15.05.2018, NABU
Fast nur Verlierer unter den Gartenvögeln
Miller: Zwischenergebnis zeigt die niedrigste Vogelzahl pro Garten seit Beginn der Aktion Stunde der Gartenvögel
Der NABU und sein bayerischer Partner LBV freuen sich über eine rege Beteiligung bei der 14. Stunde der Gartenvögel, die von Vatertag bis Muttertag stattfand. Bis zum Montagabend hatten bereits über 37.000 Vogelfreunde aus mehr als 25.000 Gärten und Parks fast 840.000 Vögel gemeldet. Bis zum 21. Mai können die Vogelzählungen per Internet oder per Post an den NABU übermittelt werden.
Weniger erfreulich sind allerdings die bisherigen Ergebnisse. „Pro Garten wurden im Schnitt nur 33,3 Vögel gemeldet. Das ist die niedrigste Vogelzahl seit Beginn der Aktion und ein Minus von über fünf Prozent gegenüber dem Vorjahr und dem langjährigen Mittel“, so NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller. Besonders bei unseren häufigsten Gartenvögeln deuten sich reihenweise Negativ-Rekorde an. „Unter den Top 15 unserer Gartenvögel weisen sieben Arten die bisher geringsten Zahlen auf, darunter Amsel, Kohlmeise, Blaumeise, Elster, Grünfink, Buchfink und Hausrotschwanz“, sagt Miller. „Bei vier weiteren Arten gab es nur einmal zuvor noch weniger Vögel. So hat auch der Vogel des Jahres 2018, der Star, nach zwischenzeitlich leichter Bestandserholung wieder fast den Negativrekord des Jahres 2010 erreicht. Lediglich Haussperling, Feldsperling, Ringeltaube und Rabenkrähe wurden in üblichen Mengen gesichtet.“
Auf der Suche nach Lichtblicken muss man in der Rangliste der häufigsten Gartenvögel weit nach unten blicken: So setzen die beiden samenfressenden Finkenarten Stieglitz und Kernbeißer ihre Bestandszunahmen fort. „Auffällig ist, dass dagegen fast alle Vogelarten, die ihre Jungen mit Insekten füttern, besonders niedrige Zahlen aufweisen“, so Miller. „Auch bei den langjährigen Sorgenkindern, den Luftinsektenjägern Mehlschwalbe und Mauersegler, haben sich die erfreulich guten Zahlen des Vorjahres buchstäblich als Eintagsfliege erwiesen: Ihre Zahlen sind wieder so schlecht wie in den Jahren davor und entsprechen nur noch 60 Prozent der Ausgangsbestände im Jahr 2006. Die Ursache dafür liegt offenbar im massiven Insektenschwund.“
Die besorgniserregenden Zwischenergebnisse zeigen, dass mehr zum Schutz der Vögel getan werden muss. „Jeder kann damit beginnen, seinen Garten als Mini-Naturschutzgebiet zu gestalten“, schlägt Miller vor. „Zudem muss das anhaltende Insektensterben umgehend gestoppt werden.“
Alle Informationen zur Aktion unter www.stundedergartenvoegel.de
15.05.2018, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Ameisen: Auf Umwegen schneller ans Ziel
Ameisen nehmen nicht immer den kürzesten Weg, wenn sie es eilig haben. Ihr Navigationssystem bringt sie bisweilen schneller ans Ziel, indem es sie Umwege laufen lässt.
Die afrikanischen Matabele-Ameisen (Megaponera analis) haben Termiten als Leibspeise. Um ihre Vorratskammern zu füllen, gehen sie zwei bis vier Mal am Tag auf Raubzüge: 200 bis 600 Tiere ziehen in Kolonnen los, überfallen Termiten an ihren Futterstellen und schleppen sie zurück ins Nest, wo sie ihre Opfer am Ende fressen.
Bevor die Ameisen einen Raubzug starten, schicken sie Späher los. Die suchen nach Termitenfutterstellen, laufen dann zurück zum Nest und mobilisieren ihre Kameradinnen. Auf dem Rückweg zum Nest legen die Späher eine bemerkenswerte Routenplanung an den Tag: Sie wählen nicht den kürzesten, sondern den schnellsten Weg.
Schnelleres Laufen in offenem Gelände
Verläuft der direkte Rückweg zum Nest zum Beispiel durch ein Areal, das dicht mit Gräsern bewachsen ist, bevorzugen die Späher Umwege über offenes Gelände. Dort können sie doppelt so schnell laufen – und das lohnt sich: Obwohl sie nicht den kürzesten Weg nehmen, sind sie deutlich schneller. Ihre Laufzeit zurück zum Nest verringert sich im Schnitt um 35 Prozent.
Das haben Erik T. Frank, Philipp Hönle und Karl Eduard Linsenmair vom Biozentrum der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) herausgefunden. Die Ergebnisse der Biologen sind im Journal of Experimental Biology veröffentlicht.
Einzelne Ameisen treffen Entscheidungen
„Von anderen Ameisenarten ist bekannt, dass sie mit Hilfe verschiedener Orientierungsmechanismen den kürzesten Weg von einer Futterstelle zurück zum Nest finden können“, sagt Erik Frank. Offenbar verfügen die Matabele-Ameisen über noch komplexere Navigationsfähigkeiten, die es nun weiter zu erforschen gilt.
Was die Würzburger Biologen außerdem erstaunt hat: Bei den Matabele-Ameisen wird die Entscheidung über den einzuschlagenden Weg nicht im Kollektiv, sondern von einzelnen Tieren getroffen. „Damit haben wir den ersten Nachweis einer Zeit-optimierten Wegintegration durch einzelne Individuen im Ameisenreich erbracht“, sagt Frank, der inzwischen als Postdoc an der Universität Lausanne forscht.
Publikation
Time optimized path-choice in the termite hunting ant Megaponera analis. Erik T. Frank, Philipp O. Hönle, K. Eduard Linsenmair. Journal of Experimental Biology 2018, 10 May. DOI: 10.1242/jeb.174854
15.05.2018, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen
Sammlungsunikat enthüllt Familienbanden
Senckenberg-Wissenschaftler haben mit einem internationalen Team herausgefunden, dass der auf den Sanighe-Inseln endemische und vom Aussterben bedrohte Blaumonarch enge Verwandte auf den Fidschi-Inseln und in Neuguinea hat. Das hierfür mit genetischen Methoden untersuchte Belegstück aus der ornithologischen Senckenberg-Sammlung in Dresden ist einzigartig – es gibt weltweit nur ein Belegexemplar dieser Vogelart. Die Studie erschien kürzlich im Fachjournal „Biology Letters“.
Nur noch 19 bis 105 lebende Exemplare des Blaumonarchen (Eutrichomyias rowleyi) gibt es laut der International Union for Conservation of Nature and Natural Resources (IUCN) – der Vogel wird als „vom Aussterben bedroht“ eingestuft und steht unter besonderem Schutz.
„Wir haben gemeinsam mit Kollegen vom Natural History Museum of Denmark das weltweit einzige vorhandene Sammlungsstück dieser Vogelart mit genetischen Methoden untersucht und herausgefunden, dass die Blaumonarchen anders als bisher angenommen nah mit dem Drongofächerschwanz aus Neuguinea und dem Seidenfächerschwanz von den Fidschi-Inseln verwandt sind“, erläutert Dr. Martin Päckert von den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen in Dresden, in deren Vogelsammlung das wertvolle Unikat bewahrt wird und ergänzt: „Wir schlagen daher vor, diese drei Arten in die Familie der Lamproliidae zu stellen.“
Gesammelt wurde das untersuchte Typusexemplar, ein Blaumonarchen-Männchen, bereits 1873 vom deutschen Naturforscher Adolf Bernhard Meyer. Es verging mehr als ein Jahrhundert bis es 1978 eine erneute Sichtung des Vogels durch den Ornithologen Murray D. Bruce gab. Nachdem zwischenzeitlich sogar von einem Aussterben der seltenen Vögel ausgegangen wurde, konnte in einem Langzeitprojekt Ende der 90er Jahre eine kleine Population von Silberparadiesschnäppern in fünf Tälern der indonesischen Sanighe-Inseln bestätigt werden.
Doch wie konnten die ausschließlich auf der größten der Sanighe-Inseln – Sangihe Besar – lebenden, etwa 18 Zentimeter großen Blaumonarchen die Distanz von über 6.000 Kilometern zu ihren Verwandten auf den Fidschi-Inseln überwinden?
„Vieles spricht dafür, dass es zur Zeit der Aufspaltung dieser Vogelfamilie vor etwa 20 Millionen Jahren sogenannte ‚Trittsteine’ zwischen den heute weit entfernten Inseln gab“, erläutert Päckert. Tektonische Rekonstruktionen deuten darauf hin, dass die Inselgruppen vor etwa 25 Millionen Jahren durch den melanesischen Inselbogen verbunden waren. Das internationale Team rund um den Dresdner Ornithologen vermutet, dass die Vogelfamilie ursprünglich verteilt auf den verschiedenen Inseln dieses Bogens lebte. Als sich diese innerhalb der Erdgeschichte wieder absenkten, erfolgte eine Separierung der heutigen drei Arten, so dass die Mitglieder der Familie Lamproliidae heute auf weit voneinander getrennten Inseln im Indopazifik leben.
„Unsere Studie zeigt erneut, wie wichtig unsere Sammlungen für das Verständnis des gesamten System Erdes sind und dass durch neue Methoden auch uralte Objekte überraschende wissenschaftliche Ergebnisse bringen können“, resümiert Päckert.
Publikation
Knud Andreas Jønsson, Mozes P.K. Blom, Martin Päckert, Per G.P. Ericson, Martin Irestedt,
Relicts of the lost arc: High-throughput sequencing of the Eutrichomyias rowleyi (Aves: Passeriformes) holotype uncovers an ancient biogeographic link between the Philippines and Fiji, Molecular Phylogenetics and Evolution, Volume 120, 2018,
Pages 28-32, ISSN 1055-7903, https://doi.org/10.1016/j.ympev.2017.11.021.
15.05.2018, Philipps-Universität Marburg
Biogeografinnen testen Theorien über Biodiversität
Marburger Biogeografinnen erforschen in einem aktuellen Projekt, wie es zur großen Artenvielfalt in den Tropen kommt. Das Team um Juniorprofessorin Dr. Maaike Bader von der Philipps-Universität Marburg verwendet Methoden wie die Analyse räumlicher Muster, um die Biodiversität von Flechten und anderen Pflanzen zu erklären, die auf den Blättern anderer Arten leben. Die Europäische Union fördert das Vorhaben unter dem Titel „EPIDYN“ durch ihr „Marie Curie“-Programm mit mehr als 190.000 Euro.
In den vergangenen Jahrzehnten entwickelten die Lebenswissenschaften unterschiedliche Theorien, um Biodiversität zu erklären. „Viele theoretischen Modelle schreiben der Wechselwirkung zwischen den Arten eine herausragende Bedeutung zu, aber die vorhergesagten Ergebnisse sind unterschiedlich“, erklärt die Biologin und Geoinformatikerin Maaike Bader, die eine Arbeitsgruppe zum Thema „Ökologische Pflanzengeographie“ leitet. „Diese Theorien mit empirischen Daten aus den tropischen Regenwäldern zu testen, ist schwierig, weil sich Baumgemeinschaften nur langsam verändern.“
Mit dem Projekt verfolgt Baders Arbeitsgruppe in Zusammenarbeit mit Dr. Noris Salazar vom Smithsonian Tropical Research Institute das Ziel, die Biodiversitätstheorien in einem Ökosystem zu erproben, das eine viel schnellere Dynamik aufweist als die Bäume tropischer Regenwälder, aber gleichzeitig über eine ähnlich hohe Artenvielfalt verfügt: Flechten und andere so genannte Epiphylle, das sind Pflanzen, die auf den Blättern anderer Pflanzen leben.
„Wir möchten herausfinden, welche theoretischen Modelle sich am besten eignen, um zu beschreiben, wie die Arten in Lebensgemeinschaften auf Blättern interagieren, wie die Besiedelung verläuft und wie all das von den Umweltbedingungen abhängt“, führt Projektmitarbeiterin Dr. Anna Mežaka aus. Das Team beobachtet Blätter in einem tropischen Regenwald in Panama unter verschiedenen Licht- und Feuchtigkeitsbedingungen, die für das Wachstum von Flechten und Moose besonders wichtig sind.
„‘EPIDYN‘ ist die erste Studie, die sich räumlich-explizit mit den Wechselwirkungen zwischen den Arten und der Gemeinschaftsdynamik der Epiphylle befasst“, hebt die Projektleiterin hervor. „Mit unserem Ansatz erproben wir grundlegende ökologische Theorien in einem wenig bekannten Ökosystem im Miniaturmaßstab.“
16.05.2018, Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V
Vom Fisch- zum Säugerherz
Das Herz von Fischen ist genetisch zweigeteilt
Säugetiere besitzen einen zweigeteilten Blutkreislauf, einen Lungen- und einen Körperkreislauf. Auch das Herz ist zweigeteilt: Zu jedem Kreislauf gehört ein Vorhof und eine Kammer, wobei sich die linke und rechte Herzhälfte in Form und Funktion unterscheiden. Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung in Bad Nauheim haben nun herausgefunden, dass sich das Herz der Landwirbeltiere aus dem Herz urtümlicher Fische entwickelt hat. Zu dieser Erkenntnis verhalf den Forschern ausgerechnet ein Tier, das gar keine zwei Herzhälften hat: der Zebrafisch. Die Erkenntnisse könnten für die Therapie angeborener Herzfehler wichtig werden.
Eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Entwicklung der Landwirbeltiere während der Evolution war die Ausbildung zweier Kreislaufhälften. Aquatische Vorfahren besaßen noch ausnahmslos einen einfachen Blutkreislauf. Im Säugerorganismus hingegen existieren zwei komplett voneinander getrennte Kreisläufe, der Körper- und der Lungenkreislauf. Der Körperkreislauf versorgt den Körper mit Blut, während der Lungenkreislauf verbrauchtes Blut zur Anreicherung mit Sauerstoff in die Lunge pumpt. Deshalb besitzt das Herz zwar jeweils ein Paar Vorhöfe und ein Paar Herzkammern. Jedoch unterscheidet sich die linke Herzhälfte deutlich von der rechten.
Bislang ist noch weitestgehend ungeklärt, auf welche Weise sich die beiden Kreislaufsysteme entwickeln. Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung haben durch Untersuchungen am Zebrafisch herausgefunden, dass das Säugerherz eine evolutionäre Weiterentwicklung des Fischherzens darstellt. „Letzteres besteht zwar nur aus einer Kammer und einem Vorhof, vor allem im Vorhof deuten die Aktivität unterschiedlicher Gene auf eine Zweiteilung hin“, so Almary Guerra, Erstautorin der Studie.
Unterschiedliche Genaktivität
Die Forscher konzentrierten sich besonders auf zwei Gene, meis2b und pitx2c. „Beide Gene sind beim Zebrafisch im Vorhof hoch aktiv. Besonders spannend war, dass die Gene jedoch nur in einer Gruppe Vorläuferzellen besonders aktiv waren, aus denen sich später der linke Teil des Vorhofs entwickelt“, so Guerra. Daraus schlossen die Max-Planck-Forscher, dass es innerhalb des Fisch-Vorhofs bereits genetische Unterschiede gibt, die sich auch im Säugerherz wiederfindet. „Eine Reihe von Genen, die für die Eigenschaften des linken Vorhofs des menschlichen Herzens entscheidend sind, sind auch im Zebrafisch nur auf der linken Seite des Vorhofs aktiv“, sagt Sven Reischauer, Gruppenleiter am Max-Planck-Institut. Defekte in einigen dieser Gene können beispielsweise zu sogenannten Septumsdefekten führen, bei denen linke und rechte Herzhälfte nicht vollständig getrennt sind.
Um zu überprüfen, ob ein Gendefekt auch beim Zebrafisch zu Entwicklungsstörungen im Herzen führt, schalteten die Forscher das meis2b-Gen durch einen gentechnischen Eingriff aus. Tatsächlich entwickelt sich das Herz von Zebrafischen ohne meis2b fehlerhaft. „Form und Größe des Vorhofes sowie die Reizweiterleitung ist gestört. Ein derartiges Symptom kennt man auch von Menschen mit einem Defekt der meis2b und pitx2c entsprechenden Gene“, so Reischauer.
In ihrer Studie konnten die Max-Planck-Forscher erstmals eine Bildung von Kompartimenten im Vorhof des Fischherzens nachweisen, die mit der Entstehung der beiden Vorhöfe bei den Landwirbeltieren vergleichbar ist. „Als nächstes werden wir weitere Details erforschen, die zur Asymmetrie des Vorhofs beim Fisch führt“, sagt Reischauer. Ziel für die Bad Nauheimer Wissenschaftler ist es auch, damit ein besseres Verständnis von angeborenen Herzfehlern und letztlich die Grundlagen für deren Therapie zu schaffen.
Originalpublikation:
A. Guerra, R. F. V. Germano, O. Stone, R. Arnaout, S. Guenther, S. Ahuja, V. Uribe, B. Vanhollebeke, D. Y. R. Stainier, S. Reischauer
Distinct myocardial lineages break atrial symmetry during 2 cardiogenesis in zebrafish.
eLife; 15 May, 2018
16.05.2018, Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie
Savannen-Schimpansen leiden unter Hitze-Stress
Als der Mensch im Laufe seiner Evolution offenere und heißere Regionen besiedelte, musste er sich an die neuen Umweltbedingungen anpassen und möglicherweise Schutz vor Überhitzung und eine effizientere Nahrungsverwertung entwickeln. Ein internationales Team um Wissenschaftler des Leipziger Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig hat in zwei Studien die physiologischen Parameter von Savannen- und Regenwald-Schimpansen untersucht und ihren Wasser- und Energiehaushalt sowie ihre Stressbelastung verglichen. Demnach ist der Stress, die Körpertemperatur aufrechtzuerhalten, für Savannen-Schimpansen eine enorme Belastung.
Im Laufe ihrer evolutionären Geschichte passten sich unsere menschlichen Vorfahren körperlich und in ihrem Verhalten an neue Umgebungen an. Durch vermehrtes Schwitzen oder den Verlust der Körperbehaarung konnten sie zum Bespiel ihre Körpertemperatur besser regulieren und so in offeneren, heißeren Landschaften überleben. Auch die Fortbewegung auf zwei Beinen – das Markenzeichen der Homininen – wird von einigen Wissenschaftlern mit der Besiedlung der Savanne in Verbindung gebracht. Eine Studie dokumentiert nun die erheblichen physiologischen Herausforderungen einer in der afrikanischen Savanne lebenden Schimpansengruppe.
Die Forscher haben den Urin von Schimpansen aus Fongoli im Senegal gesammelt und auf eine Reihe von physiologischen Zuständen untersucht. „Das Wetter in Fongoli kann brutal sein – mit einer Durchschnittstemperatur von 37 Grad in der Trockenzeit und etwa sieben Monaten pro Jahr ohne Regen“, sagt Erin Wessling vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und Hauptautorin beider Studien.
Die Forscher haben herausgefunden, dass die Kreatinin- und Cortisol-Werte der Schimpansen gegen Ende der Trockenzeit bei Temperaturen um die 45 Grad und nach Monaten ohne Regen auf eine erhöhte Stressbelastung der Tiere durch Wassermangel und Schwierigkeiten bei der Wärmeregulierung hindeuteten, und dass beides einander möglicherweise noch verstärkt. Kreatinin ist ein Nebenprodukt des muskulären Stoffwechsels, das anzeigt, ob der Körper ausreichend mit Wasser versorgt ist. Cortisol ist ein Hormon, das bei der Stressbewältigung zum Einsatz kommt.
Die Forscher belegten außerdem, dass der C-Peptid-Spiegel der Fongoli-Schimpansen je nach Nahrungsverfügbarkeit im Laufe des Untersuchungszeitraums variiert. C-Peptid wird zusammen mit Insulin von der Bauchspeicheldrüse ausgeschüttet und zeigt an, wie es um die Energieversorgung des Körpers steht. Den Werten zufolge können die Schimpansen ernsthaften Stress aufgrund von Nahrungsmangel vermeiden. „Die größte Herausforderung in Lebensräumen wie Savanne und Savannen-Grasland besteht darin, genug Wasser zu sich zu nehmen und nicht zu überhitzen“, sagt Wessling. „Anpassungen, mit denen ein Organismus seine Körpertemperatur auch unter widrigen Bedingungen konstant halten kann, könnten auch in der Evolutionsgeschichte des Menschen eine wichtige Rolle gespielt haben. Schließlich hat der Mensch während seiner Entwicklung ähnliche Lebensräume durchwandert oder besiedelt. In einem nächsten Schritt wäre es also wichtig zu zeigen, dass die Belastungen auf diese Arten von Lebensräumen, die Baumsavannen, beschränkt sind.“
Weniger Temperatur-Stress im Regenwald
In einer Folgestudie, die diese Woche veröffentlicht wurde, vergleichen Wessling und Kollegen die Variation der drei Biomarker bei Fongoli-Schimpansen mit den gleichen Biomarkern aus dem Urin von Schimpansen aus dem Taï-Nationalpark, einem Tiefland-Regenwald an der Elfenbeinküste. Taï-Schimpansen sollten es mit Durchschnittstemperaturen um die 26 Grad und fast doppelt so viel Niederschlag im Jahr leichter haben als ihrer Artgenossen in der Savanne. Wessling und Kollegen haben herausgefunden, dass die Cortisol-Werte von Schimpansen aus den Regenwäldern von Taï nicht gleichermaßen variieren wie die von Fongoli-Schimpansen. Dies deutet darauf hin, dass thermoregulatorischer Stress eine einzigartige Belastung für Schimpansen darstellt, die in offenen, heißeren Umgebungen leben.
Den Ergebnissen zufolge ist die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln in der Savanne tatsächlich geringer als im Wald. Die Fongoli-Schimpansen verfügen aber dennoch über einen stabileren Energiehaushalt als die Regenwald-Schimpansen. Die Fongoli-Schimpansen scheinen also bereits Strategien entwickelt zu haben, um einen potentiellen Nahrungsmittelmangel zu bewältigen. So ernähren sie sich neben ihrer Lieblingsspeise, reifen Früchten, vermehrt von Termiten, Blumen und Rinde. „Diese Schimpansen haben also bereits Verhaltensweisen entwickelt, um sich an ihre Umwelt anzupassen“, sagt Wessling.
Kontrolle der Körpertemperatur auch für den Menschen wichtig
Falls unsere Vorfahren ähnliche Anpassungen verwendet haben wie die Fongoli-Schimpansen, könnten auch für den Menschen evolutionäre Anpassungen zur Überwindung thermoregulatorischer Herausforderungen wichtiger gewesen sein als solche, die der besseren Nahrungsverwertung dienten. „Wir haben bei den Fongoli-Schimpansen mehrere außergewöhnliche Verhaltensweisen beobachtet, die wir als Reaktionen auf die Hitze in der Savanne zurückführen, wie zum Bespiel die Nutzung von Höhlen, das Baden in Wasserquellen und die vermehrte nächtliche Aktivität“, sagt Wessling. „Trotz dieser Verhaltensweisen zeigen sie aber immer noch Anzeichen von Wassermangel und thermoregulatorischem Stress. Das deutet darauf hin, dass drastischere Anpassungen, wie etwa anatomische Veränderungen, nötig wären, um solchen Belastungen besser standzuhalten.“
Die Ergebnisse der beiden Studien reichen weit über Theorien zur Ökologie und Evolution der Homininen hinaus und geben auch Einblicke in die möglichen Konsequenzen zukünftiger Klimaszenarien, die das Überleben der Art beeinträchtigen könnten. „Angesichts des fortschreitenden Klimawandels können wir nun besser verstehen, welche Konsequenzen sich für den vom Aussterben bedrohten westlichen Schimpansen in naher Zukunft ergeben könnten: Einerseits erfordert die steigende ökologische Belastung eine flexible Anpassung der Tiere an ihre Umwelt. Andererseits könnten die Regionen am Rande ihres Verbreitungsgebiets für die Tiere unbewohnbar werden, und es wird vermutlich zu Verschiebungen der Verbreitungsgrenzen kommen“, schlussfolgert Co-Autor Hjalmar Kühl vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und vom Forschungszentrum iDiv.
17.05.2018, Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)
Totes Holz für mehr Leben im See
Baggerseen gehören zu den häufigsten Gewässertypen in Deutschland. Viele dieser Seen bieten bislang wenig Lebensraum für Tiere. Das soll sich ändern: Im Projekt BAGGERSEE des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB), des Anglerverbands Niedersachsen e.V. (AVN) und der Technischen Universität Berlin werden ausgewählte Baggerseen ökologisch aufgewertet. Tonnen von totem Holz können beispielsweise dazu beitragen, dass diverse Tierarten Schutz und Nahrung finden. Das Projekt wurde nun als offizielles Projekt der UN-Dekade Biologische Vielfalt ausgezeichnet.
Im Schnitt versenkte das Projektteam 100 Bündel Totholz an den Ufern eines Baggersees. Jedes Bündel maß etwa drei Meter und hatte ein Gewicht von rund 300 Kilogramm – und trotzdem mussten sie mit Kies gefüllten Jutesäcken beschwert werden, um im See zu versinken. Unter der Anleitung des AVN-Biologen und ehemaligen Doktoranden des IGB Dr. Thomas Klefoth haben die 160 ehrenamtlichen Helfer der involvierten Angelvereine in etwa 1.300 Stunden bereits acht Baggerseen im Rahmen dieser Aktion ökologisch aufgewertet. Die Säcke werden sich innerhalb von zwei Jahren vollständig zersetzen, das Holz jedoch soll in den Gewässern dazu beitragen, dass wirbellose Tiere wie Libellenlarven und Krebse, Jungfische und andere Artengruppen Schutz und Nahrung finden und dadurch gefördert werden. „Das Projekt zielt auf die Vereinbarkeit von Schutz und anglerischer Nutzung der Seen. Wir wollen untersuchen, ob von solchen einfachen strukturverbessernden Maßnahmen sowohl der erholungssuchende Mensch als auch der Artenschutz profitieren kann“, erklärt Klefoth.
In vier der acht Seen wurden außerdem große Flachwasserzonen ausgehoben und dabei insgesamt 12.000 Kubikmeter Erde bewegt. An vielen Baggerseen verläuft die Uferzone sehr steil, so dass dort kaum Wasserpflanzen wachsen, die Fischen, Amphibien oder Libellen Schutz und Möglichkeiten zur Eiablage bieten. Einfache bauliche Maßnahmen können steile Ufer in flachauslaufende Zonen verwandeln.
Damit die WissenschaftlerInnen vom IGB das bestmögliche Verfahren zur Aufwertung von Baggerseen ermitteln können, werden die Effekte der verschiedenen Maßnahmen mit dem traditionellen Fischbesatz verglichen. Gewässer mit Zuchtfischen zu besetzen ist nämlich eine übliche Hegemaßnahme, um die Wildfischbestände zu unterstützen. So wurde unter Federführung des Projektkoordinators Prof. Dr. Robert Arlinghaus vom IGB in vier weiteren Seen Fischbesatz durchgeführt. „Ich bin sehr stolz auf unser Feldteam, das bei zum Teil eisigen Temperaturen unermüdlich Fische markiert und in die Seen eingesetzt hat.“ Die Markierung mit kleinen Transpondern ist wichtig: So kann das Projektteam bei den nun folgenden Probenahmen feststellen, ob es sich um besetzte oder die ursprünglichen Fische handelt und ob sich das Vorkommen der Fische zwischen den Vergleichsgewässern und denen mit Totholzeintrag unterscheidet.
Das Projekt Baggersee wurde am 12. Mai von Hauke Jagau, Präsident der Region Hannover, offiziell als Projekt der UN-Dekade Biologische Vielfalt im Rahmen eines Gewässeraktionstages in Hannover ausgezeichnet.
17.05.2018, Goethe-Universität Frankfurt am Main
Tigermücken sind noch auf dem Vormarsch
Die Einwanderung von Gelbfiebermücken und Tigermücken hat Tradition und wird durch den globalen Wandel sowie den Waren- und Reiseverkehr beschleunigt. „In den nächsten ein bis fünf Dekaden werden durch Vektoren wie Mücken übertragene Infektionskrankheiten zunehmen“, davon geht das Team um Prof. Dr. Sven Klimpel an der Goethe-Universität und der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung aus.
Durch globalen Waren- und Reiseverkehr haben sich Stechmücken, die gefährliche Infektionskrankheiten übertragen können, nahezu weltweit verbreitet. Der Klimawandel begünstigt zusätzlich die Verbreitung Wärme liebender Arten. Wissenschaftler der Goethe-Universität und der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung haben nun die ökologischen Nischen der Tiger- und der Gelbfiebermücke auf verschiedenen Kontinenten verglichen. Das Ergebnis: „Aufgrund ihrer längeren Einwanderungsgeschichte von 300 bis 400 Jahren füllt die Gelbfiebermücke ihre Nische in nicht-heimischen Gebieten fast vollständig aus, während die Tigermücke mit einer kurzen Einwanderungsgeschichte von 30 bis 40 Jahren noch nicht überall dort angekommen ist, wo sie geeignete Umweltbedingungen hätte“, sagt Prof. Sven Klimpel.
Klimpel und sein Team gehen davon aus, dass in den nächsten ein bis fünf Dekaden durch Vektoren übertragene Infektionskrankheiten zunehmen werden. Vektoren übertragen Infektionskrankheiten auslösende Erreger von einem Wirt auf einen anderen Organismus ohne dabei selbst zu erkranken. Viele bekannte Vektorarten sind in tropischen und subtropischen Gebieten heimisch. Wenn sie im neuen Verbreitungsgebiet Erreger vorfinden, weitet sich das Risikogebiet für die Krankheiten, die sie übertragen, aus.
Zwei prominente Beispiele für Vektoren sind die asiatische Tigermücke (Aedes albopictus) und die Gelbfiebermücke (Aedes aegypti). Die Gelbfiebermücke gilt als Hauptvektor von Gelbfieber-Virus, Dengue-Virus, Zika-Virus und einige andere Viruserkrankungen. Die Tigermücke kann ebenfalls das Zika-Virus und das Dengue-Virus übertragen, aber auch weitere Krankheitserreger wie das West-Nil-Virus oder das Chikungunya-Virus. Diese beiden medizinisch relevanten Vektoren stehen im Fokus der aktuellen Studie in „Scientific Reports“.
Die ursprünglich in Afrika heimische Gelbfiebermücke begann sich schon vor etwa 300 bis 400 Jahren weltweit auszubreiten – vermutlich durch die Ausweitung von Zuckerrohrplantagen und den Sklavenhandel. Die Tigermücke, die heute zu den 100 schlimmsten invasiven Arten gezählt wird, kommt ursprünglich aus Süd- und Südostasien. In den letzten Jahrzehnten ist sie vor allem durch Warentransporte und Reisetätigkeiten verschleppt worden. Dabei spielten der Handel mit Autoreifen und der sogenannte Glücksbambus (Dracaena spp.) eine wichtige Rolle. Auf dem Seeweg wurden dabei u.a. Eier, Larven und Puppen der Tigermücke in teilweise mit Wasser gefüllten gebrauchten Autoreifen oder den Wasserbehältern des Glücksbambus über weite Strecken transportiert.
In ihrer Studie haben die Wissenschaftler die ökologischen Nischen beider Arten untersucht, also die Gesamtheit der Umweltbedingungen, unter denen eine Art vorkommen kann. Denn in den neuen Verbreitungsgebieten können Stechmücken anderen Umweltbedingungen ausgesetzt sein als im ursprünglichen Verbreitungsgebiet. Invasiven Stechmückenarten wird oft nachgesagt, dass sie sich besonders gut und schnell an neue Klimabedingungen anpassen können. Dafür fanden die Wissenschaftler jedoch keine Hinweise. Beide Arten besitzen eine breite Nische. Sie können im ursprünglichen Verbreitungsgebiet unter einer Vielzahl verschiedener Umweltbedingungen vorkommen. Da in den neuen Verbreitungsgebieten ähnliche klimatische Verhältnisse herrschen, lässt sich die weltweite Ausbreitung deshalb nicht durch Anpassung erklären, wobei lokale Anpassungen und genetische Merkmalsveränderungen nicht ausgeschlossen sind.
Einen Unterschied zwischen beiden Arten haben die Wissenschaftler dennoch feststellen können, nämlich, dass Zeit eine wichtige Rolle bei der Ausbreitung oder Invasion von Arten spielt. Mit ihrer längeren Einwanderungsgeschichte füllt die Gelbfiebermücke ihre Nische in den neuen, nicht-heimischen Verbreitungsgebieten bereits annähernd aus, das heißt, sie kommt unter vielen Umweltbedingungen vor, die auch in ihrem ursprünglichen Verbreitungsgebiet vorliegen.
Bei der Asiatischen Tigermücke sieht das hingegen anders aus. Sie kommt in den neuen Verbreitungsgebieten (noch) nicht überall dort vor, wo für sie geeignete Bedingungen herrschen. Daraus leiten die Forscher für die Zukunft ein weiteres Ausbreitungspotential für diese Art ab. “Mittlerweile ist die Asiatische Tigermücke in Südeuropa fast flächendeckend verbreitet und wird sich aufgrund der breiten Nische auch in Nordeuropa unaufhaltsam ausbreiten und etablieren. Und weitere exotische Mückenarten wie Aedes japoniucs (Asiatische Buschmücke), Aedes koreicus oder Aedes atropalpus werden folgen, respektive sind bereits in zentral Europa angekommen“, resümiert Klimpel.
Publikation:
Sarah Cunze, Judith Kochmann, Lisa K. Koch, Sven Klimpel: Niche conservatism of Aedes albopictus and Aedes aegypti – two mosquito species with different invasion histories, in Scientific Reports, doi:10.1038/s41598-018-26092-2
17.05.2018, Georg-August-Universität Göttingen
Entwicklung durch Modularität – ein urzeitliches Konstruktionsprinzip
Weichtiere wie Schnecken, Muscheln und Tintenfische, die sogenannten Mollusken, sind eine evolutionär überaus erfolgreiche Tiergruppe. Seit ihren Ursprüngen im Präkambrium vor mehr als 540 Millionen Jahren haben sie sich einer Vielzahl von unterschiedlichsten Habitaten angepasst. Ein internationales Forscherteam der Universität Göttingen, der Universität von Burgund und des Naturkundemuseums Paris vermutet, dass diese Entwicklungsfähigkeit unter anderem am modulartigen Aufbau des schalenbildenden Gewebes liegt. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift GigaScience erschienen.
Nach den Arthropoden – Gliederfüßern wie Insekten, Spinnen und Krebstieren – sind Mollusken der zweitartenreichste Tierstamm der Welt. Die Evolution ihrer Schale hat eine enorme Vielfalt an Form, Größe, Farbe und Struktur von der Nano- bis zur Makroskala hervorgebracht. Das komplexe Zusammenspiel der Gene und Proteine, die an der Schalenbildung von Schnecken und Muscheln beteiligt sind, wird erst allmählich entschlüsselt.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konnten nun eine Reihe meist neuer Gene identifizieren, die an der Bildung der Schale einer heimischen Süßwasserschnecke beteiligt sind, und die Aktivität der Gene mit bestimmten Regionen des schalenbildenden Gewebes, dem Mantel, verbinden. Dabei ließen sich fast alle schalenformenden Gene einer von fünf Zonen des Mantels zuordnen, die mutmaßlich die Eigenschaften der verschiedenen Schichten der Schale bestimmen.
„Dieses modulartige Arrangement erlaubt es den verschiedenen Molluskenarten, die Eigenschaften verschiedener Schichten der Schale zu verändern, beispielsweise der äußeren pigmentierten Schicht oder der inneren Perlmuttschicht, ohne dabei die anderen Schichten zu beeinflussen. Sie können somit effizienter auf evolutionären Druck reagieren“, sagt Prof. Dr. Daniel J. Jackson, Leiter der Studie und der Arbeitsgruppe Evolution der Metazoen an der Universität Göttingen. „Diese Art der Modularität lässt sich auch bei Arthropoden beobachten, und sie ist ein Grund dafür, dass es so viele Insekten, Spinnen und Krebse gibt.“
Die Studie ist die erste groß angelegte Untersuchung, die Beobachtungen auf der Ebene des Proteoms (Gesamtheit aller Proteine), des Transcriptoms (Gesamtheit aller RNA-Moleküle) und der räumlichen Aktivität der schalenformenden Gene miteinander verbindet. Die Forscherinnen und Forscher wollen ihre Ergebnisse nun weiter ergründen, um zu verstehen, wie die Schale tatsächlich aufgebaut ist.
Originalveröffentlichung: Ines Herlitze et al. Molecular modularity and asymmetry of the molluscan mantle revealed by a gene expression atlas. GigaScience 2018. Doi: 10.1093/gigascience/giy056.
22.05.2018,Hochschule Darmstadt
Große Bühne für kleine Tiere
Ein an der Hochschule Darmstadt (h_da) und der Technischen Universität (TU) Darmstadt gemeinsam entwickelter Scanner ermöglicht die automatisierte digitale Archivierung konservierter Insekten – hochaufgelöst und in 3D. Die weltweit einmalige Entwicklung haben die Wissenschaftler in der Zeitschrift „ZooKeys“ veröffentlicht.
Seit einigen Jahrzehnten ist ein massiver Schwund von Insekten zu beobachten: Heimische Schutzgebiete haben teilweise 75 Prozent der Insekten-Biomasse verloren. Es ist somit ein besonders dringliches Anliegen, die lokale und globale Diversität der Insekten zu dokumentieren und zu verstehen. Wissenschaftler der Hochschule Darmstadt und der TU Darmstadt haben hierfür gemeinsam einen neuartigen Scanner entwickelt, der konservierte Insekten hochauflösend und maßstabsgetreu digitalisiert. Der Scanner soll einen wertvollen Beitrag zur digitalen Dokumentation der Biodiversität leisten. Denn auch die in Sammlungen konservierten Insekten sind in Gefahr: Sie drohen durch natürlichen Verfall und durch Schädlinge wie den Museumskäfer nach und nach verloren zu gehen. Mit der Digitalisierung können die in naturkundlichen Museen archivierten Insekten, immerhin über eine Million unterschiedliche Arten, nicht nur für die Zukunft erhalten, sondern auch weltweit online zugänglich gemacht werden.
Die Arbeitsgruppe ‚Ökologische Netzwerke‘ an der TU Darmstadt untersucht den Einfluss von Landnutzung und Klimawandel auf Artengemeinschaften und morphologische Merkmale von Insekten und Spinnentieren. Zwar gibt es bereits zahlreiche fotografische Dokumentationen von Insektensammlungen, aber die Reduzierung der dreidimensionalen Tiere auf zweidimensionale Bilder ist äußerst unbefriedigend. „Es lassen sich anhand von einzelnen Fotos kaum alle wichtigen Merkmale erkennen, und deren räumliche Bezüge zueinander sind nicht darstellbar“, so der Ökologe Michael Heethoff. Es musste also ein 3D-Insektenscanner her. Hier kam Bernhard Ströbel vom Fachbereich Mathematik und Naturwissenschaften der Hochschule Darmstadt mit seiner langjährigen Erfahrung im Bereich der optischen 3D-Vermessung ins Spiel.
Vier Jahre dauerte die gemeinsame Entwicklung des Geräts „DISC3D“ (Darmstadt Insect Scanner 3D). Mittlerweile ist der Prototyp im Routine-Einsatz und für die weitgehend automatische Datenaufnahme optimiert. Für den Scan wird ein genadeltes Insekt in der Mitte von zwei Halbkugeln montiert, die das Exemplar allseitig indirekt ausleuchten. Ein motorbetriebener Schlitten fährt eine Kamera vor und zurück, während diese kontinuierlich Bilder aufnimmt. Das Insekt wird von Schrittmotoren in regelmäßigen Abständen um zwei Achsen gedreht, um Aufnahmen aus allen Richtungen zu ermöglichen. So entstehen rund 25.000 digitale Einzelbilder aus 400 verschiedenen Raumrichtungen, die miteinander verrechnet werden. Aus diesen Bildern werden dann dreidimensionale Modelle generiert, auf welche die fotografische Oberfläche (Textur) der Insekten digital aufgebracht wird. So entstehen farb- und größengetreue 3D-Modelle der Tiere, welche am Computer betrachtet, gedreht, gezoomt, vermessen und in Datenbanken der Museen kuratiert werden können.
„Der Scanner kann in seiner momentanen Konfiguration Insekten verschiedenster Größen erfassen – von zwei Millimeter kleinen Fliegen bis zu Tieren von der Größe eines Maikäfers“, sagt Ströbel. Die Modelle können vergrößert und mit dem 3D-Drucker ausgedruckt werden – interessant etwa auch für die Museumspädagogik. Einige Museen und Forschungseinrichtungen haben bereits Interesse an dem Scanner bekundet und mit dem Nachbau begonnen. Das Gerät verwendet zwar auch kommerzielle Software, ist aber prinzipiell als offenes Projekt konzipiert, das kostengünstig selbst realisiert werden kann. Die Entwickler hoffen so auf zahlreiche – auch private – Nachahmer, damit das Ziel einer groß angelegten Digitalisierung der Insektensammlungen an den Museen auch umgesetzt werden kann. Interessentinnen und Interessenten stellen sie auf Anfrage den Bauplan des Geräts zur Verfügung und hoffen im Gegenzug auf eine Mitarbeit bei der Weiterentwicklung.
Die gemeinsame Initiative der beiden Hochschulen ist ein Beispiel, wie sich durch interdisziplinäre Zusammenarbeit neue Anwendungsfelder für die Digitalisierung eröffnen. Darmstadt als Gewinnerin des Wettbewerbs „Digitale Stadt“ 2017, die Technische Universität mit ihrem zentralen Profilbereich „Internet und Digitalisierung“ und die Hochschule Darmstadt mit ihrem Studienbereich „Optotechnik und Bildverarbeitung“ bieten ideale Voraussetzungen für das Anliegen der Ökologen.
Die Veröffentlichung in der Zeitschrift „ZooKeys“ ist online hier abrufbar:
https://zookeys.pensoft.net/article/24584/
23.05.2018, Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie
Schimpansenrufe unterscheiden sich in Abhängigkeit vom Kontext
Aus welchen Gründen sich verschiedene Tierrufe entwickelten, die unterschiedliche Inhalte transportieren, ist eine wichtige Frage wenn es um die Sprachevolution geht. Laute Alarmrufe warnen andere bei Gefahr. Ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Catherine Crockford vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig hat nun leise Schimpansenrufe untersucht. Schimpansen verwenden den leisen „Hu“-Ruf in drei verschiedenen Kontexten – bei leichter Gefahr, beim Fortbewegen und beim Ruhen. Die Notwendigkeit in einem Lebensraum mit geringer Sichtweite in der Gruppe zusammen zu bleiben, könnte zur Differenzierung von Rufen geführt haben.
Studien zu Tieralarmrufen zeigen, dass Arten mit verschiedenen Fressfeinden, die unterschiedliche Fluchtreaktionen erfordern, auch spezielle Alarmrufe entwickelt haben. Das erleichtert den Tieren die Flucht. Warum Tierrufe sich aber auch in weniger dringlichen Situationen unterscheiden, war bisher kaum erforscht. „Deshalb untersuchten wir den leisen Kontaktruf der Schimpansen, das ‚Hu‘“, sagt Catherine Crockford vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. „Wir fanden heraus, dass Schimpansen wenigstens drei akustisch unterschiedliche ‚Hu‘-Varianten verwenden, die jeweils in einem anderen Verhaltenskontext stehen: Alarmbereitschaft, Fortbewegung und Ruhen.“
Um im Regenwald zusammen zu bleiben, müssen Schimpansen je nach Kontext unterschiedlich auf ein akustisches Signal reagieren: Im Ruhe-Kontext müssen sich Empfänger in der Nähe des Senders aufhalten, im Fortbewegungs-Kontext müssen sich Empfänger dem Sender nähern und im Alarmkontext müssen Empfänger sich dem Sender langsam annähern. „Für Schimpansen ist die Kooperation mit Freunden von Vorteil. Sie können ganz besonders von ihnen profitieren, wenn sie sich in ihrer Nähe aufhalten“, sagt Crockford. „Schimpansen leben jedoch in einem Lebensraum mit geringer Sichtweite, so dass visuelle Signale oder unspezifische Rufe auch über kurze Entfernungen hinweg unzuverlässig sein können. Kontextspezifische Informationen in Form der leisen ‚Hu‘-Rufe zu übermitteln, kann daher den Zusammenhalt verbessern und somit die Kooperation erleichtern.“
Ein besonders interessantes Merkmal der „Hu“-Rufe ist die geringe emotionale Erregung, die mit ihrer Produktion verbunden ist. Die akustischen Eigenschaften der drei „Hu“-Varianten können also nicht durch einen bestimmten emotionalen Zustand erklärt werden, obwohl dies für die Rufdiversifizierung bei nicht-menschlichen Tieren oft eine gängige Erklärung ist. Die Notwendigkeit, in einem Lebensraum mit geringer Sichtweite beieinander zu bleiben, könnte die Differenzierung verschiedener Rufe gefördert haben, wobei jeder Ruf die Empfänger darüber informiert, wie sie sich verhalten müssen, damit Sender und Empfänger nicht voneinander getrennt werden. Während alle „Hu“-Varianten auf den Wunsch hindeuten, zusammen zu bleiben, können die Ruhe-„Hu“s den Empfängern ausdrücklich anzeigen, dass sie bleiben sollen, während Fortbewegungs-„Hu“s anzeigen können, dass Empfänger sich den Signalgebern nähern sollten, und Warnsignale, dass Empfänger sich den Signalgebern langsam annähern sollten. „Ein Faktor, der die Entwicklung der Ruf-Diversifizierung vorangetrieben haben könnte, ist also möglicherweise dessen Notwendigkeit für kooperative Aktivitäten“, schließt Crockford.
Originalveröffentlichung:
Catherine Crockford, Thibaud Gruber, Klaus Zuberbühler
Chimpanzee quiet hoo variants differ according to context
Royal Society Open Science, 23. Mai 2018
DOI: 10.1098/rsos.172066
23.05.2018, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Raubzüge ins Rapsfeld
Viele blühende Grünlandflächen in der Agrarlandschaft bringen Vorteile: Sie sind gute Refugien für räuberische Käfer und Spinnen – und die helfen den Landwirten beim Kampf gegen Schädlinge.
Auf Rapsfeldern tummeln sich etliche Insekten, die bei Landwirten nicht gern gesehen sind. Der Rapsglanzkäfer zum Beispiel. Seine Larven ernähren sich von den Rapsblüten, so dass keine Früchte entstehen und Ernteeinbußen drohen. Eine Vorliebe für Raps haben auch die Larven verschiedener Rüsselkäfer-Arten: Sie fressen sich in die Stängel der Pflanzen hinein und lassen diese verkümmern und absterben.
Diese hungrigen Insekten werden in der konventionellen Landwirtschaft in der Regel chemisch bekämpft. Man kann die Schädlinge offenbar aber auch klein halten, indem man ihren natürlichen Feinden hilft. Dazu gehören zum Beispiel Laufkäfer, Spinnen und andere räuberische Insekten, die am Boden leben.
„Sie fressen die Larven der Schädlinge, wenn die sich zur Verpuppung auf den Boden fallen lassen“, erklärt Professor Jochen Krauß vom Biozentrum der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU). Dadurch seien im Folgejahr weniger Schädlinge auf den Feldern zu finden. Frühere Studien hätten gezeigt, dass die räuberischen Insekten die Rapsfresser durchaus wirksam bekämpfen können.
Blühende Flächen sind Refugien für Räuber
Wie kann man die Feinde der Rapsfresser in der modernen Agrarlandschaft stärken? Das Forschungsteam vom Lehrstuhl für Tierökologie und Tropenbiologie der JMU hat herausgefunden, dass dies vergleichsweise einfach möglich sein müsste – mit Hilfe von Blühflächen und anderen sogenannten Agrarumweltmaßnahmen. Diese seien den Landwirten vom Staat vorgeschrieben und auf den Fluren in Deutschland auch relativ gut etabliert. Es sei aber nötig, die Maßnahmen noch planvoller und strategischer einzusetzen. Das berichtet das Forschungsteam im Journal of Applied Ecology.
Blühflächen und ökologische Vorrangflächen sind nicht bewirtschaftete Äcker, die mit blühenden Pflanzen eingesät sind oder sich zu wiesenartigen Habitaten weiterentwickelt haben. „Auf solchen Arealen finden die Feinde der Rapsfresser dauerhaft gute Lebensbedingungen vor. Von dort können sie Raubzüge auf die Äcker unternehmen und die Larven der Schädlinge vertilgen“, sagt Lehrstuhlinhaber Professor Ingolf Steffan-Dewenter.
Doppelt so viele Räuber in den Rapsfeldern
„Wir fanden auf Rapsfeldern, die an Agrarumweltmaßnahmen grenzen, doppelt so viele räuberische Laufkäfer wie auf anderen Rapsfeldern“, sagt Doktorand Fabian Bötzl. Mit wachsender Distanz zur Blühfläche habe die Zahl der räuberischen Arten und Individuen abgenommen. Die Distanz sei ein entscheidender Faktor für eine effektive natürliche Schädlingsbekämpfung, weil Dichte und Artenvielfalt von Räubern dafür ausschlaggebend seien.
„Die Effekte der Agrarumweltmaßnahmen sind nicht anders als die von naturnahen Habitaten. Das verdeutlicht den Wert dieser Maßnahmen für die Agrarlandschaft“, so der Würzburger Ökologe. Er empfiehlt, Blühflächen und andere Refugien für Tiere in der Agrarlandschaft strategisch und gleichmäßig zu platzieren – das fördere nicht nur Wildbienen und andere Bestäuber, sondern auch die natürlichen Feinde von Schädlingen. Die gefundenen Distanzeffekte könne man jetzt nutzen, um mit Modellberechnungen und Simulationen die optimale Bewirtschaftungsform zu finden.
Fakten zur Studie
Diese Ergebnisse hat das Forschungsteam auf 31 Studienflächen in der Umgebung von Würzburg – zwischen Gemünden, Ochsenfurt und Hassfurt – erarbeitet. Es untersuchte die Effekte von älteren und jüngeren Blühflächen, von ökologischen Vorrangflächen und von natürlichen Kalkmagerrasen.
Die am Boden aktiven Räuber (Käfer und Spinnen) wurden mit Bodenfallen gefangen, dann wurden Anzahl und Artenreichtum bestimmt. Der Versuch lief über drei Monate während der Wachstumsphase des Rapses, um die natürliche Schädlingskontrolle in dieser Zeit abschätzen zu können.
Die Studie fand im Rahmen des europaweiten Verbundprojekts Ecodeal (Enhancing biodiversity-based ecosystem services to crops through optimized densities of green infrastructure in agricultural landscapes) statt. Professor Steffan-Dewenter koordiniert den deutschen Teil des Projekts.
Publikation
Fabian A. Boetzl, Elena Krimmer, Jochen Krauss und Ingolf Steffan-Dewenter: Agri-environmental schemes promote ground-dwelling predators in adjacent oilseed rape fields: diversity, species traits and distance-decay functions. Journal of Applied Ecology, 23. Mai 2018, DOI: 10.1111/1365-2664.13162
24.05.2018, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ
Manche mögen’s heiß / Einige Wüstentiere können dem Klimawandel besser trotzen als erwartet
Ökologen haben keinen Zweifel daran, dass der Klimawandel die Tiere und Pflanzen auf der Erde beeinflussen wird. Nur wie genau? Das ist oft schwer vorauszusagen. Es gibt bereits Hinweise darauf, dass manche Arten ihr Verbreitungsgebiet verschieben. Viel weniger ist dagegen darüber bekannt, wie einzelne Tiere und Populationen auf die Veränderungen reagieren. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des UFZ in Leipzig haben das nun bei nachtaktiven Wüstengeckos untersucht. Im Fachjournal Ecological Monographs kommen sie zu ermutigenden Erkenntnissen. Mit der Hitze allein werden die Tiere demnach wohl nicht so schnell Probleme bekommen.
In der Welt der Reptilien gibt es sicher spektakulärere Arten als Gehyra variegata. Und doch ist es diesem kleinen, nachtaktiven Gecko gelungen, die Diskussion um die ökologischen Folgen des Klimawandels um ein paar ganz neue Facetten zu bereichern.
Die etwa fünf Zentimeter großen Tiere mit der grauen oder bräunlichen Haut leben in den Wüsten Australiens. Für sie sind die hohlen Stämme von Eukalyptusbäumen die perfekten Refugien. Nachdem sie die Nacht über auf Insektenjagd gegangen sind, verbringen sie dort die heißen Tage, an denen die Temperaturen leicht auf mehr als 40 Grad Celsius klettern können.
Gerade in solchen heißen Wüsten aber erwarten Klimaforscher in Zukunft noch extremere Bedingungen. Weltweit soll es dort noch heißer und trockener werden. Wie aber wird die einzigartige Tier- und Pflanzenwelt dieser Ökosysteme auf diese neuen Herausforderungen reagieren? Am Beispiel des kleinen Geckos, der stellvertretend für andere nachtaktive Wüstenbewohner steht, sind die Forscher dieser Frage nachgegangen.
Prof. Klaus Henle, der am UFZ das Department Naturschutzforschung leitet, hat schon in den 1980er Jahren begonnen, Daten über Gehyra variegata zusammenzutragen. Im Kinchega Nationalpark im Osten Australiens haben er und seine Kollegen über 30 Jahre lang immer wieder Reptilien gefangen, vermessen, zu Identifikationszwecken fotografiert und – dann mit einer Markierung versehen – wieder freigelassen.
Diese Informationen haben die UFZ-Forscherinnen und -Forscher nun in Beziehung zu den Witterungsverhältnissen vor Ort, aber auch zu globalen Klimaphänomenen gesetzt – und sind dabei zu überraschenden Ergebnissen gekommen. „Wir hatten erwartet, dass sich sowohl höhere Temperaturen als auch größere Trockenheit negativ auf die Tiere und ihre Bestände auswirken würden“, sagt Biologin Annegret Grimm-Seyfarth. Schließlich brauchen Reptilien ein gewisses Maß an Feuchtigkeit, damit zum Beispiel die Eientwicklung und die Häutung richtig funktionieren. Wenn die Tiere austrocknen, wird es für sie lebensgefährlich. Und das Gleiche gilt auch, wenn sie infolge zu hoher Temperaturen überhitzen.
„Bei unseren Geckos haben wir aber festgestellt, dass sie gerade in heißen Jahren besonders gut wachsen und überleben“, sagt die Forscherin. „Sie sind dann also in besserer Verfassung und der Bestand nimmt eher zu als ab.“ Woran aber kann das liegen? Um das herauszufinden, hat Annegret Grimm-Seyfarth das Verhalten der Reptilien beobachtet und ihre Körpertemperatur gemessen.
Nachts hat sie die jagenden Tiere dazu mit einem Infrarot-Thermometer angepeilt, das aus der Entfernung die Temperatur bestimmen kann. Um die Geckos auch in ihren Tages-Ruheplätzen aufspüren zu können, kamen zudem kleine Passivsender zum Einsatz, wie sie zum Beispiel auch als Identifikations-Chips für Hunde verwendet werden. Normalerweise werden diese unter die Haut implantiert. Doch ein fünf Zentimeter langer Reptilien-Zwerg ist dafür einfach nicht groß genug. Also haben die Forscher den Tieren kleine Rucksäcke gebastelt, in denen der Chip nahe am Körper lag. Mit einer Radiofrequenzantenne ließ er sich dann anpeilen. Dabei verriet er nicht nur den Aufenthaltsort, sondern auch die Temperatur des jeweiligen Kandidaten.
Dabei zeigte sich, dass Geckos trotz der Wüstenhitze nicht etwa besonders kühle Stellen wählen. 30 bis 35 Grad Celsius sollte das Refugium schon haben. „Diese hohen Temperaturen brauchen die Tiere, um ihre Nahrung richtig verdauen zu können“, erklärt die Forscherin. Also krabbeln sie mitunter gezielt in besonders sonnenexponierte Äste. In einem eher kühlen Jahr hat die UFZ-Mitarbeiterin zu ihrer Verblüffung sogar beobachtet, dass die Geckos ihren Baum verließen und Sonnenbäder nahmen. Diese Suche nach genügend Wärme aber kostet Energie. Und wenn sie nicht erfolgreich ist, funktioniert die Verdauung nicht optimal. Das könnte der Grund dafür sein, dass sich kühle Jahre eher negativ auf die Geckos auswirken.
Auch die angenehmsten Temperaturen nützen allerdings nichts, wenn es dabei zu trocken ist. Denn dann bekommen die Tiere nicht nur körperliche Probleme. Es gibt in solchen Phasen auch weniger Insekten, die sie fressen könnten. Wie erwartet erleben die Geckos in Dürrephasen daher tatsächlich harte Zeiten. Entscheidend sind dabei allerdings nicht nur die Niederschläge vor Ort. Alle paar Jahre beschert die Klima-Anomalie La Niña der australischen Ostküste sintflutartige Regenfälle. Über die Flüsse erreicht dieses Wasser Monate später auch die Wüste – und sorgt dort für eine höhere Luftfeuchtigkeit und reichlich Insekten. „Neben den lokalen Verhältnissen spielen für die Tiere also auch globale Klimaphänomene eine Rolle“, betont die Forscherin. Man müsse also über den Tellerrand des jeweiligen Gebietes hinaus schauen, wenn man die Zukunftschancen seiner Bewohner richtig einschätzen wolle.
Bisher spricht alles dafür, dass die Geckos wohl kein Hitze-, sondern eher ein Dürreproblem bekommen werden. Auch das aber können sie offenbar bis zu einem gewissen Grad kompensieren. Die Studie zeigt nämlich auch, dass die Tiere in trockenen Jahren zwar abgemagert sind. Ihre Bestände aber schrumpfen trotzdem nicht. „Das liegt daran, dass sie in schlechten Zeiten ihr Wachstum und ihre Vermehrung zurückfahren“, erläutert Annegret Grimm-Seyfarth. Dann konzentrieren sie sich ganz darauf, bis ins nächste Jahr zu überleben. Da diese Reptilien mit bis zu 28 Jahren ungewöhnlich alt werden, können sie sich die eine oder andere verlorene Fortpflanzungssaison problemlos leisten. Und wenn die Zeiten wieder besser sind, holen sie das Versäumte nach.
Auch wenn der Klimawandel die Lebensbedingungen für die Geckos verschlechtert, werden sie also wohl kaum gleich aussterben. Und diese optimistische Botschaft dürfte nach Einschätzung der UFZ-Forscher durchaus auch für andere langlebige Wüstentiere gelten. Ein Freibrief, den Klimawandel einfach laufen zu lassen, ist das aber trotzdem nicht. „Wenn mehrere sehr trockene Jahre aufeinander folgen, können die Tiere das nicht mehr abpuffern“, sagt Annegret Grimm-Seyfarth. Irgendwann ist dann auch der hartgesottenste Überlebenskünstler am Ende.
Publikation:
Annegret Grimm-Seyfarth, Jean-Baptiste Mihoub, Bernd Gruber, Klaus Henle (2018): Some like it hot: from individual to population responses of an arboreal arid-zone gecko to local and distant climate; Ecological Monographs https://doi.org/10.1002/ecm.1301
24.05.2018, Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung
Wie aus fleischfressenden Wespen vegetarische Bienen wurden
Ein Team aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, darunter Entomologe und Evolutionsbiologe Michael Ohl vom Museum für Naturkunde Berlin, stellt eine Hypothese über den evolutiven Ursprung der Bienen und ihre nächsten Verwandten im renommierten Wissenschaftsmagazin Journal BMC Evolutionary Biology auf. Danach zählen die nächsten Verwandten der Bienen zu einer Wespengruppe, die zu den Grabwespen gehört. Damit wurde eines der faszinierendsten Rätsel in der Evolutionsforschung der Wespen und Bienen gelöst, nämlich wie aus den ursprünglich fleischfressenden Grabwespen vegetarische Bienen wurden.
Bienen sind mit mehr als 20.000 bekannten Arten weltweit eine enorm vielfältige Insektengruppe. Besonders den Wildbienen kommt eine große Bedeutung bei der Bestäubung von Kultur- und Wildpflanzen zu. Die Entwicklung ihrer rein vegetarischen Ernährung war eine der wichtigsten Innovationen der Bienen und Ausgangspunkt für ihren enormen evolutiven Erfolg. Einem Team aus elf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, darunter Entomologe und Evolutionsbiologe Michael Ohl vom Museum für Naturkunde Berlin ist es nun gelungen, eine plausible Hypothese über den evolutiven Ursprung der Bienen und zu der Frage nach ihren nächsten Wespenverwandten zu entwickeln.
In einer umfangreichen genetischen Studie, in der 195 Gene von mehr als 180 Wespen- und Bienenarten untersucht wurden, konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen detaillierten Stammbaum rekonstruieren. Dieser zeigt, dass die nächsten Verwandten der Bienen zu einer Wespengruppe zählen, die zu den Grabwespen gehört und den wissenschaftlichen Namen Ammoplanidae trägt. Diese nur wenige Millimeter großen Wespen jagen als Nahrung für ihre Larven blütenbesuchende, pollenfressende Thripsen (Gewittertierchen) und tragen sie in ihre Nester ein.
Es ist wahrscheinlich, dass durch den Transport von Thripsen, die Pollen gefressen hatten sowie von Pollen bedeckt waren, der Pollen zufällig von den Wespenlarven mitgefressen wurde. Dies war der erste Schritt auf dem Weg zur obligatorischen Pollenernährung und damit zur Entstehung der Bienen. Das Auftreten von Blütenpflanzen in der frühen Kreidezeit (vor etwa 100 Millionen Jahren) führte zu einer vielfältigen evolutiven Entwicklung und Koevolution von Blütenpflanzen und Bestäubern. Die Umstellung auf eine rein vegetarische, pollen- und nektarfressende Lebensweise eröffnete den frühen Bienen nicht nur neue Lebensräume, sondern auch eine einfachere Strategie zum Eintragen von Nahrung für ihre Larven im Vergleich zur Jagd nach lebendigen und wehrhaften Beutetieren.
Die Hypothese, dass die ältesten Vorfahren der Bienen nur wenige Millimeter große Wespen sein könnten, wird zudem durch den Fossilbefund unterstützt, nach dem die ältesten bekannten Bienen aus kreidezeitlichem Bernstein ebenfalls Arten mit sehr geringer Körpergröße waren. Michael Ohl vom Museum für Naturkunde Berlin, und Manuela Sann, die jetzt an der Universität Freiburg tätig ist, sind Initiatoren des Projekts. Sie betonen, dass mit ihrer Untersuchung eines der faszinierendsten Rätsel in der Evolutionsforschung der Wespen und Bienen gelöst wurde, nämlich wie aus den ursprünglich fleischfressenden Grabwespen vegetarische Bienen wurden. Aufbauend auf ihren Befunden schlagen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun eine gravierend überarbeitete Klassifikation der Grabwespen vor. Die Ergebnisse der Untersuchung wurden in dem international renommierten wissenschaftlichen Journal BMC Evolutionary Biology veröffentlicht.
Link zum Artikel: https://bmcevolbiol.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12862-018-1155-8.
23.05.2018, Universität Bern
Rätsel um Malaria-Parasit gelöst
Malaria ist eine der schlimmsten Infektionskrankheiten, an der weltweit jedes Jahr mehrere hundert Millionen Menschen erkranken. Forschende der Universitäten Bern und Glasgow haben nun herausgefunden, wie der Parasit, der Malaria verursacht, im Menschen heranreift und so der Mensch wiederum zum Überträger der Krankheit werden kann. Die Ergebnisse könnten dazu beitragen, Malaria dereinst auszurotten.
Malaria ist eine parasitäre Tropenkrankheit, die durch den Stich weiblicher Anopheles-Mücken übertragen wird und an der jährlich etwa 500’000 Menschen sterben, die meisten davon Kleinkinder unter 5 Jahren. Um diese verheerende Krankheit einzudämmen oder bestenfalls auszurotten, bedarf es eines interdisziplinären Ansatzes. Neben der Moskito-Kontrolle, der Verwendung von Bettnetzen, die mit Insektiziden imprägniert sind sowie der Entwicklung eines effektiven Impfstoffes, braucht es neue effiziente Medikamente und einen Ansatz, um die Übertragung des Parasiten zu verhindern.
Gemeinsam mit Genfer Forschenden konnte die Berner Gruppe um Volker Heussler in einer bahnbrechenden Arbeit bereits letztes Jahr einen neuen Weg zur Medikamentenentwicklung aufzeigen (Medienmitteilung Universität Bern vom 26.10.2017). Dieselbe Berner Arbeitsgruppe hat nun auch zu einem Durchbruch in der Forschung zur Übertragung des Parasiten beigetragen. Zusammen mit dem in Glasgow tätigen Schweizer Wissenschaftler Matthias Marti ist es der Froschungsgruppe um Volker Heussler gelungen, eines der letzten grossen Rätsel des Malariaparasiten zu lösen.
Parasiten-Pubertät im Knochenmark
Menschen, die mit Malaria infiziert sind und die von nicht infizierten Moskitos gestochen werden, können zu Überträgern der Krankheit werden. Bekannt ist, dass sich ein Teil der Parasitenpopulation im Mensch für ihre Übertragung auf die Moskitos zunächst in geschlechtliche Formen, sogenannte männliche und weibliche Gametozyten, entwickeln müssen. Diese Gametozyten zirkulieren im Blut des Menschen, bis sie nach einem Stich der Mücke in diese übergehen und von da aus weiter übertragen werden.
Dabei zirkulieren im Blut des Menschen nur reife Gametozyten. Es war bis jetzt unklar, wo sich die jungen, reifenden Gametozyten im Wirt verstecken, obwohl deren Entwicklung bis zu den zirkulierenden Formen mehrere Tage dauert. Ein Hinweis kam von den unterschiedlichen Eigenschaften: Im Gegensatz zu den reifen Gametozyten, die sehr flexibel sind, sind die jungen Gametozyten noch zu steif, um sich gefahrlos mit dem Blut durch den Körper bewegen zu können. Sie würden sofort vom Kontrollorgan des Blutes, der Milz, herausfiltriert und entfernt werden. Um der Milz zu entgehen, müssen die jungen Gametozyten mehrere Tage lang einen Transport im Blutstrom verhindern.
Die Arbeitsgruppen in Bern und Glasgow haben nun herausgefunden, dass die Parasiten, die später zu Gametozyten heranreifen, zu einem sehr frühen Zeitpunkt ins Knochenmark des Wirtes einwandern, wo sie von einem optimalen Nährstoffangebot profitieren können. Es wurde schon länger vermutet, dass die Gametozyten im Knochenmark heranreifen, weil man in Biopsien verstorbener Patientinnen und Patienten geschlechtliche Formen im Knochenmark gefunden hatte. Erst jetzt konnten die Ereignisse während der Gametozytenbildung jedoch geklärt werden. Dies war nur durch Kombination der Expertisen in beiden Laboren in Schottland und der Schweiz möglich. Während die Glasgower Forschenden um Matthias Marti Expertinnen und Experten auf dem Gebiet der geschlechtlichen Malariaformen sind und mit dem humanen Parasiten Plasmodium falciparum arbeiten, sind die Berner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Volker Heussler für ihre Erfahrungen auf dem Gebiet der Mikroskopie am lebenden Tier, der sogenannten Intravitalmikroskopie, bekannt. Mit dieser speziellen Technik untersuchen sie den Modellparasiten Plasmodium berghei an infizierten Labormäusen.
Übertragung des Parasiten durch den Menschen verhindern
Während ihrer Doktorarbeit in Bern und später als Postdoc in Glasgow hat Dr. Mariana De Niz, die Erstautorin der nun veröffentlichten Studie ist, beide Expertisen vereint und konnte mittels Intravitalmikroskopie an Mäusen, die mit Plasmodium berghei infiziert waren, in einer Serie von Filmaufnahmen zeigen, wie sich geschlechtliche Parasitenformen durch die Blutgefässwände zwängen, um sich dann im Knochenmark zu etablieren. Dort profitieren sie dann sogar von spezialisierten Makrophagen, sogenannten Ammenzellen, die eigentlich dafür gedacht sind, die Entwicklung neuer roter Blutzellen zu unterstützen. «Als nächsten Schritt müssen wir nun die molekularen Grundlagen identifizieren, die es den geschlechtlichen Formen erlaubt, ins Knochenmark einzuwandern», sagt Volker Heussler, Professor am Institut für Zellbiologie der Universität Bern. «Dann können diese Erkenntnisse genutzt werden, um den Parasiten an eben dieser Wanderung zu hindern.»
«Unsere Arbeit stösst eine ganz neue Forschungsrichtung an», fügt Professor Matthias Marti von der Universität Glasgow hinzu. «Letztendlich geht es darum, die im Nagermodell gewonnenen Erkenntnisse auf den Menschen zu übertragen, um dann in Malaria-infizierten Personen gezielt dagegen vorzugehen, dass sich Parasiten im Knochenmark einnisten.» Damit wäre zwar der betroffenen, infizierten Person nicht direkt geholfen, die Infektion loszuwerden, aber diese Person würde keine Parasiten mehr übertragen. Das Blockieren der Übertragung ist ein wichtiger Aspekt bei der Ausrottung von Malaria, denn in den Malariagebieten sind viele Menschen infiziert aber nicht krank und damit für den Parasiten ideale Überträgerinnen und Überträger. Nur wenn diese klinisch unauffällige Population von Malaria-infizierten Personen erfolgreich behandelt werden kann, ist eine Ausrottung dieser Tropenkrankheit überhaupt möglich. Die Basis für die Forschung auf diesem neuen Gebiet ist durch die nun publizierte Arbeit gelegt, die jetzt im Fachjournal Science Advances erschienen ist.
Publikationsangaben:
Mariana De Niz et al. Plasmodium gametocytes display homing and vascular transmigration in the host bone marrow. Science Advances, 23. Mai 2018, doi: eaat3775
Regina Joice et al. Plasmodium falciparum transmission stages accumulate in the human bone marrow. Science Translational Medicine, 2014, doi: 10.1126/scitranslmed.3008882
23.05.2018, Universität Bern
Wie Fische ihre Spermien auf Erfolg trimmen
Buntbarsch-Männchen haben verschiedene Taktiken entwickelt, um sich bei der Befruchtung von Weibchen durchzusetzen. Sogar ihre Spermien sind der jeweiligen Taktik angepasst, wie Forschende des Instituts für Ökologie und Evolution der Universität Bern nun entdeckt haben.
Wenn es um die Fortpflanzung geht, ist die Konkurrenz im Tierreich gross: Paarungswillige Männchen buhlen mit auffälligen Farben, verlängerten Federn, beeindruckenden Stosszähnen oder aufwändigem Balzverhalten um die Gunst der Weibchen.
Wie ein Team um Michael Taborsky vom Institut für Ökologie und Evolution der Universität Bern nun anhand von Buntbarschen zeigen konnte, macht diese Konkurrenz unter den Männchen aber nicht bei den Äusserlichkeiten halt – sie betrifft auch die Spermien. Unterschiedliche Buntbarsch-Männchen greifen bei der Befruchtung der weiblichen Eizellen auf verschiedene Taktiken zurück. Je nachdem, welche Taktik ein Männchen verfolgt, sind auch dessen Spermien daran angepasst.
Zwergmännchen gegen Nestmännchen
«Bei Buntbarschen im Tanganjikasee, die in leeren Schneckenhäusern brüten, findet man eine ganz knifflige Aufteilung der Rollen von Männchen in der Befruchtung von Eiern», sagt Michael Taborsky. Bei diesen Fischen sammeln grosse «Nestmännchen» leere Schneckenhäuser, die sie den Weibchen als Bruthöhle zur Verfügung stellen.
Winzigkleine Schmarotzermännchen machen sich diese Situation zu Nutze, um sich an dem im Schneckenhaus ablaichenden Weibchen vorbei zu schlängeln und damit in die Spitze des Schneckenhauses zu gelangen. Diese Zwergmännchen haben nur ein sechzigstel der Masse der grossen Nestbesitzer, können von diesen also leicht umgebracht und sogar gefressen werden, wenn sie nicht höllisch aufpassen.
Wenn die Spermien dieser beiden Männchentypen – Nestmännchen und Zwergmännchen – um die Befruchtung der Eier konkurrieren, die das Weibchen im Schneckenhaus ablegt, haben sie ganz unterschiedliche Bedingungen. Während das Nestmännchen seine Spermien nur in den Eingang des Schneckenhauses abgeben kann, da er viel zu gross ist, um in das Haus einzudringen, kann das Zwergmännchen die Eier von innerhalb des Schneckenhauses befruchten. Seine Spermien brauchen daher nur einen viel kürzeren Weg zurückzulegen, als die Spermien der Nestmännchen.
Unterschiedliche Spermien-Leistungen
Eine Untersuchung der Spermientypen und deren Leistungsfähigkeit in Taborsky‘s Arbeitsgruppe konnte nun zeigen, dass die Spermien dieser beiden Männchentypen ganz unterschiedliche Leistungen vollbringen. «Während die Keimzellen der Zwergmännchen am Anfang sehr schnell und zielgerichtet schwimmen, sind die Nestmännchen-Spermien im Vergleich dazu eher träge und weniger effizient im Verfolgen ihrer Schwimmrichtung», so Taborsky. Dies macht sich aber mit der Zeit bezahlt: während die schnellen Spermien der Zwergmännchen sehr bald ermüden und nach 2–3 Minuten schliesslich ganz absterben, leben die Nestmännchenspermien wesentlich länger – können also auch dann noch das Ei befruchten, wenn sie es nach dem langen Weg, den sie zurücklegen müssen, endlich erreichen.
In dieser Studie, die in «Science Advances» publiziert wurde, konnte demnach der Nachweis erbracht werden, dass polymorphe Männchentypen innerhalb einer Art Spermien hervorbringen können, die auf entgegengesetzte Leistungsmerkmale spezialisiert sind. Der springende Punkt ist dabei die unterschiedliche Bauart der Spermienzellen. Die Köpfe der Spermien sind bei den Nestmännchen grösser, womit sie über mehr Energiereserven verfügen – was aber auf Kosten der Effizienz in der Fortbewegung geht. Die entgegengesetzte Spezialisierung dieser Keimzellen lässt sich dabei sehr gut mit der besonderen Ökologie der Fortpflanzung dieser Tiere erklären. Die Losung für die Spermien heisst: schnell, aber auch schnell tot, oder ausdauernd, aber dafür weniger zielgerichtet. Nachdem die Spermien beider Männchentypen im Schneckenhaus unterschiedliche Strecken zurücklegen müssen, erreichen sie mit dieser Spezialisierung auf unterschiedliche Weise ihr Ziel.
Publikation:
Michael Taborsky, Dolores Schütz,Olivier Goffinet, G. Sander van Doorn: Alternative male morphs solve sperm performance/longevity trade-off in opposite directions, Science Advances, 23. Mai 2018, in press
25.05.2018, Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung
Fossilien unterstützen Artenschutz
Während Studien zur Bewertung des Gefährdungsstatus von Amphibien sich meist auf lebende Arten konzentrieren, haben Melanie Tietje und Mark-Oliver Rödel vom Museum für Naturkunde Berlin erstmals die aktuellen Beurteilungen der Gefährdung durch die IUCN Rote Liste für lebende Amphibienarten mit Daten aus dem Fossilienbericht von Amphibien der letzten 330 Millionen Jahre kombiniert. Ihre Studie in Ecology Letters vermittelt wichtige Erkenntnisse auf dem sich entwickelnden Gebiet der ‘Conservation Paleobiology’ und fügt ein neues Werkzeug zu den Rote Liste Beurteilungsoptionen für Arten hinzu, selbst bei ungenügender Datenlage.
Die korrekte Klassifizierung des Aussterberisikos von Arten ist ein wichtiges Instrument für den Artenschutz, bei dem Ressourcen oft begrenzt sind und möglichst effizient eingesetzt werden müssen. Leider fehlen hierfür oft wichtige Daten, z.B. über die Biologie oder Populationszahlen, und reale Aussterbeereignisse werden selten beobachtet und sind schwer zu belegen. In den letzten Jahren wurde in mehreren Publikationen vorgeschlagen, dass der Fossilienbericht einen wertvollen Beitrag zum Naturschutz leisten könnte, da er über ein riesiges Archiv von Aussterbeereignissen verfügt, inklusive möglicher Faktoren, die zum Aussterben geführt haben könnten. Bisher haben allerdings nur wenige Studien die Verbindung zwischen Paläobiologie und Artenschutz realisiert. In einer Studie, die gerade in der renommierten Fachzeitschrift Ecology Letters veröffentlicht wurde, fragten sich Melanie Tietje und Mark-Oliver Rödel: “ Können wir ein Modell erstellen, welches das Aussterberisiko mit diversen Merkmalen von ausschließlich fossilen Amphibienarten verbindet, und dieses Modell verwenden, um damit das Aussterberisiko lebender Arten zu ermitteln?“ Um diese Frage zu klären, stellten sie einen großen Datensatz ausgestorbener Arten zusammen und erstellten ein Modell, welches das Alter einer Art mit geographischen, morphologischen und ökologischen Merkmalen korreliert: Abundanz, geografische Verbreitung, Breitengradposition der Fossilfunde (ein Hinweis auf tropischen oder gemäßigten Ursprung) und Körpergröße. Anschließend wendeten sie dieses Modell auf einen ähnlichen Datensatz für lebende Arten an, die bereits in der globalen Roten Liste der Internationalen Union zur Bewahrung der Natur und natürlicher Ressourcen (IUCN) klassifiziert wurden. Sie stellen fest, dass die prognostizierten Alter und die Gefährdungskategorien der Roten Liste der IUCN gut zusammenpassten. Arten, die als nicht bedroht eingestuft wurden, wiesen die längsten vorhergesagten Überlebenszeiten auf, während die Arten mit höheren Risikobewertungen ein zunehmend kürzeres Alter zeigten. Die geografische Verbreitung erwies sich als der einflussreichste Faktor für das Aussterberisiko, was gut zu dem starken Einfluss dieses Faktors in den aktuellen IUCN-Bewertungen passt. Das wertvollste Ergebnis dieses Modells war, dass das neue Modell auch auf Arten angewendet werden kann, bei denen die Daten derzeit nicht für eine Bewertung durch die Rote Liste der IUCN ausreichen, die sogenannten Daten defizitärer Arten. Die Ergebnisse zeigten, dass für diese Arten im Allgemeinen eine kurze Dauer oder, mit anderen Worten, ein hohes Aussterberisiko vorhergesagt wurde, was auf einen hohen Bedrohungsstatus und die Dringlichkeit hinweist, diese Arten näher zu untersuchen und zu schützen.
Publikation:
Tietje, M. and Rödel, M.O. (2018), Evaluating the predicted extinction risk of living amphibian species with the fossil record. Ecol Lett. doi:10.1111/ele.13080