Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

25.05.2022, Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT)
Neue Studie zur Anpassungsfähigkeit von großen Korallenriffen an die Klimaerwärmung
Eine neue Studie des Leibniz-Zentrums für Marine Tropenforschung (ZMT) berechnet anhand eines Modells und von Daten aus dem Feld, inwieweit große Riffe wie das Great Barrier Reef vor der australischen Küste in der Lage sein werden, sich auf lange Sicht der Ozeanerwärmung anzupassen.
Viele Steinkorallen leben in einer Symbiose mit einzelligen Algen, die die Grundlage für die Entstehung der großen Korallenriffe darstellt. Erst die Photosyntheseprodukte der Algen versorgen die Korallenpolypen mit der nötigen Energie, um teils meterhohe Kalksteinstrukturen aufzubauen. Wenn die Meerestemperatur die Wärmetoleranz der Lebensgemeinschaft von Korallen und Algen übersteigt, bricht diese Beziehung jedoch zusammen und führt dazu, dass die Koralle ihre symbiontischen Algen abstößt, ausbleicht und letztendlich abstirbt.
Für die Zukunft der Korallenriffe ist es von entscheidender Bedeutung, ob die Korallen in der Lage sein werden, sich ausreichend schnell an die höheren Temperaturen anzupassen. Korallen können auf unterschiedliche Weise auf die globale Erwärmung reagieren: etwa indem sie sich in günstigeren Lebensräumen ansiedeln, sich genetisch adaptieren oder sich akklimatisieren.
Da die meisten Korallenarten am Meeresboden festsitzen, kann eine Übersiedlung in kühlere Meeresregionen nur erfolgen, indem sich die freischwimmenden Korallenlarven neue Regionen erobern. Das ist ein sehr langsamer Prozess, der zudem von den vorherrschenden Strömungen beeinflusst wird. Auch eine genetische Adaption, bei der ein Selektionsdruck die Häufigkeit von Genvarianten in den aufeinanderfolgenden Generationen beeinflusst, geht oft nur sehr langsam vonstatten.
„Wir sind in unserer Studie davon ausgegangen, dass die Akklimatisierung Korallen eine größere Chance bietet, sich der globalen Erwärmung anzupassen,“ erklärt Prof. Dr. Agostino Merico, Wissenschaftler am ZMT und einer der Autoren der Publikation. „Dabei wandeln sich als Reaktion auf Umweltveränderungen die Eigenschaften eines Individuums innerhalb seiner Lebenszeit.“ So können Korallen beispielsweise Hitzeschockproteine produzieren, die sie resistenter gegen Wärmestress machen.
Die Autoren der Studie entwickelten ein mathematisches Modell, das es erlaubt, in Kombination mit Daten aus der Feldforschung die Geschwindigkeit abzuschätzen, mit der sich Korallengemeinschaften auf natürliche Weise an die globale Erwärmung akklimatisieren könnten. In dem Modell setzten die Forschenden drei große Riffökosysteme verschiedenen Szenarien mit niedrigen, mittleren und hohen CO2-Emissionen aus: das Great Barrier Reef in Australien sowie Riffe der Karibik und des Korallendreiecks in Südostasien.
„Frühere Modellierungsstudien haben die Möglichkeit der Akklimatisierung nicht berücksichtigt“, so Agostino Merico. „Darüber hinaus ist wenig über die Geschwindigkeit bekannt, mit der Korallen sich akklimatisieren können. Das ist aber ein Aspekt, der für zuverlässige Vorhersagen über die Zukunft der Korallenriffe bei steigenden Temperaturen entscheidend ist.”
Die Modellsimulationen ergaben, dass die Akklimatisierung der Korallen ein gewisses Maß an Schutz bieten kann, indem sie den Rückgang einiger Riffe wie des Great Barrier Reefs verzögert. Die derzeitigen Akklimatisierungsraten werden jedoch nicht ausreichen, um die Korallen langfristig vor der globalen Erwärmung zu schützen. Die Modellergebnisse deuten auf einen erheblichen Rückgang der Korallenbestände in einem Zeitraum von 80 bis100 Jahren in allen drei Meeresgebieten hin, der je nach Region und dem Klimawandelszenario zwischen 12 % und 55 % liegt.
Korallen sind Lebensräume für eine Vielzahl anderer Organismen und erbringen wichtige ökologische Leistungen für Millionen von Menschen – wie etwa Küstenschutz, Nahrungsressourcen oder Wirkstoffe für Medikamente. Ihr Verschwinden würde somit verheerende Auswirkungen für die Menschheit haben.
“Unsere Ergebnisse unterstreichen, wie dringlich präzise Schätzungen der Fähigkeit und Geschwindigkeit sind, mit der sich Korallen auf natürliche Weise akklimatisieren. Dabei sollten auch Laborexperimente einbezogen werden“, meint Agostino Merico. „Globale Lösungen zur Verringerung von Emissionen, Managementmaßnahmen zur Minimierung lokaler Gefährdungen der Riffe und die vom Menschen unterstützte Evolution bleiben die ultimativen Strategien zum Schutz von Korallenriffen“, ergänzt der Forscher.
Originalpublikation:
Raharinirina NA, Acevedo-Trejos E, Merico A (2022) Modelling the acclimation capacity of coral reefs to a warming ocean. PLoS Comput Biol 18(5): e1010099. https://doi.org/10.1371/ journal.pcbi.1010099

25.05.2022, Deutsches Primatenzentrum GmbH – Leibniz-Institut für Primatenforschung
Wenn männliche Kumpel weniger wichtig werden als weibliche Paarungspartner
Wissenschaftler*innen des Deutschen Primatenzentrums haben die Investition in Männerfreundschaften und den Zusammenhang mit reproduktivem Erfolg bei männlichen Guineapavianen untersucht.
Enge Freundschaften zwischen Männchen sind im Tierreich selten, da Männchen in der Regel um Rang und Zugang zu Weibchen konkurrieren. Männliche Freundschaften können aber auch von Vorteil sein, wenn Freunde den Aufstieg in der Ranghierarchie unterstützen oder helfen, weibliche Tiere vor Übergriffen durch andere Männchen zu verteidigen. Wissenschaftler*innen des Deutschen Primatenzentrums (DPZ) – Leibniz-Institut für Primatenforschung – haben die Vorteile von Männerfreundschaften bei freilebenden Guineapavianen im Senegal untersucht. Diese Pavianart ist bekannt für starke Bindungen unter Männchen und das Fehlen einer klaren männlichen Ranghierarchie. Die Forscher*innen wollten herausfinden, ob Männchen mit vielen Freunden für Weibchen attraktiver sind, weil sie diesen und ihrem Nachwuchs möglicherweise einen besseren Schutz vor Raubtieren bieten. Viele Freunde zu haben, wirkte sich jedoch nicht positiv auf den Fortpflanzungserfolg der Männchen aus. Es zeigte sich, dass Männchen weniger Zeit mit anderen Männchen verbrachten, sobald sie sich mit den Weibchen zusammengetan und mit der Zeugung von Nachwuchs begonnen hatten. Obwohl männliche Tiere „im besten Alter“ in moderatem Umfang Kontakte zu anderen Männchen aufrechterhielten, veränderten sie ihre Investition in soziale Beziehungen drastisch, um ihren Fortpflanzungserfolg zu maximieren (Proceedings of the Royal Society B).
Männliche Freunde können emotionale Unterstützung bieten; sie können bei der Verteidigung gegen Rivalen oder beim Erwerb eines hohen sozialen Status helfen. Aber alles ändert sich, sobald weibliche Artgenossen ins Spiel kommen. Das gilt in Leonhard Bernsteins „West Side Story“ ebenso wie bei wilden Pavianen. Federica Dal Pesco, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung für Kognitive Ethologie am Deutschen Primatenzentrum (DPZ), untersuchte den Zusammenhang zwischen männlichen Freundschaften, gegenseitiger Unterstützung und Fortpflanzungserfolg bei freilebenden Guineapavianen an der DPZ-Feldstation Simenti im Senegal.
Eine tolerante vielschichtige Gesellschaft
Guineapaviane leben in einer toleranten Gesellschaft mit mehreren Ebenen. Die Kerneinheiten bestehen aus einem Männchen und ein bis sechs Weibchen und deren Nachkommen. Mehrere dieser Kerneinheiten und Junggesellen-Männchen bilden eine „Clique“. Zwei bis drei „Cliquen“ schließen sich zu einer „Gang“ zusammen. Fast alle Nachkommen werden von dem Männchen der jeweiligen Kerngruppe gezeugt; Junggesellen-Männchen sind in der Regel nicht sexuell aktiv. Guineapaviane sind in sozialer Hinsicht bemerkenswert tolerant. Die Männchen unterhalten enge Bindungen zu anderen Männchen und haben keine klare Rangordnung. Die Weibchen wählen ihre Sexualpartner frei und bleiben mehrere Wochen bis zu mehreren Jahren mit demselben Männchen zusammen.
Vier Jahre Verhaltensbeobachtungen
Federica Dal Pesco und ihre Kolleg*innen analysierten das Sozialverhalten von 30 Männchen und ermittelten die Vaterschaft von 50 Jungtieren, über einen Beobachtungszeitraum von vier Jahren. Die Tiere gehören zu einer Studienpopulation von über 400 Individuen, die in der Nähe der DPZ-Feldstation Simenti im Niokolo-Koba-Nationalpark im Senegal leben. Die Population wird seit 2010 untersucht, und die Tiere sind daran gewöhnt, dass menschliche Beobachter ihnen zu Fuß folgen. Die entscheidende Frage der vorliegenden Studie war, ob Männchen mit vielen Freunden mehr Weibchen anlocken können, weil sie in der Lage sind, „männliche Dienstleistungen“ zu erbringen, wie zum Beispiel die Verteidigung gegen Raubtiere.
Kluge Zeiteinteilung
Entgegen den Vorhersagen gab es keine Hinweise darauf, dass Männchen mit vielen Freunden für weibliche Tiere attraktiver sind. Stattdessen passten die Männchen ihre soziale Zeit an die Anzahl der Weibchen an, mit denen sie zusammen waren: Je mehr Weibchen sie in ihrer Gruppe hatten, desto weniger Zeit verbrachten sie mit ihren männlichen Freunden. Darüber hinaus unterstützten sich Freunde zwar eher gegenseitig in Koalitionen, doch stand diese Unterstützung in keinem Zusammenhang mit dem Fortpflanzungserfolg. „Es sind vor allem die jungen und alten Junggesellen, die genügend Zeit haben, um mit anderen Männchen zusammen zu sein und auf diese Weise möglicherweise sicherzustellen, dass sie in der Gruppe bleiben können“, sagte Federica Dal Pesco, Erstautorin der Studie. „Sobald die Männchen jedoch für die Weibchen attraktiv werden, verlagern sie ihre Aufmerksamkeit auf diese, um so ihren Fortpflanzungserfolg zu steigern“, so Federica Dal Pesco. „Was wir noch nicht wissen, ist, ob männliche Freundschaften dazu beitragen, die ersten Weibchen früher anzuziehen oder den Status als fortpflanzungsaktives Männchen länger aufrechtzuerhalten“, fügte Julia Fischer, Ko-Autorin der Studie, hinzu. „Um diese Frage zu beantworten, brauchen wir viele weitere Jahre der Beobachtung“, schloss sie.
Originalpublikation
Dal Pesco F, Trede F, Zinner D, Fischer J. 2022 Male–male social bonding, coalitionary support and reproductive success in wild Guinea baboons. Proc. R. Soc. B 289:20220347. https://doi.org/10.1098/rspb.2022.0347

27.05.2022, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen
Gefährdet, aber nicht geschädigt. Auch intensiver Walfang beraubte den Finnwal nicht seiner genomischen Vielfalt
Finnwale sind die zweitgrößten Lebewesen unseres Planeten, nur noch übertroffen von den Blauwalen. Sie können eine Länge von rund 20 Metern erreichen – und benötigen bis zu zwei Tonnen Nahrung pro Tag. Entsprechend geben sie enorme Mengen an Nährstoffen frei – mit deutlichen Auswirkungen auf die Ökosysteme der Ozeane. Der industrielle Walfang hat ihre Zahl jedoch erheblich reduziert. Er war auf den Tran der Wale als Rohstoff ausgerichtet und wurde besonders intensiv zwischen 1880 und einer internationalen Übereinkunft 1986 betrieben. Heute wird die Anzahl der Finnwale weltweit auf etwa 100.000 Tiere geschätzt; die Art gilt laut Roter Liste als gefährdet. Welche Folgen ihre Dezimierung für die Populationen und vor allem für die genomische Vielfalt der Finnwale hat, zeigt eine neue Studie von Wissenschaftler*innen des LOEWE-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik (TBG), des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums (SBiK-F) sowie von isländischen und schwedischen Forschungseinrichtungen. Ihre Ergebnisse zeigen erfreulicherweise keine langfristige genetische Schwächung dieser Art.
Nachdem Anfang des 20. Jahrhunderts Finnwale so lange gejagt wurden, bis mancherorts aufgrund zurückgehender Fangzahlen die lokale Walfangindustrie zusammenbrach – so etwa 1904 in den Gewässern um die norwegische Finnmark –, wurden eklatante Folgen bis hin zum Aussterben der Art durch Inzucht befürchtet. Für die in der Fachzeitschrift „Molecular Biology and Evolution“ veröffentlichte Studie untersuchten die Wissenschaftler*innen nun erstmals 51 Genome einer nordatlantischen Finnwal-Population aus isländischen Gewässern. Anhand der Proben aus den Jahren 1989, 2009 und 2018 entwickelten sie demographische Modelle, die Rückschlüsse auf die Populationsveränderungen über rund 800 Jahre erlauben. Im Fokus der Analysen stand dabei die Frage, ob durch den Walfang auch die genetische Vielfalt der Finnwale beeinträchtigt wurde.
Das Team kommt zu dem Schluss, dass der Walfang einen starken Einfluss auf die Bestände im Nordatlantik hatte und sie innerhalb von rund einhundert Jahren auf bis zu zwanzig Prozent ihrer vorherigen Größe dezimierte. Allerdings zeigte das Team auch, dass verschiedene Populationen unterschiedlich stark vom Walfang getroffen wurden, da die Genome mancher Tiere kaum oder keine Spuren dieser Bestandsverringerung aufwiesen. „Der Blick auf die genetische Vielfalt einer Art erlaubt Rückschlüsse darauf, ob und wie gut sich diese Art an neue Umweltbedingungen oder Veränderungen ihrer Population anpassen kann, oder ob sie vermutlich aussterben wird“, erläutert der Erstautor der Studie, Magnus Wolf vom SBiK-F und dem Institut für Ökologie, Evolution und Diversität der Goethe-Universität Frankfurt. „Daher lassen sich anhand der genomischen Analyse häufig bereits Entwicklungen erkennen, bevor sie offen zutage treten. Bei den nordatlantischen Finnwalen konnten wir jedoch in der langfristigen Perspektive keinen deutlichen Verlust ihrer Diversität feststellen.“
Auch andere genetische Folgen innerhalb der dezimierten Finnwal-Bestände scheinen ausgeblieben zu sein. Weder fanden die Wissenschaftler*innen Anzeichen von häufiger Inzucht, bei denen sich die Genome unnatürlich stark ähneln, noch ließ sich eine größere Anzahl von Gendefekten nachweisen, die die Population langfristig belasten würden. „Solche Mutationen treten ständig auf, doch in kleinen Populationen fallen sie stärker ins Gewicht, da es dann manchmal keine Tiere ohne diese Mutation mehr gibt, die sich durchsetzen könnten“, so Wolf.
Im Vergleich zu stärker gefährdeten Walarten wie dem Blauwal oder dem Nordatlantischen Glattwal scheint der Erholung der Finnwale also vor allem der aktuelle Einfluss des Menschen im Weg zu stehen. Dazu zählen unter anderem der steigende Schiffsverkehr und die Verschmutzung der Meere. Von der Weltnaturschutzunion IUCN (International Union for Conservation of Nature) sind Finnwale auf der Roten Liste als gefährdete Art eingestuft. Daher gebe es derzeit keine Entwarnung für ihre Situation, betont Prof. Dr. Axel Janke, leitender Wissenschaftler der Studie, wissenschaftlicher Koordinator und Sprecher des LOEWE-Zentrums TBG und ebenfalls am SBiK-F und dem Institut für Ökologie, Evolution und Diversität der Goethe-Universität Frankfurt tätig. „Es ist faszinierend, wie genomische Erkenntnisse zu unserem Bild vom Walschutz beitragen können. Die Genomik entwickelt sich zu einer Schlüsseltechnologie nicht nur für den Artenschutz, sondern hilft uns auch zu verstehen, was Biodiversität eigentlich ist und wie wir sie nutzen können. Wale sind nicht nur beeindruckende Tiere, sondern scheinen auch trotz ihrer langen Lebensdauer von bis zu einhundert Jahren und ihrer Körpergröße kaum Tumore zu entwickeln und damit resistent gegen Krebs zu sein. Die Entschlüsselung der genomischen Mechanismen, die dieses Paradoxon verursachen, könnte uns helfen, eine der folgenreichsten Krankheiten in der Geschichte der Menschheit anzugehen.“
Originalpublikation:
Wolf, Magnus; de Jong, Menno; Daníel Halldórsson, Sverrir; Árnason, Úlfur; Janke, Axel (2022): Genomic Impact of Whaling in North Atlantic Fin Whales.
Molecular Biology and Evolution, Volume 39, Issue 5, May 2022, msac094
https://doi.org/10.1093/molbev/msac094

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