Der Wanderfalke in Brehms Tierleben

Wanderfalke (Brehms Tierleben)

Die Wanderfalken (Falco) unterscheiden sich von den Jagdfalken durch geringere Größe, verhältnismäßig kleineren und stärker gebogenen Schnabel, die minder weit befiederten Fußwurzeln und einen im Verhältnisse zu den Flügeln kürzeren Schwanz.

Unser Wanderfalk (Falco peregrinus, communis, orientalis, hornotinus, calidus, lunulatus, abietinus, pinetarius, gentilis, cornicum, anatum, griseiventris, micrurus, leucogenys, atriceps und Brookii), auch wohl Berg-, Wald-, Stein-, Baiz-, Kohl-, Blau- und Tannenfalk, Schwarzbacken und Taubenstoßer genannt, ist auf der ganzen Oberseite hell schiefergrau, mit dunkel schieferfarbigen, dreieckigen Flecken bandartig gezeichnet. Die Stirne ist grau, die Kehle, welche durch schwarze Backenstriche eingefaßt wird, wie die Oberbrust weißgelb, die Unterbrust wie der Bauch lehmröthlichgelb, erstere braungelb gestrichelt und durch rundlich herzförmige Flecke gezeichnet, der Bauch durch dunklere Querflecke, welche namentlich am After und auf den Hosen hervortreten, gebändert. Die Schwingen sind schieferschwarz, auf der Innenfahne mit rostgelben, bänderartigen Flecken besetzt, die Steuerfedern hell aschgrau gebändert und an der Spitze der Seitenfedern gelblich gesäumt. Im Leben liegt ein graulicher Duft auf dem Gefieder. Das Weibchen zeigt gewöhnlich frischere Farben als das Männchen. Bei den Jungen ist die Oberseite schwarzgrau, jede Feder rostgelb gekantet, die Kropfgegend weißlich oder graugelblich, die übrige Unterseite weißlich, überall mit licht- oder dunkelbraunen Längsflecken gezeichnet. Die Iris ist dunkelbraun, der Schnabel hellblau, an der Spitze schwarz, die Wachshaut, der Mundwinkel, die nackte Stelle ums Auge und der Fuß sind gelb. Bei jüngeren Vögeln ist der Schnabel hellbläulich, der Fuß bläulich oder grünlichgelb, die Wachshaut wie die übrigen nackten Stellen am Kopfe sind blaugrünlich. Die Länge des alten Männchens beträgt zweiundvierzig bis siebenundvierzig, die Breite vierundachtzig bis einhundertundvier, die Fittiglänge sechsunddreißig, die Schwanzlänge zwanzig, die Länge des bedeutend größeren Weibchens siebenundvierzig bis zweiundfunfzig, die Breite einhundertundzehn bis einhundertundzwanzig, die Fittiglänge zweiundachtzig, die Schwanzlänge zwanzig Centimeter.

Im Westen und Süden Afrikas wird der Wanderfalk durch den merklich kleineren und dunkleren Kleinwanderfalken (Falco minor), in Indien durch den größeren und schwärzeren Schahin (Falco peregrinator) und in Australien durch den Schwarzbackenfalken (Falco melanogenys) vertreten; die Artselbständigkeit aller drei Formen steht jedoch noch in Frage. In Nordafrika und Nordwestasien ersetzt ihn der beträchtlich kleinere, an seinem rostrothen Nackenflecke und der spärlich gesperberten Unterseite leicht kenntliche Berberfalk (Falco barbarus, peregrinoides und punicus, Gennaja barbara und barbarus), über dessen Artselbständigkeit kein Zweifel herrschen kann.

Der schöne Vogel, hinsichtlich seiner Lebensweise ein getreues Abbild des Wanderfalken, bewohnt, wie es scheint, die ganze südliche Küste des Mittelländischen Meeres, verbreitet sich von hier aus bis in das tiefere Innere Afrikas und ebenso durch Persien bis Indien, verfliegt sich aber nicht allzuselten nach Spanien, woselbst ich ihn in mehreren Sammlungen gesehen habe, ebenso wie er hier von englischen Forschern eingesammelt worden ist.

Der Wanderfalk verdient seinen Namen; denn er streift fast in der ganzen Welt umher. Seine außerordentliche Verbreitung erklärt sich, wenn man weiß, daß er nicht bloß den gemäßigten, sondern auch den nördlichen kalten Gürtel bewohnt, in der Tundra rings um den Pol sogar der vorherrschende Falk ist, aber selbstverständlich allwinterlich gezwungen wird, dieses Brutgebiet zu verlassen und nach Süden zu wandern. Gelegentlich seines Zuges nun berührt er alle nördlichen Länder Europas, Asiens und Amerikas, durchfliegt unseren heimatlichen Erdtheil bis zum äußersten Süden und tritt dann hier in den Wintermonaten stellenweise sehr häufig auf, folgt den Zugvögeln auch bis über das Mittelländische Meer und wandert, deren Heerstraßen entlang, bis Südnubien und Ostsudân, ebenso wie er in Asien bei dieser Gelegenheit in Japan, China und Indien, in Amerika in den Vereinigten Staaten, Mittelamerika und Westindien angetroffen wird. Nach meinen und anderer Erfahrungen sind es jedoch hauptsächlich Weibchen, welche ihre Reisen weit nach Süden hin ausdehnen, wogegen die Männchen mehr im Norden zurückbleiben. Nicht wenige von beiden überwintern nun aber auch schon bei uns zu Lande, und da nun außerdem ihr Brutgebiet sich über ganz Europa, vielleicht mit alleiniger Ausnahme der Südspitze der Iberischen Halbinsel, und ebenso über Mittelasien und die nördlicheren Theile Amerikas erstreckt, kann es nicht Wunder nehmen, daß Wanderfalken beinahe auf der ganzen Erde gefunden werden. Die Ansicht, daß die oben genannten drei Vertreter nur ständige Abarten unseres bekannten Vogels sind, erscheint daher mindestens nicht gänzlich ungerechtfertigt. Auch die in Deutschland vorkommenden oder unser Vaterland durchreisenden Wanderfalken ändern in Größe und Färbung erheblich ab, und in jeder Sammlung, welche eine größere Anzahl von ihnen besitzt, findet man solche, welche den genannten Abarten sehr nahe stehen, wenn nicht vollständig gleichen; diese Thatsache aber unterstützt die Anschauung, daß alle unserem Falken ähnlichen sogenannten Arten mit ihm vereinigt werden müssen. Jedenfalls besitzt der Wanderfalk die ausgesprochenste Fähigkeit, unter den verschiedensten Umständen sich wohnlich und häuslich einzurichten. In Nordostafrika belebt er während des Winters alle Strandseen und das ganze Stromgebiet des Niles bis Mittelnubien hinauf, findet auch überall geeignete Orte für seine Ansprüche hinsichtlich genügender Nahrung und Sicherung. Nicht anders ist es im Süden Asiens. »Der Wanderfalk«, bemerkt Jerdon, »findet sich durch ganz Indien, vom Himalaya an bis zum Vorgebirge Komorin, aber nur während der kalten Zeit. Besonders häufig ist er längs der Seeküsten und an großen Flüssen. Er brütet, so viel ich glaube, ebensowenig in Indien wie im Himalaya, sondern ist Wintergast, welcher in der ersten Woche des Oktobers eintrifft und im April wieder weggeht.« Auch in Amerika wandert er weit nach Süden herab. Ob er in Brasilien vorkommt, weiß ich nicht; wohl aber kann ich mit Bestimmtheit behaupten, daß er den Golf von Mejiko überfliegt. Seiner außerordentlichen Wanderfähigkeit sind Reisen von tausend Kilometer gewissermaßen Spazierflüge: ich bin fest überzeugt, daß er, ohne sich anzustrengen, im Laufe eines einzigen Tages über das Mittelmeer fliegt.

Bei uns zu Lande bewohnt der Wanderfalk ausgedehnte Waldungen, am liebsten solche, in deren Mitte steile Felswände sich erheben. Ebenso häufig trifft man ihn im waldlosen Gebirge, und gar nicht selten endlich sieht man ihn inmitten großer, volkbelebter Städte. Auf den Kirchthürmen Berlins, auf dem Stephansthurme in Wien, auf den Domen von Köln und Aachen habe ich ihn selbst als mehr oder weniger regelmäßigen Bewohner beobachtet, daß er auf anderen hohen Gebäuden sogar ständig vorkommen soll, durch glaubwürdige Beobachter erfahren. In Berlin sieht man ihn keineswegs bloß im Winter, sondern sehr häufig auch im Sommer, und wenn man bis jetzt, meines Wissens, seinen Horst noch nicht auf einem der höheren Thürme aufgefunden hat, so ist dies doch keineswegs ein Beweis dafür, daß er hier nicht brüten sollte. Besonders günstige Oertlichkeiten, namentlich unersteigliche Felsenwände, beherbergen ihn mit derselben Regelmäßigkeit wie die nordischen Vogelberge den Jagdfalken. So trägt der Falkenstein im Thüringer Walde seinen Namen mit Fug und Recht; denn auf ihm horstet ein Wanderfalkenpaar seit Menschengedenken. Aber weder Bäume noch Felsen noch hohe Gebäude sind zu seinem Wohlbefinden nothwendige Bedingung. Keineswegs seltener, eher noch häufiger als bei uns zu Lande begegnet man ihm, wie bereits bemerkt, in der Tundra. In Lappland habe ich ihn allerdings nicht oft gesehen, um so öfter aber auf meiner letzten Reise in Nordwestsibirien beobachtet. In der Tundra der Samojedenhalbinsel fehlen ihm Felsenwände, wie er sonst sie liebt, fast gänzlich; gleichwohl findet er auch hier Oertlichkeiten, welche ihm zur Anlage des Horstes geeignet erscheinen, und ist deshalb regelmäßiger Sommergast des unwirtsamen, für ihn aber wirtlichen Gebietes.

»Der Wanderfalk«, sagt Naumann, »ist ein muthiger, starker und äußerst gewandter Vogel; sein kräftiger Körperbau und sein blitzendes Auge beurkunden dies auf den ersten Anblick. Die Erfahrung lehrt uns, daß er nicht vergeblich von der Natur mit so furchtbaren Waffen ausgerüstet ward, und daß er im Gebrauche derselben seinen nahen Verwandten, dem Jagd- und Würgfalken, rühmlichst an die Seite zu setzen sei. Sein Flug ist äußerst schnell, mit hastigen Flügelschlägen, sehr selten schwimmend, meist niedrig über die Erde hinstreichend. Wenn er sich vom Boden aufschwingt, breitet er den Schwanz aus und fliegt, ehe er sich in die Höhe hebt, erst eine kleine Strecke dicht über der Erde hin. Nur im Frühjahre schwingt er sich zuweilen zu einer unermeßlichen Höhe in die Luft. Er ist sehr scheu und so vorsichtig, daß er zur nächtlichen Ruhe meist nur die Nadelholzwälder aufsucht. Hat er diese nicht in der Nähe, so bleibt er öfters lieber im freien Felde, auf einem Steine sitzen, und es gehört unter die seltenen Fälle, wenn er einmal in einem kleinen Laubholze übernachtet. Aus Vorsicht geht er auch in letzterem des Abends erst sehr spät zur Ruhe und wählt dazu die dichten Aeste hoher alter Bäume. In etwas größerem übernachtet er gern auf in jungen Schlägen einzeln stehengebliebenen alten Bäumen, und hier kommt er auch schon mit Untergang der Sonne, meist mit dick angefülltem Kropfe an. Am Tage setzt er sich ungern auf Bäume. Sitzend zieht er den Hals sehr ein, so daß der runde Kopf auf den Schultern zu stehen scheint; die weiße Kehle, mit den abstechenden schwarzen Backen, machen ihn von weitem kenntlich. Im Fluge zeichnet er sich durch den schlanken Gliederbau, den schmalen Schwanz und durch seine langen, schmalen und spitzigen Flügel vor anderen aus. Seine Stimme ist stark und volltönend, wie die Silben: ›Kgiak, kgiak‹ oder ›Kajak, kajak‹. Man hört sie aber außer der Begattungszeit eben nicht oft.« Naumanns Angabe bezüglich der Scheu und Vorsicht des Wanderfalken gilt wohl für unsere Waldungen, nicht aber für alle übrigen Verhältnisse. Auch in der menschenleeren Tundra weicht der Wanderfalk dem herankommenden Jäger vorsichtig aus; in größeren Städten hingegen kümmert ihn das Getriebe unter ihm nicht im geringsten, und er bekundet dann nicht selten eine Dreistigkeit, welche mit seinem sonstigen Verhalten, abgesehen von seinem Benehmen angesichts einer ihm winkenden Beute, in auffallendem Widerspruche steht. Noch mehr aber erstaunt man, ihn in Nordostafrika, namentlich in Egypten, unbesorgt mitten in Dörfern auf wenigen Palmen oder einer den Marktplatz beschattenden Sykomore, auf Tempeltrümmern, Häusern und Taubenschlägen sitzen und von hier aus seine Raubzüge unternehmen zu sehen. Man erkennt hieraus, daß sich sein Betragen immer und überall nach den Verhältnissen richtet, daß er Erfahrungen sammelt und dieselben bestmöglichst verwerthet.

Es scheint, daß der Wanderfalk nur Vögel frißt. Er ist der Schrecken aller gefiederten Geschöpfe, von der Wildgans an bis zur Lerche herab. Unter Rebhühnern und Tauben richtet er die ärgsten Verheerungen an; die Enten verfolgt er mit unermüdlicher Ausdauer, und selbst den wehrhaften Krähen ist er ein furchtbarer Feind: er nährt sich oft wochenlang ausschließlich von ihnen. Nach Art seiner nächsten Verwandtschaft raubt er für gewöhnlich nur fliegendes Wild, so lange dieses sich in der Luft bewegt. Auf Bäumen sitzende Vögel ergreift er ohne Umstände, nicht so aber solche, welche auf dem Boden liegen oder auf dem Wasser schwimmen; das Aufnehmen einer Beute unter solchen Umständen verursacht ihm mindestens beinahe unüberwindliche Schwierigkeiten, gefährdet ihn infolge seines ungestümen und jähen Fluges wohl auch in bedenklicher Weise. »Der Wanderfalk«, schreibt mir Eugen von Homeyer auf Grund seiner langjährigen Beobachtungen, »ist gänzlich außer Stande, einen Vogel vom Boden oder vom Wasser aufzunehmen. Wo man dies gesehen haben will, hat man sich durch mangelhafte Beobachtung täuschen lassen, indem ein durch den auf ihn stoßenden Falken erschreckter Vogel einen unbesonnenen Flugversuch wagte, sich etwas vom Boden oder vom Wasser erhob und nun sofort vom Falken erfaßt wurde. Einmal habe ich in einer Entfernung von zweihundert Schritten einen Wanderfalken auf eine am Boden liegende Taube wohl funfzig Mal, immer aber vergebens stoßen sehen. Ein anderes Mal stand ich am kleinen Haff bei Ueckermünde im Rohre versteckt, als ein Wanderfalk, einen Alpenstrandläufer verfolgend, auf mich zu flog. Ungefähr vierzig Schritte von mir warf sich der Strandläufer auf das ganz ruhige Wasser. Der Wanderfalk stieß fortwährend auf den frei liegenden Strandläufer, aber immer darüber hinweg. Endlich wurde ihm die Jagd wohl langweilig und er flog davon. Alsbald erhob sich auch der Strandläufer, nach der entgegengesetzten Richtung fliegend; in wenigen Sekunden jedoch war der Falk wieder zur Stelle, und der Strandläufer warf sich wiederum auf das Wasser. Noch einige vergebliche Stöße des Falken, und die Jagd hatte ein Ende. Einen dritten Fall beobachtete ich auf einer Fahrt von Stralsund nach Hiddensoe bei schönem, sonnigem, Wetter, als das Boot von dem sehr schwachen Winde nur äußerst langsam bewegt wurde, die See auch sehr ruhig war. Ein Wanderfalk kam, eine Hohltaube verfolgend, in die größte Nähe der Taube, als diese sich auf das Wasser herabwarf, und der Falk durch fortwährende heftige Stöße sie aufzuschrecken suchte. Dies gelang ihm jedoch nicht, sondern die Taube lag fest auf dem Wasser. Endlich entfernte sich der Falk; allein wie bei dem vorerwähnten Falle, so auch hier: die Taube war zu eilig bemüht, von dem gefährlichen Feinde sich zu entfernen. Sobald sie sich jedoch vom Wasser erhob, war der Falk wieder in der Nähe, und die Taube flüchtete sich nochmals auf das Wasser. So dauerte diese Jagd fort, so lange ich von dem allmählich sich entfernenden Boote noch etwas sehen konnte. Dies bestätigte mir von neuem, daß der Wanderfalk außer Stande ist, ein Thier vom Wasser aufzunehmen, und daß dies, wer es auch zu sehen geglaubt haben mag, nur beim Auffliegen eines Vogels geschehen kann.« Ich will nach diesen bestimmten Angaben des ausgezeichneten Beobachters gern für möglich halten, daß auch ich mich getäuscht habe, indem ich deutlich zu sehen glaubte, wie in Nordegypten ein Wanderfalk mehrmals nach einander Enten vom Wasser erhob; denn die Enten lagern dort in solcher Menge, daß eine derartige Täuschung wohl erklärlich erscheint: indessen muß ich doch bemerken, daß gerade die wiederholten Versuche des Falken für vereinzeltes Gelingen seiner Anstrengungen sprechen. Erwiesenermaßen fängt auch er sich im Habichtskorbe; dies aber dürfte unmöglich sein, wenn er nicht bis auf den Boden herabstieße, da der Köder, meist eine Taube, hier angefesselt wird. Führen seine Stöße auf sitzendes Wild nicht zum Ziele, so hilft er sich durch List. »Da, wo man ihn im Felde auf der Erde sitzen sieht«, sagt Naumann, »liegt gewöhnlich ein Volk Rebhühner in der Nähe, von denen er, sobald sie auffliegen, eines hinwegnimmt, denen er aber, so lange sie still liegen bleiben, keinen Schaden zufügen kann. Er lauert jedoch gewöhnlich so lange, bis die Rebhühner glauben, er sei fort. Sie fliegen dann auf und er erreicht seinen Zweck.« Fliegend gelingt es selbst den schnellsten Vögeln selten vor ihm sich zu retten. »Gewitzigte Haustauben wissen«, wie Naumann sagt, »kein anderes Rettungsmittel, als in möglichster Schnelle und dicht an einander gedrängt die Flucht zu ergreifen. Auf diejenige, welche sich etwas vom Schwarm absondert, stürzt er sich pfeilschnell von oben nieder. Stößt er das erste Mal fehl, so sucht ihn die Taube zu überfliegen, und glückt ihr das nur einigemal, so wird der Falk müde und zieht ab.« Seine Taubenjagd in Städten schildert Altum nach dreijähriger Beobachtung in Berlin. »Hier pflegte ein Weibchen des Morgens früh ruhig und zusammengekauert auf einem Ziegelvorsprunge des Daches der Garnisonkirche zu sitzen. Taubenflüge erfüllen die Luft; der Falk wird erregt und verfolgt mit den Augen die Tauben. Dies währt etwa fünf Minuten, und nun erhebt er sich. Noch gewahren ihn die Tauben nicht; doch er rückt ihnen in wenigen Sekunden so nahe, daß nun plötzlich ihr leichter, ungezwungener Flug sich in ein wirres, ungestümes Fliegen und Steigen verwandelt. Aber unglaublich schnell hat er sie eingeholt und etwa um zehn Meter überstiegen. Nun entfaltet er seine ganze Gewandtheit und Schnelligkeit. In sausendem, schrägem Sturze fällt er auf eine der äußersten hinunter und richtet diesen jähen Angriff so genau, daß er allen verzweifelten Flugwendungen des schnellen Opfers folgt. Aber in dem Augenblicke, als er dasselbe ergreifen will, ist es unter ihm entwischt. Mit der durch den Sturz erlangten Geschwindigkeit steigt er sofort ohne Flügelschlag wieder empor, rüttelt schnell, und ehe zehn Sekunden verflossen sind, ist die Taube von ihm wiederum eingeholt und in derselben Höhe überstiegen, der Angriff in sausendem Sturze mit angezogenen Flügeln erneuert, und die Beute zuckt blutend in den Fängen des Räubers. In wagerechter Richtung fliegt er nun mit derselben ab und verschwindet bald aus dem Gesichtsfelde. Von den übrigen Tauben sieht man noch einzelne in fast Wolkenhöhe wirr umherfliegen, wogegen sich die anderen jäh herabgeworfen und unter dem Schutze ihrer Behausung Sicherheit gefunden haben.« Mein Vater erzählt von einem Wanderfalken, welcher, den Tauben nachfliegend, bis in den Taubenstall eindrang und hier gefangen wurde. Ausdrücklich bemerken will ich noch, daß der von Homeyer mitgetheilte Fall nicht vereinzelt dasteht. Auch Naumann sah eine Haustaube sich ins Wasser stürzen und durch Untertauchen glücklich retten.

Nächst Rebhühnern und Tauben, wilden wie zahmen, haben nach Altums Beobachtungen namentlich die Kiebitze von ihm zu leiden. In Pommern wie in der Mark sind die Waldestheile, in denen der Horst steht, bestreut mit den größeren auffälligen Kiebitzfe dern.

Alle Vögel, welche der Wanderfalk angreift, kennen ihn sehr wohl und suchen sich vor allen Dingen zu retten. Nicht einmal die muthigen Krähen bedrohen ihn, sondern fliegen, sobald sie ihn erblicken, so eilig als möglich davon, haben auch alle Ursache, vor ihm zu flüchten; denn er läßt sich durch sie, welche fast jeden anderen Falken angreifen und lange verfolgen, nicht im mindesten beirren, erhebt sich vielmehr über solche, vielleicht noch ungewitzigte, welche sich erdreisten wollten, ihn zu necken, stößt von oben auf sie herab und schlägt sie unfehlbar. Aus eigener Beobachtung kenne ich nur einen einzigen Vogel, welcher mit Erfolg auf ihn stößt und ihn unweigerlich aus seinem Gebiete vertreibt: die Schmarotzermöve. Diesem äußerst gewandten, muthigen und raublustigen Bewohner der Tundra flößt jeder vorüberfliegende Wanderfalk Sorge um die unmündige Brut ein, und jeder, welcher sich von ferne blicken läßt, wird daher augenblicklich aufs heftigste angegriffen. Auf der Samojedenhalbinsel beobachtete ich mit Vergnügen solche Jagd. Der Falk flog geraden Weges seinem offenbar ziemlich entfernten Horste zu, als er einer Schmarotzermöve ins Auge fiel. Sofort erhob sich diese unter lautem Rufen, hatte in kürzester Frist den Räuber eingeholt und belästigte ihn nunmehr ununterbrochen durch die heftigsten Stöße. Mit spielender Leichtigkeit und unnachahmlicher Gewandtheit hob sie sich fortwährend über den Gegner und stieß von oben herab auf ihn. Der Falk versuchte so viel als thunlich auszuweichen, nicht aber, den Angriffen durch andere zu begegnen, sondern zog, augenscheinlich sehr belästigt, so eilig als möglich weiter, fortwährend verfolgt von der unermüdlichen Möve. So ging die Jagd durch die Tundra, bis beide meinen Augen entschwanden.

Schlägt der Wanderfalk eine Beute, so erdolcht oder erwürgt er sie gewöhnlich schon in der Luft, sehr schwere Vögel aber, welche er nicht fortschleppen kann, wie Waldhühner und Wildgänse, auf dem Boden, nachdem er sie so lange gequält, bis sie mit ihm zur Erde herabstürzen. Bei Verfolgung seiner Beute fliegt er so fabelhaft schnell, daß man alle Schätzungen der Geschwindigkeit verliert. Man hört ein Brausen und sieht einen Gegenstand durch die Luft herniederstürzen, ist aber nicht im Stande, in demselben einen Falken zu erkennen. Diese Jachheit seines Angriffes ist wohl auch die Ursache, daß er nur selten aufsitzende Vögel stößt. Er kommt in Gefahr, sich selbst zu zerschmettern, und man kennt wirklich Beispiele, daß er durch Anstoßen an Baumzweige beim Herabschießen betäubt und selbst getödtet worden ist. Pallas versichert, daß er zuweilen, wenn er Enten verfolgt, im Wasser verunglückt: sein Stoß ist so mächtig, daß er tief unter die Oberfläche des Wassers geräth und ertrinken muß. Höchst selten greift er fehl; überhaupt fängt er mit spielender Leichtigkeit. Im Vollbewußtsein der außerordentlichen Gewandtheit, mit welcher er fliegt, zeigt er sich auf seinen Raubzügen oft außerordentlich dreist, nimmt dem Jäger ein im Fluge geschossenes Wild vor den Augen weg, ehe es den Boden berührt, und bezahlt solche Unklugheit nicht selten mit dem Leben. Die gewonnene Beute wird dann von ihm einer freien Stelle zugetragen und hier verzehrt, bloß größere Vögel werden da angefressen, wo sie getödtet wurden. Vor dem Kröpfen rupft er wenigstens eine Stelle des Leibes vom Gefieder kahl. Kleinere Vögel verschlingt er sammt dem Eingeweide, während er letzteres bei größeren verschmäht.

Hier zu Lande horstet der Wanderfalk am liebsten in Höhlungen an steilen Felswänden, welche schwer oder nicht zu ersteigen sind, im Nothfalle aber auch auf hohen Waldbäumen. Einen eigenen Bau errichtet er wohl nur in seltenen Fällen, benutzt vielmehr andere Raubvögelhorste, vom Seeadler- bis zum halbverfallenen Milanhorste herab, ebenso auch ein verlassenes oder gewaltsam in Besitz genommenes Krähennest. Gern bezieht er einen Horst inmitten einer Reihersiedelung, auch wohl solchen des Reihers selbst; denn die jungen Reiher, welche er einfach aus dem Neste nimmt, erleichtern ihm seine Jagd und das Auf füttern seiner eigenen Brut. Drei Horste der Tundra lieferten uns den Beweis, daß er selbst es für überflüssig erachtet, Baustoffe herbeizutragen. Da ihm hier Felswände auf weite Strecken hin gänzlich fehlen, begnügt er sich mit hervortretenden Erdmassen, welche wenigstens nach einer Seite steil abfallen, im Nothfalle sogar mit einem einzigen Steine oder größeren, vom Regen theilweise abgewaschenen Erdklumpen, neben welchem er dann die Eier ohne weiteres auf den Boden legt. Alle drei von uns gefundenen Horste standen am oberen Rande von Thälern oder Einsattelungen, aber nur ein einziger an einer Stelle, unterhalb welcher das nackte Gestein zu Tage trat. Es war gerade, als ob er den Schein hätte wahren wollen, indem er sich eine Höhe ausgesucht hatte, welche mindestens von einer Seite her schwer zugänglich war, wogegen man von der anderen Seite her auf ebenem Boden bis zum Horste schreiten konnte, ohne irgendwie klettern zu müssen. Hier, hart an einen Stein oder Erdklumpen gedrückt, einmal auch vollkommen frei auf einem Vorsprunge, sahen wir im Juli und August die dunigen oder halbbefiederten Jungen anscheinend so unbesorgt zusammensitzen, als gäbe es in der Tundra weder Eisfüchse noch Wölfe. Bei uns zu Lande findet man im April oder Mai, zuweilen auch erst im Juni, das vollständige Gelege, drei, höchstens vier rundliche, auf gelbröthlichem Grunde braun gefleckte Eier. Das Weibchen brütet allein; das Männchen vergnügt es in der beschriebenen Weise. Beide Eltern lieben ihre Brut außerordentlich und suchen durch heftige Stöße jeden dem Horste sich nahenden Feind zu vertreiben. So wenigstens beobachteten wir in der Tundra Sibiriens. Schon von ferne machten uns die Wanderfalken auf den Horst aufmerksam. Auf weite Strecken flogen sie uns entgegen, umkreisten uns laut schreiend in hoher Luft, kamen um so tiefer herab, je mehr wir uns dem Horste näherten und stießen dann fortwährend auf uns hernieder. Das Schauspiel, welches so geängstigte Falken bieten, ist im allerhöchsten Grade fesselnd; denn sie entfalten dabei alle Künste des Fluges. Eben sieht man sie noch in schwindelnder, weit mehr als schußfreier Höhe ihre Kreise ziehen, plötzlich aber die Flügel anlegen und nun sausend herunter bis auf wenige Meter an einem vorüberstürzen, an der tiefsten Stelle angekommen, ihr Steuerruder in entsprechender Weise gebrauchen und ohne Flügelschlag wieder sich erheben, soweit die Kraft des Stoßes sie treibt, dann wiederum mit einigen kurzen, raschen Flügelschlägen die vorherige Höhe erklettern, von neuem kreisen und von neuem herabstürzen. Zu wirklichen Angriffen entschließen sie sich jedoch nicht, kommen einem auch niemals so nahe, wie Habichte oder Möven unter gleichen Verhältnissen. Die Jungen werden anfänglich mit halbverdautem Fleische aus dem Kropfe geatzt, später mit verschiedenartigen Vögeln reichlich gefüttert, nach dem Ausfliegen ordentlich in die Lehre genommen und erst, wenn sie vollendete Fänger geworden sind, sich selbst überlassen. »Im Jahre 1872«, so schreibt mir Liebe, »sah ich um ein Feldgehölz im Elsterthale ein Paar Wanderfalken kreisen. Das Paar wurde bald der Schrecken für die im Gebiete heimischen Krähen. Ich besuchte bei Gelegenheit meiner Aufnahme fast täglich die Gegend und sah nach acht Tagen, daß der eine Falk allabendlich in jenes Gehölz kam, eine Viertelstunde aufbäumte und dann von Zeit zu Zeit suchend über dem Thale auf und ab strich. Meine Vermuthung, daß das Weibchen weggeschossen sei, bestätigte sich nicht. Nach einiger Zeit kam dieses mit dem Männchen zur gewohnten Stunde zwischen sechs bis sieben Uhr Abends ins Gehölz und zwar in Begleitung zweier Jungen, welche noch so unbeholfen waren, daß sie beim Aufbäumen nicht immer rasch das Gleichgewicht fanden. Nach kurzer Zeit strichen die beiden Alten ab, umspielend gegen den Wind zu kreuzen: ein wunderbares Schauspiel, welches ich schon einmal in Norwegen und einmal hier von dem Männchen desselben Paares hatte ausführen sehen. Das Männchen zog bald davon, während das Weibchen seine prachtvollen Schwenkungen weiter ausführte, dabei den Jungen immer näher kam, bis es endlich in schrägem Stoße das eine vom Aste abstreifte, ob mit dem Flügel oder mit der Brust, konnte ich nicht sehen, da mein Versteck zu entlegen und mein Fernglas doch nicht scharf genug war. Das Junge mußte wollend oder nichtwollend fliegen und ahmte die Bewegungen der Alten unbeholfen genug nach, bäumte aber bald wieder auf. Darauf warf die Mutter das andere Junge vom Hochsitze herab und ließ es ebenso wie das erste fliegen. Nach kurzer Ruhe brachte sie beide Junge auf einmal zum Arbeiten, flog dabei schräg gegen den Wind empor, ließ sich eine Strecke weit kreuzend treiben, schoß in prachtvollem Bogen senkrecht nieder und wieder schräg empor und übte alle jene Künste, welche zum Spiele gehören. Indem die Jungen die Mutter zu begleiten suchten, ahmten sie täppisch genug deren Gebaren nach. Da erschien das Männchen wieder mit einer Dohle oder Krähe in den Fängen; die Familie fühlte sich aber durch irgend eine Erscheinung gestört und strich ab.«

Der Wanderfalk kann bei uns zu Lande nicht geduldet werden; denn der Schaden, welchen er anrichtet, ist sehr beträchtlich. Wenn der stolze Räuber nur zu eigenem Bedarfe rauben wollte, könnte man ihn vielleicht gewähren lassen: er aber muß für eine zahlreiche Sippschaft anderer Raubvögel sorgen. Es ist eine auffallende Thatsache, daß alle Edelfalken, wenn sie sich angegriffen sehen, die eben gewonnene Beute wieder wegwerfen. Dies wissen die Bettler unter den Raubvögeln sehr genau. »Da sitzen die trägen und ungeschickten Gesellen«, schildert Naumann, »auf den Grenzsteinen oder Feldhügeln, geben genau auf den Falken acht, und sobald sie sehen, daß er etwas gefangen hat, fliegen sie eiligst herbei und nehmen ihm ohne Umstände seine Beute weg. Der sonst so muthige, kühne Falk läßt, wenn er den ungebetenen Gast ankommen sieht, seine Beute liegen, schwingt sich mit wiederholt ausgestoßenem, ›Kja, kjak‹ in die Höhe und eilt davon. Ja sogar dem feigen Gabelweih, welchen eine beherzte Gluckhenne von ihren Küchlein abzuhalten im Stande ist, überläßt er seine Beute.« In Nordostafrika sind es hauptsächlich die Schmarotzermilane, welche ihren Namen bethätigen. Ich selbst habe gesehen, daß ein Wanderfalk binnen wenigen Minuten drei Enten erhob, alle drei dem unverschämten Bettlergesindel zuwarf und erst mit der vierten unbelästigt davon flog. Man hat sich bemüht, die Handlungsweise des Wanderfalken zu erklären und zu diesem Behufe verschiedene Annahmen verlautbaren lassen. Nach Ansicht der einen soll der Falk den erwähnten Bettlern seine Beute überlassen, um unnützes Aufsehen zu vermeiden, nach Ansicht der anderen sich ihnen gegenüber zu schwach fühlen. Riesenthal, welcher die letztere Ansicht unterstützt, versichert gesehen zu haben, daß die Bettler niemals an den Wanderfalken sich herangewagt hätten, so lange derselbe fliegend seine Beute trug, vielmehr erst erschienen seien, wenn er dieselbe auf dem Boden sitzend zu kröpfen begonnen habe. Ich meinestheils kann nur sagen, daß ich den eigentlichen Grund des Verfahrens eines so kräftigen und stolzen Vogels nicht kenne, wohl aber, sogar sehr häufig, im Gegensatze zu Riesenthal, gesehen habe, daß er auch, während er fliegend Beute davontrug, diese dem ihn umlagernden Bettlergesindel zuwarf, und ich muß somit, wenn ich eine Erklärung suchen soll, als allein wahrscheinlich annehmen, daß ihm das Gebaren der bettelnden Raubvögel überlästig wird und er aus diesem Grunde, im Vollbewußtsein seiner Raubfertigkeit, ihnen die leicht erworbene und leicht zu ersetzende Beute überläßt. Dies würde dann allerdings einen gewissen Stolz von Seiten des Falken voraussetzen; es würde eine Handlung sein vergleichbar der eines sich überhebenden Menschen, welcher einem Bettler ein Almosen zuwirft. Im Widerspruche mit dem sonstigen Gebaren des Wanderfalken steht solche Annahme nicht.

Dem nicht in Abrede zu stellenden Schaden gegenüber, spricht man dem Wanderfalken jeglichen Nutzen ab, und Jäger und Taubenzüchter sehen in ihm einen ihrer ärgsten Feinde, dessen Ausrottung jedes Mittel heiligt. Und doch möchte ich und mit mir jeder andere, welcher den stolzen Vogel jemals fliegen und rauben sah, ihn nimmermehr missen; denn er ist eine Zierde unserer Wälder und Fluren. In seinem Auftreten paaren sich Kraft mit Gewandtheit, Muth mit Unternehmungssinn; sitzend wie fliegend fesselt er jeden Beobachter. Ihn der Schonung empfehlen zu wollen, würde mich mit allen Jägern und Taubenliebhabern verfeinden; gleichwohl darf ich nicht unterlassen, erstere darauf aufmerksam zu machen, daß man unseren Falken in England mit anderen Augen zu betrachten beginnt, als dies früher der Fall war. Auch dort war jedes Jägers Hand über ihm, und alle Mittel zu seiner Vertilgung wurden angewandt, vom Tellereisen auf dem Horste bis zur Krähenhütte, von der Büchse bis zur Schlinge herab; es gelang auch den vereinten Anstrengungen, ihn in einzelnen Jagdgebieten wenigstens während der Brutzeit gänzlich zu vertreiben. Seitdem aber bemerkte man eine mehr und mehr um sich greifende, seuchenartige Krankheit der so sorglich geschonten Rauchfuß- und Rebhühner und ist auf den Gedanken gekommen, daß diese bis dahin nicht beobachtete Seuche wohl eine Folge der unerbittlichen Ausrottung des Wanderfalken sein könne. Durch die Vernichtung des letzteren erleichterte man den geschützten Hühnern den Kampf um das Dasein, und es blieben auch Schwächlinge, welche sonst den Räubern am ersten zum Opfer zu fallen pflegen, übrig, gelangten zur Fortpflanzung und erzielten eine noch schwächlichere, zu Krankheiten aller Art geneigte Nachkommenschaft. In Erwägung dieser Umstände verfolgen einzelne Großgrundbesitzer Englands den Wanderfalken nicht mehr und erhoffen von dieser Maßregel, wenn auch nicht Vermehrung, so doch Erzielung eines gesunderen Federwildstandes. Ich lasse wie billig das Für und Wider dieser Anschauung unerörtert; die Beachtung der Sachverständigen und Jäger scheint sie mir jedoch zu verdienen. Anders freilich verhält es sich in Anbetracht des Schadens, welchen der Wanderfalk unseren Taubenliebhabern zufügt. Sie haben wohl unter allen Umständen Recht, wenn sie einen Vogel hassen und verfolgen, dem gegenüber sie so ohnmächtig sind, daß sie bereits, wie beispielsweise in Berlin, die Hülfe der Sicherheitsbehörde gegen den freien Räuber der Lüfte angerufen haben. Es ist nicht bekannt geworden, ob die letztere solchem Ansuchen gewillfahrt hat; wenn dies aber auch der Fall gewesen wäre: den Wanderfalken würde der Schutzmann nicht vertrieben haben. Ihm bieten selbst unsere Waldungen und Gebirge noch immer gesicherte Zufluchtsstätten, und wenn er hier wirklich ausgerottet werden könnte, würde er von Norden her wieder bei uns einwandern.

Bei sorgsamer Pflege hält sich der Wanderfalk jahrelang im Käfige und nimmt hier mit allerlei frischem Fleische vorlieb; verlangt aber viel Nahrung. »Ich hatte einmal«, sagt Naumann, »einen solchen Falken über ein Jahr lang in einem großen Käfige, und dieser fraß in zwei Tagen einen ganzen Fuchs auf, desgleichen drei Krähen in einem Tage; er konnte aber auch über eine Woche lang hungern. Er packte oft sechs lebendige Sperlinge, in jede Klaue drei, wobei er auf den Fersen saß, dann einem nach dem anderen den Kopf einkneipte und bei Seite legte. Eine lebende alte Krähe machte ihm in seinem Gefängnisse viel zu schaffen, desgleichen auch eine Eule. Wenn er mich mit einer lebenden Eule kommen sah, machte er sich struppicht und setzte sich schlagfertig auf den obersten Sitz seines Behälters; die Eule legte sich, sobald sie in den Käfig kam, auf den Rücken, stellte ihm ihre offenen Klauen entgegen und fauchte fürchterlich; der Falk kehrte sich aber hieran nicht, sondern stieß so lange von oben herab, bis es ihm glückte, sie beim Halfe zu packen und ihr die Gurgel zuzuhalten. Auf seiner Beute sitzend, breitete er jetzt freudig seine Flügel aus, rief aus vollem Halse sein ›Kgia, kgia, kgia!‹ und riß ihr mit dem Schnabel die Gurgel heraus. Mäuse fraß er auch, aber bei Hamstern und Maulwürfen verhungerte er.« In unseren Thiergärten erhält der Wanderfalk zwar so viel als möglich Vögel, der Hauptsache nach jedoch, wie die übrigen Raubvögel auch, nur Pferdefleisch. Daß er bei derartiger Kost selten lange aushält, ist erklärlich. Erfahrungsmäßig darf man ihn nur mit seinesgleichen und dann auch bloß paarweise zusammensperren; kleinere Raubvögel würgt er ab und größere gefährden ihn; insbesondere darf man niemals wagen, einen Habicht zu ihm zu setzen, weil dieser ihn meistert und sicher früher oder später auffrißt.

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