14 von heutigen Krokodilen. Dabei fanden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowohl bei den Dinosauriern als auch bei den Krokodilen einen deutlichen Unterschied zwischen Jungtieren und Erwachsenen: „Wir untersuchten zwei jugendliche Dinosaurier, einen Allosaurus und einen Tyrannosauriden, und stellten fest, dass beide eine andere Nahrungsnische und ein anderes Fressverhalten hatten als die Erwachsenen“, sagt Daniela Winkler.
Die Zähne der Jungtiere waren der Studie zufolge stärker abgenutzt, was bedeuten könnte, dass sie sich häufiger von Kadavern ernähren mussten und es zu mehr Knochen-Zahnkontakt beim Abnagen des Fleischs von den Knochen kam.
Anders bei den Krokodilen, die als nächste lebende Verwandte der Dinosaurier – neben den Vögeln – zum Vergleich herangezogen wurden: Die Zähne der jungen Krokodile waren weniger abgenutzt, weil sie sich von weicherer Nahrung wie Insekten ernähren.
Die Studie zeigt, dass die DMTA als Analysemethode dazu beitragen kann, die Dinosaurier selbst und ihre Ernährungsweise sowie auch die Umwelt, in der sie lebten, besser zu verstehen. Die Ergebnisse könnten nach Einschätzung von Thomas Tütken in Zukunft mit geochemischen Indikatoren kombiniert werden, um die Nahrungsökologie der Dinosaurier noch genauer zu erforschen.
Originalpublikation:
Daniela E. Winkler et al.
First application of dental microwear texture analysis to infer theropod feeding ecology
Palaeontology, 9. Dezember 2022
DOI: 10.1111/pala.12632
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/pala.12632

13.12.2022, Hessisches Landesmuseum Darmstadt
Mesozoische Musiker: die akustische Vielfalt und das komplexe Verhalten mesozoischer Laubheuschrecken
Ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Prof. Bo Wang vom Nanjing Institute für Geologie und Paläontologie liefert neue Einblicke in die akustische Evolution bei mesozoischen Laubheuschrecken im Fachjournal PNAS.
Akustische Kommunikation spielte eine Schlüsselrolle in der Evolution von Tieren, insbesondere bei Wirbeltieren und Insekten, von Paarungs- über Warnrufe bis hin zur sozialen Bindung. Das Ergebnis ist eine erstaunlich vielfältige und komplexe moderne Klanglandschaft. Die Rekonstruktion urzeitlicher akustischer Signale ist jedoch aufgrund der extremen Seltenheit fossilerhaltener Organe eine Herausforderung.
Insekten waren die ersten Landtiere, die Luftschallsignale für die Fernkommunikation nutzten. Unter den Insekten, die akustische Signale verwenden, sind Vertreter aus der Familie der Laubheuschrecken eine ideale Modellgruppe, um die Evolution akustischer Organe und ihres Verhaltens zu untersuchen.
Ein internationales Team von Paläoentomologen führte eine detaillierte und globale Studie zu fossilen Laubheuschrecken aus dem Mesozoikum (allgemein als das Zeitalter der Dinosaurier bezeichnet) durch. Die Untersuchungen lieferten neue Einblicke in die akustische Evolution mesozoischer Laubheuschrecken und die Evolution der mesozoischen Klanglandschaft und wurde am 12. Dezember 2022 in PNAS veröffentlicht.
Das Forschungsteam, zu dem auch Prof. Dr. Torsten Wappler vom Hessischen Landesmuseum Darmstadt gehörte, stellt die bislang frühesten Tympanalorgane (»Gehörorgane«) und das geräuscherzeugende System (Stridulationsorgan) in außergewöhnlich gut erhaltenen 24 mesozoischen Laubheuschrecken vor, die es ermöglichten, die wahrscheinlichen Gesangsfrequenzen zu berechnen und die Entwicklung der akustischen Kommunikation zu analysieren.
Die neu entdeckten Tympanalorgane bei einer ausgestorbenen Gruppe von Laubheuschrecken aus der mitteljurassischen Daohugou Konservat-Lagerstätte stellen die frühesten bekannten »Insektenohren« dar und erweitern die Altersspanne des modernen auditiven Tympanums um 100 Millionen Jahre bis in den mittleren Jura vor etwa 160 Millionen Jahren.
Die Rekonstruktion der Gesangsfrequenzen mesozoischer Laubheuschrecken und der ältesten Tympanalorgane zeigt, dass Laubheuschrecken mindestens im mittleren Jura eine komplexe akustische Kommunikation entwickelt haben, einschließlich Paarungssignalen und Richtungshören. Außerdem hatten sie vermutlich bereits eine große Vielfalt an Gesangsfrequenzen entwickelt, einschließlich hochfrequenter musikalische Rufe, begleitet von akustischen Nischenunterteilungen – alle dies zumindest bis zur späten Trias (vor 200 Millionen Jahren).
Der Übergang der Laubheuschrecken im frühen und mittleren Jura von den (heute ausgestorbenen) Hagliden zu den rezenten Prophalangopsid-dominierten Insektenfaunen fiel mit der Diversifizierung weiter entwickelter Säugetiergruppen und der Verbesserung des Gehörs bei frühen Säugetieren zusammen, was die Hypothese der akustischen Koevolution von Säugetieren und Laubheuschrecken stützt. Die hochfrequenten Gesänge mesozoischer Laubheuschrecken könnten sogar die Entwicklung komplizierter Hörsysteme bei frühen Säugetieren vorangetrieben haben, und umgekehrt könnten Säugetiere mit progressiver Hörfähigkeit selektiven Druck auf die Evolution von Laubheuschrecken ausgeübt haben, bis hin zu einem Faunenwechsel.
Diese Ergebnisse zeigen, dass Insekten, insbesondere Laubheuschrecken, die »Gesänge« während der Trias dominierten. Mit dem Erscheinen anderer Tiergruppen, wie z.B. Vögeln und Fröschen im Jura veränderte sich die »Klanglandschaft« des Waldes zunehmend, bis hin zu modernen Bedingungen in der Kreidezeit, außer dass der Klang von Zikaden fehlte. Diese Ergebnisse unterstreichen die ökologische Bedeutung von Insekten in der mesozoischen Klanglandschaft, die in den paläontologischen Fossilarchiven bisher weitgehend unbekannt war.
Originalpublikation:
Xu Chunpeng, Wang Bo*, Wappler T., Chen Jun, Kopylov D., Fang Yan, Jarzembowski E.A., Zhang Haichun, Engel M.S. (2022) High acoustic diversity and behavioral complexity of katydids in the Mesozoic soundscape. PNAS. https://www.pnas.org/latest

13.12.2022, Max-Planck-Institut für chemische Ökologie
Kohlweißlinge nutzen zwei Darmenzyme für maximale Flexibilität bei der Deaktivierung von Senfölbomben
Wie Forschende am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena zusammen mit ihren Kolleginnen und Kollegen der Universitäten Stockholm und Tokyo herausfanden, nutzen Raupen des Kohlweißlings zwei Darmenzyme, um die Senföl-Bombe, die wichtigste Verteidigungsstrategie ihrer Wirtspflanzen, effektiv zu entschärfen. Kohlweißlinge scheinen in der Lage zu sein, durch Feinabstimmung ihrer Entgiftungsenzyme, die verschiedenen Senfölglycoside, Abwehrstoffe von Kohl und verwandten Pflanzen, zielgerichtet unschädlich zu machen. Mittels Genom-Editierung waren die Forschenden in der Lage, die Funktion der einzelnen Enzyme nachzuweisen und ihre Wirksamkeit zu bestätigen.
Kreuzblütengewächse, wie der Kohl, der Raps, der Meerrettich oder der Senf, haben eine spezielle Abwehrstrategie gegen Fressfeinde, die „Senföl-Bombe“ genannt wird. Sie speichern Senfölglycoside als Abwehrstoffe, die bei Raupenfraß, wenn also das Pflanzengewebe verwundet wird, mit Myrosinase-Enzymen reagieren. Die Myrosinasen spalten die Senfölglycoside und als Resultat entstehen giftige Senföle. Der scharfe Geschmack von Senf und Meerrettich ist auf die Senfölbombe zurückzuführen.
Forschende unter der Leitung von Yu Okamura und Heiko Vogel vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena haben nun die Entschärfung der Senföl-Bombe durch den Kohlweißling, einen wichtigen Schädling auf Kohlpflanzen, genauer untersucht. Frühere Forschungsarbeiten hatten zwei Raupen-Enzyme, die bei der Entgiftung eine zentrale Rolle spielen, und die sie kodierenden Gene identifiziert: das NSP-Enzym (nitrile specifier protein), das die potenzielle Senföl-Bombe so manipuliert, dass statt der giftigen Senföle ungiftige Nitrile entstehen, sowie das MA-Enzym (major allergen), von dem die Forschenden annahmen, dass es ebenfalls für das Überleben von Kohlweißlingsraupen auf Kreuzblütengewächsen wichtig ist. Die NSP- und MA-Gene sind Schwester-Gene und jeweils aus einem Darmprotein mit unbekannter Funktion entstanden, das in vielen Schmetterlingsarten zu finden ist. Beide Enzyme kommen ausschließlich in Kohlweißlingen und anderen Arten der Familie der Pieridae (Weißlinge) vor, deren Wirtspflanzen Senfölglycoside enthalten. „Wir fragten uns, ob tatsächlich beide Enzyme für die Entgiftung der Senfölglycoside und die Überlebensfähigheit der Raupen von Bedeutung sind. Immerhin konnten frühere Studien zeigen, dass in verwandten Schmetterlingsarten, die nicht mehr an Pflanzen mit Senfölglycosiden fressen, die Enzyme im Verlauf der Evolution verloren gingen. Dies weist darauf hin, dass es offenbar kostspielig für Insekten ist, die Aktivität der Enzyme in Abwesenheit der Abwehrstoffe aufrechtzuerhalten. Außerdem wollten wir wissen, ob sich die Funktion der beiden Enzyme je nach Zusammensetzung der Senfölglycoside in verschiedenen Kreuzblütengewächsen unterscheidet,“ fasst Heiko Vogel die Ausgangsfragen der Studie zusammen.
Zentral für die Funktionsprüfung der NSP- und MA-Gene war die Genomeditierungstechnik CRISPR-Cas9, die es ermöglichte, Raupen zu züchten, denen entweder das NSP-Gen, das MA-Gen oder beide Gene fehlten. Diesen Raupen fehlten somit auch die entsprechenden Enzyme für die Entgiftung der Senfölglycoside. Anschließend wurde an Pflanzen mit verschiedenen Gehalten von Senfölglycosiden überprüft, wie sich diese Raupen entwickelten. Raupen, denen nur eines der beiden Enzyme fehlte, waren noch in der Lage, auf Pflanzen mit hohen Konzentrationen der Abwehrstoffe zu überleben, auch wenn ihr Wachstum eingeschränkt war. Sobald jedoch beide Gene funktionsunfähig gemacht worden waren, konnten diese Raupen nicht mehr auf ihren natürlichen Wirtspflanzen wachsen und überleben. „Wir waren überrascht über diese Ergebnisse, denn die Rolle des MA-Enzyms bei der Interaktion zwischen Kohlweißlingen und Wirtspflanzen war bislang unklar,“ sagt Erstautor Yu Okamura.
Für Kohlweißlingsraupen sind also beide Enzyme, NSP und MA, wichtig, um die Senfölbombe ihrer Wirtspflanzen zu entschärfen. Da sich NSP und MA hinsichtlich ihrer Entgiftungskapazität gegenüber verschiedenen Senfölglycosiden unterscheiden, können Raupen die Aktivierung der NSP- und MA-Gene in Abhängigkeit vom Profil der Senfölglycoside ihrer Wirtspflanzen fein abstimmen. Wenn den Raupen eines der Enzyme fehlt, wachsen sie langsamer, und die Stärke der Einschränkung des Wachstums hängt auch von den in den Wirtspflanzen enthaltenen Senfölglycosiden ab. „Mit Hilfe einer ganzen Reihe von Erkennungs-, Regulierungs- und Entgiftungsmechanismen passen Kohlweißlinge genau an, wie sie verschiedene Senföl-Bomben aus dem Spektrum ihrer Wirtspflanzen entschärfen, wobei sie sowohl auf verschiedene Senfölglycoside als auch auf deren Aktivierung reagieren,“ sagt Heiko Vogel.
Durch den Einsatz von Genom-Editierungstechniken zeigt die Studie, dass sowohl NSP als auch MA die Kohlweißlingsraupen in die Lage versetzt, höchst flexibel Senfölbomben zu entschärfen, was entscheidend dafür ist, dass sie sich an ein breiteres Spektrum von Kreuzblütengewächsen anpassen konnten. „Wir glauben, dass unsere Arbeit die Bedeutung der Entstehung solcher Gene für pflanzenfressende Insekten im Wettrüsten mit den chemischen Abwehrkräften ihrer Wirtspflanzen beleuchtet. Der Wettstreit zwischen Insekten und ihren Wirtspflanzen beinhaltet mehr als das bloße Vorhandensein chemischer Abwehrstoffe und deren Entgiftung. Für den Erfolg der Schädlinge sind auch die Regulierung und Aktivierung von Entgiftungsenzymen wichtige Faktoren solch komplexer Interaktionen,“ fasst Yu Okamura zusammen.
Originalpublikation:
Okamura, Y., Dort, H., Reichelt, M., Tunström, K., Wheat, C. W., Vogel, H. (2022). Testing hypotheses of a coevolutionary key innovation reveals a complex suite of traits involved in defusing the mustard oil bomb. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, DOI: 10.1073/pnas.2208447119
https://doi.org/10.1073/pnas.2208447119

12.12.2022, Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels
Universale Multigen-Marker können Biodiversitätsforschung revolutionieren
Genetische Fingerabdrücke von Arten im Zeitalter der Genomik:
Einem internationalen Team unter Führung von Wissenschaftlern des Museum Koenig in Bonn (Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels) ist es gelungen, erstmals erfolgreich ein universelles Set an Genen für die systematische Charakterisierung von verschiedenen Tierarten zu erproben. Viele der bisher genutzten Methoden für die molekulare Erfassung von Biodiversität sind noch fehlerhaft, weil sie nur einen genetischen Marker verwenden, der Arten sowie genetische Muster auf genomischer Ebene oft nicht korrekt wiedergibt.
Andere bisher auf genomischen Daten basierende Analysen sind nicht für eine umfassende Biodiversitätsforschung geeignet, weil sie nicht universell genug sind und auch oft wenig nachhaltig, weil sie auf Daten beruhen, die nicht mit Ergebnissen anderer Untersuchungen kombiniert werden können.
Das getestete Genset, mit der genaueren Bezeichnung „metazoan-level universal single-copy orthologs“ (metazoan USCOs) umfasst mehrere hunderte Zellkern-Gene und kann bisher für alle mehrzelligen Tiere genutzt werden, wobei die Methode die herkömmlich zur molekularen Artbestimmung verwendeten und im ökologischen Monitoring weit genutzten DNA-Fingerabdrücke („DNA-Barcodes“) klar in den Schatten stellt. Bisher wurden USCOs zur Kontrolle der Vollständigkeit und Qualität bei der Genomsequenzierung eingesetzt, die Arbeitsgruppe um Dirk Ahrens, Käferforscher und Sammlungskurator am Forschungsmuseum Koenig, hat diese Methode nun erstmalig erfolgreich zur Trennung kryptischer Arten eingesetzt, die mit herkömmlichen DNA-Fingerabdrücken nicht zu unterscheiden waren.
Die Methode wurde an Spinnen, Tausendfüßlern, Fröschen, Käfern, Fliegen, Wespen und Schmetterlingen erprobt. Die genetischen Fingerabdrücke können sowohl durch gezieltes Sequenzieren ermittelt werden als auch aus bereits publizierten und in Datenbanken vorhandenen Genomdaten extrahiert werden, was die Methode so nachhaltig und erfolgreich macht. Auch wenn sie zurzeit noch teurer als die konventionellen genetischen Fingerabdrücke sind, schlagen die Autoren die Metazoa-USCOs vor allem als Zusatz-Methode der Wahl für die komplizierteren Fälle vor. Und davon gibt es nicht wenige, zumal die Wissenschaft sich immer noch nicht einmal annähernd darüber einig ist, wie viele Arten nun die Erde bevölkern, denn Schätzwerte schwanken zwischen 2 Millionen und 2 Milliarden Arten!
Originalpublikation
Titel: “Standardized nuclear markers improve and homogenize species delimitation in Metazoa”
In: Methods in Ecology and Evolution published by John Wiley & Sons Ltd on behalf of British Ecological Society.
Autoren: “Lars Dietz, Jonas Eberle1,2, Christoph Mayer, Sandra Kukowka, Claudia Bohacz, Hannes Baur, Marianne Espeland, Bernhard A. Huber, Carl Hutter, Ximo Mengual, Ralph S. Peters, Miguel Vences, Thomas Wesener, Keith Willmott, Bernhard Misof, Oliver Niehuis, Dirk Ahrens”
https://doi.org/10.1111/2041-210X.14041

14.12.2022, Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig
Mensch und Natur: Der Abstand wird größer
Die Menschen leben immer weiter von Naturräumen entfernt und beschäftigen sich tendenziell auch seltener mit der Natur. Zu diesem Ergebnis kommt eine Metastudie eines deutsch-französischen Forscherteams am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), der Universität Leipzig und der Station für theoretische und experimentelle Ökologie (SETE – CNRS). Die Forschenden betonen, dass die Entwicklung umweltfreundlichen Verhaltens maßgeblich von diesen Naturerfahrungen abhängt – und damit die Bewältigung der globalen Umweltkrisen. Die Studie wurde in Frontiers in Ecology and the Environment veröffentlicht.
Die Annahme, dass die Menschen weltweit immer weniger Naturerfahrung machen, ist weit verbreitet, aber es gibt kaum empirische Beweise dafür. Um Anhaltspunkte zu erhalten, untersuchte das deutsch-französische Forschungsteam zunächst, wie sich die durchschnittliche Entfernung zwischen dem Wohnort eines Menschen und dem nächstgelegenen naturnahen Gebiet im letzten Jahrzehnt weltweit verändert hat. Sie fanden heraus, dass die Menschen heute im Durchschnitt 9,7 km von einem Naturgebiet entfernt leben, was einer Vergrößerung der Distanz um 7 % gegenüber dem Jahr 2000 entspricht. In Europa und Ostasien ist diese durchschnittliche Entfernung, etwa mit 22 Kilometern in Deutschland und 16 Kilometern in Frankreich, am größten. „Auffallend ist, dass alle anderen Länder der Welt einem ähnlichen Muster folgen“, erklärt Erstautor Dr. Victor Cazalis, Postdoktorand am iDiv und an der Universität Leipzig.
Die Autor:innen konnten auch zeigen, dass der Baumbestand in den Städten seit 2000 weltweit zurückgegangen ist, insbesondere in Zentralafrika und Südostasien. „Dieser Befund deutet darauf hin, dass auch die Möglichkeiten für die Stadtbevölkerung, Zugang zu Grünflächen zu erhalten, abnehmen“, sagt Dr. Gladys Barragan-Jason, Forscherin an der Station Theoretische und Experimentelle Ökologie und Mitautorin der Studie. „Wir schlussfolgern, dass die Zerstörung von Naturräumen in Verbindung mit einem starken Anstieg der städtischen Bevölkerung zu einer wachsenden räumlichen Distanz zwischen Mensch und Natur führt, insbesondere in Asien, Afrika und Südamerika.“
In derselben Studie suchten die Forschenden systematisch nach wissenschaftlichen Veröffentlichungen, in denen ein Trend zu Naturerlebnissen untersucht wurde: von direkten Erlebnissen wie Wanderungen in Nationalparks bis hin zu stellvertretenden Erlebnissen, etwa Naturkulissen in kulturellen Produkten wie Zeichentrickfilmen, Computerspielen oder Büchern. Sie fanden heraus, dass die Zahl der Studien, die diese Trends untersuchten, sehr gering war (N=18), und überwiegend in den USA, Europa und Japan durchgeführt wurden. Jede Behauptung, dass Naturerlebnisse zurückgingen, sei entsprechend unzureichend belegt. Es seien mehr Studien zu dieser Frage nötig, insbesondere in Afrika, Lateinamerika und Asien.
Die 18 gefundenen Studien zeigen zum Beispiel einen Rückgang der Besuche in Naturparks in den USA und Japan, einen Rückgang der Campingaktivitäten in den USA sowie eine geringere Anzahl von Blumenarten, die von japanischen Kindern beobachtet wurden. Außerdem fänden sich in Romanen, Liedern, Kinderbüchern und Zeichentrickfilmen tendenziell immer weniger Naturbilder (wie z. B. auch eine iDiv-Studie aus dem Jahr 2021 zeigt).
Während diese Beispiele auf einen Rückgang der Naturbezüge hindeuten, stagnieren andere Interaktionen oder nehmen sogar zu. So erfreuen sich Dokumentationen über Wildtiere oder Videospiele mit Wildtieren größerer Beliebtheit als noch vor einigen Jahren. „In den letzten Jahrzehnten über digitale Medien sicherlich neue Möglichkeiten entstanden, sich mit der Natur auseinanderzusetzen“, sagt Gladys Barragan-Jason. „Mehrere frühere Studien zeigen jedoch, dass diese ‚Naturerlebnisse ‚ unser Naturverbundenheitsgefühl weniger fördern als direkte Naturerlebnisse.“
„Zu wissen, wie sich die Menschen mit der Natur beschäftigen, ist essenziell, denn davon hängt ab, welche Beziehung wir zur Natur haben und wie wir mit ihr umgehen“, sagt Victor Cazalis. „Wir müssen eine gute Verbindung zur Natur aufrechterhalten, um die notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen möglich zu machen. Nur dann kann die Menschheit ‚bis 2050 in Harmonie mit der Natur leben‘, wie es unsere Regierungen mit dem Global Biodiversity Framework anstreben, das derzeit auf der COP15 des Übereinkommens über die biologische Vielfalt diskutiert wird.“
Diese Forschung wurde unter anderem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft durch die Unterstützung von sDiv, dem Synthesezentrum am iDiv (DFG; FZT-118), finanziert.
Originalpublikation:
Cazalis, V., Loreau, M., Barragan-Jason, G. (2022). A global synthesis of trends in human experience of nature. Frontiers in Ecology and the Environment. https://doi.org/10.1002/fee.2540

14.12.2022, Universität Trier
Forschende weisen erstmals Auswirkungen des Klimawandels auf die Artenvielfalt von Trockenrasen nach
Die Biodiversität von Trockenrasen ist innerhalb eines Vierteljahrhunderts deutlich zurückgegangen. Dazu sind Reste der Steppenvegetation aus der Eiszeit verschwunden.
Trockenrasen sind besondere Habitate: Sie zeichnen sich durch einen großen Reichtum an seltenen und gefährdeten Pflanzenarten aus und bieten Insekten einen wichtigen Lebensraum. Es wachsen dort zahlreiche spezialisierte Gräser und Kräuter, aber auch seltene Orchideen. Viele Trockenrasenbestände liegen daher in Naturschutzgebieten. „Trockenrasen wachsen auf nährstoffarmen und trockenen Böden. Die Pflanzen sind gut daran angepasst, mit wenig Wasser auszukommen“, erklärt Dr. Thomas Becker. Umso überraschender waren für den Geobotaniker der Universität Trier die Ergebnisse einer Studie, die er gemeinsam mit Tim Meier, Isabell Hensen und Monika Partzsch von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg durchgeführt hat. Darin hat er Vegetationsdaten wiederholt, die er in einem mitteldeutschen Trockenrasen im Jahre 1995 im Rahmen seiner Diplomarbeit erstmals erhoben hatte. „Wir waren erschrocken, dass der Artenreichtum innerhalb dieser noch nicht einmal 25 Jahre um fast ein Viertel abgenommen hatte. Wir können dies ganz klar auf den Klimawandel zurückführen“, sagt Becker. „Gefährdete Pflanzenarten waren sogar um ein Drittel zurückgegangen.“
Spürbar begonnen hatte der Klimawandel in der Region in den 1980er Jahren mit zunächst milden Wintern. Ab der Jahrtausendwende wurden die Sommer dann merklich wärmer und seit Mitte der 2010er Jahre gibt es regelmäßig massive Sommerdürren. „Selbst den hartgesottenen Pflanzen dieses Standorts, die mit Hitze und Wassermangel eigentlich sehr gut zurechtkommen, macht diese Trockenheit zunehmend zu schaffen“, sagt der Trierer Geobotaniker Becker. Einige Arten sind schon komplett verschwunden. Besonders betroffen macht die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der voranschreitende Verlust an sogenannten Reliktarten, die hier als Reste der eiszeitlichen Steppen seit etwa 10.000 Jahren überdauert haben. „Es ist auch ein Stück Geschichte, das jetzt verloren geht“, beklagt Becker.
Nichtsdestotrotz gab es auch Gewinner unter den Pflanzen: Einjährige Arten, die aus Südeuropa stammen und an mediterranes Klima angepasst sind, haben die Vegetationslücken besiedelt, welche durch die Dürren entstanden sind. Auch eine submediterran verbreitete Grasart, die Aufrechte Trespe, hat stark zugenommen – und verdrängt nun angestammte Arten. Neben dem Klimawandel profitieren diese Arten auch von Stickstoff-Depositionen, die sich aus den Abgasen des Autoverkehrs bilden und als Dünger über den Regen überall niedergehen. Diese Überdüngung sehen die Wissenschaftler als zweite Erklärung des Rückgangs der Biodiversität, wobei Becker einschränkt: „In unserer Studie ist der weitaus größere Teil der Abnahme der Biodiversität eine Folge des Klimawandels, vor allem der Sommerdürren, die die schwersten seit 2.000 Jahre sein sollen.“ So stehen in der Studie neun Arten, denen das neue Klima zugutekommt, 29 Verliererarten gegenüber.
Die Ergebnisse der Studie in einem Trockenrasen im mitteldeutschen Trockengebiet lassen sich laut den Forschenden auf andere Regionen Deutschlands übertragen. „Anscheinend zeigen sich die Konsequenzen des Klimawandels in Trockengebieten lediglich früher.“ Da größere Teile von Rheinland-Pfalz ebenfalls ein trockenes Klima haben und Sommerdürren hier ebenso mittlerweile die Regel sind, sind auch in Rheinland-Pfalz bald schon drastische Auswirkungen des Klimawandels auf die Biodiversität zu erwarten. Oder sie existieren schon und wurden bloß noch nicht nachgewiesen, so Becker weiter.
Originalpublikation:
Meier, T., Hensen, I., Partzsch, M. & Becker, T. (2022): Are recent climate change and airborne nitrogen deposition responsible for vegetation changes in a central German dry grassland between 1995 and 2019? – Tuexenia 42: 165–200. https://www.tuexenia.de/publications/tuexenia/Tuexenia_2022_NS_042_0165-0200.pdf

14.12.2022, Deutsche Wildtier Stiftung
Enten sind kaltblütig – zumindest an den Füßen
Eingebauter Wärmetauscher und weitere Tricks der Natur sichern den Wasservögeln das Überleben in der kalten Jahreszeit
Warum frieren Enten im Winter auf Eis nicht fest? Hinter diesem Phänomen steckt der spezielle Blutkreislauf der Wasservögel, der dafür sorgt, dass in ihren Füßen kälteres Blut fließt als im Körper. Das ist ein genialer Trick der Natur, denn: „Hätten Enten warme Füße, würden die das Eis antauen und dann im Schmelzwasser festfrieren. Das ist aber nur selten der Fall, etwa bei lang anhaltendem Frost und wenn ein Tier krank oder verletzt ist“, sagt Wildtierbiologe Prof. Klaus Hackländer, Vorstand der Deutschen Wildtier Stiftung. Stattdessen strömt das etwa 40 Grad warme arterielle Blut wie bei einem Wärmeaustauscher auf dem Weg vom Herzen in die Füße direkt an dem wesentlich kälteren venösen Blut aus den Beinen vorbei und kühlt dabei soweit ab, dass die Schwimmhäute der Füße bis auf null Grad herunterkühlen können.
Und die Ente hat noch mehr Überlebenstricks für den Winter parat: Ihre Deckfedern liegen wie Dachziegel übereinander, schließen dabei Luft mit ein und bilden so eine isolierende Schicht. „Zudem fettet die Ente ihre Federn mit einem ölhaltigen und wasserabweisenden Sekret aus ihrer Bürzeldrüse ein“, sagt Hackländer. Die Vögel verteilen das Fett mit dem Schnabel sorgsam im Federkleid, sodass das Wasser einfach abperlt. Eine isolierende Fettschicht unter der Haut dient dem Wasservogel zusätzlich als Kälteschutz.
Trotz dieser Strategien müssen Enten im Winter mit ihren Kräften haushalten und Energie sparen. Daher sollte man tunlichst vermeiden, sie zu erschrecken und auch seinen Hund daran hindern, sie aufzuscheuchen. Außerdem sind Enten besonders im Winter auf Nahrung und sichere Schlafplätze angewiesen. In der Regel finden die Tiere ganzjährig ausreichend Futter – sie mit Brot zu füttern ist keine gute Idee: „Zu viel Brot lockt nicht nur andere Enten an, sondern auch Tauben und Ratten. Es besteht zudem die große Gefahr, dass sich in stehenden oder langsam fließenden Gewässern zu viele Nährstoffe anreichern, also die sogenannte Eutrophierung einsetzt“, erklärt Hackländer. Durch viele Nährstoffe im Wasser fangen Algen im Frühjahr verstärkt an zu wachsen und nehmen anderen Wasserpflanzen das lebensnotwendige Licht. Sterben die Algen später ab, wird unter Umständen so viel Sauerstoff verbraucht, dass das Gewässer kippen kann.
Daher ist das Füttern von Enten meist verboten. Die Missachtung eines Fütterungsverbots gilt als Ordnungswidrigkeit und kann teuer werden: Je nach Bußgeldkatalog kann die gut gemeinte Tat zwischen 25 und 1000 Euro kosten. Wer es wirklich gut meint mit den Tieren sollte sich also darauf beschränken, sie zu beobachten – ganz in Ruhe, mit warmen Füßen und ohne Brotkrumen in den Taschen.

15.12.2022, Universität Duisburg-Essen
Studie zur Händigkeit bei Primaten: Links oder rechts?
Etwa 90 Prozent aller Menschen sind Rechtshänder. Warum, ist bis heute ist rätselhaft. Andere Primatenarten zeigen nämlich nach bisherigem Kenntnisstand keine vergleichbaren Präferenzen. Zoolog:innen der Universität Duisburg-Essen (UDE) und der Humboldt Universität Berlin haben versucht, diese Wissenslücke durch eine Studie zu schließen. Dafür haben sie in 39 Zoos und Auffangstationen die Händigkeit von Affen getestet. Die Ergebnisse wurden im Fachjournal eLife* veröffentlicht.
„Wie Sprache gilt Rechtshändigkeit als Alleinstellungsmerkmal unserer Art“, sagt UDE-Forscher Kai. R. Caspar, Hauptautor der Studie. Zu ihrer Entstehung gibt es in der Forschung verschiedene populäre Ideen: „Sie könnte sich im Laufe der Zeit als ein Nebenprodukt der Vergrößerung des Gehirns entwickelt haben, oder durch den regelmäßigen Gebrauch von Werkzeugen, möglicherweise spielte hier aber auch das Leben am Boden eine Rolle, denn nicht nur wir Menschen sondern auch andere am Boden lebende große Menschenaffen, wie etwa Gorillas, sind eher Rechtshänder.“
Um die Entwicklungsgeschichte menschlicher Händigkeitsmuster einzuordnen und zu erklären, braucht es vor allem Forschungsdaten von anderen Primaten-Arten. Deshalb führte das Forschungsteam in 39 Zoos und Auffangstationen in Europa, Brasilien und Indonesien einen standardisierten Manipulationstest durch. Bei diesem so genannten tube task müssen die Affen beide Hände einsetzen, um an Futter in einem Röhrchen zu gelangen. Ihre Beobachtungen führten die Zoolog:innen mit denen anderer Studien zusammen.
Anhand der Daten von 1.800 Primaten aus 38 Arten – inklusive Mensch konnten sie zeigen, „dass die starke Rechtshändigkeit von uns Menschen tatsächlich einzigartig ist. Zwar haben andere Primaten wie etwa die Klammeraffen teils ähnlich starke individuelle Handpräferenzen, aber dafür sind Links- und Rechtshänder fast gleich häufig vertreten.“
Was Caspar und seine Kolleg:innen überrascht hat: Die Daten widersprechen herkömmlichen Hypothesen zur Evolution der menschlichen Händigkeit. „Weder die Verwendung von Werkzeugen noch die Gehirngröße einer Art scheinen zu beeinflussen, ob die rechte oder linke Hand bevorzugt wird. “Auch die Bedeutung der Lebensweise für die Händigkeit wurde offenbar in der Vergangenheit überschätzt. “Wir konnten jedoch zeigen, dass am Boden lebende Arten allgemein schwächere Handpräferenzen haben als die baumbewohnenden. Bemerkenswerterweise fügt sich der Mensch in dieses Muster aber nicht ein.“, betont der UDE-Wissenschaftler.
Die Frage, warum Menschen überwiegend Rechtshänder sind, bleibe weiterhin ungeklärt. Die Forschung dürfte dank ihrer Studie dennoch einen Schritt weiter sein, findet Caspar: „Primatologie und Neurowissenschaften können einige traditionellen Hypothesen verwerfen und nach neuen Erklärungsansätzen suchen.“
Originalpublikation:
https://elifesciences.org/articles/77875

15.12.2022, Staatliche Naturwissenschaftliche Sammlungen Bayerns
20 neue knurrende und knarrende Froscharten aus Madagaskar
Taxonom:innen arbeiten gegen Zeit: Es gilt neue Arten zu entdecken, bevor sie endgültig von unserem Planeten verschwinden – mit dem Ziel die verbleibende biologische Vielfalt besser schützen zu können. Jetzt hat ein internationales Zoologenteam die Taxonomie der Frösche Madagaskars ein großes Stück vorangebracht und gleich 20 neue Arten identifiziert und mit einem wissenschaftlichen Namen bedacht. Der Artikel wurde kürzlich als Open-Access-Publikation in der Zeitschrift Megataxa veröffentlicht.
Die 20 neuen Froscharten gehören zur Gattung Mantidactylus, Untergattung Brygoomantis, die bisher nur 14 Arten umfasste. Diese kleinen, braunen Frösche sind zwar ausgesprochen häufig und leben oft entlang von kleinen Bächen in den feuchten Wäldern Madagaskars, sind aber für das Auge unscheinbar. Um die Weibchen anzulocken, stoßen die Männchen sehr spezielle Werberufe aus. „Die Rufe klingen typischerweise wie eine knarrende Tür oder ein knurrender Magen“, sagt der Erstautor Dr. Mark D. Scherz, Kurator für Herpetologie am Dänischen Naturhistorischen Museum, „Das Aufspüren der rufenden Männchen im Gelände ist eine echte Herausforderung, aber äußerst wichtig für die Identifizierung dieser vielen neuen Arten. Für uns Zoologen bedeutet das immer, eine Menge Zeit auf Händen und Knien kriechend im Schlamm zu verbringen.“
Entsprechend lange hat die Arbeit gedauert. „Diese Studie ist der Höhepunkt intensiver Feldarbeit in Madagaskar über mehr als 30 Jahre“, sagt Dr. Frank Glaw, Kurator für Reptilien und Amphibien an der Zoologischen Staatssammlung München (SNSB-ZSM). „Unser Datensatz beinhaltet genetische Daten von über 1.300 Fröschen und morphologische Messungen von mehreren hundert Exemplaren.”
Eine entscheidende Komponente dieser Arbeit war der Einsatz modernster „museomics“-Technologien. Dabei wurde die DNA aus historischen Sammlungsexemplaren analysiert, um herauszufinden um welche Arten es sich handelt. Dies ist oft schwierig, da die DNA im Laufe der Zeit und durch verschiedene Chemikalien, die zur Konservierung von Tieren verwendet werden, zerfällt. Dem Team gelang es jedoch, von vielen relevanten Sammlungsstücken brauchbare DNA-Sequenzen zu erhalten. „Dank Museomics konnten wir so etliche Exemplare eindeutig identifizieren, deren äußere Merkmale manchmal keine eindeutige Bestimmung zulassen“, sagt Prof. Miguel Vences von der Technischen Universität Braunschweig, Letztautor der Studie. „Das gibt uns ein hohes Maß an Vertrauen in unsere Artbeschreibungen, das zuvor allein auf der Grundlage der Morphologie nicht möglich war.”
Dennoch gibt die Untergattung Brygoomantis den Forscher:innen immer noch einige Rätsel auf. „Wir vermuten, dass es sich bei einigen genetischen Brygoomantis-Linien um eigenständige Arten handelt, für die uns aber noch nicht genügend Daten oder Material zur Analyse vorliegen“, sagt Dr. Andolalao Rakotoarison, Ko-Vorsitzende der „Amphibian Specialist Group“ für Madagaskar, „Auch bei den Arten, die nun einen wissenschaftlichen Namen tragen, haben wir bisher kaum Kenntnisse über ihre Biologie oder Ökologie. Um diese besser zu verstehen, müssen wir unsere Forschung in Madagaskar und in unseren Sammlungen noch einmal deutlich intensivieren.“
Originalpublikation:
Scherz, M.D., Crottini, A., Hutter, C.R., Hildenbrand, A., Andreone, F., Fulgence, T.R., Köhler, G., Ndraintsoa, S.H., Ohler, A., Preick, M., Rakotoarison, A., Rancilhac, L., Raselimanana, A.P., Riemann, J.C., Rödel, M.-O., Rosa, G.M., Streicher, J.W., Vieites, D.R., Köhler, J., Hofreiter, M., Glaw, F. & Vences, M. (2022) An inordinate fondness for inconspicuous brown frogs: integra-tion of phylogenomics, archival DNA analysis, morphology, and bioacoustics yields 24 new taxa in the subgenus Brygoomantis (genus Mantidactylus) from Madagascar. Megataxa.
https://doi.org/10.11646/megataxa.7.2.1

16.12.2022, Deutsche Wildtier Stiftung
Hilfe für bedrohte Arten – Wildbienenschutz in Berlin wird fortgesetzt
Die Deutsche Wildtier Stiftung freut sich über eine dreijährige Verlängerung ihres Projektes „Mehr Bienen für Berlin – Berlin blüht auf“ durch die Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz. In den vergangenen fünf Jahren engagierte sich die Deutsche Wildtier Stiftung im Wildbienenschutz in der Hauptstadt und wird dieses Engagement nun mit einer neuen Ausrichtung fortsetzen.
Im Mai 2018 fiel der Startschuss zu Berlins bisher größtem Projekt zum Schutz von Wildbienen. Gefördert von der Senatsverwaltung legte die Deutsche Wildtier Stiftung bisher 80 Blühflächen in allen Berliner Bezirken an, konnte in zahlreichen Vorträgen Verbände, Vereine und Bürgerinitiativen über eine wildbienengerechte Grünflächen- und Gartengestaltung informieren und beriet verschiedene Projekte bei der Gestaltung von Grünflächen. Der wichtigste Projektbaustein bestand dabei in einer sehr erfolgreichen Zusammenarbeit mit den Grünflächen- und Naturschutzämtern der Bezirke, um Grünflächen wildbienengerecht zu gestalten und zu pflegen.
„Bienen und andere Insekten sind unverzichtbar“, sagt Bettina Jarasch, Senatorin für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz. „Sie bestäuben nicht nur Pflanzen, sondern sorgen für den Erhalt der Biodiversität und damit für die wichtigsten Lebensgrundlagen der Menschen. Durch die Intensivierung der Landwirtschaft, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln oder die permanente Versiegelung von Freiflächen verschwinden mehr und mehr Insekten. Dabei lässt sich viel für die Bienen tun: Unser Pilotprojekt gibt hierzu sehr gute Beispiele und motiviert Bezirke, Firmen, Wohnungsunternehmen und Privatpersonen, sich für das Aufblühen der Stadt zu engagieren.“
„Wildbienen benötigen Nektar und Pollen für ihre Nachkommen. Unser wichtigstes Ziel ist es daher, die Anzahl der Blüten in den Berliner Grünflächen deutlich zu erhöhen“, sagt Projektleiter Christian Schmid-Egger. Als zentrales Problem sieht er eine immer noch zu häufige Mahd städtischer Grünflächen sowie eine Verarmung im Artenspektrum vieler Flächen. „Bestände mit Gräsern dominieren und müssen wieder in artenreiche und bunte Blühwiesen umgewandelt werden“, so Schmid-Egger.
Die bisherigen Ergebnisse können sich sehen lassen: Auf 15 untersuchten Test-Blühflächen konnten Bienenkundler bisher 157 Wildbienenarten nachweisen. Das sind rund 65 Prozent der in Berlin aktuell nachgewiesenen Arten. „Dieses Ergebnis zeigt sehr anschaulich, welche wichtige Bedeutung mehrjährige Wildblumenwiesen für den Bestand von Wildbienen in der Hauptstadt besitzen“, erläutert Artenschützer Schmid-Egger.
Diese Erfolge führten dazu, dass das Projekt um drei weitere Jahre verlängert wird. 2023 startet es mit einem neuen thematischen Schwerpunkt. Unter dem Motto „Mehr Bienen für Berlin – aus Grün wird Bunt“ will sich das Team der Deutschen Wildtier Stiftung vor allem der Grünflächenpflege widmen. Dabei suchen die Projektmitarbeiterinnen und Projektmitarbeiter mit den Grünflächenämtern nach Möglichkeiten, das natürliche Potenzial dieser Flächen optimal zu nutzen. Das brächte viele Vorteile mit sich, sagt Schmid-Egger: „Eine deutlich reduzierte Mahd und angepasste Mähzeitpunkte lassen grüne Wiesen wieder bunt aufblühen und erzeugen damit auch Nahrung für Wildbienen und viele andere Insektenarten wie Schmetterlinge oder Schwebfliegen. Zudem stellen ungemähte Grünflächen wirksame CO2-Speicher dar und kühlen die Stadt in den heißen Sommermonaten merklich herunter.“

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