Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

11.04.2022, Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL
Waldschädlinge werden infolge der globalen Erwärmung immer aggressiver
Eine Studie unter der Leitung von CREAF, der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL und der Autonomen Universität Barcelona zeigt, dass Trockenheit darüber mitbestimmt, ob ein Baum einem Schädlingsbefall widerstehen kann. Je mehr Dürreperioden ein Baum erlebt hat, desto wahrscheinlicher ist es, dass er stirbt, wenn er von bestimmten Schädlingen befallen wird.
– Die Forscher haben in den letzten 10 Jahren Nadelwälder in ganz Europa untersucht und festgestellt, dass ca. 30 Prozent der Bäume von einem Forstschädling befallen und sechs Prozent getötet wurden.
– Die Nadelwälder in der Mitte, im Norden und im Südosten des Kontinents sind am stärksten betroffen und könnten es auch in Zukunft sein.
Die Forschung hat bereits gezeigt, dass Wälder, die in einem für sie ungeeigneten Klima wachsen, wie z. B. eine Fichte in einem trockenen Klima, leichter von Waldkrankheiten oder Schädlingsbefall betroffen sind. Laut dem kürzlich in der Fachzeitschrift Global Change Biology veröffentlichten Artikel „Klimatische und standortbedingte Faktoren für die Widerstandsfähigkeit von Wäldern gegen Borkenkäferbefall in europäischen Nadelwäldern“ ermöglicht es der Klimawandel jedoch, dass selbst Wälder, die sich in ihrer optimalsten Umgebung befinden, von einem Borkenkäferbefall betroffen sein können.
Dürre ist die Hauptursache für diese Situation. Der Artikel kommt zu dem Schluss, dass grosse Hitzewellen und damit einhergehende Dürren die Wälder an die Grenze ihrer Widerstandsfähigkeit bringen und sie dem Insektenbefall aussetzen. Diese Mischung ist der Auslöser für das Baumsterben aufgrund von Schädlingen in grossen Waldbeständen. „Den Forschungsergebnissen zufolge hängt die Widerstandsfähigkeit eines Waldes gegen den Befall durch diese Insekten fast ausschliesslich von der Trockenheit sowie deren Intensität und Dauer ab“, erklärt die Erstautorin Luciana Jaime González. „Ausserdem sind die Auswirkungen kumulativ: Wälder haben ein Gedächtnis, und je mehr Dürreperioden in ihrer Geschichte vorkommen, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie von Insekten befallen werden.“
Die globale Erwärmung begünstigt die Vermehrung einiger Waldschädlinge, wie z. B. Kiefernborkenkäfern der Gattungen Tomicus und Ips, und führt gleichzeitig zu intensiveren Dürreperioden. Laut Luciana Jaime González ist das Ergebnis dieser Kombination ein tödlicher Cocktail für Nadelbäume: „Von den Tausenden untersuchten Bäumen sind fast 30 Prozent von einer Scolytide befallen, das ist die Familie holzbohrender Käfer, die Nadelbäume am häufigsten besiedelt; sechs Prozent sind bereits abgestorben.“
Europäische Wälder in Gefahr
In den letzten Jahren hat die Zahl der Nadelwälder in Europa, die direkt oder indirekt durch Insektenbefall abgestorben sind, besorgniserregend zugenommen. Aus diesem Grund wurden in dieser von CREAF und der Autonomen Universität Barcelona geleiteten Studie 130 ICP Forests-Flächen in ganz Europa untersucht. Diese werden seit 2010 überwacht, um zu verstehen, wie Bäume auf Insektenbefall reagieren und welche am stärksten gefährdet sind. Die Untersuchungen haben ergeben, dass die Schädlinge in Mittel-, Nord- und Südosteuropa immer aggressiver werden und mehr Wälder befallen.
Besonders problematisch sind die Scolytidenarten, die mehr als einen Lebenszyklus pro Jahr durchlaufen, die sogenannten Multivoltinen. Sie nutzen die steigenden Temperaturen, um sich immer öfter pro Jahr fortzupflanzen. Diese Daten „sind sehr wichtig, um Risikokarten zu erstellen und Hot Spots zu identifizieren, in denen hohe Temperaturen und damit verbundene Dürreperioden die Vermehrung von Scolytiden begünstigt und die Stabilität des Waldökosystems gefährden können“, sagt Luciana Jaime González.
Neben Trockenheit und Temperatur gibt es noch andere Faktoren, die Bäume für den Befall durch diese Schädlinge empfänglich machen, wie z. B. die Struktur des Waldes und die Zusammensetzung der Baumarten.
Das Forschungsteam besteht aus den CREAF-Forschern Luciana Jaime González (Erstautorin) und Enric Batllori, Francisco Lloret, Professor für Ökologie an der Autonomen Universität Barcelona und CREAF-Forscher, sowie Marco Ferretti, Leiter der Forschungseinheit Waldressourcen und Waldmanagement an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL).
Originalpublikation:
Jaime, L.; Batllori, E.; Ferretti, M.; Lloret, F., 2022: Climatic and stand drivers of forest resistance to recent bark beetle disturbance in European coniferous forests. Global Change Biology, doi: 10.1111/gcb.16106

08.04.2022, Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)
Schutz der Biodiversität: Dunkle Infrastruktur schaffen
Ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) plädiert für die weltweite Entwicklung einer dunklen Infrastruktur. Damit sind Bereiche und Korridore ohne unnötiges künstliches Licht bei Nacht gemeint, welche die biologische Vielfalt vor Lichtverschmutzung schützen.
Nicht nur physische Hindernisse wie Zäune, Straßen und Gebäude schränken Tiere in ihrem natürlichen Verhalten ein und zerschneiden ihre Lebensräume. Auch Licht kann dies tun – in Form von Lichtverschmutzung. Das heißt zu viel künstliches Licht zur falschen Zeit am falschen Ort. Daher sollten Nachtlandschaften genauso geschützt werden wie andere Lebensräume, finden die Autor*innen einer aktuellen Studie in Landscape and Urban Planning, unter Leitung von UMS PatriNat in Frankreich.
Lichtverschmutzung verändert Mobilität nachtaktiver Tiere wie Vögel und Insekten:
„Licht kann als Barriere insbesondere für nachtaktive Tiere wirken, die Lichtquellen meiden, man spricht dann auch vom Vermeidungseffekt. Es gibt aber auch Sink- oder Crash-Effekte, dass nämlich Vögel, Fledermäuse oder Insekten von künstlichen Lichtquellen irritiert und angezogen werden oder sterben und dann in anderen Ökosystemen fehlen. Beide Effekte wirken sich auf Populationen aus – auf Sterberaten ebenso wie auf die Fortpflanzung oder die Nahrungssuche. Lichtverschmutzung wird daher mittlerweile als ein Grund für das weltweite Insektensterben und den allgemeinen Verlust der Biodiversität betrachtet“, erläutert Dr. Franz Hölker. Der IGB-Forscher ist einer der Pioniere bei der Erforschung von Lichtverschmutzung auf die biologische Vielfalt, ein Themengebiet, dass er seit mehr als 10 Jahren bearbeitet.
Selbst in Schutzgebieten gibt es Lichtverschmutzung:
Trotz der bekannten und vermuteten ökologischen Auswirkungen ist Lichtverschmutzung selbst in Naturschutzgebieten bislang kein Bewertungskriterium. So hat sich gezeigt, dass zwischen 1992 und 2010 die dunklen Flächen in Europa um 15 Prozent abgenommen haben, auch in den Schutzgebieten. „Wir sind also mit einer Bedrohung konfrontiert, gegen die Gebiete wie Nationalparks, Reservate und Natura -2000-Gebiete nur sehr schlecht oder gar nicht geschützt sind“, sagt Dr. Sibylle Schroer, IGB-Forscherin und Mitautorin der Studie.
Dunkle Infrastruktur in grüne und blaue Infrastruktur integrieren:
In den letzten Jahrzehnten haben Strategien zum Schutz der biologischen Vielfalt zunehmend ökologische Netzwerke integriert und zwar durch sogenannte grüne Infrastrukturen, die von der Europäischen Umweltagentur definiert werden als „ein strategisch geplantes Netzwerk natürlicher und naturnaher Gebiete, das so gestaltet und verwaltet wird, dass es zur Erhaltung der biologischen Vielfalt in fragmentierten Landschaften beiträgt und eine breite Palette von Ökosystemleistungen erbringt“. Der Begriff blaue Infrastruktur wird verwendet, um sich speziell auf aquatische Lebensräume zu beziehen. Aber in der Praxis kann der Begriff „grüne Infrastruktur“ sowohl terrestrische als auch aquatische Lebensräume umfassen. Viele Mitgliedstaaten haben seit Ende der 90er Jahre grüne Infrastrukturprojekte umgesetzt.
„Wir schlagen daher vor, dass für die grüne und blaue Infrastruktur die nächtliche Dunkelheit als Schutzkriterium mitberücksichtigt wird. Ziel ist es, ein ökologisches Netzwerk mit einem möglichst hohen Grad an natürlicher Dunkelheit zu erhalten oder wiederherzustellen, der den Erhalt der biologischen Vielfalt ermöglicht“, sagt Franz Hölker.
Die Forschenden haben einen operativen Prozess in vier Schritten beschrieben, der Folgendes umfasst:
1) Kartierung der Lichtverschmutzung in all ihren Formen und Dimensionen in Bezug auf die biologische Vielfalt,
2) Identifizierung der dunklen Infrastruktur, die von der bereits identifizierten grünen/blauen Infrastruktur ausgeht oder nicht,
3) Planung von Maßnahmen zur Erhaltung und Wiederherstellung der dunklen Infrastruktur, wobei der sparsamen Beleuchtung und nicht nur der Energieeinsparung Vorrang eingeräumt wird,
4) Bewertung der Wirksamkeit der dunklen Infrastruktur mit geeigneten Indikatoren.
Pilotprojekte in Frankreich haben dunkle Infrastruktur mittels Fledermausortung geplant:
„In der Schweiz, in Frankreich und in den USA gibt es bereits Projekte für dunkle Infrastrukturen. Sie können auch in anderen Ländern als Fallstudien für städtische und natürliche Gebiete dienen“, sagt Sibylle Schroer.
In der französischen Stadt Douai wurde beispielsweise mithilfe einer akustischen Untersuchung der Fledermausaktivitäten im Gemeindegebiet eine dunkle Infrastruktur ermittelt. Diese wurde nicht in Kerngebiete und Korridore übersetzt, sondern in eine Reihe von Übergängen mit einem wechselnden Grad an Dunkelheit. Die Stufen spiegeln dabei die Intensität der Fledermausaktivität wider. Sie ermöglichen eine Priorisierung der weiteren Maßnahmen zur Erhaltung und Wiederherstellung der dunklen Infrastruktur.
„Auch in Deutschland gibt es das Potenzial, mit einfachen Untersuchungen und Mitteln eine dunkle Infrastruktur innerhalb der grünen und blauen Infrastruktur umzusetzen. Deutschland kann bereits vier zertifizierte Sternenparks – im Westhavelland, der Rhön, der Eifel und im Chiemgau – zwei zertifizierte Sternenpark Inseln – Pellworm und Spiekeroog –und mit Fulda die erste zertifizierte Sternenstadt in Europa vorweisen. Die Bemühungen der Gemeinden und Städte dieser Regionen können als Best-Practice dienen, um Schritt für Schritt die natürlichen Nachtverhältnisse von Wanderkorridoren für Wildtiere nachhaltig zu schützen“, sagt Franz Hölker.
Originalpublikation:
Romain Sordello, Samuel Busson, Jérémie H. Cornuau, Philippe Deverchère, Baptiste Faure, Adrien Guetté, Franz Hölker, Christian Kerbiriou, Thierry Lengagne, Isabelle Le Viol, Travis Longcore, Pascal Moeschler, Jessica Ranzoni, Nicolas Ray, Yorick Reyjol, Yoann Roulet, Sibylle Schroer, Jean Secondi, Nicolas Valet, Sylvie Vanpeene, Sébastien Vauclair: A plea for a worldwide development of dark infrastructure for biodiversity – Practical examples and ways to go forward,
Landscape and Urban Planning, Volume 219, 2022,104332, ISSN 0169-2046,
https://doi.org/10.1016/j.landurbplan.2021.104332.

12.04.2022, Deutsche Wildtier Stiftung
Osterhasen brauchen Brachen und Blühflächen
Bundesländer sollten Schutzmaßnahmen für den Feldhasen in ihre Agrarförderungsprogramme aufnehmen
Ostern steht vor der Tür und damit die Frage im Raum: Wie geht es eigentlich dem Osterhasen? Die Zahl der Feldhasen in Deutschland hat in den letzten Jahrzehnten dramatisch abgenommen. Auch wenn sich jüngsten Zählungen des Deutschen Jagdverbands zufolge manche regionale Populationen zu erholen scheinen: Die Zeiten, als die Langohren ein allabendlicher Anblick auf Wiesen und Äckern waren, sind längst vorbei.
Feldhasen leiden wie viele andere Wildtiere an der Intensivierung der Landwirtschaft: Die Felder wurden immer größer, die Maschinen immer schneller und breiter; gleichzeitig nahm die Vielfalt im Ackerbau ab, Hecken, Brachflächen und Feldholzinseln verschwanden. Doch gerade Brachflächen sind für Feldhasen überlebenswichtige Orte. Hier finden sie Versteckmöglichkeiten und ihre bevorzugten Kräuter. Auf den stiftungseigenen Flächen in Klepelshagen in der Uckermark steht den Feldhasen durch den ökologischen Ackerbau ohne Pestizideinsatz ganzjährig eine hohe Nahrungsvielfalt zur Verfügung. Und ungenutzte Saumstrukturen neben bewirtschafteten Flächen bieten ihnen tagsüber eine gute Deckung. „Osterhasen brauchen Brachen und Blühflächen. Die Deutsche Wildtier Stiftung fordert daher eine Agrarpolitik, die auf den Artenschutz Rücksicht nimmt und das Anlegen und Pflegen artenreicher Brachflächen fördert“, sagt der Wildbiologe Prof. Dr. Klaus Hackländer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Wildtier Stiftung.
In Klepelshagen zeigt sich die positive Wirkung einer wildtierfreundlichen Landwirtschaft auf das vielerorts vertriebene Säugetier. Jedes Jahr im Frühling und Herbst ziehen die Mitarbeiter der Deutschen Wildtier Stiftung in den Abendstunden mit Nachtsichtgeräten durch Wiesen und Felder und zählen die Feldhasen rund um das Stiftungsgut. „Feldhasen sind bei uns mit siebzehn Tieren auf hundert Hektar überdurchschnittlich häufig zu beobachten – das hat das aktuelle Monitoring gezeigt“, berichtet Hackländer. „Das als Hasenland bekannte Gebiet bietet Meister Lampe ausreichend Ruhe, Deckung und Nahrung, sodass die Junghasen, die rund um Ostern auf die Welt kommen, höhere Überlebenschancen haben.“
Schutzmaßnahmen für den Feldhasen sollten in die Agrarförderungsprogramme aller Bundesländer integriert werden, fordert die Deutsche Wildtier Stiftung. „Feldhasen sind ein typischer Teil unserer Kulturlandschaft“, sagt Hackländer. „Seine Ansprüche sind gut erforscht, jetzt gilt es, die entsprechenden Maßnahmen in Gang zu bringen. So helfen wir am Ende vielen Wildtieren. Denn was dem Feldhasen nutzt, ist auch für Feldvögel, Feldhamster, und Insekten von Vorteil“, so Hackländer. „Ostern wäre auch andernorts gesichert, wenn die Politik dem Beispiel Klepelshagen folgt.“

13.04.2022, Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung
Neues Sinnesorgan entdeckt
Wissenschaftlerinnen des Zentrums für Integrative Biodiversitätsentdeckung des Museums für Naturkunde Berlin und Wissenschaftler des ZUSE-Instituts Berlin und der RWTH Aachen haben ein neues Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Vibrationssignalen bei Kleinzikaden entdeckt und in The Royal Society Biology Letters publiziert. Die Entdeckung dieses neuen Organes bietet zahlreiche neue Forschungsansätze, da einige Arten von Kleinzikaden wirtschaftlich bedeutsame Pflanzenkrankheiten übertragen. Zur Biologischen Schädlingsbekämpfung könnte mittels Störsignal die Paarung der Insekten unterbunden und somit deren Ausbreitung eingedämmt werden.
Die großen Singzikaden sind bekannt für ihre ohrenbetäubenden Gesänge. Jede der über 3000 Arten besitzt einen individuellen Gesang, der sogar zur Artbestimmung genutzt werden kann. Im Mittelmeerraum, den Tropen und den Subtropen sind ihre Paarungssignale prägend für die Geräuschkulisse zahlreicher Regionen.
Weniger bekannt, obwohl mit fast 40000 Spezies weitaus artenreicher, sind die nah verwandten Kleinzikaden, die man zuhauf in unseren heimischen Parks und Gärten finden kann. Trotz ihres oft sehr farbenfrohen Aussehens sind diese hübschen Insekten aufgrund der geringen Größe – manche sind nur wenige Millimeter groß – wenig bekannt. Auch ihre Kommunikationsweise zieht kaum Aufmerksamkeit auf sich. Zwar besitzen Singzikaden und Kleinzikaden ein ähnliches Organ zur Signalerzeugung, aber während die Singzikaden dies zur Schallerzeugung nutzen, werden die Signale der Kleinzikaden als Vibrationen über die Pflanzen zu den Artgenossen gesendet.
Zur Wahrnehmung der Signale besitzen Singzikaden ein sogenanntes Tympanalorgan. Dies ist eine Art Ohr, das die eingehenden Schallwellen mit ca. 2000 Sinneszellen registriert. Bei den Kleinzikaden nahm man bisher an, dass diese die Vibrationssignale zur Kommunikation mit recht simplen, aus nur wenigen Sinneszellen aufgebauten Organen in den Beinen wahrnehmen, wie sie fast alle Insekten besitzen.
Wissenschaftlerinnen des Zentrums für Integrative Biodiversitätsentdeckung des Museums für Naturkunde Berlin und Wissenschaftler des ZUSE-Instituts Berlin und der RWTH Aachen haben kürzlich ein neues Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Vibrationssignalen bei Kleinzikaden entdeckt. „In unserer neuesten Studie haben wir herausgefunden, dass Kleinzikaden ein Sinnesorgan im vorderen Bereich des Hinterleibs besitzen, welches im Verhältnis zu solch kleinen Insekten außergewöhnlich groß ist und aus bis zu 400 Sinneszellen besteht“, so die Erstautorin Sarah Ehlers vom Zentrum für Integrative Biodiversitätsentdeckung des Museums für Naturkunde in Berlin. Dass dieses Organ bisher unentdeckt geblieben ist, ist mehr als erstaunlich, da das gleich danebenliegende Organ zur Signalerzeugung vielfach untersucht und beschrieben wurde.
Durch die Kombination klassischer histologischer Methoden mit modernsten bildgebenden Verfahren ist es gelungen, ein 3D-Modell des Sinnesorganes zu generieren. Das Sinnesorgan der Kleinzikaden ist ein ausgeklügeltes System aus feinen Membranen und verstärkten Teilen des Exoskeletts. Aufgrund der Lage und Struktur dieses Organes ist anzunehmen, dass sich aus einem ähnlichen Vorläuferorgan das komplizierte Tympanalorgan der Zikaden entwickelt hat.
Da einige Arten von Kleinzikaden wirtschaftlich bedeutsame Pflanzenkrankheiten übertragen, stehen sie im Fokus vieler Studien zur biologischen Schädlingsbekämpfung. Untersucht wurde zum Beispiel das Paarungsverhalten und die Art und Weise der Signalerzeugung. So existieren schon erfolgreiche Versuche, mittels Störsignalen die Paarung der Insekten zu unterbinden und somit deren Ausbreitung einzudämmen.
Die Entdeckung dieses neuen Organes bietet somit Spielraum für zahlreiche neue Forschungsansätze. Nun gilt es Untersuchungen zu seiner genauen Funktionsweise anzustellen. Damit könnten die Methoden der biologischen Schädlingsbekämpfung weiterentwickelt und optimiert werden. Ein weiteres spannendes Feld stellt die Evolution von Kommunikationssystemen innerhalb der Insekten dar. Anhand dem Beispiel der Zikaden ist es möglich zu erforschen, wie der Übergang von der entwicklungsgeschichtlich älteren Kommunikation über Vibrationssignale, hin zur Kommunikation durch Schallwellen erfolgte.
Publikation: Sarah Ehlers et. al., Large abdominal mechanoreceptive sense organs in small plant-dwelling insects, Royal Society Publishing, DOI: 10.1098/rsbl.2022.0078

13.04.2022, Universität Regensburg
Naschhafte Wespen profitieren von Fettsäuresynthese
Regensburger Forschende zeigen, dass der Umbau von Zucker in Fett auch parasitischen Wespen nützt
Fettsäuren und daraus hergestellte Fette spielen als Energielieferanten in Notzeiten eine wichtige Rolle für praktisch jedes Lebewesen. Daher können die meisten Organismen Zucker in Fettsäuren und Fette umwandeln, um darauf bei Bedarf zurückgreifen zu können. Dass dies auch für parasitische Wespen gilt, wurde lange in Frage gestellt. Nachdem Forschende der Universität Regensburg kürzlich gezeigt haben, dass parasitische Wespen nicht generell auf einen derart zentralen Stoffwechselweg verzichten, stellte sich die Frage, ob die hergestellten Mengen an Fettsäuren für die Biologie parasitischer Wespen relevant sind. In einer gerade erschienenen Studie fanden die Regensburger Forschenden nun heraus, dass Weibchen der parasitischen Wespe Nasonia vitripennis viel höhere Mengen an Zucker in Fettsäuren umwandeln können als bisher angenommen und diese zum Teil auch in ihre Eier einlagern. Dadurch erhöht sich der Fortpflanzungserfolg der winzigen Insekten.
Parasitische Wespen sind vermutlich die artenreichste Tiergruppe auf der Welt. Sie pflanzen sich fort, indem die Weibchen ihre Eier in verschiedenen Stadien anderer Insekten ablegen. Die schlüpfenden Wespenlarven verspeisen dann ihren Wirtsorganismus, bis dieser stirbt. Somit sind parasitische Wespen als natürliche Gegenspieler anderer Insekten äußerst wichtig für die Aufrechterhaltung ökologischer Gleichgewichte. Lange nahm man an, dass parasitische Wespen als Larven von ihren Wirten mit so vielen Fetten versorgt werden, dass auch die erwachsenen Tiere damit auskommen und im Laufe der Evolution die Fähigkeit verloren haben, Zucker in Fettsäuren umzuwandeln. Diese Schlussfolgerung basierte jedoch weitestgehend darauf, dass frisch geschlüpfte Wespen, denen Zuckerlösung zum Fraß angeboten wurde, oftmals keinen Zuwachs an Körperfett zeigten. „Wenn Wespen mit gut gefüllten Fettdepots keine weiteren Fettsäuren produzieren, heißt das jedoch nicht automatisch, dass sie das nicht irgendwann in ihren Leben doch tun,“ sagt der Leiter der Regensburger Studien, Prof. Dr. Joachim Ruther, „zum Beispiel, wenn die ursprünglichen Reserven zur Neige gehen“.
Das Regensburger Forschungsteam konnte kürzlich für 17 Arten parasitischer Wespen zeigen, dass die Umwandlung von Zucker in Fett bei parasitischen Wespen sehr wohl stattfindet, selbst wenn dies nicht mit einer Zunahme des Körperfetts einhergeht. Sie fütterten die Tiere mit ¹³C-markierter Glucose und wiesen den ¹³C-Kohlenstoff dann in den Fettsäuren der gefütterten Tiere nach. „Da die gefundenen ¹³C-Einbauraten jedoch relativ gering waren, stellte sich uns die Frage, ob die neu synthetisierten Fettsäuremengen überhaupt biologisch relevant sind“, sagt Joachim Ruther. Um diese Frage zu klären, untersuchte das Regensburger Team in einer weiteren Studie die nur 2 bis 3 mm große Art Nasonia vitripennis. Für ihre Untersuchungen verwendeten sie ältere Weibchen, die bereits einen Teil ihrer Fettreserven durch Eierlegen verbraucht hatten. Zudem verwendeten sie eine höherkonzentrierte Glucoselösung, die an natürliche, von parasitischen Wespen genutzte Zuckerquellen wie Nektar oder Honigtau angepasst war. Bei ihren Versuchen konnten die Forschenden zeigen, dass Weibchen mit teilweise verbrauchten Fettreserven viel mehr Fettsäuren aus dem ¹³C-markierten Zucker herstellten als in ihren vorherigen Versuchen. Diese Mengen würden ausreichen, um viele zusätzliche Eier mit Fettsäuren zu versorgen, und tatsächlich gelang dem Forschungsteam der Nachweis, dass die Weibchen neu synthetisierte Fettsäuren auch in ihren Eiern einlagern. Somit zeigen die Ergebnisse der aktuellen Studie, dass die Umwandlung von Zucker in Fett den Fortpflanzungserfolg parasitischer Wespen erhöhen kann, selbst wenn sie niemals mehr den Körperfettanteil erreichen, den sie beim Schlupf einmal aufwiesen.
Die Ergebnisse der beiden Studien wurden in der renommierten Fachzeitschrift Proceedings of the Royal Sciety B – Biological Sciences veröffentlicht.
Originalpublikation:
Ruther, J., Prager, L., & Pokorny, T. (2021) Parasitic wasps do not lack lipogenesis. Proceedings of the Royal Society B (doi: 10.1098/rspb.2021.0548)
https://doi.org/10.1098/rspb.2021.0548
Multerer, M.T., Wendler, M., Ruther, J., (2022) The biological significance of lipogenesis in Nasonia vitripennis. Proceedings of the Royal Society B (doi: 10.1098/rspb.2022.0208).
https://doi.org/10.1098/rspb.2022.0208

20.04.2022, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau
Ernährung von Hummeln beeinflusst ihre Pestizid-Resistenz
• Effekte eines gängigen Fungizids auf Hummeln unterscheiden sich je nach Pflanze, auf der dieses angewendet wird.
• In der Studie entwickelten sich Hummeln in Buchweizen-Reinkulturen generell schlecht, während Hummelvölker in Phacelia-Monokulturen anfällig für das Fungizid waren.
• Blühmischungen können dagegen bei Hummeln für gesunde Entwicklung und eine Toleranz gegen Fungizide sorgen.
Wie anfällig Hummeln auf ein gängiges Fungizid reagieren, hängt davon ab, auf welchen Blühpflanzen dieses angewendet wird – und wie vielfältig das Nahrungsangebot ist, das den Tieren zur Verfügung steht. Monokulturen können die Empfindlichkeit der Tiere auf das Fungizid erhöhen und generell negative Auswirkungen auf Gesundheit, Wachstum und Fruchtbarkeit haben. Das zeigt das Experiment eines Forschungsteams um Prof. Dr. Alexandra-Maria Klein, Professur für Naturschutz und Landschaftsökologie der Universität Freiburg, und Dr. Dimitry Wintermantel. Ihre Ergebnisse haben sie in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Science of the Total Environment veröffentlicht. Sie könnten dazu beitragen, Zulassungsverfahren von Pestiziden zu verbessern – und zusätzliche Argumente dafür liefern, vielfältige blühende Lebensräume zurück in die Agrarlandschaft zu bringen, um Hummeln und andere Wildbienen widerstandsfähiger gegenüber Pestiziden zu machen.
Fungizid-Effekte nur bei der Blühpflanze Phacelia
Für ihre so genannten Halbfeld-Versuche verwendeten die Umweltwissenschaftler*innen 39 große Flugkäfige, in denen Phacelia oder Buchweizen jeweils als Reinkultur oder eine Blühmischung angebaut wurden. In jeden Käfig platzierten die Forschenden ein Volk der Dunklen Erdhummel (Bombus terrestris), die zu den Wildbienen zählt. Die Hälfte der Käfige wurde mit einem gängigen Fungizid mit dem Wirkstoff Azoxystrobin behandelt. Fungizide gehören zu den Pestiziden, sie werden eingesetzt, um Pilzbefall zu bekämpfen.
„Effekte des Fungizids zeigten sich nur bei Phacelia“, sagt Wintermantel. Obwohl das verwendete Fungizid als bienensicher eingestuft ist, reduzierten sich hier sowohl das Körpergewicht der Hummeln als auch das Wachstum des gesamten Volks. „Im Buchweizen haben sich die Völker insgesamt schlechter entwickelt, aber das Fungizid hatte hier keine Auswirkungen“, so Wintermantel weiter. „Nur in der Blühmischung entwickelten sich die Völker insgesamt gut und es gab keine durch das Fungizid verursachten Effekte.“
Proteinreiche Pollen bevorzugt
Die Pollen von Phacelia und Buchweizen unterscheiden sich stark: Buchweizenpollen haben einen niedrigen Proteingehalt – hier könnte ein Grund für die insgesamt schlechte Entwicklung der Tiere liegen, die sich von diesen Pflanzen ernährten, denn Hummeln benötigen eigentlich Nahrung mit hohem Proteingehalt. Den bietet der Pollen von Phacelia, auch „Bienenfreund“ genannt. Doch warum er die Wildbienen trotzdem nicht vor Fungizid-Effekten schützt, sei spekulativ, sagt Wintermantel.
Vielleicht beeinträchtige das Fungizid die Sammelaktivität der Hummeln bei den nicht ganz leicht zugänglichen Pollen, vielleicht benötigten die Tiere neben hohem Proteingehalt eine Kombination verschiedener Nährstoffe, wie sie eine Blühmischung bietet, um Fungizid-Resistenz zu entwickeln: „Es gibt die Hypothese, dass eine ausgewogenes Ernährungsangebot Bienen hilft, besser mit Pestiziden umzugehen, weil sie sich die Nahrung aussuchen können, die sie brauchen.“ Hier seien, erklären die Freiburger Forschenden, weitere Untersuchungen zur Wirkung von Fungiziden und anderen Pestiziden erforderlich.
Vielfältige Lebensräume zurück in die Agrarlandschaft
Die Ergebnisse könnten dann auch Einfluss auf das Design von Versuchen in Zulassungsverfahren für Pestizide haben, so Wintermantel, etwa bei der Auswahl geeigneter Blühpflanzen. „Und wenn sich weiter zeigt, dass eine Blühmischung zur Pestizid-Resistenz von Bienen beiträgt, sollten wir wieder mehr blühende Lebensräume wie extensive Wiesen und Weiden, blühende Wege und Hecken in die Agrarlandschaft einpflegen“, schlussfolgert Klein.
Originalpublikation:
Wintermantel, D., Pereira-Peixoto, M.-H., Warth, N., Melcher, K., Faller, M., Feurer, J., Allan, M.J., Dean, R., Tamburini, G., Knauer, A.C., Schwarz, J.M., Albrecht, M., Klein, A.-M. (2022): Flowering resources modulate the sensitivity of bumblebees to a common fungicide. In: Science of the Total Environment 829, 154450. https://doi.org/10.1016/j.scitotenv.2022.154450

21.04.2022, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich)
Umwelt-DNA verrät heimliche Riffbewohner
Ein internationales Forschungsteam weist anhand von Meerwasserproben nach, wo welche tropischen Riff-Fische vorkommen. Um Arten und Familien zu identifizieren, nutzten sie im Wasser vorhandene DNA-Spuren der Tiere. Doch nicht alle Fische lassen sich auf diese Weise aufspüren.
Tropische Korallenriffe sind bunt, schön – und artenreich. Besonders gross ist die Fischvielfalt. Forschende schätzen, dass weltweit bis zu 8000 Fischarten in Korallenriffen vorkommen.
Doch weltweit verschwinden Korallenriffe aufgrund der Klimaerwärmung und menschlicher Eingriffe in horrendem Tempo, und nach wie vor ist unklar, wo welche Rifffische vorkommen. Wie viele Arten es insgesamt gibt, ist ebenfalls nicht genau bekannt.
Das hat unter anderem damit zu tun, dass viele Fischarten ein sehr heimliches Leben führen, sich stark ähneln oder teilweise im offenen Meer leben. Solche Arten sind daher nur schwer nachweisbar. Um Fische in einem Gebiet nachzuweisen, war die Biodiversitätsforschung meist auf Sichtbeobachtungen von Taucher:innen oder auf Fangfisch angewiesen.
Nun hält in der Ökologie eine neue Methode Einzug, die solche Schwierigkeiten umgeht: Umwelt-DNA (environmental DNA, eDNA). Die Idee dieses neuen Ansatzes ist, dass Lebewesen ihr Erbgut oder Teile davon in der Umwelt hinterlassen.
Die Forschenden müssen dann an einem Ort nur Wasserproben nehmen, die darin enthaltenen DNA-Fragmente isolieren und diese sequenzieren, also die Abfolge der DNA-Bausteine bestimmen. Schliesslich können sie die ermittelten Sequenzen mit Referenzsequenzen vergleichen, die von sicher bestimmten Belegexemplaren stammen – und schon wissen die Biodiversitätsforschenden, ob eine Art am fraglichen Ort vorkommt.
Genau dieses Verfahren hat ein internationales Forschungsteam unter der Federführung von Forschenden der Universität Montpellier (F) und der ETH Zürich nun genutzt, um das Vorkommen von Rifffischen zu untersuchen.
Die Forschenden sammelten in den Jahren 2017 und 2019 an 26 Standorten in fünf tropischen Meeresregionen 226 Wasserproben und analysierten die daraus isolierte DNA, die sie dann den bekannten Arten oder Familien zuordneten.
Vielfältiger als vermutet
Auf diese Weise fanden die Forschenden eine um 16 Prozent höhere Vielfalt an Rifffischen als durch konventionelle Erhebungsmethoden wie Sichtbeobachtungen bei Tauchgängen. «Dank der eDNA-Methode können wir viele Fischarten und -familien viel schneller nachweisen als mittels Beobachtungen», betont Loïc Pellissier, Professor für Ökosysteme und Landschaftsevolution der ETH Zürich und einer der beiden Hauptautoren einer Studie. Diese wurde soeben in der Fachzeitschrift «The Proceedings of the Royal Society» veröffentlicht.
So waren die DNA-Analysen nach nur zwei Jahren abgeschlossen. Die Sichtbeobachtungen, die in die Studie einflossen, stammen jedoch von unzähligen Beobachter:innen und umfassen 13 Jahre Bestandserhebungen.
Mit dem neuen Ansatz entdeckten die Forschenden insbesondere mehr im Freiwasser schwimmende (pelagische), riffgebundene und Arten, welche die zahlreichen Höhlen und Spalten von Riffen bewohnen (kryptobenthische). Taucher:innen bekommen solche Fische seltener zu Gesicht.
Viele der nachgewiesenen pelagischen Arten bevorzugen das offene Meer oder tiefere Gewässer – oder sie gehören zu Familien, welche Menschen meiden oder nicht permanent in Korallenriffen leben, wie Makrelen und Thunfische aus der Familie Scombridae sowie Haie aus der Familie der Carcharhinidae (Requiemhaie, etwa der Schwarzspitzen-Riffhai).
Die Entdeckung dieser Arten ist wichtig, da sie durch ihre nächtlichen Wanderungen zum Riff aktiv an der Funktion eines Korallenriffs beteiligt sind. Die Rolle dieser Fische für das Ökosystem wird deshalb oft unterschätzt.
Ohne Sichtbeobachtungen geht es (noch) nicht
Allerdings lassen sich mittels eDNA nicht alle Arten gleich einfach erfassen, wie beispielsweise Lippfische Labridae oder Schleimfische Blenniidae. Referenzdatenbanken decken diese artenreichen Familien nur teilweise ab, sagt der Biodiversitätsforscher. Aufgrund dieser Lücken konnte ein erheblicher Teil der in den Wasserproben gefundenen eDNA bisher nicht zugeordnet werden.
Die Forschenden sind jedoch mit Hochdruck daran, den eDNA-Ansatz weiterzuentwickeln, die DNA von weiteren Fischarten zu sequenzieren und die Daten in die Referenzdatenbanken einzuspeisen. Dennoch wird es auch weiterhin Tauchgänge brauchen, um gewisse Arten, die mittels eDNA nur schlecht entdeckt werden können, zu erfassen, aber auch, um biometrische Informationen wie Grösse und Biomasse zu erheben.
Korallen-Dreieck ist aussergewöhnlich vielfältig
In ihrer aktuellen Studie bestätigten die Forschenden frühere Erkenntnisse, wonach sich die Artenzusammensetzungen zwischen den biogeografischen Meeresregionen stark unterscheiden. Besonders hoch ist die Fischvielfalt im sogenannten Korallen-Dreieck zwischen Borneo, Papua Neuguinea und den Philippinen. Hier leben bis zu fünfmal mehr Fischarten und -familien als in der Karibik. Insbesondere Pflanzenfresser, darunter auch korallenverzehrende Arten, sind im Korallen-Dreieck besonders zahlreich.
Das hat laut Pellissier damit zu tun, dass dieses Gebiet in der Erdgeschichte tektonisch sehr aktiv war (und noch immer ist) und sich viele verschiedene Lebensräume herausbildeten. Auch war die Oberflächentemperatur dieses Meeresgebiets während der Eiszeiten stabiler, weshalb sich eine besonders hohe Vielfalt entwickeln konnte.
Die Karibik hingegen war dem Regime der Eiszeiten stärker unterworfen. In Kaltzeiten schrumpften die dortigen Korallenriffe und die Fischbestände. Zudem bildete sich vor über 2,7 Millionen Jahren die Landenge von Panama, was unter anderem die Meeresströmungen in der Karibik veränderte. Beide Ereignisse führten zu grösseren Aussterbewellen.
Internationale Zusammenarbeit
Für diese Studie wurde das Forschungskonsortium unter anderem von Monaco Explorations, einer Organisation des Prinzen von Monaco, unterstützt. Diese stellte den Wissenschaftlerinnen für den ersten Teil des Projekts ein Forschungsschiff zur Verfügung. Damit konnten sie Wasserproben in der Karibik und vor der Küste Kolumbiens sammeln. Weitere Proben wurden auf separaten Reisen, die ebenfalls durch den monegassischen Hof finanziert wurden, gesammelt.
«Für mich als Schweizer Forscher war es enorm wichtig, Teil einer internationalen Kollaboration zu sein», sagt Pellissier. Ohne Vernetzung mit Partnern in Frankreich, Kolumbien, Indonesien und Australien hätte er diese Studie nicht durchführen können. Und: «Wir können in der Schweiz nicht isolierte Forschung auf diesem Niveau betreiben.»
Noch in diesem Jahr ist eine weitere Expedition zum Sammeln von Wasserproben geplant. Dieses Mal wollen die Forschenden die tropischen Gewässer des Indischen Ozeans zwischen Südafrika und den Seychellen beproben. Diese Expedition, die nun die Proben aus den Vorjahren ergänzen wird, musste zudem wegen Covid vertagt werden.
Originalpublikation:
Mathon L, Marques V, Mouillot D, et al. Cross-ocean patterns and processes in fish biodiversity on coral reefs through the lens of eDNA metabarcoding. Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, Volume 289, Issue 1973. Published: 20 April 2022. DOI: 10.1098/rspb.2022.0162

21.04.2022, Universität Koblenz-Landau
Studie: Insekten transportieren Pestizide von Gewässer an Land
Zuckmücken sind die winzigen Fliegen, die sich in dunklen Schwärmen in der warmen Luft an Seen und Bächen zusammenfinden, allerdings zu den nicht stechenden Arten gehören. Sie leben zunächst als Larven im Wasser. Nun haben Forscher der Universität Koblenz-Landau in der internationalen Fachzeitschrift „Environmental Science and Technology“ der American Chemical Society berichtet, dass die Larven der Zuckmücken Pestizide in sich ansammeln und diese mit ihrer Umwandlung in ein fliegendes Insekt mit an Land transportieren können. Tiere, welche die umherfliegenden Mücken dann fressen, könnten folglich täglich kleine Mengen dieser Pestizide aufnehmen.
Um die Produktion von Nutzpflanzen zu erhöhen, setzt man in der Landwirtschaft, Pestizidgemische ein. Ein Teil dieser Verbindungen gelangt von der Anbaufläche in nahegelegene Gewässer und setzt die unter Wasser lebenden Tiere einer bunten Mischung von Schadstoffen aus. Zuckmücken verbringen ihr Larvenstadium auf dem Grund von Gewässern und tummeln sich im Sediment. Nach ihrer Metamorphose schlüpfen die erwachsenen Mücken jedoch aus dem Wasser und fliegen ans Ufer und landeinwärts und bilden dort eine wichtige Nahrungsquelle für andere Insekten, Spinnen, Frösche, Vögel und Fledermäuse. Für einige ältere, nicht mehr zugelassene Pestizide wurde dieser Transportweg an Land bereits belegt. Ob nun Zuckmücken auch die heute in der Landwirtschaft gebräuchlichen Pestizide bis ins Stadium der umherfliegenden Insekten bei sich tragen, wurde bisher nicht untersucht. Also gingen die Landauer Umweltwissenschaftler Alexis Roodt, Ralf Schulz und Kollegen im DFG-Graduiertenkolleg SystemLink den Spuren von Pestiziden im gesamten Lebenszyklus der Zuckmücke nach und schätzten dabei auch ein, ob die Insekten diese Stoffe an ihre Fressfeinde weitergeben könnten.
Die Forscher setzten Zuckmückenlarven in Behälter gefüllt mit Sediment, Wasser und einer Mischung aus neun Pestiziden. Die Larven nahmen alle in der Studie eingesetzten Fungizide und Herbizide auf und ein geringer Teil davon fand sich auch in den aus den Larven schlüpfenden fliegenden Insekten wieder. Die Konzentrationen des z.B. in Raps, Weinbau, Gemüse oder Obst eingesetzten Herbizids Propyzamid waren in den Larven und bei frisch geschlüpften Mücken sogar sehr ähnlich. Geschlüpfte weibliche Mücken enthielten höhere Konzentrationen der Pestizide verglichen mit ihren männlichen Artgenossen. Aber im Laufe der Zeit verringerten sich die Pestizidkonzentrationen in weiblichen Mücken, was die Forscher der Tatsache zuschreiben, dass die meisten der weiblichen Mücken Eier legen und damit die Verbindungen an die nächste Generation von Mücken weitergeben. Abschließend schätzte das Team unter Zuhilfenahme von Daten aus anderen Studien, dass Vögel und Fledermäuse über ihre Nahrung aus umherfliegenden Mücken über längere Zeit Pestizide aufnehmen können und somit die Pestizide in Gewässern auch Tiere an Land negativ beeinflussen könnten.
Originalpublikation:
Roodt AP, Röder N, Pietz S, Kolbenschlag S, Manfrin A, Schwenk K, Bundschuh M, Schulz R. 2022. Emerging midges transport pesticides from aquatic to terrestrial ecosystems: importance of compound- and organism-specific parameters. Environ Sci Technol 10.1021/acs.est.1c08079.

21.04.2022, Naturhistorisches Museum Wien
Neue Forschungsergebnisse: Weltweit erste fossile Knorpel von Tintenfischen entdeckt
Ein Forschungsteam des Naturhistorischen Museums Wien und der Universität Wien hat über 10.000 einzigartige Fossilien der alpinen Triaszeit (vor rund 233 Millionen Jahren) untersucht und bislang unbekannte Strukturen im Gestein entdeckt. Nun konnte das Rätsel um die fossilen Überreste gelöst werden: Es handelt sich um den weltweit ersten Nachweis von Tintenfisch-Knorpeln. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift PLOS ONE publiziert.
Ein kleiner Graben beim Polzberg zwischen Gaming und Lunz am See (Niederösterreich) verbirgt eine der wichtigsten Fossil-Fundstellen Österreichs, eine Lagerstätte von Weltruf, aus der seit über 150 Jahren spektakuläre Fossilien des Erdmittelalters geborgen werden. Dort wurden auch bisher unbekannte, bis zu 3 Zentimeter große, schwarze Gebilde bei Grabungen des NHM Wien im Jahr 2021 und auch von Citizen Scientists gefunden. Paläontologin Petra Lukeneder, MSc von der Universität Wien, Doktoratsschule für Ökologie und Evolution, und Paläontologe PD Dr. Alexander Lukeneder vom NHM Wien untersuchten nun über 80 unterschiedliche Exemplare dieser Fossilien mit den rätselhaften Strukturen mittels Computertomographie.
Mit Hilfe dieser Micro-CT-Aufnahmen konnte erstmals in das Innere der Gebilde geblickt werden. So entstanden Bild um Bild digitale 3D-Modelle der fossilen Reste, die von unzähligen, sich verzweigenden Gängen durchzogen waren. Die chemische Zusammensetzung konnte zusätzlich durch feinste Gesteins-Dünnschliffe mit Hilfe von Rasterelektronen-Mikroskopie und hochauflösender Materialanalyse bestimmt werden. Die Objekte bestehen aus reinem Kohlenstoff. Rund um die Funde sind hunderte Fanghäkchen von Tintenfisch-Armen eigebettet und auch Schulpe (die kalkigen Schalen der Weichtiere) fanden sich in der Nähe der Strukturen.
Die dreidimensionalen digitalen Modelle wurden mit modernen Tiergruppen verglichen, wodurch die rätselhaften Objekte erstmals eindeutig als fossile Tintenfisch-Knorpel identifiziert werden konnten. Durch geochemische Prozesse reicherte sich im ursprünglich knorpeligen Material allmählich Kohlenstoff an und führte zur Erhaltung der nun schwarzen und harten Gebilde.
Die Funde konnten der Tintenfisch-Art Phragmoteuthis bisinuata zugeordnet werden, die vor 233 Millionen Jahren lebte. Phragmoteuthis ist ein ausgestorbener Verwandter der modernen Tintenfische. Heute lebende Tintenfische wie Loligo vulgaris, der Gemeine Kalmar, bilden sehr ähnliche Strukturen aus Tintenfisch-Knorpel im Kopfbereich aus. Diese knorpelige Struktur stärkt und schützt dabei das Gehirn und den Augenbereich der Tiere. Bei diesen Meeresbewohnern führt die Speiseröhre direkt durch den Kopfknorpel und das Gehirn in den Magen des Tieres.
Die Tintenfische der späten Trias bewohnten marine Bereiche des damaligen Reiflinger Meeres, einem Seitenast des Tethys-Ozeans. In dieser Phase der Erdgeschichte kam es zu einer weltweiten Krise mit Massenaussterben auf der Erde, die über zwei Millionen Jahre andauerte. Diese Krise hatte auch Auswirkungen auf die Sedimente und Ablagerungen der Meeresböden. Am Meeresboden kam es so zur Ausbildung von sauerstoffarmen Bereichen. Im lebensfeindlichen Schlamm blieben dadurch selbst feinste Details der Fossilien erhalten und machten den Polzberg in Niederösterreich zu einer einzigartigen Fundstelle.
Die Forschung wird vom Land Niederösterreich (Wissenschaft und Forschung) und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (Geo/Hydro Sciences) im Rahmen zweier Projekte finanziert.
Publikation in der Fachzeitschrift “PLOS ONE”:
Lukeneder, P. & Lukeneder A. 2022. Mineralized coleoid cranial cartilage from the Late Triassic Polzberg Konservat-Lagerstätte (Austria)“. PLOS ONE.
Open Access: https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0264595
DOI: https://doi.org/10.1371/journal.pone.0264595

21.04.2022, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen
Waschbären und Co auf die Pfoten geschaut
Das Verbundprojekt ZOWIAC (Zoonotische und wildtierökologische Auswirkungen invasiver Carnivoren) dient der Erforschung von Invasionsprozessen gebietsfremder und einwandernder Fleischfresser, deren Auswirkungen auf heimische Ökosystemen, sowie den potenziell damit verbundenen gesundheitlichen Risiken für den Menschen. Nun ruft die Projektleitung Bürger*innen zur Mithilfe bei der Suche nach Waschbären, Marderhund und Mink auf. Mithilfe der ZOWIAC-App können Interessierte Meldungen zu den drei Arten machen – mit dem Ziel detaillierte, flächendeckende Daten zur Verbreitung und Vorkommen der potenziellen Krankheitsüberträger zu erhalten.
Mit ihren schwarzen Masken, Knopfaugen, geschickten Pfoten und dem eher pummeligen, pelzigen Erscheinungsbild sind Waschbären Sympathieträger. „Doch so niedlich Waschbären auch aussehen, faktisch sind es nicht-heimische Fleischfresser, die sich derzeit nahezu unkontrolliert in Deutschland ausbreiten. Und das mit noch nicht abschätzbaren Folgen für Mensch, Tier und Ökosysteme!“, erklärt Prof. Dr. Sven Klimpel vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum Frankfurt, der Goethe-Universität Frankfurt und dem LOEWE-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik und fährt fort: „Im Projekt ZOWIAC untersuchen wir daher, wie sich der Waschbär, aber auch der Marderhund und der Mink, auf bedrohte einheimische Arten und die jeweiligen Ökosysteme auswirken und mit welchen Parasiten und anderen Krankheiten auslösenden Erregern sie befallen sind.“
Dabei setzt das Team rund um Klimpel auf fächerübergreifende Kooperationen und eine Vernetzung der Forschung von universitären und außeruniversitären Einrichtungen, Ministerien, Behörden, Tierschutz-, Jagd- und Naturschutzverbänden. „Auch die Einbindung der Bevölkerung ist uns immens wichtig! Wir haben daher eine Meldemöglichkeit von Wildtieren für Bürger*innen entwickelt. Ob bei einem Spaziergang in der Natur, der Stadt oder dem Picknick im Park: Sichtungen von Waschbären, Marderhunden und Minken können einfach in unsere ZOWIAC-App eingetragen werden. Die so durch Citizen Science gewonnen Verbreitungs- und Vorkommensdaten sind essenziell für unsere weiterführenden Analysen“, fügt der Frankfurter Wissenschaftler hinzu. Bei der Meldung über die App wird zwischen Tier-Beobachtung, Spuren, Kot oder Fraßspuren unterschieden. Die durch die Applikation gewonnen Forschungsdaten können jederzeit über die Webseite abgerufen werden. Durch das regelmäßige Aktualisieren der Daten ist der Informationszuwachs transparent für die Benutzer*innen nachvollziehbar. Die Einrichtung eines Forums für den Dialog zwischen Interessierten und Forschenden rundet das Angebot auf der ZOWIAC-Webseite ab.
Bislang wurden bundesweit gut 350 Waschbären aus Naturschutzgebieten, urbanen und ländlichen Räumen im Rahmen von ZOWIAC untersucht. Hinzu kommen Daten von 95 Marderhunden aus Schleswig- Holstein, Niedersachsen, Sachsen und Hessen und 50 Minken aus Schleswig- Holstein, Sachsen- Anhalt und Hessen. Klimpel zu den ersten Forschungsergebnissen: „In Zusammenarbeit mit dem Friedrich-Löffler-Institut haben wir rund 200 Blutproben von Waschbären und Marderhunden aus ganz Deutschland virologisch untersucht. Einige dieser Blutproben weisen einen positiven Befund hinsichtlich des, ursprünglich aus Afrika stammende und durch Stechmücken übertragbaren, West-Nil-Virus auf. Die ebenfalls im Projekt durchgeführten metagenomischen Untersuchungen des Marderhundes zeigten zudem, dass dieser als Reservoirwirt und somit als Überträger von SARS-CoV-2 fungieren kann.“
In den untersuchten Waschbären konnten zudem 22 unterschiedliche Parasitenarten identifiziert werden. Am häufigsten fanden sie den, auf Menschen übertragbaren, Waschbärspulwurm Baylisascaris procyonis. In den untersuchten Marderhunden konnten bislang 18 verschiedene Parasitenarten bestimmt werden, von denen neun Arten, wie beispielsweise der Fuchsbandwurm Echinococcus multilocularis oder der Lungenhaarwurm Capillaria aerophila, humanpathogen – fähig eine Krankheit beim Menschen auszulösen – sind.
Im Projekt durchgeführte Mageninhaltsanalysen von Waschbären bestätigen den Verdacht, dass dieser für den Rückgang heimischer Arten verantwortlich ist. Rote Liste-Arten, wie beispielsweise die Gelbbauchunke (Bombina variegata) oder die ebenfalls geschützte Erdkröte (Bufo bufo) konnten bereits als Nahrungsquelle für die Fleischfresser nachgewiesen werden. Die Analysen der Mageninhalte von Marderhunden wiesen ein ähnliches Ergebnis auf: Insgesamt 16 heimische Arten wurden identifiziert, von denen beispielsweise der Feldhase (Lepus europaeus) als „gefährdet“ und der Springfrosch (Rana dalmatina) in Deutschland als besonders geschützt eingestuft sind.
„Durch den Vergleich der klimatischen Nischen, welche Waschbären und Marderhunde in ihren jeweiligen ursprünglichen Verbreitungsgebieten – Nordamerika und Asien – besetzen, mit denen, die sie in Europa erschließen, konnten wir ein weiteres invasives Potential für beide Arten ableiten. Es ist also damit zu rechnen, dass sich die beiden Arten in den nächsten Jahren in Europa noch weiter ausbreiten werden“, resümiert Klimpel und gibt einen Ausblick: „Fortlaufende Untersuchungen in bestimmten Arealen, wie beispielsweise in Naturschutzgebieten, sollen einen möglichst genauen Überblick über das Jagdverhalten von Waschbären und Co schaffen, um so möglichst wirkungsvolle Handlungsempfehlungen zum Schutz der Biodiversität und der heimischen Ökosysteme geben zu können.“

22.04.2022, Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT)
Geschützte Riffe im Indischen Ozean erholen sich schnell nach Korallenbleiche
Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass sich Korallenriffe in abgelegenen oder geschützten Gebieten selbst nach einer schweren Korallenbleiche schnell erholen können. Für die Studie untersuchten Forscher:innen der Universität Exeter und des Leibniz-Zentrums für Marine Tropenforschung (ZMT) Korallenriffe und ihre Funktionen im Indischen Ozean.
Wie schnell erholen sich Korallenriffe und ihre geologischen und ökologischen Funktionen nach einem Massensterben durch Korallenbleiche? Eine neue Studie quantifiziert die Veränderungen der Artengemeinschaften und Größenstruktur der Korallen nach der globalen Bleiche von 2015 und 2016 im abgelegenen Chagos-Archipel. Inmitten des Indischen Ozeans gelegen, sind die nördlichen Atolle der Inselgruppe seit Jahrzehnten unbesiedelt und Teil eines der weltweit größten marinen Schutzgebiete. Ihre Korallenriffe sind deshalb nur minimalen direkten menschlichen Einflüssen wie Fischerei ausgesetzt.
Korallenbleichen können nach Hitzewellen in den Ozeanen auftreten, ein weitflächiges Korallensterben auslösen und so zu massiven Veränderungen der Gemeinschaften im Riff führen. Dadurch können sie die wichtigen Funktionen von Riffen beeinträchtigen. Während die Schädigung von Korallenriffen in den letzten Jahrzehnten umfassend untersucht wurde, bestehen immer noch kritische Wissenslücken darüber, wie schnell sich Riffe und ihre Funktionen wieder erholen können und welche Merkmale die Widerstandsfähigkeit von Riffen verbessern.
In ihrer Studie untersuchten Forscher:innen der Universität Exeter und des Leibniz-Zentrums für Marine Tropenforschung (ZMT) in den Jahren 2015, 2018 und 2021 in zwölf Riffen des Archipels das „Riffkarbonatbudget“. Es beschreibt das Gleichgewicht zwischen Produktion und Erosion von Kalziumkarbonat, der Bausubstanz der Korallenskelette. Karbonatbudgets sind wichtige Indikatoren für die Gesundheit von Riffen und ihre Fähigkeit, Meereslebewesen einen Lebensraum zu bieten, die Küsten vor Wellenenergie zu schützen und Riffinseln in die Lage zu versetzen, mit dem Anstieg des Meeresspiegels Schritt zu halten.
Die Feldstudie zeigte zunächst, dass die Bleiche in 2015 und 2016 durch das Absterben von Korallen den Korallenbewuchs und die Karbonatproduktion in den untersuchten Riffen um über 70% verringert hatte. Im Jahr 2018 waren die ehemals gesunden Riffe deshalb deutlich geschrumpft.
Als die Forscher:innen im Jahr 2021 – sechs Jahre nach der Bleiche –zurückkehrten, waren jedoch alle Riffe auf dem Weg sich zu erholen. In einem der Atolle, dem Salomon-Atoll, war das Karbonatbudget wieder deutlich positiv und die wichtigsten Korallenarten waren zahlreich zurückgekehrt. Auch die Riffe in den beiden anderen Atollen regenerierten sich, jedoch langsamer.
„Aufgrund der überraschend schnellen Rückkehr vieler verschiedener Korallenarten gehen wir davon aus, dass sich die Riffe im Chagos-Archipel in den nächsten Jahren wahrscheinlich vollständig erholen werden – zumindest wenn die Region von einer weiteren Korallenbleiche verschont bleibt“, vermutet Ines Lange, Korallenriffökologin an der Universität Exeter und Erstautorin der Studie.
Die Wissenschaftler:innen konnten einige Faktoren identifizieren, die zur schnelleren Erholung der Riffe im Salomon-Atoll beigetragen hatten: Die Riffe dort behielten ihre komplexe Struktur mit großer Artenvielfalt selbst nach dem Massensterben. Auch die rückkehrenden Korallenarten hatten Einfluss darauf, wie schnell sich die Riffe regenerierten. So befanden sich nach sechs Jahren sehr viele Exemplare der schnell wachsenden Tischkorallen in den Riffen des Atolls. Durch die Nähe zu einer geschützten Lagune mit gesunden Korallengemeinschaften hatten sie sich dort wieder ansiedeln können.
„Die Studie zeigt, dass sich Korallenriffe und die wichtigen Funktionen, die sie erfüllen, in abgelegenen und geschützten Gebieten ohne lokale Einflüsse wie Fischerei, Abwässer oder Veränderungen der Küstenlinie relativ schnell erholen können, selbst nach großflächigen Störungen“, so Koautorin Marleen Stuhr vom ZMT. „Solche Regionen können als Modell dienen, um den natürlichen Verlauf der Rifferholung zu beobachten.“ Das Verständnis der Prozesse, die die Regeneration von Riffgemeinschaften vorantreiben, sei besonders wichtig, um Riffe unter den zunehmenden globalen Bedrohungen zu schützen.
Originalpublikation:
Lange, I.D., Perry, C.T. and Stuhr, M. (2022), Recovery trends of reef carbonate budgets at remote coral atolls 6 years post-bleaching. Limnol Oceanogr. https://doi.org/10.1002/lno.12066

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